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Yes, she can!: Die Rolle der Frau in der Gemeinde. Ein bibelfestes Plädoyer
Yes, she can!: Die Rolle der Frau in der Gemeinde. Ein bibelfestes Plädoyer
Yes, she can!: Die Rolle der Frau in der Gemeinde. Ein bibelfestes Plädoyer
eBook302 Seiten3 Stunden

Yes, she can!: Die Rolle der Frau in der Gemeinde. Ein bibelfestes Plädoyer

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Über dieses E-Book

Sollen Frauen die Gemeinde leiten und lehren – oder dürfen sie dies aus Treue zur Bibel nicht tun? Diese Frage ist in zahlreichen Kirchengemeinden nach wie vor umstritten.

Christian Haslebacher untersucht die Rolle der Frauen in der gesamten Bibel und geht speziell auf Aussagen im Neuen Testament ein, welche den Dienst der Frauen in der Gemeinde einzuschränken scheinen. Er kommt zum Schluss: Yes, she can – ja, sie kann.
SpracheDeutsch
HerausgeberFontis
Erscheinungsdatum24. März 2016
ISBN9783038487746
Yes, she can!: Die Rolle der Frau in der Gemeinde. Ein bibelfestes Plädoyer

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    Buchvorschau

    Yes, she can! - Christian Haslebacher

    Christian Haslebacher

    Yes, she can!

    www.fontis-verlag.com

    Meiner Frau Annette

    und

    meiner Tochter Naemi

    Christian Haslebacher

    Yes, she can!

    Die Rolle der Frau in der Gemeinde

    Ein bibelfestes Plädoyer

    Logo_fontis

    mit: Chrischona

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

    Die Bibelstellen wurden folgenden Übersetzungen entnommen:

    EÜ = Einheitsübersetzung © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart

    Luther = Lutherbibel © 1984, 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

    Hervorhebungen in Bibeltexten stammen vom Autor.

    © 2016 by Fontis – Brunnen Basel

    Umschlag: Spoon Design, Olaf Johannson, Langgöns

    Foto Umschlag: Pressmaster/Shutterstock.com

    E-Book-Vorstufe: InnoSet AG, Justin Messmer, Basel

    E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg

    ISBN (EPUB) 978-3-03848-774-6

    ISBN (MOBI) 978-3-03848-775-3

    www.fontis-verlag.com

    Inhalt

    Einführung

    DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE I:

    Gemeinsames Ringen um die sachgemäße Anwendung biblischer Aussagen

    Kapitel 1

    Was aus der Bibel gilt heute noch?

    Grundsätzliche und hermeneutische Gedanken

    1. Jede Kommunikation beinhaltet Interpretation

    2. Jede Person liest die Bibel durch eine «Brille»

    3. Ein Kanon verschiedener Stimmen in unterschiedlichen Situationen

    4. In spezifische Kulturen und Zeiten hinein geschrieben

    5. Prinzipien sind von deren Anwendungen zu unterscheiden

    6. Zwischenergebnis – Bibelverständnis

    Kapitel 2

    Das Lehrverbot für Frauen in 1. Timotheus 2,12–14 im gesamtbiblischen Kontext

    1. Die Frauen und die Schöpfungsordnung

    2. Die Frauen im alttestamentlichen Israel

    3. Die Frauen und Jesus

    4. Die Frauen in der Urgemeinde

    5. Der Ehemann als Haupt und die Frage der Unterordnung

    6. Das Schweigegebot im 1. Korintherbrief

    7. Zwischenergebnis – gesamtbiblischer Kontext

    Kapitel 3

    Verweise auf alttestamentliche Ereignisse in den Paulusbriefen

    1. Die Verfasserschaftsfrage des 1. Timotheusbriefes

    2. Glaube und Rechtfertigung Abrahams (Röm 4,1–24; Gal 3,6–16)

    3. Adam und Christus (Röm 5,12–21; 1Kor 15,21–22.45–49)

    4. Kinder der Verheißung (Röm 9,6–13)

    5. Ein Rest wird gerettet (Röm 11,1–5)

    6. Keine Heilssicherheit durch Taufe und Herrenmahl (1Kor 10,1–11)

    7. Schöpfungsreihenfolge (1Kor 11,7b–9)

    8. Moses Decke verdeckt die Herrlichkeit (2Kor 3,7–16)

    9. Ausgleich unter Gottes Leuten (2Kor 8,15)

    10. Die Verführung Evas (2Kor 11,3)

    11. Sara und Hagar (Gal 4,21–31)

    12. Jannes und Jambres (2Tim 3,8–9a)

    13. Zwischenergebnis – Verweise auf alttestamentliche Ereignisse

    Kapitel 4

    Lehrverbot, Schöpfungsreihenfolge und Evas Fall in 1. Timotheus 2,12–14

    1. Irrlehren als Anlass des Briefes

    2. Familienstruktur in der Gemeinde

    3. Anweisungen an Männer und Frauen (1Tim 2,8–10)

    4. Lernen in Stille und Unterordnung (1Tim 2,11)

    5. Das Lehrverbot für Frauen (1Tim 2,12)

    6. Begründung: Schöpfungsreihenfolge (1Tim 2,13)

    7. Begründung: Evas Fall (1Tim 2,14)

    8. Rettung durch Kindergebären (1Tim 2,15)

    9. Zwischenergebnis – Argumentationslinie in 1. Timotheus 2,12–14

    Kapitel 5

    DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE II:

    Zusammenfassende Schlussfolgerungen

    1. Paulinische Verweise auf alttestamentliche Ereignisse

    2. Der Verweis auf die Schöpfungsreihenfolge

    3. Der Verweis auf den Fall Evas

    4. Gesamtbiblischer Kontext

    5. Unmittelbarer Kontext im 1. Timotheusbrief

    6. Gemeindesituation

    7. Kulturelle Sensibilität

    8. Was aus 1. Timotheus 2,12–14 gilt heute noch?

    Kapitel 6

    DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE III:

    Zu vermeidende Denkfehler

    1. Richtig ist: Gleichbehandlung bedeutet nicht Gleichmachung

    2. Richtig ist: Mit einer zu engen Position ist man nicht auf der sicheren Seite

    3. Richtig ist: Passive Männer sind nicht durch noch passivere Frauen zu motivieren

    Danksagungen

    Literaturverzeichnis

    1. Verweise auf Bücher und Artikel

    2. Verweise auf Sammelbände, Werkausgaben und Zeitschriften

    3. Verweise auf frühjüdische Werke

    Anmerkungen

    Über den Autor

    Einführung

    DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE I:

    Gemeinsames Ringen um die sachgemäße Anwendung biblischer Aussagen

    In den letzten Jahrzehnten wurde in christlichen Kreisen immer wieder darüber diskutiert, ob und inwieweit Frauen zum Dienst der Lehre und Leitung der Gemeinde zugelassen seien. Diese Diskussion wurde deshalb teilweise so ausführlich und vehement geführt, weil sie letztendlich ein Ringen um die Frage ist, wie biblische Aussagen so auf heutige Situationen anzuwenden sind, dass man den hinter den Texten stehenden Absichten gerecht wird. Die Diskussion um die Frauen in der Gemeinde betrifft also, weil es um das richtige Anwenden der Bibel geht, eine zentrale Grundlage des christlichen Glaubens überhaupt.

    Bezüglich der Rolle der Frau in der Gemeinde teilt sich die theologische Diskussion grob zusammengefasst in zwei Positionen. Dabei wird in diesem Buch bewusst nicht von der «konservativen» oder «traditionellen» Position einerseits und der «liberalen» oder «feministischen» Position andererseits gesprochen, da diese Bezeichnungen oft nicht wirklich zutreffen und emotional aufgeladen sind und daher kontraproduktiv wirken. Stattdessen spreche ich von der «historischen» und der «progressiven» Position.

    Selbstverständlich gibt es innerhalb der historischen Position verschiedene Nuancierungen und Differenzierungen. Charakteristisch ist jedoch die Auffassung, 1. Timotheus 2,12 («Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still»; Luther) sei heute noch allgemein verbindlich, was zum Schluss führt, dass Frauen nicht als Pastorinnen oder Gemeindeleiterinnen dienen sollen.¹

    Vertreter der progressiven Position teilen dagegen die Auffassung, 1. Timotheus 2,12 sei nicht allgemein verbindlich und Frauen seien deshalb nicht allgemein vom pastoralen oder gemeindeleitenden Dienst ausgeschlossen.

    Dieses Buch diskutiert beide Positionen und begründet, weshalb es sich der progressiven Position anschließt.

    Die Diskussionen um diese Fragen werden manchmal mit harten Bandagen geführt. Von Vertretern der historischen Position wird zuweilen behauptet, Vertreter der progressiven Position würden biblische Ordnungen dem Zeitgeist und der Mehrheitsmeinung opfern, sie würden die entsprechenden Bibeltexte auf Grund des zeitgenössischen Empfindens umdeuten oder zumindest missverstehen. Daraus resultiere ein voreingenommenes, unsachgemäßes Verständnis.

    Stadelmann erklärt dazu: «Das Muster ist immer wieder dieses: Zuerst entfernt sich die öffentliche Meinung von biblischen Positionen; dann ziehen liberale Theologen nach, indem sie Sachkritik an den scheinbar nicht zeitgemäßen Schriftaussagen üben; und schließlich kommen auch die Frommen in Gleichschritt mit den anderen, indem sie die widerständigen Bibelworte umdeuten oder als zeitgebunden erklären.»²

    Durch solche Aussagen wird die Überzeugung seitens der historischen Position bestärkt, dass die «Berufung von Frauen in den gemeindeleitenden Hirten- und Lehrdienst gerade heute ein Prüfstein der Bibeltreue ist».³ Mit anderen Worten: Wer die historische Position vertritt, ist «bibeltreu» und wendet die biblischen Aussagen sachgemäß an; wer eine andere Position vertritt, tut dies nicht und hat den «Weg der Bibeltreue» verlassen.

    Ebenso gut, wie argumentiert wird, dass die angestrebte Gleichstellung der Frauen in der westlichen Gesellschaft das progressive Verständnis der einschlägigen Bibelstellen prägt, kann jedoch argumentiert werden, die Jahrtausende dauernde gesellschaftliche Vorrangstellung der Männer habe das historische Verständnis geprägt. Sie habe es den entsprechenden Exegeten verwehrt, ihre Ansichten durch die Bibeltexte korrigieren zu lassen, woraus ein voreingenommenes, unsachgemäßes Verständnis der Bibeltexte hervorgegangen sei.

    Es ist daher wenig hilfreich, wenn sich Vertreter der historischen und progressiven Positionen gegenseitig Voreingenommenheit vorwerfen oder gar den Wunsch absprechen, biblische Aussagen sachgemäß anwenden zu wollen, und sich gegenseitig gar als zeitgeistverdorbene Feministen beziehungsweise machthungrige Verteidiger des Status quo bezeichnen.

    Beiderseits sollte nicht der Arroganz der Besserwisserei gefrönt werden.⁵ So, wie ich die von mir vertretene Position für die bibeltreuste halte, weil sie meiner Meinung nach dem Gesamtzeugnis der Bibel am ehesten gerecht wird, möchte ich auch Vertretern der anderen Ansicht unterstellen, dass sie über ihre Position das Gleiche denken.

    Vertreter der historischen und der progressiven Positionen befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Wertschätzung einerseits sowie ihrer Verpflichtung zur Wahrheit andererseits.⁶ Dieses Ringen um Wahrheit und sachgemäße Anwendung biblischer Aussagen soll in Liebe geschehen, in der Sache klar, im Stil aber fair.⁷ Dies gebietet die gemeinsame Liebe zu Gott⁸ und zur Bibel⁹ sowie das christliche Zeugnis nach außen¹⁰.

    Es darf sich bei dieser Frage nicht um ein Ringen zwischen den Vertretern der verschiedenen Positionen handeln,¹¹ sondern es soll ein gemeinsames Ringen um sachgemäße Anwendung biblischer Aussagen stattfinden. Dazu will dieses Buch einen Beitrag leisten.

    Ich beginne mit grundsätzlichen Überlegungen zur Allgemeingültigkeit, Kultur- und Zeitbezogenheit neutestamentlicher Aussagen und beschäftige mich damit, wie die Frage «Was aus der Bibel gilt heute noch?» zu beantworten ist.

    Im zweiten Kapitel wird das Lehrverbot für Frauen im gesamtbiblischen Kontext untersucht. Hier ist 1. Timotheus 2,12–14 der Schlüsseltext in der Frage, ob Frauen für den leitenden und lehrenden Dienst in der Gemeinde zugelassen sind.

    Im dritten Kapitel werden, als wichtige Hinweise für das richtige Verständnis von 1. Timotheus 2,12–14, andere paulinische Verweise auf erzählte Ereignisse des Alten Testaments untersucht.

    Danach wird 1. Timotheus 2,12–14 im vierten Kapitel in Bezug auf den unmittelbaren Kontext beleuchtet.

    Im fünften Kapitel werden die gewonnen Erkenntnisse zusammengefasst und im sechsten Kapitel einige in diesem Zusammenhang «zu vermeidende Denkfehler» aufgegriffen.

    Diese zwei letzten Kapitel sind so formuliert, dass man sie auch ohne die Kapitel 1 bis 4 lesen und verstehen und bei Bedarf einzelne Punkte in den vorhergehenden Kapiteln ausführlicher nachlesen und vertiefen kann. Aus diesem Grund sind diese zwei Kapitel wie auch diese Einleitung mit «Das Wichtigste in Kürze» überschrieben.

    Kapitel 1

    Was aus der Bibel gilt heute noch?

    Grundsätzliche und hermeneutische Gedanken

    1. Jede Kommunikation beinhaltet Interpretation

    Grundsätzlich sind Worte akustische oder geschriebene Symbole, die einen Inhalt kommunizieren sollen: die Wortbedeutung. Verbale Kommunikation funktioniert dann, wenn der Sprecher oder Schreiber die Worte genauso interpretiert und füllt wie der Hörer oder Leser. Dass man die Worte und deren Bedeutung richtig versteht, garantiert jedoch noch nicht, dass Kommunikation wirklich funktioniert. Gelingende verbale Kommunikation ist nämlich nicht nur eine Frage des Wortverständnisses, sondern oft auch ein Frage von Tonfall und Körpersprache. Gemäß dem Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun (1981) kommuniziert jede Botschaft (zumindest theoretisch) vier Inhalte:

    Die Sachebene enthält die reinen Daten und Fakten der Nachricht.

    Die Selbstoffenbarungsebene vermittelt etwas über das Selbstverständnis, die Motive, Werte und Emotionen des Senders.

    Auf der Beziehungsebene drückt der Sender etwas darüber aus, wie er zum «Empfänger» steht.

    Auf der Appellebene wird kommuniziert, welche Handlungsweise der Sender vom Empfänger erwartet.

    Diese vierfache Kommunikation führt dazu, dass ein Empfänger eine Botschaft trotz richtigem Verständnis der Wortbedeutung oft anders versteht, als es der Sender gemeint hat, wenn der Sender das Gewicht einer Nachricht zum Beispiel auf den Appell legt, während der Empfänger eine reine Sachinformation empfängt. Dies ist gemäß Schulz von Thun eine der Hauptursachen für Fehlinterpretationen, selbst wenn das Wortverständnis von Sender und Empfänger praktisch identisch sein sollte.

    Bekanntlich kommt es schon zwischen Leuten, die sich gut kennen, dieselbe Muttersprache sprechen und einander gut sehen und hören können, zu Fehlinterpretationen. Diese Möglichkeit steigt immens, wenn sich die Leute nicht (persönlich) kennen, nicht dieselbe Muttersprache sprechen, aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen, Gestik und Tonfall nicht vernehmen oder deuten können und es sich nicht um einen Dialog handelt, bei welchem man nachfragen könnte oder die Reaktion des Gegenübers erkennen lässt, ob man richtig verstanden wurde.

    Diese Gefahr von Fehl-Interpretationen macht deutlich, dass bei jeglicher verbaler Kommunikation bewusste oder unbewusste Interpretationen geschehen. So auch beim Lesen biblischer Schriften. Bei dieser Kommunikation sind alle erwähnten erschwerenden Umstände vorhanden, die Fehlinterpretationen begünstigen: keine persönliche Beziehung, nicht dieselbe Muttersprache, unterschiedliche Kulturkreise, keine Vermittlung von Gestik und Tonfall, Monolog ohne Möglichkeit für Rückfragen.¹²

    Es ist die Aufgabe der Wissenschaftsdisziplin der Hermeneutik, Prinzipien, Regeln und Methoden zu entwickeln, die eine möglichst angemessene Annäherung an die Bedeutung der biblischen Texte gewährleisten.¹³

    Selbstverständlich können aber auch die besten hermeneutischen Methoden Missverständnisse nicht ganz ausschließen. Die fehlende Reflexion über solche hermeneutischen Regeln – nach dem Motto: «Man braucht die Bibel nur zu lesen und zu tun, was sie sagt» – führt jedoch zwangsläufig zu Missverständnissen.¹⁴

    2. Jede Person liest die Bibel durch eine «Brille»

    Das Verstehen eines biblischen Textes folgt den allgemeinen Grundsätzen mündlicher und schriftlicher Kommunikationsprozesse mit ihren vier Faktoren¹⁵:

    Der Autor mit seiner Welt, seiner Biografie, seinen Erfahrungen, seinen Interessen, der etwas kommunizieren will: der Verfasser eines biblischen Textes.

    Die mündliche oder schriftliche Botschaft, die das festhalten soll, was der Autor vermitteln will: der biblische Text.

    Zwischen dem menschlichen Autor des biblischen Textes und dem Empfänger kann es keine direkte Verbindung geben, schon allein deshalb nicht, weil die menschlichen Autoren der biblischen Texte nicht mehr leben. Generell ist das Verstehen nur über die Sprache, über die Botschaft möglich. Je unmissverständlicher kommuniziert und je genauer die Botschaft erfasst wird, desto besser gelingt die Kommunikation.

    Der Empfänger (Rezipient) mit seiner Welt, seiner Biografie, seinen Erfahrungen, seinen Interessen, der die kommunizierte Botschaft aufnimmt.

    Je weiter Autor und Empfänger mit ihren Welten, Biografien, Erfahrungen und Interessen auseinanderliegen, desto unsicherer wird es, ob es dem Leser gelingt, die vom Autor vermittelte Botschaft korrekt oder zumindest sinngemäß zu erfassen. Einen wirklich neutralen Leser gibt es nicht. Jeder Leser versteht einen Text zunächst unweigerlich durch die Brille seiner Erfahrungen, Kultur und Vorverständnisse bestimmter Ausdrücke und Gedanken, was ihn in die Irre führen kann.¹⁶

    Die Sache, über die der Autor spricht, wobei sein Verständnis davon nicht objektiv ist, sondern durch seine Welt, seine Biografie, seine Erfahrungen und seine Interessen geprägt ist, wie auch das Verständnis des Empfängers durch dessen Welt, Biografie, Erfahrungen und Interessen geprägt ist.

    Der Autor spricht also in (teilweise) subjektiver Weise über eine Sache, die der Empfänger ebenfalls (teilweise) subjektiv kennt. Für gelingende Kommunikation ist jedoch ein gemeinsames Verständnis der Sache, über die gesprochen wird, entscheidend. Ansonsten sind Missverständnisse unvermeidlich.¹⁷

    An diesem Punkt kommt die sogenannte «hermeneutische Spirale»¹⁸ zum Tragen:

    Grafik1

    Der Leser (Empfänger) versteht den Text (die Botschaft) zunächst auf Grund seines Vorverständnisses der Sache, der Text wird jedoch sein Verständnis der Sache ergänzen und verändern. Bei erneuter Betrachtung wird der Leser den Text deshalb anders verstehen als beim ersten Mal. Durch dieses erneute, veränderte Hören der Botschaft wird sich sein Verständnis der Sache ebenfalls erneut verändern, was wiederum sein Lesen des Textes verändern wird … usw.

    Mit anderen Worten: Das Vorverständnis des Empfängers beeinflusst sein Verstehen des Textes, aber nicht so absolut, dass das Vorverständnis selbst fix bliebe, sondern das Vorverständnis wird seinerseits durch das Verstehen des Textes verändert, ergänzt und korrigiert. Daraufhin führt ein revidiertes Vorverständnis wiederum zu einem revidierten erneuten Verstehen usw. Dies nennt man hermeneutische Spirale.

    Dieser Prozess wird dadurch ergänzt, dass der Leser parallel auch noch andere Texte zur gleichen oder einer ähnlichen Sache liest, was wiederum einen Einfluss auf sein Verständnis der Sache hat, was dann sein Hören der Botschaft zusätzlich verändern wird. So betrachtet er zum Beispiel den einzelnen Bibeltext nicht nur isoliert, sondern im Kontext des gesamten Abschnitts, des gesamten Buchs oder des gesamtbiblischen Kanons. Das Verständnis des Einzeltextes prägt und revidiert dann das Verständnis des Gesamttextes, das Verständnis des Gesamttextes prägt und revidiert das Verständnis des Einzeltextes.

    Wie bereits erwähnt, wird in Bezug auf die Frage, ob und inwieweit Frauen zum gemeindeleitenden und gemeindelehrenden Dienst zugelassen sind, zuweilen der Verdacht geäußert, progressive Theologen würden die betreffenden Bibeltexte mit einer voreingenommen «feministischen» Brille lesen und sich weigern, dieses Vorverständnis durch die Bibeltexte korrigieren zu lassen. Progressiven Theologen wird deshalb vorgeworfen, sie würden die Bibeltexte auf Grund des zeitgenössischen Empfindens umdeuten oder zumindest missverstehen.

    Dagegen kann man jedoch einwenden, es sei «interessant, dass die Unterstützung von Frauen im geistlichen Dienst angeblich den zeitgemäßen Feminismus widerspiegelt, während die Ablehnung von Frauen im geistlichen Dienst aber irgendwie die Jahrhunderte des Chauvinismus nicht widerspiegeln soll».¹⁹ Ebenso gut, wie argumentiert wird, dass die angestrebte Gleichstellung der Frauen in der westlichen Gesellschaft das progressive Verständnis der einschlägigen Bibelstellen prägt, könnte man argumentieren, die Jahrtausende dauernde gesellschaftliche Vorrangstellung der Männer habe das historische Verständnis geprägt und es den entsprechenden Exegeten verwehrt, ihr Vorverständnis durch die Bibeltexte korrigieren zu lassen, woraus ein voreingenommenes, unsachgemäßes Verständnis der Bibeltexte hervorgegangen sei.

    Fazit:

    Es kann nicht das Ziel sein, die Bibel gemäß dem zeitgenössischen Empfinden zu modifizieren, aber es ist eine Pflicht, die Bibel immer wieder neu und selbstprüfend zu lesen, damit mögliche Missverständnisse der Vergangenheit nicht unser Handeln heute prägen.²⁰ Es kam oft vor, dass Diskussionsteilnehmer in Tat und Wahrheit nicht die Unfehlbarkeit der Bibel verteidigt haben, sondern die Unfehlbarkeit einer Interpretationstradition der entsprechenden Bibeltexte,²¹ also die Unfehlbarkeit ihrer «Brille». In dieser Gefahr stehen alle Bibelleser, sowohl auf Seiten der progressiven als auch auf Seiten der historischen Position.

    Es ist daher wenig hilfreich, wenn sich Vertreter der historischen und progressiven Positionen gegenseitig Voreingenommenheit vorwerfen. Sondern es ist die Pflicht beider Gruppen, im Sinn der hermeneutischen Spirale ihre Überzeugungen anhand der einzelnen Bibeltexte im Kontext des gesamtbiblischen Kanons zu prüfen und dadurch revidieren zu lassen. Dazu will dieses Buch einen Beitrag leisten.

    «Wer sich mit Mischna und Talmud beschäftigt hat, weiß, dass, um es einfach und jüdisch zu sagen, jedes Gotteswort, das in der Bibel festgehalten ist, neunundneunzig mögliche Auslegungen zulässt, und dass eigentlich nur die hundertste richtig ist, sie aber kennt nur Gott allein. Ein Stück dieser Bescheidenheit würde auch uns Christen wohl anstehen.»²²

    3. Ein Kanon verschiedener Stimmen in unterschiedlichen Situationen

    Das Neue Testament umfasst 27 verschiedene «Bücher», welche von mindestens acht verschiedenen Autoren zu verschiedenen Zeiten für verschiedene Leser geschrieben wurden. Dieser Befund macht klar, dass das Neue Testament nicht in dem Sinn einheitlich sein kann, wie es von einem einzelnen Buch normalerweise zu erwarten wäre, das von einem einzelnen Autor geschrieben wurde.²³

    Die Inspiration der neutestamentlichen Autoren ist nicht im Sinn eines göttlichen Diktates zu verstehen, bei dem die Person, die Kultur und die Erfahrung der Schreiber völlig unwichtig wären. Die einzelnen Verfasser haben, «getrieben vom Heiligen Geist» (2Petr 1,21; Luther), jeweils in ihrer Sprache und Denkweise ihre Einsichten und Erfahrungen festgehalten, so dass das Neue Testament als Zeugnis von Gottes Offenbarung trotz Inspiration auch menschliche Züge trägt, was man zum Beispiel an den Unterschieden in Wortwahl und Schreibstil erkennt.²⁴ So wurden gattungsmäßig unterschiedliche Schriften mit unterschiedlichen theologischen Akzentuierungen unterschiedlicher Verfasser im Neuen Testament in einem Kanon einander zugeordnet.²⁵

    Das Neue Testament umfasst die vier Evangelien, die Apostelgeschichte, die verschiedenen Briefe sowie die Offenbarung als Niederschlag der apostolischen Verkündigung. Das bedeutet aber auch, dass man sich schon im Prozess der Kanonbildung darüber klar war, dass innerhalb dieser Sammlung bei aller Einheit unterschiedliche Stimmen zu Gehör kommen.

    Nicht eine, sondern mehrere «Quellen des Heils» nannte Athanasius, Bischof von Alexandrien, in seinem 39. Festbrief 367 n. Chr. die 27 Bücher des Neuen Testaments.²⁶ Offenbar war die Alte Kirche nicht an einer künstlich vereinheitlichten Darstellung ihres Glaubens interessiert,²⁷ sondern akzeptierte diese Vielfalt, auch wenn sie zum Beispiel durch den Ausschluss der apokryphen Schriften ihre Grenzen hatte.²⁸

    Während es in den Evangelien beispielsweise oft um das Reich Gottes geht, spricht Paulus in seinen Briefen kaum davon (vgl. 1Kor 6,9–10; Gal 5,21), dafür aber von Rechtfertigung und dem Leben im Geist, was in den Evangelien wenig vorkommt.²⁹

    In der Rede auf dem Areopag in Athen (Apg 17) vermeidet Paulus (wie in der gesamten Apostelgeschichte) ihm sonst sehr geläufige Begriffe wie das «Wort vom Kreuz», «Jesus», «Christus» und «Gnade». Gleichzeitig betont er, die Heiden seien «göttlichen Geschlechts», während in Römer 1,18–32 von der Gottlosigkeit der Heiden und vom Zorn Gottes über die Heiden die Rede ist.

    Neben solchen theologischen Verschiedenheiten finden sich auch Unterschiede in praktischen Anweisungen. So wird zum Beispiel das Essen von Götzenopferfleisch verboten³⁰ beziehungsweise grundsätzlich erlaubt³¹ und Witwen von der Heirat abgeraten (1Kor 7,39–40) beziehungsweise ihnen Heirat nahegelegt (1Tim 5,11–14).

    Die überwiegende Mehrheit solcher Unterschiede innerhalb des Neuen Testaments lassen sich dadurch erklären, dass sich die neutestamentlichen Schriften gattungsmäßig unterscheiden, von unterschiedlichen Verfassern stammen und in unterschiedliche Situationen hinein geschrieben wurden.

    Die neutestamentlichen Schriften enthalten allgemeingültige Äußerungen, was der Grund ist, weshalb sie abgeschrieben und

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