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KATZENMENSCHEN
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eBook321 Seiten4 Stunden

KATZENMENSCHEN

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Über dieses E-Book

Plötzlich war die Furcht da, kalt wie die Klinge eines Stiletts. Oliver durchquerte den Raum und betrachtete das zerschmetterte Fenster. Der Regen schlug ihm ins Gesicht.

Die Tür hinter ihm schlug zu. Oliver hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde.

Er fuhr herum. Im spärlichen Licht, das von der Rückseite des Hauses hereinfiel, war der Schatten einer menschlichen Gestalt zu erkennen, die auf ihn zukroch. Das Knurren einer Raubkatze war zu hören, es schien aus der gleichen Ecke zu kommen.

Ein Blitz erhellte den Raum. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Oliver das Wesen, mit dem er eingesperrt war...

Katzenmenschen ist das Buch zum gleichnamigen Film (1982, Regie: Paul Schrader) mit Nastasja Kinski als Irena Gallier, Malcolm McDowell als Paul Gallier, John Heard als Oliver Yates und Annette O'Toole als Alice Perrin – ein erotischer Horror-Thriller der Extraklasse!

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum19. März 2018
ISBN9783743861305
KATZENMENSCHEN

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    Buchvorschau

    KATZENMENSCHEN - Gary Brandner

    Das Buch

    Plötzlich war die Furcht da, kalt wie die Klinge eines Stiletts. Oliver durchquerte den Raum und betrachtete. das zerschmetterte Fenster. Der Regen schlug ihm ins Gesicht.

    Die Tür hinter ihm schlug zu. Oliver hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde.

    Er fuhr herum. Im spärlichen Licht, das von der Rückseite des Hauses hereinfiel, war der Schatten einer menschlichen Gestalt zu erkennen, die auf ihn zu kroch. Das Knurren einer Raubkatze war zu hören, es schien aus der gleichen Ecke zu kommen.

    Ein Blitz erhellte den Raum. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Oliver das Wesen, mit dem er eingesperrt war.

    Katzenmenschen ist das Buch zum gleichnamigen Film (1982, Regie: Paul Schrader) mit Nastasja Kinski als Irena Gallier, Malcolm McDowell als Paul Gallier, John Heard als Oliver Yates und Annette O'Toole als Alice Perrin – ein erotischer Horror-Thriller der Extraklasse!

    KATZENMENSCHEN

    »Am Rande unseres Lebens existieren schwarze Schattenzonen,

    aus denen von Zeit zu Zeit eine besessene Seele hervorbricht.«

    H. P. Lovecraft

      Prolog

    Der Name der Frau war Luna. Sie war vor ihre Hütte getreten und verharrte nun im Licht der Mittagssonne. Von Zeit zu Zeit sah sie besorgt zu den Männern hinüber, die im tiefergelegenen Teil des Dorfes ihre Beratung abhielten. Sie hatten sich an den Rand des verdorrten Feldes gehockt und bildeten dort einen Kreis. Unweit der Versammlung befand sich die Wasserstelle. Nach Monaten der Trockenheit war sie zu einem Tümpel geworden, in dessen Mitte verkrusteter Lehm an die Zeiten erinnerte, als hier noch ein Quell aus der Erde sprudelte. Mensch und Tier hatten ihren Durst löschen können. Inzwischen war der Traum von Fruchtbarkeit zu einem Alptraum an Dürre geworden.

    Luna drehte sich um und betrachtete den Dschungel, der bis an den Rand des Dorfes heranreichte. Wie lange schon war der Regen ausgeblieben? Sie wusste es nicht. Die Skelette der entlaubten Baumriesen schienen seit Urzeiten dort zu stehen. Erst jenseits der Ebene war Grün zu erkennen. Dahinter ragten die verschneiten Gipfel einer Gebirgskette in den wolkenlosen Sommerhimmel. Wer die Schneemengen herüberleuchten sah, musste sie als Hohn auf die Trockenheit empfinden, die dem kleinen Gemeinwesen den Lebensfaden abzuschnüren begann.

    Der Blick der Frau fiel auf den Jungen, der vor der Hütte im Dreck kniete und spielte. Er hielt einen Kiesel in der winzigen braunen Faust, holte aus und ließ den Kiesel über den trockenen Boden hüpfen. Als er den Blick seiner Mutter auf sich spürte, sah er auf und lächelte. Er hatte weiße, regelmäßig gewachsene Zähne. Luna erwiderte das Lächeln. Tränen standen in ihren Augen, aber das konnte der Junge nicht sehen.

    »Hund«, sagte der Junge in der Sprache der Eingeborenen. Er hatte den Kiesel wieder aufgenommen und zeigte ihn seiner Mutter.

    Sie nickte. »Ich verstehe. Das ist dein Hund. Ein schönes Tier.«

    Der Junge setzte sein kleines Spiel fort. »Spiele, mein Sohn, solange du noch spielen kannst«, sagte sie, so leise, dass er es nicht vernehmen konnte. »Genieße den Tag.« Um ihre Mundwinkel hatte sich ein verbitterter Zug gelegt.

    Die Versammlung der männlichen Dorfbewohner schien zu Ende zu sein. Luna beobachtete, wie sie mit finsteren Gesichtern zu ihren Hütten zurückkehrten.

    Dann sah sie Darak. Ein eisiger Schreck durchzuckte sie. Der Mann hielt den Blick gesenkt. Sein Weg führte zu Lunas Hütte.

    Abrupt wandte die Frau sich ab, schob das gegerbte Fell zur Seite, welches als Türvorhang diente, und verschwand im Inneren der primitiven Behausung. Als Darak eintrat, fand er sie über einen irdenen Topf gebeugt. Auf dem Boden des Topfes war eine Handvoll zerstoßener Mais zu erkennen, das Abendessen für Luna und ihren Jungen.

    »Die Entscheidung ist gefallen«, sagte er.

    »Die Opferung der Kinder?«, fragte sie.

    »Ja.«

    »Gibt es keinen anderen Ausweg?«

    »Du weißt selbst sehr genau, dass es keine andere Lösung gibt.«

    »Und wenn wir noch ein paar Tage warten?«

    Darak trat zum Türloch und riss das Fell zur Seite. Ein Schwall heißer Luft floss herein. Luna nahm es den Atem.

    »Warten?«, wiederholte Darak. »Auf was? Auf das Ende? Du hast doch Augen im Kopf. Du hast gesehen, wie das Vieh starb und wie das Korn am Halm vertrocknet ist. Wir haben nichts mehr zu trinken.« Er kniff die Augen zusammen und deutete hinaus. »Der Dschungel weicht vom Dorf zurück. Das Dorf ist verhext.«

    »Es wird wieder regnen.«

    »Es wird nicht regnen, solange die Götter der Dunkelheit zornig sind. Wir haben einen Frevel begangen. Jetzt... müssen wir den Preis zahlen.« Er zögerte. »Oder sterben.«

    »Aber die Kinder haben damit doch nichts zu tun.«

    »Das Gesetz will es so. Die Kinder müssen geopfert werden.«

    Sie suchte nach einer Spur Mitleid in seinen Zügen. Schließlich wandte sie sich ab. »Auch unser Sohn, Darak?«

    »Auch unser Sohn.« Der Mann ließ das Fell zurückgleiten, das Innere der Hütte versank im Dunkel. »Er gehört zu den Auserwählten, Luna.«

    »Unser einziges Kind.«

    »Ich weiß.«

    »Er gehört nicht zu jenen, die sich des Frevels schuldig gemacht haben.«

    »Darauf kommt es nicht an. Der Spruch ist gefällt. Niemand kann mehr etwas daran ändern.«

    Das gleißende Rad der Sonne rollte auf den Horizont zu, als die auserwählten Kinder auf die Lichtung in der Mitte der Ansiedlung geführt wurden. Es waren vier, zwei Mädchen und zwei Jungen. Einer der Jungen war Lunas und Daraks Sohn. Alle Einwohner des Dorfes waren versammelt. Die Gesichter waren ernst und gespannt, mit Ausnahme der vier Kinder, die dem Geschehen voller Neugier und Unternehmungslust folgten.

    Wie die anderen drei Mütter, hatte auch Luna die Erlaubnis erhalten, in den inneren Kreis zu treten. Ihr Junge entdeckte sie im Halbdunkel der steigenden Schatten. Er lächelte.

    »Ein neues Spiel?«, fragte er.

    Es gelang ihr, eine gleichgültige Miene zu bewahren. »Ja«, sagte sie. »Ein neues Spiel.«

    »Kommst du mit, Mutter?«

    »Dieses Mal nicht.«

    »Und Vater?«

    »Er wird ein Stück mitgehen, ja.«

    »Du auch. Bitte!«

    »Das geht leider nicht.«

    Der Blick des Kleinen verdüsterte sich. Aber wenig später war die Missstimmung vergessen. Die Kinder steckten die Köpfe zusammen und kicherten. Sie waren Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit.

    Die Sonne versank. Dunkelheit kroch über die Ebene, durchdrang den Dschungel und fraß sich die Wege der Ansiedlung hoch.

    »Die Zeit ist gekommen«, sagte der Dorfälteste.

    Die Frauen traten zur Seite. Eine. Abordnung der Männer nahm die Opfer in die Mitte. Darak war einer von ihnen. Als er seinen Arm um den Jungen legte, begegnete er dem Blick seiner Frau. Er schloss die Augen.

    Einer der Männer hatte ein altes Kinderlied angestimmt, ein Wiegenlied. Die Kinder kannten die Melodie, sie sangen mit. Wenig später hatte die kleine Gruppe das Dorf verlassen. Sie schritten auf die verdorrten Baumriesen des nahen Dschungels zu.

    Luna war mit den anderen Frauen zurückgeblieben. Sie sah ihrem Sohn nach, bis er im mannshohen Dornengestrüpp verschwand. Immer noch waren die Stimmen der Kinder zu hören, silberhell wie eine Glocke. Als die Gruppe von den sinkenden Schatten verschluckt worden war, wandten sich die Frauen ab. Schweigend gingen sie in ihre Hütten zurück.

    Der Zug mit den vier Opfern war am Rande des Dschungels angekommen. Erst nachdem sie einen breiten Trockengürtel passiert hatten, stießen sie auf saftiges Grün. Hier begann der Urwald, der von den Göttern der Dunkelheit verschont worden war. Die Kinder wurden zu einem knorrigen alten Baum geführt. Man wies sie an, sich mit dem Rücken an den Stamm zu stellen und einen Kreis zu bilden, mit dem Baum als Mittelpunkt.

    »Reicht einander die Hände!«, sagte einer der Männer. Die Kinder gehorchten. Sie wehrten sich nicht, als man ihnen die Handgelenke mit einer Liane zusammenband. Jeder der vier Väter, so bestimmte es das Gesetz, hatte zu prüfen, ob die Handgelenke seines Kindes so fest umschnürt waren, dass es sich nicht von der Fessel befreien konnte.

    Darak schloss den Knoten mit einem Ruck. Dann prüfte er die Festigkeit und stellte zufrieden fest, dass sich die Fessel nicht mehr lösen ließ. Er sah sich um. Der Dorfälteste war noch mit dem Festbinden seines Kindes beschäftigt. Er kehrte Darak den Rücken zu. Rasch brachte Darak seine Lippen an die Schläfen des Kleinen.

    »Ein Spiel, Vater?«, fragte der Sohn.

    »Die Zeit des Spielens ist vorüber, mein Kind. Du musst jetzt sehr tapfer sein. Sing das Lied!«

    Auf ein Zeichen des Dorfältesten traten die Männer ein paar Schritte zurück. Die gefesselten Kinder waren sich selbst überlassen. Darak sah, wie sein Sohn den Kopf hob.

    »Sing das Lied!«, wiederholte er.

    Der Kleine begann zu singen, mit piepsiger Stimme erst, dann kräftiger. Eines nach dem anderen fielen die Kinder ein. Der Klang des Liedes folgte den Männern, die sich eilig von dem Baum entfernten.

    Luna war allein. Sie lag auf der Pritsche, die sie mit Darak zu teilen pflegte, und hörte dem Gesang der Kinder zu, der vom schwülen Abendwind herübergetragen wurde. Die Stimme ihres Sohnes, so schien es ihr, war klar zu erkennen. Luna ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie rollten die Wangen hinunter auf den festgestampften Lehmboden der Hütte, wo sie zu kleinen, dunklen Punkten wurden.

    Luna hätte gewünscht, dass ihr Mann in dieser Stunde an ihrer Seite wäre. Aber sie wusste, dass das nicht möglich war. Die Männer des Dorfes hatten die Nacht des Opfers um das Feuer geschart zu verbringen. Keinem von ihnen war es erlaubt, Mitgefühl mit dem Los der Kinder zu bekunden. Die Frauen durften unter der Bedingung weinen, dass niemand Zeuge dieser Schwäche wurde. Und Luna weinte, verwandelte ihren Schmerz in Tränen.

    Mit einem Schlag verstummte der Gesang, so plötzlich, als sei den Kindern der Hals durchgeschnitten worden. Luna fuhr auf ihrem Strohlager hoch und starrte in die Nacht.

    Samtschwarze Leere, Stille, nichts.

    Dann begannen die Schreie. Angstschreie. Die Stimme eines Mädchens war zu erkennen, dann das zweite Mädchen, dann ein Junge. Schließlich hörte Luna, wie ihr Sohn um Hilfe schrie.

    Sie biss sich auf die Lippen. Blut rann ihr das Kinn hinab und suchte sich seinen Weg zu den vollen Brüsten.

    Was dann kam, war für Luna kaum zu ertragen. Das hungrige Grunzen einer Bestie war zu vernehmen. Ein Tier des Dschungels, das sich seiner Beute näherte.

    Schmerzensschreie ertönten und verebbten. Das Opfer war angenommen worden.

    Luna hielt die Fäuste auf die Ohren gepresst, um das grauenhafte Schmatzen der Bestien nicht zu hören. Vergebens. Das gierige Schlingen, das Krachen der Knochen war deutlich zu vernehmen.

    Erst nach Stunden gewannen die gewohnten Geräusche des Dschungels die Oberhand. Die Schlangen raschelten, und die Zikaden zirpten.

    Es war wie jede Nacht.

    Am nächsten Tag kam der Regen.

    Es regnete wochenlang, mit altbekannter Regelmäßigkeit. Die Quelle am Rande des Dorfes hatte zu sprudeln begonnen. Das Vieh kam zur Tränke, labte sich und wälzte sich im Schlamm. Zwischen den verdorrten Halmen auf den Feldern spross frisches Grün, eine zweite Ernte nach der ersten, die zu Spreu verflogen war, ehe man sie hatte einbringen können. Die Stämme am Rande des Dschungels trieben neue Äste. Wenige Monate später war das Dorf wieder eine Insel im grünen Ozean.

    Die Jahre vergingen. Für die Bewohner des Dorfes waren es Jahre des Friedens. Es gab Wasser, es gab Ernten. Die Menschen waren glücklich.

    Doch Luna war nicht glücklich. Immer noch war sie eine Schönheit, trotz der Strähnen, die ihr blauschwarzes Haar grau zu färben begannen. Wer sie Jahre nach dem Menschenopfer wiedersah, dem wären die Falten um den Mund aufgefallen und die feinen Linien um die Jochbögen. Inzwischen lebte sie allein. Darak hatte eine andere Frau genommen, nachdem klar war, dass Luna keine weiteren Kinder haben würde. Sein gutes Recht, wie Luna wusste. Sie verspürte keine Bitterkeit, als er ihr seinen Entschluss mitteilte. Er befolgte das Gesetz, nicht mehr und nicht weniger.

    Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, nach getaner Arbeit an den Rand des Dschungels zu gehen. Lunas Gedanken wanderten dann in die Vergangenheit, kreisten um jene Jahre, als ihre Welt aus Darak und ihrem kleinen Sohn bestanden hatte. Auch in den Jahren vor dem Menschenopfer hatten sie oft Hunger gelitten. Rätselhafte Krankheiten hatten die Eingeborenen heimgesucht, hatten ihre Opfer unter Jung und Alt gefordert. Aber es hatte auch Zeitspannen des Glücks, der Sorglosigkeit gegeben. Sie hatte mit ihrem Sohn gespielt, wenn Darak, mit Beute beladen, aus dem Dschungel heimkehrte. Luna dachte vor allem an jene guten Jahre, wenn sie in der Kühle der aufsteigenden Nacht an der grünen Wand entlangging.

    Es war an einem solchen Abend, als sie einen seltsamen Laut vernahm. Das Geräusch kam aus dem Dschungel.

    Sie hielt den Atem an und lauschte.

    Das Geräusch kam näher. Es ist eine Stimme, dachte sie. Eine menschliche Stimme. Aber dann wandelte sich der Ton zu einem Knurren, zum Jaulen eines wilden Tieres. Das Beängstigende: die Stimme rief nach ihr, nach Luna.

    Es gehörte nicht zu den Gewohnheiten der Dorfbewohner, den Dschungel ohne zwingenden Grund zu betreten. Im Schatten der mächtigen Bäume, unter dem grünen Dach der Stauden, lauerten Gefahren. Eine falsche Bewegung konnte den Tod bedeuten. Luna dachte nicht an solche Gefahren, als sie die ersten Äste auseinanderbog. Unbeirrt vom Kreischen der Affen, die sich hoch über ihr von Wipfel zu Wipfel schwangen, schritt sie vorwärts, zertrat prallgrüne Schösslinge, befreite ihren Fuß vom Geflecht der Lianen, die sie zurückhalten wollten. Immer näher kam die Stimme, von der sich Luna auf geheimnisvolle Weise angezogen fühlte.

    Am Fuße des Baumes, wo die Kinder geopfert worden waren, sah sie es. Das Tier war ein schwarzer Schatten in blaugrüner Nacht. Es schien zu kauern. Die gelben Augen leuchteten, der ruhige Blick war auf Luna gerichtet.

    Sie empfand keine Angst, als sie sich der Bestie näherte. Welch eine Anmut, dachte sie. Das Fell glänzte im Mondlicht. Die Vordertatzen, jede von ihnen größer als zwei Männerfäuste, waren in den weichen Boden gestemmt, die todbringenden Krallen verborgen. Das Tier war von atemberaubender Schönheit. Es war ein schwarzer Leopard.

    Sie sah, wie sich die Kiefer öffneten. Wieder war jenes tiefe Knurren zu hören, das Luna in den Dschungel gelockt hatte. Und dann formte der Leopard seine Lippen mit sichtlicher Anstrengung zu einem Wort menschlicher Sprache.

    »Mutter!«

    Der Frau schossen die Tränen in die Augen. Dieses Mal jedoch war es nicht Schmerz, sondern Freude. Sie machte einen Schritt auf die Wildkatze zu und öffnete die Arme.

    »Mein Sohn!«

    Der Jubellaut eines Kindes entrang sich der Kehle des Tieres. Dann spürte sie, wie sich die Krallen in ihren Hals gruben.

      Erstes Kapitel

    Mit langsamen, geschmeidigen Bewegungen folgten die großen Wildkatzen dem Kreis, dessen äußerer Rand von den Gitterstäben des Käfigs gebildet wurde. Sie gingen hintereinander, lässig, fast schläfrig. Hin und wieder warf eines der Raubtiere einen scheinbar beiläufigen Blick auf Philipp Gallier, den Mann in der weißen Kord-Uniform, der in der Mitte des Käfigs stand. Gallier, ein großgewachsener, schlanker Mann, beobachtete seine sechs Schützlinge mit gespannter Aufmerksamkeit. Die Prozession vollzog sich in der üblichen, vom Raubtierdresseur bestimmten Reihenfolge: Löwe, Tiger - Löwe, Tiger - Löwe, Tiger. Die Schritte der Tiere waren nicht zu hören. Wenn sich die mächtigen Pranken vom Boden lösten, wirbelten sie kleine Staubwolken auf. Die Löwen hielten den Kopf erhoben, eine ruhige Würde ging von ihnen aus. Im Vergleich zu ihnen wirkten die Tiger wilder, eigensinniger. Es schien, dass sie den Löwen nicht näher kommen wollten als unbedingt nötig.

    Während die Wildkatzen ihren Rundgang fortsetzten, fixierte Philipp Gallier ein Tier nach dem anderen, zugleich rief er die Namen auf.

    »He, Gunner, hoch mit dem Kinn! So ist es besser. Gut so. Und du, Pretty Boy, zeig mir deine Zähne. Ein breites Lachen, jawohl, du weißt schon, was ich meine. Etwas mehr Tempo, Captain, wenn ich bitten darf. Du bringst ja die Beine überhaupt nicht mehr vom Boden. Na siehst du, es geht schon, wenn man will. Stolz sollst du gehen, Captain, stolz. Gut so. Murphy, du bist zu schnell. Du trittst Captain auf die Pfoten, wenn du so dicht aufkommst. Cowboy, du musst besser in der Reihe bleiben. Und Cisco, du hörst auf, mit Cowboys Schwanz zu spielen, oder es gibt ein Unglück!«

    Wer Philipp Gallier zusah, musste den Eindruck gewinnen, dass er die Arbeit genoß. Seine Haltung war locker und seine Miene strahlte gute Laune aus. Nicht zu diesem Bild von Lässigkeit passten die Augen. Wenn er eine der Katzen fixierte, beobachtete er die anderen aus den Augenwinkeln. Er wusste zu jedem Zeitpunkt, an welcher Stelle des Kreises sich welche Katze befand. Seine Gesten unterstrich er mit einem Stock, der fast einen Meter maß. Seine Bewegungen waren sanft, überlegt, abgezirkelt. An seiner Hüfte baumelte ein .38er Revolver. Gallier trug die Waffe, weil das Publikum von einem Raubtierdresseur erwartete, dass er eine Waffe trug. Geschäft war Geschäft, und im Zirkus wurde gemacht, was die Zuschauer verlangten. Der Revolver war geladen. Benutzt hatte Gallier ihn noch nie.

    Er hob den Knüppel. »Alle jetzt den Kopf hoch! Hoch, sage ich. Vergesst nicht, wer ihr seid. Ihr seid die Könige des Dschungels. Die größten Fleischfresser, die im Regenwald herumlaufen. Habt ihr das kapiert? Gut so, ja, so gefallt ihr mir. Gut, wirklich gut! Und weiter.«

    Philipp Gallier ließ sie eine weitere Runde gehen, dann machte er eine wohlberechnete Geste mit dem Knüppel. Die sechs Raubtiere kamen zum Stehen, jedes vor seinem Hocker. Aufmerksam äugten sie zu Gallier hinüber. Die Piedestale waren verschieden hoch. Das niedrigste maß 60 Zentimeter, das höchste über 1,80 Meter. Jede Katze kannte ihren Hocker und fauchte ärgerlich, wenn ihr eine andere den Platz streitig zu machen suchte. Jetzt aber herrschte Einvernehmen und Stille.

    »Fertig?«

    Er sah, wie sich die Muskeln der Tiere spannten.

    »Hoch!«

    Der Befehl kam scharf und deutlich. Mit einem machtvollen Satz schwebten die Raubtiere zu den Piedestalen hinauf, wo sie sich hinhockten.

    »Gut. Sehr gut sogar.«

    Eine der Katzen war ins Schwanken geraten.

    »Ruhig, Captain. Ganz ruhig. Setz dich hin.«

    Das Tier fand seine Balance wieder. Indessen hatte Gallier sich überzeugt, dass. die anderen sicheren Halt gefunden hatten. Er hob den Kopf, die Katzen folgten seinem Blick. Gespannte Ruhe erfüllte das stählerne Rund. Gallier deutete mit dem Stock zur Kuppel des Zirkuszeltes.

    »Fertig? Jetzt zeigt ihr mir, wie groß ihr seid. Auf!«

    Gehorsam erhoben sich die großen Raubkatzen auf die Hinterpfoten.

    »Gut. Sehr gut. Und jetzt will ich eure Stimme hören. Ich will euch hören!«

    Die mächtigen Kiefer öffneten sich, und ein Brüllen stieg zur Decke. Ein Brüllen voller Wildheit, voller Zorn auf Gitterstäbe, Unfreiheit, auf den Dresseur und die Menschheit im Allgemeinen. Gallier wusste, es war ein Klang, den kein Zirkusbesucher so bald vergaß.

    »Wunderbar«, lobte er die Katzen. »Wirklich wunderbar. Gut gemacht. Gut! Und jetzt... runter mit euch!«

    Geschickt sanken die Tiere auf die Piedestale zurück. Eine Sekunde später berührten ihre Pranken wieder das Sägemehl auf dem Boden. Philipp Gallier machte eine Geste mit dem Stock, worauf die sechs wieder ihren Rundgang durch den Käfig antraten. Noch ehe der Kreis geschlossen war, hatte der Helfer das Stahlgatter zum Tunnel geöffnet, der zu den Aufenthaltskäfigen führte. Eine Katze nach der anderen verschwand in der Öffnung. Nur Gunner, der größte der drei Löwen, schien nicht mit den Weisungen seines Herrn und Meisters übereinzustimmen. Er blieb stehen, fletschte die Zähne und ließ ein dunkles, langsam anschwellendes Knurren vernehmen. Gallier reagierte auf die Unbotmäßigkeit, indem er den Stock nach Gunner ausstreckte. Mit einem Prankenhieb versuchte das Raubtier den Stock fortzuschlagen, ein Manöver, das erfolglos blieb, weil Philipp das Symbol seiner Macht rechtzeitig zurückgezogen hatte. Hätte das Tier den Stock erreicht, er wäre an den Gitterstäben zerbrochen.

    Richie Laymon, der Helfer, war an den Käfig getreten. Er war 20 Jahre alt. Die Nervosität, mit der er seinen 2,40 m langen Stock hielt, war nicht gespielt. Zwar wusste er, dass sich die Katzen vor dem Stahldorn an der Spitze des Stockes fürchteten, aber ein sanftes Ruhekissen war dieses Wissen nicht. Es ge-

    hörte zur Raubtiernummer, dass sich Gunner vor dem Verlassen des Käfigs gegen den Dresseur aufbäumte. Aber die Grenze zwischen Spiel und Ernst, fand Richie Laymon, war fließend. Die Reißzähne des Löwen waren furchterregend, und beim Betrachten der messerscharfen Krallen überkam den Helfer jedes Mal eine Gänsehaut.

    Richie war froh, dass dieser Part der Nummer bei der eigentlichen Vorstellung von Nora Gallier, der attraktiven Frau des Raubtierdresseurs, übernommen wurde. Nora, dachte er. Eine geheimnisvolle Kühle, eine erregende Fremdartigkeit ging von dieser Frau aus. Während sie im Käfig stand, um ihrem Mann zu assistieren, hatte Richie Laymon seine Clownsnummer in der Arena abzuspulen. Als Clown war er in seinem Element. Mit ein paar Grimassen, mit ein paar tapsigen Sprüngen, die das Geschehen im Käfig nachvollzogen, konnte man die Zuschauer zum Lachen bringen. Es war gut, die lachenden Gesichter zu sehen. Seltsam, dachte Richie. Wenn die Leute lachten, verschwanden die Unterschiede. Jung und Alt, Arm und Reich waren gleich, wenn sie sich amüsieren wollten. Jedenfalls, so fand Richie Laymon, war die Arbeit eines Clowns viel befriedigender als die eines Raubtierbändigers, der sich mit einem halben Dutzend Killer auf vier Pfoten in einen Käfig einschließen lassen musste, aus dem es im Ernstfall kein Entrinnen gab.

    Im Käfig, Richie sah es mit Entsetzen, lief derweil nicht alles so, wie es sollte. Nach dem Timing der Nummer musste Gunner bereits im Tunnel verschwunden sein. Stattdessen stand er in der Mitte des mit Sägemehl ausgestreuten Runds und wiederholte die einstudierten Drohgebärden. Der zottige Schädel war gesenkt, der Schweif peitschte hin und her. Gefährliche Vorboten, wie Richie wusste.

    Unsicher tastete Richie sich außen an den Gitterstäben entlang. Was im Ernstfall zu tun war, darüber hatten Gallier und er merkwürdigerweise nie gesprochen. Erst jetzt, angesichts der Gefahr, wurde ihm das Versäumnis bewusst. Wieder und wieder wischte er sich die schweißnassen Hände an der Hose ab, um

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