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Elementare Bibeltexte: Subjektorientiert – biblisch-theologisch – didaktisch
Elementare Bibeltexte: Subjektorientiert – biblisch-theologisch – didaktisch
Elementare Bibeltexte: Subjektorientiert – biblisch-theologisch – didaktisch
eBook934 Seiten10 Stunden

Elementare Bibeltexte: Subjektorientiert – biblisch-theologisch – didaktisch

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Über dieses E-Book

Eine Einführung in elementare Bibeltexte: subjektorientiert – biblisch-theologisch – didaktisch erschlossen. Verfasst von den führenden evangelischen und katholischen Religionspädagog:innen des deutschen Sprachraums.
Elementare Bibeltexte bilden den Inhalt des zweiten, komplett neu erarbeiteten Bandes der bewährten Reihe "Theologie für Lehrerinnen und Lehrer". Die Autor:innen erschließen anhand von 37 Begriffen zentrale Inhalte der Bücher des Alten und Neuen Testaments. Die Auswahl orientiert sich an den in Lehrplänen enthaltenen Kompetenzerwartungen. Jeder Begriff wird in dreifacher Weise entfaltet: aus subjektorientierter, biblisch-theologischer und didaktischer Perspektive.
Die Artikel sind den biblischen Büchern folgend angeordnet. Sie ermöglichen eine klare Übersicht sowie eine verständliche Grundlage für eine biblische Bildung im Religionsunterricht. Für das Alte Testament finden sich Beiträge zu den Themenbereichen Tora/Pentateuch, Geschichte, Weisheitsbücher und Psalmen sowie Prophetie. Für das Neue Testament sind die Themenbereiche Jesus-Überlieferung, die frühe Kirche, Paulus sowie prophetisch-apokalyptische Literatur abgedeckt. Den Abschluss des Bandes bilden Anfragen von Kindern und Jugendlichen an die Bibel.
Religionsunterricht soll Schüler:innen zu einer mündigen Lebensführung und solidarischen Weltgestaltung befähigen. In diesem Band finden Studierende wie Lehrende praxisbezogene Anregungen für einen theologisch fundierten sowie an Kindern und Jugendlichen orientierten Unterricht.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum4. Dez. 2023
ISBN9783647993508
Elementare Bibeltexte: Subjektorientiert – biblisch-theologisch – didaktisch
Autor

Stefan Altmeyer

Dr. Stefan Altmeyer ist Professor für Religionspädagogik, Katechetik und Fachdidaktik Religion an der Universität Mainz.

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    Buchvorschau

    Elementare Bibeltexte - Martin Rothgangel

    Elementare Bibeltexte für den Religionsunterricht – eine Einführung

    Christine Gerber, Andreas Michel, Martin Rothgangel und Henrik Simojoki

    »Elementare Bibeltexte« – in dem Titel dieses Buches kommen zwei Überzeugungen zur Sprache, die immer weniger selbstverständlich sind und daher argumentativ plausibilisiert werden müssen. Zum einen unterstreicht die Rede von elementaren Bibeltexten den Bildungswert der Bibel für heutige Schüler:innen, zum anderen bringt sie zum Ausdruck, dass die Thematisierung und Ingebrauchnahme der Bibel im Religionsunterricht unter didaktischen Gesichtspunkten erfolgen muss. Die elementare Bedeutung der Bibel kommt also nur zur Geltung, wenn Bibeltexte im Religionsunterricht von den lernenden Subjekten her und auf diese hin erschlossen, mithin elementarisiert werden.

    In diesem Sinne werden im vorliegenden Band in insgesamt 33 Beiträgen biblische Bücher, Textgruppen und Einzeltexte für den Religionsunterricht subjektorientiert, biblisch-theologisch und didaktisch aufbereitet. Hinzu kommen vier Querschnittsbeiträge, die grundlegende bibelhermeneutische und -didaktische Herausforderungen subjektorientiert adressieren. Das Buch setzt die Neuausgabe der Reihe »Theologie für Lehrerinnen und Lehrer« fort und lässt sich in Kontinuität zum 2001 erstveröffentlichten Vorgängerband »im Blick auf die biblische Erschließungsarbeit maßgeblich vom Kriterium der Lebensförderlichkeit leiten« (Lachmann/Adam/Reents, 2018, S. 8).

    Vorab führt diese Einleitung in dafür wesentliche Grundbestimmungen, Hintergründe, Arbeitsweisen und Leitperspektiven ein. Zunächst wird angesichts einer mehrfachen Plausibilitätskrise die bleibend zentrale Bedeutung der Bibel für den Religionsunterricht mehrperspektivisch begründet (1). Darauf folgt eine Kurzvorstellung dieses »Buches der Bücher« (2). Anschließend werden in elementarer Verdichtung methodische und hermeneutische Essentials der Bibelerschließung auf der Höhe des aktuellen exegetischen Diskurses präsentiert (3). Angesichts der wirkmächtigen antijudaistischen Auslegungstraditionen wird die Notwendigkeit, die Bibel im Horizont des Judentums zu deuten, besonders akzentuiert (4). Danach treten die Kinder und Jugendlichen selbst als Subjekte der Bibelinterpretation in den Blickpunkt (5). Dass der für die gegenwärtige Bibeldidaktik konstitutive Subjektbezug keine Selbstverständlichkeit, sondern eine historische Errungenschaft darstellt, zeigt der Überblick über die bibeldidaktische Konzeptentwicklung seit dem frühen 20. Jh. (6). Für die Gegenwart stellt die fortschreitende religiös-weltanschauliche Pluralisierung eine Schlüsselherausforderung dar (7), der auch die anschließend präsentierte Auswahl an Methoden elementarer Bibelerschließung genügen muss (8). Dabei haben sich nicht nur die bibeldidaktischen Lernwege ausdifferenziert. Auch die Bibel selbst gibt es in einer beträchtlichen Vielfalt zielgruppendifferenzierter Übersetzungen und in unterschiedlich konzipierten »Kinderbibeln« (9). Abschließend werden die konzeptionellen Leitperspektiven und Strukturentscheidungen des Bandes dargelegt und begründet (10).

    1Elementare Bibeltexte im Religionsunterricht – warum und wozu?

    Es ist unbestreitbar, dass die Bibel normierende Grundlage des christlichen Glaubens ist. Jedoch ist damit ihre didaktische Bedeutsamkeit im institutionellen Kontext der Schule noch nicht erwiesen. Im Unterschied zum pädagogischen Handeln in der Gemeinde kann nämlich der Religionsunterricht nicht vorrangig vom Glauben her oder zum Glauben hin begründet werden. Vielmehr müssen sich unterrichtliche Themen und Gehalte an diesem Lernort vor allem an ihrer Bildungsbedeutung messen lassen.

    Dafür lassen sich eine Reihe theologischer Begründungen ins Feld führen, die aus einem christlichen Wirklichkeitszugang erwachsen:

    Solange der Religionsunterricht in der Schule, wie es in Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes heißt, »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt« wird, behält das klassische theologische Argument auch in subjektorientierter Hinsicht sein Recht: Weil der Religionsunterricht in den meisten deutschen Bundesländern die Innenperspektive auf Religion einschließt, bezieht die Bibel ihren besonderen didaktischen Rang daraus, dass sie die Heilige Schrift des Christentums ist. Auch wenn es zwischen den christlichen Konfessionen weiterhin Differenzen im Schriftverständnis und in der Schrifthermeneutik gibt (Kollmann/Weidemann, 2021, S. 71–85), ist der Rückbezug auf die Bibel als Quelle des Evangeliums und als lebendiges Wort Gottes das einende Band gelebten Christentums weltweit (Meyer-Blanck/Fürst, 2007, S. 22 f.). Dabei ist die Einsicht, dass sich religiöse Mündigkeit im christlichen Kontext im kundigen und eigenständigen Umgang mit der biblischen Überlieferung zeigt (und folglich auf Bildung angewiesen ist!), längst kein protestantisches Alleinstellungsmerkmal mehr. In diesem Zusammenhang ist eigens auf die in Deutschland sich formierende orthodoxe Bibeldidaktik hinzuweisen (Danilovich, 2018, S. 1–3).

    Eng mit dem voranstehenden Punkt hängt zusammen, dass die Bibel für Christ:innen eine normative Quelle von Erfahrungen mit Gott darstellt, die Menschen in ihrer Lebensgeschichte und im Laufe der Geschichte mit Gott gesammelt haben. Diese Erfahrungen zeigen ein facettenreiches Bild von Gott, das von unfassbarer Gewalt bis hin zu grenzenloser Liebe reicht (siehe in diesem Band: »Gewalt und Liebe«). Für Schüler:innen sind hermeneutische Kompetenzen und damit ein gebildeter Umgang mit diesen vielschichtigen biblischen Texten wesentlich, um deren Relevanz für ihr Leben entdecken zu können.

    Gleichzeitig dokumentiert sich bereits in den ersten Kapiteln der Bibel ein ungeschöntes Menschenbild (Kropač, 2010, S. 417), wenn sich Brüder erschlagen oder hintergehen und festgestellt wird: »das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an« (Gen 8,21/EÜ). Im Unterschied auch zum ideologisierten Perfektionismus und zu autoritären Dynamiken in der Gegenwart werden selbst Leitfiguren wie Petrus keineswegs makellos gezeichnet. Vielmehr wird seine Verleugnung Jesu (Mt 26,69–75 parr) in der Bibel, die zum Grunddokument des Christentums wurde, schonungslos überliefert. Bei alledem wird aber der Mensch auch als Ebenbild Gottes bezeichnet und der unverbrüchliche Heilswille Gottes für den Menschen zum Ausdruck gebracht. Wie das jeweilige Menschenbild ein wichtiger Faktor für die Bestimmung pädagogischer Ziele ist, genauso ist auch für Schüler:innen die Reflexion und Förderung ihres Menschenbildes u. a. ein wichtiger Aspekt für die Entwicklung ihres Selbst- und Weltbildes.

    Grundsätzlich ist die Bibel im Feld gelebten Christentums auch ein wirkmächtiger Indikator von Differenz. So wird die Bibel heutzutage nicht nur in unzähligen Kontexten und Sprachen gelesen, sie wird dabei auch durchaus unterschiedlich verstanden und ausgelegt. Diese Pluralität tritt besonders eindrücklich hervor, wenn man die Perspektive auf den christlichen Glauben global ausweitet (Jenkins, 2008; Simojoki, 2012, S. 309–346). Umso wichtiger ist es daher, dass Schüler:innen im konfessionell(-kooperativ)en Religionsunterricht Kompetenzen im Umgang mit der binnenchristlichen Glaubenspluralität erwerben. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der szientistischen oder fundamentalistischen Beurteilung der biblischen Texte als wortwörtlich zu verstehende Tatsachenberichte (siehe Beitrag »Facts und Fiction«).

    Nun kann man aber bei heutigen Schüler:innen, ob mit oder ohne Konfessionszugehörigkeit, immer weniger einen christlichen Glaubensstandpunkt voraussetzen. Daher gewinnt für die religionsdidaktische Plausibilisierung (des Lernens mit) der Bibel die allgemeiner bei den Subjekten ansetzende Frage an Bedeutung, »warum die Bibel für heutige Schüler:innen als Bildungsbuch hilfreich sein kann« (Porzelt, 2012, S. 52). Im neueren bibeldidaktischen Begründungsdiskurs (Theißen, 2003, S. 63–115; Porzelt, 2012, S. 47–83; Zimmermann/Zimmermann, 2018b, S. 1–6; in nuce: Kropač, 2010, S. 417–421) wird diese Frage u. a. mit folgenden Argumenten beantwortet:

    –Die kulturgeschichtliche Begründung akzentuiert die überragende Bedeutung der Bibel für den deutschen und europäischen Kulturraum, dessen Formierung ohne ein Mindestmaß an biblischer Literacy unverständlich bleibt.

    Religionskulturell gewendet lässt sich dieses Argument auch auf die Gegenwart beziehen: In der populären Kultur, in der bildenden Kunst oder auch in der politischen Rhetorik begegnen – oft versteckt und teilweise verfremdet – immer wieder biblische Bezüge, Wendungen oder Motive. In beiden Fällen wird die Bibel als ein Bildungsgegenstand verstanden. Elementare Bibelkenntnisse gehören in dieser Sicht zu den allgemeinbildenden »must knows« des schulischen Bildungskanons.

    –Andere Argumente setzen hingegen bei den Potenzialen des Lernens mit der Bibel an, das zu einer wirklichkeitssensiblen, existenziell dimensionierten Sprachbildung beiträgt. So können die Psalmen als »Worte zum Leben« bereits Kindern als Hilfe dienen, ihren eigenen Ausdruck für fast unsagbar Schlimmes und Schönes zu finden (Baldermann, 1996, S. 24–68). An prophetischen Texten lässt sich die »Sprache der Gerechtigkeit« erproben (S. 131–197), während Gleichnisse als performative Sprachhandlungen Möglichkeitsräume eröffnen, die über die Schranken des Gegebenen hinausführen.

    –Die identitätsbildende Bedeutung der Bibel erschließt sich im Gespräch mit neueren Konzepten einer narrativen Identität (Simojoki, 2019). Demnach sind Erzählungen im doppelten Sinne konstitutiv für den zunehmend spannungsreichen Prozess der Identitätsbildung in der Spätmoderne. Einerseits ist Identität per se narrativ strukturiert: Sie kommt zustande, indem Menschen in immer neuen Erzählanläufen fragmentarische Erfahrungsbestände ihres Lebens zu einer eigenen »Story« verknüpfen. Andererseits ist Identität eminent auf Narrationen »von außen« angewiesen, die als Deutungsoptionen für die eigene Welt- und Selbsterschließung infrage kommen. Die besondere Prägekraft der biblischen Überlieferung erwächst daraus, dass in ihr Erfahrungen von Zweifel und Gebrochenheit, von Fehlbarkeit und Scheitern nicht ausgeklammert, sondern als charakteristisch für menschliche Identitätssuche und Glaubensformierung angesehen werden (Ziebertz, 2010, S. 153).

    –Schließlich sind biblische Texte bildsam durch ihre Fremdheit. Ob in der Erzählung von der Bindung Isaaks, in provokanten Gleichnissen, in der »widersinnigen« Auferstehungsbotschaft oder in den Endzeitüberlieferungen: Biblische Texte können anstößig sein, irritieren, »unpassend« wirken. Konstruktivistische Lerntheorien bringen mit dem Begriff der »Perturbation« zum Ausdruck, dass Lernen oft aus der Erfahrung einer »Störung« erwächst, durch die verfestigte Vorstellungs- und Einstellungsmuster aufgebrochen werden. Die Bibel ist auch dadurch ein Bildungsbuch, dass sie uns Anderes sehen bzw. anders sehen lässt.

    2Ein Buch mit Geschichte: Aufbau und Entstehung der Bibel

    Die Bibel ist, wie die Herkunft der Bezeichnung vom Plural Biblia (griech. »Bücher«) zeigt, ein Buch der Bücher: Evangelisch gesehen setzt es sich aus 39 hebräisch bzw. zum Teil aramäisch verfassten alttestamentlichen und aus 27 griechisch geschriebenen neutestamentlichen Einzelschriften zusammen; die katholische Seite zählt weitere sieben alttestamentliche Schriften zu ihrem Kanon (Tob, Jdt, 1 Makk, 2 Makk, Weish, Sir, Bar, dazu Erweiterungen in Est und Dan). Letztere stehen oft auch in Lutherbibeln als sog. Apokryphen in einem Anhang zum Alten Testament. Einen echten qualitativen Dissens zeigt diese Differenz nicht an, der Kanon des Neuen wie Alten Testaments ist auch zu weiteren Konfessionen hin an den Rändern fließend: So zählen etwa die orthodoxen Kirchen u. a. 3 Makk zum Kanon, die äthiopischen z. B. das Henochbuch. Die biblischen Bücher stehen selbst im Kontext weiterer Texte und Traditionen; die Kanonisierung gerade dieser Schriften zur christlichen Bibel war ein komplexer Prozess unterschiedlicher Faktoren, der nur zu Teilen bekannt ist.

    Die heutigen christlichen deutschsprachigen Bibelausgaben gehen in ihrem Aufbau auf die christlichen griechischen Codices der Spätantike des 4./5. Jh. n. Chr. (Sinaiticus, Vaticanus, Alexandrinus) zurück. Sie enthalten die Schriften der sog. Septuaginta, der griechischen Übersetzung unseres Alten Testaments und weiterer Schriften, sowie die neutestamentlichen Schriften. Deren chronologische bzw. bibliothekarische Ordnungsprinzipien wurden prinzipiell von den lateinischen Vulgata-Codices des Mittelalters übernommen: Das Alte wie das Neue Testament sind jeweils dreiteilig in »Geschichtsbücher« (im Alten Testament inklusive der Tora), dann »Lehrbücher« bzw. »Lehrweisheit und Psalmen« bzw. »Briefe« und schließlich »Prophetische Bücher« gegliedert. In der Lutherbibel wie der Einheitsübersetzung wird dies jeweils ausdrücklich kenntlich gemacht, nicht aber z. B. in der Zürcher Bibel.

    Einerseits spiegelt sich in der Anordnung eine Zeitperspektive: Die drei Blöcke präsentieren jeweils schwerpunktmäßig die Vergangenheit (Gen bis Ester/2 Makk bzw. Mt bis Apg), die Gegenwart (Ijob bis Hld/Sir bzw. Röm bis Jud) und die Zukunft (Jes bis Mal bzw. Offb). Der alttestamentliche Abschlussabschnitt in Mal 3,22–24 schließt einen Bogen zu den fünf Büchern Mose, der Tora, und kündigt die Sendung Elijas an. Durch die Eröffnung der Jesusgeschichte mit Johannes dem Täufer, der als »Elija redivivus« (der wiederbelebte Elijas) interpretiert wird (Mk 1,2–4), knüpft das Neue Testament kanonisch gesehen hier an. So hat die ganze Bibel in diesem Aufbau auch eine protologischeschatologische Klammer (Gen 1 bis Offb 22). Auch innerhalb der Blöcke gibt es grundsätzlich eine chronologische Ordnung nach dem jeweils Dargestellten. Diese leitet die Geschichtsbücher ohnehin. Gleichfalls entspricht es einer geschichtlichen Perspektive, dass der Patriarch Ijob den Psalmen Davids vorangeht, diese wiederum vor den Sprüchen Salomos stehen. Dazu passt auch die schon ältere Reihenfolge der großen Propheten Jes, Jer, Ez.

    Andererseits ist der Aufbau der Bibel »bibliothekarisch« nach literarischen Gattungen und tatsächlichen oder vermeintlichen Autoren sortiert. Die Gattungszuordnung spielt im jeweiligen Mittelblock eine besondere Rolle: Im Alten Testament enthält er die gesammelte poetische Literatur außerhalb der Propheten, im Neuen Testament die Briefliteratur. Im Alten Testament gibt es Autorensammlungen bei der mosaischen (Tora), der davidischen (Psalmen), der salomonischen (Spr, Koh, Hld und – katholisch – Weish) und der jeremianischen (Jer – katholisch: Bar – Klgl) Literatur. Im Neuen Testament werden die Briefe nach den echten bzw. vermeintlichen Autoren zusammengeordnet (die Paulus-, die Petrus- und die Johannesbriefe). In diesem Teil gibt es zwischen den üblichen deutschen Bibelausgaben unwesentliche Zuordnungsabweichungen bzgl. Hebr und Jak.

    Die einzelnen biblischen Schriften sind in einem Prozess entstanden. Die ältesten Schriften stammen wohl aus dem 8. Jh. v. Chr., die jüngsten Einzelschriften des Neuen Testaments werden um die Mitte des 2. Jh. n. Chr. datiert (Pastoralbriefe, 2 Petr).

    Die meisten der alttestamentlichen Schriften haben außerdem einen Redaktionsprozess durchlaufen, der sich oft über mehrere Jahrhunderte erstreckt hat, beim Jesajabuch oder den Psalmen z. B. über mehr als ein halbes Jahrtausend. Die sich bildenden jüdischen Kanonteile der Tora bzw. der Propheten, die auch die Geschichtsbücher Jos, Ri, 1 Sam, 2 Sam, 1 Kön, 2 Kön enthielten, waren im 4. bzw. 2. Jh. v. Chr. so weit abgeschlossen, dass etwa die neutestamentlichen Schriften darauf problemlos mit »Gesetz und Propheten« referieren können (vgl. Mt 5,17; Röm 3,21). Bei manchen hebräischen Schriften wie Ijob, Koh, Hld oder Est und ohnehin bei griechischen Schriften wie Weish hat es bis in die neutestamentliche Zeit keine im Judentum abschließende Beurteilung hinsichtlich ihrer kanonischen Verbindlichkeit und der Zugehörigkeit zum dritten Kanonteil »Schriften« gegeben.

    Die ältesten Schriften des Neuen Testaments sind die authentischen Paulusbriefe, die bald gesammelt wurden. Sie wurden stilgebend auch für weitere »Apostelbriefe«. Das älteste der Evangelien, das Markusevangelium, wurde nach Annahme der weithin geteilten Zweiquellentheorie im Lukasevangelium einerseits, im Matthäusevangelium andererseits integriert; die Sammlung verschiedener Evangelien, die eine innerkanonische Pluralität erzeugt, zeigt, dass den vier Evangelien bald ein je eigener Wert zugeschrieben wurde.

    Sowohl für die Abgrenzung eines Kanons des Alten Testaments im Christentum wie auch für die Herausbildung des neutestamentlichen Kanons haben die kanonischen Initiativen Markions (gestorben um 160 n. Chr.) und deren großkirchliche Ablehnung eine wichtige Rolle gespielt. Aus der Zeit wahrscheinlich um 200 n. Chr. stammt das Fragment des Canon Muratori, dessen Auflistung neutestamentlicher Schriften einen sich anbahnenden großkirchlichen Konsens der Zeit anzeigt. Er entspricht schon weitgehend dem späteren neutestamentlichen Kanon, der mit seinen 27 Schriften im 39. Fastenbrief des einflussreichen alexandrinischen Bischofs Athanasius 367 n. Chr. nachdrücklich fixiert wurde. Trotzdem folgen die ältesten christlichen Vollbibelausgaben aus dem 4. und 5. Jh., der Vaticanus, Sinaiticus, Alexandrinus und Ephraemi Syri rescriptus, in keinem Fall genau diesem neutestamentlichen Kanon; sie sind insofern frühe Zeugen eines wertgeschätzten innerchristlichen Kanon-Pluralismus.

    3Bibeltexte erschließen – methodische und hermeneutische Essentials

    Als kanonische Texte sind die biblischen Texte vor allem Gegenstand von Auslegung, nicht von Imitation oder Rezitation (Zenger/Frevel et al., 2016, S. 150 f.). Auslegung und Interpretation gehören auch deswegen intrinsisch zur Bibel, weil es schon bibelintern vielfältige und komplexe Auslegungsprozesse gibt. Immer schon wurde die Bibel daher nicht nur vorgelesen, sondern auch ausgelegt, in Predigten, Kommentaren und Lebenshaltungen. Die Erfahrung mit konkurrierenden Auslegungen forderte methodische Klarheit. Im Laufe der letzten Jahrhunderte hat sich deshalb in der Exegese ein wissenschaftlich-methodisches Instrumentarium ausgebildet, das – bei aller Variabilität im Einzelnen – wissenschaftliche Redlichkeit, intersubjektive Nachprüfbarkeit und universitäre Anschlussfähigkeit an benachbarte Fächer fördern bzw. sicherstellen soll und die Beliebigkeit eingrenzen kann. Der so entstandene Methodenkanon ist selbst geschichtlich gewachsen und verändert worden, weil sich die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen änderten, wie der folgende Abriss deutlich macht.

    3.1 Textkritik

    Legt man den Bibeltext im Wortlaut aus, wie es seit dem Humanismus ein Ideal ist, beginnt die Arbeit mit der philologischen Rekonstruktion des auszulegenden Textes. Es sind uns nämlich keine Urtexte, keine Autographen überliefert, sondern nur Abschriften, die nie ganz identisch sind. Die Textkritik hat die Aufgabe, den möglichst ältesten Text durch Vergleich von Handschriften und Vermutungen über die Entstehung der Varianten zu rekonstruieren. Für das Alte Testament sind dafür neben den hebräisch-masoretischen Manuskripten des Mittelalters auch die Septuaginta und die seit 1947 in Qumran gefundenen Handschriften wichtig, für das Neue Testament neben den Vollbibeln und zahllosen Majuskeln und Minuskeln auch im 20. Jh. gefundene Papyri. Auch wenn es keine Sicherheit geben kann über den exakten Wortlaut am Anfang der Textüberlieferung, ist diese doch insgesamt stabil: Die Varianten sind nicht so groß, dass moderne Verschwörungs- und Verdunklungsmythen bzgl. des biblischen Textes wirklich begründet wären.

    3.2 Historische Kritik der Bibel – Entstehung und Fragestellungen

    Seit der Aufklärung und dem wachsenden Bewusstsein für historische Veränderungen wurde die Bibelauslegung zu einer wissenschaftlich fundierten Methodik der »historisch-kritischen Exegese« etabliert. Denn mit Jahrhunderten Abstand zu ihrer Entstehung gibt es neben dem sprachlichen auch einen kulturhistorischen Graben zu den biblischen Texten, der sich nicht einfach überbrücken lässt und eigene Reflexionen erfordert. Diese historische Kritik ist zunächst im Bereich der protestantisch-universitären Theologie entwickelt worden. Die römisch-katholische Kirche hat sich letztlich erst 1965 zu einer modernen Exegese bekannt (II. Vatikanisches Konzil, Konstitution Dei Verbum III 12). Wissenschaftlich besteht heute darüber weitgehend Konsens, dass ohne eine historische Rückbindung ein Verstehen, das den biblischen Texten gerecht würde, nicht gelingen kann (Becker, 2021, S. 6).

    Im Interesse an der Person des historischen Jesus warf insbesondere das Nebeneinander unterschiedlicher Evangelienerzählungen die Frage nach deren literarischer Entstehung auf, während im Alten Testament speziell die widersprüchliche Komplexität des Pentateuch Anlass zur kritischen Hinterfragung der traditionell angenommenen mosaischen Verfasserschaft gab. Diese Fragen adressiert die sog. Literarkritik, die anhand von Inkohärenzen, Doppelungen oder synoptischen Parallelen die Entstehungsgeschichte und das mögliche Wachstum einzelner Kapitel oder Bücher eruiert. Im Blick auf die Entstehung der synoptischen Evangelien hat sich die Zweiquellentheorie durchgesetzt (siehe in diesem Band: »Synoptische Evangelien«), im Alten Testament wurden etwa Thesen zur Entstehung des Pentateuch aus verschiedenen Schichten und Zeiten und zum Wachstum der Prophetenbücher etabliert.

    Die Überlieferungskritik versucht zu klären, ob hinter dem jeweiligen literarischen Text eine mündliche Überlieferung steht und wie weit diese zurückzuverfolgen ist, etwa bis zum historischen Jesus oder zu einem möglichen historischen Ereignis von Exodus. Daneben gibt es motiv- bzw. traditionsgeschichtliche Fragestellungen nach kulturellen oder religionsgeschichtlichen Parallelen, Analogien, Ableitungen oder Transformationen. Sie lassen sich heute dank archäologischer, kulturwissenschaftlicher und sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse zum Teil leichter erkennen. In der Redaktionsgeschichte wird schließlich zusammenfassend geklärt, ob sich Teiltexte einer literarischen »Quelle« oder einer einheitlichen Redaktionsschicht verdanken und wann und mit welchen – insbesondere theologischen – Tendenzen diese Texte entstanden und redigiert worden sein dürften.

    Mit diesen Thesen arbeitete gerade die wissenschaftliche Bibelinterpretation oft als Gegenpol zu einer als zu eng, zu dogmatisch, zu eindeutig empfundenen Interpretation des Christlichen.

    3.3 Literaturwissenschaftliche Perspektiven

    Während diese diachronen Fragestellungen auf die Rekonstruktion der Textentstehung abheben, fokussieren aus der Literaturwissenschaft übernommene Analysefragen den Text in der vorliegenden Form: Auch der vom Autor bzw. der Redaktion in die Welt entlassene Text hat seine eigene Schwerkraft bzw. Autonomie, er hat eine bestimmte, individuelle Gliederung und Struktur, die sich in einer synchronen Strukturkritik oder Formbeschreibung erheben lassen. Er kann einer konventionellen Struktur zugehören, die sich in der Gattungskritik beschreiben lässt, die oft auch als »Formgeschichte« in der Literatur auftaucht. Der Text wird dafür verlangsamt fragegeleitet gelesen, vor allem synchron linguistisch untersucht, d. h. auf seine syntaktischen, semantischen und pragmatischen Dimensionen hin abgeklopft. Poetische Texte werden zusätzlich besonders auf ihre stilistischen Eigenheiten, normative oder Redetexte, auch die Briefliteratur, in rhetorischer Hinsicht betrachtet. Erzählende Texte können narratologisch interpretiert werden, wobei Erzählperspektiven, Zeit, Raum, Ereignisse, Figuren und Figurenkonstellationen bzw. Aktant:innengerüste analysiert werden. Es lassen sich dabei Erzähltechniken, z. B. aufgrund des Verhältnisses von Erzählzeit und erzählter Zeit, figurative Perspektiven oder Werthaltungen im Text feststellen, die sich den Lesenden anbieten oder Identifikationsangebote nahelegen.

    3.4 Rezeptionsorientierte Zugänge

    Mit der kulturwissenschaftlichen bzw. sprachphilosophischen Wende zur Semiotik hat sich der Zugang noch einmal verändert: Es geht um die Einsicht in die konstitutive Rolle der Lektüre bei der Sinngebung des Textes, was sich in den letzten Jahrzehnten in der Exegese unter dem Stichwort Rezeptionsästhetik verdichtet hat. Jedes Verstehen von Texten vollzieht sich in einem Dreiecksverhältnis, vielleicht auch spiralförmigen Geschehen zwischen dem:der Autor:in und seiner:ihrer Welt, dem Text und seiner Welt und den Lesenden bzw. Rezipierenden und ihrer Welt (Eco, 1992). In diesem Sinne ist die Aufgabe der Exegese, die ideale Erstlektüre zu rekonstruieren, also die im Text und seiner Strategie angelegte Sinngebung zur Zeit der Entstehung des Textes. Der Text gibt, ggf. über die Intention seines Autors (Luz, 2014, S. 518–523) bzw. seine Leselenkungen, einen »impliziten Leser« vor. Als besonders produktiv, weil für die heutigen Lesenden herausfordernd, hat sich die Aufdeckung von Vagheiten, Ambiguitäten und Ambivalenzen herausgestellt, die schon die Erstlesenden beschäftigt haben müssen. Gegebenenfalls lassen sich fiktionale von faktualen Erzählungen unterscheiden (Genette, 2010) bzw. verschiedenen Graden von Fiktionalität und Faktualität zuordnen.

    So gesehen sind auch die biblischen Texte in ihrer Bedeutung nicht zu reduzieren auf eine eindeutige Auslegung. Und die Erfahrung lehrt ja tatsächlich, dass die Interpretationen der Bibel als Ganzer wie einzelner biblischer Texte so vielfältig sind, dass sich die Frage stellt, ob man alles mit dem Bibeltext begründen kann, was man will, oder ob es Grenzen der Interpretation gibt. Die Einsicht in die Beteiligung der Lektüre an der Sinngebung des Textes schwächt die Einsetzung der Bibel als möglichst eindeutiger Norm des christlichen Glaubens, unterstreicht aber die Bedeutung der Lesenden bis in die Gegenwart: Sie sind Teil der Sinngebung; die Bedeutung des Textes ist nicht abzuschließen.

    Da sich der mögliche Sinn eines Textes erst im Wechselspiel zwischen Text und Lesenden erschließt, findet auch die faktische Rezeption der Texte wachsendes Interesse. Zur Rezeptionsgeschichte der Bibel informieren etwa die noch im Entstehen begriffene »Encyclopedia of the Bible and Its Reception« und das Online-Projekt »Die Bibel in der Kunst«¹.

    3.5 Kontextuelle Lektüren

    Die Priorisierung der Lesenden und ihrer Situation kommt auch in Ansätzen zum Ausdruck, welche die jeweilige Perspektive, unter der biblische Texte wahrgenommen werden sollen, ausdrücklich priorisieren: Dies sind insbesondere sozialgeschichtliche, befreiungstheologische, feministische oder postkoloniale Zugänge. Kanonische Exegesen, die auf die Beachtung des gesamtbiblischen Kontexts bei der Interpretation des Einzeltextes zielen, betonen die aktive Rolle der kirchlichen Lesenden im Blick auf den biblischen Kanon, auch in der Herstellung freier, nicht von Text und Autor intendierter Intertextualitäten. Es ist Aufgabe der Exegese, auch selbstkritische Perspektiven auf die so Rezipierenden zu entwickeln, etwa Anforderungen an die Lesenden und Interpretierenden wie intellektuelle Redlichkeit, Empathiefähigkeit und Bereitschaft zu Solidarität (Luz, 2014, S. 524 f.). Solche kritischen Perspektiven werden gleichermaßen auch in Bezug auf Autor und Text eingenommen, z. B. im Blick auf die dominante Androzentrik der biblischen Texte und Autoren (siehe Beitrag »Geschlecht und Sexualität«) oder ihre bisweilen, zumindest im ersten Augenschein uneindeutige Positionierung zur Gewalt (siehe Beitrag »Liebe und Gewalt«).

    3.6 Interpretationsoffenheit und Vielfalt

    Das eben skizzierte Instrumentarium von Methoden und Fragestellungen wirkt erfahrungsgemäß an den diversen Texten und Textbereichen der Bibel unterschiedlich produktiv. Die methodengeleitete Lektüre hilft, den Text nicht sogleich zu vereinnahmen oder entlang der gewohnten Lektüre zu interpretieren, sondern sich seiner Fremdheit bewusst zu werden. Sie vermag die Texte historisch und literarisch so weit zu kontextualisieren und ko-textualisieren und damit auch zu erklären, dass einer denkbaren Beliebigkeit ihrer Interpretation Grenzen gesetzt werden können, aber eine Pluralität von Rezeptionen weiter wertgeschätzt werden kann. Wenn die Lektüre biblischer Texte bei Christ:innen ein Mehr an Ambiguitätstoleranz (Bauer, 2011) fördert, ist das ausdrücklich zu begrüßen. Speziell die biblischen Texte wollen aber auch nicht nur gelesen und erklärt, sondern in ihrer Bedeutung verstanden und gelebt werden. Das zeigt sich schon bei der pragmatischen Analyse, die nach dem Handlungsziel des Textes selbst fragt, oder der narratologischen Analyse, die nach Perspektiven fragt, die den Lesenden im Blick auf die Figuren im Text angeboten werden. Zugespitzt formuliert das Jesus nach dem Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner gegenüber dem fragenden Gesetzeslehrer: »Dann geh und handle du genauso!« (Lk 10,37).

    Wohl auch, weil die christliche Bibel ursprünglich in den drei Sprachen Hebräisch, Aramäisch und Griechisch vorlag, war es, im Gefolge der jüdisch-hellenistischen Tradition, im Prinzip nie umstritten, dass die Bibel adressat:innenorientiert übersetzt werden darf, ja muss. Daraus sind im Westen sprachprägende und langlebige Werke hervorgegangen, die lateinische Vulgata im Mittelalter, die angelsächsische King-James-Version und die deutsche Lutherübersetzung in der Neuzeit. Übersetzungen in die eigene Sprache ermöglichen mehr Lesenden den Zugang zur Lektüre und deshalb auch das gewünschte Einüben komplexerer Dialoge mit den Texten wie das Einspielen vielfältiger Interessen bei der Interpretation. Eine besondere Herausforderung bei der Lektüre der heute üblichen Bibeln ergibt sich aus dem Problem, dass die neutestamentlichen Texte normalerweise aus der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, zitieren bzw. mit Leitbegriffen darauf anspielen. Die Bibelübersetzungen des Alten Testaments nehmen allerdings den hebräisch-masoretischen Text als Ausgangspunkt, sodass neutestamentliches Zitat und alttestamentlicher Ausgangstext oft nicht wortwörtlich übereinstimmen. Für diese Rezeption ist daher die deutsche Übersetzung der Septuaginta heranzuziehen (Kraus/Karrer, 2009).

    4Pflicht, nicht nur Kür – Bibeltexte im Horizont des Judentums

    Das hebräische Alte Testament ist unter anderem Namen, in anderer interner Reihenfolge, mit teilweise weniger Büchern und vor allem auf der Basis einer anderen Hermeneutik bis heute und zuerst die Heilige Schrift des seinerseits vielgestaltigen Judentums. Jesus selbst war Jude, auch die Autoren der neutestamentlichen Schriften und deren Adressat:innen gehörten dem Judentum ihrer Zeit an oder waren doch wenigstens so judentumsaffin, dass sie ihren Glauben unter vielfältigem Bezug auf die Heilige Schrift des Judentums, die die Christ:innen später erst »Altes Testament« nannten, entfalteten. Im Zuge der immer weiter ausgreifenden Mission unter nichtjüdischen Menschen ist das Bewusstsein dieser Affinität bald in den Hintergrund getreten, die Idee der Substitution des Judentums durch das Christentum hat noch in der Antike Raum gegriffen. Einem lebendigen, mit seinem Gott verbundenen Judentum ist seit dem Mittelalter zunehmend die Existenzberechtigung abgesprochen worden. All das hat tiefe Narben auch in der christlichen Lektüre des Alten und Neuen Testaments hinterlassen.

    Dazu gehört eine jahrhundertelange Abwertung des Alten Testaments als Pendant zur Abwertung des Judentums. Insbesondere in Auseinandersetzung mit theologischen Positionen zur Zeit des Nationalsozialismus ist in den letzten Jahren die Erkenntnis gewachsen, dass dies sowohl sachlich widersinnig wie ethisch höchst problematisch ist: Im Blick auf die neutestamentlichen Schriften ist eine solche Abwertung widersinnig, weil die alttestamentlichen Bücher, in griechischer Übersetzung und leicht unterschiedlichem Umfang, für die neutestamentlichen Autoren und ihre Erstlesenden konkurrenzlos als die »Heilige Schrift« galten. Den Texten, die wir heute »alttestamentlich« nennen, kommt grundlegende Bedeutung für das Verständnis und die Entfaltung des Evangeliums zu, viel mehr als zeitgenössischer hellenistischer oder römischer Literatur. Deswegen wird das Alte Testament auch zu Recht als der Wahrheitsraum des Neuen Testaments bezeichnet (Crüsemann, 2011). Das Neue Testament kann ohne das Alte nicht verstanden werden, und deshalb muss man sich – im Prinzip – beim Buch der Bibel durch das Alte Testament durchgearbeitet haben, bevor man lesend zum Neuen Testament kommt.

    Natürlich verstehen Christ:innen nach der Ganzlektüre der Bibel rückwirkend auch das Alte Testament anders als Jüdinnen und Juden, bei deren Lektüre auf das Alte Testament nicht das Neue Testament, sondern Mischna bzw. Talmud folgen. Dabei wird klar, dass es nicht den einen Ausgang, die eine Interpretation des Alten Testaments geben kann, sondern es einen vielfältigen Anschluss gibt, der sich nur holzschnittartig als doppelter Ausgang in Judentum und Christentum verstehen lässt. Denn schon innerhalb des Judentums des 1. Jh. n. Chr. wurde das Alte Testament sehr unterschiedlich interpretiert: Es gab Gruppen, die ohnehin nur die Tora als Heilige Schrift akzeptierten (Sadduzäer, auch die Samaritaner:innen). Der hellenistisch-platonisch geprägte Diaspora-Jude Philo von Alexandrien las seine Heilige Schrift, die griechische Septuaginta, anders als die pharisäisch-rabbinischen Gruppen, die nach der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. und nach dem Bar-Kochba-Aufstand 132–136 prägend für das Judentum wurden und die sich an der hebräisch-aramäischen Bibel mit ihrem dreiteiligen Kanon von Tora, Propheten (Nebiim) und Schriften (Ketubim) orientierten. Auch die christliche Lektüre des Alten Testaments ist keine einlinige, sondern hat sich unterschiedlich ausgefächert. Eine Grundtendenz allerdings war – aus moderner Sicht gegen den historischen Sinn –, diese heiligen Schriften auf Jesus zu beziehen und im Licht einer christologischen Erfüllung zu deuten. Heute ist klar, dass die vielfältigen jüdischen Interpretationen und Rezeptionen der Schriften, die wir Altes Testament nennen, ihren Eigenwert haben und behalten; sie kennenzulernen, eröffnet auch christlichen Interpret:innen oft neue Perspektiven auf die Texte.

    Einen deutlichen Ausdruck findet diese Würdigung jüdischer Lektüre der Heiligen Schrift im Projekt der Bibel in gerechter Sprache von 2006, deren Kanonhermeneutik im Alten Testament nicht der üblichen christlichen, sondern der jüdischen Bibel folgt (vgl. auch die Reihe »Theologischer Kommentar zum Neuen Testament«, Kohlhammer). Weitgehend unbestritten ist, dass das Alte Testament nicht nur ein wesentlicher Bestandteil des christlichen Kanons ist und bleibt, sondern auch, dass das Alte Testament in sich einen Sinnüberschuss enthält, der weder positiv christologisch als »erfüllt« eingeholt noch negativ einfach abrogiert und für obsolet erklärt werden kann – wie z. B. gern in Bezug auf die sog. Antithesen der Bergpredigt in Mt 5 behauptet. Die anstößige Konkretheit und die vergleichsweise radikale Diesseitigkeit vieler alttestamentlicher – aber auch neutestamentlicher – Schriften bieten heutigen Lesenden ebenso überraschende Anschlussmöglichkeiten, wie die Wahrnehmung ihrer Fremdheit auch Kontrasterfahrungen generieren kann.

    Im Bemühen um die Anerkennung der bleibenden Bedeutung des Alten Testaments wird diskutiert, ob die Bezeichnung als Erstes Testament besser geeignet ist, weil sie die christologische Brille vermeidet. Wie auch immer man die Schrift bezeichnet: Wenn christliche Lesende im Alten oder Neuen Testament auf »Israel«, »die Juden«, »die Pharisäer« o. ä. treffen, dann müssen sie sich bewusst machen, dass fast alle Verfasser der Schriften selbst jüdisch waren. Die harte Kritik, die dort am eigenen jüdischen Volk geäußert wird, ist also Selbstkritik. In der Lektüre des Völkerchristentums hat sie sich in Fremdkritik umgewandelt, ein fataler hermeneutischer Fehler.

    Deshalb ist auch in der Lektüre des Neuen Testaments Obacht vor anachronistischen Einlesungen gefordert: Es ist zunächst ein Buch von Jüdinnen und Juden. Weder Jesus noch Paulus noch die Evangelien verstanden den christlichen Glauben als Ablösung des Judentums. Der Glaube, dass Jesus der Messias sei, entwickelte sich innerhalb des vielgestaltigen Judentums und führte frühestens um die Wende zum 2. Jh. n. Chr. zu weiterreichenden Trennungen in abgegrenzte religiöse Gemeinschaften (Öhler, 2018). Wo das Neue Testament von »Jüdinnen und Juden« oder dem Volk Israel spricht, ist damit, anders als im Deutschen, nicht impliziert, dass es sich um eine nichtchristliche Gruppe handelt. Die scharfen Konflikte um den Christusglauben und die Polemiken im Neuen Testament gegen jüdische Menschen sind Spuren der Nähe; gerade aus dieser Nähe und Konkurrenz erklärt sich die Heftigkeit des Streits über den wahren Glauben an den einen Gott (Gerber, 2009).

    Zitiert man die Polemiken, etwa die Aussage des Juden Paulus von »den Juden, die den Herrn Jesus getötet haben« (1 Thess 2,14 f./LU; vgl. Apg 2,23), ohne diesen Kontext und überdies aus einer Position der Überlegenheit heraus, dann ändern sie ihre Bedeutung. Der christliche Antijudaismus bzw. Antisemitismus zeigt, als Wirkung auch dieser Polemiken, welche Gewalt Stereotypien und gruppenbezogene Abwertungen entfalten. Weil das kontextuelle Verständnis nicht allein durch bessere Übersetzungen eingeholt werden kann, bedarf es gerade im Schulunterricht besonderer Sorgfalt. Dass hier weiterhin die kritische Durchsicht des Unterrichtsmaterials nötig ist, haben Untersuchungen bestätigt, die zeigen, dass sich bis in gegenwärtige Lehrpläne und neue Schulbücher trotz besten Willens viele antijüdische Verzeichnungen finden (Spichal, 2015).

    5Herausforderung und Lernpotenziale – Bibeltexte im Kontext religiös-weltanschaulicher Pluralität

    Die Bibel stellt eine reichhaltige Ressource für das Verständnis von »Gott und Welt« und damit auch für den eigenen Sinn des Lebens dar. Gleichwohl können biblische Texte auch missbraucht und u. a. zu einem problematischen Umgang mit der religiös-weltanschaulichen Pluralität verwendet werden, die ein wesentliches Kennzeichen der (Post-)Moderne darstellt. Zwei entgegengesetzte Reaktionsmuster von Menschen auf jene Pluralität sind einerseits eine Fixierung auf (fundamentalistische) Sinnangebote mit klarer Schwarz-Weiß-Orientierung oder andererseits eine achselzuckende »anything goes«-Haltung. Vergleichbar mit Basistexten anderer Weltanschauungen und Religionen können auch biblische Texte verwendet werden als eine irrtumslose und wortwörtlich zu verstehende Anleitung zur Lebensorientierung in der pluralen Moderne (siehe Beitrag »Facts und Fiction«).

    Verschärfend kommt hinzu, dass sich in der Bibel z. B. mit dem ersten Gebot Ex 20,3 oder mit Joh 14,6 (»Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich«) die Wahrheitsfrage unausweichlich stellt und sich von daher Reaktionsmuster der völligen Beliebigkeit in ethischer, weltanschaulicher und religiöser Hinsicht als problematisch erweisen. Solche exklusiven Aussagen sind umgekehrt Wasser auf die Mühlen eines fundamentalistischen Schriftverständnisses.

    Gleichwohl wird ein solches Sicherheitsstreben nach eindeutigen biblischen Antworten in Anbetracht religiös-weltanschaulicher Pluralität aus mehreren Gründen nicht dem biblischen Zeugnis gerecht. Exemplarisch seien hier vier Aspekte hervorgehoben:

    –Erstens stellt es ein bemerkenswertes Ergebnis der biblischen Kanonbildung dar, dass zum einen nicht nur ein einziges Evangelium und zum anderen nicht jedes existierende Evangelium der damaligen Zeit in den Kanon aufgenommen wurde. Vielmehr finden sich darin vier Evangelien mit unterschiedlichen Hintergründen und verschiedenen theologischen Akzentuierungen. Auch die neutestamentliche Briefliteratur bleibt vielstimmig. Jak 2,14–16 wird oft als Gegentext zu Röm 3,28 verstanden. Aber auch innerhalb der als authentisch geltenden Paulusbriefe kann man widersprüchliche Aussagen finden. So ist heute umstritten, ob die Rechtfertigungslehre das Herz der paulinischen Theologie darstellt (siehe Beitrag »Paulus: Sünde, Glaube und Gerechtigkeit «).

    –Zweitens bietet der biblische Kanon allein durch seine Vielfalt an sprachlichen Ausdrucksformen von Erzählungen, Psalmen, Gleichnissen usw. einen reichhaltigen Resonanzraum für menschliche Erfahrungen, der z. B. von der Klage bis zum Lobpreis oder speziell für Kinder von spannenden Erzählungen (Gen 37–50) bis hin zu langweiligen Auflistungen (1 Chr 1–9) reicht.

    –Drittens kommt hinzu, dass selbst ein einzelner biblischer Text bedingt durch den jeweiligen hermeneutischen Zugang sehr unterschiedlich verstanden werden kann – wie unten an der pluralisierenden Hermeneutik in der Bibeldidaktik von Horst Klaus Berg deutlich wird.

    –Viertens ist grundsätzlich zu bedenken, dass verschiedene Faktoren wie z. B. die kulturelle Prägung, die jeweilige Konfessions- und Religionszugehörigkeit, der jeweilige Bildungsstand oder das jeweilige Lebensalter die Wahrnehmung und das Verständnis biblischer Texte mitbedingen.

    Angesichts dieser vier Aspekte geht es im Religionsunterricht zum einen darum, dass Schüler:innen in der bildenden Auseinandersetzung mit dem vielstimmigen und reichhaltigen Zeugnis der Bibel eine Sprach- und Argumentationsfähigkeit für ihren eigenen Lebensglauben in Anbetracht ihres pluralen Kontextes gewinnen. Zum anderen kann ein dialogisch orientierter Bibelunterricht die Schüler:innen zu einer Kommunikation über ihre Wahrnehmungen und Deutungen befähigen, bei der die eigene Position gegenüber anderen religiösen und weltanschaulichen Positionen respektvoll zum Ausdruck gebracht wird. Beispielsweise können Schüler:innen im Sinne des christlich-islamischen Dialogs die unterschiedliche Deutung Jesu in Bibel und Koran herausarbeiten (Khorchide/von Stosch, 2018) oder auch verschiedene Formen der Bibel- und Koranhermeneutik (Heine/Özsoy/Takim, 2014) miteinander vergleichen.

    6Im Fokus biblischen Lernens – die Perspektive der Kinder und Jugendlichen

    Für eine angemessene Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen als Ausgangspunkt biblischen Lernens ist die Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Studien unabdingbar. In den 1960er Jahren untersuchte Ronald Goldman (1964) das Bibelverständnis von 6- bis 17-jährigen Kindern und Jugendlichen, wobei er u. a. die biblischen Erzählungen vom brennenden Dornbusch sowie vom Durchzug durch das Meer beim Exodus verwendete. Dabei gelangte er zu dem Ergebnis, dass biblische Geschichten für Kinder unter zwölf Jahren ungeeignet seien, da ihnen im Sinne Jean Piagets die Fähigkeit zum formal-operatorischen Denken fehle, die für das Verständnis der metaphorischen Sprachformen biblischer Texte notwendig sei. Eine vergleichbare Erkenntnis erzielte Anton Bucher (1990) bei seinen strukturgenetischen Untersuchungen des Verständnisses biblischer Gleichnisse bei Kindern im Grundschulalter. Da Schüler:innen dieses Alters nicht in der Lage seien, im Sinne von Gleichnistheorien die Bild- und Sachhälfte zu unterscheiden, sei allein die Thematisierung der Bildhälfte sinnvoll.

    Gleichwohl blieben diese Studien nicht unwidersprochen, da beispielsweise Rainer Oberthür (1995) neben dem wortwörtlichen Verstehen durchaus Belege für ein übertragenes Verständnis von Psalmworten bei Grundschüler:innen anführen konnte. Eine Erklärung dieser divergierenden Befunde könnte darin bestehen, dass die von Goldman primär verwendeten geschlossenen Fragestellungen möglicherweise nicht »die Relevanzsysteme der Befragten« trafen (Fricke, 2005, S. 190). Darüber hinaus weist die Studie von Christian Gößinger (2014, S. 182 f.) darauf hin, dass bereits für Grundschüler:innen der dritten und vierten Klasse eine gattungsgemäße Behandlung der Schöpfungserzählung möglich ist, wenn sie mit gattungsspezifischem Wissen und in ihrer Entwicklung metaphorischer sowie symbolischer Sprache unterstützt wurden. Der entscheidende theoretische Schlüssel dafür sind bereichsspezifische Entwicklungstheorien (Gößinger, 2014, S. 22; Keiser, 2020, S. 118–125). Vor deren Hintergrund empfiehlt es sich grundsätzlich, in einem ersten Schritt zu erheben, welche Vorerfahrungen und möglicherweise auch Vorurteile in einer Lerngruppe hinsichtlich bestimmter biblischer Texte bestehen, um den Ausgangszustand der Lernenden möglichst differenziert erfassen und als konstitutiven Bezugspunkt für die folgenden Lernarrangements verwenden zu können.

    Noch einen Schritt weiter geht die Kindertheologie im Sinne einer Theologie von Kindern, weil deren Auslegung und Interpretation biblischer Texte auch wiederum für Erwachsene, Lehrer:innen und sogar Neutestamentler:innen interessante Perspektiven zu eröffnen vermag (u. a. Müller, 2003; Zimmermann, 2003; Alkier, 2003). Diesbezüglich ist mit Fricke (2012, S. 378 f.) festzuhalten, dass damit keine Willkür der Auslegung einhergehen soll, sondern sich diese immer an den Texten messen lassen muss, was nicht nur die Aufgabe der Lehrkraft, sondern der gesamten Lerngruppe ist. Lehrkräfte verfügen zwar einerseits über exegetische Expertise, sind aber andererseits Leser:innen wie ihre Schüler:innen auch. »Das impliziert eine Ablösung vom Selbstverständnis, immer zu wissen, was ›richtig‹ ist. Der Blick wird frei für die Aufgabe, die Pluralität der Aktualisierungen zuzulassen und selbst zum Lerngegenstand zu machen, die Bereitschaft zu entwickeln, von den Schüler:innen zu lernen, mit ihnen Nachdenklichkeit einzuüben, Rätselhaftes zu benennen und offene Fragen auszuhalten« (Fricke, 2012, S. 379).

    7Subjektorientierung, Ausdifferenzierung, Spezialisierung – Schlaglichter auf bibeldidaktische Entwicklungen und Konzepte

    Biblisches Lernen ist für das Christentum essenziell. Von der Lernkultur des Judentums inspiriert, bildet die Auseinandersetzung mit der Bibel als Gegenstand und Medium des Lernens ein historisches Kontinuum der Christentumsgeschichte. Dagegen ist die Bibeldidaktik als analytische und orientierende Theorie von Lern- und Lehrprozessen mit der Bibel ein spezifisch modernes Phänomen. Ausschlaggebend für ihre Entstehung war die in der Aufklärungszeit wurzelnde Erfahrung, dass biblisches Lernen seine einstmalige Selbstverständlichkeit einbüßte und in wachsendem Maße begründungsbedürftig wurde. Wer über diese Anfänge hinaus einen Überblick über historische und gegenwärtige Ansätze der Bibeldidaktik geben will, muss sich für einen roten Faden entscheiden. In der Regel richten sich entsprechende Kurzdarstellungen nach der leitenden Ordnungslogik von sog. religionspädagogischen Konzeptionen – aus einem plausiblen Grund: »Die Stellung und der Gebrauch der Bibel in den unterschiedlichen Phasen der Fachdidaktik Religion sind vielfach charakteristisch für das gesamte Konzept« (Zimmermann/Zimmermann, 2018b, S. 15).

    Dieser innere Zusammenhang zwischen der allgemein-religionspädagogischen und der bibeldidaktischen Konzeptentwicklung lässt sich mit wenigen Strichen plastisch nachzeichnen (z. B. Lachmann, 2018; Landgraf/Metzger, 2011, S. 34–37). In der programmatisch »modernen« Religionspädagogik nach der Wende zum 20. Jh. diente die – auf evangelischer Seite erstmals historisch-kritisch fundierte – Auseinandersetzung mit der Bibel der Charakterbildung der Schüler:innen. Dagegen richtete sich die Bibelerschließung in der seit den 1930er Jahren dominierenden kerygmatischen Religionsdidaktik, wieder unter konfessionell spezifischen Vorzeichen, an der Offenbarung Gottes und deren »Verkündigung« aus. Als dann ab 1960 zunächst in der evangelischen und dann in der katholischen Religionsdidaktik hermeneutische Zugänge an Einfluss gewannen, war die Bibeldidaktik besonders tangiert. Die Bibel bildete nun in beiden Konfessionen den primären Gegenstand der wissenschaftlich durchgeklärten Traditionsauslegung, die auf existenzielles Verstehen zielte. Während die hermeneutische Religionsdidaktik eher anthropologisch allgemein bei der Fraglichkeit des Menschen ansetzte, rückten mit der problemorientierten bzw. kritisch-emanzipatorischen Wende die Schüler:innen wie auch das politische Zeitgeschehen in den Vordergrund und bestimmten den didaktischen Umgang mit der biblischen Überlieferung. Mit dem problemorientierten Ansatz, der durch die gesellschaftspolitischen Umbrüche der späten 1960er und frühen 1970er Jahre forciert wurde, büßte die Bibel ihre zumindest auf evangelischer Seite traditionelle Mittelpunktstellung ein.

    Allerdings drohen bei einer einseitigen Orientierung an solchen Konzeptionen die »großen Linien« der bibeldidaktischen Entwicklung von den Diskontinuitäten zwischen den jeweiligen Ansätzen verdeckt zu werden. Drei langfristige Tendenzen sollen an dieser Stelle eigens hervorgehoben werden:

    Erstens ist die bibeldidaktische Gesamtentwicklung durch eine immer konsequentere Orientierung an den Schüler:innen als den Subjekten biblischen Lernens im Religionsunterricht bestimmt. Dieser Perspektivenwechsel hin zu den Schüler:innen kennzeichnet bereits die bibeldidaktischen Frühformen der Aufklärungszeit (evangelisch: Christian Gotthilf Salzmann; katholisch: Johann Michael Sailer), in der die erzählende Vergegenwärtigung der biblischen Überlieferung dazu diente, die im traditionellen Katechismusunterricht vernachlässigte Erfahrungswelt der Kinder und Jugendlichen religionsdidaktisch einzuholen. Wie sehr sich die Subjektorientierung im Laufe des 20. Jh. durchgesetzt hat, lässt sich an der gegenwärtigen Bibeldidaktik ablesen: Auch wenn die Meinungen über Fundamente, Wege und Formen biblischen Lernens teilweise auseinandergehen, nehmen alle aktuell diskutierten Ansätze für sich in Anspruch, die Subjektdienlichkeit religiöser Bildung zu stärken. Dies gilt übrigens auch für Stimmen derer, die darauf drängen, die Widerständigkeit der Bibel didaktisch stärker zu akzentuieren. Zu diesen gehört Burkart Porzelt, der bei empirischen Unterrichtsanalysen auf eine problematische Tendenz stieß: Auffällig viele Lehrkräfte neigten dazu, »ausschließlich solche Aspekte der Bibel in den Blick zu nehmen, in denen sich die Schüler/innen wiederfinden und mit denen sie sich identifizieren könnten« (Porzelt, 2002, S. 47). Für Porzelt beraubt eine solche falsch verstandene Subjektorientierung die Bibel ihres bildenden Potenzials. Statt die Schüler:innen mit für sie fremden, auch provokanten Sichtweisen auf Gott, Welt und Leben zu konfrontieren, werde sie »zu einem Spiegel, der die eigene Wirklichkeit bloß verdoppelt«.

    Zweitens steht die Entwicklung der Bibeldidaktik im Zeichen einer Ausdifferenzierung: Während biblisches Lernen noch in hermeneutischer Religionsdidaktik den gesamten Religionsunterricht durchzog und formen sollte, hat es sich mittlerweile zu einem eigenständigen und zugleich begrenzten Aufgaben- und Gegenstandsbereich der Religionsdidaktik entwickelt, der in gegenwärtigen Lehr- und Handbüchern keine übergeordnete Bedeutung mehr einnimmt, sondern in einer Reihe mit anderen Lernbereichen wie ethischem, kirchengeschichtlichem, ökumenischem oder interreligiösem Lernen steht. Dem entspricht, dass viele gegenwärtige Konzepte der Bibeldidaktik nicht spezifisch für biblisches Lernen entwickelt worden sind, sondern auch auf biblisches Lernen bezogen werden können. Bibeldidaktik kann, um nur einige Beispiele zu nennen, als Symboldidaktik (Heumann, 2018), als Kindertheologie (Zimmermann, 2018a), als konstruktivistische (Stimpfle, 2018) oder performative (Husmann, 2018) Religionsdidaktik gestaltet werden.

    Dem damit einhergehenden Verlust an Reichweite entspricht ein Zugewinn an bereichsspezifischer Expertise, der sich drittens in einer immer stärkeren Spezialisierung ausdrückt. Seit den 1970er Jahren entstehen eigene Entwürfe der Bibeldidaktik, die biblisches Lernen als selbständiges und eigenwertiges Feld der Religionsdidaktik fundieren und entfalten:

    Die Biblische Didaktik Ingo Baldermanns (bes. Baldermann, 1996) profiliert die Bibel als ein Buch des Lernens, das heutige Menschen und insbesondere auch Kinder unmittelbar anzusprechen und zu packen vermag. Inspiriert von der Befreiungstheologie und in kritischer Abgrenzung zu exegetisch-hermeneutisch fundierten Erschließungswegen plädiert Baldermann dafür, die Schüler:innen direkt, also ohne vorgängige historisch-kritische Erläuterungen oder hermeneutische Anbahnungen, mit der Sprachgewalt und Lebendigkeit biblischer Texte zu konfrontieren. In den Klagepsalmen etwa würden Kindern Worte zum Leben begegnen, in denen Kinder sich selbst entdecken und mit denen sie auch eigene Ängste und Hoffnungen ausdrücken können. Dass Baldermanns existenzielle Bibeldidaktik vor allem ins Praxisfeld der Grundschule hineingewirkt hat, ist wohl kein Zufall. Denn sobald sich bei den Schüler:innen ein Bewusstsein für hermeneutische Fragen und geschichtliches Verstehen ausbildet, gerät sein auf Unmittelbarkeit angelegter Ansatz an Grenzen prinzipieller wie pragmatischer Art.

    Fast schon komplementär dazu verhält sich Horst Klaus Bergs Bibeldidaktik, die stärker auf kritisches Verstehen, Kohärenz und Mehrperspektivität setzt. Wenn man sich wie Baldermann vorwiegend an Einzeltexten orientiert, kann das Gespür für das große Ganze der biblischen Überlieferung verloren gehen. Daher verdichtet Berg die biblischen Erfahrungen in sechs elementaren »Grundbescheiden« (Berg, 2003, S. 76–95), welche die schulische Arbeit mit der Bibel orientieren sollen: (1) Gott schafft Leben, (2) Gott stiftet Gemeinschaft, (3) Gott leidet mit und an seinem Volk, (4) Gott befreit die Unterdrückten, (5) Gott gibt seinen Geist und (6) Gott herrscht in Ewigkeit.² Bahnbrechend ist Bergs Anliegen, das Lernen mit der Bibel im Sinne einer pluralisierenden Hermeneutik multiperspektivisch anzulegen (Berg, 1992). Die Mehrdeutigkeit der Bibel verlange nach einer Vielzahl von Auslegungszugängen. Diachrone Wege zur Bibel, die den historischen Kontext in seiner Distanz und Nähe zur Gegenwart für die Interpretation fruchtbar machen (historisch-kritische, ursprungsgeschichtliche, materialistische, feministische, intertextuelle und wirkungsgeschichtliche Auslegung), haben in seiner Bibeldidaktik genauso ihren Platz wie synchrone Zugänge, die auf eine solche Kontextualisierung verzichten (existenziale, linguistische, tiefenpsychologische, interaktionale, befreiungstheologische und jüdische Auslegung sowie Verfremdung).

    Während Baldermann, Berg und Theißen bei Kindern und Jugendlichen zumindest eine Restvertrautheit mit der Bibel voraussetzen, geht Peter Müller davon aus, dass die Bibel für heutige Schüler:innen ein »Buch mit sieben Siegeln« ist. Daher sucht er in seiner experimentell angelegten Bibeldidaktik nach »Schlüsseln zur Bibel« (Müller, 2009), die in einer Situation nach dem Traditionsabbruch Kindern und Jugendlichen eine Tür zu diesem für sie fremden und potenziell faszinierenden Buch aufzuschließen vermögen. Dies geschieht anhand von Schlüsseltexten, -wörtern und -bildern, die Brückenschläge zum Denken und zur Erfahrungswelt der Lernenden wie auch zur biblischen Tradition in ihrer Breite ermöglichen sollen. Folglich spielen populärkulturelle Anknüpfungspunkte in dieser Bibeldidaktik eine große Rolle, aber auch thematisch anschlussfähige Debatten in Internetforen und -blogs.

    Einen anderen, theoretisch anspruchsvolleren Weg zur Verschränkung biblischer Texte beschreitet Mirjam Schambeck in ihrem Ansatz einer »bibeltheologischen Didaktik« (Schambeck, 2009). Unter Rückgriff auf den kultur- und literaturwissenschaftlichen Diskurs um Intertextualität konzipiert sie biblisches Lernen als ein dynamisches Hin- und Herpendeln zwischen der Welt des Textes und der Welt der Leser:innen. Der springende Punkt ist, dass sich die Welt des Textes nur über die Rekonstruktionen durch die Lesenden (in Geschichte und Gegenwart) erschließt und die Welt der Leser:innen durch ihre (potenzielle) Beziehung zum Text zu filtern ist. Zentrale Bedeutung zunächst für die Lehrkraft und dann für die Schüler:innen kommt dem »intertextuellen Lesen« zu, das darauf zielt, »die ›alten Erfahrungen‹ durch das Neulesen und Aktualisieren von heutigen Leser:innen zum Klingen zu bringen und dadurch zu erneuern, fortzuschreiben und zu erweitern« (Schambeck, 2018, S. 464). Anders als etwa bei Baldermann zielen Bildungsprozesse mit der Bibel in der »bibeltheologischen Didaktik« nicht auf existenzielle Identifikation, sondern darauf, dass Schüler:innen lernen, sich zu biblischen Texten zu verhalten (Schambeck, 2018, S. 468).

    Das sukzessive Anwachsen bibeldidaktischer Wissensbestände, Forschungserträge und Theorieperspektiven findet seinen systematischen Kulminationspunkt in dem im Jahr 2018 in zweiter Auflage erschienenen »Handbuch Bibeldidaktik« (Zimmermann/Zimmermann, 2018a). Dieses voluminöse Grund lagenwerk bildet einen wichtigen Bezugspunkt für die vorliegende Publikation. In gewisser Hinsicht verhalten sich beide Veröffentlichungen komplementär zueinander. Während das Handbuch die Bibeldidaktik in ihrem gesamten Facettenreichtum unter Einbezug fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und interdisziplinärer Aspekte zur Darstellung bringt, steht im Folgenden die fachlich wie didaktisch elementarisierende Intention im Vordergrund, biblische Lernprozesse im Religionsunterricht mit stetem Blick auf Kinder und Jugendliche fachlich zu fundieren, didaktisch zu orientieren und schließlich auch kreativ anzuregen.

    8Grundvollzüge und Methoden elementarer Bibelerschließung im Religionsunterricht – Optionen

    Wer biblische Lernprozesse im Unterricht initiieren will, steht vor dem Luxusproblem, auf eine bunte Vielfalt von Methoden elementarer Bibelerschließung zurückgreifen zu können. Diese Methodenpluralität zeichnet die Bibeldidaktik gegenüber anderen Lernbereichen des Religionsunterrichts aus – und ist daher ein wahrer Luxus. Ein Problem ist sie insofern, als die Fülle an methodischen Optionen von der Lehrkraft die Fähigkeit abfordert, eine ausgewogene Balance aus unterschiedlichen Lernwegen zu finden. Dafür ist es hilfreich, mit Burkard Porzelt (2021, S. 174–176) zwischen fünf Grundvollzügen biblischen Lernens zu unterscheiden, an denen sich Lehrkräfte bei der methodischen Planung und Gestaltung ihres Unterrichts orientieren können:

    –Bereits die Vergegenwärtigung des Bibeltextes ist eine wichtige Gestaltungsaufgabe. Sofern die (Kinder-)Bibel selbst nicht in Gebrauch kommt, ist auf ästhetisch wie material ansprechende Reproduktionen zu achten. Lieblos gestaltete Text- und Arbeitsblätter sind nicht nur demotivierend, sondern signalisieren eine geringe Wertschätzung des Unterrichtsgegenstands. Auch bei der ersten Texterschließung sollten verschiedene Zugänge zur Geltung kommen, vom stillen Lesen über das Vorlesen bis hin zu anspruchsvolleren künstlerischen Präsentationsformen (z. B. musikalische Vertonungen).

    –Um den Fallstricken einliniger Erschließungswege (vom Text zu den Schüler:innen bzw. von den Schüler:innen zum Text) zu entgehen, sollte eine subjektorientierte Bibelerschließung als dynamischer Prozess produktiver Verwicklung gestaltet werden, die sowohl der Autonomie und Vieldeutigkeit des Textes als auch der konstitutiven Bedeutung der Schüler:innen als eigenständige Ausleger:innen der biblischen Tradition Rechnung trägt.

    –Freilich ist dieser Prozess nicht auf die Wechselwirkung zwischen dem Text und seinen Rezipient:innen beschränkt. Vielmehr ist die dialogische Verständigung über den Bibeltext für biblisches Lernen konstitutiv. Bereits die dafür notwendige Versprachlichung ist in hohem Maße bildend, weil sie Schüler:innen hilft und sie schult, ihren Wahrnehmungen und Wertungen einen eigenen und möglichst kohärenten Ausdruck zu geben. Vor allem dient der Austausch mit anderen dazu, die eigenen Deutungen mit jenen von Mitschüler:innen zu überprüfen, zu erweitern, zu verfeinern.

    –Der intersubjektive Deutungsraum kann durch Vollzüge der Vertiefung in zeitlicher und räumlicher Hinsicht ausgeweitet werden, auf textuelle wie bildliche Auslegungsvarianten der biblischen und christentumsgeschichtlichen Tradition ebenso wie auf gegenwärtige Deutungsangebote im globalen Christentum oder der populären Kultur.

    –Während der Begriff der Vertiefung nahelegt, nach Entsprechungen zwischen biblischen und heutigen Erfahrungen zu suchen (und dadurch gängige Lesarten der Bibel und etablierte Muster der Wirklichkeitsauslegung zu stabilisieren), setzen Vollzüge der Verstörung auf das destabilisierende Potenzial biblischen Lernens: »Irritation […] bewahrt davor, in der Ausleuchtung des biblischen Sinnpotenzials bei erstbesten Hypothesen stehen zu bleiben, und eröffnet neue Deuteperspektiven« (Porzelt, 2021, S. 176).

    In diesem Rahmen gibt es ein breites Spektrum an Möglichkeiten, biblische Texte methodisch abwechslungsreich zu erschließen (vgl. dazu die Kurzbeiträge im fünften Teil des »Handbuchs Bibeldidaktik«: Zimmermann/Zimmermann, 2018a, S. 489–662):

    –Im Wortsinn grundlegend sind Methoden des Lesens (Müller, 2018). Vorlesen ist eine Kunst, die Religionslehrkräfte beherrschen und mit Schüler:innen zielgerichtet einüben sollten, idealerweise in Formen, die möglichst viele Lernende einschließen. Beim stillen Lesen sind Zugänge zu bevorzugen, die den Leseprozess strukturieren und eine aktive Auseinandersetzung mit dem Text begünstigen (etwa die Västerås-Methode etc.). Seit einigen Jahren werden Lehrkräfte ermutigt, mit ihren (jugendlichen) Schüler:innen das Wagnis der angeleiteten Lektüre von biblischen Ganzschriften einzugehen (Dern, 2018).

    –Methoden des Erzählens (Zimmermann, 2018b) sind bereits in der Bibel verankert. Wie entwicklungspsychologische Theorien einsichtig machen, kommen Narrationen als Form der Sinnkonstruktion und Wirklichkeitsaneignung Kindern besonders entgegen. Aber auch im Religionsunterricht mit Jugendlichen sollten Erzählungen nicht zu kurz kommen, sind doch biographische Narrationen das zentrale Medium der Identitätskonstruktion der Spätmoderne. Daher ist es wichtig, dass Schüler:innen nicht nur Empfänger:innen von Erzählungen bleiben, sondern selbst ins Erzählen kommen. Für alle Formen biblischen Erzählens gilt: Ihr Gelingen setzt eine gründliche Vorbereitung und performative Kompetenzen der Lehrkräfte voraus, die anspruchsvoll sind und daher in der Aus- und Fortbildung aufgebaut werden müssen. In der neueren Bibeldidaktik wird Erzählen biblischer Geschichten oft durch einen teils synchronen Einsatz von Bodenbildern, Legematerialien, Figuren oder Visualisierungsformen wie Sprechzeichnen begleitet.

    –Auf einer anderen Ebene fördern Methoden kreativen Schreibens (Zimmermann, 2018c) die Ausdrucksfähigkeit und die Imaginationskraft von Schüler:innen als aktiven und eigenständigen Interpret:innen der Bibel. Ergänzend dazu eröffnen altersgerechte Methoden bildlichen und figürlichen Gestaltens sinnfällige Möglichkeiten, eine eigene Expression für die Dynamik der biblischen Überlieferung zu finden.

    –Überhaupt stellen bildliche Darstellungen eine elementare Verarbeitungsform biblischer Impulse dar, die das Christentum seit seinen Anfängen begleitet und, zumeist säkular gebrochen, auch in der Gegenwartskunst begegnet (Büttner, 2018). Ein Fall sui generis sind die Ikonen, die in der orthodoxen Religionsdidaktik eine ökumenisch anregende Brücke zur biblischen Textwelt eröffnen (Vrame, 1999).

    –Auch über die bildende Kunst hinaus bietet die medial vermittelte Kultur der Geschichte und Gegenwart einen reichen Fundus für eine lebensweltlich relevante Bibeldidaktik: Methodische Orientierungshinweise und Gestaltungsvorschläge gibt es u. a. für die Musik (Lindner, 2018), für moderne Literatur (Langenhorst, 2018), für Filme (Zwick, 2018), für die populäre Kultur (Buschmann, 2018) sowie schließlich für digitale Räume (Keuchen, 2018). So haben beispielsweise konstruktive Formate wie Lego oder Minecraft bereits einen festen Platz im methodischen Werkzeugkasten der Bibeldidaktik.

    –Andere Methoden kreisen um Medien, die speziell als biblische Erschließungswege entwickelt worden sind: Neben Kinder- und Jugendbibeln ist hier z. B. an Bibelwortkarten (Oberthür, 2018), an Bibelcomics oder Bibelfilme bzw. -serien zu denken.

    –Wie aus den oben skizzierten Grundvollzügen hervorgeht, sind dialogische Methoden konstitutiv für eine bildende Bibeldidaktik. Dafür eignen sich beispielsweise kindertheologische Erschließungswege (Zimmermann, 2018a), die in der gemeindlichen Arbeit verankerte Methode des Bibelteilens (Eltrop, 2018) oder, mit stärkerer spiritueller Färbung, Godly Play (Steinhäuser, 2018).

    –Über verbale Ausdrucksgestalten hinaus reichen leibliche Inszenierungsmethoden, von Standbildern über Statuen bis zu Flashmobs (Zimmermann/Zimmermann, 2018c).

    Interaktionale Erschließungswege haben ihren Ausgangspunkt in den lebensgeschichtlichen und lebensweltlichen Erfahrungen der Teilnehmenden, die zu zunächst intuitiven und dann reflexiven Identifizierungen mit biblischen Personen und Szenen aktiviert werden sollen. Religionsdidaktische Adaptionen des Bibliodramas (Kollmann, 1996) zielen auf eine ganzheitliche Textbegegnung, verfolgen aber keine therapeutische Intention. Der bibeldidaktische Lernprozess gliedert sich in drei Phasen: (1) Warming-Up, (2) kreative Texterschließung und (3) Aufarbeitung. Stärker auf die Regelbedingungen des Religionsunterrichts zugeschnitten ist der Zugang des Bibliologs (Pohl-Patalong, 2013, S. 47–60), der später in diesem Buch eigens angesprochen wird (siehe Beitrag » Kinder und kindorientierte Bibelauslegung «).

    –Schließlich können außerschulische Lernorte – von Kirchenräumen (Rupp, 2018) bis zu den vielen Bibelzentren in Deutschland und Österreich (Landgraf/Zimmermann, 2018) – für biblische Bildungsprozesse fruchtbar gemacht werden.

    9Bibelübersetzungen – Kinder- und Auswahlbibeln

    Dass die Bibel übersetzbar ist, war für die Christusgläubigen von Anfang an selbstverständlich. Die griechische Übersetzung des hebräisch-aramäischen Alten Testaments, die Septuaginta, war ihre Heilige Schrift. Schon in der Antike wurde die Bibel in viele Volkssprachen übersetzt (z. B. Koptisch, Äthiopisch, Gotisch). Für die mittelalterlichen Christ:innen in Westeuropa war die lateinische Vulgata ihre normative Bibelausgabe. Im Gefolge der reformatorischen Bewegungen des 16. Jh. wurden landessprachliche Übersetzungen wie die englische King-James-Version oder die deutsche Lutherbibel für Jahrhunderte prägend. Katholische Übersetzungen der Bibel für den gesamtkirchlichen Bereich in die jeweiligen Landessprachen wurden hingegen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. üblich. Heutige deutschsprachige Bibeln wie die Zürcher Bibel von 2007 (ZÜ), die Einheitsübersetzung von 2016 (EÜ) oder die Lutherübersetzung 2017 (LU) sind auf der Basis der wissenschaftlich erarbeiteten, ursprachlichen hebräischen, aramäischen und griechischen Texte erstellt.

    Jede konkrete Übersetzung reiht sich in ihren Prinzipien auf einer Skala ein, die sich von der möglichst großen Treue zum Ausgangstext – das Maximum wäre theoretisch die Nichtübersetzung – bis hin zur Orientierung an der jeweils aktuellen Zielsprache oder sogar bestimmten Zielgruppen erstreckt. Die ausgangstext- bzw. produktionsorientierten Übersetzungen bemühen sich um möglichst große Wörtlichkeit und Strukturtreue. Typische Beispiele dafür sind sogenannte Interlinearübersetzungen, die den ursprachlichen Text mitabdrucken, aber z. B. auch die Elberfelder Bibel als Gesamtbibel oder das Münchner Neue Testament als Teilbibel. Stärker auf die Lesenden und deren Verständnis zielende, rezeptionsorientierte Übersetzungen sind eher wirkungstreu und kommunikativ angelegt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Gute Nachricht Bibel oder jetzt auch die Basisbibel; eine umfassende Bibel in Leichter Sprache liegt noch nicht vor. Daneben gibt es zielgruppenspezifischere Bibelprojekte, wie etwa die Volxbibel in Jugendsprache. ZÜ, EÜ und LU reihen sich eher in der Mitte der Skala ein. In den großen Bibelrevisionen der letzten beiden Jahrzehnte wurde aber mehr auf die Sichtbarkeit von Frauen geachtet. So wird die maskuline Briefanrede adelphoi, die im Griechischen auch Schwestern bezeichnen kann, nun oft mit »Brüder und Schwestern« wiedergegeben. Die Benennung von Frauen auch da, wo sie »mitgemeint« sind, ist ein besonderes Anliegen der Bibel in gerechter Sprache (BigS) von 2006. Sie versucht überdies antijüdisch wirkende Ausdrucksweisen zu vermeiden und die Vielfalt der Gottesbilder sichtbar zu machen.

    Ein Problem jeder Übersetzung ist die Wiedergabe des eigentlich nicht übersetzbaren alttestamentlichen Gottesnamens, des sog. Tetragramms (der »Vierbuchstaben«), aus den vier Konsonanten JHWH. Die BigS signalisiert an dieser Stelle mit Ersetzungen wie »die Ewige« oder »der Name« den Respekt vor dem Gottesnamen. ZÜ, EÜ und LU übertragen hingegen, im Gefolge der großen Septuagintamanuskripte, die »JHWH« mit kyrios wiedergeben, »Herr« in Kapitälchen, also: HERR. Der Charme dieser Lösung besteht darin, dass so auch ein Tetragramm vorliegt und gleichzeitig, auch mit Rücksicht auf die jüdische Praxis, der eigentliche Gottesname nicht ausgesprochen wird. Gut ist auch, dass durch die Kapitälchenschreibung bei jedem »HERR« im Bibeltext klar ist, dass an dieser Stelle im hebräischen Text tatsächlich der Gottesname »JHWH« steht und nicht ein anderes Wort für »Herr«. Grafisch ist zudem klar: Wenn auch Jesus im griechischen Neuen Testament als kyrios bezeichnet wird, dann wird dort »Herr« ohne Kapitälchen übersetzt, sodass bei aller Bezogenheit eine sichtbare Differenz zwischen dem »HERRN« des Alten Testaments und dem »Herrn« des Neuen Testaments besteht. Freilich liegt auch der Nachteil der Übersetzung mit HERR auf der Hand: Anders als der Gottesname ist das deutsche Wort HERR mit männlichen Assoziationen versehen und die Herrschaftsgeladenheit belastet das Gottesbild unpassend – und nur die in der Schrift, aber nicht bei der Verlesung wahrzunehmende Kapitälchenbildung vermag diese Belastung wenigstens etwas zu mildern. Es gibt also Anlass genug, über Gottesnamen und Gottesbilder und die angemessene Gottesrede im Unterricht zu sprechen.

    Ähnlich wie Bibelübersetzungen einem breiteren Publikum die Bibel zugänglich machen wollen, das nicht die Originalsprachen beherrscht, besitzen Kinderbibeln die Funktion, die Bibel für Kinder zu erschließen, indem eine Auswahl von Bibeltexten, eine Anpassung des Sprachniveaus sowie in der Regel Illustrationen vorgenommen werden.

    Geschichtlich kann der Ursprung von Kinderbibeln in Martin Luthers »Passional« aus dem Jahr 1529 gesehen werden, das eine Auswahl von 50 biblischen Geschichten enthält, die mit 50 Holzschnitten illustriert wurden (Reents/Melchior, 2011, S. 59–63). Es folgen u. a. weitverbreitete Werke wie Johann Hübners »Zwei mal zwei und fünfzig auserlesene Biblische Historien« (1714) oder der »Weltbestseller« (Adam, 2013, S. 65) von Christian Gottlob Barth »Zweymal zwey und fünfzig biblische Geschichten für Schule und Familien« (1832). Letztgenanntes Werk wurde »in mindestens 87 Sprachen übersetzt« (Reents/Melchior, 2011, S. 65) und im »Vorwort zur 465. Auflage von 1928 wird berichtet, dass das Buch in zweieinhalb Millionen Exemplaren in deutscher Sprache erschienen« (S. 67) sei. Führt man sich zudem vor Augen, dass seit dem 16. Jh. über 1.000 deutschsprachige Kinderbibeln erschienen sind, davon allein ca. 200 in diesem Jahrhundert, dann wird deutlich, dass zum einen ein großer Bedarf vorhanden zu sein scheint und zum anderen mit Kinderbibeln auch ein gutes Geschäft gemacht werden kann (Fricke, 2022, S. 1).

    Grundsätzlich können Kinderbibeln auf verschiedene Weise klassifiziert werden, eine naheliegende Option ist die nach ihrer Altersgemäßheit: »Bilderbibeln ohne Text, Erst-Kinderbibeln (ab 3 Jahren), Kinderbibeln für das Lesealter (ab 7 Jahren), Bibeln für ältere Kinder (ab 11/12 Jahren) und Bibeln für Jugendliche«

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