Marcel Mauss
Von Stephan Moebius
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Über dieses E-Book
Caillois), Bourdieu, Baudrillard und Derrida in zentralen Punkten auf die Arbeiten Mauss' zurückgreifen.
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Marcel Mauss - Stephan Moebius
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Stephan Moebius
Marcel Mauss
Klassiker der Wissenssoziologie, 2
Halem: Köln 2022
2., leicht überarbeitete Auflage
Die Reihe Klassiker der Wissenssoziologie wird herausgegeben von Prof. Dr. Bernt Schnettler.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme (inkl. Online-Netzwerken) gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
© 2022 by Herbert von Halem Verlag, Köln
ISSN 1860-8647
ISBN (Print): 978-3-7445-2070-6
ISBN (PDF): 978-3-7445-2071-3
ISBN (ePub): 978-3-7445-2072-0
Den Herbert von Halem Verlag erreichen Sie auch im Internet unter http://www.halem-verlag.de
E-Mail: info@halem-verlag.de
EINBAND: Herbert von Halem Verlag; Susanne Fuellhaas, Konstanz
SATZ: Herbert von Halem Verlag
LEKTORAT: Julian Pitten
DRUCK: docupoint GmbH, Magdeburg
Copyright Lexicon ©1992 by The Enschedé Font Foundry.
Lexicon® is a Registered Trademark of The Enschedé Font Foundry.
Klassiker der Wissenssoziologie
Stephan Moebius
Marcel Mauss
HERBERT VON HALEM VERLAG
Danksagung
An dieser Stelle sei ganz herzlich Robert Mauss für die Druckerlaubnis der Bilder von Marcel Mauss gedankt! Ebenso möchte ich mich für hilfreiche Hinweise ganz besonders bei Bernt Schnettler, Christian Papilloud, Dirk Quadflieg und Marcel Fournier bedanken, sowie für die 2. Auflage im Herbert von Halem Verlag bei Julian Pitten.
Zum Autor
Stephan Moebius ist seit 2009 Universitätsprofessor für Soziologische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Graz und seit 2019 wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Inhalt
Vorwort zur 2. Auflage
I. Einleitung
II. Marcel Mauss: Ein Leben als Wissenschaftler und engagierter Intellektueller
III. Mauss’ wissenschaftliches Milieu
Die Année sociologique
Henri Hubert
IV. Die Konsolidierung der Durkheim-Schule
V. Zentrale Aspekte des Werks
Die Soziologie der Erkenntnis
Soziologie und Geschichte
Soziologie der Riten (Gebet, Magie, Tod) und der kollektiven Gewohnheiten
Soziologie und Religionswissenschaften – oder: das Soziale als System
Soziologie und Ethnographie: Die soziale Morphologie
Soziologie der Gabe
Soziologie und Psychologie
Die ›Gliederung der allgemeinen beschreibenden Soziologie‹
VI. Das Symbolische, die ›totalen sozialen Tatsachen‹ und der ›totale Mensch‹
VII. Einflüsse und Lehrer
Émile Durkheim (1858-1917)
Sylvain Lévi (1863-1935)
Jean Jaurès (1859-1914)
VIII. Die politischen Schriften
IX. Die Wirkungen von Mauss
X. Literatur
Schriften von Marcel Mauss
Auswahlbibliografie und Sekundärliteratur
Zeittafel
Register
Vorwort zur 2. Auflage
Das internationale Interesse an Leben, Werk und Wirkung von Marcel Mauss hat in den letzten Jahren weiter zugenommen. Bücher zur französischen Soziologie würdigen zunehmend seine eigenständige Rolle für die Durkheim-Schule und die französische Soziologie insgesamt (HEILBRON 2015). Insbesondere in Frankreich sind neuere Forschungen zu Mauss’ gesamtem Werk, seinem akademischen Umfeld und Werdegang erschienen. So wurde zum Beispiel erst vor Kurzem die Korrespondenz der beiden »Arbeitszwillinge« (MAUSS 2006: 352) und Freunde, Marcel Mauss und Henri Hubert, veröffentlicht (BENTHIEN/LABAUNE/LORRE 2021), die beide mit Robert Hertz und Stefan Czarnowski die Religionssoziologie der Durkheim-Schule maßgeblich vorantrieben (BERT 2012a). Zu der immer noch unübertroffenen Biografie von Marcel Fournier (1994) ist beispielsweise eine Analyse der Wissenspraktiken von Mauss hinzugekommen, die den von ihm initiierten praxistheoretischen Ansatz (vgl. MOEBIUS 2009) wissenschaftssoziologisch auf ihren Begründer selbst anwendet (BERT 2012b).
Obgleich die deutschsprachige Rezeption von Mauss bereits zu seinen Lebzeiten begann (MOEBIUS/NUNGESSER 2014), hat sich das Bild eines eigenständigen soziologischen Denkens von Mauss insbesondere im deutschsprachigen Raum immer noch nicht gänzlich durchgesetzt, wie ein Blick in unterschiedliche Einführungs- und Überblickswerke zur Soziologie aus dem deutschen Sprachraum zeigt. Dort steht er weiterhin im Schatten seines Onkels Émile Durkheim. Zudem wird er meist nur im Rahmen der von ihm analysierten Gabe behandelt. Dass er, wie auch die vorliegende Einführung zeigen möchte, zahlreiche intellektuelle Anregungen jenseits des Gabe-Theorems zu bieten hat, wird meist ausgeblendet.
Allerdings mehren sich zunehmend die Versuche, Mauss’ Bedeutung für die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften auch im deutschsprachigen Raum zu erschließen und hervorzuheben. Das hat sich – betrachtet man nur einmal die Schriften von Mauss selbst – neben der bereits seit einigen Jahrzehnten und in der Reihe Klassiker der Sozialwissenschaften wieder neu aufgelegten zweibändigen Textsammlung Soziologie und Anthropologie (MAUSS 2022) etwa in Editionen und Übersetzungen niedergeschlagen, die Mauss’ Schriften zur Religionssoziologie, zur Ethnografie, zum Geld oder zu Nation und Internationalismus für ein deutschsprachiges Publikum zugänglich gemacht haben (MAUSS 2012, 2013, 2015, 2017). Besonders hervorzuheben – insbesondere im Kontext dieser Reihe zu den Klassikern der Wissenssoziologie – sind jüngere innovative Untersuchungen aus Deutschland, die die kulturvergleichende und -soziologische Erforschung von Denkkategorien im Rahmen der Durkheim-Schule in den Fokus rücken (SCHICK et al. 2015; SCHÜTTPELZ 2015; SCHICK/SCHMIDT/ZILLINGER 2022). Sie zeigen, dass die durkheimiens spätestens seit 1900 im Rahmen ihrer kultur- und sakralsoziologischen Forschungen eine genuine Wissenssoziologie betrieben, indem sie den sozialen Ursprüngen der Denkkategorien nachgingen und kulturvergleichende soziologische Analysen der philosophischen Kategorien des Denkens (Substanz, Quantität, Qualität, Zeit, Raum, Person, etc.) zum Zentrum ihrer Arbeiten machten. Auch sie lassen einen höchst eigenständig denkenden und transdisziplinären Mauss zum Vorschein kommen, der nicht nur zentrale Theoreme und Forschungen der Soziologie der Durkheim-Schule initiiert und weiterentwickelt hat, sondern der international sowohl für die damaligen als auch die aktuellen Sozial- und Kulturwissenschaften einen intellektuellen, universal-gelehrten und immer wieder neu zu bergenden Schatz zu bieten hat. Es ist erfreulich, dass in dieser Situation die Einführung von 2006 in Leben, Werk und Wirkung von Marcel Mauss nun in 2. Auflage aufgelegt werden kann. Sie erscheint in leicht überarbeiteter Form. Ich danke herzlich Herbert von Halem und seinem Verlag.
Graz, Oktober 2022
Stephan Moebius
Literatur
BERT, JEAN-FRANÇOIS (2012a): Marcel Mauss, Henri Hubert et la sociologie des religions. Penser et écrire à deux. Paris: La Cause des Livre
BERT, JEAN-FRANÇOIS (2012b): L’Atelier de Marcel Mauss. Un anthropologue paradoxal. Paris: CNRS Éditions
FARACO BENTHIEN, RAFAEL; LABAUNE, CHRISTOPHE; LORRE, CHRISTINE (Hrsg.) (2021): Henri Hubert et Marcel Mauss. Correspondance (1897-1927). Paris: Classiques Garnier
FOURNIER, MARCEL (1994): Marcel Mauss. Paris: Fayard
HEILBRON, JOHAN (2015): French Sociology. Ithaca: Cornell University Press
MAUSS, MARCEL (2006): Mauss’ Werk von ihm selbst dargestellt (ca. 1930). In: STEPHAN MOEBIUS; CHRSITIAN PAPILLOUD (Hrsg.): Gift – Marcel Mauss’ Kulturtheorie der Gabe. Wiesbaden: VS, S. 345-359
MAUSS, MARCEL (2012): Schriften zur Religionssoziologie. Herausgeben von Stephan Moebius, Frithjof Nungesser und Christian Papilloud. Mit einem Nachwort von Stephan Moebius. Frankfurt/M.: Suhrkamp
MAUSS, MARCEL (2013): Handbuch der Ethnographie. Herausgegeben von Iris Därmann und Kirsten Mahlke. München: Fink
MAUSS, MARCEL (2015): Schriften zum Geld. Herausgegeben von Hans Peter Hahn, Mario Schmidt und Emanuel Seitz. Berlin: Suhrkamp
MAUSS, MARCEL (2017): Die Nation oder der Sinn fürs Soziale. Herausgegeben und mit einer Einführung von Jean Terrier und Marcel Fournier. Frankfurt/M., New York: Campus
MAUSS, MARCEL (2022): Soziologie und Anthropologie. 2 Bände. Neu herausgegeben und eingeleitet von Cécile Rol. Reihe Klassiker der Sozialwissenschaften (Klaus Lichtblau/Stephan Moebius). Wiesbaden: VS
MOEBIUS, STEPHAN (2009): Marcel Mauss und Pierre Bourdieu. In: BOIKE REHBEIN; GERHARD FRÖHLICH (Hrsg.): Bourdieu-Handbuch. Stuttgart: Metzler, S. 53-57
MOEBIUS, STEPHAN; NUNGESSER, FRITHJOF (2014): Die deutschsprachige Mauss-Rezeption. In: Trivium, 17|2014, URL: http://journals.openedition.org/trivium/4911; DOI: https://doi.org/10.4000/trivium.4911
SCHICK, JOHANNES; SCHMIDT, MARIO; SCHÜTTPELZ, ERHARD; ZILLINGER, MARTIN (2015): Werkstatt: Unbekannte Monde am Firmament der Vernunft. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaften »Begeisterung und Blasphemie«, Band 9, Nr. 2, 2015. Bielefeld: Transcript, S. 233-259
SCHICK, JOHANNES; SCHMIDT, MARIO; ZILLINGER, MARTIN (Hrsg.) (2022): The Social Origins of Social Thought. Durkheim, Mauss, and the Category Project. New York/Oxford: Berghahn
SCHÜTTPELZ, ERHARD (2015): Das Kategorienprojekt. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Band 9, Nr. 2, 2015, S. 239-242
I. Einleitung
»Wer Mauss verstehen will, muß seine gesamte Gedankenwelt nachvollziehen.« (DUMONT 1991: 209)
»Kaum eine Lehre ist so esoterisch geblieben und kaum eine hat zugleich einen so tiefen Einfluss ausgeübt wie die von Marcel Mauss«, urteilt der Mauss-Schüler Claude Lévi-Strauss. Man könne Mauss nicht lesen, »ohne die ganze Skala der Empfindungen zu durchlaufen, die Malebranche in Erinnerung an seine Descartes-Lektüre so gut beschrieben hat: Unter Herzklopfen, bei brausendem Kopf erfaßt den Geist eine noch undefinierbare, aber unabweisbare Gewißheit, bei einem für die Entwicklung der Wissenschaft entscheidenden Ereignis zugegen zu sein« (LÉVISTRAUSS 1999: 26).
Die hierzulande vielfach festzustellende Unbekanntheit des Mauss’schen Werks steht in einem diametral entgegen gesetzten Verhältnis zu den Wirkungen seines Denkens auf die Sozial- und Geisteswissenschaften. Mauss selbst ist zutiefst von seinem Onkel Émile Durkheim geprägt, dem ersten Inhaber eines sozialwissenschaftlichen Lehrstuhls in Frankreich. Der Neffe ist aber nicht nur einfacher Epigone Durkheims, sondern entwickelt eigenständige Forschungsperspektiven auf das Soziale. Nach Durkheims Tod im Jahre 1917 avanciert er zum führenden Kopf der französischen Soziologie bzw. der ›Durkheim-Schule‹. Darüber hinaus ist Mauss der treibende Motor für die Begründung und Entwicklung der französischen Ethnologie (vgl. PETERMANN 2004: 815).
Mauss sait tout! – Mauss weiß alles, sagt man sich unter den Pariser Studierenden. Er beherrscht über ein Dutzend moderne und alte Sprachen (vgl. LÉVY-BRUHL 1950: 318). »Das Geheimnis seiner Popularität unter uns Hörern und Schülern liegt wahrscheinlich darin, daß bei ihm im Unterschied zu so vielen akademischen Lehrern Erkennen nicht ein von anderen abgetrennter Betätigungsbereich war: Sein Leben war Erkennen geworden und sein Erkennen Leben, deshalb konnte er – jedenfalls auf einige – einen so großen Einfluß ausüben wie ein religiöser Lehrer oder ein Philosoph«, so Louis Dumont (1991: 197), einer von Mauss’ Schülern.
Der Einfluss auf seine Schüler ist seiner großen Gelehrsamkeit sowie der besonderen Aufmerksamkeit, die er für sie aufbringt, geschuldet. Mauss ist kein unnahbarer Professor, den es nach dem Seminar sofort ins abgeschiedene Büro zieht, sondern er trifft sich mit seinen Studierenden, diskutiert mit ihnen, fühlt sich in sie ein und hat für alles und jeden ein offenes Ohr (vgl. LEENHARDT 1951: 23).
»Man ging am Ende einer Unterrichtsstunde zu ihm, und er verließ einen zwei Stunden später am anderen Ende von Paris. Die ganze Zeit über hatte er im Gehen gesprochen, und es war, also ob einem die Geheimnisse ferner Rassen, ein Stück der Archive der Menschheit von einem Kundigen in Form einer einfachen Unterhaltung enthüllt worden wären. Denn er hatte die Welt durchreist, ohne seinen Sessel zu verlassen, sich durch die Bücher mit den Menschen identifizierend. So hörte man von ihm häufig Sätze wie: ich esse… ich verfluche… ich fühle…, und er meinte damit je nachdem: der Melanesier auf der und der Insel ißt, der Maorihäuptling verflucht oder der Puebloindianer fühlt… Wenn Mauss – wie wir zu sagen pflegten – alles wusste, so führte ihn das nicht zu komplizierten Erklärungen.« (DUMONT 1991: 198)
Mauss versteht es, Brücken zwischen sich und den Studierenden, zwischen seinem Onkel und dessen Schülern sowie zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen selbst zu bauen. Er bewegt sich über die Fächergrenzen hinweg und sucht den »totalen Menschen« (SA 2: 203; KARSENTI 1997). Hierzu verknüpft er die Soziologie mit der Psychologie, der Geschichte, der politischen Ökonomie, der Religionswissenschaft, der Philosophie und der Ethnologie. Trotz der ungeheuren Bandbreite seines Wissens und der Vielfalt seines Denkens lässt sich bei ihm eine Einheit entdecken: Seine Schriften kreisen stets um das Soziale, den »homme total« und das »soziale Totalphänomen« (vgl. SA 2: 203; TAROT 2003: 5ff.). »Im Großen und Ganzen habe ich das einzige Ziel des Faches, dem ich mich verschrieben habe, nie aus den Augen verloren: Durch den unmittelbaren und präzisesten Kontakt mit den Tatsachen die Rolle des sozialen Lebens im menschlichen Leben zu zeigen und genau zu bestimmen«, so Mauss (2006a: 358f.) über sich selbst. »Man muss das Unbekannte enthüllen«, pflegt er zu sagen. Bei dieser »Enthüllung« legt er größten Wert auf empirische Forschungen. Nur mit Hilfe empirischer Daten sei die Soziologie zu Fortschritten fähig. Das bedeutet nicht, dass Mauss kein Theoretiker oder ein bloßer Empirist ist. Er ist beides: zugleich Empiriker und Theoretiker, »Rationalist und Empirist« (FOURNIER 1994: 15). Er ist der Meinung, dass jede Theorie einer empirischen Sättigung bedarf: »Ich erkenne selbst dann die höhere Gewissheit der deskriptiven Wissenschaften im Vergleich zu den theoretischen Wissenschaften (im Falle von sehr komplexen Phänomenen) an, wenn ich eine theoretische Wissenschaft praktiziere« (MAUSS 2006a: 345).
Betrachtet man Mauss’ größere Forschungsarbeiten, so fällt auf, dass sie in vielen Fällen und vor allem in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Gemeinschaftsproduktionen sind, sei es, dass er sie mit seinem Onkel, seinem sogenannten ›Arbeitszwilling‹ Henri Hubert, mit Paul Fauconnet oder beispielsweise zusammen mit seinem Schüler Henri Beuchat verfasste (vgl. Abschnitt II).
Mauss versteht sich selbst als ein Teil eines größeren Unternehmens. Nur aufgrund der (übrigens von Durkheim selbst erforschten) Dimensionen kollektiver Kooperation, Arbeitsteilung und Solidarität unter den Mitarbeitern konnte die Position der Durkheim’schen Soziologie als zentrale Disziplin im wissenschaftlichen Feld Frankreichs ausgebaut werden. Die Mitarbeiter Durkheims, speziell Mauss, sind sich dieser Tatsache vollkommen bewusst (vgl. MAUSS 2006a: 346).
Nach dem Krieg, als Durkheim und die meisten seiner Mitarbeiter tot sind, verwendet Mauss seine ganze Zeit und Kraft darauf, ihre Schriften zu publizieren und für die Nachwelt zu erhalten. Er avanciert in der Zwischenkriegszeit zur treibenden Kraft der Soziologie und der Ethnologie. Er baut die Durkheim-Schule aus und konsolidiert sie im wissenschaftlichen Feld (vgl. Abschnitt III). Kaum wahrnehmbar und ohne dem Ansehen Durkheims zu schaden, verändert er sie aber auch von Innen her, indem er beispielsweise einen neuen Dialog mit den Psychologen eröffnet oder 1925 die französische Ethnologie begründet (vgl. FOURNIER 1994: 14f.; BERTHOUD 1996: 14f.; MARCEL 2001: 56).
Die Konsolidierung der Durkheim-Schule geht in der Zwischenkriegszeit mit Veränderungen der Durkheim’schen Soziologie und mit der Entwicklung der Ethnologie einher. 1925 ruft Mauss zusammen mit Paul Rivet und Lucien Lévy-Bruhl das Institut d’ethnologie ins Leben. Spätestens seitdem sind Soziologie und Ethnologie im sozialwissenschaftlichen Feld in Frankreich jahrzehntelang nicht mehr zu trennen.
Was macht diesen Erfolg von Mauss aus? Der Mauss-Experte Pierre Centlivres beantwortet diese Frage folgendermaßen: »Er hat während fast eines halben Jahrhunderts die Sozialwissenschaft in Frankreich beherrscht und stimuliert, weil er die Vorzüge der Vertreter dieser Wissenschaft verkörperte: