Verbildung: Aus dem Alltag einer Schülerin
Von Aja Reeh
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Über dieses E-Book
Sie und ihre Familie erleben eine Schule, welche die kindliche Kreativität hemmt, den Verlust von Neugier und Freude am Lernen hinnimmt und die Kinder häufig unter Druck setzt.
In Tagebuchaufzeichungen notiert Aja Reeh, selbst Lehrerin, diese verstörenden, mitunter geradezu absurden Begebenheiten aus Majas Schulalltag, der mit all seinen Unwägbarkeiten zunehmend auch das Familienleben bestimmt.
Herausgekommen ist ein Buch, das sich wie ein Roman liest: sinnfällig erzählt, bissig und voller Humor.
Ein Buch für alle, die mit der Schule in Berührung kommen:
für Lehrer/innen, die nicht Fächer, sondern Kinder unterrichten wollen,
für Eltern, die ihre Kinder liebevoll durch die Schulzeit begleiten möchten,
und für diejenigen, die es in der Hand haben, die Schule zu einem freudvollen Ort zu machen.
Aja Reeh
Aja Reeh ist Lehrerin und Erzieherin. Sie wuchs in Dresden auf, wo sie bis heute lebt und arbeitet.
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Buchvorschau
Verbildung - Aja Reeh
Mein inniger Dank gilt meiner warmherzigen,
feinfühligen und vertrauensvollen Lektorin
Andrea Stangl, Paderborn.
Keiner der Dialoge und keine der Begebenheiten ist
erfunden. Jede Ähnlichkeit mit realen Personen ist
jedoch rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die Behörden zwingen nämlich die Bürger nicht zu unnötiger Arbeit; denn die Einrichtung dieses Staates hat das eine Hauptziel im Auge, soweit es die dringenden Bedürfnisse des Staates erlauben, den Sklavendienst des Körpers nach Möglichkeit einzuschränken, damit die dadurch gewonnene Zeit auf die freie Ausbildung des Geistes verwendet werden kann.
Darin liegt nämlich nach ihrer Ansicht das Glück des Lebens.
THOMAS MORUS (1478 – 1535) in Utopia
Inhaltsverzeichnis
SONNTAG, 3. APRIL 2016
ERINNERUNGEN
AUGUST 2015
SEPTEMBER 2015
OKTOBER 2015
ERINNERUNGEN
NOVEMBER 2015
DEZEMBER 2015
JANUAR 2016
FEBRUAR 2016
MÄRZ 2016
DIENSTAG, 5. APRIL
FREITAG, 15. APRIL
Dienstag,26. April
DONNERSTAG, 28. APRIL
FREITAG, 29. APRIL
SONNABEND, 30. APRIL
SONNTAG, 1. MAI
DIENSTAG, 3. MAI
MITTWOCH, 4. MAI
SONNABEND, 7. MAI
SONNTAG, 8. MAI
MONTAG, 9. MAI
DIENSTAG, 10. MAI
MITTWOCH, 11. MAI
DONNERSTAG, 12. MAI
FREITAG, 13. MAI
MONTAG, 16. MAI
DIENSTAG, 17. MAI
MITTWOCH, 18. MAI
MONTAG, 23. MAI
ERINNERUNGEN
DIENSTAG, 24. MAI
ERINNERUNGEN
MITTWOCH, 1. JUNI
DONNERSTAG, 2. JUNI
SONNABEND, 4. JUNI
SONNTAG, 5. JUNI
SONNTAG, 12. JUNI
MONTAG, 13. JUNI
DONNERSTAG, 16. JUNI
SONNTAG, 19. JUNI
MITTWOCH, 22. JUNI
FREITAG, 24. JUNI
SONNTAG, 26. JUNI
MONTAG, 4. JULI
SONNTAG, 24. JULI
SONNTAG, 31. JULI
DIENSTAG, 2. AUGUST
SONNTAG, 7. AUGUST
MONTAG, 8. AUGUST
MITTWOCH, 10. AUGUST
FREITAG, 12. AUGUST
SONNTAG, 14. AUGUST
MONTAG, 15. AUGUST
SONNABEND, 20. AUGUST
SONNTAG, 21. AUGUST
MITTWOCH, 24. AUGUST
MONTAG, 29. AUGUST
MITTWOCH, 31. AUGUST
FREITAG, 2. SEPTEMBER
MONTAG, 5. SEPTEMBER
MITTWOCH, 7. SEPTEMBER
MONTAG, 12. SEPTEMBER
FREITAG, 16. SEPTEMBER
SONNABEND, 17. SEPTEMBER
SONNTAG, 18. SEPTEMBER
DIENSTAG, 20. SEPTEMBER
MITTWOCH, 21. SEPTEMBER
DONNERSTAG, 22. SEPTEMBER
FREITAG, 23. SEPTEMBER
SONNABEND, 24. SEPTEMBER
SONNTAG, 25. SEPTEMBER
MONTAG, 26. SEPTEMBER
DONNERSTAG, 29. SEPTEMBER
SONNABEND, 1. OKTOBER
DIENSTAG, 4. OKTOBER
SONNABEND, 15. OKTOBER
SONNTAG, 16. OKTOBER
MONTAG, 17. OKTOBER
DIENSTAG, 18. OKTOBER
MITTWOCH, 19. OKTOBER
SONNTAG, 23. OKTOBER
MONTAG, 24. OKTOBER
MITTWOCH, 26. OKTOBER
DONNERSTAG, 27. OKTOBER
SONNABEND, 29. OKTOBER
MONTAG, 31. OKTOBER
DIENSTAG, 1. NOVEMBER
MITTWOCH, 2. NOVEMBER
SONNTAG, 6. NOVEMBER
MONTAG, 7. NOVEMBER
MITTWOCH, 9. NOVEMBER
FREITAG, 11. NOVEMBER
SONNTAG, 13. NOVEMBER
DIENSTAG, 15. NOVEMBER
MITTWOCH, 16. NOVEMBER
SONNTAG, 20. NOVEMBER
DIENSTAG, 22. NOVEMBER
SONNABEND, 26. NOVEMBER
SONNTAG, 27. NOVEMBER
DIENSTAG, 29. NOVEMBER
DONNERSTAG, 1. DEZEMBER
MITTWOCH, 7. DEZEMBER
MONTAG, 12. DEZEMBER
MITTWOCH, 14. DEZEMBER
FREITAG, 16. DEZEMBER
SONNABEND, 17. DEZEMBER
SONNTAG, 18. DEZEMBER
MONTAG, 19. DEZEMBER
MITTWOCH, 21. DEZEMBER
FREITAG, 23. DEZEMBER
SONNABEND, 24. DEZEMBER
MONTAG, 2. JANUAR
DIENSTAG, 3. JANUAR
MITTWOCH, 4. JANUAR
DONNERSTAG, 5. JANUAR
FREITAG, 6. JANUAR
SONNABEND, 7. JANUAR
SONNTAG, 8. JANUAR
DIENSTAG, 10. JANUAR
MONTAG, 16. JANUAR
MITTWOCH, 18. JANUAR
DONNERSTAG, 19. JANUAR
SONNABEND, 21. JANUAR
SONNTAG, 22. JANUAR
DIENSTAG, 24. JANUAR
DONNERSTAG, 26. JANUAR
FREITAG, 27. JANUAR
SONNABEND, 28. JANUAR
SONNTAG, 29. JANUAR
DONNERSTAG, 2. FEBRUAR
DIENSTAG, 7. FEBRUAR
MITTWOCH, 8. FEBRUAR
FREITAG, 10. FEBRUAR
SONNABEND, 11. FEBRUAR
SONNTAG, 12. FEBRUAR
MITTWOCH, 15. FEBRUAR
DONNERSTAG, 16. FEBRUAR
FREITAG, 17. FEBRUAR
SONNTAG, 19. FEBRUAR
MITTWOCH, 22. FEBRUAR
DONNERSTAG, 23. FEBRUAR
SONNABEND, 25. FEBRUAR
SONNTAG, 26. FEBRUAR
MONTAG, 27. FEBRUAR
DONNERSTAG, 2. MÄRZ
SONNABEND, 4. MÄRZ
SONNTAG, 5. MÄRZ
MONTAG, 6. MÄRZ
DIENSTAG, 7. MÄRZ
DONNERSTAG, 9. MÄRZ
FREITAG, 10. MÄRZ
SONNTAG, 12. MÄRZ
FREITAG, 17. MÄRZ
SONNABEND, 18. MÄRZ
SONNTAG, 19. MÄRZ
MONTAG, 20. MÄRZ
DIENSTAG, 21. MÄRZ
MITTWOCH, 22. MÄRZ
FREITAG, 24. MÄRZ
SONNTAG, 26. MÄRZ
MONTAG, 27. MÄRZ
DIENSTAG, 28. MÄRZ
DONNERSTAG, 30. MÄRZ
FREITAG, 31. MÄRZ
SONNABEND, 1. APRIL
SONNTAG, 2. APRIL
MITTWOCH, 5. APRIL
DONNERSTAG, 6. APRIL
SONNTAG, 9. APRIL
DIENSTAG, 11. APRIL
MITTWOCH, 12. APRIL
SONNTAG, 16. APRIL
SONNTAG, 23. APRIL
MITTWOCH, 26. APRIL
DONNERSTAG, 27. APRIL
SONNTAG, 30. APRIL
MONTAG, 1. MAI
MITTWOCH, 3. MAI
FREITAG, 5. MAI
MONTAG, 8. MAI
DIENSTAG, 9. MAI
MITTWOCH, 10. MAI
DONNERSTAG, 11. MAI
SONNABEND, 13. MAI
DIENSTAG, 16. MAI
MITTWOCH, 17. MAI
SONNTAG, 21. MAI
MONTAG, 22. MAI
MITTWOCH, 24. MAI
FREITAG, 26. MAI
MITTWOCH, 31. MAI
DONNERSTAG, 1. JUNI
FREITAG, 2. JUNI
SONNABEND, 3. JUNI
SONNTAG, 4. JUNI
MONTAG, 5. JUNI
DIENSTAG, 6. JUNI
MITTWOCH, 7. JUNI
DONNERSTAG, 8. JUNI
FREITAG, 9. JUNI
SONNTAG, 11. JUNI
DIENSTAG, 13. JUNI
MITTWOCH, 14. JUNI
FREITAG, 16. JUNI
MONTAG, 19. JUNI
DIENSTAG, 20. JUNI
MITTWOCH, 21. JUNI
DONNERSTAG, 22. JUNI
FREITAG, 23. JUNI
SONNABEND, 24. JUNI
SONNTAG, 25. JUNI
MITTWOCH, 28. JUNI
FREITAG, 30. JUNI
JULI 2017
MONTAG, 31. JULI
SONNABEND, 5. AUGUST
SONNTAG, 6. AUGUST
MONTAG, 7. AUGUST
FREITAG, 11. AUGUST
SONNABEND, 26. AUGUST
DONNERSTAG, 21. SEPTEMBER
MÄRZ 2020
NOVEMBER 2020
Mein Kind ist ein zartes Geschöpf mit großen, grünlich grauen Augen voller Lebendigkeit und langen glatten Haaren in der Farbe reifer Kastanien. Sie liebt es, auf Bäume zu klettern, Treppengeländer herunterzurutschen und barfuß durch die Wellen am Ostseestrand zu rennen. Sie hat seit einigen Tagen eine neue Brille mit einem schmalen, dunkelblauen Rand, ist einen halben Zentimeter größer als ich und sagt, sie möchte Schornsteinfeger werden. Sie ist heute dreizehn Jahre, zwei Monate und 24 Tage alt. Ihr Lieblingsessen ist Eis, und wenn es nach ihr ginge, würde sie überhaupt nicht ins Bett gehen oder wirklich nur dann, wenn sie zugeben müsste, abgrundtief müde zu sein.
Meine Tochter hat zwei ältere Schwestern, die sie sehr liebt, wobei die Zuneigung zur älteren der beiden, Linda, nicht immer feinsinnig ist, während sie Clara auf eine kesse und doch innig zugeneigte Art liebt.
Sie liest und puzzelt gern, kann in altdeutscher Schrift schreiben und hasst Schule.
Mit diesem Satz steht sie morgens auf und schläft sie abends ein: Ich hasse Schule.
Die einen machen es so und die anderen so, pflegt Vater immer zu sagen. Maja zitiert diesen Lieblingssatz ihres Großvaters gern.
Vielleicht aber gibt es ein paar Dinge, die man GANZ ANDERS machen müsste.
Muss.
SONNTAG, 3. APRIL 2016
Ich sammle Erinnerungen – Bilder, Gedanken und Worte. Wann hat es angefangen, dass Maja sich zu dieser inzwischen strapazierten Aussage bekennt – Ich hasse Schule?
ERINNERUNGEN
Bis Maja in der ersten Klasse den Weg zur Schule durch die Gärten und am Feldrain entlang allein bewältigen konnte, begleitete ich sie morgens und oft auch mittags nach dem Unterricht. Selbst an Schneetagen wäre sie am liebsten mit dem Rad gefahren.
Wenn im späten Frühjahr der Raps blühte, sagte Maja immer: »Der Raps stinkt«, worauf ich entgegnete: »Aber nein, er duftet nur streng.«
Auch damals gab es Dinge, die mich beschäftigt und mir Kopfzerbrechen bereitet haben. Aber damals ging Maja gern zur Schule. Noch.
Am ersten Schultag in der fünften Klasse wartete ich mit Maja und vielen anderen Kindern und Eltern auf dem Schulhof des Gymnasiums auf die Klassenlehrer der neuen fünften Klassen. Maja war still und ernst und blickte mir immer wieder in die Augen. Obwohl sie die meisten Mädchen und Jungen um mindestens einen halben Kopf überragte, kam sie mir klein, schutzlos und ein wenig verlassen vor.
Nach einer flüchtigen Umarmung und einem geflüsterten »Bis dann« verließ ich den Schulhof, wissend, dass Maja den Weg in die neue Schule allein gehen musste und auch wollte. Maja würde die Musik-Klasse besuchen, eine Klasse mit mehr Mädchen als Jungen, die alle ein Instrument spielten und auch im Chor mitsingen sollten.
Als Maja nach Hause kam, war sie fröhlich und gelöst und erzählte atemlos von ihrer Banknachbarin Laura, von der Kennenlern-Fahrt in der zweiten Schulwoche und wie nett ihre Klasse sei.
»Und deine Klassenlehrerin, gefällt sie dir auch?«
»Ja, Frau Wolf ist so richtig freundlich, sie hat uns alles genau erklärt und gezeigt«, antwortete sie.
So begann der Alltag in der neuen Schule, zu der ich morgens mit Maja zusammen mit dem Rad fuhr, bis sie sich zutraute, den Weg allein zu radeln. Ihren Lieblingssatz Ich hasse Schule sagte Maja damals noch nicht.
Vielleicht begann es mit dem Fabelwesen, das die Kinder in der Schule zeichnen sollten. Maja kam eines Tages im Spätherbst nach Hause und erzählte davon.
»Wir sollen zu Hause schon mal ein paar Ideen dazu sammeln«, sagte sie und setzte sich sogleich mit Malblock, Bleistiften und Radiergummi an den Küchentisch. Später zeigte sie mir ihre Entwürfe. Was für Wunderwerke waren da unter ihren Händen entstanden! Vogelartige Elfenwesen mit zartem Federkleid, mehrköpfige Drachentiere mit groben Gliedmaßen und langem Schweif, fischartige Gestalten mit Flügeln und Flossen …
Als Maja nach dem nächsten Kunst-Unterricht nach Hause kam und ich mich nach ihrem Fabelwesen erkundigte, verfinsterte sich ihre Miene.
»Ich durfte gar nicht so zeichnen, wie ich wollte, Frau Maler hat gesagt, die drei Köpfe von meinem Fabelwesen sind zu mickrig, wir müssen die zu einem großen zusammenfassen, und dann hat sie einfach aus den drei Köpfen einen gemacht.« Ein wenig ungläubig schaute ich sie an.
»Jetzt ist es ihr Fabelwesen, nicht mehr meins, außerdem ist es jetzt nicht mehr fabelhaft, denn einen Kopf hat schließlich jeder«, sagte Maja.
Vielleicht auch begann es mit der Arbeit in Biologie, für die Maja eines Tages im Winter anfing zu lernen.
»Ich kann mir das einfach nicht merken«, schimpfte sie, und später: »Wozu muss ich überhaupt 14 Körperteile eines Haushuhns kennen?«
Als ich sie am Abend vor der Arbeit abfragen sollte, gab sie mir ein Arbeitsblatt mit einem schematisch abgebildeten Huhn. Maja konnte alle gekennzeichneten Körperteile zuordnen, wusste über Ernährung und Fortpflanzung des Haushuhns Bescheid und konnte natürlich praktische Erfahrungen aus Dörfchenomas Hühnergarten in unseren Lernabend einbringen.
Maja schüttelte den Kopf, als ich sie fragte, ob Frau Wolf auch etwas über Massentierhaltung und Legebatterien gesagt habe.
Ganz sicher fiel Majas Lieblingsausspruch, als sie gegen Ende des Schuljahres für eine Musikarbeit lernen musste.
»Ich kann mir diese ganzen Gitarren-Namen nicht merken!«, sagte sie ein wenig verzweifelt. »Wozu muss ich überhaupt Gitarren-Arten aufzählen können?«
Nach einer Weile meinte sie: »Warum muss ich beschreiben können, wie man eine Gitarre spielt, ich kann doch Gitarre spielen. Außerdem kann ich mir die Namen von diesen fremdländischen Musikinstrumenten nicht einprägen.«
»Dann hör doch jetzt einfach auf zu lernen. Pack deinen Musikhefter ein, du warst so fleißig, es wird morgen schon alles klappen.«
»Und wenn ich morgen nichts weiß und mir diese blöden Namen nicht einfallen?«, zweifelte Maja.
»Dann schreibst du einfach, dass es dir im Moment nicht einfällt, dass du aber weißt, wo es steht.«
Maja lachte, packte ihren Musikhefter in den Ranzen und hopste nur wenige Augenblicke später mit einem Eis in der Hand durch den Garten.
»Weißt du, was ich heute gemacht habe?«, fragte Maja, als sie am nächsten Tag aus der Schule kam. »Ich habe wirklich das geschrieben, was du gesagt hast, die Arbeit war schrecklich schwierig!« Und nach einem kurzen Moment: »Bist du jetzt sauer?«
»Aber nein, ich habe es dir doch selbst vorgeschlagen«, beruhigte ich sie.
Als Maja die Musik-Arbeit mit nach Hause brachte, stand neben Majas Bewertung der Zensurenspiegel der Klasse. Es gab keine 1 und keine 6, aber bei 26 Kindern 14-mal eine 4 oder 5, der Klassendurchschnitt lag bei 3,4.
»War Frau Bachmann denn zufrieden mit dem Ergebnis?«, fragte ich.
»Nein, wir müssen uns unbedingt verbessern und vor allem gründlicher lernen, wenn wir eine Arbeit schreiben, hat sie gesagt. Aber sie hat mir ein Smiley hinter meinen Satz gemalt und etwas dazu geschrieben«, sagte Maja.
Ich weiß es nicht, aber ich weiß, wo es steht, hatte Maja geschrieben. Unter das Smiley hatte Frau Bachmann Das ist toll, aber es hilft dir leider nicht im Test notiert.
Am ersten Schultag in der sechsten Klasse kam Maja mit der Nachricht nach Hause, dass sich nun alles ändern würde.
»Frau Wolf hat gesagt, dass wir jetzt groß sind und es nun richtig losgeht«, verkündete sie.
Das erfuhren wir auch am ersten Elternabend, wo es neben einigen organisatorischen Dingen auch um die beiden Großprojekte in Bio ging – die Waldmappe und das Herbarium. Für die Waldmappe sollte sich jedes Kind einen Baum auswählen und ihn im Lauf der Jahreszeiten beobachten, diese Beobachtungen schriftlich und fotografisch dokumentieren und in einer Mappe zusammenfassen.
»Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte Frau Wolf zu uns, »ich arbeite das ganze Jahr mit den Kindern daran und kontrolliere die Ergebnisse ständig, die Arbeit verteilt sich also auf eine lange Zeit.«
Da unser Hausbaum, eine weitkronige, im Herbst goldbelaubte Birke, nicht in einem Wald steht, beschlossen wir an einem sonnigen Sonnabend Anfang Oktober, in den Cottaer Busch zu fahren. Alle unsere Baumvorschläge lehnte Maja ab, eine Birke wolle sie nicht beobachten, einen Nadelbaum auch nicht, die Kastanie würde nicht im Wald stehen und hätte Minier-Motten, der Ahorn wäre zu klein und die Esche zu gewöhnlich.
Endlich entdeckte sie auf einer Lichtung mitten im Wald eine riesige Rotbuche mit einer ausladenden Krone und einem dicken Stamm, in die sie sich sofort verliebte.
»Ein stattlicher Baum«, meinte Martin.
»Erhaben und äußerst respektabel«, begrüßte ich Majas Wahl.
Bald darauf sollten die ersten Blätter für die Waldmappe bei Frau Wolf abgegeben werden, die Seite über das Waldgebiet und der Steckbrief des gewählten Baumes. Da der Cottaer Busch nicht unbedingt zu den bekannten Wäldern gehört, suchten wir Karten in verschiedenen Maßstäben und kopierten sie. Als wir feststellten, dass ein Blatt viel zu klein für die Karten und den Text sein würde, schlug ich Maja vor, doch zwei Blätter zu nehmen.
»Das dürfen wir nicht«, lehnte Maja meinen Vorschlag ab, »Frau Wolf hat gesagt, wir müssen uns genau an die Vorgaben halten!« So schnitten wir an den kopierten Karten herum, versuchten verschiedene Anordnungen, verkleinerten die Schrift ein wenig und schafften es am Ende tatsächlich, alles auf ein Blatt zu bekommen.
»Na, war Frau Wolf mit deinen ersten Blättern für die Waldmappe zufrieden?«, fragte ich Maja, als sie einige Tage später die Mappe auf den Tisch legte.
»Nicht besonders«, antwortete Maja und schlug ihren Hefter auf. Eine Wellenlinie war an der rechten Seite des Blattes über das Waldgebiet zu sehen, daneben stand ein einziges Wort: Rand!
Maja war natürlich nicht damit einverstanden, die Bemerkung und die Wellenlinie einfach wegzuradieren. Auch die säuberlich aufgeklebten Kopien ließen sich nicht ohne Knitter und Risse vom Papier lösen.
»Dann müssen wir wohl oder übel mit der ganzen Arbeit von vorn beginnen«, sagte ich. Maja nickte seufzend.
Als Maja mit der Arbeit an den Tier-Steckbriefen und den Blättern zu den Jahreszeiten begann, zeigte sie mir die vorgegebene Gliederung für die Waldmappe. Einige Gliederungspunkte hatten nur einen Unterpunkt, was in schriftlichen Arbeiten weder inhaltlich noch formal gerechtfertigt ist. Lange überlegten Martin und ich, ob wir Frau Wolf darauf hinweisen sollten, und entschieden uns im Hinblick auf all die Arbeiten, die die Kinder während der Schulzeit und des Studiums noch schreiben würden, dafür.
Nach der nächsten Bio-Stunde fragte ich Maja, ob Frau Wolf die Gliederung für die Waldmappe noch einmal mit der Klasse besprochen habe.
»Ach, sie hat nur gesagt, wir lassen die Gliederung so, wir sind doch keine Wissenschaftler«, antwortete sie.
Der Wintertag, an dem wir wieder zu Majas Baum wanderten, war schneebleich und frostig. Unter der Buche, die uns, nun fast laublos, die verzweigte Gestalt ihrer Krone offenbarte, tranken wir Glühwein und Kinderpunsch und knabberten Zimtplätzchen, während uns die vollkommene Stille des Winterwaldes umfing. Die Sonne sank schon in die Wipfel der Bäume, als wir durch den Schnee zurückstiefelten.
Als wir an einem sonnigen Sonntag Ende April wieder in den Cottaer Busch zogen, um das Gedeihen der Buche im Frühjahr zu dokumentieren, bemerkten wir schon von Weitem eine Veränderung auf der Waldlichtung, die im ersten Moment ungewöhnlich licht und weit wirkte, bis Maja mit entsetztem Gesicht stehen blieb, entgeistert sagte: »Mein Baum ist weg«, und in Tränen ausbrach.
Es gab einfach kein Argument, das Maja trösten konnte, sie war der Überzeugung, dass alle Arbeit umsonst gewesen ist, weil sie ja nun nichts über ihren Baum im Frühling schreiben könne.
»Frau Wolf bringt mich um, und ich muss die sechste Klasse wiederholen«, schniefte Maja. Dann war sie doch einverstanden, den Baumstumpf, das im Wald gestapelte Buchenholz und die Buchensprösslinge und -bäumchen auf der Lichtung zu fotografieren.
»Das ist der Gang der Dinge«, sagte ich.
»Es ist wirklich unglaublich, da steht der Wald voller Bäume, und ausgerechnet unser Baum wird gefällt«, meinte Martin.
An dem Tag, an dem Maja die Waldmappe bei Frau Wolf abgeben musste, fuhr sie ein wenig verzagt und ziemlich unruhig zur Schule.
»Na, hat Frau Wolf dich umgebracht?«, fragte ich Maja, als sie am Nachmittag aus der Schule kam. Da musste selbst Maja lachen.
»Nein, nein, sie hat gesagt, das ist der Gang der Dinge und eigentlich eine großartige Geschichte, denn so etwas hat es noch nie in einer Waldmappe gegeben.«
Jetzt lächelte ich.
Nur wenige Tage später begann Maja mit der nächsten großen Hausaufgabe in Biologie, dem Herbarium. Auf dem Blatt mit der Anleitung für das Herbarium war genau aufgelistet, wie viele Pflanzen welcher Familien zu sammeln waren und wie die Beschriftung aussehen sollte.
Mit meinem Naturführer, einem alten Buch, Zeitungsbögen und Schreibzeug im Gepäck fuhren wir an einem windigwarmen Sonnabend auf die Frühlingswiesen im Osterzgebirge. Als wir Rotklee, Wiesenschaumkraut und Löwenzahn gefunden und gepflückt hatten, sagte Maja plötzlich: »Wir müssen doch die Wurzeln mit pressen.«
»Die Wurzeln?«, fragte Martin skeptisch.
Also suchten wir neue Pflanzen, die wir versuchten auszugraben, was wegen der Trockenheit recht schwierig war, probierten das Pressen der Pflanzen mit den Wurzeln, was wegen der Dicke und Größe überhaupt nicht ging, und kamen schließlich auf die Idee, die Wurzeln mit dem Taschenmesser längs zu halbieren, auch das ein ziemlich kompliziertes Unterfangen.
Im Osterzgebirge gibt es naturbelassene Wiesen von seltener Vielfalt, fernab der allgemein bekannten und begangenen Wanderwege, inmitten der Steinrücken, kleiner Waldgebiete und beschaulicher Dörfer. Während Maja an jenem Sonnabend barfuß über die blühenden Wiesen lief und immer wieder neugierig nach den Namen verschiedener Wildkräuter und Blumen fragte, erzählte ich ihr von dem Herbarium aus meiner Schulzeit, für das ich einen Karton gebraucht hatte, weil die über 80 gesammelten und gepressten Pflanzen nicht in einen Hefter gepasst hatten.
»So viele Pflanzen würde ich auch gern sammeln«, sagte sie mit einem verträumten Blick über die blumenbunten Wiesen.
»Aber das könntest du doch machen«, antwortete ich, »was meinst du, wie viele Pflanzen ich damals durch mein Herbarium kennen gelernt habe.«
»Nein, das dürfen wir nicht!«, rief Maja, »Frau Wolf hat gesagt, wir müssen uns genau an die festgelegte Anzahl halten, sonst gibt es Punktabzug.«
Einige Wochen später kontrollierte Maja ihre gepressten Pflanzen, die inzwischen getrocknet waren und nun aufgeklebt und beschriftet werden mussten. Auf dem Aufgabenblatt für das Herbarium waren für die Beschriftung sechs Unterpunkte vorgegeben: Pflanzenart, Pflanzenfamilie, Standort, Fundort, Sammeldatum und Name des Sammlers.
»Den lateinischen Namen der Pflanze müsstest du auch mit notieren, denn viele Pflanzen haben verschiedene deutsche Namen«, riet ich Maja. »Das Gänseblümchen heißt beispielsweise auch Maßliebchen. Durch den lateinischen Namen Bellis perennis weiß man genau, welche Pflanze zu sehen ist.«
»Das dürfen wir nicht«, sagte Maja, »Frau Wolf hat gesagt, wir sollen uns genau an die Aufgaben halten.«
Eines Abends in jenem Frühjahr sagte Maja:
»Heute muss ich noch ein Interview mit euch machen, wir müssen in Englisch ein Plakat über die musikalischen Interessen unserer Familie gestalten.«
Als sie wenige Tage später Martin ihr fertiges Konzept zeigte, fragte er: »Sollt ihr darüber einen Aufsatz schreiben, oder wird es eher ein Vortrag?«
»Wir müssen einen Vortrag halten und ein Plakat im Format A2 mit Bildern und dem Text gestalten. Hast du so ein großes Blatt, Mama?«
Natürlich hatte ich kein A2-Blatt vorrätig, so dass ich Maja auf den nächsten Abend vertrösten musste.
Familienhausaufgaben.
Während Martin mit Maja noch einmal den Text am PC durchging, schrieb ich die Überschrift My family’s interest in music vor und suchte in alten Programmheften