Der Erfurter Latrinensturz. Aus dem Leben Heinrichs VI.: Historische Erzählung
Von Christoph Werner
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Über dieses E-Book
Dieses furchtbare Unglück muss auf die Zeitgenossen einen tiefgreifenden Eindruck gemacht haben. Die Überlebenden, unter ihnen König, später Kaiser, Heinrich VI., litten ihr Leben lang unter dem schrecklichen Geschehen.
Das Geschlecht der Staufer erlebte nach Heinrich VI. durch Kaiser Friedrich II., dem "Staunen der Welt", einen letzten Höhenflug und versank schließlich mit der Hinrichtung Konradins, des Urenkels Heinrichs, in der Bedeutungslosigkeit.
Christoph Werner
Dr. Christoph Werner ist Psychologe am Sozialpsychiatrischen Zentrum der Essener Kontakte e.V.
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Buchvorschau
Der Erfurter Latrinensturz. Aus dem Leben Heinrichs VI. - Christoph Werner
KAPITEL 1: ERFURT, 26TER JULI 1184
Als wir durch das neuerbaute Stadttor der schönen Stadt Erfurt ritten, empfingen uns die Menschen mit großem Jubel. Es war noch früh am Morgen, doch die Sonne schien schon vom klaren Himmel und ließ den König und uns, sein Gefolge, im hellsten Licht erscheinen. Die Erfurterinnen vor allem drängten sich an den königlichen Herrn und versuchten, den Saum seines Mantels zu erhaschen und zu küssen, denn es hieß, das bringe Sicherheit und Glück.
Manche hoben ihre Kinder hoch und zeigten ihnen den König, anderen gelang es sogar, sie den Königsmantel berühren zu lassen. Die Männer hielten sich im Hintergrund, doch war ihnen der Stolz anzusehen, dass König Heinrich, des berühmten Barbarossas Sohn, die Stadt für einen Hoftag auserwählt hatte. Die Leibwache hatte Mühe, dem König den Weg über den Markt freizumachen. Unter beträchtlichem Lärm und lauten Rufen boten die Händler hier ihre Waren und Dienste an, und mancher von uns hätte gern verweilt und von den Garküchen gekostet, die allerdings erst dabei waren, ihre Suppen und Gesottenes und Gebratenes auf ihren Feuern zu wärmen.
Der Markt, wurde mir gesagt, war heute besonders groß und vielfältig, weil sich die Leute vom Hoftag des Königs mit den vielen Gästen, besonders mit dem zahlreichen Gefolge des Erzbischofs, gute Geschäfte versprachen. Bauern vom Erfurter Land hatten ihre Früchte, Eier und Geflügel ausgebreitet und sich auf Tauschgeschäfte mit den Handwerkern vorbereitet.
Mehrere überdachte Wagen hielten die Vorhänge ihrer Planen noch geschlossen, weil die Damen ihre Dienste erst im Laufe des Tages und gegen Abend anbieten würden.
Einige aus dem Gefolge warfen verlangende Blicke auf die geschlossenen Wagen, und ich konnte mir denken, dass sie sich am Abend wieder hierher begeben würden. Ein Marktaufseher mit seinen Helfern hatte ein strenges Auge darauf, dass nicht zum Beispiel von übermütigen Gesellen Waffen mitgeführt wurden, durch trunkenes Gebaren die Ordnung gestört oder gar mit falschem Maß gemessen und gewogen würde.
Schließlich gelangten wir zur Probstei im Schatten der mächtigen Kirche Beatae Mariae Virginis, in der uns der Erzbischof von Mainz als Herr der Stadt Erfurt und als Gastgeber bereits erwartete. Der König wurde in die Wohngemächer des Probstes geführt, die der Erzbischof für den Empfang prächtig hatte schmücken lassen. Es stand auch ein Frühstück bereit mit Brot, Käse, Schinken, Räucherfisch und Wein, an dem sich der König und seine wichtigsten Ratgeber einschließlich meiner Person laben konnten.
Zuvor hatte er sich mit Hilfe seines Leibdieners in einem Nebenraum erfrischt, seine Reisekleidung gewechselt und einen kleinen goldenen Reif als Zeichen seiner Würde aufgesetzt. Es sollten nun gleich die Verhandlungen, für die dieser Hoftag einberufen worden war, beginnen. Wir machten uns auf den Weg in den großen Saal, zu dem enge Treppen hinaufführten.
Mein Herr König verhielt seine Schritte, nachdem er den Raum betreten hatte. Es schien mir, als ließ ihn das Knistern, das von den Balken und Brettern des Fußbodens kam, zögern. Außerdem roch es, nein es stank so stark nach Fäkalien, dass selbst die geöffneten Fenster dem Geruch nicht abhalfen. Im Gegenteil schien die draußen herrschende Hitze den Gestank noch zu verstärken. Oder kam er gar von draußen herein, wo die Leute ihren Unflat auf die Straße schütteten, statt ihn in die dafür neuerdings vorgesehenen Gräben zwischen den Grundstücken oder in nahegelegene Bäche zu bringen?
Ich hatte dem König dringend geraten, den Hoftag nicht in der Dompropstei abzuhalten, weil sie mir nicht sicher schien. Seine Leibwache musste sich um das Gebäude verteilen (was sich später allerdings als höchst nützlich erwies), statt im Haus und im Raum über Leib und Leben des Königs zu wachen, was schließlich, wie schon der Name sagt, ihre Aufgabe war. Ich hatte dem König das Haus eines wohlhabenden Waidhändlers vorgeschlagen, um die von seinem Vater dem Kaiser gewünschte Unparteilichkeit bei den anstehenden Verhandlungen zwischen dem Erzbischof Konrad von Mainz und dem Landgrafen von Thüringen schon durch die Wahl der Lokalität zu wahren, aber der König entschied anders. Er wollte wahrscheinlich das Wohlwollen des mächtigen Konrad von Wittelsbach, Erzbischof von Mainz und zeitweise von Salzburg, Kardinalbischof von Sabina, als Erzkanzler Archicancellarius per Germaniam zuständig für die deutschen Gebiete des Reiches, nicht aufs Spiel setzen. Konrad war noch vor dem Thüringer Landgrafen der wichtigste und mit großer Vorsicht zu behandelnde Gegner in den bevorstehenden Gesprächen. Immerhin hatte der König nicht die erzbischöfliche Burg als Verhandlungsort gewählt, was ihn nach meinem Dafürhalten gegenüber Konrad noch mehr in Nachteil gesetzt hätte. Der Hauptgrund für seine Entscheidung war vielleicht schlicht die Größe des Saales, in dem sich bald über 100 Personen versammelt hatten, darunter der Erzbischof, etliche Grafen, unter ihnen der laute Ludwig von Thüringen, viele Ritter, Schreiber und angesehene Bürger der Stadt einschließlich der Vertreter der städtischen Judenschaft.
Wie mir der König bei der Vorbereitung auf den Hoftag gesagt hatte, befriedigte ihn das Letztere besonders. Sein Vater schärfte ihm bei jeder Gelegenheit ein, die Kammerknechtschaft der Juden als ihren Rechtsstatus, der sie unter die Schutzgewalt des Königs stellt, zu hüten und zu bewahren. Das lohnte sich im wahrsten Sinne des Wortes, da diese Schutzgewalt der Krone einen stetigen Geldfluss durch die von den Juden an die königliche Schatzkammer abzuführenden Schutzgelder verschaffte.
Der König hatte mir eine Abschrift der Eidesformel der Juden gezeigt, in der das zum Ausdruck kommt.
Als Gegenleistung stellte der Kaiser die jüdischen mit den christlichen Kaufleuten Erfurts gleich.
Ich sah, wie mein Herr vom Protonotarius, dem Leiter seiner noch kleinen Kanzlei, vorsichtig aufgemuntert wurde, weiter zu gehen bis zum Erzbischof, der vor einer tiefen, mit Sitzbänken versehenen gemauerten Fensternische stand und auf ihn wartete. Man hatte die Bänke und die Hälfte der Nische mit rotem Tuch ausgeschlagen und dadurch eine Art Thron geschaffen.
Wie mir der König gestand, fühlte er sich gegenüber dem 64jährigen Geistlichen, auch noch legatus natus, d. h. Ständiger Legat des Papstes über ganz Deutschland, in einiger Verlegenheit. Er sagte freimütig, dass er schließlich erst achtzehn Jahre alt wäre, zwar König, Kaisersohn und gerade in Mainz durch die Schwertleite zum Ritter geschlagen mit dem ehrwürdigen Spruch zê gôtes und Marien êr, diesen slac und keinen mêr, doch was nützte das alles gegen die Erfahrung des alten Fuchses von Geistlichem, Fürsten und Diplomaten.
Dieser lag in ständigem Streit mit dem Landgrafen Ludwig, in dem es letztlich um die Vorherrschaft in der Stadt ging, die seit hunderten von Jahren dem Erzbistum Mainz zugehört, was aber sowohl die Stadt wie der Landgraf nicht wahrhaben wollten. In so einer Frage könnte es leicht zu Fehden kommen, was Kaiser und König unbedingt zu verhindern suchten.
Im Großen und Ganzen gab Heinrich dem Erzbischof recht, und die Eidesformel der jüdischen Bürger enthält nicht ohne Grund die Worte Erfordia fidelis est filia Mogontine sedis, was mein Herr auch ohne meine Hilfe entschlüsseln konnte: Erfurt ist die treue Tochter des Mainzer Stuhles.
Die Anwesenden versuchten trotz der drangvollen Enge für den König einen Gang freizulassen, was nicht ganz gelang. Ich ging deshalb voran und stieß ohne viel Federlesens die Männer zurück, die dem König im Weg standen.
Noch am vorhergehenden Tage hatte er mir geklagt, dass man von ihm erwartet, die streitenden Parteien, wenn nicht zu versöhnen, wenigstens von Fehden abzuhalten. Wie denken sich das die Leute? Ein Machtwort sprechen, wenn das so einfach wäre.
Macht, hatte ihm sein Vater immer wieder gesagt, beruht auf dem geschickten Ausgleich widerstreitender Interessen und nicht auf blindem Dreinschlagen, wie sich das Fürsten und Bürger zuweilen vorstellen. Manchmal allerdings – das hatte sich an den Konflikten mit den oberitalienischen Städten gezeigt – ging es nicht ohne Dreinschlagen, wenn auch nicht blind. Sein Vater hatte dort kräftig dreingeschlagen und sogar das große und mächtige Mailand niederbrennen lassen. Das war zwei Jahre bevor er, Heinrich, geboren wurde, AD 1162, in des Kaisers Krieg gegen die lombardischen Städte.
Aber zuallererst, so hatte ihn Gottfried von Viterbo, einer seiner Erzieher, belehrt, waren König und Kaiser von Gott eingesetzt und von den Edlen des Reiches gewählt und vom Papst bestätigt. Sie sollten das Reich, das Volk, beschützen vor inneren Feinden, zu denen auch zuweilen fürstliche Unruhestifter wie Heinrich der Löwe und der Landgraf von Thüringen gehörten, wie auch vor äußeren Feinden, wie zu Zeiten dem Papst, dem französischen König und den ewigen Feinden der Christenheit, den Sarazenen. Diese wollten sich die allerheiligsten christlichen Stätten aneignen, besonders jetzt, da sie vom mächtigen Sultan Saladin angeführt wurden.
Immerhin, ich konnte ihn etwas trösten:
Herr, Ihr seid doch schon von großer politischer Erfahrung. Ich darf Euch an die Verhandlungen erinnern, die Euer Herr Vater, der Kaiser, vor einem Jahr in Konstanz mit den oberitalienischen Städten führte und die zu einem hoffentlich andauernden Frieden führen werden. Bereits da wart Ihr einbezogen.
Ja, stimmte der König zu, da habe ich einiges gelernt. Zum Beispiel, dass man um eines höheren Zieles willen zuweilen auch verzichten können muss. So hat der Kaiser zahlreiche alte Ansprüche des Reiches, die Regalien, gegenüber den lombardischen Städten – fürs erste wenigstens – aufgegeben. Er lässt zu, dass sich die Städte selbst regieren und verwalten, allerdings gegen gewisse Zahlungen an die kaiserliche Kammer.
Außerdem hat mich der Kaiser in Kenntnis gesetzt und sogar meine Zustimmung eingeholt, dass er mit dem normannischen Herrscher Siziliens, Wilhelm II., in Verhandlungen über meine Verlobung mit Konstanze,
der Tante Wilhelms, eintritt. Sizilien, das herrliche Königreich, wird mein werden, Gregorius, und du wirst an meinem Hof eine würdige Stellung einnehmen. Konstanze ist, wie du weißt, ihres Neffen Erbin. Es heißt zwar, sie sei hässlich und deshalb mit dreißig Jahren noch unverheiratet, aber was