Vermögen für alle: Wer die bessere Verteilung hemmt, und wie wir sie erreichen
Von Beat Kappeler
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Vermögen für alle - Beat Kappeler
Beat Kappeler
Vermögen für alle
Wer die bessere Verteilung hemmt,
und wie wir sie erreichen
NZZ Libro
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2022 (ISBN 978-3-907396-03-2)
© 2022 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel
Umschlag: Janet Levrel, Leipzig
Gestaltung, Satz: 3w+p, Rimpar
Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.
ISBN Druckausgabe 978-3-907396-03-2
ISBN E-Book 978-3-907396-04-9
www.nzz-libro.ch
NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.
Inhalt
1 Konsumieren oder investieren?
Die Vermögen in Zahlen – Wie aussagekräftig sind Statistiken?
Die Gesellschaft lässt sich verändern
Selbstsorge statt Fürsorge
Personelle und funktionelle Verteilung
Primär- und Sekundärverteilung
Positionelle Güter
2 Warum sich das Vermögen konzentrierte
Die Finanzialisierung der Werte
Die Vorteile der Aktie
Die Nachteile der Aktie
Teilreserve-Banken und ihre Kreditkunden
Finanzialisierung und Konzentration
Der Kreislauf der Vermögensverteilung
Piketty und die Vermögenskonzentration: ein ehernes Gesetz?
Einflüsse der Informationstechnik
Oligopole und Marktmacht
Der Anteil der Globalisierung
3 Wie eine bessere Verteilung sabotiert wird
Finanzspritzen für die Volkswirtschaft schaffen Ungleichheit
Cantillon der Seher, Law der Sünder
Notenbanken als Garanten der Kreditvermögen
Die Kreditwirtschaft seit dem New Deal
Der wachsende Staatsanteil
Der fiskalische Keil
Das Regulierungskorsett
Die Rolle der Gewerkschaften
Effektivität von Besteuerungen
4 Wege zur Eigentümergesellschaft
Eine Firma im Besitz ihrer Angestellten: John Lewis
Partnerfirmen
Liquidation – was bleibt?
Die «Voucher-Privatisierung» nach 1989
Eine Volkswirtschaft aus Partnerschaften
Firmen ohne Finanzialisierung
Genossenschaften – Finanzialisierung an der Kette
Stiftungen als Unternehmen
Die neuen App-Firmen
5 Eine Alternative: die Aktie entschleunigen
Alte und neue Anlagewelten
Rappaport
Der Staat stabilisiert und panzert das Aktiensystem
Wenn die Aktionäre haften, werden sie umsichtig
Periodischer Börsenhandel, wie mit Wechseln in Piacenza seinerzeit
Eingebundene Aktionäre
Eingebundene Boni-Empfänger
6 Finanzialisierung für alle
Täter, nicht Geschützte
Tokens: Vermögensrevolution auf Blockchains
Individuelle Mitarbeiteraktien
Die amerikanischen ESOPs
Weitere Modelle der Mitarbeiterbeteiligung
Staatliche Förderungen
Mitarbeiteraktionäre via Pensionskassen
Gewinnbeteiligung via Barauszahlung
Vermögensanteile der Mitarbeiter in Europa
Iversen/Soskice: Demokratie und Wohlstand
Programme für die «working poor»
Die radikalen Lösungen des Robert J. Shiller
7 Modelle staatlicher Umverteilung
Souveräne Fonds
Die progressive Konsumsteuer (Progressive Income Tax)
«Birth endowment» – der Baby-Scheck
Sekundärverteilung durch Steuern
Wohneigentum
Die allgemeine Bodensteuer (Henry George)
Unzeitgemässe Überlegungen zum Vermögenserhalt
Schluss in sieben Punkten
Anmerkungen
Über den Autor
1 Konsumieren oder investieren?
Anfang 2022 macht Jeff Bezos Schlagzeilen: Damit seine neue Jacht aus der Werft auslaufen kann, soll eine historische Brücke in Rotterdam abgebaut werden. Die Arroganz des Vermögenden lässt sich kaum eindrücklicher aufzeigen. Genau dies ist das Bild, das viele sich machen: Reiche Leute trinken Champagner, wohnen in Villen mit Pool, fliegen im Privatjet und vergnügen sich auf ihrer Jacht.
Im gleichen Jahr 2022 stiegen die Energiepreise derartig, dass Millionen Haushalte in Not gerieten – sie konnten auf kein Vermögen zurückgreifen. Schon der laufende Konsum war ein Problem.
Das scheinen eindrückliche Belege der Vermögenskonzentration zu sein. Dennoch hat man es hier nur mit den Folgen der Vermögenslage zu tun: mit Konsum in seiner Variante des Luxus einerseits und in der Variante täglicher Sorge andererseits. Das wirkliche Vermögen, das sind Maschinenhallen, Dienstleistungsfirmen, Patente, Transportflotten, Netze. Die Netzfirma Amazon ist Vermögen, die Jacht des Jeff Bezos ist Zugabe.
Diese realen Kapitalien sind Produktionsmittel, die Werte schaffen helfen, die wiederum Einkommen verschaffen. Der Konsum dagegen gibt diese Einkommen aus, verschwenderisch oder vorsichtig. Wer wenig verdient, gibt das meiste im Konsum aus, wer viel Einkommen hat, spart einiges davon, investiert in neue Anlagen, sichert sich neues Vermögen und daraus weitere Einkommen.
Damit argumentiert dieses Buch: Findet man Wege für die weniger Vermögenden, ebenfalls etwas anzusparen, um Vermögen neben dem Konsum zu bilden, dann verteilt sich das Vermögen des Landes besser. Was kümmern uns also die Reichen mit ihren Villen, Pools, Privatjets und Jachten! Das ist das Ende der Kette. Der Anfang sind Vermögenswerte, Produktionsstätten, Firmen. Wir befassen uns hier mit dem Wesentlichen – dem Vermögen, an dem die Mehrheit Anteil hat, dem Vermögen der einfachen Leute, der Arbeitenden.
Die Vermögen in Zahlen – Wie aussagekräftig sind Statistiken?
Dass Vermögen nicht gleich verteilt sind, ist eine Binsenwahrheit. Besitzen aber die oft geschmähten reichsten 0,01 Prozent der Bevölkerung tatsächlich die halbe Welt und ist dieser Trend unaufhaltsam? Statistiken können eine gewisse Vorstellung von Verteilung und Entwicklung geben, doch mit Statistiken kann man vieles beweisen. Im Internet finden sie sich in reicher Auswahl, die Leserinnen und Leser mögen sich dort umsehen. Wir lassen hier die blosse Zahlenhuberei und sichten stattdessen die Arten, wie man Vermögenskonzentrationen darstellt.
Da wäre der von dem italienischen Statistiker Corrado Gini entwickelte Gini-Koeffizient, der auf 1 geht, wenn einer alles besitzt, und der 0 beträgt, wenn das Vermögen gleich verteilt ist. Die Spanne aller Darstellungen geht also nur von 0 bis 1 und ist wenig anschaulich. So hatte erwartungsgemäss im Jahr 2020 Russland mit einer der höchsten Vermögenskonzentrationen die Zahl 0,879, die USA 0,852, Deutschland 0,816, die Schweiz 0,702. Die Bedeutung dieser Zahlen ist aber schwer verständlich. Immerhin erscheinen die Vermögensverteilungen verschiedener Länder in einer engen Spanne von 0,7 bis 0,87. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Die Haushalte mit wenig Vermögen bilden sozusagen eine Reserve für die bessere Vermögensstreuung. Da sollte und da kann etwas geschehen. Dazu soll dieses Buch beitragen.¹
Besser vorstellen kann man sich Verhältniszahlen, etwa wie viele Anteile am Gesamtvermögen die obersten 10 Prozent (siehe Grafik) oder die untersten 20 Prozent besitzen. Optisch dargestellt wird dieses prozentuale Verhältnis zwischen Volkseinkommen und Einkommensempfangenden oft durch die Lorenz-Kurve.
Durchschnittswerte sind nicht sehr aussagekräftig. Der Median zeigt die Mitte der Vermögensverteilung, wenn darunter und darüber gleich viele Vermögensträger vorkommen. Der Mittelwert wiederum, also alle Vermögen zusammen geteilt durch die Haushalte, sagt mehr über den allgemeinen volkswirtschaftlichen Reichtum aus als über die Verteilung. Folgendes anschauliche Beispiel zeigt den Unterschied zwischen Median und Mittelwert: Wenn bei einem Klassentreffen Bill Gates teilnimmt, springt der Mittelwert der «anwesenden Vermögen», also der klassische Durchschnitt, in schwindelnde Höhen, ungefähr auf 100 Milliarden Dollar geteilt durch 20 Klassenkameraden. Der Median aber verändert sich kaum, ob Bill Gates nun im Raum ist oder ausserhalb – er steht sozusagen am Rand der 20 Klassenkameraden; und ob er 100 oder 10 Millionen Dollar besitzt: Der Median, also der Kamerad in der Mitte beziehungsweise der mittlere Wert, verschiebt sich vielleicht vom Zehnten mit 200 000 Dollar Vermögen zum Elften mit 220 000 Dollar Vermögen.
Aber diese Vermögenswerte, von denen hier die Rede ist, etwa jene der Wikipedia-Tabellen, stammen meistens aus den Steueranlagen der Staaten. Sie übersetzen das Haushaltsvermögen, die Firmenanteile, Aktien, den Hausbesitz in Zahlen. Der Besitz an Produktionsmitteln, auf die es für die Stellung in der Gesellschaft ankommt, ist aber nicht auf derart wenige konzentriert, wie die Statistiken melden, etwa auf die besagten 0,01 Prozent. Denn jeder Gewerbetreibende, jeder Bauer, jeder selbstständige Taxifahrer oder Velokurier, jede Reinigungskraft, die auf eigene Rechnung arbeitet, sie alle haben ihre eigenen Produktionsmittel, ihr Sachvermögen, das Einkommen erzeugt. Insgesamt wiegen diese Vermögen zusammen wohl schwerer als die in Steuerstatistiken leichter in Zahlen fassbaren Bar- und Börsenvermögen.
Die Statistiken übertreiben einerseits also die Konzentration. Sie geben andererseits ein sehr wichtiges Element des Vermögensbesitzes nicht wieder, nämlich die Verfügungsrechte. Wer produzierendes Vermögen besitzt wie Industrieanlagen, Dienstefirmen, einen Bauernhof, Immobilien, der verfügt in bestimmten Zusammenhängen über die dort Arbeitenden oder Wohnenden. Diese Verfügungsrechte dürften hingegen konzentrierter sein, als die Statistiken zeigen, denn wer Vermögen nur als Barvermögen auf Banken, Geldanlagen in Fonds, in Pensionskassen oder Versicherungen hat, kann reich sein, tritt aber seine Verfügungsrechte an deren Lenker und Leiter ab.
Und schliesslich gilt natürlich: Gleich verteilt ist nicht unbedingt gerecht, und ungleich verteilt ist nicht von vornherein ungerecht. Aber das wird uns in der Folge so wenig wie die Statistiken beschäftigen. Hier soll nicht moralisiert werden, hier wird ermittelt, wie Vermögen gestreut werden kann.
Die Gesellschaft lässt sich verändern
Während Hunderten von Jahren war mindestens die Hälfte der europäischen Bevölkerung mausarm und lebte am Existenzminimum. Zwar liess nicht alle das Elend der Armen unberührt, doch wurde die Not der Einzelnen nur punktuell gelindert durch Almosen von mildtätigen Vermögenden oder kirchliche Einrichtungen. Der Rest war halt Schicksal.
Im 19. Jahrhundert, und besonders nach 1880, begann sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass Elend und Armut einerseits und immense Vermögenshäufung andererseits nicht naturgegeben sind, sondern verändert werden können: Die Gesellschaft, nicht die Natur schafft solche Zustände. In