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White Fang: Wolfsblut
White Fang: Wolfsblut
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eBook330 Seiten4 Stunden

White Fang: Wolfsblut

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Über dieses E-Book

Ein breit angelegter Erlebnisroman, in dem ein Wolfsjunges durch "Zufälle" an Menschen gerät und dort durch eine harte Schule geht. Gepaart mit stark gezeichneten Charakteren wird durch die in den Text integrierten Illustrationen eine vollendete Romanwelt gezeigt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum25. Aug. 2023
ISBN9783347927605
White Fang: Wolfsblut
Autor

Jack London

Jack London (1876-1916) was an American novelist and journalist. Born in San Francisco to Florence Wellman, a spiritualist, and William Chaney, an astrologer, London was raised by his mother and her husband, John London, in Oakland. An intelligent boy, Jack went on to study at the University of California, Berkeley before leaving school to join the Klondike Gold Rush. His experiences in the Klondike—hard labor, life in a hostile environment, and bouts of scurvy—both shaped his sociopolitical outlook and served as powerful material for such works as “To Build a Fire” (1902), The Call of the Wild (1903), and White Fang (1906). When he returned to Oakland, London embarked on a career as a professional writer, finding success with novels and short fiction. In 1904, London worked as a war correspondent covering the Russo-Japanese War and was arrested several times by Japanese authorities. Upon returning to California, he joined the famous Bohemian Club, befriending such members as Ambrose Bierce and John Muir. London married Charmian Kittredge in 1905, the same year he purchased the thousand-acre Beauty Ranch in Sonoma County, California. London, who suffered from numerous illnesses throughout his life, died on his ranch at the age of 40. A lifelong advocate for socialism and animal rights, London is recognized as a pioneer of science fiction and an important figure in twentieth century American literature.

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    Buchvorschau

    White Fang - Jack London

    White Fang

    TEIL 1: DIE WILDNIS

    KAPITEL I: DER WEG DES FLEISCHES

    DUNKLE Fichtenwälder blickten finster auf beide Seiten der zugefrorenen Wasserstraße hinab. Vor Kurzem hatte der Wind den Bäumen ihre weiße Frostschicht genommen, und im schwindenden Licht schienen sie sich schwarz und bedrohlich aneinander zu lehnen. Eine große Stille herrschte über dem Land. Das Land selbst war eine leblose Öde, ohne Bewegung, so einsam und kalt, dass es nicht einmal von Wehmut erfüllt war. Es gab zwar einen Hauch von Daseinsfreude, aber diese war von einem Frohsinn erfüllt, der schrecklicher war als jede Traurigkeit, ein Frohsinn, der so freudlos war wie das Lächeln der Sphinx, eine Freude, die eisig wie der Frost war und welche die Grimmigkeit der Unfehlbarkeit hatte. Es war die meisterliche und unbeschreibbare Weisheit der Ewigkeit, die über die Sinnlosigkeit und Anstrengung des Lebens lachte. Es war die Wildnis, die grausame, eisige Wildnis des Nordlands.

    Doch da draußen im Land gab es Leben, und es war trotzig. Auf der gefrorenen Wasserstraße schuftete eine Reihe von wolfsähnlichen Hunden. Ihr borstiges Fell war mit Frost überzogen. Wenn ihr Atem das Maul verließ, gefror er in der Luft und strömte in Dunstschwaden aus, welche sich auf ihren Körperhaaren niederließen und zu Frostkristallen formten. Die Hunde waren mit einem Ledergeschirr ausgestattet und mit Ledergurten an einem Schlitten befestigt, welchen sie hinter sich herzogen. Der Schlitten war ohne Kufen. Er war aus dicker Birkenrinde gefertigt und lag mit seiner gesamten Oberfläche auf dem Schnee. Sein vorderes Ende war wie eine Schnecke nach oben gebogen, um den weichen Schnee, der sich wie eine Welle vor ihm auftürmte, nach unten und so unter das Fahrzeug zu drücken. Auf dem Schlitten befand sich, fest verzurrt, eine längliche, schmale, Kiste. Auf dem Schlitten befanden sich noch andere Dinge wie Decken, eine Axt, eine Kaffeekanne und eine Bratpfanne, aber die lange, schmale Kiste stand im Vordergrund und nahm den größten Teil des Platzes ein.

    Auf breiten Schneeschuhen mühte sich vor den Hunden ein Mann ab. Am hinteren Ende des Schlittens schuftete ein zweiter Mann. Auf dem Schlitten, in der Kiste aber lag ein dritter Mann, dessen Mühen nun für immer beendet war, ein Mann, den die Wildnis besiegt und niedergeschlagen hatte, bis er sich nicht mehr bewegen und nicht mehr kämpfen konnte. Es ist nämlich nicht die Art der Wildnis, Bewegung zu mögen. Das Leben ist ihr ein Ärgernis, denn Leben ist Bewegung, und die Wildnis ist immer bestrebt, Bewegung zu unterbinden. Sie lässt das Wasser gefrieren, um zu verhindern, dass es ins Meer fließt; sie treibt den Saft aus den Bäumen, bis sie in ihren mächtigen Herzen gefroren sind; jedoch am grausamsten und schrecklichsten bedrängt und zermalmt die Wildnis den Menschen, der das ruheloseste Leben darstellt, immer in Aufruhr gegen das Gesetz, dass alle Entwicklung am Ende doch zum Stillstand der Bewegung führen muss.

    Aber unbeirrt und unbezwingbar schufteten vor und hinter dem Schlitten die beiden Männer, welche noch nicht tot waren. Ihre Körper waren mit Pelz und weich gegerbtem Leder verhüllt. Wimpern, Wangen und Lippen waren jedoch so mit den Kristallen ihres gefrorenen Atems überzogen, dass ihre Gesichter nicht mehr zu erkennen waren. Dadurch wirkten sie wie Gespenstermasken, wie Bestatter in einer Geisterwelt bei der Beerdigung eines Geistes. Aber unter all dem waren sie Männer, die in das Land der Trostlosigkeit, des Hohnes und der Stille eindrangen, mitleiderregende Abenteurer, die auf ein kolossales Wagnis aus waren und sich der Macht einer Welt entgegenstellten, die so fern, fremd und pulslos war wie die Abgründe des Weltraums.

    Wortlos zogen sie weiter und sparten ihren Atem für ihre körperliche Arbeit. Ihre Umgebung war von einem Schweigen bestimmt, das sie mit spürbarer Präsenz bedrängte. Diese wirkte auf ihren Geist wie die vielen Atmosphären Druckes in tiefem Wasser auf den Körper des Tauchers. Sie erdrückte die beiden mit dem Gewicht der unendlichen Weite und des unabänderlichen Schicksals. Es drückte sie in die entlegensten Winkel ihres eigenen Verstandes und presste ihnen, wie den Saft aus den Trauben, all den falschen Eifer, die Überheblichkeit und die unangemessene Arroganz der menschlichen Seele heraus, bis sie sich selbst als endlich und klein empfanden, als Punkte und Staubkörnchen, die sich mit geringer List und wenig Weisheit inmitten des Spiels und der Wechselwirkung der großen blinden Elemente und Kräfte bewegen.

    Eine Stunde verging, und eine zweite Stunde. Das fahle Licht des kurzen, sonnenlosen Tages begann zu verblassen, als sich ein schwaches, fernes Heulen in der stillen Luft erhob. Der Ruf stieg schnell empor, bis er seinen höchsten Ton erreicht hatte, wo er mit zitternder Spannung verharrte, um dann langsam zu verklingen. Es hätte das Wehklagen einer verlorenen Seele sein können, wäre es nicht mit einer gewissen traurigen Heftigkeit und hungrigen Begierde verbunden gewesen. Der vordere Mann drehte den Kopf, bis seine Augen die des hinteren Mannes trafen. Und dann nickten sich beide über die schmale, lange Kiste hinweg zu.

    Ein zweites Heulen ertönte, das die Stille mit nadelartiger Schrillheit durchbrach. Beide Männer lokalisierten das Geräusch. Es kam von hinten, irgendwo aus der Schneefläche, welche sie gerade durchquert hatten. Ein dritter und antwortender Ruf ertönte, ebenfalls von hinten und links vom zweiten Geheul.

    Sie sind hinter uns her, Bill, sagte der vorn arbeitende Mann.

    Seine Stimme klang heiser und unwirklich, und er hatte mit offensichtlicher Anstrengung gesprochen.

    Fleisch ist knapp, antwortete sein Kamerad. Ich habe seit Tagen keine Kaninchenspuren mehr gesehen.

    Daraufhin redeten sie nicht mehr, obwohl sie aufmerksam auf die Jagdrufe achteten, die immer wieder hinter ihnen erklangen.

    Bei Einbruch der Dunkelheit trieben sie die Hunde zu einer am Rande der Wasserstraße befindlichen Fichtengruppe und schlugen ein Lager auf. Der Sarg an einer Seite des Feuers diente als Sitz und Tisch. Die Schlittenhunde, die sich auf der anderen Seite des Feuers versammelt hatten, knurrten und zankten miteinander, zeigten aber keine Neigung, sich in die Dunkelheit zu entfernen.

    Will mir scheinen, Henry, dass sie auffallend nahe am Lager bleiben, kommentierte Bill.

    Henry, der am Feuer hockte und die Kaffeekanne mit einem Stück Eis füllte, nickte. Er sprach erst wieder, als er auf dem Sarg Platz genommen und zu essen begonnen hatte.

    Sie wissen, wo sie sicher sind, sagte er. Lieber fressen sie, als dass sie selber gefressen werden. Sie sind ziemlich klug, diese Hunde.

    Bill schüttelte den Kopf. Ach, ich weiß ja nicht.

    Sein Kamerad sah ihn neugierig an. Das ist ja jetzt das erste Mal, dass ich von dir höre, dass sie nicht schlau sind.

    Henry, sagte der andere und mampfte bedächtig die Bohnen, welche er gerade zu sich nahm, hast du zufällig bemerkt, wie die Hunde hochgeschossen sind, als ich sie gefüttert habe?

    Sie haben mehr als üblich gerauft, räumte Henry ein.

    Wie viele Hunde haben wir denn, Henry?

    Sechs.

    Nun, Henry … Bill hielt einen Moment inne, um seinen Worten mehr Bedeutung zu verleihen. Wie ich schon sagte, Henry, wir haben sechs Hunde. Ich hab' sechs Fische aus dem Sack genommen. Ich hab' jedem Hund 'nen Fisch gegeben, und, Henry, ich hatte 'nen Fisch zu wenig.

    Du hast falsch gezählt!

    Wir haben sechs Hunde, wiederholte der andere leidenschaftslos. Ich habe sechs Fische herausgenommen. One Ear¹ hat keinen Fisch bekommen. Ich bin dann zum Beutel zurück und hab' ihm seinen Fisch geholt.

    Wir haben nur sechs Hunde, sagte Henry.

    Henry, fuhr Bill fort, ich will damit nicht sagen, dass es alles Hunde waren, aber sieben Tiere hatten Fisch.

    Henry hörte auf zu essen, schaute über das Feuer und zählte die Hunde.

    Es sind nur noch sechs, sagte er.

    Ich hab' den siebten übern Schnee weglaufen sehen, verkündete Bill mit gelassenem Optimismus. Ich hab' sieben gesehen.

    Sein Kamerad sah ihn mitfühlend an und sagte: Ich werd heilfroh sein, wenn diese Reise vorbei ist.

    Was meinst du damit, wollte Bill wissen.

    Ich meine, dass dir diese Belastung auf die Nerven geht und dass du anfängst, Dinge zu sehen.

    So hab' ich auch erst gedacht, antwortete Bill düster. Und als ich ihn dann durch den Schnee weglaufen sah, schaute ich nach und sah seine Spuren. Dann habe ich die Hunde gezählt, und 's waren noch sechs da. Die Spuren sind im Schnee. Magst sie ansehen? Ich zeig' sie dir.

    Henry antwortete nicht, sondern kaute schweigend weiter, bis er die Mahlzeit beendete und mit einer letzten Tasse Kaffee abschloss. Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und sagte:

    Dann denkst du also, es war …

    Ein langer, tief trauriger Ruf, der von irgendwoher aus der Dunkelheit kam, unterbrach ihn. Er hielt inne, um zuzuhören, dann beendete er seinen Satz mit einer Handbewegung in Richtung des Heulens: - einer von ihnen?

    Bill nickte. Das würd' ich eher glauben als alles andere. Du hast doch selbst bemerkt, was für 'nen Aufruhr die Hunde gemacht haben.

    Ein Heulen nach dem anderen und zugehörige Antwortrufe verwandelten die Stille in einen Tumult. Von allen Seiten ertönten die Rufe, und selbst die Hunde verrieten ihre Angst, indem sie sich zusammenkauerten und so dicht am Feuer standen, dass ihre Haare von der Hitze versengt wurden. Bill warf noch mehr Holz nach, bevor er seine Pfeife anzündete.

    Ich schätz' mal, du hast da was falsch verstanden, sagte Henry.

    Henry … Er nuckelte eine Zeit lang nachdenklich an seiner Pfeife, bevor er fortfuhr. Henry, ich hab mir gerade gedacht, dass er da unten viel mehr Glück hat, als du und ich es je haben werden.

    Mit dem abwärts gerichteten Daumen deutete er auf die dritte Person in der Kiste, auf der sie saßen.

    Henry, wenn du und ich einmal sterben, können wir froh sein, wenn wir genügend Steine über unseren Kadavern haben, um die Hunde von uns fernzuhalten.

    Aber wir haben weder Leute noch Geld und alles, so wie er da, erwiderte Henry. 'ne Überführung über 'ne weite Entfernung ist was, das wir uns nicht wirklich leisten können.

    Was mich wundert, Henry, ist, warum ein Kerl wie er, der in seinem eigenen Land ein Lord oder so etwas ist und sich nie um Essen oder Decken kümmern musste, sich am gottverlassenen Ende der Welt herumtreibt - das versteh' ich einfach nicht so recht.

    Er hätt' vielleicht 'n hohes Alter erreicht, wäre er zu Haus geblieben, stimmte Henry zu.

    Bill öffnete den Mund, um zu sprechen, überlegte es sich dann aber anders. Stattdessen deutete er auf die dunkle Wand, die sich von allen Seiten um sie herum ausbreitete. In der völligen Schwärze war keine wirkliche Form erkennbar, nur ein wie glühende Kohlen schimmerndes Augenpaar war zu sehen. Henry deutete mit seinem Kopf auf ein zweites und ein drittes Paar. Ein Kreis von leuchtenden Augen hatte sich um ihr Lager gezogen. Hin und wieder bewegte sich ein Augenpaar oder verschwand, um einen Moment später wieder zu erscheinen.

    Das Unbehagen der Hunde hatte zugenommen, und in einem Anfall von plötzlicher Angst stürmten sie auf die nahe Seite des Feuers zu und krochen um die Beine der Männer. In dem Gedränge war einer der Hunde am Rande des Feuers umgefallen und hatte vor Schmerz und Schrecken aufgejault, als der Geruch seines versengten Fells in der Luft lag. Durch diese Aufregung wurde der Augenkreis für einen Moment unruhig und zog sich sogar ein wenig zurück, aber er beruhigte sich wieder, als die Hunde ruhig wurden.

    Henry, es ist wirklich mal 'n großes Pech, dass wir keine Munition mehr haben.

    Bill hatte seine Pfeife zu Ende geraucht und half seinem Gefährten, das Bett aus Fellen und Decken auf den Fichtenzweigen auszubreiten, die er vor dem Abendessen über den Schnee gelegt hatte. Henry grunzte und begann, seine Mokassins aufzuschnüren.

    Wie viele Patronen, sagtest du, haben wir noch?, fragte er.

    Drei, kam die Antwort. Und ich wünscht', 's wären dreihundert. Dann würd' ich ihnen schon zeigen, wozu, verdammt!

    Er schüttelte wütend die Faust gegen die leuchtenden Augen und begann, seine Mokassins sicher vor dem Feuer aufzustellen.

    Und ich wünscht' mir, dass diese Kältewelle aufhört, fuhr er fort. Seit zwei Wochen sind es fünfzig Grad minus. Und ich wünscht' auch, ich hätt' diese Reise nie begonnen, Henry. Mir gefällt das alles nicht. Ich fühl' mich irgendwie nicht wohl. Und wenn ich schon dabei bin, wünscht' ich, die Reise wäre zu Ende und du und ich säßen jetzt in Fort McGurry am Feuer und spielten Cribbage², ja, das würd' ich mir wünschen.

    Henry grunzte und kroch ins Bett. Als er gerade eingenickt war, wurde er von der Stimme seines Kameraden wieder aufgeweckt.

    Sag mal, Henry, der andere, der reinkam und einen Fisch bekommen hat - warum haben sich die Hunde nicht auf ihn gestürzt? Das ists, was mich beunruhigt.

    Du machst dir zu viele Gedanken, Bill, kam die schläfrige Antwort. Du warst noch nie so. Sei jetzt einfach still und schlaf, dann gehts dir morgen früh wieder gut. Du hast 'nen sauren Magen, das ists, was dir zu schaffen macht.

    Schwer atmend schliefen die Männer Seite an Seite unter der einen Decke. Das Feuer erlosch, und die leuchtenden Augen zogen den Kreis enger, den sie um das Lager geschlagen hatten. Die Hunde drängten sich ängstlich zusammen und knurrten hin und wieder bedrohlich, wenn sich ein Augenpaar näherte. Einmal wurde ihr Getöse so laut, dass Bill aufwachte. Vorsichtig stieg er aus dem Bett, um den Schlaf seines Kameraden nicht zu stören, und warf mehr Holz auf das Feuer. Als es zu lodern begann, zog sich der Kreis der Augen weiter zurück. Er warf einen beiläufigen Blick auf die kauernden Hunde. Er rieb sich die Augen und sah sie schärfer an. Dann kroch er zurück in die Decken.

    Henry, sagte er. Oh, Henry.

    Henry ächzte, als er aus dem Schlaf erwachte, und fragte: Was ist denn jetzt schon wieder los?

    Nichts, kam die Antwort, nur, dass es wieder sieben Stück sind. Ich hab sie einfach nur gezählt.

    Henry quittierte den Erhalt der Information mit einem Grunzen, das in ein Schnarchen überging, als er wieder in den Schlaf sank.

    Am Morgen war es Henry, der als Erster erwachte und seinen Begleiter aus dem Bett scheuchte. Obwohl es bereits sechs Uhr war, dauerte es noch drei Stunden, bis es hell wurde. In der Dunkelheit machte sich Henry daran, das Frühstück herzurichten, während Bill die Decken zusammenrollte und den Schlitten zum Festzurren vorbereitete.

    Sag mal, Henry, fragte er plötzlich, wie viele Hunde, hast du gesagt, hätten wir?

    Sechs.

    Falsch, verkündete Bill triumphierend.

    Wieder sieben?, riet Henry.

    Nein, fünf; einer ist weg.

    Zum Teufel!, rief Henry zornig und verließ den Kochplatz, um die Hunde zu zählen.

    Du hast recht, Bill, stellte er fest." Fatty³ ist verschwunden.

    Und er rannte wie ein geölter Blitz, sobald er abhaute. Hätt' ihn vor lauter Rauch nicht sehen können.

    Überhaupt keine Chance, folgerte Henry. Sie haben ihn einfach lebendig aufgefressen. Ich wette, er hat gejault, als er in ihren Kehlen verschwand, verdammt!

    Er war schon immer ein dummer Hund, sagte Bill.

    Aber kein dummer Hund sollte so närrisch sein, auf diese Weise loszuziehen und Selbstmord zu begehen. Er betrachtete den Rest des Teams mit einem prüfenden Blick, der augenblicklich die hervorstechenden Eigenschaften eines jeden Tieres zusammenfasste. Ich wette, keiner der anderen würde es tun.

    Man hätt' sie nicht mal mit 'nem Knüppel vom Feuer vertreiben können, stimmte Bill zu. Ich habe sowieso immer gedacht, dass mit Fatty 'was nicht stimmt.

    Und so lautete das Epitaph eines toten Hundes auf dem NordlandTrail - weniger dürftig als die Grabinschrift manch anderer Hunde, manch eines Menschen.

    ¹ One Ear: zu Deutsch: Einohr. (D. Ü.)

    ² Cribbage: ist ein Kartenspiel für zwei Spieler (es gibt auch Varianten für drei und vier Spieler). Gespielt wird mit einem 52-Karten-Pokerblatt. Außerdem benötigt man ein Cribbage-Brett, auf dem jeder Spieler mit Hilfe zweier Stifte seine Punkte zählt. (W)

    ³ Fatty: zu Deutsch Fetti. (D. Ü.)

    KAPITEL II: DIE WÖLFIN

    Nachdem sie gefrühstückt und die karge Lagerausrüstung am Schlitten festgezurrt hatten, kehrten die Männer dem angenehmen Feuer den Rücken und machten sich auf den Weg in die Dunkelheit. Sofort erhoben sich die Rufe, grimme, traurige Laute, die einander durch Dunkelheit und Kälte riefen und beantwortet wurden. Die Kommunikation verstummte. Gegen neun Uhr dämmerte der Tag herauf. Um die Mittagszeit erwärmte sich der Himmel im Süden zu einer rosafarbenen Nuance und markierte die Stelle, an der die Erdwölbung zwischen der Sonne auf ihrer Mittagshöhe und der nördlichen Welt lag. Doch diese Rosenfarbe verblasste rasch. Das graue Tageslicht, welches übrig blieb, dauerte bis etwa drei Uhr, als auch dieses verblasste und sich der Schleier der arktischen Nacht über das einsame und stille Land senkte.

    Als die Dunkelheit hereinbrach, näherten sich die Jagdrufe von rechts, links und hinten so sehr, dass sie mehr als einmal eine Woge des Schreckens durch die sich abmühenden Hunde jagten und sie in kurzzeitige Panik versetzten.

    Nach einem solchen Panikausbruch, als er und Henry die Hunde wieder in die Spur gebracht hatten, sagte Bill:

    Ich wünscht', sie würden irgendwo auf 'n Wild stoßen, verschwinden und uns in Ruh' lassen.

    Die gehn einem ganz schön auf die Nerven, meinte Henry mitfühlend.

    Bis sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, wechselten sie kein Wort mehr.

    Henry bückte sich gerade und füllte noch etwas Eis in den blubbernden Bohnentopf, als er durch das Geräusch eines Schlages, einen Ausruf von Bill und einen scharfen, knurrenden Schmerzensschrei aus dem Kreis der Hunde aufgeschreckt wurde. Er richtete sich rechtzeitig auf, um zu sehen, wie eine schemenhafte Gestalt durch den Schnee in den Schutz der Dunkelheit verschwand. Dann sah er Bill inmitten der Hunde stehen, halb triumphierend, halb mit gesenktem Kopf, in der einen Hand einen dicken Knüppel, in der anderen den Schwanz und einen Teil des Körpers eines luftgetrockneten Lachses.

    Er hat die Hälfte erbeutet, verkündete er, aber ich hab' ihn trotzdem erwischt. Hörst' ihn heulen?

    Wie sah er denn aus?, fragte Henry.

    Konnt' ich nicht sehen. Aber er hatt' vier Beine, 'n Maul, Haare und sah aus wie jeder beliebige Hund.

    Schätz' mal, 's war 'n zahmer Wolf.

    Er ist verdammt zahm, was auch immer er ist, wenn er zur Fütterungszeit herkommt und sich 'n Batzen Fisch holt.

    Als an diesem Abend das Essen beendet war, sie auf der länglichen Kiste saßen und an ihren Pfeifen zogen, rückte der Kreis der leuchtenden Augen noch näher heran als bisher.

    Ich wünscht' mir, sie würden 'n paar Elche auftreiben, fortgehn und uns in Ruhe lassen, sagte Bill.

    Henry grunzte nicht gerade mitfühlend, und eine Viertelstunde lang saßen sie schweigend da, Henry starrte auf das Feuer und Bill auf den Kreis von Augen, die in der Dunkelheit jenseits des Feuerscheins glühten.

    Ich wünscht', wir würden jetzt in McGurry einfahren, begann er wieder.

    Hör jetzt endlich auf, zu wünschen und zu jammern, platzte Henry schließlich wütend heraus. Du hast 'n sauren Magen. Das ists, was dir zu schaffen macht. Schluck nur 'nen Löffel Natron, und du wirst verträglich und 'ne angenehmere Gesellschaft sein.

    Am Morgen wurde Henry durch eine inbrünstige Lästerung geweckt, die aus Bills Mund kam. Henry stützte sich auf einen Ellbogen und sah seinen Kameraden zwischen den Hunden neben dem nachgefüllten Feuer stehen, die Arme vorwurfsvoll erhoben, das Gesicht von Leidenschaft verzerrt.

    Holla!, rief Henry. Was gibts denn jetzt?

    Frog⁴ ist weg, ertönte die Antwort.

    Nein!

    Ich sag dir, doch.

    Henry sprang aus den Decken und zu den Hunden. Er zählte sie sorgfältig und schloss sich dann seinem Partner an, um die Kräfte der Wildnis zu verfluchen, die ihnen einen weiteren Hund geraubt hatten.

    Frog war der stärkste Hund des Gespanns, stellte Bill abschließend fest.

    Und er war auch kein dummer Hund, fügte Henry hinzu. Und so wurde innerhalb zweier Tagen bereits die zweite Grabinschrift verfasst.

    Es wurde ein trostloses Frühstück eingenommen, und die vier verbliebenen Hunde vor den Schlitten geschirrt. Der Tag war eine Wiederholung der vorangegangenen Tage. Wortlos schleppten sich die Männer durch die eisige Welt. Die Stille wurde nur durch die Laute ihrer Verfolger unterbrochen, die ihnen ungesehen auf den Fersen blieben. Als wie immer, am Nachmittag bereits die Nacht hereinbrach, wurden auch die Rufe lauter, und die Verfolger näherten sich ganz nach ihrer Gewohnheit, die Hunde wurden aufgeregt, ängstlich und gerieten in Panik, was die Geschirre verhedderte und die beiden Männer noch mehr bekümmerte.

    So, das wars, ihr blöden Viecher, sagte Bill an diesem Abend zufrieden und stellte sich aufrecht hin, nachdem er seine Tätigkeit erledigt hatte.

    Henry verließ seine Kochstelle, um nach dem Rechten zu sehen. Sein Partner hatte die Hunde nicht nur angebunden, sondern sie auch nach indianischer Art an Holzstöcke geleint. Um den Hals jedes Hundes hatte er einen Lederriemen gelegt. Daran, und zwar so nah am Hals, dass der Hund mit seinen Zähnen nicht daran fassen konnte, hatte er einen dicken Stock von vier oder fünf Fuß⁵ Länge befestigt. Das andere Ende des Stocks wiederum war mit einem Lederriemen an einem Pfahl im Boden befestigt. Der Hund war nicht in der Lage, das Leder an seinem eigenen Ende des Stocks durchzunagen. Der Stock hinderte ihn daran, an das Leder zu gelangen, mit dem das andere Ende befestigt war.

    Henry nickte zustimmend mit dem Kopf.

    's ist die einzige Vorrichtung, die One Ear jemals halten konnte, sagte er. Er knabbert sich durchs Leder wie 'n Messer und ist nur halb so langsam. Morgen früh sind sie alle wieder da.

    Darauf kannste wetten, bekräftigte Bill. Wenn einer von ihnen fehlt, verzicht' ich auf mein' Kaffee.

    Sie wissen, dass wir nicht genug Munition haben, um sie zu töten, bemerkte Henry zur Schlafenszeit und deutete auf den leuchtenden Kreis, der sie einschloss. Wenn wir 'n paar Schüsse auf sie abfeuern könnten, wär'n sie respektvoller. Sie kommen jede Nacht näher. Du musst den Feuerschein aus dem Blick lassen und genau hinsehen! Hast du den da gesehen?

    Eine Zeit lang belustigten sich die beiden Männer damit, die Bewegungen der vagen Formen am Rande des Feuerscheins zu beobachten. Wenn sie genau hinschauten, wo ein Augenpaar in der Dunkelheit brannte, nahm die Gestalt des Tieres langsam Form an. Manchmal konnten sie sogar wahrnehmen, wie sich diese Figuren bewegten.

    Ein Geräusch inmitten der Hunde erregte die Aufmerksamkeit der Männer. One Ear stieß ein rasches, eifriges Winseln aus, stürzte sich auf die Länge seines Stocks in die Dunkelheit und hielt ab und zu inne, um den Stock mit den Zähnen zu attackieren.

    Sieh dir das an, Bill, flüsterte Henry.

    Mit einer verstohlenen, mehr seitwärts gerichteten Bewegung glitt ein hundeähnliches Tier in den Feuerschein. Es bewegte sich mit einer Mischung aus Misstrauen und Wagemut, beobachtete vorsichtig die Männer und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Hunde. One Ear reckte sich dem Eindringling mit der ganzen Länge des Stocks entgegen und winselte eifrig.

    Dieser Dummkopf One Ear scheint nicht viel Angst zu haben, sagte Bill mit leiser Stimme.

    's ist 'ne Wölfin, flüsterte Henry zurück, "und das erklärt auch Fatty und Frog. Sie ist der Lockvogel für das Rudel. Sie lockt die Hunde an und dann kommt der Rest und frisst sie

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