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Was uns heute unterhält, kann uns morgen töten: Mindprogramming-Effekt und Mediengewalt
Was uns heute unterhält, kann uns morgen töten: Mindprogramming-Effekt und Mediengewalt
Was uns heute unterhält, kann uns morgen töten: Mindprogramming-Effekt und Mediengewalt
eBook291 Seiten3 Stunden

Was uns heute unterhält, kann uns morgen töten: Mindprogramming-Effekt und Mediengewalt

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Über dieses E-Book

Ständig setzen wir uns der Informationsflut aus, täglich nutzen wir Medien und konsumieren mitunter brutalste Gewalt und entmenschlichten Sex im Großformat. Was bewirken diese Bilder in unserem Inneren? Was geschieht im menschlichen Gehirn? Iris Zukowski analysiert den Einfluss von Medienangeboten auf die Gesellschaft der Zukunft und macht deutlich, dass wir kämpfen müssen: gegen die verheerenden Bilder und um die Kinder dieser Welt.

Profitieren wir von Medienangeboten voller Gewalt, von frei verfügbarer Internet-Pornografie? Oder machen sie unsere Gesellschaft krank – und verwirren besonders die jungen und empfänglichen Konsumenten? Iris Zukowski zeigt auf, dass Mediengewalt, Pornografie und Computerspiele im neuronalen Netzwerk unseres Gehirns biochemische Spuren hinterlassen – im Gehirn entwickeln sie ein Eigenleben und beeinflussen unterschwellig unser Denken, Handeln und Fühlen. Je jünger der Betrachter und seine Gehirnstrukturen, desto intensiver die Effekte, die der Bildschirm auf der unbewussten Festplatte des Gehirns hinterlässt.

Iris Zukowski zeigt: Wir glauben, uns entspannt zu unterhalten, wenn wir Gewalt und Pornografie konsumieren; doch dabei werden Hirnstrukturen programmiert, und zwar hin auf destruktive Vorbilder und Handlungsmuster. Der intensive Konsum entwickelt im Gehirn neuronale Programme, die das Verhalten steuern können – wie bei einem Mindprogramming-Effekt. Das Phänomen Jugendgewalt ist eine Folge der Omnipräsenz fiktionaler Gewalt und Pornografie in den Medien. Und wir entscheiden, mit welcher Art von Darstellungen wir das Leben der jungen Generation prägen wollen: Bilder des Todes – oder Bilder des Lebens?
SpracheDeutsch
HerausgeberRuhland Verlag
Erscheinungsdatum15. Dez. 2017
ISBN9783885091462
Was uns heute unterhält, kann uns morgen töten: Mindprogramming-Effekt und Mediengewalt

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    Buchvorschau

    Was uns heute unterhält, kann uns morgen töten - Iris Zukowski

    Iris Zukowski

    Was uns heute unterhält,

    kann uns morgen töten

    Mindprogramming-Effekt und Jugendgewalt

    Ruhland Verlag

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Alle Namen von Personen und Familien in Fallbeispielen sind geändert.

    ISBN 978-3-88509-127-1

    ISBN 978-3-88509-146-2 (epub)

    ISBN 978-3-88509-147-9 (mobi)

    Copyright © Ruhland Verlag, Bad Soden, 2017

    Iris Zukowski, Was uns heute unterhält, kann uns morgen töten.

    Mindprogramming-Effekt und Jugendgewalt.

    Lektorat: weisenwerck

    Umschlagbild: © beoxy design

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.ruhland-verlag.de

    Vorwort

    Im Rahmen einer Forschungsarbeit zur Kognitiven Psychologie untersuchte ich Ende der Neunzigerjahre, wie das menschliche Gehirn Eindrücke aus Film und Fernsehen verarbeitet. Es war die Zeit, in der die privaten TV-Sender unser Freizeitverhalten zu verändern begannen. Gab es bis im Jahr 1984 in Deutschland nur wenige Sender des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, so sendete man nun rund um die Uhr auf vielen Kanälen ein viel breiteres Unterhaltungsangebot.

    Vor allem Kinder und Jugendliche verbrachten immer mehr Zeit vor dem Bildschirm – obwohl das Programmangebot grausamer war als je zuvor. In den Medien häuften sich bereits damals Berichte über gewaltbereite Kinder und Jugendliche. Vor diesem Hintergrund begann ich mich dafür zu interessieren, welchen unterschwelligen Einfluss die brutalen Film- und Fernsehbilder auf Denken, Fühlen und Handeln der jungen Zuschauer haben.

    Die Statistiken dokumentierten einen starken Anstieg der von Jugendlichen verübten Gewalttaten; die Täter stammten dabei vor allem aus den sozialen Brennpunkten.

    Ich fuhr in die Randgebiete Hamburgs und befragte dort Jugendliche nach ihren Vorbildern und ihren Film- und Fernsehvorlieben. Parallel dazu analysierte ich die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung – sie zeigten, dass Emotionen eine entscheidende Funktion bei der Verarbeitung und Verankerung von Eindrücken haben. Vor dem Hintergrund meiner Datensammlung formulierte ich die Hypothese, dass der Konsum von medialer Gewalt unterschwellig die Wege des Denkens, Fühlens und Handelns im Gehirn verändert. Die Computertomographie gab es noch nicht, so ließen sich die Effekte von medialer Gewalt auf ein Kindergehirn noch nicht nachweisen.

    Das Ergebnis meiner Forschungsaktivität ähnelte den Erfahrungen der Hirnforscher Merzenich und Kaas, die im Jahr 1983 die bahnbrechende Entdeckung der neuronalen Plastizität des menschlichen Gehirns machten: Sie wiesen nach, dass das menschliche Gehirn sich lebenslang neu organisieren und strukturieren kann.(1)

    Merzenich und Kass wurden von der wissenschaftlichen Elite aber nicht bejubelt – im Gegenteil, sie wurden angegriffen. An einer neuen Vorstellung des Gehirns und dem damit gebotenen Paradigmenwechsel war man nicht interessiert.

    Mir erging es mit meiner Forschungsarbeit ähnlich. Der neue Dekan der Fakultät, ein Verhaltenspsychologe, beurteilte meine analytische Arbeit als unwissenschaftlich, und die eilig zu Rate gezogenen Medienfachleute beriefen sich auf eine veraltete soziologische Auffassung, wonach Gewaltdarstellungen eine katharsische, also befreiende Wirkung auf den Zuschauer hätten. Meine wissenschaftliche „Karriere" war damit beendet, ehe sie begonnen hatte.

    Das Thema ließ mich aber all die Jahre nicht los; ich beobachtete und beobachte immer noch mit zunehmenden Entsetzen, welche Medienkost unsere Kinder täglich in sich aufnehmen. Heute sind meine Hypothesen durch die Computertomographie, die inzwischen möglichen Einblicke in das Verarbeitungsgeschehen des Gehirns als richtig nachgewiesen – und die Ergebnisse von damals sind aktueller denn je.

    Fast zwanzig Jahre später speisen Heranwachsende ihre Hirnstrukturen nicht nur mit Eindrücken aus blutiger Film- und Fernsehunterhaltung – sie verbringen zusätzlich jeden Tag viele Stunden mit brutalen Computerspielen oder klicken sich durch Internetpornoseiten.

    Kaum jemand weiß jedoch, was diese Eindrücke im Gehirn eines jungen Menschen bewirken. Daher schreibe ich dieses Buch. Ich will über den nachhaltigen und zerstörerischen Effekt der Medien aufklären. Ich bin der Überzeugung, dass das, was mit unseren Kindern am Monitor geschieht, uns alle betrifft. Ich glaube daran, dass wir uns dieser Problematik stellen müssen, dass es an uns ist, den Samen für die Zukunft zu legen und, wenn wir feststellen, dass der Samen verseucht ist, diesen auszutauschen.

    Mit Beginn der Neunziger Jahre trat in Deutschland erstmals das Phänomen Jugendgewalt in Erscheinung. Das Ausmaß, in dem Jugendliche Gewalttaten und zunehmend auch sexuelle Straftaten begehen, hat aber heute eine völlig neue Dimension erreicht. Amokläufe, Vergewaltigungen und Morde, die von Minderjährigen begannen werden, sind Teil unserer gesellschaftlichen Normalität geworden. Die Mehrheit der Bevölkerung geht davon aus, dass Fernsehen und Film, Computerspiele und Pornographie weitestgehend wirkungslos bleiben, weil sie glauben, diese wären nicht real. Die Wahrheit ist jedoch, dass fiktive Eindrücke aus den Medien an den Nervenzellen des Gehirns zu Reaktionen führen, die für das Gehirn genauso real sind wie für uns die persönlich erlebte Wirklichkeit.

    Realität und Fiktion verschmelzen in der Biochemie unseres Gehirns und damit auch in unserem Geist. Eindringliche Filmszenen und Computerspielanimationen hinterlassen auf der neuronalen Festplatte des Gehirns die gleichen biochemischen Spuren wie reale Erlebnisse und zwar umso stärker, je jünger der Konsument ist.

    Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der modernen Hirnforschung und der Neuropsychologie werde ich im Folgenden beschreiben, wie sich Mediengewalt in Form von neuronalen Programmen im Gehirn etablieren und wie bei einem Mindprogramming-Effekt(2) das Verhalten von gewaltbereiten Kindern und Jugendlichen steuern kann. Ich werde zeigen, dass schockierende und erregende Reize aus den Medien das Denken, Fühlen und Handeln des Konsumenten nicht nur beeinflussen, sondern es auch steuern können. Das hat Konsequenzen für unser Leben und unsere Zukunft auf diesem schönen, blauen Planeten.

    1 Michael Merzenich & Jon Kaas (1971) Experimente an Eulenaffen zur Reorganisation des Gehirns an der Universität von Kalifornien/San Francisco; Sharon Begly, Neue Gedanken – Neues Gehirn (2006). Goldmann Arkana. Leonard Matheson, Your Faithful Brain (2014). Westbow Press; Merzenich, M.M. & Kaas, J.H., J.T. Wall, R.J. Nelson, M. Sur and D.J. Felleman (1983). Progression of change following median nerve section in the cortical representation of the hand in areas 3b and 1 in adult owl and squirrel monkeys. Neuroscience. 10 (Listed in the bibliography for Abstract 11:965): 639–665

    2 Unter einem Mindprogramming-Effekt versteht man Vorgänge im Gehirn einer Person, die bewirken, dass Handlungs- oder Denkmuster, die neuronal verankert wurden, unkontrollierbar und wie im Automatikbetrieb ablaufen.

    Einleitung

    Am 29. Juni 2008 berichten die Medien über den 16-Jährigen Ben Kensella an der North Road in London.(1) Der Junge geht als das zwanzigste Opfer von Jugendgewalt in die Londoner Kriminalstatistik ein, er starb durch die Messerattacke eines Gleichaltrigen.

    Kurioserweise beschreibt Ben Kensella wenige Tage vor der Tat in einem Schulaufsatz, wie sich der Tod auf der Straße anfühlt:

    Das Pflaster fühlt sich so kalt an. So kalt an meinem durchbohrten Rücken. Alles ist kalt. Und wie ich meinen Killer anstarre, sehe ich, dass auch nicht der leiseste Anflug von Reue ihn erfasst ob der Tat, die er gerade begangen hat. Ich bin ein Opfer der Monstrosität, in welche sich die Gesellschaft verwandelt hat.(2)

    Eine U-Bahnfahrt zum falschen Zeitpunkt, ein falscher Blick, die Verweigerung eine Zigarette oder von ein paar Cents – all das kann einem Zufallsopfer auf der Straße das Leben kosten. Eine solche Form enthemmten Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen, die weder die Öffentlichkeit noch Bestrafung scheut, hat es nie zuvor gegeben.

    Das Phänomen Jugendgewalt nimmt seinen Anfang zu Beginn der Achzigerjahre in den USA. Wenige Jahre später hält es Einzug in Europa und verbreitet sich in den letzten fünfundzwanzig Jahren rasant um den gesamten Erdball. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen – und dennoch fragt kaum jemand nach dem Ursprung dieser neuen Form der Gewalt in unserer Gesellschaft.

    Bislang sucht man die Ursachen im sozialen Umfeld der Täter, in mangelnder Bildung, zerrütteten Familienverhältnissen, Arbeitslosigkeit und fehlenden Perspektiven der sozialen Randgruppen. Man diskutiert und entwickelt Präventionsmaßnahmen, Schulen bieten Anti-Aggressionstrainings und Konfliktschlichtungskurse, und an öffentlichen Plätzen werden Überwachungskameras installiert. 2015 beträgt Marktvolumen für Sicherheitstechnologie in Deutschland 9.520 Millionen Euro. Der Staat, in dem wir leben, wird vor unseren Augen zu einem Überwachungsstaat, der uns schützen und Gewalt verhindern soll.

    Auf den ersten Blick erscheinen die Maßnahmen sinnvoll. Der Bürger hat in der Flut der Berichte über Gewalttaten Angst entwickelt; er ist erleichtert angesichts des vorgeblichen Schutzes durch die Überwachungslinse. Werfen wir aber einen Blick in die Polizeistatistiken der letzten Jahre, dann sehen wir, dass der Ausbau von Überwachungstechnologie zum Schutz vor zufälliger Gewalt wirkungslos bleibt. Die Idee, potentielle Täter mit Videokameras abzuschrecken, verhindert keine öffentliche Gewalt. Heranwachsende belästigen, schlagen, treten und töten auch vor laufenden Kameras. Auch ist es unmöglich, die Flut der Bilder aus den Überwachungssystemen sofort auszuwerten – und so werden Angriffe, Gewaltakte und Tötungen von Menschen gefilmt, ohne dass irgendjemand den Opfern rechtzeitig genug zu Hilfe eilen kann. Von Prävention kann keine Rede sein.

    Überwachung erleichtert lediglich die Strafverfolgung der Täter, aber wir betreiben damit nur eine kostenintensive Form der Dokumentation von Gewalt, für die der Steuerzahler aufkommen muss, die ihn aber nicht vor der Gefahr schützt. Und auch die Verschärfung des Jugendstrafrechts zeigt keine abschreckende Wirkung auf jugendliche Gewalttäter.

    Was hat sich in den letzten Jahren in unserer Gesellschaft verändert, dass sich junge Gewalttäter weder von der laufenden Überwachungskamera noch von Bestrafung abschrecken lassen? Was sind die Ursachen, die zur emotionalen Verrohung und zum Verlust der moralischen Hemmschwellen bei gewaltbereiten Jugendlichen geführt haben?

    In einem Berliner U-Bahnhof wird im Februar des Jahres 2011 ein 30-Jähriger Maler von vier Jugendlichen vor laufenden Kameras brutal überfallen. Die 14- bis- 17-jährigen Jungen treten und schlagen so lange auf den Mann ein, bis dieser bewusstlos am Boden liegen bleibt. Er erleidet schwerste Hirnverletzungen und fällt ins Koma. Die Kameras können das Opfer nicht schützen. Zeugen, die den Vorfall beobachten, greifen nicht ein.

    Warum schauen immer mehr Menschen unbeteiligt zu oder wenden sich ab, wenn Gewalt geschieht, als hätte diese nicht auch etwas mit ihnen zu tun? Und warum sind Heranwachsende in der Lage, ohne Mitgefühl und Hemmungen auf den Kopf eines bereits wehrlosen Menschen einzutreten? Was sind die Ursachen für dieses entmenschlichte Verhalten von Kindern und Jugendlichen im 21. Jahrhundert? Von welchen Vorbildern und geistigen Programmen werden Kinder und Jugendliche gelenkt, wenn sie eine brutale Gewalttat begehen?

    Im Rahmen meiner Forschungsarbeit führte ich Gespräche mit gewalttätigen Jungen zwischen 12 und 21 Jahren, die zum Teil in einer betreuten Jugendeinrichtung lebten. Ich bekam Einblick in ihre innere und äußere Welt und konnte etwas davon erkennen, welche Werte und Vorbilder ihr Leben bestimmten und was für Verletzungen sich in ihre jungen Seelen eingebrannt hatten. Was in den Neunzigerjahren noch als ein Randgruppen-Phänomen galt, ist heute zu einer Realität in allen sozialen Schichten geworden. Wir nennen es Jugendgewalt und glauben mittlerweile, sie wäre ein normaler Bestandteil der Jugend. Täglich berichten die Medien über durch Jugendliche verübte Gewalttaten – und wir nehmen dies als gegeben und normal hin.

    Doch diese jugendliche Enthemmung unserer Zeit ist keineswegs normal; wir sind durch die täglichen Berichterstattungen lediglich daran gewöhnt. Und mit jedem dieser Berichte wächst die Angst und das Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung. Unsere Angst vor Gewalt und Terror wird derart geschürt, dass wir stillschweigend akzeptieren, dass vor unseren Augen der Albtraum eines Überwachungsstaates entsteht, der angeblich unserer Sicherheit dient. Doch die staatlich verordneten Sicherheitsmaßnahmen sind eine Illusion.

    Dienen diese tatsächlich unserer Sicherheit oder vielmehr der Rundumüberwachung des Bürgers? Das Internet-Überwachungsprogramm „Indect" beispielsweise registriert abnormes Verhalten im Internet; gleichsam ermöglicht es auch eine Überwachung des öffentlichen Raums. Es kann mit einer Handy-Ortung, Überwachungskameras und Drohnen verknüpft werden. Die neueste Militärtechnologie wird damit in den zivilen Raum übertragen. Damit können das Phänomen der Jugendgewalt und Terroranschläge weltweit als Freifahrtschein in den Kontrollstaat benutzt werden.

    Betrachten wir dagegen aber die menschliche Psyche und das Verarbeitungsgeschehen unseres Gehirns, dann sind Überwachungskameras überflüssig, um Jugendgewalt zu verhindern. Wirkungsvolle Prävention setzt da an, wo Gewalt beginnt – im Kopf des potentiellen Täters. Bislang installieren wir lediglich Brandmelder, eine technologische Symptombehandlung, die erst greift, wenn es zu spät ist. Die auslösenden Ursachen bleiben derweil unbehandelt. Wir sind derart fokussiert auf die Bekämpfung und strafrechtliche Verfolgung von Gewalt, dass wir die wahre Ursache der globalen, jugendlichen Gewaltenthemmung übersehen. Soziale Missstände, Gewalt in den Familien, Migrationshintergrund oder fehlende Perspektiven der jungen Täter mögen einen entscheidenden Beitrag zur Gewaltbereitschaft leisten, sie sind aber nicht die Ursache.

    Die globale Welle der Jugendgewalt geht einher mit der täglichen Präsenz von Gewalt in den Medien; diese bestimmt das innere Erleben von Millionen Kindern und Jugendlichen überall auf der Welt. Ob im Kino, im Fernsehen oder am Computer, Gewalt ist rund um die Uhr präsent. Sie erzeugt eine Wirkung in den jungen, heranreifenden Hirnstrukturen.

    Auf den folgenden Seiten betrachten wir das Phänomen Jugendgewalt aus einer anderen und neuen Perspektive, indem wir der Frage nachgehen: Wenn es völlig irrelevant ist, ob das Verarbeitungsgeschehen im menschlichen Gehirn durch wirkliches Erleben ausgelöst wird oder durch virtuelle Reize am Monitor, wenn also jeder Bildschirmeindruck, der Emotionen auslöst, für unseren Biocomputer genauso bedeutungsvoll ist wie die Realität, welche Wirkung hat dann Mediengewalt auf das Gehirn eines jungen Menschen?

    1 http://www.telegraph.co.uk/news/uknews/law-and-order/

    5493572/Ben-Kinsella-murder-how-a-misplaced-glance-led-to-innocent-teens-murder.html

    2 http://www.abendblatt.de/politik/europa/article107427535/Der-Mord-der-London-ins-Herz-getroffen-hat.html

    Das Phänomen „Jugendgewalt"

    Fast alle Regeln, die früher bei Heranwachsenden für körperliche Auseinandersetzungen galten, scheinen aufgelöst. Geschützte Körperzonen gibt es nicht mehr. Schläge, Tritte und Waffen werden rücksichtslos eingesetzt, und selbst auf den Kopf eines wehrlos am Boden liegenden Opfers wird noch eingetreten.

    Früher regulierten natürliche Hemmschwellen das Konfliktgeschehen, man hielt sich an bestimmte unausgesprochene Regeln. Wer am Boden lag, galt als besiegt. Man ließ von ihm ab, der Kampf war damit beendet. Heute ist die innere Hemmung, einem Unterlegenden schwere oder gar tödliche Verletzungen zuzufügen, bei Jugendlichen nahezu ausgelöscht. Die Schwere der Verletzungen und das Leid des Opfers lösen bei der Mehrheit junger Gewalttäter keinerlei Regung oder Mitgefühl mehr aus. Selbst der Tod des Gegners wird in Kauf genommen.

    Nie zuvor hat es unter Jugendlichen eine derart erschreckende Enthemmung gegeben. Wir nennen es Jugendgewalt, doch was verbirgt sich dahinter? Ist sie ein Irrtum der Evolution, ein Zufall oder schlichtweg das Resultat unserer modernen Gesellschaft, und wenn ja, warum? Wir gehen davon aus, dass soziale Missstände, Gewalt in den Familien, Migrationshintergrund oder fehlende Perspektiven der jungen Täter dafür verantwortlich sind, dass sie gewalttätig und sogar zu Mördern werden. Auf diese so genannte Randgruppenproblematik zielt die Mehrheit der staatlich verordneten Präventionsmaßnahmen ab. Doch sichtbare Erfolge bleiben aus. Stattdessen weitet sich das Phänomen Jugendgewalt auf alle sozialen Schichten aus.

    Die weniger Privilegierten prügeln und stechen aufeinander ein, während der Gymnasiast mit einer Schnellfeuerwaffe im Kampfanzug Amok läuft und gleich dutzendfach tötet. In Schulen und Kindergärten ist aggressives Verhalten für Kinder und Jugendliche zu einer alltäglichen Konfliktlöse- und Zielerreichungsstrategie geworden. Natürliche moralische Hemmschwellen oder Mitgefühl für das Leid des Opfers haben ihre regulierende Kraft verloren.

    Wir haben es versäumt, das Wissen der Hirnforschung auf unser tägliches Unterhaltungsprogramm anzuwenden. Wir blicken auf soziale und ökonomische Missstände unserer Gesellschaft, übersehen aber die Wirkung, die mediale Gewalt auf jene Prozesse im Gehirn hat, die unser Mitgefühl und unsere moralischen Hemmschwellen regulieren.

    Es geht nicht darum, dass Jugendliche ihre pubertären Konflikte mit Gewalt lösen, es geht darum, wie sie es tun, wie entmenschlicht und unverhältnismäßig sie Gewalt einsetzen. Ein falscher Blick allein kann heute schon für einen Heranwachsenden ein ausreichender Grund sein, um ein Messer zu zücken und zuzustechen.

    In der Pubertät sind Jugendliche durch die hormonellen Wechselbäder empfindlich und neigen zu Überreaktionen. Das war schon immer so. Jungen schlagen über die Stränge und wollen ihre Kräfte messen, während Mädchen in Melancholie versinken und schön und beliebt sein wollen. Das sind die psychischen Begleiterscheinungen der hormonellen Umstellung und des natürlichen sexuellen Reifeprozesses. Nicht natürlich sind die Brutalität und die Rücksichtslosigkeit, mit der Pubertierende im 21. Jahrhundert ihre Konflikte lösen und Kräfte messen und ihre aufkeimende Sexualität auszuleben versuchen. Der Einsatz roher Gewalt ist für Kinder des Medienzeitalters normal geworden.

    In Niedersachsen verliert der 25-Jährige Daniel S. im März 2013 sein Leben, weil er versucht, einen Streit zu schlichten.(1) Daniel ist mit Freunden in einem gemieteten Bus auf einer Diskotour. Die freien Plätze werden an fünf Unbekannte vergeben. Auf dem Rückweg bricht ein Streit aus. Die fünf Mitfahrer rufen mit ihren Handys weitere Jugendliche zur Verstärkung. Am Halteplatz steigt Daniel aus dem Bus, um alle Beteiligten zu beruhigen und eine Auseinandersetzung zu verhindern. Cihan A. (20) schleudert Daniel mit einem Tritt gegen den Bus. Er prallt mit dem Kopf auf den Asphalt und bleibt regungslos liegen. Chian lässt aber nicht ab, sondern tritt weiter mit roher Gewalt auf das regungslos am Boden liegende Opfer ein. Einige Tage später verstirbt Daniel an den schweren Kopfverletzungen.

    Der Polizeisprecher bezeichnet die Tat als Einzelfall, der eine selten dagewesene Qualität von Brutalität zeige. Doch Fälle wie dieser sind schon lange keine Einzelfälle mehr, sie geschehen täglich – rund um den Erdball.

    Im Oktober 2012 wird der 20-Jährige Jonny K. auf dem Alexanderplatz in Berlin Opfer einer brutalen Prügelattacke.(2) Eine Gruppe junger Männer tritt und schlägt ohne Grund auf das zufällig ausgewählte Opfer ein. Jonny K. stirbt an den schweren Hirnblutungen im Krankenhaus. Die sechs Täter zwischen 19 und 24 Jahren werden wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt. Alle weisen jede Verantwortung für den Tod von Jonny K. weit von sich. Der Prozess zieht sich über mehrere Monate hin, doch Schuldgefühle, Scham oder Reue zeigen die Täter nicht. Nach der Verurteilung und dem Verbüßen von Bewährungsstrafen verhöhnen sie das Todesopfer

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