Lucies Reise oder die Suche nach dem Schatz
Von Carolin Kamlade
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Buchvorschau
Lucies Reise oder die Suche nach dem Schatz - Carolin Kamlade
Kapitel 1 – Shakti
Sie rannte so schnell sie konnte. Die Zweige, die ihr ins Gesicht schlugen und über ihren Körper streiften, fühlten sich wie Peitschenhiebe an. Ihre nackten Füße berührten kaum den moosigen Waldboden, der sie sicher über den weichen unebenen Untergrund trug. Der Mond, ihr treuer Begleiter, leuchtete ihr den Weg durch die Dunkelheit.
Sie liebte den Duft des Waldes, der sie jedes Mal ausfüllte, wenn sie ihn bewusst einatmete. Doch heute blieb ihr keine Zeit, um ihre Lungen ausgiebig und intensiv mit ihm zu füllen.
Diesen Wald kannte sie wie ihre Westentasche. Sie liebte ihn, mit seiner gleichgültigen Erhabenheit. Die alten Laubbäume verrieten ihre Sanftmut durch ihr feines Blätterspiel und hielten für sie Sicherheit bereit. Hier war sie verbunden und eins mit allem.
Sie rannte schneller, als sie jemals gerannt war, um rechtzeitig die Lichtung zu erreichen. Wenn sie es nicht schaffte, konnte das gravierende Auswirkungen haben. Jetzt und hier wusste dieser Teil davon und sie musste alles vorbereiten.
Damit der nächste Tag nicht der Anfang vom Ende war.
Hier in Ihrem Zauberwald war sie ihr vollkommener Avatar. Sie konnte sich hervorragend bewegen, war flink und wendig, gekleidet wie eine Kriegerin und genauso stark. Ihr Körper strotzte vor Energie und Kraft.
Ihre Gabe, sich zu verwandeln, nutze sie nur selten und nur, wenn es nicht anders ging. So wie jetzt. Sie wusste wer sie war, warum sie existierte und was sie zu tun hatte. Hier war es möglich, ihre Zukunft zu gestalten. Und das musste sie jetzt tun. Um ihrer Seele willen.
Sie hatte auf der Erde etwas zu erledigen.
Und deshalb rannte sie, so schnell sie konnte.
Sie musste ihre zweite Hälfte treffen.
Sollte sie es bis zum Morgengrauen schaffen, konnte sie noch mit ihr sprechen, alles vorbereiten und es in Liebe geschehen lassen, was unausweichlich war.
Sie rannte um ihr Leben.
Als die Bäume lichter wurden, wusste sie, dass sie die Lichtung gleich erreichen würde. Sie wurde langsamer und ging bedächtig, auf jeden Schritt achtend die letzten Meter, bis sie die Lichtung einsehen konnte. Sie berührte kaum den Boden und gab kein Geräusch von sich. Die Stille war ein Teil von ihr.
Sie erblickte seinen Schatten erst, als sie aus dem Wald heraus trat. Vor den Mond hatten sich jetzt dunkle Wolken geschoben. Ein grauer Schleier zog sich über die Lichtung und es war so dunkel, dass sie kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Ihre übrigen Sinne waren so geschärft, dass sie die Dunkelheit kaum wahr nahm.
Im Wald hinter ihr war es so still, dass es sie fast etwas beunruhigte. Hörte sich so das Ende an? Oder war es die Vorbereitung des Waldes auf das Neue? Es war der Anfang, der sich hier ankündigte. Und dafür wollte sie alles, was in ihrer Macht stand, beitragen.
Als sie die Lichtung betrat, wurde sie bereits erwartet.
Mit sanften Schritten trat sie aus dem Schatten heraus und hauchte leise seinen Namen.
Jetzt waren sie vereint.
Jetzt konnte es beginnen.
Jetzt konnte ihr Licht anfangen zu scheinen.
Kapitel 2 - Lucie
„Lucie! Mach die Tür auf! Lucie!"
Lucie schlug die Augen auf. Das Klopfen an der Tür und das Rufen ihres Namens bedeuteten nichts Gutes. Schlaftrunken quälte sie sich aus dem Bett. Das quietschende Geräusch beim Öffnen der Tür tat in ihren Ohren nur halb so weh wie in ihrem Kopf. Blitzartig fiel ihr der quietschende Deckel der alten Truhe wieder ein. Genau hier war sie aufgewacht. Was war das für ein verrückter Traum gewesen? Verschwommen kamen ihr weitere Fetzen des Traumes vor ihrem inneren Auge in den Sinn, bis sie die Tür ganz geöffnet hatte. Vor ihr stand ihre Mutter.
„Du hast verschlafen, zieh dich schnell an, sonst kommst du zu spät." Mit diesen Worten und einem vorwurfsvollen Blick, den ihre Mutter immer dann aufsetzte, wenn sie etwa machen musste, dass nicht in ihren Zeitplan passte, machte Lucies Mutter auf dem Absatz kehrt und ließ Lucie etwas verwirrt in der Zimmertür stehen.
Seltsamerweise war es unwirklich hier zu stehen und den Flur mit seiner langen Flucht zu betrachten, durch den sie seit ihrer Kindheit gegangen war. Lucie lebte mit ihrer Familie seit sie sich erinnern konnte in diesem Haus. Ihre Eltern hatten es vor der Geburt ihrer älteren Schwester gekauft und ein gemütliches Nest gebaut. Lucie fühlte sich wohl zu Hause und fand, dass ihre Kindheit nicht schöner hätte sein können. Aber langsam war es Zeit, sich abzunabeln. Sie war alt genug, studierte, hatte einen festen Freund und das Bedürfnis, sich ihr eigens Nest zu bauen.
Als Lucie die Tür schloss und dabei über ihre Schulter auf das zerwühlte Bett schaute, schüttelte sie den Kopf, als wollte sie die Gedanken abschütteln. Da quietschte ihre Zimmertür erneut und Lucie dachte schlagartig wieder an den Traum der letzten Nacht. Sie hatte noch nie einen Traum als so real empfunden, auch wenn sie sich nur ganz dunkel und bruchstückhaft erinnern konnte.
Langsam ging sie in ihr Zimmer zurück und öffnete geistesabwesend ihren Kleiderschrank. Beim Öffnen der Tür hielt sie abrupt inne. Mist, heute war Dienstag! Sie hielt in der ersten Stunde ein Referat in Deutsch. Über die Romantik. Und Marc war in ihrem Kurs. Sie schaute auf ihr neues iPhone, dass sie sich vor ein paar Wochen von ihren Ersparnissen geleistet hatte. In fünfzehn Minuten fuhr der Bus. Sie musste sich beeilen.
Eine Nachricht von Marc war auch auf ihrem Handy. Schnell schaute sie nach, was er ihr schrieb. In ihrem Gesicht erschien ein sanftes Lächeln und ihr Herz schlug schneller, als sie las, dass er nach dem Deutschkurs auf sie warten würde. Es machte sie etwas stutzig, dass er extra erwähnte, dass er mit ihr sprechen wollte, aber gab dem keine besondere