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6 Thriller für den Sommer 2023
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eBook761 Seiten9 Stunden

6 Thriller für den Sommer 2023

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Über dieses E-Book

Dieses Buch enthält folgende Krimis:

Pete Hackett: Ein tödlicher Deal

Alfred Bekker: Ein Scharfschütze

Alfred Bekker: Katzenjammer für einen Killer

Peter Haberl: Es kann der Frömmste nicht in Frieden morden

Alfred Bekker: Blutige Tränen

Pete Hackett: Highway-Piraten







Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Mal provinziell, mal urban. Mal lokal-deutsch, mal amerikanisch. Und immer anders, als man zuerst denkt.
SpracheDeutsch
HerausgeberAlfredbooks
Erscheinungsdatum8. Mai 2023
ISBN9783745229707
6 Thriller für den Sommer 2023
Autor

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Buchvorschau

    6 Thriller für den Sommer 2023 - Alfred Bekker

    6 Thriller für den Sommer 2023

    Alfred Bekker, Pete Hackett, Peter Haberl

    Dieses Buch enthält folgende Krimis:

    Pete Hackett: Ein tödlicher Deal

    Alfred Bekker: Ein Scharfschütze

    Alfred Bekker: Katzenjammer für einen Killer

    Peter Haberl: Es kann der Frömmste nicht in Frieden morden

    Alfred Bekker: Blutige Tränen

    Pete Hackett: Highway-Piraten

    Kriminalromane der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Mal provinziell, mal urban. Mal lokal-deutsch, mal amerikanisch. Und immer anders, als man zuerst denkt.

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker

    © Roman by Author

    COVER A.PANADERO

    © dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

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    Alles rund um Belletristik!

    Ein tödlicher Deal

    Special Agent Owen Burke

    Ein CassiopeiaPress E-Book

    © by Author

    © 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress

    www.AlfredBekker.de

    **

    »Der Mörder selbst hat uns auf den Toten aufmerksam gemacht«, erklärte Detective Lieutenant James Howard. »Er rief um 2 Uhr beim 17th Precinct an und erklärte, dass in dem weißen Ford mit der Nummer DYP 755 ein Toter sitzt.«

    »Sagte er auch, warum er ihm ein Messer in den Leib gerammt hat, auf das er vorher ein Blatt Papier spießte, auf welches er mit einem Filzstift das Wort 'schuldig' schrieb?«, fragte Special Agent Owen Burke vom FBI New York, der vor wenigen Minuten zusammen mit seinem Kollegen Ron Harris am Tatort eingetroffen war.

    Howard schüttelte den Kopf. »Nein. Aber dem ersten Augenschein nach ist es wohl so, dass der Ermordete mit Drogen handelte. Und das schien den Mörder auf den Plan gerufen zu haben. Und weil Drogen im Spiel sind, haben wir euch eingeschaltet.« Howard grinste freudlos. »Hiermit gebe ich die Angelegenheit an euch ab. Ich fahre wieder ins Department und warte darauf, dass irgendwo im Big Apple ein anderer Mord geschieht, der in meine Zuständigkeit fällt.«

    »Lass dich nicht aufhalten«, knurrte Ron Harris sarkastisch.

    Howard tippte grüßend mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und marschierte davon, tauchte unter dem gelben Trassenband hindurch, mit dem die City Police den Tatort abgegrenzt hatte, und bahnte sich einen Weg durch die Menge der Neugierigen, die auf der Straße und auf den Gehsteigen Schulter an Schulter standen.

    Die rotierenden Lichter auf den Dächern einiger Einsatzfahrzeuge warfen blaue und rote Lichtreflexe auf die Straße und gegen die Wände der Häuser. Schräg gegenüber, etwas fünfzig Yards von dem weißen Ford mit dem Toten entfernt, war der Eingang der Diskothek 'Sausalitos'.

    Kurze Zeit beobachtete Owen Burke die Männer von der Spurensicherung. Sie trugen weiße Schutzanzüge, Mützen, Handschuhe aus Latex und an den Füßen Überziehschuhe aus demselben Material. Bei dem Toten im Wagen handelte es sich um einen Schwarzen. Er war um die fünfundzwanzig Jahre alt. Bis jetzt wussten Burke und Harris nur, dass in dem Ford einige Portionen Haschisch, Marihuana und sogar Heroin gefunden worden waren.

    Burke wandte sich an den Leiter des Teams aus dem Police Department. »Weiß man schon, um wen es sich bei dem Toten handelt?«

    »Nein. Wie es aussieht, war er ohne irgendwelche Papiere unterwegs. Vielleicht hat man ihm den Führerschein oder den Ausweis weggenommen. Ich bin der Meinung, dass er jemand zum Opfer fiel, mit dem er Geschäfte machte und den er vielleicht betrog.«

    »Das schließen Sie aus dem Wort 'schuldig', das auf den Zettel geschrieben war, wie?«

    »Ja. Es ist natürlich reine Spekulation. Jedenfalls scheint es sich bei dem Mord um einen Racheakt zu handeln.«

    »Oder jemand will eine falsche Spur legen«, wandte Burke ein. »Werden Sie uns in Kenntnis setzen, wenn Sie wissen, um wen es sich bei dem Mann handelt?«, fragte Owen Burke.

    »Natürlich. Howard hat Ihnen die Federführung in dem Fall überlassen. Wenn wir mehr wissen, informieren wir Sie.«

    »Danke.«

    *

    Der Tote hieß Calem Sounders, war vierundzwanzig Jahre alt, wohnte in der 118th Street in East Harlem und war wegen gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestraft. Burke schaute sich das Bild des Burschen auf dem Monitor an. Schließlich druckte er es aus und sagte zu Ron Harris: »Fahren wir zu seiner Wohnung. Vielleicht treffen wir dort jemand, der uns mehr über Sounders sagen kann.«

    Zehn Minuten später rollten sie auf der Park Avenue nach Norden. Es war 8.35 Uhr und auf den Straßen in Manhattan herrschte wieder einmal der Ausnahmezustand. Bremsen, anfahren, bremsen … Bei manchem Autofahrer lagen die Nerven blank. Adrenalin wurde in Strömen ausgeschüttet …

    Nun, Burke und Harris schafften es. Sie brauchten für die paar Kilometer allerdings länger als eine Stunde. Es war 9.40 Uhr, als sie an der Tür des Apartments läuteten, in dem laut Polizeiakte der ermordete Schwarze wohnte.

    Eine Frau öffnete. Afroamerikanerin, mittelgroß, schwarze, gelockte Haare, die sich bereits grau zu färben begannen, braune Augen, die vom Weinen gerötet waren, und mindestens fünfzig Pfund Übergewicht. Ihr Alter schätzte Burke auf fünfzig Jahre. »Mrs. Sounders?«, kam es fragend über seine Lippen.

    Sie nickte. »Und Sie sind von der Polizei, nicht wahr? Sie kommen wegen Calem. Mein armer Junge. Man hat mich heute Morgen informiert. Ich habe ihn immer wieder angefleht, von diesen Kerlen die Hände zu lassen und sich eine vernünftige Arbeit zu suchen. Aber meine Worte waren in den Wind gesprochen. Dann kam vor ein paar Tagen dieser anonyme Brief …«

    »Wir sollten drin über alles sprechen, Ma'am«, sagte Burke, als die Frau schwieg.

    »Entschuldigen Sie«, murmelte Mrs. Sounders. »Bitte, kommen Sie herein.« Sie vollführte mit der rechten Hand eine einladende Geste. Im Wohnzimmer bot sie den Agents Sitzplätze an.

    »Sie sprachen von einem anonymen Brief, Ma'am«, ergriff Ron Harris das Wort.

    Mrs. Sounders richtete den Blick auf den G-man. »Er lag vor zwei Tagen im Briefkasten. Ein zugeklebtes Kuvert ohne Empfänger- oder Absenderangabe. Ich riss ihn auf. 'An den Dealer', stand auf einem Blatt Papier. 'Das Urteil ist gesprochen. Es lautet Tod.' Das war alles. Ich kann Ihnen den Brief gerne zeigen.«

    »Bitte, holen Sie ihn«, bat Owen Burke.

    Die dicke Frau erhob sich ächzend und verschwand in einem angrenzenden Raum. Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, hielt sie ein Blatt Kopierpapier in der Hand. Es wies Knickstellen auf wo es zusammengefaltet war. Sie reichte es Owen Burke und ließ sich mit einem Ächzen auf den Lippen wieder in den Sessel fallen. Der Agent las. Dann sagte er: »Wir brauchen den Brief. Das Papier muss auf Fingerabdrücke oder andere Hinweise, die möglicherweise einen Schluss auf den Schreiber zulassen, überprüft werden. Waren Sie eben im Zimmer Ihres Sohnes?«

    »Ja. Calem lebte noch bei mir.« Mrs. Sounders' Augen füllten sich mit Tränen. »Ich habe es ihm immer prophezeit. Immer wieder habe ich es ihm gesagt, dass es mit ihm mal ein schlimmes Ende nehmen wird. Aber der Junge wollte nicht auf mich hören. Und jetzt …« Sie schniefte. Tränen kollerten ihre fleischigen Wangen hinunter. Ihre Hand zitterte, als sie sie hob, um sich die Tränen abzuwischen.

    Burke reichte das Blatt Papier seinem Kollegen, der es zusammenfaltete und in die Innentasche seiner Jacke steckte. »Von welchen Kerlen sollte Ihr Sohn die Hände lassen, Ma'am?«

    »Ich kenne ihre Namen nicht. Es sind drei. Unter ihnen ist ein Weißer. Einmal hörte ich einen Vornamen. Stan! Calem nannte einen der Kerle Stan. Sie waren des Öfteren bei Calem. Wahrscheinlich versorgten sie meinen armen Jungen mit dem Rauschgift, das er vor irgendwelchen Diskotheken verhökerte. Mir haben die Kerle nicht gefallen. Es sind Gangster. Calem hingegen meinte, dass die drei für ihn so etwas wie ein Glücksgriff seien. Sie würden ihn reich machen, sagte er. Und er besaß tatsächlich in den vergangenen Monaten immer eine Menge Geld. Dass ich mir seinetwegen Sorgen machte interessierte ihn nicht.«

    »Haben Sie noch das Kuvert, in dem sich der Brief befand?«

    »Das hat Calem weggeworfen.«

    »Dürfen wir uns in Calems Zimmer ein wenig umsehen?«, fragte Harris.

    »Natürlich.«

    *

    Am Abend, es war 20.30 Uhr, betraten Owen Burke und Ron Harris das 'Sausalitos' in Turtle Bay, genau gesagt in der 59th Street. Es war noch nicht viel los in dem Etablissement. Die Musik war laut und hämmernd, das Licht diffus, die wenigen Gestalten am Rand der Tanzfläche waren nur als Schemen wahrzunehmen. Eine Handvoll Gäste bewegten sich im Rhythmus der Musik auf der Tanzfläche.

    Die Agents gingen zur Bar. Sie wurde von einigen Gästen belagert, die keine Notiz von den beiden Polizisten nahmen. Lediglich beim Keeper erregten sie Aufmerksamkeit. Es war wahrscheinlich nur, weil sie altersmäßig ganz und gar nicht in diesen Laden passten - ebenso wenig wie von ihrem ganzen Erscheinungsbild her.

    Die Brauen des Burschen zuckten in die Höhe, als ihm Burke seine Dienstmarke zeigte. Burke nannte auch seinen Namen und seinen Dienstgrad. Um sich verständlich zu machen musste er regelrecht schreien. Die Musik war ohrenbetäubend.

    »Was wollen Sie?«, brüllte der Keeper. Sein Gesicht hatte einen abweisenden Ausdruck angenommen.

    Burke holte das Bild von Calem Sounders aus der Jackentasche und hielt es dem Burschen hin. »Kennen Sie den?«

    Der Keeper warf einen Blick auf den Ausdruck. »Gehen wir in den Flur!«, brüllte er und wies mit der linken Hand auf eine Tür auf der anderen Seite der Disco. Im nächsten Moment kam er hinter dem Tresen hervor und steuerte sie an. Die Agents folgten ihm. Als sie auf dem Flur standen und die Tür hinter sich geschlossen war, sagte der Keeper: »Da drin versteht man sein eigenes Wort nicht.« Dann gab er Burke das Bild zurück und fuhr fort: »Der Bursche heißt Calem. Jemand hat ihm gestern draußen auf der Straße ein Messer zwischen die Rippen gerammt. Mein Boss hat ihm untersagt, in der Disco Drogen zu verkaufen.«

    »Hat er denn versucht, in der Disco sein Rauschgift an den Mann zu bringen?«, fragte Ron Harris.

    »Ja. Aber Blackwell hat ihn hochkantig hinausgeworfen. Wir hatten keine Ahnung, dass er sein Zeug vor dem 'Sausalitos' auf der Straße verhökerte. Das ist uns erst heute Morgen, nachdem er ermordet wurde, klar geworden.«

    »Aber er kam hin und wieder in diesen Betrieb?«, erkundigte sich Owen Burke.

    »Ja. Möglicherweise knüpfte er hier seine Kontakte.« Der Keeper zuckte mit den Achseln. »Bekannt war er bei einer ganzen Menge Leute, die bei uns verkehren. Er hat mit vielen gesprochen. Calem hat, nachdem ihm Blackwell klar gemacht hat, dass sein Lokal kein Drogenumschlagplatz sei, nie mehr versucht, hier drin einen Deal abzuwickeln.«

    »Kam er alleine?«

    »Ich habe ihn nie in Begleitung anderer kommen sehen«, erklärte der Keeper. »Unter unseren Gästen hatte er allerdings eine ganze Reihe guter Bekannter. Aber das deutete ich bereits an.«

    Burke steckte das Bild von Calem Sounders wieder an. »Hat sich irgendwann mal jemand bei Ihnen nach Sounders erkundigt?«

    »Nein.« Der Keeper schüttelte den Kopf. »Warten Sie einen Moment, Agents«, sagte er dann. »Ich hole jemand, der mit Sounders besonders gut bekannt gewesen zu sein schien.«

    Der Mann verschwand durch die Tür in die Disco. Wenig später kehrte er zurück, einen Bursche Mitte zwanzig im Schlepptau. Der musterte Burke und Harris abwechselnd, dann fragte er: »Slim sagte mir, dass es um Calem geht. Ich habe ihn schon seit der Schule gekannt.«

    »Nennen Sie uns Ihren Namen?«, fragte Burke.

    »Floyd Dexter. Ich erzähle Ihnen sicher nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, dass Calem Drogen verkauft hat.«

    »Nein. Aber in diesem Zusammenhang gibt es ein paar Fragen, Mr. Dexter.« Owen Burke dachte kurz nach. Dann: »Gehörten Sie zu seinen Kunden?«

    Dexter lachte auf. »Ich nehme nichts. Aber jeder zweite von denen, die in diesem Laden verkehren, kaufte wahrscheinlich bei Calem.«

    »Wer stand hinter ihm?«, fragte Ron Harris. »Ich meine, in wessen Auftrag verhökerte er die Drogen?«

    Dexter nagte einen Moment an seiner Unterlippe. »Ich war mal Zeuge eines Telefonats, das er führte. Dabei fiel ein Name. Stan! Ich stellte keine Fragen. Irgendwann einmal habe ich Calem gefragt, von wem er die Drogen beziehe, aber er hüllte sich dahingehend in Schweigen.«

    »Wissen Sie sonst irgendetwas über Sounders Bekanntenkreis?«, fragte Burke.

    »Nein.«

    »Erzählte er Ihnen, dass er bedroht wurde?«

    »Bedroht? Von wem?«

    »Wir wissen es nicht.« Burke schaute seinen Freund und Partner an. »Fällt dir noch eine Frage ein?«

    »Im Augenblick nicht.«

    Als sie nach Hause fuhren, sagte Burke: »Der Name Stan ist nun zum zweiten Mal genannt worden. Er gehört zu den Leuten, mit denen Sounders zum Leidwesen seiner Mutter umging. Vielleicht sollten wir Mrs. Sounders mal vor einen Computer setzen und ihr die registrierten Kerle mit dem Vornamen Stan vorführen.«

    »Keine schlechte Idee«, pflichtete Harris bei. »Aber morgen Früh hören wir sicher, ob auf dem anonymen Brief irgendwelche Spuren vom Schreiber festgestellt wurden, was uns eventuell weiterbringt.

    *

    Um war 8.15 Uhr läutete Burkes Telefon. Er schnappte sich den Hörer, hob ihn an sein Ohr und meldete sich: »FBI New York, Special Agent Burke.«

    Es war ein Beamter von der SRD, der, nachdem er seinen Namen genannt hatte, sagte: »Es gibt auf dem Blatt Papier einige Fingerabdrücke. Doch sie lassen sich nicht zuordnen. DNA-Material haben wir nicht gefunden. Wenn wir das Kuvert hätten …«

    »Das ist längst in der Müllverbrennung«, murmelte Burke. »Was hat die Auswertung der Spuren vom Tatort ergeben?«

    »Nichts. Eine Reihe von Prints, die allerdings auch nicht zugeordnet werden können. Ich vermute, dass der Mörder Handschuhe benutzte.«

    »Das ist nicht viel.«

    »Das ist gar nichts«, verbesserte der Beamte vom SRD den Agent. »Tut mir leid.«

    Nachdem das Gespräch beendet war, wandte sich Owen Burke an seinen Partner indem er sagte: »Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als Mrs. Sounders vor einen Computer zu setzen und ihr die erfassten Männer mit dem Namen Stan zu zeigen.«

    »Worauf warten wir?«, fragte Ron Harris und erhob sich.

    Sie benutzten wieder die Park Avenue, um in die 118th Street zu gelangen. Ehe sie wegfuhren, hatten sie Mrs. Sounders angerufen und sie bezüglich Ihrer Absicht, sie ins Federal Building zu bringen, aufgeklärt.

    Die Frau erwartete sie schon. Sie hatte Mühe, ihre zweihundert Pfund Lebendgewicht auf den Rücksitz des Dodge zu zwängen, und als sie saß, atmetet sie schwer, geradezu asthmatisch, und schwitzte. Der Dodge rollte wieder nach Süden.

    Im Federal Building brachten Burke und Harris Mrs. Sounders in einen Raum, in dem nur ein Tisch mit einem Computer stand. Burke klinkte sich in die digitale 'Verbrecherkartei' ein, gab in die Suchabfrage den Namen Stan und den Wohnort New York City ein, und dann ließ er das Programm arbeiten. Schließlich zeigte es dreiundzwanzig Treffer an. Mrs. Sounders starrte auf den Monitor, indes Burke die Fotos der registrierten Männer der Reihe nach herklickte. Und plötzlich stieß die Lady hervor: »Das ist er!«

    Es handelte sich um einen Schwarzen.

    »Stan Bradley«, las Owen Burke. »Vierunddreißig Jahre, letzte bekannte Adresse 314 East 124th Street.«

    »Wenn wir Mrs. Sounders nach Hause bringen, können wir das Stück bis zur 124th ja noch unter die Räder nehmen und uns Stan Bradley mal ansehen«, schlug Ron Harris vor.

    »Sie haben uns sehr geholfen, Mrs. Sounders«, gab Owen Burke zu verstehen.

    »Ich denke, dass Bradley große Schuld am Tod meines Sohnes hat«, murmelte die Frau. »Wenn es so ist, dann sorgen Sie dafür, dass er seine gerechte Strafe erhält.«

    »Das verspreche ich Ihnen«, versetzte Owen Burke.

    Wenig später waren sie wieder auf dem Weg nach Norden. Harris fuhr die schwergewichtige Lady bis vor die Haustür, Burke half ihr aus dem Dodge, dann fuhren sie weiter zur 124th Street.

    Die Wohnung lag in Harlem. Sie befand sich in der vierten Etage eines sechsstöckigen Gebäudes, dessen Vorderfront eiserne Balkone aufwies, die mit Rettungsleitern verbunden waren. Zur Haustür führten fünf breite Stufen hinauf. Das Geländer war aus Eisen und rostete an vielen Stellen. Drei halbwüchsige Schwarze standen in der Ecke von Treppe und Hauswand und beobachteten die beiden Beamten, die aus dem Dodge stiegen und zielstrebig näher kamen.

    »Wohnt ihr hier?«, fragte Owen Burke.

    »Ihr seht aus wie Bullen«, sagte einer der Burschen respektlos, ohne auf die Frage des Agents einzugehen.

    Burke nickte. Ein angedeutetes Grinsen spielte um seine Lippen. »FBI-Bullen.« Jetzt erlosch Burkes Grinsen. »Also noch einmal: Wohnt ihr in dem Gebäude?«

    »Ich wohne hier«, antwortete der Jugendliche, der soeben schon das Wort geführt hatte. »Sucht ihr jemand Bestimmten?«

    »Stan Bradley.«

    »Ja, der wohnt hier. Stan ist mein Onkel. Es ist der jüngste Bruder meines Vaters. Was wollt ihr den von Stan? Hat er was ausgefressen?«

    »Wir möchten ihn sprechen«, erklärte Owen Burke. »Weißt du, ob er zu Hause ist?«

    »Ich kann es feststellen.«

    »Sei so gut.«

    Der Bursche fischte ein Handy aus der Hosentasche, tippte ein wenig herum, hob das Handy vor sein Gesicht und wartete. Dann sagte er: »Hi, Stan. He, Mann, da sind zwei Bullen vom FBI. Die wollen zu dir. Ich schicke sie hoch.« Der Jugendliche beendete das Gespräch, ließ die Hand mit dem Mobiltelefon sinken und sagte: »Stan erwartet euch.«

    »Danke.« Burke wandte sich Ron Harris zu. »Ich gehe hinauf, Ron. Du sicherst die Außentreppe.«

    Owen Burke stieg die Treppen zur Haustür empor und betrat das Gebäude. Im Treppenhaus war es düster. Die Briefkästen an der Wand neben der Haustür waren zum Teil aufgebrochen. Papier lag am Boden. Es roch muffig und nach Zigarettenrauch. Die Treppe war aus Holz. Die Wand war mit allen möglichen politischen und sexistischen Parolen und Sprüchen bekritzelt. Auf den Fensterbrettern des Treppenhauses lagen tote Fliegen, in den Ecken der Fenster spannten sich Spinnennetze.

    Dass ein Drogenhändler in einer derart schäbigen Unterkunft hauste mutete Owen Burke außergewöhnlich und seltsam an.

    Die eine oder andere Stufe knarrte unter dem Gewicht des Agents. Schließlich kam er in der vierten Etage an. Es gab drei Wohnungstüren. An der mittleren Tür war ein Schild mit dem Namen S. Bradley befestigt. Burke legte den Daumen auf den Klingelknopf. Sofort erklang es hinter der Tür:

    »Was wollt ihr von mir?«

    »Ein paar Fragen – Routinefragen, Mr. Bradley. Es betrifft Calem Sounders.«

    »Was ist mit Calem?«

    »Er ist tot. Öffnen Sie, Mr. Bradley.«

    »Calem ist tot!«, echote der Mann hinter der Tür, und es klang geradezu entsetzt.

    »Wissen Sie das nicht? Doch nun sollten Sie öffnen, Mr. Bradley. Ich kann Sie auch förmlich vorladen. Und wenn Sie nicht erscheinen, kann ich Sie von der Polizei vorführen lassen.«

    Die Tür ging auf. Das Gesicht eines Schwarzen zeigte sich. Burke kannte es vom Bild. »Ich – ich habe Calem vor drei Tagen noch gesehen. Da war er quicklebendig. Woran ist er gestorben?«

    »Man hat ihm ein Messer in den Leib gerammt, als er vor dem 'Sausalitos' in der 59th Street Drogen verkaufte.«

    Die dunkle Hautfarbe des Afroamerikaners bekam einen Stich ins gräuliche. »Aber …«

    »Sprechen wir in der Wohnung, Mr. Bradley.«

    Im Gesicht des Afroamerikaners wich die Bestürzung einem finsteren Ausdruck. Es verschloss sich regelrecht. »Ich sagte es doch schon: Ich sah Calem zuletzt vor drei Tagen, und da war er quietschfidel. Ich kann Ihnen keine Fragen beantworten. Was wollen Sie von mir?«

    »Sie gehören zum engsten Freundeskreis Calem Sounders'«, versetzte Owen Burke. »Und sicherlich wissen Sie auch, dass er mit Drogen gehandelt hat. Einer seiner Deals war ein tödlicher. Haben Sie auch einen anonymen Brief erhalten, mit dem Sie der Schreiber darüber in Kenntnis setzt, dass Sie zum Tode verurteilt sind?«

    Die dunklen Augen des Schwarzen flackerten. Seine Lippen bewegten sich, als ob er sprechen wollte, doch kein Laut stieg aus seiner Kehle.

    »Wo verkaufen Sie Ihre Drogen?«, hakte der G-man nach. Er war sich plötzlich sicher, dass Bradley auch nur ein kleiner Straßenverkäufer war. »Und wer wird nun Sounders' Revier übernehmen? Wer sind die beiden Freunde, mit denen Sie Sounders des Öfteren besuchten?«

    »Lassen Sie mich in Ruhe!«, keuchte Bradley. »Sie versuchen mir etwas in die Schuhe zu schieben. Ich weiß nichts von Drogen. Und ich habe keine Freunde, mit denen ich Sounders besuchte. Verschwinden Sie!«

    Mit dem letzten Wort schlug Bradley die Tür zu.

    Owen Burke zuckte mit den Schultern, wandte sich ab und stieg die Treppe hinunter. Als er unten ankam, musterte ihn sein Kollege mit einem erwartungsvoll-fragenden Ausdruck in den Augen.

    »Er wollte nicht mit mir reden«, knurrte Owen Burke.

    Die drei Jugendlichen, die jetzt auf der Treppe saßen, grinsten spöttisch. »Onkel Stan hat nichts übrig für euch Bullen!«, rief der Bursche, mit dem vorhin schon der Agent gesprochen hatte.

    »Ja, das scheint so«, bestätigte Burke.

    Er und Ron Harris gingen zum Dodge, stiegen ein, und Ron Harris startete den Motor. Als der Wagen in Richtung Fifth Avenue rollte, sagte Burke: »Ich denke, es ist ein Rauschgiftring. Bradley ist wie Calem Sounders Straßenverkäufer. Wir sollten Bradley observieren. Ich vermute, dass er am Abend, sobald es dunkel wird, seinen Platz aufsucht, um die Drogen an den Mann zu bringen. Wenn wir ihn auf frischer Tat ertappen, können wir ihn in die Mangel nehmen. Er wusste nicht, dass Sounders tot ist. Es hat ihn ziemlich erschüttert. Und er wurde ziemlich nervös, als ich von dem anonymen Brief sprach, den Sounders erhalten hat.«

    »Wir werden uns also am späten Nachmittag in der Nähe seiner Wohnung postieren«, knurrte Ron Harris. »Und sollten wir ihn beim dealen erwischen, dann schnappen wir uns den staubigen Bruder. Ich denke, es brächte uns einen ziemlichen Schritt weiter.«

    »Zumindest im Hinblick auf die Drahtzieher in dem Drogenring, dem meiner Meinung nach die Kerle angehören.«

    *

    Es war 19.45 Uhr und es wurde schon finster, als Stan Bradley das Gebäude verließ, in dem er wohnte. Er schaute die Straße hinauf und hinunter, dann marschierte er ein Stück den Gehsteig entlang, um nach etwa fünfzig Yards in einen mindestens zehn Jahre alten Lincoln der Marke Town Car zu steigen. Er fuhr in Richtung Frederick Douglass Boulevard und wandte sich dort nach Süden.

    Harris musste wenden. Das war schnell geschehen, denn die 124th war ausgesprochen ruhig. Gleich darauf bog auch der Dodge in den Frederick Douglass Boulevard ein. Der Lincoln hatte höchstens hundert Yards Vorsprung.

    Bradley fuhr am Central Park entlang und zeigte bei der 52nd Street per Blinker an, dass er nach links abbiegen wollte.

    Sein Ziel was das 'Night Express', eine Disco im Theater District. Ein ganzes Stück von der Diskothek entfernt parkte er, stieg aus, lehnte sich an den Lincoln und verschränkte die Arme vor der Brust.

    Es war schon dunkel. Die Leuchtschrift über der Tür des Etablissements warf einen roten Schein auf den Gehsteig und die Fahrbahn davor. Die Fenster waren mit Schaukästen abgedunkelt, in denen der Betreiber der Disco Bilder von irgendwelchen Prominenten zur Schau stellte, die irgendwann einmal seinen Laden besucht hatten oder die hier aufgetreten waren.

    Ron Harris war an der Diskothek vorbeigefahren und fand eine Parklücke, in die er den Dodge gekonnt rangierte. Bradley hatte auf den Dodge nicht geachtet.

    »Ich kann ihn im Seitenspiegel sehen«, knurrte Ron Harris.

    Die Zeit verstrich. Autos fuhren langsam die Straße entlang in Richtung Osten. Die Fahrer hielten Ausschau nach einem Parkplatz. Bald mussten sie in die anderen Straßen ausweichen und längere Fußwege zur Disco auf sich nehmen, weil beide Seiten der Straße beparkt waren. Junge Leute gingen in den Laden. Sie kamen einzeln und als Paare sowie in kleinen aber auch in größeren Gruppen.

    »Zwei Kerle sprechen mit Bradley!«, stieß Ron Harris plötzlich hervor. Kurze Zeit verstrich, in der Harris in den Seitenspiegel starrte. »Jetzt geht Bradley zum Kofferraum. Ich kann ihn nicht mehr sehen. Wahrscheinlich holt er Stoff aus dem Kofferraum.«

    »Zugriff!«, kam es wie aus der Pistole geschossen von Owen Burke. Er öffnete die Tür und sprang aus dem Dodge. Als auch Harris den Wagen verlassen hatte, begann Burke zu laufen. Seine Lederabsätze riefen ein rhythmisches Hämmern auf dem Pflaster des Gehsteigs wach.

    Bis zu dem Lincoln betrug die Entfernung hundertfünfzig Yards. Straßenlaternen und das Licht, das aus den Fenstern der Gebäude zu beiden Seiten der Straße fiel sowie die Leuchtreklamen sorgten für ausreichend Helligkeit auf der Straße.

    Bradley bemerkte die Agents nicht. Auch die beiden Burschen, von denen einer jetzt etwas von Bradley entgegennahm, achteten nicht auf die beiden G-men. Owen Burke drehte sich, ohne langsamer zu werden, halb herum und bedeutete seinem Kollegen per Handzeichen, auf die andere Straßenseite zu wechseln. Ron Harris lief zwischen zwei parkenden Fahrzeugen hindurch und überquerte die Fahrbahn.

    Als Burke bis auf etwa dreißig Schritte an Bradley heran war, mäßigte er sein Tempo und ging wie jemand, der es eilig hatte, weiter. Noch immer achtete Bradley nicht auf ihn. Er nahm von dem zweiten der Männer einige Dollarnoten entgegen und steckte sie achtlos in die Tasche seiner Lederjacke.

    Die beiden Männer schwangen herum und schritten schräg über die Fahrbahn auf den Eingang der Disco zu. Bradley lehnte sich wieder an die Seite des Lincoln, holte eine Schachtel Marlboro aus der Jackentasche, schüttelte sich eine Zigarette heraus und klemmte sie sich zwischen die Lippen.

    Plötzlich stutzte er. Aus den Augenwinkeln sah einen Mann schnell näher kommen. Sein Kopf ruckte herum. Eine Verwünschung entfuhr ihm. Er hatte Special Agent Owen Burke erkannt. Bradley nahm eine sprungbereite Haltung ein. In sein Gesicht trat ein gehetzter Ausdruck. Er vermittelte den Eindruck eines Mannes, der sich im nächsten Moment herumwerfen und die Flucht ergreifen würde.

    Und jetzt sah er auf der anderen Straßenseite einen weiteren Mann, der nicht aussah wie jemand, der in die Disco wollte. Er war mit einer schwarzen Hose und einer hellgrauen Jacke bekleidet, unter der Jacke trug er ein weißes Hemd, außerdem eine Krawatte.

    Bradley nahm die Zigarette aus dem Mund und schleuderte sie zu Boden. Dann wandte er sich Owen Burke zu. Und als der G-man heran war, fauchte er: »Was soll das, Agent? Warum bespitzeln Sie mich?«

    »Können Sie sich das nicht denken?«, fragte Burke fast freundlich. Er drehte den Kopf etwas, nahm Blickkontakt mit Ron Harris auf und bedeutete dem Kollegen, über die Straße zu kommen. Sofort setzte sich Harris in Bewegung.

    »Was wollen Sie?«, knirschte Bradley.

    »Ich will einen Blick in Ihren Kofferraum werfen«, versetzte Owen Burke.

    Stan Bradley schürzte die Lippen. »Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«

    »Bei Gefahr im Verzug brauche ich den nicht«, versetzte Burke. »Aber Sie müssen den Kofferraum nicht öffnen. Es gibt andere Mittel und Wege.« Burke holte sein Handy aus der Jackentasche und drückte eine der Tasten.

    Jetzt war auch Ron Harris heran.

    »Wen rufen Sie an?«, entfuhr es Bradley.

    »Die DEA. Sie ist zuständig, wenn es um Drogenherstellung oder –handel geht. Ich vermute, dass sich in Ihrem Kofferraum eine ganze Menge Drogen befinden, die Sie hier an den Mann bringen möchten.«

    In Bradleys Miene arbeitete es. Immer wieder leckte er sich nervös über die Lippen. »Na schön!«, stieß er plötzlich hervor. »Ich habe 'ne Schachtel voll Drogen im Wagen. Lassen Sie die DEA aus dem Spiel.«

    Burke senkte die Hand mit dem Mobiltelefon. »Denken Sie nur nicht, dass Sie ungeschoren davonkommen. Allerdings können Sie Punkte für sich sammeln, wenn Sie kooperativ sind. Das Gericht weiß es zu würdigen, wenn Sie sich bereit erklären, mit uns zusammenzuarbeiten.«

    Bradley gab sich einen Ruck, ging halb um den Lincoln herum und öffnete den Kofferraum. Er holte eine Schuhschachtel heraus, nahm den Deckel ab und hielt sie den G-men hin. In kleinen Zellophantüten portionsweise verpackt konnten die Agents verschiedene Pulver und Dragees sehen.

    »Okay, Mr. Bradley, Ich verhafte Sie wegen des Handels mit Rauschgift. Sie haben das Recht zu schweigen …«

    Burke klärte den Dealer über seine Rechte auf, Ron Harris nahm ihm den Schuhkarton mit den Drogen weg, dann klickten die Handschellen.

    *

    Sie befanden sich in einem der Vernehmungsräume im Keller des Bundesgebäudes. Stan Bradley saß an dem zerkratzten Tisch in der Raummitte. Neben vier Stühlen, die um den Tisch herum gruppiert waren, und einem kleinen Beistelltisch mit einem Computer drauf stellte er das einzige Mobiliar dar.

    »Okay, Mr. Bradley«, begann Owen Burke. »Dann erzählen sie mal, was Sie wissen. Wir wollen alles erfahren. Vergessen Sie auch nicht, Kleinigkeiten zu erwähnen. Sie können für uns von Bedeutung sein.«

    »Was wollt ihr hören?«, fragte Bradley und trommelte nervös mit den Fingerkuppen seiner Linken auf die Tischplatte.

    »Wer versorgt Sie mit den Drogen? Rechnen Sie mit demjenigen auch ab? Wer steht gegebenenfalls hinter diesem? Was können Sie uns zum Tod von Calem Sounders sagen? Haben Sie auch einen Brief mit einer Todesdrohung erhalten?«

    »Der Mann, von dem wir die Drogen erhalten, heißt Arlyn Jenkins. Es ist ein Weißer. Sein Alter schätze ich auf Mitte dreißig. Wo er wohnt, weiß ich nicht. Mit ihm rechne ich auch ab. Vom Umsatz erhält jeder Straßenverkäufer jeweils zehn Prozent. Wenn ich also für 2.000 Dollar Drugs verkaufe, habe ich 200 in der Tasche. Für einen wie mich 'ne Menge Geld.«

    »Sie waren zusammen mit zwei weiteren Männern des Öfteren bei Sounders in der Wohnung. Wer sind die zwei?«

    »Einer von ihnen ist Jenkins. Der andere ist Gregory Demont. Er verkauft Drogen vor dem 'Cristal Palace' in Clinton, 50th Street.«

    »Wo wohnt Jenkins?«

    Bradley zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht.«

    »Sie haben meine Frage hinsichtlich des Briefes nicht beantwortet«, brachte Owen Burke dieses Thema noch einmal in Erinnerung. »Haben Sie ein derartiges Schreiben, in dem von einem Todesurteil die Rede ist, erhalten?«

    »Sounders hat mir von dem Brief erzählt«, antwortete Stan Bradley. »Weiter erzählte er mir, dass ein Girl an dem Heroin, das er verkauft hat, gestorben ist.«

    »Hat es sich einen goldenen Schuss gesetzt?«, fragte Ron Harris.

    »Das Heroin war mit Strychnin gestreckt«, erklärte der Dealer.

    »Wann starb die junge Frau?«, fragte Owen Burke.

    »Vor etwa einem Monat. Calem versicherte mir, dass nicht er das Heroin mit dem Gift gestreckt habe. Jenkins habe ihm das Heroin, das die tödliche Mixtur beinhaltete gegeben. Nachdem er das anonyme Schreiben erhalten hatte, fürchtete er sich. Er wollte nicht mehr auf die Straße gehen und verkaufen. Aber Jenkins drohte ihm.«

    »War er der Meinung, dass der Brief mit dem Tod der jungen Lady zusammenhing?«, fragte Harris.

    »Ja. Er war davon überzeugt. Die Kleine hieß Jessy. Ihren Nachnamen weiß ich nicht.«

    »Wir werden ihn herausfinden«, knurrte Owen Burke. »Ich nehme an, dass Jenkins als eine Art Zwischenhändler fungiert. Von wem erhält die Drogen?«

    »Da fragen Sie mich zuviel. Ich habe keine Ahnung.«

    »Steht Demont jetzt vor dem 'Cristal Palace'?«

    »Davon gehe ich aus.«

    »Na schön, Mr. Bradley. Ich will Sie nicht im Unklaren darüber lassen, dass Sie nach Rikers Island in Untersuchungshaft gehen werden und dass die Staatsanwaltschaft gegen Sie Anklage erheben wird.«

    »Ihr werdet doch ein gutes Wort für mich einlegen?« Hoffnungsvoll musterte Bradley das Gesicht Burkes. »Immerhin habe ich Namen genannt.«

    »Sie haben unser Wort«, versicherte Burke.

    Der Agent läutete nach dem Wachtmeister und bat ihn, Bradley in eine der Zellen zu sperren. Dann begaben sich die Agents in die Tiefgarage. Schon zwei Minuten später rollten sie im Dodge die Rampe hinauf und befanden sich wenig später auf dem Broadway, um nach Clinton zu fahren.

    Gregory Demont war ebenfalls ein Afroamerikaner. Er saß in der Nähe der Diskothek in seinem Auto, einen Mitsubishi Galant. Es ging auf Mitternacht zu. Immer wieder wurde der Dealer von Kunden frequentiert. Die Agents beobachteten nur. Sie wollten diesen Arlyn Jenkins. Ihn würden sie der DEA übergeben.

    Die drei Buchstaben stehen für Drug Enforcement Administration. Das ist die dem Justizministerium der Vereinigten Staaten unterstellte Strafverfolgungsbehörde mit Hauptsitz in Alexandria, Virginia. Ihre Aufgabe ist es, die illegale Herstellung von Drogen und den Drogenhandel in den USA zu bekämpfen und zu unterbinden.

    Den Agents war klar, dass sie ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren durften. Und in diesem Fall bestand es nicht darin, irgendeinen Drogenring oder eine Drogenmafia zu zerschlagen. Es bestand darin, den Mord an Calem Sounders aufzuklären. Im Hinblick darauf gab es eine winzige Spur. Der Name war Jessy. Hatte sich jemand zum Richter und Henker aufgeschwungen, um den Tod der jungen Frau zu rächen?

    Gegen drei Uhr fuhr ein Buick heran. Er parkte in der Nähe des Fahrzeugs, in dem der Dealer auf Kunden wartete. Ein hoch gewachsener Mann stieg aus. Er hatte eine weiße Hautfarbe. Schnell näherte er sich dem Mitsubishi.

    »Okay!«, stieß Burke hervor. »Das dürfte Jenkins sein. Schnappen wir uns den Burschen.«

    Sie stiegen aus dem Dodge. Harris begab sich wieder auf die andere Straßenseite. Owen Burke benahm sich wie ein Passant, der nach einer langen Nacht in irgendeiner Bar auf dem Nachhauseweg war. Als er sich fast auf einer Höhe mit dem Mitsubishi befand, kam Harris über die Straße. Er näherte sich dem Fahrzeug auf der Fahrerseite. Sein Job würde es sein, Gregory Demont zu überwältigen, falls dieser die Flucht ergreifen sollte.

    Mit einem Satz war Owen Burke bei der Beifahrertür. Er zog mit der rechten die SIG, während er mit der linken Hand die Wagentür aufriss. »Keine falsche Bewegung! FBI! Nehmen Sie die Hände in die Höhe!«

    Ein lästerlicher Fluch erklang, die Fahrertür flog auf. Aber Ron Harris war schon zur Stelle. Er stellte Demont das Bein und der krachte der Länge nach und aufbrüllend auf den Asphalt.

    Jenkins reagierte jetzt ebenfalls. Er ließ sich einfach seitlich aus dem Mitsubishi fallen, landete auf dem Gehsteig, rollte auf den Bauch und drückte sich hoch. Das alles geschah mit der Geschmeidigkeit einer Katze. Er lag jetzt auf allen vieren.

    Doch Owen Burke behielt die Übersicht. Er trat einen Schritt auf den Drogenhändler zu und hielt ihm die Mündung der SIG gegen die Stirn. »Das war's, Jenkins!«, presste der Special Agent zwischen den Zähnen hervor. »Erheben Sie sich, drehen Sie sich um und legen Sie die Hände auf den Rücken.«

    Zähneknirschend gehorchte der Dealer. Burke fesselte ihn. Ron Harris dirigierte schon Gregory Demont um den Mitsubishi herum auf den Gehsteig. Auch der Schwarze war mit Handschellen gefesselt. Owen Burke nahm sein Mobiltelefon aus der Jackentasche und holte die Nummer der DEA New York aus dem Speicher des Handys …

    *

    »Das Mädchen hieß Jessica Foley«, murmelte Owen Burke. »Jessica starb am 28. August an dem Stoff, den sie sich gespritzt hat. Sie war neunzehn. Ihr Freund, Timothy Bellow, wurde gerettet. Jessica Foleys Familie wohnt im Manhattan Valley, Manhattan Avenue, in einem der Frederick Douglass Häuser. «

    Es war 8.35 Uhr, als die Agents aufbrachen. Bei den Frederick Douglass Houses handelt es sich um ein öffentliches Wohnprojekt bestehend aus siebzehn Gebäuden, die bis zu zwanzig Stockwerke hoch sind.

    Jacob Foley und seine Familie wohnten in der 12. Etage eines der Gebäude. Die Agents fuhren mit dem Aufzug nach oben. Ron Harris läutete an der Wohnungstür. Eine Frau von etwa fünfundvierzig Jahren öffnete, musterte die Agents fragend und sagte: »Sie wünschen?«

    Owen Burke zeigte seine Dienstmarke und antwortete: »Wir sind die Special Agents Burke und Harris vom FBI New York. Ich bin Agent Burke. Wir haben ein paar Fragen an Ihren Mann. Ist er zu Hause?«

    »Ist es wegen Jessy?«, fragte die Frau.

    »Ja.«

    »Aber die Polizei hat uns doch schon befragt«, murmelte sie. »Wir haben alle Fragen beantwortet. Jessy lebte schon über ein Jahr zusammen mit ihrem Freund auf der Straße. Wir hatten keinen Kontakt mehr zu unserer Tochter. Sie …«

    »Es geht nicht um den Tod Ihrer Tochter«, unterbrach Ron Harris die Frau. »Es geht um den Mord an dem Mann, der Ihrer Tochter das Heroin verkaufte, das sie sich spritzte und das zu ihrem Tod führte.«

    »Das Heroin hat ihr dieser Timothy Bellow gegeben«, stieß Mrs. Foley hervor. »Er hat Jessy überhaupt erst auf diese Schiene gebracht. Sie brach seinetwegen die Schule ab und kehrte uns, ihrer Familie, den Rücken.«

    »Wir möchten mit Ihrem Mann sprechen«, erklärte Owen Burke noch einmal den Grund ihres Besuchs.

    »Jacob ist in der Arbeit. Er ist Lagerarbeiter bei Edward Morris und Sohn, einem Baumarkt in Queens. Dort arbeitet auch unser Sohn. Allerdings ist er im Verkauf tätig.«

    »Sie haben einen Sohn?«

    »Ja. Sein Name ist Milton. Milton ist zweiundzwanzig. Er lebt noch bei uns.«

    »War Ihr Mann in der Nacht vom 23. auf den 24. August zu Hause?«

    »Natürlich. Mein Mann ist jede Nacht zu Hause.«

    »Und Ihr Sohn?«

    »Nun, Milton ist schon das eine oder andere Mal mit Freunden unterwegs. Es kommt schon mal vor, dass er erst am frühen Morgen nach Hause kommt.«

    »Wie war das Verhältnis Ihres Mannes zu seiner Tochter Jessy?«

    »Er litt darunter, dass Jessy uns wegen dieses verdammten Tim Bellow regelrecht aus ihrem Leben strich. Und er verfluchte Bellow, als uns die Polizei mitteilte, dass Jessy tot ist – dass sie elend an vergiftetem Heroin zugrunde gegangen sei. Jacob wünschte sich, dass Bellow ebenso kläglich vor die Hunde gehen würde. Leider kam er mit dem Leben davon. Aber …«

    Die Frau brach ab.

    »Was wollten Sie sagen, Ma'am?«, fragte Burke und ließ sie nicht aus den Augen, übte regelrecht Druck auf sie aus mit seinem zwingenden Blick.

    »Nichts.«

    »Haben Sie eine Ahnung, wo sich Timothy Bellow zur Zeit aufhält?«

    »Nein!«

    »Wann kommen Ihr Mann und Ihr Sohn von der Arbeit nach Hause?«

    »Um 17.30 Uhr. Mal etwas früher, mal etwas später.«

    »In Ordnung, Ma'am. Wir erscheinen heute Abend noch einmal, um mit Ihrem Mann und Ihrem Sohn zu sprechen.«

    Als sie wieder im Dodge saßen, meldete sich Ron Harris zu Wort, indem er sagte: »Was wollte die Lady sagen, nachdem sie uns erklärte, dass Tim Bellow – scheinbar sehr zu ihrem Leidwesen – mit dem Leben davongekommen sei. Sie brach regelrecht erschreckt ab, wie jemand, der schon viel zu viel von sich gegeben hat.«

    »Ja, das war auffällig«, knurrte Owen Burke. »Kann es sein, dass nicht nur Calem Sounders für Jessys Tod büßen musste, sondern auch Timothy Bellow. Sounders hat das vergiftete Heroin verkauft, Bellow dürfte es Jessy gegeben, möglicherweise sogar gespritzt haben.«

    »Wir müssen diesen Burschen finden«, murmelte Ron Harris. »Hast du eigentlich schon mal darüber nachgedacht, dass auch er als Sounders Mörder in Frage kommt?«

    »Ja, das habe ich. Bellow wurde im Mount Sinai Hospital behandelt. Sprechen wir mit dem Arzt, in dessen Obhut er sich befand. Möglicherweise weiß man in dem Krankenhaus, wo Tim Bellow zu erreichen ist.«

    Sie wechselten auf die Eastside und benutzten die Transverse Road Nummer 4, um den Central Park zu durchqueren.

    Der Name des Arztes war Clint Powell. Er bat die Agents ins Arztzimmer und bot ihnen Sitzplätze an. Dann sagte er: »Bellow ist ein kranker Mann. Er hat sich mit HIV infiziert, außerdem ist seine Leber geschädigt und er hat immense Magen- und Darmprobleme. Das ist auf den Heroinkonsum zurückzuführen. Es war ein Wunder, dass er überhaupt überlebte.«

    »Ist er wieder auf die Straße gegangen, nachdem er aus dem Hospital entlassen wurde?«, erkundigte sich Owen Burke.

    »Sein Bruder hat ihn abgeholt«, antwortete der Arzt. »Genauer gesagt sein Stiefbruder. Der Name und die Adresse des Mannes sind in der Akte Bellows vermerkt. Einen Moment, Gentlemen, ich sehe nach.«

    Fünf Minuten später wussten es die Agents: Der Name war Justin Williams, die Adresse lautete 134 Morgan Street, Queens.

    Im Dodge fuhr Burke sofort den Computer hoch und schaute nach, ob Justin Williams bei NCIC 2000 registriert war.

    Fehlanzeige.

    Er gab den Namen in das Eingabefeld der Suchmaschine ein. Und er wurde fündig. Justin Williams verfügte über eine eigene Homepage. »Williams ist Rechtsanwalt«, murmelte Burke überrascht. »Er betreibt eine eigene Kanzlei in Queens. Hier ist auch ein Bild von ihm. Er ist mindestens Mitte dreißig.«

    »Sprechen wir mit ihm«, schlug Ron Harris vor. »Mir geht das einschränkende 'aber', das Mrs. Foley gebrauchte, nachdem sie sagte, dass Tim Bellow leider mit dem Leben davongekommen sei, nicht aus dem Sinn.«

    »Wir werden sehen«, murmelte Owen Burke.

    *

    Sie trafen Justin Williams in seiner Kanzlei an. Im Vorzimmer waren zwei jüngere Frauen als Gehilfinnen beschäftigt. Williams lud die Agents ein, an dem runden Besuchertisch Platz zu nehmen und setzte sich zu ihnen. Sein Gesicht war ernst, und in seinen Augen war eine stumme Frage zu lesen.

    »Wie geht es Ihrem Bruder?«, fragte Owen Burke. Dass sie wegen Tim Bellows zu Williams gekommen waren, wusste dieser.

    »Das kann ich Ihnen nicht sagen«, erwiderte der Rechtsanwalt. »Tim ist vor einer Woche bei Nacht und Nebel aus meinem Haus verschwunden. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen von ihm. Ich mache mir große Sorgen.«

    »Ist er denn wieder völlig gesund?«

    »Gesund ist Tim bei Gott nicht«, erklärte Williams. »Er ist HIV infiziert und hat auch sonst immense Probleme. Sie müssen wissen, dass ich mich für ihn verantwortlich fühle, seit unsere Mutter nicht mehr lebt. Tim ist ein Kind aus der zweiten Ehe meiner Mutter. Mein Vater starb nach einem Unfall, als ich sieben war. Vier Jahre später heiratete meine Mutter John Bellow, und aus dieser Ehe ging schließlich Tim hervor. John Bellow trennte sich, als Tim zehn war, von unserer Mutter. Ich hab niemals mehr etwas von ihm gehört. Vor drei Jahren diagnostizierte man bei meiner Mutter Krebs. Ein knappes Jahr später starb sie.«

    »Tim lebte auf der Straße, ehe er wegen der Vergiftung ins Mount Sinai Hospital eingeliefert wurde. Hatten Sie Kontakt zu ihm?«

    »Manchmal telefonierten wir, manchmal tauchte er auch auf, aber nur, um mich um Geld anzubetteln. Vor etwa einem dreiviertel Jahr kam er zusammen mit Jessy. Ein hübsches, sympathisches Mädchen, halb noch ein Kind.« Die Stimme des Rechtsanwalts sank herab. »Ich gebe meinem Bruder die Schuld an ihrem Absturz und letztendlich auch an ihrem Tod. Er hat sie in das Drogenmilieu eingeschleust, und er hat ihr das vergiftete Heroin gegeben, vielleicht sogar gespritzt.« Williams räusperte sich. »Allerdings muss man ihm mildernde Umstände zubilligen. Das Rauschgift hat auch in der Psyche meines Bruders Dinge bewirkt, die nicht zu verstehen oder nachzuvollziehen sind. Ich glaube, er ist nicht mehr Herr seiner Sinne.«

    »Hat er Jessy öfter mal mit in Ihr Haus gebracht?«, fragte Ron Harris.

    »Selten. Aber oft genug, um erkennen zu können, dass Jessy immer mehr verfiel. Ich sah sie etwa zwei Wochen vor ihrem Tod zum letzten Mal. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Abgemagert, bleich, tief liegende Augen, fahrig …« Williams atmete tief durch. »Ich wollte ihr helfen. Und es kam sogar zum Streit mit Tim. Er verließ wutentbrannt mein Haus und zerrte Jessy mit sich. Nie werde ich den hilflosen und zugleich hilfesuchenden Blick vergessen, mit dem sie mich anschaute. Es war das letzte Mal, dass ich ihr in die Augen blicken konnte. In dieser Minute hasste ich meinen Stiefbruder.«

    »Empfanden Sie mehr für Jessy als nur Mitleid und Sympathie?«

    Williams starrte sekundenlang auf einen unbestimmten Punkt im Raum. »Sie – sie war so schutzbedürftig, und sie war krank. Sie tat mir unsagbar leid.«

    »Fast jeder Obdachlose hat ein Gebiet, in dem er sich Tag für Tag aufhält«, brachte sich wieder Owen Burke in das Gespräch ein. »Wo hatte Tim sein Revier?«

    »So viel ich weiß, hielt er sich viel am Times Square auf.«

    »Besitzt Tim ein Handy?«, fragte Harris.

    Williams schüttelte den Kopf.

    Die Agents fuhren zurück nach Manhattan. Harris fand in der Nähe des Times Square einen Parkplatz. Hier trieben sich immer eine ganze Reihe von Männern und Frauen herum, die kein Dach über dem Kopf hatten und Passanten um Geld anschnorrten.

    Einer der Männer, ein Bursche um die sechzig, dessen strähnige, graue Haare bis auf die Schultern fielen und dessen Wangen und Kinn von einem weißen Bart überwuchert waren, saß auf dem Rand eines Betonblumenkastens und beobachtete das rege Treiben ringsum. Ihn sprach Owen Burke an. »Guten Tag, Sir. Würden Sie mir eine Frage beantworten?«

    Der Blick des Obdachlosen hing an Burkes Lippen. In den wässrigen Augen glomm Misstrauen. »Was für eine Frage?« Die Stimme des Mannes klang heiser.

    »Kennen Sie Tim? Sein vollständiger Name ist Timothy Bellow. Er war ein Jahr lang mit einer jungen Frau namens Jessy unterwegs. Der Time Square soll Tims Revier sein.«

    »Jessy ist gestorben«, sagte der Grauhaarige. »Tim wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Ich hab von ihm nichts mehr gehört und gesehen.«

    »Er lebte kurze Zeit bei seinem Bruder in Queens. Seit einer Woche soll er wieder auf der Straße sein.«

    »Dann wäre er hier aufgekreuzt!«, stieß der Obdachlose mit Bestimmtheit hervor.

    Burke gab dem Mann eine von seinen Visitenkarten. »Sollte er auftauchen, rufen Sie mich bitte an.«

    Der Grauhaarige nahm das Kärtchen und warf einen Blick darauf. »Aaah, FBI!«, murmelte er. »Was wollt ihr denn von Tim? Großer Gott, er ist Opfer. Kümmert euch lieber um den Kerl, der ihm das vergiftete Heroin angedreht hat. Er …«

    »Um den hat sich bereits jemand gekümmert«, unterbrach Ron Harris den Obdachlosen. »Jemand, der ihn zum Tode verurteilt und das Urteil vollstreckt hat.«

    Verständnislos schaute der grauhaarige Bursche den G-man an. »Ha«, machte er dann. »Was sagen Sie da? Ich verstehe nur Bahnhof.«

    »Der Dealer ist tot«, verdeutlichte Ron Harris seine Aussage von eben. »Einer hat ihm ein Messer in den Leib gerammt.«

    Der Grauhaarige kratzte sich am Kinn. »Denken Sie etwa, dass Tim ihn sich geschnappt hat?«, fragte er nach kurzer Zeit des Nachdenkens.

    »Wir wissen es nicht«, versetzte Burke. Er drückte dem Obdachlosen noch eine Zehndollarnote in die Hand. »Sollte Tim aufkreuzen – rufen Sie mich an.«

    »Mach ich!«, versprach der Grauhaarige und ließ den Zehner samt Visitenkarte in der Tasche seiner zerschlissenen Jacke verschwinden.

    *

    Zwei Tage verstrichen. Es war 14 Uhr nachmittags, als Owen Burkes Telefon klingelte. Burke war leicht gereizt, weil sie im Fall Calem Sounders auf der Stelle traten. Darüber konnte ihn auch die Tatsache nicht hinwegtrösten, dass Arlyn Jenkins vor den Beamten der DEA ein umfassendes Geständnis abgelegt und die Namen seiner Hintermänner verraten hatte. Es handelte sich um eine Mafia, deren Bosse in Harlem saßen und die nicht nur mit Drogenhandel, sondern auch mit Schutzgelderpressung und Prostitution eine Menge Geld verdienten.

    Entsprechend mürrisch meldete sich Burke, nachdem er den Hörer vom Apparat geschnappt hatte: »Burke, FBI!«

    »Howard, PD!«

    Burkes linke Augenbraue zuckte in die Höhe. Mit schief gezogenem Mund sagte er: »Es bedeutet selten etwas Gutes, wenn die Mordkommission bei uns anrufst.«

    »Was ist denn dir für 'ne Laus über die Leber gelaufen?«, fragte der Detective Lieutenant.

    »Wir beißen uns gerade an einem Fall die Zähne aus«, gab Burke verdrossen zu.

    »Lass mich mal raten, Kollege. Es ist der Fall Timothy Bellow, nicht wahr. Den Burschen habt ihr doch in die Fahndung gegeben.«

    »Richtig geraten, Schlaumeier. Eigentlich ist es der Fall Calem Sounders. Tim Bellow spielt in der Inszenierung eine Rolle. Ob es eine Hauptrolle ist, wissen wir noch nicht.«

    »Ich denke schon«, versetzte Howard. »Ich weiß, wo du Bellow findest.«

    »Sag bloß!« Burke aktivierte den Lautsprecher des Telefonapparates, damit sein Partner hören konnte, was gesprochen wurde.

    »Es ist so«, gab Howard zu verstehen. »Vor sechs Tagen fand ein Arbeiter auf einer Bauschuttdeponie in Staten Island eine nackte Leiche. Der Mann war erschossen worden. Man brachte ihn in die Gerichtsmedizin. Dort lag er als John Doe, bis heute Morgen festgestellt wurde, dass es sich um Timothy Bellow handelt. Er dürfte laut pathologischem Befund seit über einer Woche tot sein.«

    »Das heißt, er muss kurz nach seinem spurlosen Verschwinden aus dem Haus seines Stiefbruders getötet worden sein«, konstatierte Owen Burke.

    »Einzelheiten kenne ich nicht«, erklärte der Detective Lieutenant. »War ich dir eine Hilfe?«

    »Das will ich wohl meinen. Ein Irrtum ist ausgeschlossen?«

    »Also, ich bitte dich. Zweifelst du an der medizinischen Kompetenz unserer Forensiker?«

    »Das würde ich nicht wagen. Hast du ein Gutachten?«

    »Ich schicke es dir.«

    »Gibt es Spuren? Irgendwelche Hinweise auf den Mörder? Hinweise darauf, wo er ermordet wurde?«

    »Wir haben nicht mal die Kugel, die seinem Leben ein Ende setzte«, antwortete Howard. »Sie hat den Körper durchschlagen. Die Arme des Toten weisen eine Menge Einstiche auf. Er war mit HIV infiziert. Und er hat einen toxischen Leberschaden. Sein Mörder hat ihn splitterfasernackt unter Bauschutt verscharrt, und es war wohl nur Zufall, dass der Arbeiter den Leichnam gefunden hat.«

    »Vielen Dank, James.«

    »Keine Ursache. Jeder Tote, der nicht in meine Zuständigkeit fällt, ist für mich ein Gewinn.«

    Nachdem das Gespräch beendet war, sagte Owen Burke an Ron Harris gewandt: »Dass auch Timothy Bellow ermordet wurde, sagt mir, dass der Mörder einen Rachefeldzug wegen Jessy Foley durchgeführt hat. Er hat nicht nur den Mann, der das giftige Heroin verkaufte, zum Tode verurteilt und hingerichtet, sondern auch den, der die Verantwortung für Jessys Heroinsucht trug und der ihr das gestreckte Rauschgift vielleicht sogar spritzte.«

    »Also stellt sich die Frage, wer dieser Rächer ist«, kam es sarkastisch von Ron Harris. »Wir haben vorgestern Abend mit Jacob und Milton Foley gesprochen. Laut Ehefrau und Mutter waren die beiden in der Nacht vom 23. auf den 24. August zu Hause und haben zu der Zeit, als Calem Sounders erstochen wurde, in ihren Betten gelegen und geschlafen.«

    »Jacob Foley hat zugegeben, dass er Tim Bellow hasst.«

    »Es ist der Hass eines Vaters, dessen geliebte Tochter von einem arbeitsscheuen Junkie auf die schiefe Bahn gebracht wurde und die einen völlig sinnlosen Tod starb. Jacob Foley scheidet als Mörder Bellows aus.«

    »Wir haben Liz Bellows Alibi nicht überprüft«, stieß Owen Burke einer jähen Eingebung folgend hervor. »Mir gehen ihre Worte nicht aus dem Kopf. Dieses einschränkende 'aber' …«

    »Sprechen wir einfach noch einmal mit ihr«, schlug Ron Harris vor. »Vielleicht können wir aus ihr herauskitzeln, wie der Satz lauten sollte, den sie mit dem Wort 'aber' einleitete.«

    Liz Foley öffnete den Agents die Tür. Sie kniff die Augen zusammen. »Was ist denn noch?«, fuhr sie die beiden Beamten regelrecht an. »Sie haben meinen Mann und meinen Sohn ausgequetscht. Wir wissen nichts. Doch ich will Ihnen etwas sagen: Sie beginnen lästig zu werden.«

    »Das ist Ihre subjektive Ansicht, Mrs. Bellow, und es liegt sowohl mir als auch meinem Kollegen fern, daran etwas ändern zu wollen.« Owen Burke sprach ruhig und mit präziser Stimme. »Allerdings haben wir zwei Morde zu klären. Und Ihre Tochter spielt in dieser Tragödie eine tragende Rolle. Deswegen müssen wir noch einmal mit Ihnen sprechen.«

    »Zwei Morde!?« Es klang wie ein Aufschrei, war zugleich aber auch Frage.

    »Auch Tim Bellow wurde ermordet«, erklärte Owen Burke. »Sein Leichnam wurde auf einer Mülldeponie gefunden. Erklärt sein Tod vielleicht Ihre Aussage, die mit 'aber' begann und deren Rest Sie für sich behielten?«

    »Ich

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