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IRODIS' STERN: Magische Science-Fiction
IRODIS' STERN: Magische Science-Fiction
IRODIS' STERN: Magische Science-Fiction
eBook289 Seiten3 Stunden

IRODIS' STERN: Magische Science-Fiction

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Über dieses E-Book

Wohin kannst du fliehen, wenn die Welt untergeht?
Die Erde in ferner Zukunft. Der Mond ist längst zerborsten, die Wissenschaft hat sich in Bedeutungslosigkeit verloren und die Magie bestimmt über die Naturgesetze. Die Errungenschaften der alten Menschheit existieren nur noch als Artefakte oder im Verborgenen.
Die Zeichen für das Ende der Erde mehren sich. Feuer brechen aus, Bodenlose Löcher reißen alles in den Abgrund. Die einzige Hoffnung besteht in einem unbekannten Himmelskörper und im Samen der Mondpflanze, durch den man dorthin reisen kann.
Irodis, ein mächtiger Naturzauberer, lebt mit seinem mechanischem Diener Slawek abseits der großen Ansiedlungen in einem alten Anwesen. Nachdem sie den neuen Himmelskörper entdeckt und Albträume Irodis auf den Fundort des Samens der geheimnisvollen Mondpflanze aufmerksam gemacht haben, bereiten sie die Abreise vor.
Was müssen Irodis und Slawek auf sich nehmen, um die Reise antreten zu können? Und was erwartet sie am Ziel?
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum26. März 2023
ISBN9783957657770
IRODIS' STERN: Magische Science-Fiction

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    Buchvorschau

    IRODIS' STERN - Gerd Frey

    Teil 1: Aufbruch

    Prolog

    Lichter tanzten in der Dunkelheit. Blasse Lichtflecken, die über schartige Höhlenwände wischten. Der Boden unter seinen Füßen gab nach. Bei jedem Schritt gluckste es. Irodis hetzte den Lichtern hinterher. Er spürte, dass sie ihn führten. Verlor er den Anschluss zu ihnen, schienen auch sie langsamer zu werden. Als würden sie auf ihn warten.

    Die Höhle stank nach Verwesung. Vermutlich hatte sich ein Tier hierher verkrochen und war verendet. Ein Festessen für Aasfresser, aber ein mit Sicherheit unappetitlicher Anblick, den er gern vermeiden würde.

    Irgendwann sickerte Helligkeit in die Dunkelheit. Er folgte dem Weg nach links. Der Boden war hier fester. Er spürte eine Vielzahl kleiner Steine unter seinem Schuhwerk, das vom Matsch des vorherigen Weges vollständig schlammverkrustet war. Wenige Schritte weiter wurde das Ende der Höhle sichtbar. Ein heller Fleck, in dem sich das karge und blätterlose Geäst von Bäumen abzeichnete. Die tanzenden Lichter jagten ins Helle hinaus und waren dort kaum noch auszumachen. Irodis stolperte hinterher. Trat ins Freie. Schwer atmend hielt er einen Augenblick inne. Ließ den Anblick auf sich wirken.

    Vor ihm erstreckte sich eine weite Ebene. Kahle graue Bäume, wohin er auch blickte. Einige waren dicht mit Spinnweben verhangen. Auch hier roch es nach Verwesung. Alles um ihn herum glich einem naturgewordenen Gemälde über Tod und Vergänglichkeit. Der Himmel überspannte die leblosen Bäume wie eine strukturlose graue Fläche. Bis auf das trockene Rascheln der Äste drang kein weiterer Ton an seine Ohren. Der Wind bewegte sie sanft hin und her. Im Gegensatz zum Höhlengrund, auf dem sich Feuchtigkeit gesammelt hatte, war der Boden unter seinen Füßen trocken. Tiefe Risse durchzogen ihn und bildeten unzählige kleine Inseln. Monatelang schien hier kein Tropfen Wasser die Erde benetzt zu haben.

    Die Lichter – sie waren bei Tageslicht kaum noch wahrzunehmen – tanzten wenige Meter vor ihm wild über dem Boden. Irodis näherte sich der Stelle. Ein faustgroßer Stein lag dort. Dunkel, mit schwach schimmernder Oberfläche. Er wirkte wie poliert. Der Stein ruhte in einem Wall lockerer Erde, als hätte man ihn aus großer Höhe zu Boden fallen lassen. Irodis trat einen weiteren Schritt näher.

    Lautes Knacken übertönte deutlich das beständige Rascheln der Äste, das einen Menschen ähnlich in Trance versetzen konnte, wie das monotone und einschläfernde Flüstern der Meereswellen.

    Irodis war sich sicher, dass der Riss im Stein vorher nicht da gewesen war. Eine glatte schwarze Bruchstelle, die sich quer über die ungemaserte Oberfläche zog. Grünlicher Schleim quoll daraus hervor. Erneutes Knacken. Der Riss vergrößerte sich langsam. Schließlich klappte der Stein auseinander, zerfiel in zwei Hälften. Sichtbar wurde eine dunkelgrüne Kugel. Einem diffusen Gefühl der Bedrohung folgend, trat Irodis einen Schritt zurück. Wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen, rollte die Kugel plötzlich über den lockeren Wall aus Sand, hüpfte in kleinen Sprüngen über den Boden, kullerte schließlich in eine Senke und blieb dort regungslos liegen.

    Irodis schaute sich irritiert um. Die Veränderung war nicht mit bloßem Auge auszumachen. Dennoch fühlte er in seinem Innern, dass etwas anders war. Etwas, das spürbar, aber nicht unbedingt greifbar erschien. Das Rascheln der Bäume verstummte. Die Stille lag wie Watte in seinen Ohren. Er kannte diesen tonlosen Zustand. Als Kind hatte er ihn besonders stark empfunden. Es war die Stille vor einem großen Sturm. Als würde Mutter Natur für einen winzigen Augenblick die Luft anhalten. Eine kleine, vorbereitende Verschnaufpause, bevor das Chaos hereinbrach. Es war jene Geräuschlosigkeit, die den meisten großen Veränderungen vorausging. Manch einer erlag der trügerischen Ruhe. Verpasste die kurze Zeitspanne, in der er entweder Schutz suchte oder den Mut aufbrachte, sich den hereinbrechenden Gewalten entgegenzustellen.

    Irodis hingegen fühlte sich in diesem Augenblick teilnahmslos. Er stand da und ließ kostbare Zeit verrinnen. Ihm kam gar nicht in den Sinn, irgendwo Schutz zu suchen. Er hätte sich einfach in die Höhle zurückziehen können. Stattdessen blieb er stehen und wartete.

    Gebannt beobachtete er, wie die winzige Kugel zu wachsen begann. Eine Samenkapsel! Zarte Ausläufer brachen aus ihr hervor. Hellgrün schlängelten sie sich über den Boden, um sich schließlich in die Erde zu bohren. Irodis war über die enorme Kraft der Pflanze und über die Geschwindigkeit, mit der sich diese entfaltete, erstaunt.

    Der Boden bebte. Zuerst schwach, kaum wahrnehmbar, dann immer stärker, sodass Irodis aufpassen musste, nicht umgeworfen zu werden. Die Kugel wuchs, während sich gleichzeitig immer mehr Ausläufer um sie herum in den Boden gruben. Kleine Wurzeln, die schnell dicker wurden. Obwohl Irodis in seinem langen und ereignisreichen Leben als Magier schon einiges gesehen und erlebt hatte, war er von der Energie, die von der Samenkapsel ausging, überwältigt. Nur wenige Augenblicke später hatte sich das Gewächs zur Größe eines stattlichen Kürbisses aufgebläht. Die äußere Hülle, inzwischen von braun-schwarzen Flecken übersät, dehnte sich aus. Immer schneller. Dann erklang ein lautes und grässliches Geräusch, als würde man Stoff auseinanderreißen. Die Außenhülle gab dem inneren Druck nach. Ein großer dunkelroter Ausläufer zwängte sich durch den sich weitenden Spalt, strebte höher und höher. Irodis wusste aus eigener Erfahrung, dass ein solches Wachstum selbst mit mächtiger Magie kaum in Gang zu bekommen war. Der Ausläufer, der so schnell dem Himmel entgegenstrebte, wurde dicker und dicker und erreichte schließlich den Umfang eines alten Yagg-Baumes. Der Boden um die aufstrebende Wunderpflanze brach weiter auf. Tiefer und breiter werdende Risse suchten sich, den Verzweigungen eines Blitzes ähnlich, einen Weg über den ausgedörrten Boden. Unter heftigen Erschütterungen schwang die Erde unter seinen Füßen auf und ab. Irodis schaute nach oben. Die in die Höhe wachsende Spitze der Pflanze öffnete sich zu einem dunkelroten Kelch, aus dessen Zentrum grellweißes Licht in den grauen Himmel sprang.

    Das war der Augenblick, in dem er erwachte.

    1

    Die Strahlen der Morgensonne schimmerten durch die trüben Scheiben des Arbeitszimmers. Feiner Staub schwebte fast regungslos im Licht. Winzige Staubpartikel leuchteten in der Sonne hin und wieder hell auf.

    Obwohl sein Arbeitszimmer einmal sehr geräumig gewesen war, hatten Jahr für Jahr schwere und sperrige Bücherregale den Raum erobert. Sie standen nicht nur an den Wänden, sondern verteilten sich inzwischen kreuz und quer im Zimmer. Slawek hatte ihm schließlich ans Herz gelegt, nicht auch noch die Fenster mit Regalen zuzustellen. »Kerzenlicht schadet auf Dauer den Augen und verrußt zudem den Raum«, behauptete er.

    Irodis war am gestrigen Abend, wie schon viele Male zuvor, in seinem Arbeitszimmer vor einem aufgeschlagenen Buch eingeschlafen. Sanft berührte er mit seinen Fingerspitzen das trockene und vergilbte Papier. Es war eines der seltenen noch erhaltenen Exemplare über die Verzauberung von Rüstungen sowie weitere Tricks der Defensivmagie. Der größte Teil der Magier, die Irodis kannte, bevorzugte spektakuläre und laute Zaubereien: riesige Feuerbälle, tosende Wirbelstürme oder vor Energie knisternde Blitzgewitter. Sie liebten es, wenn dümmlich dreinblickende Bauern mit offenem Mund dastanden und sich vor Ehrfurcht in die Hosen schissen. Traten diese Zauberer aber einem Konkurrenten entgegen, entschieden meist die weniger auffälligen Zaubersprüche über Sieg oder Niederlage. Das Problem vieler Zauberer war ihr krankhafter Ehrgeiz, der ihrem mangelnden Selbstbewusstsein entsprang. Magiebegabte Menschen litten häufig unter körperlichen Gebrechen. Ihre Konstitution lag oft unter dem Durchschnitt und was ihren Charakter betraf, galten sie als hinterhältig und verschlagen. Deshalb litten viele Magier während ihrer Kindheit und Jugend unter dem Gespött der Gleichaltrigen. Sie wurden ausgeschlossen, verprügelt und gedemütigt, was sich erst im Laufe ihrer Ausbildung in einer Akademie für Magie änderte. Die Akademien galten als streng und jede hatte ihr eigenes Aufnahmeritual. Es gab nicht wenige, welche die perfide Prozedur mit dem Leben bezahlten. In den Akademien wurde den angehenden Magiern vermittelt, dass sie etwas ganz Besonderes seien. Magiebegabung sei ein großes Geschenk, das nur wenigen offenstand. Verschwiegen wurde dabei jedoch, dass sich der Quell der magischen Energien nicht einfach aus dem Nichts heraus speiste. Die enorme Kraft, auf die ein Magier zurückgreifen konnte und die er zu bündeln wusste, stammte aus der Welt der Dämonen und Geister. Es gab viele Begriffe für diesen unheilvollen Ort. Totenwelt, Hölle, Hort des Feuers oder Schlund des Todes. Es waren aus gutem Grund keine allzu vertrauenerweckenden Bezeichnungen. In jedem Fall galt für jeden Magier, der seine Kraft aus den Energien jener Sphäre heraus speiste, die Regel vom Geben und Nehmen. Diese Regel konnte nicht gebrochen werden. Es gab kein Entkommen, selbst über den Tod hinaus nicht. Der einzige Gegenwert, für die Fähigkeit, Magie wirken zu können, war eine spirituelle Substanz, die man profan als Seelenessenz bezeichnete. Schattenmagier lockten deshalb gern ahnungslose Reisende in die Falle, um nicht mit eigener Seelenessenz zahlen zu müssen. Weniger skrupellose Magier begannen jedoch mit einem verhängnisvollen Kreislauf der Selbstausbeutung, bis nur noch ein starrer und fast toter Geist in ihrem Körper hauste. Manche von ihnen, so erzählte man sich, zerfielen von einem Augenblick zum andern einfach zu Staub.

    Es gab Dämonen, die ermöglichten es einigen Schattenmagiern, ihre Lebenszeit weit über die natürliche Grenze hinaus auszuweiten. Es gab Magier, die waren so alt, dass sie sich noch an die wandelbare Form des Mondes erinnerten, der einst die Erde umkreiste und nur nachts und hin und wieder in den Morgen- und Abendstunden zu bestaunen war. Eine blassgelbe Scheibe, die bei klarem Himmel die Nacht erhellte.

    Irodis waren Darstellungen vom Mond nur aus alten Zeichnungen bekannt. Heutzutage war die Nacht dunkel und zu jeder neuen Nachtphase verschwanden mehr Sterne vom Firmament. Es gab Astronomen, die beschworen schon seit vielen Jahren den Untergang des Universums. Sterne erloschen. Galaxien und Galaxienhaufen entfernten sich immer weiter voneinander. Kosmologisch breitete sich eine alles verschlingende Kälte aus. Doch das Universum ließ sich Zeit … und was konnte man dieser Entwicklung auch entgegensetzen?

    Andererseits gab es Magier, die sich allein den Kräften der Natur verschrieben. Naturkräfte waren nur selten zerstörerisch und man benötigte einen starken und klaren Geist, um sie zu bändigen und in einen Fokus zu zwingen.

    Irodis rieb sich die Augen und schüttelte zögerlich den Kopf, als wolle er seine Gedanken neu ordnen. Schließlich erhob er sich und ging in seinen alten, löchrigen Pantoffeln zum Fenster. Das Glas des Fensters war alt und die Oberfläche uneben, sodass die dahinterliegende Landschaft aus mit dichten Wäldern bewachsenen flachen Bergen verzerrt hindurchschien. Irodis’ Anwesen war in ein unberührtes Naturpanorama eingebettet. Nur einen kurzen Spaziergang vom nördlichen Hauptturm entfernt – in dem sich auch sein Arbeitszimmer befand – glitzerte das Sonnenlicht in einem von einer unterirdischen Quelle gespeisten, kleinen See. Der See war fast kreisrund. Nur an seinem östlichen Rand beulte er ein wenig aus. Ein Bach suchte sich von dort seinen Weg in tiefer gelegene Ebenen. Mithilfe des abwärtsfließenden Wassers und einem alten Mühlenantrieb wurden dort Licht für seinen Garten und die Ladungsenergie für den Blitzspeicherturm erzeugt. Den Blitzspeicherturm benötigte er für den Betrieb seines mechanischen Hausdieners Slawek.

    Slawek war etwas ganz Besonderes. Er hatte damals von einem Händler nur den Kopf des mechanischen Butlers erworben. Das Gesicht war außergewöhnlich. Keine Massenanfertigung, sondern ein aus Bronze und Gold handgefertigtes Einzelstück. Zum Kopf gehörte zudem ein kleiner schwarzer Behälter aus einem glatten, matt schimmernden Material. Obwohl er einen sehr robusten Eindruck machte, bestand der Behälter nicht aus Metall. Dafür war er viel zu leicht.

    »Seine Seele …«, hatte der Händler damals spöttisch erklärt. Er klappte daraufhin den Deckel auf und Irodis’ Blick fiel auf eine blaue Kugel, die in einer mit Samt beschlagenen Fassung ruhte. Im Innern der durchsichtigen Kugel bewegten sich dunkle Schatten, die sich umkreisten. Ein unruhiger und unheimlicher Tanz.

    »Ihr müsst die Kugel nur in die kleine Öffnung über seinem Nacken fallen lassen. Er ist dann sofort einsatzbereit. Natürlich benötigt Ihr vorher noch die fehlenden Teile seines Körpers. Bedauerlicherweise befindet sich nichts davon in meinem Besitz. Ich werde mich aber bei meinen nächsten Reisen danach umsehen.«

    Der Händler wurde auch fündig und präsentierte ihm schon im Herbst darauf zwei fehlende Arme und den grauen Zylinder des Elektrizitätsspeichers. Es sollten jedoch noch sieben Sonnenumläufe vergehen, bevor Irodis alles beisammenhatte.

    Die unzähligen mechanischen Wunderdinge der Vorzeit faszinierten ihn. Ein guter Freund, ebenfalls Magier, besaß einen Chronografen, der nicht nur die Zeit anzeigte, sondern auch den Verlauf der Gestirne sichtbar machte. Das Gerät, hinter dessen schwerer Verkleidung unzählige Zahnräder ratterten und klickten, befand sich innerhalb eines kuppelförmigen Bauwerks. Ins Innere drang kein Sonnenlicht. Befand man sich direkt unterhalb der Kuppel und wartete einen Augenblick – die Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen – wurden nach und nach unzählige Sterne sichtbar, die das Gerät an die Kuppelinnenseite projizierte. Ein weißer Kristall erzeugte das dafür notwendige Licht.

    Die für diesen komplexen Vorgang entwickelte Mechanik funktionierte nun schon seit Hunderten von Jahren. Das lag einerseits an den speziell gehärteten Zahnrädern, die sich kaum abnutzten und andererseits an der automatischen Schmiereinrichtung, die dafür sorgte, dass keines der Teile heiß lief. Sollte das Gerät dennoch einmal ausfallen, bestand die Gefahr, es niemals wieder in Betrieb zu nehmen, weil der Bauplan der Maschine nicht mehr existierte oder in irgendwelchen Archiven abgelegt und vergessen worden war.

    Irodis öffnete das Fenster und ließ kühle Morgenluft in den Raum. Eine Hummel, die sich versehentlich in das Arbeitszimmer verirrt hatte, jagte er schnell wieder hinaus. Wenn man nach rechts aus dem Fenster blickte, konnte man die schmale goldene Spitze seines Zeppelinbahnhofs erkennen, die dort in den Himmel ragte. Neben Slawek gehörte der betriebsfähige Zeppelin zu Irodis’ liebsten Habseligkeiten aus der Vormagischen Zeit. Der Zeppelin war eine Einzelanfertigung für einen superreichen Industriellen kurz vor dem Zeitalter der Dürre. Wie Irodis aus einem Geschichtsbuch erfahren hatte, war der Auslöser für das Zeitalter der Dürre kein weltumspannender Krieg. Eine der düstersten Zeitepochen der Menschheit war auf die stumpfsinnige Ausbeutung aller Rohstoffe zurückzuführen. Irgendwann war nichts mehr da, was man verbrennen und in Energie für die unzähligen Maschinen umsetzen konnte. Es folgten Elend, Hunger und Tod. Spöttisch wird unter einigen Altertumsforschern jene Epoche auch als das Zeitalter der Dummheit bezeichnet.

    Eine Besonderheit des Zeppelins war seine einfache Handhabung. Eine Art elektrisches Gehirn arbeitete im Herz des Fluggerätes und übernahm alle Steuerungsaufgaben. Mithilfe speziellen Kartenmaterials, bei dem man Start- und Zielpunkt nur zu markieren brauchte, konnte man ohne Navigationskenntnisse durch die Welt reisen. Leider war das Kartenmaterial inzwischen veraltet, sodass Irodis über die letzten Jahre ein ganzes Buch mit Aktualisierungen zusammengestellt hatte, um vernünftige Flugrouten planen zu können.

    In drei Tagen wurde er zu einem Treffen von Naturmagiern in der Akademie Zil erwartet. Zil befand sich nicht in der Nähe einer größeren Metropole, sondern war etwas abseits der Handelswege auf einem steinigen Berg des Turll-Gebirges erbaut wurden. Obwohl er die Akademie schätzte, war er bisher nur drei Mal vor Ort gewesen. Die dort lebenden Zauberer teilten die Räumlichkeiten mit einem Mönchsorden, der den Zauberern hauptsächlich wegen der einfachen Dinge des Lebens zur Seite stand. Das betraf die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Gebrauchsgütern, die Abfallentsorgung und die Wasserspeicherung. Weil Regen nur in größeren Abständen fiel, konnte es bei einer Dürre schnell zu Engpässen kommen.

    In Zil musste man sich als Schüler auf Entbehrungen einstellen. Karge Speisen, abgestandenes Wasser und Einsamkeit waren die ständigen Begleiter während der fünf Sonnenumläufe dauernden Ausbildungszeit. Nur wer es wirklich ernst mit seiner Passion zur Naturmagie meinte, setzte sich diesen Strapazen aus. Die Anzahl der Adepten war daher auch recht übersichtlich. Dies betraf leider auch die Anzahl der Lehrmeister.

    Der einzige Weg, der zur Akademie führte, war ein schmaler und steiniger Gebirgspfad, der sich viele Meilen den Berg hinauf schlängelte. Es gab kaum Schatten und meist brannte die Sonne erbarmungslos auf die Wanderer nieder. Es schien so, als wollte man den künftigen Magiern den Weg nach Zil absichtlich schwer gestalten. Der junge Schüler merkte schnell, dass kein Ort für die Aufgabe zur Ausbildung zum Naturmagier besser geeignet war als die abgelegene Magieschule. Naturmagie war nicht nur ein Handwerk, sondern eine Weltanschauung. Kenntnisse in der Meditation und ein starker Geist waren Grundvoraussetzungen, um sich das wunderbare Wissen über die Naturkräfte zu eigen zu machen.

    Das Knarren der Dielen riss Irodis aus seinen Gedanken. Die Tür öffnete sich und Slawek betrat mit langsamen Schritten das Arbeitszimmer. Das polierte Metall seines Körpers schimmerte matt.

    »Herr.« Slaweks synthetische Stimme klang wie immer sanft und einfühlsam. »Das Auge – es ist trüb.«

    »Kein gutes Zeichen«, konstatierte Irodis. »Ich hoffe nur, es ist keine Warnung für meine Reise nach Zil. Bist du sicher, dass keine Verunreinigung ins Wasser gelangt ist?«

    »Das ist ausgeschlossen«, versicherte Slawek. »Die Kuppel ist unversehrt und ich kümmere mich persönlich um die Sauberkeit vor Ort.«

    Das Auge – eigentlich das »Auge der Vorhersehung« – war ein mit Wasser gefülltes Gefäß, in dem Tausende winziger Lebensformen hausten. Standen große Veränderungen an, starb ein Teil der Lebewesen und das Wasser wurde trüb. Keine besonders präzise Art, die Zukunft vorherzusagen. Das »Auge der Vorhersehung« wurde daher auch unter Magiern belächelt. Irodis fand es trotz allem nützlich, bei anstehenden Veränderungen vorgewarnt zu sein. Bisher hatte das Auge auf drei heraufziehende Katastrophen angeschlagen.

    Irodis schaute gedankenverloren aus dem geöffneten Fenster. Sein Blick fiel dabei auf die längliche Erscheinung eines Schweifsterns am Himmel. Warum war ihm der Komet vorhin nicht aufgefallen? Möglicherweise war er vorher noch gar nicht zu sehen gewesen. Das erschien ihm jedoch unwahrscheinlich. Kometen erschienen nicht einfach so am Himmel. Sie entwickelten sich meist über Wochen und Monate. Wuchsen von einem blassen Leuchtpunkt zu einem majestätischen Schweifstern heran, bevor sie sich wieder von der Sonne entfernen, kleiner wurden und in der Unendlichkeit des Kosmos verschwanden. Irodis nahm sich vor, morgen – noch weit vor Sonnenaufgang – sein Observatorium aufzusuchen und mit seinem großen Refraktor einen Blick auf den Kometen zu werfen. Früher hatte er viele Nächte hinter seinen Teleskopen verbracht und in die dunkle Leere des Kosmos geschaut. Hin und wieder hatte er von auffälligen und interessanten Beobachtungsobjekten Zeichnungen mit einer besonders feinen Feder angefertigt. Leider kannte Irodis nur einen weiteren Magier, der sich ebenso begeistert für Kosmologie interessierte wie er selbst: Ikondrar. Sein Astronomiepartner lebte unglücklicherweise viele Tagesreisen von seinem Anwesen entfernt. Ein fruchtbarer Informationsaustausch zog sich daher unangenehm in die Länge. Ikondrar nutzte zwar einen dressierten Falken, um ihm neue Beobachtungsergebnisse und Korrespondenz zukommen zu lassen. Doch oft genug wurde der Falke Opfer von Harpyienattacken und verlor dabei die ihm angeschnallten Aufzeichnungen. Trotz sichtbarer Blessuren hatte der Falke bisher alle Angriffe überlebt.

    Neben zwei einfachen Linsenteleskopen, von denen sich eines in Einzelteilen in einem extra dafür angefertigten Transportkoffer zerlegen ließ, zählte ein eindrucksvolles Spiegelteleskop zu Irodis’ seltensten astronomischen Instrumenten. Ein aufziehbares Federgetriebe und eine komplexe Zahnradmechanik steuerte das Spiegelteleskop so exakt, dass es die durch die Erdrotation bedingte Himmelsbewegung ausglich. Ein technisches Wunderwerk, von dessen Produktionsreihe nur noch sieben oder acht in funktionstüchtigem Umfang existierten.

    Irodis schaute zu Slawek, der, einen Koffer voller Tücher und reinigender Substanzen in der Hand, wartend bereitstand.

    »Wir sollten den Zeppelin vor Reisebeginn einer umfangreichen Inspektion unterziehen. Ich hatte bei unserer letzten Fahrt den Eindruck, als würde die Steuerung immer ungenauer funktionieren. Auch scheint die Hülle im vorderen Teil löchrig geworden zu sein.«

    »Die Hülle habe ich vor drei Tagen untersucht und schadhafte Stellen ausgebessert«, berichtete Slawek. »Für die Überprüfung der Mechanik sollten wir die Dienste von Uhrmachermeister Meltok in Anspruch nehmen. Meltok kennt den Zeppelin schon durch eine vorherige Reparatur. Außerdem gilt er als einer der Geschicktesten seiner Zunft.«

    »Da gebe ich dir recht!«, stimmte Irodis zu. »Bevor ich zur Akademie aufbreche, lasse ich Meltok noch einen Blick auf den Zeppelin werfen.«

    2

    Die Lichtadern eines Blitzes durchzuckten die Dunkelheit und ließen die Silhouetten der windgepeitschten Bäume hervortreten. Große Tropfen stürzten in den aufsteigenden Nebel auf den durchweichten Boden. In unzähligen Vertiefungen bildeten sich schwarze Wasserlachen.

    Irodis lief wie von Sinnen durch den Wald. Hinter ihm beunruhigende Geräusche: Hecheln, unterbrochen von einem tiefen Knurren, dann das Schnappen von Kiefern. Er wagte nicht, sich umzuwenden, da er befürchtete, seinen Vorsprung zu verlieren, oder über eine Wurzel zu stolpern. Der schlammige Boden sorgte dafür, dass er nur noch langsam vorankam.

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