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Glow-Kids: Unsere Kinder im Bann digitaler Medien – wie wir sie von der Sucht befreien
Glow-Kids: Unsere Kinder im Bann digitaler Medien – wie wir sie von der Sucht befreien
Glow-Kids: Unsere Kinder im Bann digitaler Medien – wie wir sie von der Sucht befreien
eBook452 Seiten5 Stunden

Glow-Kids: Unsere Kinder im Bann digitaler Medien – wie wir sie von der Sucht befreien

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Über dieses E-Book

  • Das Buch zu einem wachsenden Problem unserer Zeit: Kinder, die wie hypnotisiert auf Bildschirme starren! Suchtexperte Nicolas Kardaras zeigt in GLOW-KIDS die tiefgreifenden Auswirkungen des Technologie-Konsums auf die Entwicklung von Kindern auf.

  • Kardaras bietet einen Überblick über den Forschungsstand zu Technologieabhängigkeit und stellt die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in leicht verständlicher Sprache dar.

  • Der Ratgeber für Eltern und Pädagogen bietet praktische Lösungen dafür, wie Kinder aus dem Bann digitaler Medien befreit werden können, um eine neurologisch gesunde Entwicklung zu durchleben.

  • GLOW KIDS ist ein Weckruf an die Gesellschaft, um die Auswirkungen von Technologieabhängigkeit auf die Gehirne der nächsten Generation zu verstehen und zu adressieren. Ein wichtiger Leitfaden für alle, die sich um das Wohl von Kindern kümmern.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum27. Okt. 2023
ISBN9783962573034
Glow-Kids: Unsere Kinder im Bann digitaler Medien – wie wir sie von der Sucht befreien

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    Buchvorschau

    Glow-Kids - Nicholas Kardaras

    Kapitel 1

    Invasion der Bildschirm-Kids

    Verloren in der Matrix

    Vor fast zehn Jahren hatte ich einen „Houston, wir haben ein Problem"-Moment. Natürlich hatte ich schon Jahre zuvor ein paar beunruhigende Warnhinweise in Griechenland gesehen, aber bis 2007 war ich mir glückseligerweise nicht darüber im Klaren, wie gravierend das Problem ist; ich hatte noch nicht vollständig begriffen, wie neurologisch schädlich und süchtig machend die hypnotisierend-leuchtenden Bildschirme für Kinder sein können.

    All das änderte sich an einem kühlen Oktobernachmittag in besagtem Jahr. Ich dachte, ich wüsste genug über Sucht – schließlich unterrichtete ich dieses Fach an einer großen Universität, war Professor für Neurowissenschaft und auf die Suchtbehandlung in meiner Praxis spezialisiert; ich kannte also jegliche Geschmacksrichtungen der Sucht – so dachte ich zumindest.

    Ebenso dachte ich, ich hätte schon alles gesehen, wenn es um die Arbeit mit jungen Menschen ging. Als Berater für psychische Gesundheit an einer örtlichen Highschool hatte ich Hunderte Teenager unterstützt; ich hatte Kinder gesehen, die sexuell missbraucht worden waren, drogensüchtige Schüler, asoziale Teenager, Gangmitglieder, Anarchisten, Pädophile, Schizophrene, amokbereite Außenseiter, Ritzende, obsessiv-kompulsive Schüler und Brandstifter.* Auf all das traf ich in meinem Alltag.

    Aber ich war überhaupt nicht auf Dan vorbereitet, einen Jungen, der an jenem schicksalsträchtigen Tag im Jahre 2007 zu mir geschickt wurde.

    Als er mein Büro betrat, wirkte er wie betäubt und desorientiert … und verängstigt. Er setzte sich langsam auf den Stuhl gegenüber meinem Schreibtisch, zappelte nervös herum und zuckte ständig mit dem Kopf, während er sich ängstlich in meinem Büro umschaute.

    Ich fragte ihn, ob er wüsste, wo er war; er antwortete nicht, sondern blinzelte und schaute sich die ganze Zeit nervös um, wobei sein Kopf in ständiger Bewegung war.

    „Dan, weißt du, wo du bist?", fragte ich erneut. Wiederum keine Antwort.

    Nach einer langen, ungemütlichen Zeit der Stille schaute er plötzlich zur Deckenlampe und kniff die Augen zusammen, als ob er sich zu orientieren versuchte. Noch immer blinzelnd ließ er seinen Blick senken, sodass er mich mit seinen dunkelbraunen Augen anstarrte. Auf seinem Gesicht zeigte sich die Angst und Verwirrung von Menschen, die Dinge sehen – manchmal furchtbare, manchmal profane –, die dem Rest von uns verborgen bleiben. Ich kannte diesen erschrockenen Blick; ich hatte ihn häufig bei meiner Arbeit mit Schizophrenen beobachtet.

    Obwohl dieser blasse 16-jährige Schüler mit fettigen Haaren und einem abgewetzten Metallica-T-Shirt keine Krankengeschichte einer psychischen Erkrankung oder eines Substanzmissbrauchs vorzuweisen hatte, hatte man ihn zu mir geschickt, weil er sich sehr merkwürdig verhalten hatte.

    Noch einmal, diesmal mit mehr Nachdruck, fragte ich ihn: „Weißt du, wo du bist?"

    Abermals blinzelte er.

    Dann schaute er mich schließlich direkt an und stammelte sichtlich verwirrt: „Sind … sind … wir noch im Spiel?"

    Nein, das waren wir eindeutig nicht.

    Dan war meine erste Begegnung – und es sollten noch viele weitere folgen – mit einer Psychose durch Videospiele (auch als „Game Transfer Phenomena"¹ [GTP, ‚Spielübertragungsphänomen‘] oder „Tetris-Effekt"² bekannt), eine Form des psychotischen Schubs, der auftreten kann, wenn man durch exzessives Videospielen, oftmals in Kombination mit Schlafmangel, nicht mehr unterscheiden kann, was real und was Fantasie ist. Und Dan hatte das Fantasy-Spiel World of Warcraft 10 bis 12 Stunden am Tag gespielt und sich in der Matrix verloren.

    Ich erfuhr, dass World of Warcraft ein mythisches Rollenspiel (kurz: RPG für „Role-Playing-Game") ist, das im Fantasy-Reich Azeroth spielt und die Geschichte eines Krieges zwischen zwei Fraktionen, der Allianz und der Horde, erzählt. Unglaublich detailliert, mit einer gut geschriebenen Story und von den Spielern gegründeten und verwalteten Gilden ist WoW ein sehr fantasievolles Spiel mit Möglichkeiten zur sozialen Interaktion mit anderen Spielern über eine sogenannte Voice-Interface – eine stimmliche Benutzerschnittstelle. Diese Spiele, bei denen sich mehrere Spieler miteinander verbinden können, heißen Massively Multiplayer Online Games bzw. MMOs, deutsch ‚Massen-Mehrspieler-Online-Spiel‘.

    Durch ihre Erlebnisse in der Video-Welt werden die Spieler emotional involviert, interessieren sich stark für den Fortschritt ihres Charakters und für die Bindung zu ihren Mitspielern. Mit mehr als zehn Millionen Abonnenten ist World of Warcraft das beliebteste „Massively Multiplayer Online Role-Playing Game" (abgekürzt MMORPG, deutsch übersetzt ‚Massen-Mehrspieler-Online-Rollenspiel‘) weltweit.

    Während ich dort saß und versuchte, einen Zugang zu Dan zu finden, wurde mir klar, dass Kinder und Jugendliche, die sich in der Fantasie eines Videospiels verloren hatten, Neuland für mich waren. Das Verschwimmen der Realität sollte schon lange durch psychedelische Drogen erzielt werden; Suchtpsychologen arbeiten mit der substanzinduzierten Psychose durch LSD, Meskalin und Angel Dust. Doch jetzt schien diese neue Bewusstseinsveränderung des 20. Jahrhunderts ein Nebenprodukt einer digitalen Droge zu sein.

    Als Dan in meinem Büro saß, war er sichtlich ängstlich und verwirrt. Er litt unter den psychischen Symptomen sowohl einer Derealisation (man weiß nicht, was real ist) als auch einer Depersonalisation (dabei haben Menschen das Gefühl, selbst nicht real zu sein); sein Hirn war Matsch, weil er vollständig in seinem Fantasy-Spiel aufgegangen war.

    Durch meine Arbeit mit psychiatrischen Patienten, die solche dissoziativen Störungen aufwiesen, wusste ich, dass Erdungstechniken hilfreich sein können. Im Grunde hilft man dem Patienten, seine bzw. ihre fünf Sinne zu nutzen, um die Unmittelbarkeit – die Körperlichkeit – des gegenwärtigen Moments zu spüren. Dan und ich stellten uns also voreinander hin und klatschten laut in die Hände; dadurch konnte er sich kurz aus seiner Wahnvorstellung befreien. Ich bat ihn, sich ein Blatt Papier zu schnappen und dieses zu zerknüllen, was er auch tat.

    „Wo sind wir?"

    „Du bist in meinem Büro und sprichst mit mir. Bist du noch im Spiel?"

    „Nein, ich glaube nicht … aber ich fühle mich komisch … als ob ich noch nicht in meinem Körper wäre." Dann berichtete Dan von seinen Erfahrungen beim WoW-Spielen. Er war so WoW-süchtig, dass er die ganze Nacht durchspielte, nicht aß, nicht schlief und nicht ins Bad ging; er pinkelte einfach in ein Einmachglas, das neben seinem Computer stand. Irgendwann erfuhr ich, dass es für World of Warcraft-Enthusiasten nicht ungewöhnlich ist, in Einmachgläser zu pinkeln; die süchtig machende Anziehungskraft des Spiels ist so groß, dass manche sogar Windeln tragen wie Astronauten oder Fernfahrer, um bloß keinen Augenblick der Spielzeit zu verpassen.³

    Dann begann er zu weinen. „Ich habe Angst. Ich weiß nicht, was hier passiert … werde ich verrückt?"

    Weil seine Symptome kurzfristig besser wurden, sich dann aber plötzlich verschlechterten und Bilder aus dem Spiel ihn wie Flashbacks völlig überwältigten, wurde er in die psychiatrische Notaufnahme gebracht. Der arme Junge blieb einen Monat lang im Krankenhaus in der Abteilung für Psychiatrie und wurde dort mit Antipsychotika und Psychotherapie stabilisiert, um irgendwann wieder in die Realität zurückzufinden.

    Als er im Krankenhaus war, sprach ich mit seiner Mutter und befragte sie zu seinem exzessiven, die ganze Nacht dauernden Videospiel. Seine Mutter war alleinerziehend, hatte nur eine geringe Schulbildung genossen und arbeitete im örtlichen Walmart. Dass er wie ein Vampir die ganze Nacht aufblieb, machte ihr nur geringe Sorgen, war sie doch froh, dass er zumindest „sicher zu Hause war und nicht wie andere Jugendliche auf der Straße herumlungerte", wenn er sich in seinem Zimmer verkroch und Videospiele spielte.

    Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus bat er mich um Hilfe, um von den Spielen die Finger zu lassen. Ich ermutigte ihn, all seine Videospiele in die Mülltonne zu werfen und wieder vermehrt Dinge zu tun, die er gern machte. Vor seiner Videospielzeit hatte er gern Basketball auf dem örtlichen Spielplatz gespielt – ich bestärkte ihn, nach draußen zu gehen und wieder Ball zu spielen.

    Rund eine Woche später erhielt ich einen wütenden Anruf seiner Mutter.

    „Wissen Sie, wie teuer diese Spiele und elektronischen Geräte sind, die er Ihrer Meinung nach wegwerfen soll? Wissen Sie das?!"

    Verdutzt antwortete ich: „Ihr Sohn wurde gerade erst nach einem Monat aus der Psychiatrie entlassen, wo er aufgrund von Problemen war, die auf sein exzessives Videospiel zurückzuführen sind oder zumindest dadurch gefördert wurden. Möglicherweise hat er zugrunde liegende Probleme – das wissen wir noch nicht –, aber diese Spiele waren definitiv nicht hilfreich."

    Ich hielt inne und gab mein Bestes, ihr begreiflich zu machen, dass Dan von den Videospielen loskommen wollte. „Mrs. Smith, er hat mich um Unterstützung gebeten, damit er die Finger von den Spielen lässt. Er hat mich um Hilfe gebeten."

    Ich bin nicht leicht zu schockieren, doch bei ihrer Antwort war es der Fall: „Ja, aber jetzt möchte er nach draußen und dort spielen! Er möchte auf dem Spielplatz Basketball spielen! Wer weiß, was ihm da draußen alles passieren kann!"

    Mit der Zeit begriff ich es: Beim Phänomen der Videospiele geht es darum, dass Kinder und Jugendliche etwas suchen und Eltern in falschem Glauben meinen, sie würden dafür sorgen, dass ihre Kinder drinnen in Sicherheit sind. Oder sie waren, wenn sie ein besseres Gefühl bezüglich des digitalen Babysitters haben wollten, davon überzeugt, dass die Kinder durch Videospiele und Bildschirme sogar etwas lernen oder sich besser fokussieren könnten und sich ihre Augen-Hand-Koordination verbessern würde – oder was auch immer die Verpackung des Spiels behauptete.

    Leider haben sich seit 2007, als ich mit Dan arbeitete, die Bildschirmkultur und das Videospielen wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Heute spielen 97 Prozent der US-amerikanischen Kinder und Jugendlichen zwischen 2 und 17 Jahren Videospiele.⁴ Das sind 64 Millionen junge Menschen. Und die Zahlen steigen von Jahr zu Jahr.*

    Was treibt dieses Wachstum voran – was ist so verlockend an einem Videospiel?

    Gewiss, Shooter-Spiele (deutsch Schießspiele) können einen Adrenalinschub hervorrufen, was Kindern und Jugendlichen sicherlich gefällt; und 3-gewinnt-Puzzlespiele wie Candy Crush und Aufbauspiele mit mehreren Leveln wie Minecraft haben bestimmt ihren eigenen stark süchtig machenden Reiz. Aber was machen wir mit der explosionsartigen Verbreitung von Fabel- und Fantasy-Spielen wie World of Warcraft, die mehrere zehn Millionen Kinder und Jugendliche in ihren Bann ziehen? Mittlerweile habe ich begriffen, dass für manche Spielende der Reiz viel tiefer und grundlegender ist als nur der Adrenalinschub. Möglicherweise sitzt das Bedürfnis nach mythischen Erlebnissen tief in unserer menschlichen Psyche.

    Der legendäre Schweizer Psychologe Carl Jung und sein Anhänger, der Mythologe und Autor Joseph Campbell, schrieben beide umfassend über unser Bedürfnis nach Mythen und die Seelen nährende Rolle archetypischer Erfahrungen. Auf einer sehr tiefen, menschlichen Ebene brauchen wir unsere Mythen – unsere Schöpfungsgeschichten, unsere Heldenreisen, unsere Gleichnisse und unsere moralischen Lehrstücke.

    Doch im Großen und Ganzen haben wir dies in unserem modernen Zeitalter verloren. Vor fast 100 Jahren schrieb Jung, dass die moderne Welt „entmystifiziert worden war und eine „Armut der Symbollosigkeit erführe;⁵ während sich unser Leben durch die Fortschritte der Wissenschaft – von medizinischen Behandlungen bis hin zu nützlichen Haushaltsgeräten – eindeutig stark verbessert hat, hat der Ikonoklasmus der Wissenschaft aber auch zu einer Bedeutungsleere geführt. Die Wissenschaft hat uns unsere Mythen genommen, uns gesagt, dass es keine Götter oder Dämonen, keinen Himmel und keine Hölle, keine Mysterien von Eleusis, keinen Weihnachtsmann und keine Zahnfee gibt. Stattdessen erzählt uns die Wissenschaft, dass die Welt ein eher kalter, mechanistischer Ort ohne Mythen oder Bedeutung – ohne das für die menschliche Psyche benötigte Lebenselixier – ist.

    In dieser archetypischen Wüste werden mythenhungrige junge Menschen zu Fantasiewelten hingezogen, wo sie die Verkörperung des grundlegendsten aller Archetypen spielen können – die Heldenreise. In Der Heros in tausend Gestalten (1949)⁶ beschreibt Joseph Campbell diesen Archetypen, den man in den Mythen einer jeden Kultur finden kann: ein Held, der Hindernisse überwinden, Initiationsriten überstehen und zahlreiche Schwellen überschreiten muss, um das transformierende Ziel zu erreichen, das Inhalt seiner oder ihrer Reise ist. In diesem Sinne sind die heutigen mythischen Fantasy-Spiele wie World of Warcraft nichts anderes als digitale Versionen einer Heldenreise auf einem hypnotisch leuchtenden Bildschirm.

    Bei meiner Arbeit mit Hunderten von Gamern merkte ich, dass viele dieser Kids auf der Suche nach einer tiefergehenden Verbindung und einer Sinnhaftigkeit sind. Entfremdet und haltlos in seelenlosen und institutionellen anstaltsmäßigen Oberschulen findet der nach einem Sinn lechzende Jugendliche seinen Zweck in einem Fantasy-Reich voller Abenteuer, wo Monster abzuschlachten, Konkurrenten auszuschalten und Preise zu holen sind; dort finden sie eine die Seele befriedigende Sinnhaftigkeit – und wenn das Spiel mit anderen zu spielen ist, eine gemeinsame Sinnhaftigkeit.

    Als ich meine zahlreichen jungen Patienten behandelte und mit ihnen sprach, zeigte sich noch eine weitere Dynamik: Flucht. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Teenager, der nirgendwo so richtig hineinpasst. Oder Sie mögen Ihr Aussehen nicht oder leben in einer dysfunktionalen Familie; oder nehmen wir einmal an, Sie fühlen sich allein und leer und sind häufig niedergeschlagen. Sie hassen die Schule und haben keine richtigen Freunde. In der brutalen Dynamik der Hierarchie unter Heranwachsenden und deren Hackordnung stehen Sie draußen und schauen von dort hinein – und dort sitzen all die coolen Kids zusammen am coolen Tisch in der Schulcafeteria.

    Würden Sie diesem Leben entfliehen, wenn Sie könnten? Für manche hat die Matrix ihren ganz besonderen Reiz.

    Natürlich gibt es auch noch die alten Dauerbrenner Drogen und Alkohol, um dem Gefühl, nicht dazuzugehören oder sich in seiner eigenen Haut nicht wohlzufühlen, Abhilfe zu schaffen. Aber die Jugend von heute kann sich auch in magischen Fantasy-Welten verlieren und sich in diesen neu erfinden; Welten, wo sie starke und mächtige majestätische Charaktere schaffen können, die jeden in Vergessenheit geraten lassen, während sie auch noch irgendein nobles, gemeinsames Ziel verfolgen.

    Was würden Sie wählen: Draußen stehen und nach drinnen auf den coolen Cafeteria-Tisch in der Schule blicken oder ein magischer Hexenmeister sein, der ganze Welten erobern kann?

    Eine Zeit lang arbeitete ich mit einem spielsüchtigen 16-Jährigen namens Matthew, der nicht aufhören konnte, Final Fantasy zu spielen. Final Fantasy ist wie World of Warcraft ein Fantasy-RPG, in dem jeder von vier als „Kämpfer des Lichts" bezeichneten Jugendlichen einen der verblassten Elementkristalle bei sich trägt, deren Macht durch den Einfluss der vier Elementargewalten erlosch. Zusammen machen sich die Kämpfer des Lichts auf eine Reise, um gegen böse Mächte zu kämpfen, die Macht der Elementkristalle wieder herzustellen und ihre Welt zu retten. Final Fantasy ist ein Paradebeispiel für eine Heldenreise.

    Ich konnte nachvollziehen, warum Matthew so sehr in diesem Spiel aufging: Matthew war ein sehr lieber, sensibler und leise sprechender junger Mann, der in einer verdreckten, heruntergekommenen Wohnung bei seinen körperlich bzw. psychisch beeinträchtigten Eltern lebte. Sein Vater war ein verletzter Kriegsveteran, seine Mutter eine ans Haus gebundene, psychisch kranke, berufsunfähige Frau. Ihre Wohnung war ein solch unhygienischer Saustall, dass das Jugendamt häufig zu Besuch kam. In der Schule wurde Matthew mit dem Spitznamen „Kakerlakentyp" gehänselt, weil mehrfach Küchenschaben aus seiner Kleidung und auf den Schreibtisch gefallen waren.

    Es war mehr als verständlich, dass Matthew lieber den Großteil seines Tages als Krieger des Lichts in Final Fantasy verbrachte statt als „Kakerlakentyp. Aber nicht alle Kinder und Jugendlichen, die videospielsüchtig werden, um der Realität zu entfliehen, kommen aus einem so dysfunktionalen Umfeld. Andere wohnen in hübschen Häusern mit liebevollen Eltern. In manchen Fällen entflieht der Jugendliche nicht unbedingt einer furchtbaren, externen Realität; manchmal flieht er oder sie vor intrapsychischen Dämonen oder Unbehagen. So ein junger Mann war Jonathan. Seine Mutter war eine sehr geschätzte Pädagogin an einer örtlichen Schule, sein Vater ein liebevoller und unterstützender Dad, der ein eigenes Geschäft führte. Jon, der introspektiv war, bekam immer düstere Gedanken und fing an, sich mit extremen Verschwörungstheorien zu beschäftigen: 9/11 Truthers, Illuminati, Neue Weltordnung. Eine Zeit lang hing er mit einer Gruppe Gothics rum, doch auch ihnen waren seine antisozialen Aussagen irgendwann zu viel. Er fühlte sich isoliert und sprach davon, in eine Hütte zu ziehen, um „aus dem Netz auszusteigen. Doch stattdessen fiel er in die Matrix, als er sich zu sehr in World of Warcraft verlor.

    Für die sozial besser integrierten Jugendlichen liegen die Fallen woanders. Wenn man das Glück hat, zu der Gruppe der coolen Kids am Cafeteria-Tisch zu gehören, hat die Flucht in ein Videospiel wahrscheinlich keinen so großen Reiz. Natürlich kann ein Shooter-Spiel aufgrund des Adrenalinschubs Spaß machen, aber man sitzt mit den Coolen an einem Tisch – wieso sollte man dann 7 Tage die Woche 24 Stunden lang der Realität entfliehen wollen? Ja, wenn man zu den Coolen gehört, sind Videospiele vielleicht nicht so attraktiv, aber wie sieht es mit Social Media aus? Die sind eine ganz andere Sache.

    Gemeine Mädchen – und Jungs – sind nicht mehr auf den guten, alten Tratsch von Mund zu Mund und verbale Äußerungen beschränkt, um die soziale Hackordnung aufrechtzuerhalten; jetzt stehen ihnen Facebook, Instagram, Snapchat, Twitter, Kik und alle anderen sozialen Medien zur Verfügung, um ihr Waffenarsenal zu erweitern.

    Da liegt der Hase im Pfeffer: Videospiele machen einsame Kinder und Social Media die coolen Kids jeweils genauso süchtig wie Heroin einen Junkie.⁷ Mit jedem virtuellen Gewehrschuss, jeder Textnachricht und jedem Tweet wird Dopamin – ein winziger Spritzer – freigesetzt, genauso wie Kokain dafür sorgt, dass der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wird.⁸ Und leider sind manche Kids aufgrund ihrer Genetik oder ihres psychologischen Temperaments anfällig für Suchtverhalten, wodurch sie eher dazu neigen, süchtig nach den verschiedenen digitalen Dopaminstimulanzien zu werden.

    Doch bei meiner jahrelangen Arbeit mit Suchtfällen habe ich eine wichtige Lektion gelernt: Sogar ein „durchschnittlicher" Erwachsener oder Jugendlicher kann abhängig werden – auch der Jugendliche ohne ein schlimmes häusliches Umfeld oder innere Dämonen kann in die Suchtfalle tappen. Egal warum Sie es tun, wenn Sie zu viel Alkohol trinken oder den ganzen Tag lang Dopamin aktivierende Videospiele zocken, können auch Sie in den Suchtsog gezogen werden.

    Überraschenderweise sind digitale Drogen sogar noch heimtückischer und problematischer als unerlaubte Drogen, weil wir uns vor ihnen nicht so stark in Acht nehmen. Sie sind allgegenwärtig, werden von der Gesellschaft stärker akzeptiert und durch diese noch mehr verstärkt, als es bei ihren als schlecht angesehenen, pulverförmigen Pendants der Fall ist, wodurch sie so viel leichter zur Verfügung stehen. Höchstwahrscheinlich findet man in einem Klassenzimmer keine pulverförmigen Drogen, aber ganz bestimmt trifft man dort auf Tablets, Game Boys und Smartphones mit all ihren süchtig machenden und potenziell bewusstseinsverändernden Wirkungen. Noch beunruhigender ist die Tatsache, dass die Kinder, die diesen digitalen Drogen ausgesetzt werden, immer jünger werden.

    Der Tetris-Effekt

    Ein typisches Klassenzimmer einer dritten Klasse in einem Vorort: Kunstprojekte hängen an den Wänden, Achtjährige sitzen in kleinen Gruppen an ihren Schreibtischen, eine ernsthafte junge Lehrerin steht vorne im Klassenraum.

    Die Kinder sind gerade aus der Pause gekommen und im Klassenzimmer ist ein aufgeregtes Murmeln zu vernehmen, weil jetzt die Lesezeit beginnt – und das bedeutet iPads! Die Lehrerin geht nach hinten, schließt den Technikschrank auf und bittet die Kinder, sich in einer Reihe aufzustellen, um sich ihre Tablets abzuholen. Als sie ihre Geräte erhalten, lächeln und kichern sie. Zurück auf ihren Sitzplätzen loggen sie sich bei Raz Kids ein und gehen dort zu Animals, Animals, dem E-Book, bei dem sie gestern aufgehört haben.

    „Lest in eurem eigenen Tempo weiter – und meldet euch, wenn ihr Fragen habt", sagt die Lehrerin mit sanfter Stimme zu ihren Schülern und Schülerinnen, die alle bereits nur noch Augen für ihre Tablets haben. Ein Mädchen mit Pferdeschwanz gebraucht ihren Finger, um über Kamelhöcker zu lesen; ein schlaksiger Junge, der ganz nah bei der Lehrerin sitzt, hält sich den Bildschirm direkt vor die Nase, um sich ein Foto von einem Nilpferd anzuschauen.

    Engagierte und folgsame Schüler, eine hilfsbereite und achtsame Lehrerin – das Ideal einer Technik-Schüler-Lehrer-Synergie scheint hier gegeben zu sein.

    Doch nach ein paar Minuten fangen ein paar Kinder zu zappeln an und wippen mit den Füßen; zwei Jungen in einer Sitzgruppe am hinteren Ende des Klassenraums haben Raz Kids weggeklickt und spielen nun Minecraft. Fünfzehn Minuten später, als die Lehrerin der Klasse sagt, sie sollen ihre iPads hinlegen, da die Lesezeit vorbei sei, sind die beiden Jungen sichtlich unruhig und trotzig, sodass die Lehrerin zu ihnen hinübergehen und ihre Aufforderung wiederholen muss. Während ein Junge sich fügt, ist der andere weiterhin aufsässig und brüllt: „Nein, ich will nicht!"

    Später erzählt die Lehrerin mir: „Es ist meistens so, dass ein paar Schüler ziemlich aufgewühlt und eigensinnig reagieren, wenn ich ihnen sage, dass sie die Tablets weglegen sollen. Mich regt es auf, wie wütend sie werden können, wenn ich ihnen sage, dass sie aufhören sollen. Der eine Junge ist ja fast ausgerastet."

    Eine andere Lehrerin einer dritten Klasse hat die folgende beunruhigende Erfahrung gemacht: „Als wir einen Leseklub gründeten – also ein Buch außerhalb des normalen Rahmens gemeinsam lasen –, fragte ich Sam, einen lieben und nachdenklichen Jungen, was er über den Abschnitt dachte, den wir gerade lasen. Aber er schaute nur mit leerem Blick vor sich hin. Das machte mir wirklich Sorgen. Ich fragte ihn dann: ‚Sam, was denkst du gerade?‘ Und er sagte: ‚Ich kriege PlayStation 4 einfach nicht aus dem Kopf.‘" Ein weiterer achtjähriger Strubbelkopf in einer anderen Klasse, der erzählt, dass er die würfelförmigen Blöcke von Minecraft nicht aus seinen Gedanken bekommt und sie vor seinem inneren Auge sieht, sobald er morgens aufwacht.

    Wie mein World of Warcraft-besessener Patient Dan lag bei diesen Jungen eine mildere Form des Spielübertragungsphänomens (GTP) bzw. des Tetris-Effekts vor. Mit diesem Terminus wird ein Phänomen beschrieben, bei dem obsessive Gamer die Formen und Muster, die in ihren Spielen vorkommen, ständig in ihren Gedanken im Wachzustand und/oder ihren Träumen sehen.

    Dieser Zustand ist nach dem Kultspiel aus den 1980ern benannt, bei dem man aus Quadraten zusammengesetzte Formen, die „Tetrominos", zusammensetzen musste. Als das Spiel auf den Markt kam, berichteten Menschen davon, sie würden von den Quadraten halluzinieren oder, in anderen Fällen, sie hätten das Gefühl, die echte Welt bestünde aus ineinanderpassende Formen, die man miteinander verbinden müsse. Wieder andere erzählten, sie sähen hinabfallende Tetrominos am Rande ihres Gesichtsfeldes oder in ihren Träumen.

    Aber diese elektronische Invasion in unsere Gedanken erstreckt sich mittlerweile auf weit mehr als Tetris und Quadrate. Professor Dr. Mark Griffiths und Dr. Angelica Ortiz de Gortari von der Nottingham Trent University in Großbritannien führten kürzlich drei Studien mit mehr als 1.600 Gamern durch und stellten fest, dass alle zu irgendeinem Zeitpunkt das Spielübertragungsphänomen erfahren hatten.⁹ Zu den Symptomen gehörten unwillkürliche Empfindungen, Handlungen und/oder Reflexe, die mit dem Videospiel im Zusammenhang standen – manchmal Stunden oder sogar Tage, nachdem sie zu spielen aufgehört hatten.

    Manche berichteten, sie konnten Soundeffekte, Musik und die Stimmen der Charaktere hören; die Geräusche umfassten Explosionen, Schüsse, Schwerthiebe, Schreie und sogar Atemgeräusche aus dem Spiel. Ein Spieler erzählte, er hätte noch ein paar Tage nach dem Spiel ständig jemanden „Tod" flüstern hören. Andere meinten, dass Bilder aus ihren Spielen plötzlich vor ihren Augen auftauchten.

    Jetzt könnte man argumentieren, dass, wenn man ein Buch liest und einschläft, man ebenso von einer Hauptperson träumen könnte. Oder dass man Tagträume von einer TV-Sendung hat. Das mag alles zutreffen. Doch die intensive und übererregende Bildsprache unserer interaktiven Bildschirme scheint einen invasiveren und intrusiveren geistigen Angriff auf unsere Psyche zu verüben als Bücher und TV-Sendungen.

    Teilnehmer der Studie¹⁰ berichteten über anschließende Ängste in der realen Welt – „Ich flippte aus, als ich draußen feststellte, dass die Bäume rund und nicht quadratisch wie in meinem Videospiel waren" – oder dass sie von Gedanken an das Spiel überschwemmt wurden: „Ich kann nicht aufhören, an Minecraft zu denken. Das ruiniert mir mein Leben." Wieder andere sagten, sie hätten Angst, die Realität mit dem Spiel zu verwechseln: „Es war furchtbar, denn ich hatte immer Sorge, dass ich, wenn ich müde wurde oder nicht richtig aufpasste, versehentlich in den Grand Theft Auto IV-Modus switchen und gegen andere Autos oder über Menschen fahren würde."

    Das sind eindeutig extremere Erfahrungen als bloße Tagträume über das Buch, das man gerade liest. Laut Dr. Griffiths und Dr. de Gortari zeigen ihre Forschungsberichte, dass manche Gamer nicht aufhören können, an das Spiel zu denken, während andere Anzeichen darauf hinweisen, dass sie die Videospiele mit dem echten Leben verwechseln. Das sind genau die Symptome, die ich bei den Gamern, mit denen ich arbeitete, sah. Laut Dr. de Gortari kann diese Vermischung von Videospiel und realem Leben wie eine Psychose aussehen: „Diese Forschungsarbeit unterstützt die Ergebnisse früherer Studien zum Spielübertragungsphänomen, die zeigen, dass das Spielen von Videospielen pseudo-halluzinatorische Ereignisse hervorrufen kann." Auch wenn diese auditiven, visuellen und taktilen Halluzinationen meist vorübergehend sind, bleiben sie in manchen Fällen bestehen und treten immer wieder auf.

    Außerdem verhält es sich wie bei jeder Droge so, dass die Resultate umso schlimmer sind, je mehr man konsumiert – und digitale Drogen sind da keine Ausnahme. Die Forschenden fanden heraus, dass die Wahrscheinlichkeit eines Spielübertragungsphänomens durch exzessives Videospielen gesteigert wurde, was wiederum häufig Schlafmangel mit sich brachte, sodass die negativen Auswirkungen eines Spielübertragungsphänomens noch gesteigert wurden. Zu beachten ist außerdem, dass das Alter der Studienteilnehmenden bei 12 bis 56 lag und sie somit entweder Teenager oder Erwachsene waren – keine Kinder. Mit unserem Wissen über das Gehirn und seine Entwicklung können wir also davon ausgehen, dass diese negativen Auswirkungen eines Spielübertragungsphänomens bei jungen Kindern noch verstärkt werden.

    Zusätzlich zur Studie von Dr. Griffiths und Dr. de Gortari gibt es eine weitere klinische Forschungsarbeit, die andeutet, dass Bildschirmzeit und Videospiele zu psychischen Erkrankungen beitragen, die sich als Schizophrenie und/oder Psychose äußern. 2011 veröffentlichten Forschende der Universität von Tel Aviv die in ihren Augen ersten dokumentierten Fälle von „internetbezogener Psychose. Sie wiesen darauf hin, dass die Technik „echte psychotische Phänomene hervorruft und dass die „Abwärtsspirale der Internetnutzung und ihr Potenzial in der Psychopathologie ganz neue Konsequenzen unserer heutigen Zeit sind.¹¹

    Dr. Joel Gold, Psychiater an der New York University (NYU), und sein Bruder Ian, der an der McGill University als Professor im Bereich der Psychiatrie forscht, untersuchen, ob die realitätsverschwimmenden Aspekte der Technologie zu Halluzinationen, Wahnvorstellungen und echten Psychosen führen können.¹² An der Stanford University untersucht der Psychiater und Autor Dr. Elias Aboujaoude, ob manche digitalen Avatare, die in Spielen wie Second Life gerne verwendet werden, sich klinisch als Formen eines Alter Egos qualifizieren; dies wird oftmals mit dem früher als multiple Persönlichkeitsstörung, jetzt im DSM (Diagnostic and Statistical Manual for Mental Disorders – auch bekannt als die „Bibel" der Fachkräfte für psychische Gesundheit) als dissoziative Identitätsstörung bezeichneten Zustandsbild assoziiert.¹³ Die tiefgreifende Frage lautet: Leiden Kinder und Jugendliche, die Spiele-Avatare kreieren, an einer Form der multiplen Persönlichkeitsstörung? Werden sie zu digitalen Sibyllen?

    Die übererregenden Bilder auf den Bildschirmen und in den Videospielen haben nicht nur eine tiefgreifende und eindringliche Wirkung auf die Psyche und geistige Gesundheit der jungen Menschen, sondern beeinträchtigen auch die Neurobiologie ihrer Gehirne.

    Neben mehreren Neuroimaging-Studien, die Parallelen zwischen Bildschirm- und Substanzsucht aufzeigen, gibt es eine Neuroimaging-Studie aus dem Jahr 2016, die in der Fachzeitschrift Molecular Psychiatry veröffentlicht wurde. Sie fand heraus, dass Videospiele die Entwicklung mikrostruktureller Eigenschaften des Gehirns beeinträchtigen, die mit negativen psychischen Auswirkungen assoziiert werden.¹⁴

    Bei der Studie wurden die Gehirne von 114 Videospiele spielenden Jungen und 126 Videospiele spielenden Mädchen untersucht. Anhand Diffusions-Tensor-Bildgebung, um die „mittlere Diffusivität (MD) bzw. die mikrostrukturellen Eigenschaften verschiedener Bereiche des Gehirns zu messen, ermittelten die Forschenden, dass „das Spielen von Videospielen direkt oder indirekt die Entwicklung von bestimmten Nervensystemen stört …, die mit der Entwicklung der verbalen Intelligenz zusammenhängen; dazu gibt es einen Zusammenhang zwischen vermehrtem Spielen von Videospielen und der verzögerten Entwicklung von Mikrostrukturen in erheblichen Gehirnregionen und der verbalen Intelligenz.

    Kurz gesagt haben die Forschenden herausgefunden, dass, je häufiger ein Kind Videospiele gespielt hatte, desto höher die MD in wichtigen Teilen des Gehirns lag – und eine höhere MD bedeutet eine geringere Gewebedichte und eine Abnahme der Zellstrukturen. Das verheißt nichts Gutes. Die evolutionäre neurobiologische Adaption braucht Zeit; im Grunde ist unser Gehirn noch immer auf Jagen und Sammeln ausgerichtet wie bei unseren Vorfahren. Unser Gehirn ist einfach nicht für die visuelle Überstimulierung gemacht, mit der wir von der in jüngster Zeit entwickelten digitalen Technologie bombardiert werden. Bei meiner Lehre der Neuropsychologie ist es allgemein bekannt, dass die Gehirnentwicklung ein fragiler Prozess ist, der schnell sowohl durch Unterstimulation als auch Überstimulation gestört werden kann – und zwar zum Beispiel durch genau die Art der Überstimulation, die man beim Zocken von Videospielen erfährt.

    Wir haben nun gesehen, dass sich die überstimulierenden Bilder auf den technischen Geräten in das Bewusstsein der Kinder einbrennen und sie in ihren Gedanken und Träumen verfolgen können – und jetzt wissen wir auch noch, dass dies sogar ihre Gehirnentwicklung beeinträchtigt.

    Und trotzdem nimmt alles seinen Lauf und immer jüngere Kinder halten immer mehr Bildschirmgeräte in den Händen.

    Wie die Kids süchtig werden

    Die digitalen Bildschirme der heutigen Zeit sind eindeutig nicht mehr die harmlosen, riesigen TV-Bildschirme von früher. Während man sich damals schon Gedanken über die Auswirkungen des Fernsehens machte, ist die hypnotisierende Macht immersiver und interaktiver digitaler Bildschirme auf Geist und Gehirn junger Menschen noch einmal eine ganz andere Sache. Zusätzlich zu den bislang zitierten Studien kommen andere Studien zu dem Schluss, dass sie sich noch stärker Dopamin aktivierend auswirken und somit potenziell stärker süchtig machen als Fernsehen; außerdem weisen sie auf einen Anstieg klinischer Erkrankungen wie ADHS,¹⁵ Aggression,¹⁶ Gemütsstörungen¹⁷ und, wie bereits besprochen, Psychosen hin. Eine junge Mutter erzählte mir, dass sie einmal mitten in der Nacht das Zimmer ihres Siebenjährigen betrat, um nach ihm zu sehen, und erschrocken feststellte, dass er Minecraft gespielt hatte und in einen Trancezustand verfallen war; er saß mit weit aufgerissenen, blutunterlaufenen Augen aufrecht im Bett und schaute in die Ferne, während sein leuchtendes iPad neben ihm lag. Sie geriet nicht nur selbst in Panik, sie musste ihren Sohn mehrmals schütteln, um ihn wieder zu sich zu bringen.

    Die Mutter des Jungen war eine liebevolle, gut ausgebildete Berufstätige und hatte viel geopfert und darauf geachtet, alles richtig zu machen, um ihren Sohn die nötige Unterstützung und Hilfe zu geben, die er brauchte, um zu einem glücklichen, gesunden Erwachsenen heranzuwachsen. Sie war verzweifelt und konnte nicht begreifen, wie ihr einstmals gesunder und glücklicher kleiner Junge so süchtig nach dem Spiel hatte werden können, dass er in eine katatonische Starre hatte verfallen können.

    Sehr zum Leidwesen vieler Kinder sind Minecraft und Kindheit zu Synonymen geworden. Mit mehr als 100 Millionen registrierten Nutzern ist Minecraft das meistverkaufte Computerspiel aller Zeiten.¹⁸ Das von der kleinen schwedischen Softwarefirma Mojang designte und kürzlich für 2,5 Mrd. $ an Microsoft verkaufte Spiel wird für seine kreativen, LEGO-ähnlichen Baumöglichkeiten hoch gelobt.

    Der Spieler bzw. die Spielerin muss 3D-Würfel, die Materialien

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