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Geist-Gesellschaft-Droge
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eBook627 Seiten15 Stunden

Geist-Gesellschaft-Droge

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Über dieses E-Book

Anhand der beiden grundlegenden Denkformen, des 'linkshemisphärischen' Verstandes und der 'rechtshemisphärischen' Intuition wird aufgezeigt, dass die Probleme unserer Zivilisation auf einem 'erkenntnistheoretischen' Grundproblem basieren: Das einseitige, auf das verstandesmässige konzentrierte Denken, das zudem noch sehr oberflächlich und durch Vorurteile beherrscht erfolgt.

In einer umfassenden Analyse werden die Aspekte des Verstandes und der Intuition besprochen. Bei Letzterer werden vor allem das Unbewusste und die veränderten Bewusstseinszustände mit ihren verschiedenen Aspekten wie Traum, Meditation und drogeninduzierten Zuständen beleuchtet. Dazu werden Beispiele wie die Kreativität, die Mythen und der Schamanismus herangezogen.
Erkenntnisse aus der Hirnforschung verhelfen uns, diese Aspekte zusammen mit der Funktion der Gefühle zu einem Ganzen zu vereinigen.
Des Weiteren wird aufgezeigt, wie im Laufe der Menschheitsgeschichte das Übergewicht des vielfach unkorrekt durchgeführten Verstandes-Denkens und die daraus sich ergebenden Folgen zustande gekommen sind.
Schliesslich wird zur Illustration der Ausführungen die Drogenpolitik herangezogen, die wie kaum ein anderes Thema das einseitige und oberflächliche Denken aufzeigt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Okt. 2008
ISBN9783037882573
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    Buchvorschau

    Geist-Gesellschaft-Droge - Benjamin Fässler

    könnte.

    ERSTER TEIL:

    GEIST UND GESELLSCHAFT

    1. Zwei Wege zur Erkenntnis: RATIO und INTUITION

    An den Beginn dieses Kapitels seien fünf Beispiele gestellt, die erahnen lassen, was mit den zwei Wegen zur Erkenntnis gemeint ist. Die Beispiele werden zunächst nur kurz oder überhaupt nicht kommentiert, sodass die Leserinnen und Leser sich ihre eigenen Gedanken dazu machen können. Im weiteren Verlaufe wird dann auf diese Beispiele zurückzukommen sein.

    Beispiel 1:

    a) 3 + 5 - 2 - 1 + 13 + 9 - 7 = ?

    b)

    Zeichnung: Claudia Jossi

    Bei 1a), der Rechenaufgabe, gelangen wir zur Lösung, indem wir schrittweise logisch denkend vorgehen. Bei 1b), der Abbildung der Mickey Mouse hingegen, erkennen wir diese Figur schlagartig – sofern sie uns bekannt ist.

    Beispiel 2: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile."

    Beispiel 3: „Das Herz öffnen"

    Für den Herzchirurgen bedeutet dieser Satz, das körperliche Organ „Blutpumpe" mit dem Skalpell aufzuschneiden – für den Verliebten, den Dichter und für den Mystiker bedeuten diese Worte etwas völlig anderes…

    Beispiel 4: „Die Welt besteht nicht aus Atomen, sondern aus Geschichten."

    Beispiel 5: Was ist nun wahr: Die naturwissenschaftliche Evolutionstheorie oder die Schöpfungsgeschichte der Bibel?

    Hirnforschungen des letzten Jahrhunderts haben ergeben, dass die linke und die rechte Hirnhemisphäre unterschiedlich funktionieren, dass der Mensch so etwas wie ein „Zwei-Geist-Wesen ist. Ganze Listen gegensätzlicher Funktionen der beiden Grosshirn-Hemisphären wurden aufgestellt. Mit der Zeit erkannten die Wissenschaftler, dass das Trennende und Andersartige der beiden Hirnhälften bis hin zum „gespaltenen Bewusstsein allzu stark betont worden war. Wohl bestehen gewisse Unterschiede zwischen den Funktionen der beiden Hemisphären, doch besitzen beide auch Eigenschaften ihrer „Gegenseite", vor allem aber muss die sich ergänzende, gegenseitig abhängige Zusammenarbeit beider Hemisphären hervorgehoben werden: Das Hirn ist ein untrennbares Ganzes. So ist es sinnvoller, nicht von zwei gegensätzlichen Hemisphären, sondern von zwei verschiedenen Arten des Denkens zu sprechen. Dabei ist hier der Begriff des Denkens in einem umfassenderen Sinne als sonst üblich gemeint: Er umfasst nicht nur die logischrationale Tätigkeit, sondern die gesamte psychische Tätigkeit, die zu einer Erkenntnis führt – und das Ziel des Denkens ist ja Erkenntnis.

    Die beiden Arten des Denkens werde ich mit zwei Begriffen belegen, welche ebenfalls in einem weiter gefassten Sinne als allgemein üblich zu verstehen sind und deswegen gross geschrieben werden sollen: RATIO* („linkshemisphärisch) und INTUITION* („rechtshemisphärisch). Und wenn doch hin und wieder von links- oder rechtshemisphärischem Denken die Rede sein wird, so sollen diese Begriffe in Anführungszeichen gesetzt werden, um daran zu erinnern, dass es sich um unterschiedliche Denktypen handelt, die nicht einfach einer Hirnhälfte zugeordnet werden können. Im Grunde genommen ist es nicht einmal korrekt, die RATIO der linken und die INTUITION der rechten Hemisphäre zuzuordnen, denn dies stimmt nur etwa für zwei Drittel der Menschen¹⁹⁶.

    Die psychischen Vorgänge, die wir Denken nennen, gehen im Spannungsbereich zweier Pole vonstatten, nämlich der beiden Grundtypen des Denkens: RATIO und INTUITION. Wir werden diese beiden Begriffe nicht genau definieren, da jede genaue Definition* den Fehler in sich birgt, künstliche Grenzen zu ziehen und damit natürliche Zusammenhänge zu zerreissen. Vielmehr werden wir die beiden Begriffe näher erläutern, indem wir sie einander gegenüberstellen und sie beschreibend umkreisen. Dies bietet auch Gelegenheit, einige wesentliche Grundbegriffe in groben Zügen zu beleuchten – verschiedene Themen werden später dann ausführlicher zur Sprache kommen. Bei der Gegenüberstellung der beiden Denktypen werden wir sehen, dass nicht nur die „linkshemisphärische und die „rechtshemisphärische Funktion, sondern auch RATIO und INTUITION nicht klar zu trennen sind, was wiederum Ausdruck dessen ist, dass die beiden Denkformen nicht einfach Gegensätze sind, sondern sich zueinander komplementär verhalten, sich gegenseitig zu einem Ganzen ergänzen.

    Die Arbeitsmethode

    Das erste Unterscheidungsmerkmal der beiden Denkformen zeigt sich in der Arbeitsmethode, in der Art und Weise, wie die Inhalte des Denkens verarbeitet werden. Eine der Grundbedeutungen des lateinischen Wortes „ratio ist „Rechnung, Berechnung. Die RATIO ist also eine Art der Verrechnung, sie ist die Art und Weise, wie Informationen verrechnet oder behandelt werden, also eine Art des Denkens. Und diese Verrechnungsart besteht darin, dass sie die Informationen linear und sukzessive, das heisst in einer Linie und Stück um Stück, Schritt um Schritt verarbeitet. Damit ist verbunden, dass dies analytisch geschieht, das heisst die Informationen werden zergliedert, in einzelne Teile zerlegt, wodurch Grenzen gezogen werden.

    Diese Vorgehensweise zeigt sich nicht nur beim eigentlichen Denkprozess, sondern schon bei der Wahrnehmung, insbesondere beim Vorgang des Sehens. Betrachten wir beim obigen Beispiel 1 die dargestellte Rechenaufgabe, so wandert unser Augenmerk schrittweise von einem Zeichen zum nächsten, bis wir schliesslich zur Lösung gelangen.

    Für das lineare Denken ist charakteristisch, dass es ein „Wenn-dann-Denken" ist: Wenn etwas so ist, dann folgt daraus, dass… Es ist ein monokausales* Denken, das nur eine Ursache in Betracht zieht. Damit ist oft auch ein besonderer, starrer Wahrheitsanspruch verbunden, indem nur eine Wahrheit gilt, was den Boden für Intoleranz darstellt.

    Das sukzessive Element, das heisst das schrittweise, nach und nach sich vollziehende Vorgehen dieses Denktyps bedeutet, dass der Erkenntnisvorgang Zeit benötigt.

    Das analytische Moment zeigt sich besonders augenfällig in den modernen Naturwissenschaften. Die Welt wird in immer kleinere Teile aufgeteilt: Wie mit einem Teleobjektiv richtet sich der scharfe Blick auf die einzelnen Details. Bei dieser streng fokussierten Sichtweise besteht die Gefahr, dass die Beziehungen zwischen den Teilen übersehen werden und die Übersicht auf das Ganze verloren geht.

    Die INTUITION geht einen anderen Weg: Sie verarbeitet die Informationen simultan, also gleichzeitig, und synthetisch*-holistisch*, also ganzheitlich, was bedeutet, dass die Informationen zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Wiederum kann dies auch an der Wahrnehmung beim Beispiel 1 illustriert werden, und zwar am Bild der Mickey Mouse. Der Blick wandert nicht von einem Detail zum anderen. Vielmehr wird die Figur als Ganzes auf einen Schlag erkannt – vorausgesetzt natürlich, dass man sie überhaupt kennt.

    Der „rechtshemisphärische" Denktyp zerlegt nicht in Teile, sondern fügt Teile zu einem übergeordneten Ganzen zusammen, er nimmt Ganzheiten, Zusammenhänge, Beziehungen, Muster, Gestalten wahr.

    Zum Beispiel 2: Der Ausspruch „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, der auf Aristoteles (384 bis 322 v. u. Z.) zurückgeht, soll an einem Beispiel veranschaulicht werden: Gibt man mehreren Künstlern je hundert weisse und schwarze Mosaiksteine mit dem Auftrag, damit ein Bild zu schaffen, bleibt die Summe der Mosaiksteine jeweils dieselbe – die erarbeiteten Bilder dürften sich aber deutlich voneinander unterscheiden. Je nach der Anordnung der Steine innerhalb der Fläche des jeweiligen Mosaiks ergibt sich ein anderes Muster, ein anderes Ganzes. In diesem Ganzen sind also nicht nur die Summe aller Teile, sondern auch deren Beziehungen zueinander enthalten – das „Mehr ist nicht quantitativer, sondern qualitativer Natur. Das Vorgehen der INTUITION ist kein lineares, monokausales „Wenn-dann-Denken, sondern es erkennt – oder „erspürt – Beziehungen, vielfältig verbundene Ursache-Wirkungsnetze und damit anerkennt es auch, dass es viele Wahrheiten gibt, was die Grundlage für Toleranz darstellt.

    Ein besonderes Merkmal der INTUITION besteht darin, dass der Erkenntnisvorgang keine Zeit benötigt, das heisst, dass er plötzlich geschieht. Wir kennen diese Plötzlichkeit des Auftauchens der Erkenntnis beim „Ah-Erlebnis durch das Überwältigtwerden von etwas sehr Schönem, beim „Aha-Erlebnis des plötzlichen Bescheidwissens und beim „Haha-Erlebnis beim Verstehen eines Witzes. Obwohl der Begriff einen negativen, „esoterischen Beigeschmack hat, kann durchaus von „Erleuchtung gesprochen werden, zumal man ja gerne sagt: „Es ist mir ein Licht aufgegangen. Dies ist nicht nur ein subjektiver Prozess, sondern er ist bisweilen auch objektiv von aussen erkennbar, indem sich das Gesicht in dem Augenblick „erhellt, in dem sich der „erleuchtende Verstehensprozess abspielt. Bei einem besonders intensiven Erlebnis kann es dazu kommen, dass das Gesicht förmlich „strahlt. Wie eng die beiden Hirnhemisphären zusammenarbeiten, erkennt man auch daran, dass das „linkshemisphärische linear-analytische Denken – etwa bei der Lösung der obigen Rechenaufgabe – immer wieder durch die „rechtshemisphärischen" Elemente des Verstehens, der kurzen Erleuchtungen, unterbrochen wird.

    Während sich die RATIO auf Details fokussiert und dabei Gefahr läuft, die Übersicht zu verlieren, verhält es sich bei der INTUITION umgekehrt. Wie in einem Weitwinkelobjektiv nimmt sie Übersichten, Gesamtsituationen, Zusammenhänge, Harmonien wahr, während sie die präzisen Details aus den Augen verliert. Sie ergibt also ein eher unscharfes, verschwommenes oder gar nebulöses Bild, was noch dadurch unterstrichen wird, dass Ganzheiten und Beziehungs-Netzwerke häufig eher als vages Gefühl oder als ein „Gespür" denn als klare Gedanken erfasst werden.

    In Zusammenhang mit dem Analytischen, Trennenden der RATIO steht auch ihre Tendenz zum dualistischen, polaren Denken. Dieses teilt in Zweiheiten, in gegensätzliche Pole auf wie etwa „gut – böse oder „richtig – falsch. Im Gegensatz dazu ist für die INTUITION das Monistische*, das Einheitsprinzip, kennzeichnend, das aus der ganzheitlichen Verarbeitungsmethode erwächst. Nun sind wir natürlich tatsächlich überall von Gegensätzen umringt. Es geht nicht darum, diese Gegensätze zu verneinen. Probleme ergeben sich aber dann, wenn die Gegensätze auf ein „Entweder-Oder fixiert werden, anstatt zu anerkennen, dass es sich um ein „Sowohl-als-Auch handelt und die Gegensätze nur verschiedene Aspekte desselben sind. Wie die Gegensätze zusammengehören, lässt sich augenfällig an jenem Ding illustrieren, auf den sich der Begriff „Polarität bezieht, nämlich an einem Magneten. Jeder Magnet besitzt einen Nordpol und einen Südpol, die an sich völlige Gegensätze darstellen und sich nicht vereinigen lassen. Und dennoch gehören sie untrennbar zusammen. Zerteilt man einen Magneten nämlich in zwei Teile, haben wir nicht je einen Nord- und einen Südpol vor uns, sondern zwei neue Magneten mit wieder je einem Nord- und einem Südpol. Es gibt keine gesonderten Nord- und Südpole. Ein Magnet wird dadurch zu einem solchen, dass er die beiden Pole in sich vereinigt. Ein anderes Beispiel sind die Begriffe „Leben und „Tod", die wohl den krassesten Gegensatz überhaupt darstellen. Aber auch sie hängen zweifellos untrennbar zusammen: ohne Leben kein Tod – ohne Tod kein Leben. Gegensätze sind nichts weiter als die sich ergänzenden Pole einer Einheit.

    Das analytisch-polare Moment der RATIO hat noch eine weitere Konsequenz: Die Subjekt-Objekt-Trennung. Dem Subjekt, dem Ich oder Ego, im Zentrum steht die übrige Welt als Objekt* – als Gegenstand – gegenüber. Das holistisch-monistische Element der INTUITION führt hingegen dazu, dass man sich mit der Welt verbunden, in sie eingebunden fühlt. Dem Ich-Gefühl der RATIO steht ein ausgeprägtes Wir-Gefühl der INTUITION entgegen.

    An dieser Stelle soll ein Thema zur Sprache kommen, das uns immer wieder beschäftigen wird und das ich das „Pfortenproblem nennen möchte. Es ist die Polarität „Offenheit – Geschlossenheit, ein grundlegendes Dilemma, das alles Lebendige betrifft: Von der Zelle zum Organismus, vom Individuum zu sozialen Systemen: von der Familie bis zu Staaten. Jedes lebende System, zum Beispiel eine Zelle, muss zu seiner Erhaltung eine innere Ordnung aufrechterhalten. Dabei ist es darauf angewiesen, von aussen Elemente in sich hereinzunehmen: Einerseits Energie in Form von Materie – Nahrung – und eigentlicher Energie – Sonnenenergie –, andererseits Informationen, um sich in einer sich verändernden Welt behaupten zu können. Es gilt nun, die richtige Balance zwischen Offenheit und Geschlossenheit zu finden. Ist die Pforte des Systems „zu offen, wird es von aussen überschwemmt, sodass es seine innere Ordnung nicht mehr aufrechterhalten kann, was zum Untergang, zum Tod führt. Ist die Pforte hingegen „zu geschlossen, können zur Bewahrung der inneren Ordnung zu wenig Energie und Informationen Einlass finden, was wiederum zum Tod führt. Das Dilemma lautet demnach: Soviel Offenheit wie möglich, soviel Geschlossenheit wie nötig – oder umgekehrt. Gefragt ist also das rechte Mass und dieses rechte Mass lässt sich nie dauerhaft festlegen, sondern muss immer wieder aufs Neue je nach der bestehenden Situation und nach den vorausgehenden Erfahrungen gesucht und bestimmt werden.

    Beziehen wir das Pfortenproblem auf RATIO und INTUITION, so steht der stärkeren – oder zu starken – Geschlossenheit des fokussierenden „linkshemisphärischen Denkens die stärkere – oder zu starke – Offenheit des ganzheitlichen „rechtshemisphärischen Denkens gegenüber.

    Ein weiterer wesentlicher Unterschied in der Arbeitsmethode der beiden Denkformen besteht darin, dass die RATIO mit Sprache, das heisst mit Begriffen arbeitet, während für die INTUITION Bilder, Symbole und Metaphern typisch sind.

    Diese Gegenüberstellung ist eng mit dem Begriff „Abstraktion"* und mit der damit in Zusammenhang stehenden Lehre von den Zeichen verknüpft. Die wohl elementarste Definition des Zeichens im weiten Sinne ist die, dass ein Zeichen etwas ist, das für etwas anderes steht. Es ist also ein Stellvertreter, es repräsentiert oder be-zeichnet etwas, es deutet auf etwas hin, hat also Bedeutung, ist Bedeutungsträger. Eine oft verwendete Einteilung der Zeichen im weiten Sinne, die auf den Sprachforscher Ferdinand de Saussure (1857 bis 1913) zurückgeht, ist jene in Signale, Symbole und Zeichen im engeren Sinne. Signale, auch Anzeichen genannt, sind Bedeutungsträger, die vom Signalisierten nicht zu trennen sind, da sie Teil von ihm sind oder mit ihm in einer kausalen Beziehung stehen. Beispiele sind etwa die Stimme eines Menschen oder der Rauch eines Feuers. Symbole oder Sinnbilder sind zwar von dem, was sie bezeichnen, verschieden, haben aber eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten bewahrt, sie haben einen gewissen Anteil am Symbolisierten, sind also durch dieses irgendwie begründet. Schliesslich sind Zeichen im engen Sinne Bedeutungsträger, die vom Gemeinten völlig verschieden und losgelöst sind, keine Ähnlichkeit mit und keinen Anteil an dem Bezeichneten haben, sondern willkürlich und durch Übereinkunft festgelegt worden sind. Wichtigste Beispiele für solche Zeichen sind die Wörter der Sprache, insbesondere aber die Zeichen der Schrift, die Buchstaben.

    Dabei ist zu betonen, dass zwischen Signalen, Symbolen und Zeichen fliessende Übergänge bestehen. Schliesslich bleibt zu erwähnen, dass in der Literatur gelegentlich „Symbol als das verwendet wird, was wir „Zeichen im weiten Sinn genannt haben. Im Folgenden seien hier unter „Symbol und „Zeichen die im engeren Sinne verwendeten Begriffe gemeint.

    Eng verknüpft mit der Abstraktion ist das Gegensatzpaar „analog – digital". Analogie* bedeutet das Verhältnis von Ähnlichkeit oder Entsprechung zwischen zwei oder mehreren Dingen. Analoges Denken beruht auf Assoziationen, also auf gedanklicher Verknüpfung von Vorstellungen. Charakteristisch für das Analoge sind fliessende Übergänge ohne Stufen und damit auch Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit. Im Gegensatz dazu bedeutet „digital"*, dass nicht stetig veränderliche Werte vorliegen, sondern dass diese stufenförmig in Einzelschritte aufgelöst sind. Es findet nicht nur eine Zergliederung in einzelne Teile statt, sondern es werden einzelne Teile herausgelöst, abstrahiert, und diese einzelnen Ausschnitte stehen nun unzweideutig und klar bestimmt nebeneinander. So stehen etwa in der Reihe der ganzen Zahlen klar definierte Einheiten nebeneinander – zwischen den Zahlen Eins und Zwei existieren keine Übergänge. Im Extremfall kommt es zu einer einfachen Wahl zwischen lediglich zwei Einheiten, etwa zwischen A und B, Ja und Nein oder – beim Computer – zwischen Ein und Aus beziehungsweise zwischen Eins und Null. Der Unterschied zwischen analog und digital kann gut am Beispiel der Uhr veranschaulicht werden. Die digitale Uhr zeigt die Zeit an, indem eine ganze Zahl zur nächsten springt. Bei der analogen Uhr hingegen bewegen sich die Zeiger – wenigstens von blossem Auge gesehen – kontinuierlich im Kreise herum.

    Betrachten wir nun das Spektrum vom Bild bis zum Zeichen etwas näher im Lichte der Abstraktion und des Gegensatzpaares „analog-digital". Wenn wir einen Gegenstand betrachten, erzeugen unsere Augen zusammen mit dem Gehirn ein inneres Bild. Schon dieser Vorgang stellt einen Abstraktionsprozess dar, da das Bild nicht alle physikalischen Daten der Aussenwelt enthält. Analog ist dieses Bild in dem Sinne, als es einen grossen Spielraum mit fliessenden Übergängen offen lässt. So sind zum Beispiel beim Betrachten eines Gemäldes unzählige Sicht- und Interpretationsweisen möglich. Vom Bild zum Symbol hat ein weiterer Abstraktionsschritt und schon eine gewisse Digitalisierung stattgefunden. Das Symbol hat noch Anteil an dem, was es bedeutet, sein Erscheinungsbild ist aber durch Abstraktion vereinfacht worden. Auch sind seine Interpretationsmöglichkeiten deutlich geringer geworden – es ist eindeutiger, aber immer noch vieldeutig. Nach C.G. Jung enthält das Symbol etwas Unbestimmtes, Unbekanntes, einen „unbewussten Aspekt, der sich dem Zugriff des Verstandes entzieht und bei dessen Deutung es der INTUITION bedarf²⁵³. Das Symbol weist auf etwas hin, lässt aber – zumindest auf den ersten Blick – vieles im Dunkeln und Geheimnisvollen: Es ist Offenbarung und Verhüllung zugleich. Der zum Symbol synonyme Begriff „Sinnbild weist darauf hin, dass ihm ein tieferer Sinn innewohnt. So berühren viele der unzähligen Symbole, die die Menschheit geschaffen hat, tiefe Schichten der Seele und setzen etwas in Bewegung – denken wir etwa an das christliche Symbol des Kreuzes, das tiefreligiöse Gefühle auslösen kann. Schliesslich bleibt zu erwähnen, dass nicht nur optische Bilder, sondern auch akustische Phänomene symbolische Bedeutung haben können, indem etwa eine Landeshymne das Gefühl heimatlicher Verbundenheit hervorrufen kann.

    Unter „Metapher"* versteht man einen bildhaften sprachlichen Ausdruck. Durch eine Analogie wird eine Bezeichnung auf eine andere herangetragen, womit Ähnlichkeit in der Bedeutung entsteht. Die Metapher vergleicht das Bekannte mit dem Unbekannten und macht dieses damit vertraut und fassbar. Sie ist eines der wichtigsten Mittel zur Schöpfung von Benennungen für Dinge und Geschehnisse, für die noch keine entsprechende Bezeichnung existiert. Und sie kann Bedeutungen vertiefen und betonen, indem Vergleiche herangezogen werden. So wirkt im Ausdruck „Er ist stur wie ein Ochse die Sturheit intensiver, als wenn man einfach sagt: „Er ist stur. Und im Wort „Wirtschaftskrieg wird das Kämpferische und Brutale des Krieges zur Steigerung des einfachen und harmlosen Begriffes „Wettbewerb herausgestrichen. Wenn die Metapher in der Gegenüberstellung auf die Seite der INTUITION gerückt wurde, ist dies nicht ganz korrekt, denn sie verbindet das „rechtshemisphärische Analoge mit dem „linkshemisphärischen Digitalen der Sprache.

    Sprache besteht aus Wörtern oder Begriffen und diese stellen einen weiteren Schritt im Abstraktions- und Digitalisierungsprozess in Richtung Zeichen dar. Gesprochene Worte haben mit dem, was sie bezeichnen, in der Regel nichts gemein. Ausnahmen bilden die lautmalerischen Wörter wie etwa „murmeln oder „zischen, deren Aussprache das Bezeichnete in gewissem Masse nachbilden. Hingegen haben etwa die Laute, aus denen das gesprochene Wort „Haus bestehen, mit dem Gegenstand „Haus keine erkennbare Beziehung. So ist der grösste Teil der sprachlichen Begriffe willkürlich und durch Übereinkunft festgelegt. Es wäre nun aber falsch, Wörter und Begriffe als rein digital zu bezeichnen. Denn ihnen sind viele Nebenbedeutungen und Unschärfen eigen, indem sie von verschiedenen Individuen mit teils feinen Nuancen, teils aber auch mit relativ grossen Unterschieden aufgefasst werden. Auch die Sprache hat demnach ein gewisses analoges Element bewahrt.

    Als eigentliche „Zeichen können indessen die Elemente der Schriftsprache, die Buchstaben, bezeichnet werden, die aus dem letzten Schritt der Abstraktion und Digitalisierung hervorgegangen sind. So hat etwa der Buchstabe „A mit dem gesprochenen Laut „A gar nichts mehr gemeinsam Zwischen den Zeichen „A und „B gibt es keine Übergänge, sie sind klar getrennt, also gleichsam „voll digitalisiert. Und trotzdem hat sich auch bei diesen Zeichen ein Rest von Analogie, von Variabilität und Unbestimmtheit bewahrt. So kann etwa der Vokal „O" offen oder geschlossen gesprochen werden.

    Die wohl abstraktesten und digitalisiertesten Zeichen stellen die mathematischen Zeichen dar. Zumindest innerhalb jener Länder, die unser Alphabet benutzen, bedeutet das Pluszeichen „+" immer eine Aufforderung zum Addieren.

    Es ist nun an der Zeit, auf die eingangs aufgeführten Beispiele 3 bis 5 etwas näher einzugehen.

    Zum Beispiel 3: „Das Herz öffnen. Dem Chirurgen steht das Herz als klar definierter Begriff im Geist und als klar definiertes und abgegrenztes, gleichsam „digitalisiertes körperliches Organ vor Augen, das es zu öffnen, mit klar definierten Instrumenten aufzuschneiden gilt. Für den Verliebten, den Dichter und den Mystiker bedeuten die Worte jedoch etwas völlig anderes. Das Herz stellt hier ein Symbol dar, und zwar für die Liebe. Damit kommt das später noch ausführlich zu besprechende dritte Element des Geistes neben RATIO und INTUITION, nämlich die Gefühle, ins Spiel. Die Öffnung des Herzens, also der Bereich des durch die Liebe Erfassten, nimmt dabei vom Verliebten über den Dichter zum Mystiker stetig zu, die Pforte öffnet sich immer mehr, die Liebe wird zunehmend ganzheitlicher. Die Liebe der Verliebten geht über die eigene Person hinaus und richtet sich auf ein anderes menschliches Wesen. Für manchen Dichter erweitert sich das Ziel seiner Liebe auf viele oder alle Menschen und auf die uns umgebende Natur. Schliesslich öffnet sich die Pforte beim Mystiker vollständig und seine Liebe richtet sich auf Gott, der die Unendlichkeit, den ganzen Kosmos umfasst.

    Zum Beispiel 4: „Die Welt besteht nicht aus Ato men, sondern aus Geschichten. Dieser provokative Satz will natürlich nicht die wissenschaftliche Tatsache, dass die Welt aus Atomen besteht, verleugnen, sondern zu einer anderen Sicht auf die Welt auffordern. Die Erkenntnis, dass die Welt aus Atomen besteht, ist die Folge des „linkshemisphärischen analytischen Denkens, das die Welt in immer kleinere Teile bis hin zu den Atomen auflöst. Eine Welt, die aus Geschichten besteht, bringt uns eine andere Sicht. Wesentliche Elemente von Geschichten sind einerseits, dass sie von Beziehungen handeln, und andererseits, dass es sich nicht um einen Zustand, sondern um ein Geschehen, um einen Prozess handelt. Es sind Beziehungen zwischen Menschen und zwischen Menschen und der Natur. Die Beziehungen verweben die Dinge in der Geschichte zu einem Ganzen, woran wir den „rechtshemisphärischen" Aspekt erkennen. Zudem sind die Beziehungen nicht statisch, sondern dynamisch; sie ändern sich im Verlauf der Geschichte. Hinzu kommt das symbolisch-metaphorische Element der Geschichte: Dieses schafft Sinn und Bedeutung. Das analoge Element einer Geschichte äussert sich auch darin, dass es bei den Interpretationen einen grossen Spielraum gewährt, sodass es den verschiedenen Individuen einen anderen Sinn offenbaren kann.

    Zum Beispiel 5: „Was ist nun wahr: Die naturwissenschaftliche Evolutionstheorie oder die Schöpfungsgeschichte der Bibel?" Diese Frage knüpft an das Beispiel 4 an. Die Evolutionstheorie ist wiederum das Resultat des vorwiegend analytischen Denkens. Sie zeigt auf, wie die Natur aus immer höheren biologischen Formen schliesslich den Menschen hervorgebracht hat. Die Schöpfungsgeschichte der Bibel und die unzähligen übrigen Schöpfungsgeschichten der Welt hingegen sind Geschichten, die nie wortwörtlich als historisch-naturwissenschaftliche Tatsachen hinzunehmen sind. Vielmehr haben sie symbolisch-metaphorischen Charakter und vermitteln eine Bedeutung, einen Sinn. Sie erklären die Herkunft des Menschen aus anderer Sicht und vermitteln ihm in dem Sinne Bedeutung, als sie ihm seine Stellung in der Natur und zu den Mitmenschen klären und ihm so einen Sinn für sein Leben verleihen. Die Erkenntnis, dass die Natur – und damit auch wir Menschen – aus Atomen besteht, ist sicher interessant. Sie vermag dem Menschen jedoch keinen Sinn für sein Leben zu vermitteln. Dasselbe gilt für die Evolutionstheorie. Ausser der Erkenntnis, dass wir mit den übrigen Tieren verwandt sind – und sie dementsprechend auch behandeln sollten – ergibt das Wissen, dass wir von Affen und schliesslich von immer niedrigeren Tieren abstammen, für unser Leben wenig Sinn. Es geht hier nicht darum, naturwissenschaftliche Theorien gegen Mythen oder umgekehrt auszuspielen, sondern darum, verschiedene Sichtweisen auf das Gleiche zuzulassen. Warum nicht die Evolutionstheorie neben der Schöpfungslehre stehen lassen – im Wissen darum, dass es nur verschiedene Perspektiven sind?

    Informationsquelle und Bewusstseinszustand

    Weitere Unterscheidungsmerkmale zwischen RATIO und INTUITION sind die Quellen, aus denen sie die Informationen beziehen, und der Bewusstseinszustand. Erstere empfängt die Informationen mittels der Sinnesorgane von der Aussenwelt, Letztere von der Innenwelt, dem Unbewussten. Während die Quelle der RATIO also aussen liegt, liegt jene der INTUITION im Inneren. Obwohl diese plakative Aussage nicht unproblematisch ist, wollen wir sie zunächst einmal so stehen lassen und uns dem Phänomen des Bewusstseins zuwenden.

    Bewusstsein heisst bewusstes Sein, Wissen um das Sein, Wissen, dass etwas ist. Es ist ein Gewahr-Sein der Dinge und Situationen um mich herum ebenso wie ein Gewahrsein meiner selbst, meines Denkens und meiner Aktionen. Bewusstsein ist immer „Bewusstsein von etwas", das heisst Bewusstsein ist gerichtete Aufmerksamkeit. Bewusst ist nur das, worauf wir gerade aufmerksam sind⁸⁸.

    Nach landläufiger Meinung ist man im „normalen" Wachzustand bei Bewusstsein, während man dieses im Schlaf oder bei Bewusstlosigkeit verloren hat. Nach uralten Erkenntnissen fernöstlicher Psychologie und nach der modernen westlichen Bewusstseinsforschung ist Bewusstsein aber nicht ein Zustand, den man hat oder nicht hat. Wie alles in der Natur ist auch das Bewusstsein ein Prozess, es ist Bewegung, stetige Veränderung. Es ist ein Prozess, ein ständiges Fliessen, das sich facettenreich in die verschiedensten Formen ergiesst, die ein weites Spektrum darstellen. Es gibt also nicht ein Bewusstsein, sondern unzählige Bewusstseinsformen, die sich innerhalb desselben Individuums in fliessenden Übergängen unterscheiden. Solange der Mensch lebt, ist ihm stets irgendeine Bewusstseinsform eigen.

    Das Spektrum der Bewusstseinszustände reicht vom „normalen" Tages- oder Wach-Bewusstsein über Tag- und Nachtträume, krankhafte Zustände wie etwa bei Delirien oder Psychosen bis hin zu den vielfältigen Formen, die durch verschiedene Methoden, wie etwa durch Meditation oder gewisse Drogen, herbeigeführt werden können. Das Wachbewusstsein macht dabei nur einen geringen Teil der Bewusstseinsformen aus, alle übrigen Bewusstseinszustände stellen den Hauptteil des Spektrums dar. Sie werden „veränderte" oder „aussergewöhnliche" Bewustseinszustände genannt. Während dem Begriff „verändert ein eher abwertender Beigeschmack anhaftet und vor allem für krankhafte Zustände angebracht ist, hebt der Begriff „aussergewöhnlich das Besondere und – vielfach auch berechtigterweise – das Aufwertende hervor. Leider werden auch heute noch aussergewöhnliche Bewusstseinszustände von vielen Menschen, zum Teil auch von Psychologen und Psychiatern, als krankhaft abgestempelt und nicht ernst genommen.

    Die Definition des Bewusstseins als Gewahrsein, als gerichtete Aufmerksamkeit, trifft nun hauptsächlich für das normale Tages- oder Wachbewusstsein zu. Und diese Form ist es nun, die mit der RATIO verbunden ist. Die gerichtete Aufmerksamkeit bedingt ein „Ich" als willentlich steuerbaren Mittelpunkt. Das Ich oder Ego ist das Zentrum des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Handelns. Das Ich-Bewusstsein bedeutet ein Sich-Unterscheiden und Distanzieren von der Aussenwelt, also eine Subjekt-Objekt-Trennung, die ja für die RATIO charakteristisch ist. Gerichtete Aufmerksamkeit kann mit dem kleinen Lichtkegel einer Taschenlampe verglichen werden: Alles was in den Lichtkegel eintritt, wird klar und scharf aufgenommen. Gleichzeitig bedeutet es indessen auch, dass die Wahrnehmung eingeengt ist, dass alles, was sich ausserhalb des Lichtkegels befindet, ausgeschlossen ist.

    Alles, was in einem gewissen Moment ausserhalb des Lichtkegels des Bewusstseins liegt, kann vereinfacht als das Unbewusste, das derzeit Nicht-Bewusste, bezeichnet werden. Zugang zu diesem Unbewussten gewähren jene als verändert oder aussergewöhnlich bezeichneten Bewusstseinszustände. Und diese aussergewöhnlichen Bewusstseinszustände sind nun charakteristisch für die INTUITION. Da diese so eng mit den aussergewöhnlichen Bewusstseinszuständen verbunden ist, die ihrerseits den Zugang zum Unbewussten gewähren, ist sie gleichzeitig in enger Verbindung mit dem Unbewussten. INTUITION* bedeutet unmittelbare Anschauung des Inneren, Versenkung ins Unbewusste. Oder umgekehrt ausgedrückt: Bei der INTUITION brechen Inhalte des Unbewussten in das Bewusstsein ein, finden Einbrüche oder Einfälle ins Bewusstsein statt. Das Unbewusste kann in verschiedene Schichten unterteilt werden. Die Schicht des persönlichen Unbewussten enthält alles, was einmal bewusst gewesen war, aber vergessen oder verdrängt wurde, aber auch unterschwellige Wahrnehmungen und anderes mehr. Zu der tieferen Schicht des kollektiven Unbewussten gehören Dinge, die der Menschheit als ganzer eigen sind, etwa Motive der alten Mythen und Märchen. Nach der modernen Psychologie reicht nun das Unbewusste noch viel weiter. Mit der tiefsten, der transpersonalen* Schicht geht das Unbewusste nicht nur über die Person, sondern auch über Raum und Zeit hinaus und steht mit dem ganzen Kosmos in Verbindung. Je tiefer wir in das Unbewusste tauchen, desto weiter entfernt es sich vom Ich und desto allgemeiner und „globaler" werden die Inhalte. Im Allgemeinen gilt, dass je tiefer die Elemente im Unbewussten liegen, desto schwieriger ist es, sie in die Helligkeit des Bewusstseins zu holen und deshalb desto stärker veränderte Bewusstseinszustände dazu notwendig sind. Und je tiefer die Quelle liegt, aus der die Informationen ins Bewusstsein aufsteigen, desto schwieriger wird es, sie in das Tagesbewusstsein zu integrieren, das heisst sie in Sprache zu kleiden, zu beschreiben und an andere Menschen weiterzugeben.

    Die Themen „Unbewusstes und „aussergewöhnliche Bewusstseinszustände sind hier nur ganz kursorisch und oberflächlich behandelt worden – sie werden später viel ausführlicher zur Sprache kommen. Bei genauerem Hinsehen ist jedoch bei diesen Themen schon jetzt offensichtlich, wie schwierig, ja gar unmöglich es ist, klare Grenzen zu ziehen. So wird etwa deutlich, wie sich die Begriffe durchdringen, wenn „Bewusstsein" einmal als Oberbegriff von Geisteszuständen und dann als Spezialfall eines Bewusstseinszustandes, nämlich des Tagesbewusstseins, verwendet wird. Noch viel stärker als die Begriffe vermischt sich das, was mit ihnen gemeint ist. So ist es kaum möglich, eine scharfe Grenze zwischen Bewusstsein und Unbewusstem zu ziehen. Die Ränder des Lichtkegels des Bewusstseins sind nicht scharf, sondern stark ausgefranst. So treten immer wieder erlernte Elemente unseres Gedächtnisses, also Dinge, die im Moment nicht im Bewusstsein sind, aus den oberflächlichen Schichten des Unbewussten in das Bewusstsein ein. Dieser Vorgang könnte mit der Funktionsweise eines Computers verglichen werden, der Daten, die er vorher aus dem Arbeitsspeicher in die Auslagerungsdatei verschoben hat, nun wieder in den Arbeitsspeicher zurückholt.

    Die Prozesse des Tagesbewusstseins sind nicht nur ständig begleitet, sondern auch öfters geleitet, gefördert und unterbrochen von unbewussten Vorgängen. Spontan treten Gedanken, Ideen und Erinnerungen auf, und Ängste, Launen, Absichten und Hoffnungen befallen uns aus unersichtlichen Gründen²⁵⁴. Ständig besteht eine Wechselwirkung, eine gegenseitige Beeinflussung von Bewusstsein und Unbewusstem.

    Problematisch ist auch die Aussage, dass die RATIO ihre Informationen über die Sinnesorgane aus der Aussenwelt bezieht, während die Quelle der INTUITION das Unbewusste darstellt. Dass das mit der RATIO verbundene Tagesbewusstsein sich nur mit den über die Sinne aufgenommenen Wahrnehmungen beschäftigt, stellt einen Extremfall dar, nämlich die „reine Sinneswahrnehmung, das „sinnliche Bewusstsein. Praktisch immer gesellen sich dabei Elemente des „denkenden Bewusstseins, das heisst sprachliche Begriffe hinzu, die zwar irgendwie aus einer Wahrnehmung abstrahiert worden sind, mit den ursprünglichen Wahrnehmungen aber nichts Ersichtliches mehr gemein haben. Während beim rationalen Denken, dem denkenden Bewusstsein, der Geist sich selbst zugewandt ist – nach Platon ist Denken ein Zwiegespräch der Seele mit sich selbst³⁸² –, wendet sich sein „Blick bei der INTUITION in seine eigene Tiefe, versenkt er sich in sich selbst und durchforscht die Tiefen des Unbewussten. Das sinnliche und das „intuitive Bewusstsein" stellen die Extreme dar: Das Erstere blickt nur nach aussen, das Letztere nur nach innen. Indessen darf bezüglich der Quelle der INTUITION nicht vergessen werden, dass viele Elemente des Unbewussten ursprünglich einmal über die Sinnesorgane in das Bewusstsein gelangt waren, bevor sie dann ins Unbewusste verlagert wurden. Wir sehen also, wie sich Innen und Aussen, Unbewusstes und Tagesbewusstsein durchdringen.

    Der Umgang mit der Welt

    Je nachdem, ob das Denken mehr von „linkshemisphärischer oder mehr von „rechtshemisphärischer Art ist, unterscheidet sich auch die Art des In-der-Welt-Seins und der Umgang mit der Welt. Die Art und Weise, wie man erkennend an die Welt herantritt und wie man über sie denkt, beeinflusst auch die Art und Weise, wie man in der Welt ist, wie man sich ihr gegenüber verhält, wie man mit ihr umgeht.

    Das analytische und polare Denken der RATIO setzt Grenzen, es führt zur Subjekt-Objekt-Trennung in dem Sinne, als das Subjekt, das Ich, das Zentrum darstellt, das der Welt als einem Objekt distanziert gegenübertritt, die Welt in einzelne Teile zerlegt und über die Welt und ihre Teile denkt. Der RATIO ist auch das Besitzergreifende eigen, was zunächst einmal durch die Sprache geschieht. Indem wir etwas Unbekanntem einen Begriff, einen Namen verleihen, wird das Benannte aus der Anonymität herausgelöst, es wird sprachlich „einverleibt", wir nehmen es geistig in Besitz. Der Akt der Namensgebung ist der erste Schritt, um etwas zu beherrschen. Die RATIO ist zudem eng mit dem Handeln verbunden. Dadurch, dass wir ein Ding ergreifen, in die Hand nehmen, ergreifen wir von ihm Besitz. Das Aktions-zentrierte Element äussert sich auch darin, dass der Mensch die Teile der Welt zunächst abstrakt-gedanklich im Kopf und dann konkret in der äusseren Wirklichkeit manipuliert*, mit ihnen handelt, auf sie einwirkt und umgestaltet, um die Dinge in den Griff zu bekommen und sie den Ich-zentrierten Bedürfnissen verfügbar, untertan zu machen. Die auf der RATIO basierende Art des In-der-Welt-Seins ist eine Ich-zentrierte, aktive, besitzergreifende, zupackende, eingreifende und verändernde Grundhaltung. Sie verkörpert die auf Besitz gerichtete Existenzweise des „Habens" nach Erich Fromm¹⁴⁹ und die Haltung des „Machers", die Macht und Besitz verspricht. Dies kommt nicht von ungefähr, denn die RATIO ist nicht – wie wir noch sehen werden – entstanden, um die Welt zu erkennen und zu verstehen, sondern um in der Welt zu überleben. Die RATIO ist primär nicht ein Wahrheitsapparat, sondern ein Überlebensapparat.

    Bei der auf der INTUITION ruhenden Haltung rückt wegen der fehlenden Subjekt-Objekt-Trennung das Ich in den Hintergrund und die Verflochtenheit mit der Welt, das In-die-Welt-Eingebundensein steht im Vordergrund. Bei dieser Existenzweise sieht sich der Mensch der Welt nicht distanziert gegenüber und er denkt nicht analytisch über sie, sondern er denkt synthetisch in und mit der Welt. An die Stelle des für das „linkshemisphärische Denken typischen Aktionsmodus tritt beim „rechtshemisphärischen Denken der Rezeptionsmodus, die Wahrnehmungs-zentrierte Haltung, der passive, empfangende Lebensstil. Der Mensch lässt die Welt auf sich einwirken, gibt sich der Erfahrung hin, lässt etwas mit sich geschehen, wodurch er viel tiefer in die Welt eindringt und so die inneren Zusammenhänge besser zu erblicken imstande ist. Diese Art des In-der-Welt-Seins vermittelt keine distanzierende Macht über die Welt, dafür aber das Gefühl der Geborgenheit in der Welt, was jedoch gleichzeitig auch Verantwortung für die Welt bedeutet. Die auf der INTUITION ruhende Haltung zielt nicht auf Haben und Machen, sondern auf Sein. Es ist die passive, empfangende, sinnlich anschauende und bewahrend-belassende Seinsweise. Sie ist nicht auf das Überleben ausgerichtet, sondern bedeutet einfach Leben: Sein im Hier und Jetzt.

    Es besteht kein Zweifel, dass unsere moderne westliche Zivilisation stark durch die RATIO beherrscht wird, also sehr „linkslastig" ist. Dies soll an zwei besonderen Aspekten verdeutlicht werden, nämlich an der Dominanz des Auges über das Ohr und an der übergrossen Bedeutung der Zeit.

    Während die Menschen früherer Zeiten nur zu einer begrenzten Anzahl von Bildern Zugang hatten, ist es vor allem im Laufe des letzten Jahrhunderts zu einer immer massiveren Flut an Bildern gekommen, die uns überschwemmt. Stark dazu beigetragen hat natürlich der technische Fortschritt – insbesondere Fotografie, Drucktechnik und Fernsehen. Die Bilderflut ist aber auch Ausdruck eines zunehmenden Übergewichts des „linkshemisphärischen Denkens. Denn der Sehvorgang ist stärker mit der RATIO verbunden, indem er mehr zielgerichtet, nach aussen schauend, analytisch, aktiv und besitzergreifend ist. Demgegenüber erweist sich der Hörvorgang als eher rezeptiv, aufnehmend, ganzheitlich erfahrend und passiv. Auf den ersten Blick scheint es ein Widerspruch zu sein, wenn gesagt wird, dass das Sehen, das ja zu Bildern führt, mit dem „linkshemisphärischen Modus assoziiert ist, während weiter oben Bilder als Merkmal des „rechtshemisphärischen" Denkens dargestellt wurden. Es geht hier aber nicht um bildhaftes Denken, sondern um den Vorgang des Sehens. Ein weiterer Unterschied zwischen Auge und Ohr besteht darin, dass das Sehen die Oberfläche erfasst, das Hören jedoch die Tiefe, und zwar in dem Sinne, dass Gehörtes uns innerlich stärker zu bewegen vermag, oftmals viel intimer ist. So kann etwa Musik unsere Seele viel stärker in Wallung bringen als noch so schöne Bilder dazu imstande sind. Vermutlich haben sich die zunehmende Bilderflut und die zunehmende Betonung der RATIO gegenseitig emporgeschaukelt: Immer mehr Bilder – immer stärkere Betonung der RATIO – immer mehr Bilder und so weiter.

    Sobald wir zu irgendeinem Thema Bilder zur Verfügung haben, sind wir der Überzeugung, genauere Kenntnis davon zu haben – was ja bis zu einem gewissen Grade auch der Wahrheit entspricht. Aber zu glauben, dass das Auge dem Ohr überlegen sei, weil es viel präziser sei, ist ein Irrtum, denn näher besehen verhält es sich genau umgekehrt. Einerseits ist die Bandbreite des Hörbereichs viel grösser als jene des Sehbereichs: Das Ohr kann gegenüber dem Auge das Zehnfache an Frequenzen aufnehmen – auch wenn die Frequenzen nicht aus dem gleichen physikalischen Spektrum stammen. Andererseits übertrifft das Ohr das Auge auch bezüglich Genauigkeit. Das Auge kann Farben nur ungenau erfassen, es muss Vergleiche ziehen, etwa indem wir etwas kornblumenblau oder olivgrün nennen. Demgegenüber kann das geübte Ohr einen musikalischen Ton genau erkennen, und selbst unmusikalische Menschen hören auf Anhieb, ob eine Oktave stimmt oder nicht. Das Auge schätzt, das Ohr hingegen misst³⁴. Es mutet ziemlich paradox an, dass der mit dem „rechtshemisphärischen Modus assoziierte Gehörsinn viel analytischer, digitaler ist, während der Gesichtssinn viel analoger arbeitet – einmal mehr ein Beispiel, wie „links- und „rechtshemisphärisch keine klaren Gegensätze darstellen. Wie so oft kann auch beim Thema „Auge-Ohr die Sprache Hintergründe erhellen. Sie deutet darauf hin, dass das Auge ungenau ist, indem viele Wörter für Täuschung aus dem Seh-Bereich stammen, wie etwa Ver-sehen oder Ein-bildung. Und der Begriff „Vernunft – das parallel gebildete Wort zu Versehen – kommt von „Vernehmen, also von einem Hörvorgang her.

    Bei der Besprechung der Arbeitsmethode haben wir gesehen, wie die RATIO durch ihr schrittweises Vorgehen eng mit der Zeit verknüpft ist. Die Geschichte des Umgangs der Menschheit mit der Zeit illustriert nun die zunehmende Betonung des Faktors „Zeit" und damit auch der RATIO. In ganz frühen Epochen richtete sich das Leben der Menschen nach den natürlichen Zyklen der Tages- und Jahreszeiten. Vor Jahrtausenden wurden Wasser- und Sonnenuhren geschaffen, die aber einerseits ungenau und andererseits wohl nur wenigen Menschen zugänglich waren, sodass sie kaum von grösserer Bedeutung für den menschlichen Alltag waren. Dies änderte sich schlagartig gegen Ende des 13. Jahrhunderts, als die Räder-Uhr erfunden wurde. Vermutlich wurde deren Idee in Klöstern geboren, weil es für die Mönche wichtig war, die genaue Zeit zu kennen, um die Gebetsstunden einhalten zu können. Während sich die Menschen in der Ur-Zeit nach den Rhythmen der Natur gerichtet hatten, wurde nun die Uhr-Zeit immer mehr zum bestimmenden Mass alles menschlichen Tuns. Die durch den Gebrauch der RATIO erfundene mechanische Uhr zwang der Gesellschaft in steigendem Masse den Gebrauch der RATIO auf. Indem die kirchlichen und weltlichen Herrscher weithin sichtbare Uhren an Kirchtürmen und Ratshäusern anbrachten, schufen sie eine allgemein verbindliche Zeit und brachten so eine rationale Ordnung in das gesellschaftliche und private Leben. Die Uhr schuf aber nicht nur eine Gesellschafts-Ordnung, sondern sie wurde im 17. Jahrhundert mit dem Aufkommen der Naturwissenschaften auch zum Vorbild der Welt-Ordnung, indem man sich die Welt als einen Mechanismus nach dem Muster eines Uhrwerks vorstellte.

    Waren in den Urzeiten die Tages- und Jahreszyklen die grundlegende Zeiteinheit, so wurden die massgebenden Zeiteinheiten in der Folge immer kleiner: Mit den Anfängen der Uhrzeit trat zunächst die Stunde, allenfalls die Viertelstunde ins Bewusstsein, mit den Eisenbahnen die Minute, mit den sportlichen Wettkämpfen anfangs des 20. Jahrhunderts die Sekunde, während nun seit längerem Rennen jeglicher Art mit Hundertstelsekunden gemessen werden. Diese ständig kürzer werdenden Zeiteinheiten sind Ausdruck der stetig zunehmenden Geschwindigkeit, mit der die Menschen in vielen Lebensbereichen konfrontiert waren und sind. Besonders sichtbar ist diese Beschleunigung im Bereich des technischen Fortschritts. Denken wir etwa an das ungeheure Tempo, mit dem sich die Computertechnologie in den letzten zwanzig Jahren entwickelt hat. Aber auch in vielen anderen Bereichen erleben wir die Geschwindigkeit von Entwicklungen, was dazu führt, dass ständig Neues an uns herantritt, das dann – noch bevor es sich richtig bewährt hat – von wiederum Neuem abgelöst wird. Dies ist ein Aspekt unserer Wegwerfgesellschaft, die nicht nur fortwährend Gegenstände wegwirft, sondern auch Ideen und Ordnungen verwirft. All dies hat zur Folge, dass viele Menschen keinen Halt mehr haben und sich in völliger Desorientierung befinden. Das sich laufend steigernde Tempo ist auch im Bereich der Bilderflut anzutreffen. Sowohl im Fernsehen wie auch in den Kinofilmen folgen sich Bild- und Szenenwechsel viel rascher als früher. Deshalb wirken alte Filme mit ihren viel längeren Szenen auf uns manchmal geradezu langweilig.

    Ähnlich wie bei den Bildern scheinen sich auch die Bedeutung der Zeit und die RATIO gegenseitig emporgeschaukelt zu haben. Überhaupt ist man anzunehmen geneigt, dass die RATIO eine Eigendynamik in sich trägt. War sie einmal richtig in Gang gekommen, so hat sie sich selber immer mehr verstärkt, sodass das „Immermehr" zu einem ihrer wesentlichen Merkmale geworden ist: Nicht nur immer mehr Bilder und Geschwindigkeit, sondern allgemein das Immer-mehr-Haben-und-Machen. Ein besonderer Aspekt des Immer-mehr-Habens liegt in der Verknüpfung von Geld und Zeit, was durch den Zins erfolgt. Dieser hat zur Folge, dass sich Geld einfach durch die Zeit vermehrt. Das Immer-mehr-Machen zum Ziele des Immer-mehr-Habens stösst nun an Grenzen, weil die Zeit unseres Lebens begrenzt ist. Dies bedeutet, dass die knappe Zeit wertvoll wird, was neben dem Zins

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