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Rechtsfragen im Katastrophenschutz
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eBook550 Seiten4 Stunden

Rechtsfragen im Katastrophenschutz

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Über dieses E-Book

Im Katastrophenfall muss stets fachlich richtig, aber auch schnell entschieden werden. Überbordende bürokratische Verfahrensweisen und falsche Gewichtung von Gesetzen und Verordnungen sind im wahrsten Sinne tödliche Feinde eines funktionierenden Katastrophenschutzes. Entscheidungen im Katastrophenfall werden auf der anderen Seite im Nachhinein immer in Frage gestellt werden, und zwar gerade von denen, die immer alles besser wissen, aber nicht selbst entscheiden oder entscheiden müssen. Der Autor bietet mit seinem Buch einen Überblick zu Katastrophen, die Organisation des Katastrophenschutzes und die mit dem Katastrophenschutz im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen. Unabdingbar bei allen Überlegungen im Katastrophenschutzrecht ist immer die dialektische Betrachtungsweise, um eine angemessene Balance zwischen einer effektiven Gefahrenabwehr einerseits und der Wahrung der Grundrechte und der elementaren Grundsätze des demokratischen Verfassungsstaates andererseits zu gewährleisten.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. März 2023
ISBN9783170411081
Rechtsfragen im Katastrophenschutz

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    Buchvorschau

    Rechtsfragen im Katastrophenschutz - Ralf Fischer

    [13]1 Historische Entwicklung des Katastrophenschutzes

    1.1 Antike

    Bereits in der Antike werden zahlreiche Katastrophen beschrieben (Sonnabend 1999), die teilweise in der Weltliteratur verarbeitet und verfilmt wurden. Beispielhaft wurde die Eruption des Vesuvs im Jahr 79 n.Ch. in »Die letzten Tage von Pompeji« (1959) und der große Stadtbrand im Jahr 64 n.Ch. Roms in »Quo vadis?« (1951) filmisch inszeniert. Im Folgenden werden exemplarisch einige Katastrophen genannt.

    1.1.1 Der Untergang Pompejis

    In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 79 n. Chr. kam es in dem bei Neapel gelegenen Vesuv zu einer plinianischen Eruption. Bei einer solchen Eruption handelt es sich um [14]einen explosiven Vulkanausbruch, bei dem innerhalb weniger Stunden mehrere Millionen Kubikmeter Magma ausgestoßen werden können und die Eruptionssäule bis in die Stratosphäre reichen kann. Tödlich und häufig alles vernichtend ist dann der sogenannte pyroklastische Strom, der sich mit Geschwindigkeiten über 500 km/h, teilweise sogar mit Schallgeschwindigkeit (über 1.235 km/h = 343 m/s) ausbreiten kann. Pompeji lag nach der Eruption des Vesuvs über 1.500 Jahre unter einer bis zu 25 Meter dicken Schicht aus vulkanischer Asche und Bimsstein. Neben Pompeji wurden auch weitere römische Städte vollständig verschüttet.

    Bild 1: Der Ausbruch des Vesuvs, Gemälde Karl Bryullov

    Bild 1: Der Ausbruch des Vesuvs, Gemälde Karl Bryullov

    1.1.2 Der große Brand Roms

    Einige Jahre zuvor kam es am 19.07.64 n.Ch. im Bereich des Circus Maximus, der an die Hügel Palatin und Caelius grenzt, zu einem katastrophalen Brand. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus schrieb darüber: »Dort gab es Geschäfte mit brennbaren Handelswaren, wo das Feuer, kaum, dass es ausgebrochen war, verstärkt wurde und vom Wind angefacht, schnell den Circus auf seiner ganzen Länge erfasste.« Fehlende Brandmauern, was Tacitus im weiteren Verlauf seines Berichtes beklagt, sowie die engen, dicht bebauten Gassen taten ein Übriges. Dies führte rasch zu einem Großbrand (Rauchhaupt o.A.).

    Der römische Kaiser Nero hielt sich zu Beginn des Brandes im rund 50 km entfernten Antium auf, kehrte aber sofort nach Rom zurück und engagierte sich bei den Löscharbeiten. Die Löschmöglichkeiten der römischen Feuerwehr waren in Anbetracht der Brandausdehnung völlig unzureichend. Durch die in kollektiver Panik flüchtende Bevölkerung wurden die Löschmaßnahmen zusätzlich behindert und viele Menschen zu Tode getreten. Um das Übergreifen des Feuers zu verhindern, versuchte man Brandschneisen in die Häuserblocks zu schlagen und mit kontrollierten Gegenfeuern zu arbeiten.

    Erst am sechsten Tag (24. Juli) gelang es, am äußersten Rande des Esquilin, mit einer Brandschneise das Feuer zu stoppen. Gleichwohl brach das Feuer erneut aus, diesmal in dem Vorort Aemiliana, was das Gerücht bestärkte, Nero habe Brand legen lassen, um eine neue Stadt zu erbauen und diese nach sich zu benennen. Tatsächlich spricht nach der modernen Geschichtsforschung jedoch viel gegen eine Brandstiftung auf Geheiß des Kaisers (Vandenberg 2000, S. 22 und Fini 1997, S. 151). Auch damals wurde die Katastrophe von vielen Seiten politisch ausgenutzt und führte dazu, dass Nero die Christen als Schuldige benannte und den Befehl zu deren Verfolgung gab. Die christliche Gemeinde Roms wurde als jüdische Splittergruppe betrachtet (vgl. Malitz 2016, S. 72).

    [15]1.1.3 Feuerschutz und Katastrophenhilfe in der Antike

    Während im klassischen Griechenland Katastrophen-Management noch kein Thema war, entwickelte sich dieses dann im hellenistischen Zeitalter – Epoche der antiken griechischen Geschichte vom Regierungsantritt Alexanders des Großen von Makedonien 336 v. Chr. bis zur Einverleibung des ptolemäischen Ägyptens in das Römische Reich im Jahr 30 v. Chr. – zu einer wahren Welle an Hilfen (Sonnabend 1997, S. 208). Auch in Rom nahm man zunächst Katastrophen als von den Göttern gegeben hin. Erst unter Kaiser Augustus, im Jahr 27 v. Chr., kam es zu einer Wende und einem ersten Katastrophenmanagement (Sonnabend 1997, S. 215 ff.). Auch sorgte Augustus für den ersten gut organisierten Feuerschutz. Die Millionenstadt Rom wurde durch Großbrände immer stärker gefährdet. In Rom wurden die ersten mehrstöckigen Mietshäuser errichtet, wobei der Vorbeugende Brandschutz im heutigen Sinn nicht vorhanden war. Die Eigentümer privater Feuerwehren schlugen aus Bränden sogar noch Profit. Daher wurde es politisch erforderlich, den Brand- und Katastrophenschutz hoheitlich durch den Kaiser zu regeln. Nach einem Großbrand im Jahr 23 v. Chr. bildete Kaiser Augustus eine Feuerwehr aus 600 Sklaven. Nach einem weiteren Großbrand im Jahre 6 v. Chr. gründete Augustus die Organisation der vigiles (»Wächter«), bestehend aus 3.500 (später dann im 2. Jahrhundert aus 7.000) freigelassenen Sklaven. Die Einheit war unterteilt in sieben Kohorten unter je einem Tribun. Jede der Kohorten war für zwei Stadtbezirke verantwortlich. Diese verfügten unter anderem schon über Feuerspritzen mit konisch geformten Strahlrohren und einer Wurfweite von 25 bis 29 Metern.

    Bild 2: Die heute noch in Rom existierende Wache der VII Kohorte des VIGILI (Quelle: Rabax63, Creative Commons – Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International – CC BY-SA 4.0, bearbeitet durch den Autoren)

    Bild 2: Die heute noch in Rom existierende Wache der VII Kohorte des VIGILI (Quelle: Rabax63, Creative Commons – Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International – CC BY-SA 4.0, bearbeitet durch den Autoren)

    [16]Kaiser Nero ordnete später an, dass im Vorhof jedes Hauses Feuerlöschgerät zur Verfügung zu stehen hatte. Die Vigiles hatten als römische Feuerwehr die Befugnis umstehende Bauten zu evakuieren und gegebenenfalls abzureißen, um Flächenbrände zu verhindern.

    1.2 Mittelalter und Frühe Neuzeit

    1.2.1 Die Allerheiligenflut 1570

    Die bislang schlimmste Flutkatastrophe der Niederlande, von der auch Deutschland betroffen war, war die sogenannte Allerheiligenflut vom 1.11.1570. Zum ersten Mal in der Geschichte gab es eine amtliche Warnung vor einer Sturmflut. Der Domänenrat in Bergen op Zoom (Niederlande) hatte am Morgen der Katastrophe eine Warnung vor einer sehr starken Flut herausgegeben. Möglichkeiten, die Gefahr und die Schäden zu verhindern, gab es jedoch kaum. Zahllose Deiche brachen. Die gesamte Küste von Vlanderen, über Groningen bis Nord-West-Deutschland, wurde überflutet. Insbesondere der Bereich um Antwerpen war betroffen. Dort wurden vier Dörfer unter einer dicken Schicht Schlick begraben. In Friesland kamen mehr als 3.000 Menschen durch die Flut um. In einem Brief an König Philipp II. berichtete Herzog von Alva, dass mindestens 5/6 der Niederlande unter Wasser stünden. Wahrscheinlich starben über 20.000 Menschen unmittelbar durch die Flut. Aber auch die Folgeschäden waren gravierend, da unzählige Gebäude vernichtet oder unbewohnbar und die Viehbestände und Wintervorräte vernichtet wurden.

    Bild 3: Allerheiligenflut 1570 (Moser, Hans, Flugblatt: Hochwasser der Schelde in Antwerpen, 01.11.1570)

    Bild 3: Allerheiligenflut 1570 (Moser, Hans, Flugblatt: Hochwasser der Schelde in Antwerpen, 01.11.1570)

    [17]1.2.2 Stadtbrände

    Aus dem Mittelalter sind viele Stadtbrände mit verheerenden Folgen bekannt. Im 12. und 13. Jahrhundert kam es zu Stadtbränden in Regensburg, welches in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts dreimal durch Brände völlig zerstört wurde. Heidelberg wurde 1278 vollständig vom Feuer zerstört. Der große Brand von London 1666 zerstörte 400 Straßen, 13.200 Häuser und 87 Kirchen. Der Tower of London konnte nur gerettet werden, weil man die Häuser ringsherum sprengte. 80 Prozent der Häuser innerhalb der Stadtmauern auf einer Fläche von etwa 1,3 Quadratkilometern waren verbrannt. Rund 100.000 Einwohner Londons wurden obdachlos.

    Eine der größten Stadtbrände der Frühen Neuzeit in Deutschland war der Brand von Aachen 1656, bei dem die Stadt zu 90 % vernichtet wurde. Die typische Holzbauweise begünstigte die Brandausbreitung ebenso wie starker Wind. Nachdem zuerst der Nordteil der Stadt in Brand stand, drehte sich der Wind und vernichtete auch den Südteil. Das Rathaus wurde Opfer der Flammen. Ferner wurden 20 Kirchen, Spitäler und Klöster vom Brand zerstört. Von den ca. 5.300 Häusern wurden über 4.600 durch den Brand vernichtet. Da auch der überwiegende Teil der Vorräte vernichtet wurde, kam es kurze Zeit nach dem Brand zur Nahrungsmittelknappheit.

    Bild 4: Stadtbrand von Aachen 1656 (Gemälde eines unbekannten Künstlers)

    Bild 4: Stadtbrand von Aachen 1656 (Gemälde eines unbekannten Künstlers)

    Zur Linderung dieser Katastrophe wurde damals schon überörtlich geholfen. Innerhalb weniger Tage trafen Lebensmittellieferungen aus Köln, Maastricht, Lüttich und anderen Städten ein.

    [18]1.2.3 Seuchen

    Eine der schlimmsten Pandemien der Weltgeschichte war der große Pestausbruch im Mittelalter, der allein in Europa zwischen 1346 und 1353 geschätzte 25 Millionen Todesopfer forderte, was einem Drittel der damaligen Bevölkerung entsprach. Bei der Pest handelt es sich um eine hochansteckende Infektionskrankheit, welche durch das Bakterium, Yersinia pestis – auch Pestbazillus genannt –, ausgelöst wird. Dabei handelt es sind um ein gramnegatives, unbegeißeltes, sporenloses, fakultativ anaerobes Stäbchenbakterium. Die Pest ist in erster Linie eine Zoonose, also eine von Tier zum Menschen übertragbare Infektionskrankheit, die allerdings auch über Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Das Zwischenglied bei der Übertragung von der Ratte (und anderen Nagetieren) auf den Menschen ist der Floh. Die großen Infektionsraten und die hohe Mortalität führten zu weiteren wirtschaftlichen Problemen und Versorgungsengpässen. So konnte infolge der Pest eine Bestellung der Felder und ein Aussäen im Frühjahr aufgrund der fehlenden Arbeitskräfte nicht mehr gewährleistet werden (Tuchmann 2010, S. 103).

    Behandlungsmethoden wie etwa der berüchtigte Aderlass, der ohnehin geschwächte Patienten weiter schwächte, waren aufgrund fehlender medizinischer [19]Erkenntnisse damals oft kontraindiziert und wenig effektiv. Es gab aber auch schon durchaus modernere Maßnahmen wie Anfangsformen des Atemschutzes in Form von Tüchern und Masken und die Quarantäne. So entstand auf einer venezianischen Insel im 15. Jahrhundert eine der erste Quarantänestationen.

    Bild 5: Arzt mit sog. Pestschnabel als frühe Form des Atemschutzes (Paul Fürst, Der Doctor Schnabel von Rom (Holländer version))

    Bild 5: Arzt mit sog. Pestschnabel als frühe Form des Atemschutzes (Paul Fürst, Der Doctor Schnabel von Rom (Holländer version))

    1.2.4 Feuer- und Katastrophenschutz im Mittelalter

    Im Mittelalter erließen die Städte und die Landesherrn Brandschutzordnungen mit Regelungen zum vorbeugenden Brandschutz und der Feuerstättenschau, aber auch schon zum abwehrenden Brandschutz. Die Brand- oder Feuerverordnungen schrieben teilweise vor, zu welcher Zeit abends alle Nutzfeuer gelöscht werden mussten. Auch waren Kontrollen durch Nachtwächter vorgesehen. Als weitere Maßnahme war vorgeschrieben, Eimer und Wasser für den Brandfall bereitzuhalten. Es wurden auch die ersten Dienstpflichten normiert, bei einem Brand sofort mit Wassereimern zur Brandstelle zu kommen. Für den Fall der Missachtung wurden Sanktionen verhängt. Technisch und organisatorisch war man hinter den Brandschutz im antiken Rom zurückgefallen, wo bereits die »vigiles« als Berufsfeuerwehr über leistungsfähige Pumpen verfügten (s. Kapitel 1.1.2). Im Mittelalter hingegen war daher ein Brand, der über den Grad eines Entstehungsbrandes hinausgekommen war, nicht mehr bekämpfbar. So war es aufgrund der mangelnden feuerwehrtechnischen Ausrüstung kaum möglich, den Totalverlust von Gebäuden oder katastrophale Stadtbrände zu verhindern.

    1.3 bis 1933

    Mit Beginn der Neuzeit kam es neben Naturkatastrophen und Bränden aufgrund der zunehmenden Industrialisierung zu immer mehr technisch bedingten Katastrophen. Insbesondere der sich entwickelnde Schiffs-, Luft-, Schienen- und Kraftfahrzeugverkehr, aber auch die Lagerung und Erzeugung gefährlicher Stoffe und Güter haben das potenzielle Risiko auch für große Schadenfälle stark steigen lassen.

    Auch kriegerische Auseinandersetzungen nahmen aufgrund der neuen Waffentechnik und der dann im Ersten Weltkrieg zum ersten Mal eingesetzten chemischen Kampfstoffe zum Teil apokalyptisch anmutende Ausmaße an. Mit der Industrialisierung begannen aber erstmals auch eine moderne, effektive Brandbekämpfung und die Gründung von Feuerwehren, wie man sie heute kennt. 1851 wurde vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV der Befehl zum Aufbau der ersten deutschen [20]Berufsfeuerwehr in Berlin erteilt. Neben dem Bau von Feuerwachen wurde das erste elektrische Feuermeldesystem in Dienst gestellt. Bald taten 1.000 Berufsfeuerwehrleute ihren Dienst. In dieser Zeit kam es auch zu immer mehr Gründungen Freiwilliger Feuerwehren in Deutschland. Die technische Entwicklung war rasant. Handdruckspritzen wurden durch Dampfspritzen und später durch Pumpen mit Verbrennungsmotor abgelöst. Aus von Hand oder Pferden gezogenen Wagen entwickelten sich die ersten motorisierten Löschfahrzeuge.

    Bild 6: Motordrehleiter der Hauptfeuerwache Dortmund 1922 (Bild: Feuerwehr Dortmund)

    Bild 6: Motordrehleiter der Hauptfeuerwache Dortmund 1922 (Bild: Feuerwehr Dortmund)

    Der rechtliche Rahmen beruhte weiterhin weitgehend auf örtlichem oder regionalem Recht. Das Brandhilfegesetz vom 21.12.1904 brachte insoweit keine wesentlichen Fortschritte, sondern legitimierte lediglich die bisherige Praxis, durch den Erlass von Polizeiverordnungen zur Regelung des Feuerlöschwesens die Einwohner zur Hilfeleistung zu verpflichten (Feuerwehrmann 1902, Nr. 15, S. 111–113; Leupold 2004, S.64).

    1863 kam es in Genf zur Gründung des Roten Kreuzes. Die Idee der Gründung einer solchen Hilfsorganisation geht auf die Berichte von Henry Dunant zurück, der 1859 in Italien unterwegs war, als er die Folgen der Schlacht von Solferino, des entscheidenden Gefechts zwischen dem Kaisertum Österreich und dem Königreich Piemont-Sardinien sowie dessen Verbündetem Frankreich, im Sardinischen Krieg miterlebte. Seine Vision in dem von ihm auf eigene Kosten verlegtem Buch Solferino:

    [21]Wäre es nicht möglich, in Friedenszeiten eine freiwillige Organisation zu gründen, deren Zweck es sein müsste, die Verwundeten in Kriegszeiten durch begeisterte und aufopfernde Freiwillige, die für ein solches Werk besonders geeignet sind, pflegen zu lassen?

    Der Gedanke ließ rasch weltweit Rot-Kreuz-Gesellschaften entstehen und das Rote Kreuz wurde Symbol für die medizinische Hilfe sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten. Am 22. August 1864 wurde dann bereits das erste Genfer Abkommen verabschiedet. Es war der erste völkerrechtliche Vertrag, der den Schutz von Verwundeten, die Neutralität des Sanitätspersonals und das Rote Kreuz als Schutzzeichen zum Gegenstand hatte.

    Bild 7: Henry Dunant (1828 – 1910)

    Bild 7: Henry Dunant (1828 – 1910)

    Auch die ersten Ansätze der Technischen Hilfe entwickelten sich aus militärischen Gruppierungen. Hier gab es bereits die Grundlagen in den Pionier-Abteilungen. Im Januar 1919 wurde von dem Pionierleutnant Otto Lummitzsch eine Technische Abteilung im Verband der Garde-Kavallerie-Schützen-Division in Berlin gegründet. Anschließend wurden auch in anderen deutschen Städten technische Verbände aus Freiwilligen aufgestellt. Diese wurden später allgemein als Technische Nothilfe bezeichnet. Durch das Reichswehrministerium wurde dann hieraus eine reichseigene Organisation, die aber aus taktisch politischen Gründen 1920 in die Zuständigkeit des Reichsinnenministeriums überführt wurde, ohne dass sich deren militärischer Ein[22]schlag änderte. Hauptzweck der Technischen Nothilfe war vor allem die Durchführung von Arbeiten in bestreikten, als lebenswichtig eingestuften Betrieben (Gaswerke, Wasserwerke, Elektrizitätswerke, Reichsbahn, Reichspost, Landwirtschaft, Nahrungsmittelerzeugung etc.). Hierdurch war die Technische Nothilfe bei großen Teilen der Arbeiterschaft als Streikbrecher-Organisation verhasst.

    1.4 bis 1945

    Die Zeit von 1933 bis 1945 ist insbesondere durch eine der größten menschengemachten Katastrophen der Menschheitsgeschichte, dem Zweiten Weltkrieg, bestimmt, der mit dem Luftkrieg und insbesondere den Atombombenabwürfen auf Hiroshima am 06.08.1945 und auf Nagasaki am 09. August eine neue Dimension der Zerstörung einleitete.

    Bild 8: Atompilz über Nagasaki (09.08.1945, Charles Levy)

    Bild 8: Atompilz über Nagasaki (09.08.1945, Charles Levy)

    [23]1.4.1 Feuerwehr

    Mit der Machtübernahme 1933 war der nationalsozialistische Staat auf allen Ebenen bemüht, die sogenannte »Gleichschaltung« durchzuführen, also alle Bereiche von Politik, Gesellschaft und Kultur gemäß den nationalsozialistischen Vorstellungen zu reorganisieren. Sofort standen bei der Organisation von Feuer- und Katastrophenschutz Kriegsvorbereitungen im Mittelpunkt der Überlegungen. Dabei ging man davon aus, dass »die Bedeutung des öffentlichen Feuerlöschwesens im Kriegsfalle gar nicht hoch genug eingeschätzt werden könne« (Schulz 1938, S. 14). Am 15.12.1933 wurde mit Erlass des preußischen Gesetzes über das Feuerlöschwesen (FLG), das am 01.01.1934 in Kraft trat, das bisherige Brandhilfegesetz vom 21.12.1904 abgelöst. Dabei behielt das Gesetz die bisherige Struktur der Freiwilligen Feuerwehren als örtliche privatrechtliche Vereine (in Berlin und den preußischen Stadtkreisen als nichtrechtsfähiger und ansonsten als eingetragener Verein) bei, auch wenn man bereits damals erkannte, dass die Freiwillige Feuerwehr bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben einem Verein vollkommen unähnlich ist (Schulz 1938, S. 21).

    Die vollkommene »Gleichschaltung« erfolgte dann mit dem Gesetz über das Feuerlöschwesen vom 23.11.1938 (Reichsgesetzblatt, Jahrgang 1938, Teil 1, vom 23.11.1938). Das nur aus sechs Paragrafen bestehende Gesetz bestimmte in § 1, dass der Reichsminister des Inneren bestimmt, welche Gemeinden eine Feuerschutzpolizei (Berufsfeuerwehr) einzurichten hatten und, dass die Beamten der Feuerschutzpolizei Polizeivollzugsbeamte sind. Darüber hinaus gab es nach § 2 weiter Freiwillige Feuerwehren, Pflichtfeuerwehren und Werkfeuerwehren. Die Freiwillige Feuerwehr wurden nach § 6 eine Hilfspolizeitruppe, deren Organisation der Reichsminister des Inneren bestimmte. Die bisherigen von den Freiwilligen Feuerwehren gebildeten Vereine und Verbände wurden aufgelöst. Ansonsten wurden alle weiteren Einzelheiten durch Ausführungsbestimmungen und Durchführungsverordnungen geregelt. So wurden ebenfalls die Landesverbände der Feuerwehren aufgelöst. Ein Erlass vom Oktober 1939 regelte, dass ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr auch als »Volksgenosse« einen guten Ruf haben müsse und jederzeit »rückhaltlos« für den »nationalsozialistischen Staat« einzutreten habe. Juden und Personen mit jüdischer Herkunft wurden, wie in allen anderen Lebensbereichen, ausgegrenzt. Die rechtliche und organisatorische Neuordnung veränderte auch das äußerliche Erscheinungsbild der Feuerwehren. Die Lackierung neuer Fahrzeuge wechselte auf das von der Polizei verwendete dunkelgrün, später aus Einsparungsgründen auf den wehrmachtsgrauen (RAL 7021) und ab 1943 auf den wehrmachtsgelben (RAL 7028) Farbanstrich.

    [24]Farbe der Feuerlöschfahrzeuge

    Runderlaß des Reichsführers SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsmin.D. Inn. vom 1.3.1937 […]

    Die Uniformen wurden militärischer und der Wehrmacht angeglichen. An die Stelle der verbreiteten Lederhelme trat der auch bei der Wehrmacht eingeführte Stahlhelm.

    Bild 9: Schweres Löschgruppenfahrzeug (SLG bzw. später LF 15) aus dem Jahre 1943. Das Fahrzeug war von 1943 bis 1978 beim Löschzug Brilon im Einsatz (Quelle: Feuerwehr Brilon).

    Bild 9: Schweres Löschgruppenfahrzeug (SLG bzw. später LF 15) aus dem Jahre 1943. Das Fahrzeug war von 1943 bis 1978 beim Löschzug Brilon im Einsatz (Quelle: Feuerwehr Brilon).

    [25]Insgesamt gab es erhebliche Fortschritte in der Feuerwehrtechnik, insbesondere in der Fahrzeugtechnik (vgl. FwLB 2021, Kapitel 3.1), aber auch in der operativ-taktischen Vorgehensweise. Dies geschah insbesondere im Bereich des Brandschutzes innerhalb des Luftschutzes durch die Bildung von Feuerlösch- und Entgiftungsbereitschaften (vgl. Hampe 1963, S. 363). Infolge der zum Kriegsende massiven Luftüberlegenheit und einer nahezu ausgeschalteten Luftabwehr und Luftwaffe waren jedoch Bemühungen gerade zum Schutz der Städte von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Brandbekämpfung nach Massenangriffen mit Spreng- und Brandbomben war aussichtlos. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des Angriffs auf Hamburg. Unter dem Codenamen »Operation Gomorrha« starteten die britische Royal Air Force und US-Air Force in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1943 eine Reihe schwerer Luftangriffe auf die Stadt. Zunächst wurden die westlichen Stadtteile Altona und Eimsbüttel durch Flächenbrände verwüstet. Am 27. Juli 1943 um 23.40 Uhr gab es erneut Fliegeralarm. Der vom Hamburger Senat ausgearbeitete »Organisationsplan für einen durch Luftangriffe herbeigerufenen großen Katastrophenfall« konnte die kommenden Ereignisse nicht ansatzweise berücksichtigen. Der Angriff löste die größte Flächenbrandkatastrophe des Zweiten Weltkrieges in Europa aus (Archiv Hamburger Feuerwehrhistoriker e.V. 2012):

    Ausgedehnte Teile der Stadt wurden in kaum einer halben Stunde in ein einziges Flammenmeer verwandelt. Die abgeworfenen Sprengbomben durchschlugen Dächer, Wände und Mauern und machten den Brandbomben den Weg frei. Die Zehntausende von Einzelbränden verbanden sich in den geschlossenen und teilweise besonders eng bebauten Gebieten innerhalb kürzester Zeit zu ausgedehnten Flächenbränden. Es entwickelten sich Feuerstürme von orkanartiger Gewalt, die fünf Stunden andauerten.

    Es wurde berichtet, dass Personen durch den Feuersturm in diesen regelrecht hineingezogen wurden. Im Zentrum des Feuersturms entstanden Temperaturen bis zu 1.000 Grad Celsius. Ca. 40.000 Menschen kamen ums Leben und rund 750.000 Menschen wurden obdachlos.

    1.4.2 Technische Nothilfe

    Ebenso wie die Feuerwehren wurde ab 1933 auch die Technische Nothilfe auf den Kriegszustand ausgerichtet. Sie stand zur Beseitigung von Notständen in lebenswichtigen Betrieben, für den Luftschutzdienst, den Instandsetzungsdienst und den [26]Katastrophenschutz zur Verfügung. Die Führung der Technischen Nothilfe wurde 1936 in die Zuständigkeit des Hauptamts Ordnungspolizei der Dienststelle Reichsführer SS und des Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Inneren überführt. Der Leiter der Technischen Nothilfe stand als SS-Führer im Generalsrang. Die Technische Nothilfe untergliederte sich dann in Landes-, Bezirks,- und Ortsgruppen. Die Technische Nothilfe war nicht nur im Bevölkerungsschutz tätig, sondern beteiligte sich auch an Kampfhandlungen und Kriegsverbrechen. Sie wurde 1945 von den Alliierten durch das Kontrollratsgesetz Nr. 2 aufgelöst.

    1.4.3 Reichsluftschutzbund

    Der Reichsluftschutzbund wurde 1933 gegründet und unterstand zugleich dem Reichsluftfahrtministerium. Der seit 1927 existierende Verein Deutscher Luftschutz (DLS) und die seit 1931 bestehende Deutsche Luftschutzliga wurden im neuen Reichsluftschutzbund zwangsweise zusammengeführt.

    Zum Kriegsbeginn 1939 hatte der Reichsluftschutzbund ca. 15 Millionen Mitglieder und 75.300 Dienststellen. 820.000 Amtsträger, davon 280.000 Frauen, versahen ihren Dienst. Die Mitglieder wurden in 3.800 Schulen von mehr als 28.000 Lehrern ausgebildet. Das Ausbildungsprogramm umfasste das luftschutzmäßige Herrichten eines Hauses und der Wohnung, Brandbekämpfung, Gasschutz, Erste Hilfe und Meldewesen. Zur Teilnahme an den Ausbildungsveranstaltungen konnte jeder durch das Luftschutzgesetz vom 26. Mai 1935 verpflichtet werden.

    Eine vorbeugende Maßnahme war der Bau von Luftschutzbunkern. In Anbetracht der Masse der zu schützenden Personen und der Massivität der Angriffe war auch diese Maßnahme nicht geeignet, der Bevölkerung insgesamt einen effektiven Schutz vor Luftangriffen zu bieten. Allerdings bewährte sich zumindest eine patentierte Konstruktionsidee, der sogenannte Winkelturm, der je nach Auslegung bis zu mehr als 600 Personen Platz bot. Das spitze, steil abfallende Dach bot nur eine sehr geringe Angriffsfläche für Bomben und führte bei einem Treffer zu einem Abgleiten der Bombe. Es ist nur ein Bombentreffer bekannt, der einen der 200 gebauten Türme zerstörte. Am 12. Oktober 1944 wurde auf dem »Focke-Wulf«-Gelände in Bremen-Hemelingen ein Turm durch eine amerikanische Sprengbombe getroffen. Es gab fünf Todesopfer.

    [27]1.4.4 Herangezogene Hilfsorganisationen

    Von der Gleichschaltung blieben auch die Hilfsorganisationen nicht verschont. Bereits 1933 wurde der Arbeiter-Samariter-Bund verboten. Vor einem Verbot des Johanniterordens schreckte die Diktatur zurück und verschob es auf die Zeit nach dem »Endsieg«, weil man die offene Auseinandersetzung mit den Johannitern im Offizierskorps der Wehrmacht fürchtete. Große Schwierigkeiten hatten auch die Malteser. Die größte Hilfsorganisation, das Deutsche Rote Kreuz, wurde durch die Nationalsozialisten durch Gesetz gleichgeschaltet. Mit dem »Gesetz über das Deutsche Rote Kreuz« vom 9. Dezember 1937 wurde das DRK dem NS-Staat vollständig einverleibt. Das DRK sollte sich nun auf seine sogenannte Ursprungsaufgabe konzentrieren, nämlich, die Unterstützung des Heeressanitätsdienstes. Die gesamte Organisation sollte »wehrmachtsgleich« werden. Adolf Hitler wurde Schirmherr des Deutschen Roten Kreuzes.

    1.5 nach 1945

    Nach der Kapitulation Deutschlands arbeiteten die Feuerwehren und Hilfsorganisationen unter der Aufsicht der alliierten Kontrollbehörden mit dem noch vorhandenen Personal und Material weiter. Aber erst mit der Verabschiedung des Grundgesetzes und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 gab es die Möglichkeit, wieder einen organisierten Katastrophenschutz aufzubauen. Bereits 1950 begann der Aufbau des Technischen Hilfswerks, welches eine gewisse Ähnlichkeit mit der aufgelösten Technischen Nothilfe hatte. In den Jahren 1952/1953 wurde auch der zivile Luftschutz wieder mit der Errichtung einer Bundesanstalt für zivilen Luftschutz ins Leben gerufen. Durch eine Grundgesetzänderung wurde dem Bund die Zuständigkeit für den Zivilschutz, also des Schutzes der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall, übertragen. In den Folgejahren baute der Bund kontinuierlich den Zivilschutz auf. Feuerwehren, Technisches Hilfswerk und die Hilfsorganisationen wurden mit ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern zum Rückgrat des Zivilschutzes in Deutschland. Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde dann auch der Bunker- und Schutzraumbau eingestellt. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist auch hier mit einer Änderung der bisherigen Politik und einer

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