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See you soon
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eBook308 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

Die Gucci-Gang nennen sich vier Soziologie-Studierende, deren ganzes Streben auf Klicks, Likes und Follower im Netz gerichtet ist. Zwei von ihnen sterben, beide wurden vergiftet. Kommissarin Sudhoff sucht den Mörder im Uni-Umfeld. Vor allem Zoe, Doktorandin an der Berliner Uni, scheint mehr zu wissen, als sie zugibt. Zoe hat tatsächlich ein Geheimnis, das sie unbedingt hüten möchte, denn davon hängt ihre Karriere ab. Während sie versucht, ihre eigenen Spuren vor der Polizei zu verwischen, nimmt ein Unbekannter Kontakt zu ihr auf. Ein Student? Ein Spinner? Erst nach und nach erkennt Zoe, dass der anonyme Schreiber mehr über die Todesfälle weiß, als ihr lieb ist.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum22. Juni 2023
ISBN9783740742300
See you soon
Autor

Kristin Lukas

Kristin Lukas ist 1976 geboren und nach Stationen in Berlin, Paris und Zürich lebt sie heute in Hamburg. Kristin Lukas arbeitet als Professorin im Fachbereich Immobilienwirtschaft und ist Expertin für Zukunftstrends. Die Digitalisierung, der Klimawandel, neue Mobilitätsmuster und die zunehmende Individualisierung sind ihre Forschungsfelder und auch Anstoß für ihre Geschichten.

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    Buchvorschau

    See you soon - Kristin Lukas

    1

    »Als wir noch zusammen waren, war er nicht so. Da war er ganz anders. Ich erkenne ihn nicht wieder. Die Leute, mit denen er jetzt unterwegs ist, sind die reinsten Yuppies. Sie sind gerade alle zusammen in Dubai. Das ist doch nicht er!«

    Zoe stößt sich mit einem Ruck vom Tresen ab, erträgt den Herzschmerz von ihrem unbekannten Nebenmann nicht mehr, dem die Jeans so tief auf den Hüften sitzt, dass seine Pospalte sichtbar ist. Sie hat einen bösen Streit mit Paul hinter sich, was der Grund dafür ist, dass sie sich jetzt bereits ihren vierten Drink bestellt hat. Mit dem ergatterten Havana Club Cola in den Händen kehrt sie zurück auf die Tanzfläche. Der Club ist wie jeden Mittwoch um diese Zeit proppenvoll. Das Stroboskop flimmert, die Bässe wummern, automatisch reagieren ihre Füße auf die Musik. Sie ist eine der wenigen, die sich an der Bar hat bedienen lassen. Auf den meisten Rücken der rhythmisch zuckenden Körper baumeln Plastikflaschen an bunten Kordeln, aufgefüllt mit Leitungswasser. Der Spaßfaktor wird durch etwas anderes als Alkohol erhöht. Das ist an den erweiterten, flimmernden Pupillen deutlich erkennbar.

    Zoe schließt die Augen und folgt den Klängen des DJs. Die Luft ist stickig, der Sauerstoff nach der langen Nacht fast verbraucht. Durch die vernagelten Fenster des alten Wasserwerks dringen erste Strahlen des Morgenlichts. Von der frühen Stunde unbeeindruckt, feiert die Meute ekstatisch weiter, bewegt sich wie eine homogene Masse im fiebrigen Licht. Das ist ihre Welt. Dicht gedrängt inmitten dieser Leiber, unter lauter Fremden. Zoe liebt die Anonymität, sie gibt ihr Sicherheit.

    Im nächsten Moment trifft sie ein Ellenbogen hart im Nacken. Sie gerät ins Stolpern, fällt auf ihr Gegenüber und stützt sich mit einer Hand an einem verschwitzen, nackten Oberkörper ab. Der Typ reagiert, greift blitzschnell nach ihrem Handgelenk und bewahrt sie vor einem Sturz. Nun steht Zoe auf sicherem Boden, jedoch ist ihr Shirt über und über mit brauner Flüssigkeit durchtränkt.

    Sie richtet sich auf, nass und klebrig und erstaunlicherweise mit noch heilem Glas in der Hand. Ihr Blick schweift auf der Suche nach ihrem Retter durch die Menge, doch sie sieht nur noch einen tätowierten Rücken in der Masse des zuckenden Partyvolks verschwinden. Vom Übeltäter ist erst recht keine Spur zu erkennen.

    Im Schwarzlicht des Toilettenraums wäscht sie ihr neongelbes Shirt aus. Sie blickt in den Spiegel, den gleich mehrere Sprünge zieren, und kneift die Augen zusammen. Ihre Wimperntusche ist verlaufen und dünne Strähnen ihres blonden Haars kleben am Hals. Sämtliche Versuche, es länger wachsen zu lassen als schulterlang, sind kläglich gescheitert. Es ist zu fusselig.

    Krachend fliegt die Tür zu den Waschräumen auf und ein knutschendes Pärchen stolpert herein. Die Hände unter dem T-Shirt des anderen verschwinden die beiden in einer der WC-Kabinen. In ihrer hitzigen Erwartung schenken sie Zoe keinen Blick. Nehmen nicht wahr, dass sie halb nackt ist. Zoe sieht wieder in den Spiegel und zuckt ebenso desinteressiert die Schultern. Ihre Brüste sind so winzig, dass sie nie einen BH trägt.

    Als Zoe die schwere Metalltür aufstößt und das ehemalige Wasserwerk verlässt, fröstelt sie. Die warme Juliluft kann der Feuchte ihres Oberteils nicht genug entgegensetzen. Sie legt sich das schwere Kettenschloss ihres BMX-Rads um den Bauch, nun fühlt es sich an, als hinge zudem ein kalter Aal um ihren Körper.

    Kraftvoll tritt sie in die Pedale und fährt die Auffahrt des Berliner Clubs hinunter. Auf der Straße angelangt, kommt ihr mit lautem Martinshorn ein Krankenwagen entgegen. Eine Überdosis, denkt sie. Es wäre nicht die erste.

    2

    Zoe hat gerade ihr Cola-Shirt gegen eine weiße Bluse getauscht und ihr dünnes Haar zu einem Zopf gebunden, als die Tür des Büros aufschwingt. Alexander Steinfurt predigt eine Politik der offenen Tür, was vor allem für die Bürotüren seiner Mitarbeiter gilt. Von seinem Schwung überrollt, lässt sich Zoe in ihren Schreibtischstuhl fallen.

    »Frau Mandy Meister«, beginnt der Soziologieprofessor der Berliner Humboldt-Universität förmlich und Zoe verzieht demonstrativ das Gesicht wegen ihres verhassten Namens. Mandy nennt sie sich Jahren nicht mehr. Sie hat sich für Zoe entschieden, als sie in der zwölften Klasse im Philosophieunterricht erfahren hat, dass es die altgriechische Bezeichnung für Leben ist.

    »Haben Sie die Notenliste für den Grundkurs I schon erstellt? Sind die Durchfallquoten wie im letzten Se…« Steinfurt rümpft die Nase. »Haben Sie hier geraucht?«

    »Nein, auf keinen Fall!«, entrüstet sich Zoe.

    »Herrje, Sie haben sich wieder die Nacht um die Ohren geschlagen und sind direkt ins Büro gekommen.«

    »Das schon eher«, gibt Zoe zu, ohne Spur eines schlechten Gewissens.

    Der Professor kann kann ihre Begeisterung für lange Clubnächte nicht teilen und zieht die Stirn kraus. »Wie dem auch sei. Bitte bereiten Sie die Listen für das Prüfungsamt …«

    Wieder kommt Steinfurt nicht zum Abschluss seines Satzes. Hinter ihm klopft jemand an die Türzarge. Obwohl die Tür offen steht, kann Zoe die Person nicht erkennen. Sie wird völlig durch die kräftige Statur des Professors verdeckt. Eine Größe, die ihm in jungen Jahren als Handballspieler zugutegekommen ist. Weniger behände als noch zu seinen sportlichen Zeiten, fährt der Professor herum.

    »Sudhoff. Christine Sudhoff«, hört Zoe eine feste Stimme, noch immer ohne ein Gesicht zu sehen. »Kriminalkommissariat Berlin. Ich suche Frau Meister. Mandy Meister. Bin ich hier richtig?«

    Jetzt kann Zoe nicht länger auf ihrem Stuhl verharren. Sie springt auf und schiebt sich an Steinfurt vorbei. Als sie vor der Kommissarin steht, verkündet sie: »Ja, das bin ich.«

    Ein Moment der Stille entsteht. Zoe wartet auf eine Erklärung, doch die Kommissarin gibt ihr keine. Mustert sie still. Sie überragt Zoe nur um ein, zwei Zentimeter, sodass sich die beiden von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Zoe wird unbehaglich. Was soll die Taxierung dieser fremden Frau? Aber so fremd erscheint sie ihr gar nicht. Sudhoff ist älter und doch erkennt Zoe Gemeinsamkeiten. Die Kommissarin hat die gleiche schmale Figur wie sie selbst, die nur an der Hüfte ein wenig Kurven formt. Das gleiche dünne blonde Haar, was sie sicher oft nach dem Aufstehen zur Weißglut bringt. Und selbst die Augen sind durch ein ähnliches wässriges Blau wie das ihre gekennzeichnet. Zoe lässt ihren Blick weiterwandern und bemerkt, dass das Alter Spuren zeigt. Auf den Händen der Kommissarin zeichnen sich erste Altersflecke ab.

    Zoes Chef räuspert sich, kann die Stille nicht länger aushalten. »Also, wenn ich mich vorstellen darf. Professor Steinfurt ist mein Name.« Dann streckt er seine Hand aus.

    Noch eine weitere Sekunde vergeht, bis die Kommissarin sich aus ihrer Starre löst und völlig unverblümt und mit frischem Elan die Hand ergreift. »Freut mich!« Ihr Gesicht strahlt, als würde sie es ernsthaft so meinen. Dann senkt sie ihren Blick wieder und richtet ihn auf Zoe: »Aber noch mehr freut es mich, Sie zu treffen.« Jetzt ist es die Hand der Kommissarin, die die Luft durchschneidet.

    Zoe ergreift sie zögerlich. Als sich die Finger der Kommissarin um ihre schließen, spürt sie eine Ambivalenz. Die dünne, pergamentartige Haut steht ganz im Gegensatz zu dem kräftigen Händedruck.

    »Darf ich mich setzen?« Frau Sudhoff weist in Richtung eines Besucherstuhls, der allerdings noch von einem Stapel Klausuren belegt ist.

    »Sicher«, meldet sich Steinfurt beflissentlich zu Wort und gibt den Weg frei.

    Zoe verfrachtet den Papierstapel auf eine freie Stelle ihres Schreibtischs. Dann geht sie zurück zu ihrem eigenen Platz, jedoch nicht ohne sich von der Tischplatte ein Radiergummi zu fischen. Das Spiel mit dem weichen Material beruhigt sie.

    »Sie sind Tutorin für Statistik!«

    Am Ende des Satzes der Kommissarin steht hörbar ein Ausrufezeichen. Dennoch fühlt Zoe sich genötigt, mit einem verhaltenen »Ja« zu antworten.

    Trotz der Bestätigung zeigt die Kommissarin keine Reaktion. Begnügt sich erneut damit, Zoe mit ihren blassblauen Augen zu taxieren. In Zoe wächst das Unbehagen. Was will die Polizei von ihr?

    Erst hält Zoe der Begutachtung stand, dann weicht sie dem Blick scheu aus und nach weiteren Sekunden regt sich Widerstand in ihr. Herausfordernd fragt sie: »Brauchen Sie Nachhilfe?«

    Auf dem Gesicht der Kommissarin erscheint ein mildes Lächeln, als hätte sich ein Kind vor ihr mit Eis bekleckert. »Nein, nein«, schüttelt sie den Kopf, sodass sich eine blond gefärbte Strähne aus ihrem Zopf löst. »Da ist jede Mühe vergeblich.« Dann wird sie wieder ernst. »Aber jemand anderes, der hat Ihre Hilfe gesucht.«

    »Und wer?« Zoes innere Aufregung hat sich nicht gelegt.

    »Das weiß ich nicht«, antwortet die Kommissarin und zieht dabei die Stirn kraus. »Ich hoffe, Sie können es mir sagen.«

    Zoe kneift die Augen zusammen, der Radiergummi in ihrer Hand dreht sich. »Aha«, stößt sie aus. »Und wie soll das gehen?«

    Die Kommissarin zieht aus ihrem Jackett ein Smartphone, tippt auf das Display und streckt es Zoe entgegen. Steinfurt, der den Raum nicht verlassen hat, tritt einen Schritt näher, verrenkt sich über dem Schreibtisch und kann doch keinen Blick erhaschen. Die Kommissarin kümmert das wenig. Ungerührt verharrt das Handy direkt vor Zoes Gesichtsfeld.

    »Und? Kennen Sie die Person?«

    Zoes Augen verengen sich jetzt zu richtigen Schlitzen, um die Frau auf dem Foto zu fokussieren. Sie mag um die zwanzig sein, auch wenn ihr Outfit sie älter wirken lässt. Sie trägt eine bestickte Bluse, dazu eine Perlenkette. Es fehlt nur die Bouclé-Jacke. Queen-Mum-Chic, wie ihn Zoe getauft hat. Angesagt unter ihren Studentinnen. Im Kontrast zur konservativen Bekleidung sind die blonden, langen Haare der jungen Dame zerzaust und dreckig vom Schotterboden, auf dem sie liegt. Auch in ihrem Gesicht zeigen sich Spuren vom Straßenstaub. Die Wimperntusche ist verwischt und graue Schlieren überziehen die Wangen. Zoe reckt sich noch ein paar Millimeter vor, sodass ihr Gesicht nur eine halbe Armlänge vom Handy entfernt ist. Nun kann sie die starren Pupillen der Frau erkennen. Die Lider wurden ihr noch nicht geschlossen.

    »Und?«, hörte sie eine entfernte Stimme und merkt erst jetzt, wie fest sie während ihrer Beobachtung den Radiergummi in ihrer Hand zusammengepresst hat. Die Haut um ihre Fingerknöchel ist ganz weiß.

    »Und?«, wiederholt Frau Sudhoff.

    »Ist sie …, ist sie tot?«, fragt Zoe zaghaft.

    Die Kommissarin nickt und will ihre Frage wiederholen, doch Zoe kommt ihr rasch zuvor: »Nein, ich kenne sie nicht.«

    Wegen Zoes Verneinung wird jetzt der Professor interessant. Mit Schwung dreht sich die Kommissarin auf dem Stuhl und richtet das Display in seine Richtung. Wie sehr sein Gehirn arbeitet, zeigt die Menge an Falten, die sich auf seiner Stirn bildet. Dann plötzlich glättet sich die Haut. »Aber ja, das ist Frau Wiese. Julia oder Juliane mit Vornamen.«

    »Julia Wiese«, stößt Zoe ungläubig aus.

    »Also kennen Sie sie doch!«, stellt Frau Sudhoff fest.

    »Äh, nein. Nur ihren Namen. Ich habe ihre Klausur korrigiert. Ich habe mir ihre Arbeit gleich zwei Mal angeschaut, denn sie gehört zu denjenigen, die nicht bestanden haben. Da schaue ich ganz genau hin.« Nach einem kurzen Luftzug ergänzt Zoe bitter: »Aber das ist jetzt wohl nicht mehr relevant.«

    »Sie hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert«, erklärt Professor Steinfurt von der Seite. »Sie war im siebten Semester. Kurz vor dem Beginn der Bachelorarbeit, obwohl sie ein paar Kurse wiederholen musste.«

    Frau Sudhoff kramt in ihrer Jackentasche. Zieht ein gelbes Papier hervor, das auf die Größe eines Bierdeckels zusammengefaltet ist.

    Zoe erkennt es sofort. Es handelt sich um die Ankündigung des Statistik-Tutoriums. Julia Wiese hat das ganze Blatt vom Schwarzen Brett entwendet, statt sich, wie vorgesehen, die Mailadresse zu notieren.

    »Aber«, fragt Zoe, »hatte sie denn keinen Ausweis dabei? Kein Portemonnaie? Wieso diese Schnitzeljagd?«

    »Angesichts dieses malträtierten Zettels sicher eine passende Analogie. Tatsächlich hatte sie nur Bargeld, ein Handy und eben diesen gelben Papierschnipsel bei sich. Das Telefon ist in der Technik. Die Schnitzeljagd ist zwar altmodisch, führt aber doch manchmal – wie man sieht – schnell zum Ziel.« Die Kommissarin ergänzt: »Was können Sie mir zu Julia Wiese sagen?«

    »Nicht viel«, äußert sich Steinfurt, der inzwischen an einer Wand lehnt. »Ich glaube, sie kam aus Berlin. Zumindest ließ das ihr Dialekt vermuten.«

    »Hatte sie Freunde? Feinde? Gab es Streit unter den Studierenden?«

    Steinfurt fährt sich durch das graue Haar. »Keine Ahnung. Ich meine … also, die Studierenden …, nun.« Die Sozialwissenschaft ist sein Metier, weniger die Sozialkontakte seiner Schützlinge. Dann hellt sich seine Miene etwas auf. »Frau Meister, die Clique rund um den Herrn Stoltenbrink. Die kennen Sie doch. Da, mit denen, da war die Wiese auch mit dabei.«

    »Stoltenbrink«, wiederholt die Kommissarin spitz und wendet den Blick in Richtung Zoe.

    »Auch einer unserer Studierenden. Ebenfalls im siebten Semester. Viktor Stoltenbrink. Aus gutem, oder zumindest aus wohlhabendem Hause. Die Clique bezeichnet sich selbst als Gucci-Gang. Mode, vor allem teure Mode, ist ihnen sehr wichtig.«

    »Und Julia Wiese gehörte dazu?« Die wasserblauen Augen von Frau Sudhoff blitzen etwas heller auf.

    Zoes Lippen öffnen sich, doch es kommt kein Laut aus ihrem Mund.

    Der Professor springt ihr bei: »Ich kenne mich mit Mode nicht aus, aber sie hat definitiv mit dieser Gruppe verkehrt.«

    »Notieren Sie mir doch die Namen der Mitglieder dieser Gruppe«, bittet die Kommissarin und schließt direkt an: »Und können Sie mir sonst noch etwas zu Julia Wiese sagen? Oder zu dem Club, dem Wasserwerk, in dem Frau Wiese gestern gewesen ist und vor dessen Toren wir sie gefunden haben?«

    Zoe zuckt bei der Nennung des Clubnamens zusammen. Ihre Reaktion wird jedoch von der lautstarken Meldung des Professors überdeckt. »Das Nachtleben ist eindeutig Frau Meisters Metier. Sie ist diejenige am Lehrstuhl, die sich die Nächte um die Ohren schlägt.«

    »Sie kennen also den Laden?«

    »Ja, sicher«, gibt Zoe zu.

    »Verkehren Sie dort öfter?«

    Zoe nickt.

    »Auch gestern Abend?«

    Ein erneutes Kopfnicken.

    Die Kommissarin ist aufgebracht. »Wieso sagen Sie das erst jetzt?«

    »Aber«, verteidigt sich Zoe, »Sie haben nicht danach gefragt. Und woher soll ich wissen, dass Julia Wiese in der Nähe des Wasserwerks gestorben ist!«

    Die Kommissarin atmet tief durch. Der Einwand ist berechtigt. »Haben Sie Frau Wiese dort gesehen?«

    Vehement schüttelt Zoe den Kopf.

    »Und wann haben Sie die Lokalität verlassen?«

    Verlegen räumt Zoe ein: »So gegen sechs, vielleicht halb sieben.« Ihr Chef verdreht die Augen. Davon unbenommen fügt sie hinzu: »Als ich ging, fuhr gerade ein Krankenwagen vor.«

    Frau Sudhoff macht sich eine Notiz und wendet sich dann wieder an ihre Gesprächspartner: »Also, Sie haben doch sicher beide eine Visitenkarte. Die hätte ich jetzt gerne.«

    »Wieso?«, fragt der Professor in einer Mischung aus Überraschung und Widerwillen.

    »Weil das mit Sicherheit nicht unsere letzte Unterredung gewesen ist.«

    Als Zoe ihre Karte herüberreicht, fragt sie vorsichtig: »Frau Wiese wurde ermordet, nicht?«

    Wieder schaut die Kommissarin tief in Zoes Augen, wieder verfangen sich ihre Blicke. Zoe zuckt mit keiner Wimper.

    Im nächsten Moment steckt die Polizistin die Karten ein und verabschiedet sich: »Wie gesagt, das ist nicht unsere letzte Unterredung.«

    3

    »Bei dir noch alles fresh?«, prustet Viktor hervor und gibt Elias einen deftigen Klaps auf den Hinterkopf. »Flat White mit Hafermilch! Was soll ich damit?« Viktor zeigt verächtlich auf die dampfende Kaffeespezialität in grauem, stilvollem Porzellan. »Verdammt, Mann. Soja! Ich trinke Sojamilch!«

    »Mensch, Viks, reg dich ab.« Elias lässt sich auf den weiß lasierten Holzstuhl eines gerade angesagten Cafés in Berlin-Mitte fallen und streicht sich eine blonde Strähne hinter das Ohr. Dadurch sticht sein kahl rasierter Undercut hervor.

    »Ihr seid echt voll die Alpha-Kevins«, raunzt Anastasia. Schnappt sich selbst ihren Latte Decaf und lässt sich mit dem Rücken gegen die Wand aus poliertem Sichtbeton fallen.

    »Bleib mal cremig, Nasty«, stößt Viktor abfällig aus. Doch sein Ton ist bereits etwas leiser geworden und geht in der Geräuschkulisse des Cafés fast unter. Die glatten Betonflächen sorgen für das Gegenteil einer Akustikdecke und der Schall breitet sich ungemindert aus.

    »Was heißt hier locker bleiben. Julia ist seit zwei Tagen tot und ihr zankt euch über einen Scheißkaffee? Nicht euer Ernst, oder?«

    Betretenes Schweigen macht sich unter den jungen Leuten breit. Die beiden Männer starren auf ihre Hände, knibbeln an ihren Fingern.

    Anastasias Blick gleitet von einem zum anderen. »Sie ist tot«, wiederholt sie noch einmal mit durchdringender Stimme. »Ermordet. Von einem Irren. Irgendeinem Typ, der ihr eine giftige Substanz untergeschoben hat.«

    Elias’ Kopf hebt sich: »Das ist doch noch gar nicht klar.« Seine Stimme klingt mehr nach Wunsch als Widerstand. Sofort senkt er den Kopf wieder und seine hagere Gestalt fällt auf dem Holzstuhl zusammen.

    »Viks hat es doch auch gesagt«, braust Anastasia auf. »So stand es im Untersuchungsbericht. Viks, sag es ihm, sag ihm, was die Polizei dir erzählt hat.«

    Viktor zieht die Luft ein. »Sie vermuten es. Doch sicher ist nichts. Sie haben von einem toxikologischen Gutachten gesprochen. Das dauert wohl. Mehrere Wochen.«

    »Also«, schiebt sich Elias jetzt mit Rückenwind dazwischen, »dann muss es nicht unbedingt Mord sein. Vielleicht ist sie einfach versumpft.«

    »Quatsch!« Anastasias Hände fahren in die Luft. »Julia hat kaum Alkohol getrunken. Höchstens mal eine Weißweinschorle und wenn es zwei waren, war sie schon tipsy. Und jetzt soll sie Drogen eingeschmissen haben, die ein Organversagen hervorrufen? Das glaubt ihr doch selber nicht.«

    »Viks, was meinst du denn?«, wendet sich Elias an seinen Kumpel. »Du warst doch schließlich bis zum Schluss mit ihr im Wasserwerk. Du hast sie als Letzter gesehen.«

    Überrumpelt verschließt Viktor die Arme vor der Brust. Die gekreuzten Unterarme sind mit bunten Tattoos verziert. Drachen, Löwen und schillernde Fische inmitten von Pfingstrosen und Kirschblüten. Das Werk eines Irezumi-Künstlers, dessen Spezialgebiet die Tätowierung mythologischer Symbole aus Japan ist.

    »Keine Ahnung. Die hatte so einen Typen am Start. Da war sie noch klar. Dann bin ich weg. Habe ich auch der Polizei erzählt. Keine Ahnung, was sie mit dem getrieben hat.«

    »Was bist du denn für ein Asi, hör auf, Julia zu dissen«, braust Anastasia erneut auf. Doch bevor sie weiterschimpfen kann, wird Viktor laut: »Jetzt hör mal, spiel hier nicht die Checkerbraut. Julia war nicht Mutter Teresa. Nur weil sie tot ist, musst du sie nicht heiligsprechen. Wir wissen alle, was ihr Ziel war. Wenn nicht Insta-Queen, dann eben Tinderella. Ständig auf Dating-Plattformen unterwegs. Immer online, immer auf der Suche nach einem Finanzier. Sie war ein Perlhuhn. Teure Klamotten und eitel bis zum Scheitel.«

    »Du bist echt vollpanne«, entgegnet Anastasia verschnupft und schlägt ein Bein über das andere. Auf ihrer Sweatpant kommt das Off-White-Logo zum Vorschein. Für die Hose hat sie ihr Konto überzogen. Aus ihrer Sicht eine sinnvolle Investition, denn das Label fehlte noch ihrem Kleiderschrank.

    »Und du mach mal keinen Zickenalarm!«, kontert Viktor.

    4

    Niemand hat mir geglaubt, als ich sagte, der Campus inmitten all der Wolkenkratzer sei lieblich gewesen. Was für ein seltsames Wort auch. So redet heute niemand mehr. Lieblich. Laut Wörterbuch gleichbedeutend mit ›voller Anmut‹ oder ›Liebreiz‹. Doch wenn ich gedanklich zwischen den Universitätsgebäuden umherwandle und die Magnolienbäume, mit ihrer imposanten und doch so zarten, rosafarbenen Blütenfülle, vor meinem inneren Auge betrachte, ist es genau dieses Adjektiv was ihm am ehesten gerecht wird. Ein Wort das aus der Mode gekommen ist. Doch wenn die Worte verschwunden sind ist dann auch die Lieblichkeit verloren? …

    Zoe markiert die Kommafehler mit einem Rotstift und fragt sich, welcher ihrer Studierenden diese außergewöhnliche Frage aufgeworfen hat. Sie prüft das Deckblatt, doch darauf ist kein Name verzeichnet. Herrje, denkt Zoe, jetzt muss sie sich auch noch auf die Suche nach dem Autor machen. Sie greift genervt zur Kaffeetasse, doch ein Blick hinein verursacht nur Stirnrunzeln. Die anschließende Prüfung der Kaffeekanne legt ihre Stirn erst recht in Falten. Es ist Montagmorgen.

    »Wie weit sind Sie mit den Hausarbeiten? Haben sich schon neue Ansätze ergeben?«

    Zoe schreckt herum und entdeckt Professor Steinfurt, der den Kopf zur Tür hereinstreckt. Seinen Nasenrücken ziert ein dunkler roter Fleck.

    »Sie sind ein echter Optimist. Glauben Sie wirklich, wir finden etwas Substanzielles in den Aufsätzen, um Ihre Thesen zu belegen?« Vom ersten Tag mochte Zoe die direkte, wenn auch spröde Art ihres Professors. Kommunikation ist nicht ihre Stärke und seine uneingeschränkte Konzentration auf die fachliche Ebene erleichtert ihr den Austausch ungemein.

    »Und Sie sind zu pessimistisch! Wir werden sicher nicht die eine Arbeit finden, die alles erklärt. Darum geht es auch nicht. Die Gesellschaft strebt zunehmend nach Einzigartigkeit. Individuen, Ereignisse, Orte – alles will besonders sein. Es

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