Das letzte Saatkorn: Horrorgeschichten
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Über dieses E-Book
In finsteren Settings kann sich manch ein Leser selbst entdecken oder einfach die dichte Atmosphäre genießen, zu der diese Gruselgeschichten einladen.
Einige Stories sind klassisch gehalten, andere skurriler und experimenteller gestaltet.
In allen liegt ein dunkles Geheimnis verborgen.
Matthias Alexander
Matthias Alexander wurde in Köln geboren und lebt dort. Schon früh hat er sich für das Lesen und Erzählen von Geschichten begeistert. Durch das Cthulhu-Rollenspiel kam er erstmals mit moderner Horror-Literatur in Berührung und brennt seitdem für dieses Genre. Seine Kurzgeschichten- Sammlung ("Das letzte Saatkorn") ist das erste Wagnis einer Veröffentlichung. Matthias Alexander freut sich über Kontaktaufnahmen und steht gerne für jede Frage oder Anregung zur Verfügung.
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Rezensionen für Das letzte Saatkorn
1 Bewertung1 Rezension
- Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Außergewöhnliche sehr spannende Grusel und Horrorgeschichten, die mir das Blut in den Adrrn gefrieren ließen !!
Buchvorschau
Das letzte Saatkorn - Matthias Alexander
Sammler
-1-
Der rostbraune Lada knatterte und stotterte über die Autobahnabfahrt nordwärts. Lars saß auf der Rückbank und zählte die Punkte an der Wagendecke, wie es seine Mutter zur Eindämmung der Langweile vorgeschlagen hatte. Er war acht Jahre alt und sein sechsjähriger Bruder Björn war neben ihm eingedöst. Der Kururlaub an der See brach an und langsam stieg ein vertrauter Duft nach Salz und Dung in seine Nase. Mutter Regine wandte sich vom Beifahrersitz nach hinten und zwinkerte ihm zu. Ihre rotbraunen Locken hatte sie zu zwei Zöpfen geflochten. Blau-türkise Augen und Sommersprossen tummelten sich auf ihrem Möhrensaft-Teint.
Vater Wolfgang trug ein fliederfarbenes Hawaiihemd und darunter eine feingliedrige Goldkette.
Seine Sonnenbrille war fast so schwarz wie sein dichter Vollbart.
„Der Junge braucht vielleicht Hilfe, zischte Regine. „Der Psychologe hat gesagt…
„Heutzutage wird doch aus jedem Problem eine Krankheit gemacht, knurrte sein Vater. „Lars ist nur ein Spätzünder. Das ist alles.
Wie jedes Kind verabscheute es Lars, wenn Erwachsene sich unterhielten, als sei er nicht im Raum. Oder zu beknackt, um der Unterhaltung zu folgen, deren Gegenstand er war.
Sie reisten jetzt schon einige Jahre in die Ferienanlage Lürsen, in Carolinensiel an der Nordseeküste.
Lars hatte letztes Jahr seinen Sandbohrer vergessen und hoffte, ihn auf dem hofeigenen Spielplatz wiederzufinden. Wolfgang drückte eine Kassette ins Radio und Phil Collins‘ In the Air tonight tönte aus den knarzigen Boxen. Lars spähte aus dem Fenster. Die ersten typisch friesischen Häuser zogen hinter knorrigen Obstbäumen vorbei. Er war in die jüngste Tochter des Hofes vernarrt. Ihr Name war Astrid.
„Wann sind wir endlich da?" Björn rieb sich das rechte Lid und klemmte sein Kuschelkissen unter den Gurt. Er schielte und sein linkes Auge war mit einem Pflaster abgeklebt.
„Es ist nicht mehr weit, mein Lieber." Sagte ihr Vater. Seine Stimme hatte wieder den gewohnt grollenden und doch sanften Ton angenommen.
Lars schwieg noch immer und sortierte Panini-Sticker für das Album der kommenden Europameisterschaft. Die Mutter wandte den Kopf zurück und lächelte ihn an. „Freust Du Dich auf die vielen Kinder? Lars nickte. „Ich möchte Panzer sammeln
, flüsterte er schließlich. „Panzer sammeln."
„Aber du musst die Überbleibsel immer
herausschaben, kratzen und pulen.
Sonst fangen sie an zu riechen."
Mutter hob den Zeigefinger und lächelte verschmitzt. Der Geruch nach Gülle schwoll an und sie tuckerten über Landstraßen, die von üppigen Ulmen flankiert wurden, und vorbei an Schäfchen zur Linken.
Lars freute sich, die Tiere zu füttern.
Noch mehr freute er sich auf Astrid.
Am meisten jedoch auf die Panzer.
Schließlich bog der Wagen in die Zufahrt zum Hof ein. Sie waren angekommen. Alles war wie im Jahr zuvor.
Die Familie besuchte am ersten Abend ein Konzert des Shantychors von Carolinensiel.
Bärtige Greise mit Seemannsmützen gaben sonor ihre Lieder zum Besten. Seine Eltern schlürften Jever und Köm und stimmten nach zwei geleerten Tulpengläsern in den Refrain des Chors mit ein. „Moin Moin, Moin Moin […] Oh Jonny, Jonny, Jonny, komm mal ran, komm mal ran… "In der Reederei Albrecht speisten sie zu Abend. Die Dämmerung ergoss sich in feurigem Orange über den Horizont und Lars blickte wie erstarrt auf das Schauspiel. Er aß ein Brötchen mit Fischfrikadelle, trank dazu eine Capri-Sonne und zum Nachtisch ein Wassereis mit Orangengeschmack.
Die Ferienwohnung hatte ein rustikales Ambiente. Von der Decke baumelten ein halbes Dutzend Klebefallen, die von schwarzen Stubenfliegen übersät waren. Erschöpft von der Reise und belebt von der Luft des Kurorts, schlief er friedlich ein.
Als Lars im Morgengrauen erwachte, lehnte sein Vater in einem Schaukelstuhl auf der Veranda, hatte die Beine übereinandergelegt und schmauchte sein Pfeifchen. Lars inhalierte die Rauchkringel, setzte sich auf den Faltstuhl daneben und schaute auf Vaters Gesicht. „Na Kumpel, lachte er ihn an, „bereit für den ersten Tag am Strand?
Lars nickte. Und eine trockene Traurigkeit kullerte aus den Augen seines Vaters.
„Panzer sammeln."
-2-
Zwei Tage später hatte sich Lars wieder an den Urlaubsort gewöhnt, mit all den wohltuenden Sinneswonnen. Wo das Meer zu Ende war, umspielte eine salzige Nordseebrise sanft seine Nase und Lars nahm einen tiefen Schluck. Überall ragten Burgen aus dem Sand. Lars hatte vor dem Strandkorb eine Grube gebuddelt, die nicht von plündernden Kindern eingerissen werden konnte.
Er hatte seiner Mutter versprochen, in Sichtweite zu bleiben und sich von der Wehrmauer fernzuhalten. Bewaffnet mit einem geflochtenen Korb und einem Schmetterlingsnetz aus hellgrünem Leinen, marschierte er ins Watt hinaus.
Lars wich den Feuerquallen aus und watete durch den sonnengewärmten Schlick. Einen Augenblick hockte er sich hin und griff tief hinein, ließ den klebrigen Schlamm zwischen den kleinen Fingern matschen und zu Boden tropfen.
Er blinzelte in den fernen Horizont, wo Fischkutter hinter der dunklen Wehrmauer entlangzogen. Das Sonnenlicht schien in seinem Rücken und ein Schatten eilte ihm voraus.
Lars stellte sich vor, was der Kutter heute gefangen haben mochte. Vielleicht eine Seeschlange oder Riesenkrabbe, womit sie die kleinen Kinder erschreckten, die mit an Bord waren. Seine Panzersammlung war in den vergangenen Ferientagen beträchtlich angewachsen und trocknete auf dem Kaminsims der Ferienwohnung.
Ein scheuer Blick zurück zum Strand. Lars war weiter ins Watt vorgedrungen, als jemals zuvor. Die Umrisse der übrigen Wanderer erkannte er nur schemenhaft; kleine Schatten, die sich vorbeugten und ihre Schattenbilder fotografierten. Lars wollte sich immer schon im Watt eingraben, doch Mutter hatte es nicht erlaubt.
Etwas gedankenverloren strauchelte er fort, und mit einem erstickten Stöhnen, wie es für ein Kind seines Alters tapfer war, stieß er sich den rechten Zeh.
Er biss sich auf die Unterlippe und wischte die Träne aus den Wimpern, als hätte sie nicht existiert.
Einen Augenblick lang hielt er inne und ließ sich auf seine zitronengelbe Badehose in den Schlamm fallen.
Lars sank mit dem Hinterkopf ein paar Zentimeter ein. Die Schatten am Horizont waren winzig wie Ameisen und ein kräftiger Nordwind zerzauste ihm wüst das Haar. Unter seinem Zehennagel staute sich Blut und er sog es mit den Lippen heraus.
Dann entdeckte er voll Staunen seinen Stolperstein.
Er hatte die Größe einer Herdplatte und war bis zur Oberkante eingesunken. Eine dicke Salzkruste überzog den ganzen Stein und dunkelgrüner Seetang schlängelte sich glitschig durch seine Furchen. Sorgsam befreite er die kantige Oberseite von den Algenschlieren und tastete mit den Händen die Muster ab. Ein kleiner Schrecken fuhr über seine zarten Wirbel. Zwar war der Stein verwittert, doch erkannte er die Inschriften klar.
Es zeigte ein greises Menschenhaupt, umrankt von zahllosen Schlingen und mit einem Fischleib. Auf dem Kopf eine dreizackige Krone. Selbst auf den Außenkanten waren kunstvolle Hieroglyphen eingemeißelt.
Ein Jauchzen entglitt seiner Kehle, als er gleich neben der Steinplatte das imposanteste Exemplar eines Krabbenpanzers fand, das er jemals gesehen hatte. Er schien geradewegs aus seinen toten Fühlern auf Lars zurück zu starren. Der Panzer war dicker als seine Faust. Fast so groß wie die Scherbe und gesprenkelt mit einer feinen Schicht Grünbelag.
Lars gluckste und hob ihn vorsichtig aus dem Watt. Er hatte auf ihn gewartet. Ein fremdes Kribbeln marschierte durch seinen Darm. Der Junge packte die reliefartige Scherbe in seinen Flechtkorb. Dann zückte er sein Schweizer Taschenmesser.
Er schabte, kratzte und pulte vorsichtig die fauligen Überreste aus dem Panzer. Außen glänzte er in gemasertem Elfenbein und im Innern spielte ein Schuss warmer Ocker. Feine Gischt umspülte Lars‘ Füße und die Wellen brandeten höher.
Dieser Panzer und die Scherbe hatten auf ihn gewartet. Er verstaute seine Beute und schlenderte, nicht ohne ein Lied auf den Lippen, gemütlich zurück. Zeilen des Großvaters kam ihm in den Sinn.
Wir sammeln Lumpen, Eisen, Silber und Papier. Ausgeschlagene Zähne sammeln wir.
Am Strand angekommen schimpfte ihn seine Mutter fürchterlich aus. Sie hatte den Strandwart alarmiert. Als er ihr seinen Fund präsentierte, rang ihr das ein Lächeln ab und sie streichelte Lars die Wange.
Sie verriegelten den Holzverschlag des Strandkorbs und brausten sich den Schlamm von den Füßen, bevor es wieder zum Abendessen kam. „Und vergiss nicht Lars, Du musst die Reste stets heraus schaben, kratzen und pulen, sonst fangen sie an zu riechen".
-3-
Am Abend hockten sie auf der Veranda und zählten Glühwürmchen. Von Astrid hatte er nichts gehört oder gesehen. Doch war seine Sehnsucht nach ihr nicht betäubt, sondern vergangen.
Lars hatte seine Panzer in einen Setzkasten über dem Bett platziert. Die Specksteinscherbe lag auf einem Podest mit Spitzentischdecke, der sie wie eine kleine Trophäe ausstellte. Lars hatte eine Weile gedankenverloren darüber gebrütet, sie genau betrachtet und ihre Rillen mit den Händen nachgezeichnet. Mit einer fremden Glückseligkeit schlief er friedvoll ein.
Doch in dieser Nacht befleckte der Schlaf ihn mit einem hässlichen Traum.
Es war finster und Lars marschierte durch das schwarze Watt. Kein Mensch kreuzte seinen Weg und der Schlick kühlte seine nackten Füße. Er kletterte die Wehrmauer empor und verharrte dort, wo das Meer das Land berührte. Am Ufer zur offenen See spähte er in die Ferne.
Das Firmament drückte die Welt über ihm ein und der fahle Sichelmond glitzerte auf den düsteren Wellen, die krachend gegen die Felsen brandeten.
Er war allein.
Ein undefinierbarer Geruch mischte sich in das Salz der Luft und Lars starrte noch einmal zum menschenleeren Strand. Dann schritt er ein paar Meter ins Wasser, bis er von den Wellen erfasst wurde und sein Pyjamatropfnass am Leib klebte. Die Fluten verschwommen zu einem phosphoreszierenden Nebel in leuchtenden und zugleich düsteren Farben.
Sie schlängelten sich zum Horizont und vertraute Gesichter rotierten in der Brandung; seine Mutter, sein Vater, sein Bruder.
Dann lösten sie sich in den Schwaden auf.
Ein Schatten schälte sich unter der Oberfläche des Wassers heraus. Erst hörte er ihn leise gluckern, dann brach er durch die Gischt der Wellen und nahm Kontur an.
Es ragte eine kobaltgrüne, schuppige Bischofsmütze stetig höher aus den Wassern empor.
Die schwarzen, verschmierten Lider troffen geschlossen herab und während sie immer weiter ragte, sah Lars seine Fangarme ein Gewand bilden. Gebannt starrte er zurück. Wie ein Schwelbrand breitete sich der Nebel aus.
Die Gliedmaßen des Wesens verrauchten mit jedem Schritt - doch augenblicklich sprossen neue, verschnörkelte Glieder aus dem trüben Rauch, wie aus geplatzten Knoten. Schließlich berührten die Fühler seine Nase und Lars hielt ihrem toten Blick stand… bis er keuchend erwachte.
Er war allein in seinem Bett. In einer Lache aus rotem Meerwasser.
Lars erhob sich aus dem Schlafgemach. Der ganze Raum war tropfend nass und die Möbel von glitschigem Tang überzogen. Auf seinem Gaumen schmeckte er Salz und einen metallischen Pesthauch. Lars rieb sich die Augen, doch ertastete nur knöchernes Chitin. Aus seinen Schultern wuchsen Scheren und alles war ins Dunkle getaucht. Er torkelte ins Bad und schaute in den Spiegel. Aus seinen Augenhöhlen glotzten tiefrote Fühler.
Dies war kein Alptraum.
Lars wankte ins Schlafzimmer seiner Eltern. Sie lagerten auf dem Doppelbett, akkurat in Scheiben geschnitten. Zwischen ihnen sein Bruder, ebenfalls sorgsam zerteilt. Einen Moment hielt er inne.
Dann schabte, kratzte und pulte Lars die fauligen Überreste aus den Schädeldecken – damit sie ja nicht zu riechen anfangen- und sammelte die entfleischten Schädel ein. Mit den Knochen im Gepäck, krabbelte er über friesische Deiche und Dünen, bis hin zum Strand. Wo die See zu Ende war, ließ Lars sich niedersinken in die sanften Fluten und hinaus aufs offene Meer treiben. Bis zu dem Fleck, wo er die Steinscherbe und den Panzer gesammelt hatte und grub sich dort tief in den Meeresboden ein.
Und wenn ihn kein Sammler gefunden hat, wartet er dort heute noch.
Der Löwe und die Waage
-1-
Zufrieden und gleichsam amüsiert musterte Hans B. die beiden Zwergkaninchen, denen er soeben das Genick gebrochen hatte. Hans hatte die Namen vergessen, die seine Enkel sich für sie ausgedacht hatten. Hoppel und Mümmelmann? Otto und Mümmel? Spielte keine Rolle, morgen Abend schon würden sie ihre putzigen Haustiere verspeisen und voller Genuss Nachschlag verlangen. Jeglicher Form von Scham war er längst entrückt. Hans war ein Löwe.
Sie hatten Mitte August und sein Geburtstag nahte. Hans war stolz auf sein Sternzeichen, denn es wurde seinem überlegenen Gebaren gerecht. Er sah sich um. Der gepachtete Garten war ein Kleinod in der Großstadt. Hans stammte aus einem Vorort von Bamberg und war sowohl dem Lebensmittelanbau, wie der Haltung von Nutzvieh, von klein an vertraut.
Auf dem Ackerland baute er allerlei Sorten Salate und Beeren, Rhabarber und Erbsen, Kartoffeln und Blumenkohl an. Hier verbrachte Hans einen Großteil der Saison. Heute war er fleißig gewesen.
Den ganzen Tag Unkraut gejätet und die Beete fertiggemacht. Jetzt schmerzte dem Mittsiebziger das morsche Kreuz.
Ein grauer Schnäuzer zierte das schnapsrote Gesicht mit den fettleibigen Wangen und der aufwärts zeigenden Nase.
Auf seinem Schopf trug er, unter dem silbernen Seitenscheitel, eine khakifarbene Anglermütze, sowie eine Brille mit rötlichbraunen Gläsern, um der Sonne dieser Jahreszeit zu trotzen.
In den Fenstern der Laube reihte sich seine Kakteensammlung. Er hegte und pflegte einige Exemplare seit Jahrzehnten. Aus dem Plastikfass in einem Erdloch zog Hans eine Flasche Sester Kölsch hervor.
Das Schönste an der Gartenarbeit ist das Gießen. Das Abendlicht verschwamm mit den letzten Strahlen des Tages. Hans überprüfte alle Schlösser, zog den Drahtesel aus dem Verschlag und radelte über einen Feldweg nach Hause.
Daheim ließ Hans den Abend mit einer halben Flasche „Kabänes" und der Alleinherrschaft über die Fernbedienung mit seiner Frau Leni ausklingen. Er war ein Löwe.
Im Morgengrauen schellte um 05:30 Uhr der Digitalwecker und Hans fuhr mit einem Ruck in die Senkrechte. Jeden dritten Mittwoch im Monat fand der Markt am Autokino statt. Ein Sammelbecken für Betrüger, Hehler und Gesindel in jeder Form und Farbe, das den Vergleich mit Sodom nicht zu scheuen