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Hauen, beißen, sich vertragen: Zum aggressiven Verhalten 0 - 3-Jähriger in der Kita
Hauen, beißen, sich vertragen: Zum aggressiven Verhalten 0 - 3-Jähriger in der Kita
Hauen, beißen, sich vertragen: Zum aggressiven Verhalten 0 - 3-Jähriger in der Kita
eBook164 Seiten2 Stunden

Hauen, beißen, sich vertragen: Zum aggressiven Verhalten 0 - 3-Jähriger in der Kita

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Über dieses E-Book

Es geht um die Entwicklung kleiner Kinder von 0 bis 3 Jahren, um die Frage welche Bedürfnisse Kinder in dem Alter haben und wie Eltern, Betreuer, Erzieherinnen und Erzieher sie angemessen erfüllen können. Während dieser Phase zeigen Kinder häufig aggressives Verhalten. Wie können Erziehende damit umgehen und was kann sich dahinter verbergen? Unterschiedliche Erklärungsansätze werden dargestellt und sollen helfen, das herausfordernde Verhalten zu verstehen und Wege für den Umgang mit den Kindern zu finden. Dabei helfen viele Praxisbeispiele und Tipps zur Prävention von Konflikten.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum6. Juli 2023
ISBN9783347974739
Hauen, beißen, sich vertragen: Zum aggressiven Verhalten 0 - 3-Jähriger in der Kita

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    Buchvorschau

    Hauen, beißen, sich vertragen - Irmgard Kollmann

    1. Einleitung

    Für die Überschrift dieses Buches habe ich bewusst auf zwei Begriffe verzichtet: auf „Krippe und auf „Aggression. Weshalb ich den Begriff „Krippe vermeide, ist einfach zu erklären. Denn „Krippe ist ein veralteter Begriff für einen Futtertrog und als Unterbringung für Babys höchstens eine Notlösung - als was diese Einrichtung übrigens auch lange Zeit betrachtet wurde. Mit der Vorstellung von einer Einrichtung zur Bildung, Betreuung und Erziehung von kleinen Kindern ist dieser Begriff nicht zu vereinbaren. Also wird hier die Rede von „Kleinstkindergruppen, „U3-Gruppen oder Kita-Gruppen" sein.

    Aufwendiger zu begründen ist meine Entscheidung gegen den Begriff „Aggression im Titel. Da ich mich vorrangig mit dem gezeigten und beobachtbaren Verhalten der Kinder auseinandersetze, spreche ich lieber überwiegend von „aggressivem Verhalten.

    Eine weiterführende fachliche Begründung wird im Folgenden näher auf die Definition von „Aggression" eingehen. Jeder hat jedoch, auch ohne weitere Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Begriffs, eine Vorstellung davon, was Aggressionen sind. Unter frühpädagogischen Fachkräften werden sie immer wieder zum Thema.

    Folgende Situationen fallen Erzieher*innen unter anderem dazu ein:

    Lea (9 Monate) liegt auf dem Boden neben Kevin (10 Monate), der gerade vor sich hindöst. Sie versucht mit beiden Händen seinen Arm festzuhalten und hineinzubeißen.

    Die Kindergruppe kommt auf dem Weg zum Spielplatz an einem Blumenbeet vorbei. Den Kindern ist oft gesagt worden, dass sie auf dem Weg bleiben sollen. Leo (2;3) rennt zwischen die Blumen, tritt darauf, bleibt stehen und sieht die Erzieherin erwartungsvoll an.

    Lina (4Monate) liegt in ihrem Bett und schreit lautstark. Der Erzieher vermutet, dass sie mit ihrem aggressiven Schreien deutlich machen möchte, dass sie hungrig ist, es ist schließlich ihre Zeit. Er bereitet das Fläschchen vor.

    Der Erzieherin ist aufgefallen, dass Kevin (10 Monate) in der letzten Zeit ein paar Mal scheinbar grundlos anfing zu weinen. Immer war dann die zweijährige Katja in der Nähe, um ihn zu trösten. Durch gezielte Beobachtung findet sie heraus, dass Katja jedes Mal kurz vorher an Kevin vorbei geht und ihn kneift.

    Leo (2;3) baut einen Turm aus Bauklötzen. Fatima (1;10) sieht das, kommt angelaufen, stößt den Turm um und freut sich über ihr Werk.

    Erik (8 Monate) und Robert (11Monate) liegen auf dem Boden. Erik hält eine Plastikflasche in der Hand, bewegt sie hin und her und beobachtet die Lichtreflexe. Robert robbt zu ihm und versucht, die Flasche an sich zu reißen.

    Handelt es sich in allen diesen Fällen wirklich um Aggressionen? Je nach individueller Sichtweise fallen die Antworten unter-schiedlich aus. Jedoch finden sich für jedes Beispiel Erwachsene, die das beschriebene Verhalten als „aggressiv bezeichnen. Wird von einem sehr weit gefassten Begriff ausgegangen, bedeutet aggressiv „etwas in Angriff zu nehmen, Energie aufzubringen, um ein Ziel zu erreichen. Diese Bedeutung wird von dem lateinischen Wort „aggredere abgeleitet, welches bereits damals einen positiven und einen negativen Aspekt beinhaltete: den positiven von „sich nähern und das feindliche „Angreifen". Bauer (2011a) weist darauf hin, dass aufgrund der humanistischen Bildung vieler Wissenschaftler diese Doppelseitigkeit automatisch übernommen wurde – ohne zu überprüfen, ob es sinnvoll ist.

    Ist Linas Weinen schon aggressiv?

    In diesem positiven Sinne wäre Lina aggressiv und es wäre wichtig, dass sie es ist: man würde sich sonst möglicherweise nicht ausreichend um ihre Bedürfnisse kümmern. Und später, als älterem Kind, würde ihr sonst vielleicht die Fähigkeit fehlen, sich für ihre Belange einzusetzen. Versteht Linas Erzieher also ihr Schreien als Aggression, die nötig ist, um auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen, wird er weitgehend aufmerksam und gelassen darauf eingehen. Trotzdem wird er in manchen Situationen angespannter auf „aggressives Schreien" reagieren als eine Kollegin, die Linas Schreien als eine der wenigen ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Kommunikation versteht.

    Die Ableitung vom lateinischen Begriff „aggredere" hat dazu geführt, dass auch im deutschen Sprachgebrauch - wie in dem Beispiel von Lina - Aggression meist eine positive Seite zugeordnet wird, so zum Beispiel von Rogge. Für ihn bedeutet Aggression:

    „auf etwas zugehen, etwas in Angriff nehmen. Aggressionen haben mithin etwas Konstruktives, Aufbauendes. Aggression ist eine schöpferische Kraft. Wer Aggressionen bei Kindern generell stilllegt, legt ihre Entwicklung, ihre Neugierde und Lernbereitschaft still. Kinder wollen Neues erproben und probieren." (Rogge,65)

    Einige Autoren weichen in diesem Zusammenhang auf Beschreibungen wie „konstruktive Aggressivität aus und meinen damit das neugierige Erforschen der Umwelt. Aber selbst wenn die hergeleitete Wortbedeutung so stimmt, gibt es keinen Grund, die „positive Seite der Aggression auch Aggression zu nennen. Sie ist Neugierde, Lernwille, Motivation, alles Mögliche, aber keine Aggression. Man weiß mittlerweile auch, dass sich im Gehirn ganz unterschiedliche Prozesse abspielen, je nachdem, ob die positive oder die negative Seite ausgelebt wird. Aggression ist „-aus neurobiologischer Sicht […] etwas völlig anderes als Motivation." (Bauer 2011a,47)

    Aus dieser Doppeldeutigkeit ergibt sich für Erziehende die Notwendigkeit zu begründen, warum sie sich nicht eindeutig gegen Aggressionen in ihrer Einrichtung verwahren können. Sie könnten dann ja eine „schöpferische Kraft" unterdrücken. Wird Aggression dagegen grundsätzlich als destruktive Art der Auseinandersetzung angesehen, ist eindeutig, dass sie nicht akzeptiert werden kann und eine andere Form des Umgangs mit Konflikten gefunden werden muss.

    Auch wer in diesem Buch blättert oder liest, macht es nicht, weil er mit einer angeblich positiven Art von Aggression Schwierigkeiten hat. Darum und aus den oben genannten Gründen wird hier folgende Definition von Bauer verwendet (2011, 46):

    „Aggression ist jede physische oder verbale Handlung, die darauf angelegt ist, eine andere Person zu konfrontieren, anzugreifen, zu schädigen, zu verletzen oder zu töten. Dabei wird vorausgesetzt, dass es sich um eine Aktion handelt, die von der geschädigten Person abgelehnt wird." [Dazu gehören meist] Gefühle, die wir mit den Worten >Ärger<, >Zorn<, >Wut< und >Hass< bezeichnen."

    Auch für die tägliche Arbeit in der Kita sind es nicht die angeblich positiven Seiten der Aggression, die Sorgen bereiten, und auch nicht die versehentlichen Aktionen. Wenn Martin laufen lernt und sich dabei an Karim festhält, so dass beide hinfallen und sich weh tun, werden sie getröstet, ohne dass Martins Verhalten als bedenklich einzustufen wäre. Damit wird auch deutlich, warum ich diesem Abschnitt über Definitionen ein sehr großes Gewicht beimesse: Wir reagieren auf Verhalten, das wir als aggressiv ansehen, meist emotionaler als auf Verhalten, welches wir uns anders erklären - zum Beispiel als ein Versehen oder als Entwicklungsschritt. Lea in dem oben beschriebenen Beispiel ist in dem Alter, in dem sie versucht, alles in den Mund zu stecken und darauf zu beißen. Sie kann noch nicht erkennen, dass sie Kevin Schmerzen zufügen würde, wenn sie ihn beißt. Deshalb wird ihr Verhalten - obgleich es aggressiv aussieht - im Sinne der Definition auch nicht als aggressiv angesehen.

    Wenn man von diesem Aggressionsbegriff ausgeht, stellt sich die Frage: Können Kleinstkinder überhaupt aggressiv sein? Gerade Zweijährige zeigen sehr häufig im Umgang miteinander aggressives Verhalten. Aber sind sie von ihrem Entwicklungsstand her in der Lage zu erkennen, ob und womit sie andere verletzten oder schädigen können? Die Grundannahme dieses Buches ist, dass Kinder in U3-Gruppen zwar häufiger aggressives Verhalten zeigen, aber selten „wirklich (im Sinne der Definition) aggressiv sind. Wenn hier also von „aggressivem Verhalten die Rede ist, ist damit auch ein Verhalten gemeint, das für Außenstehende wie Aggression aussieht, aber von dem Kind nicht als bewusste Schädigung eingesetzt wurde. Wenn in dem Ausgangsbeispiel Fatima Leos Turm umstößt, sieht das wie Aggression aus; Fatima macht das aber vermutlich für sich selbst, weil sie den Lärm der herunter fallenden Steine so schön findet.

    In den folgenden Kapiteln werden mögliche Ursachen und Hintergründe von Verhaltensweisen aufgezeigt, die „wirklich aggressiv sind, und von anderen, die „aggressiv erscheinen. Für die Bezeichnung beider Erscheinungsformen werde ich den Oberbegriff „aggressives Verhalten" verwenden, um die Beschreibung zu vereinfachen. Es ist jedoch meine Intention. eine differenziertere Sichtweise auf diese beiden Möglichkeiten des Verhaltens zu erreichen - und damit verbunden Erzieher*innen einen differenzierteren Umgang damit zu ermöglichen.

    An den angeführten Beispielen lässt sich erkennen, dass man sich dem Thema „Aggression nicht nähern kann, ohne gleichzeitig das Thema „Konflikte und den Umgang mit ihnen zu bedenken. Ist den Erzieher*innen dies deutlich, stellen sie sich viel eher Fragen wie „Wie wird bei uns mit Konflikten umgegangen? „Wie lernen Kinder diesen Umgang? „Was lösen Konflikte bei mir aus? statt „Wie gehe ich mit diesem aggressiven Kind um? Blicken wir noch einmal auf die Beispiele am Anfang des Abschnittes zurück, zeigt nur Katja Aggressionen, indem sie Kevin kneift. Allerdings ist auch ihr vorrangiges Ziel vermutlich nicht, Kevin wehzutun, sondern die Aufmerksamkeit und Zuwendung der Erzieherin für ihr fürsorgliches Umgehen mit dem weinenden Kind zu erhalten. Diese Art der Aggression wird als „instrumentelle Aggression" bezeichnet, weil sie als Mittel eingesetzt wird, um etwas zu erreichen, ihr aber nicht Gefühle wie Wut und Ärger zugrunde liegen. Lea dagegen will Kevin nicht verletzen, sondern das Beißen ausprobieren. Auch Robert möchte Neues erfahren und sein Blick fällt dabei auf Eriks Flasche; die möchte er haben, nicht Erik schaden. Selbst Leos Ziel ist vermutlich nicht, die Erzieherin zu provozieren, sondern herauszufinden, ob die Regel von gestern auch heute noch gilt.

    Die Einsicht, dass viele Verhaltensweisen aggressiv aussehen, es im Sinne der obigen Definition aber nicht sind, bedeutet natürlich nicht, dass sie weniger ernst genommen werden müssen. Jedoch ist die Reaktion auf sie eine andere. Generell werden die Erziehenden versuchen, das Erkundungsverhalten zu unterstützen und in Bahnen zu lenken, die andere Kinder nicht schädigen, während sie das aggressive Verhalten von Katja unterbinden werden. Sie werden versuchen, das dem Kneifen zugrunde liegende Bedürfnis, nach (zum Beispiel) Aufmerksamkeit, zu erfüllen, ohne dass Katja erst durch Kneifen darauf aufmerksam machen muss, dass ihr etwas fehlt.

    Neben der mehr theoretischen Beschäftigung mit dem Thema „Aggressives Verhalten" - unabhängig davon, ob es auf Aggression, Entwicklungsstand oder andere Faktoren zurückzuführen ist - wird in diesem Buch die Auseinandersetzung mit den Haltungen und Einstellungen der Erzieher*innen ebenfalls einen weiten Raum einnehmen. Wie wichtig die ständige Überprüfung der eigenen Einstellung ist, bemerkt der Praktikant Mark bei einem Gespräch mit seiner Anleiterin Sonja. Er berichtet:

    Wir haben ja im Moment drei Mädchen in der Gruppe, die alle ungefähr ein Jahr alt sind. Die spielen gerne miteinander, also meist eher nebeneinander. Eben standen sie an der Fensterbank. Elisa sah zu, was die anderen machten. Frederike hatte Duplo-Steine auf die Fensterbank gelegt, die sie dann wieder durch die Gegend warf, das Werfen hatte sie ja

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