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Schmutzige Geständnisse: Roman
Schmutzige Geständnisse: Roman
Schmutzige Geständnisse: Roman
eBook238 Seiten3 Stunden

Schmutzige Geständnisse: Roman

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Über dieses E-Book

Ein Augenblick, der alles verändert! Ein Fehler, der alles zerstört! Eine Familie durch Leichtsinn vernichtet! Ein Mann wird seiner Träume und seiner Zukunft beraubt!
Es dauert lange, er muss viel investieren, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dann, als er erkennt, dass auch Geständnisse keine Gerechtigkeit bringen, nimmt er die Dinge selbst in die Hand. Er hat einen Plan, genial und riskant. Er hat nichts mehr zu verlieren und will nur noch Gerechtigkeit. Und vielleicht ein neues Leben. Später! Danach!
Ein Mann, sein Geständnis. Über die Liebe, Glück und Leid, Hoffnung, Verzweiflung, Enttäuschung und Hass. Über alles, was dazugehört. Zu einem Leben, zu seinem Leben.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. März 2023
ISBN9783961361618
Schmutzige Geständnisse: Roman

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    Buchvorschau

    Schmutzige Geständnisse - Veit Beck

    1.

    „Ich soll Dir was erzählen." Das haben die Ärzte gesagt.

    „Reden Sie mit Ihrer Tochter, haben sie gesagt. Vertraute Stimmen können helfen."

    „Was?, habe ich gefragt. „Was soll ich ihr sagen.

    „Das ist egal, war ihre Antwort gewesen. „Es geht nur darum, dass sie Ihre Stimme hört. Mehr nicht.

    „Was es leichter macht, denn ansonsten hätte ich gar nicht gewusst, was ich hätte sagen sollen. Obwohl ich es jetzt auch nicht weiß. Wir haben lange nicht mehr ausführlich miteinander gesprochen. Wenn Du mir etwas erzählen wolltest, hatte ich nie Zeit. Obwohl es selten genug vorkam. Ich war immer auf dem Sprung, zum nächsten Termin, zum nächsten Flieger, zum nächsten Kunden. Und irgendwann, ich kann mich gar nicht mehr erinnern, ab wann, hast Du es gar nicht mehr versucht. Wenn ich mal was zu Dir sagen wollte, wolltest Du es nicht hören. Hast desinteressiert die Dinge weiter gemacht, mit denen Du gerade beschäftigt warst. Hast mir den Rücken zugedreht. Meist ohne einen Versuch, mich zu unterbrechen. Um mir Deine Sicht der Dinge klarzumachen oder mich einfach abzuwürgen. Das war unser Problem, dass wir es nicht nur verlernt hatten zueinander zu sprechen, sondern dem anderen überhaupt zuzuhören. Und auch jetzt weiß ich nicht, ob Du mir zuhörst. Ob Du mich überhaupt hören kannst. Ich hatte mir nie so sehr gewünscht, dass Du mich unterbrichst, wie gerade jetzt.

    Du liegst im Krankenhaus. Du hattest einen Unfall. Das ist schon über eine Woche her. Es war am Donnerstag letzter Woche, spät abends. Heute ist schon Sonntag. In der letzten Woche hat man Dich viermal operiert. Nun bist Du stabil. Es besteht keine akute Lebensgefahr mehr. Sagen die Ärzte. Aber Du bist noch immer im Koma. Wann Du aufwachst, können die Ärzte nicht sagen. Mutti wird nie mehr aufwachen. Sie war gleich tot, haben die Ärzte gesagt. Sie ist noch an der Unfallstelle gestorben. Die Beerdigung ist schon morgen. Wir können nicht auf Dich warten. Nicht dafür!

    Ihr hattet einen Unfall. Drüben auf der anderen Seite des Flusses. So wie die Polizei gesagt hat, seid Ihr von der Straße abgekommen und mit voller Wucht auf einen Laternenpfahl geprallt. Mehr haben sie mir nicht gesagt. Auch nicht, warum Ihr von der Straße abgekommen seid. Zu schnell könnt Ihr nicht gewesen sein. Laut Polizei ist Mama gefahren. Und sie ist nie zu schnell gefahren. Eher im Gegenteil. Wir haben uns immer deswegen gestritten. Ich wollte immer, dass sie etwas schneller fährt. Ich habe mich ständig nach hinten umgesehen, wenn ich auf dem Beifahrersitz saß. Weil es mir unangenehm war, weil ich das Gefühl hatte, dass wir den Verkehr behindern. Weil sie so langsam gefahren ist. Mama war das egal. Sie hatte immer die Ruhe weg. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte.

    Am Wagen hat die Polizei auch nichts gefunden. Es gab nur eine kurze Bremsspur. Wahrscheinlich ist der Wagen ausgebrochen oder ihr seid ausgewichen. Einem Tier vielleicht. Der Wagen wurde nach wenigen Metern von der Laterne gestoppt. Ein anonymer Anrufer hatte 112 gewählt. Polizei und Rettungswagen trafen fast zeitgleich am Unfallort ein. Der Wagen stand vor der Laterne. Der Mast war tief in die Kühlerhaube eingedrungen. Keine Lampe leuchtete mehr, der Motor war aus, nur vereinzelte Rauchwolken quollen unter der Kühlerhaube hervor. Die Polizisten haben die Flammen, die den Rauch verursachten, mit ihren Feuerlöschern erstickt. Dich haben die Sanitäter vom Beifahrersitz geborgen, die Wagentür war schon geöffnet gewesen, als sie am Unfallort eingetroffen waren. Ob Du sie noch aufgemacht hast oder sie von selbst aufgegangen war? Keine Ahnung. Mama war eingeklemmt. Die Feuerwehr musste die Tür aufbrechen und sie aus dem Wagen bergen. Das hat wohl einige Zeit gedauert. Da warst Du schon auf dem Weg in das Krankenhaus. Mama konnten sie nicht mehr helfen. Sie ist, kurz nachdem man sie aus dem Wagen geborgen hatte, gestorben. Noch an der Unfallstelle.

    Mich haben Sie erst am nächsten Morgen informiert. Ich war ja auf Dienstreise. In der Hauptstadt. Deshalb haben Sie mich in der Nacht nicht zu Hause angetroffen. Die Polizei hat erst am nächsten Morgen bei meiner Firma angerufen und die haben den Beamten gesagt, wo sie mich finden können. Dann sind zwei Polizisten, nachdem die hiesige Polizei ihre Kollegen in der Hauptstadt angerufen hatte, zu dem Kunden gefahren, bei dem ich gerade war und haben mich informiert. Als ich am frühen Nachmittag hier eintraf, warst Du im OP. Schon wieder. Seitdem haben sie Dich drei weitere Male operiert. Du hattest Blutungen im Schädel, die auf das Gehirn gedrückt haben. Deshalb mussten die Ärzte immer wieder operieren. Um den Druck zu vermindern.

    Nun sitze ich hier. Jeden Tag und rede mit Dir. Nein, ich rede zu Dir. Weil geantwortet hast Du ja bisher nicht. Noch nicht. Aber das wird sich ändern. Deshalb sitze ich hier. Jeden Tag. Um das zu ändern. Nur morgen, morgen werde ich nicht kommen. Wegen der Beerdigung. Das werde ich nicht schaffen. Nicht beides."

    2.

    „Gestern haben wir Mama beerdigt. Das war ein Scheißtag. Nicht die Trauerfeier. Die habe ich wie einen Film erlebt. Eigentlich trifft das für die gesamten Vorbereitungen der Beerdigung zu. Die Termine beim Bestatter, das Informieren der Freunde und Verwandten. Anrufen, Karten schreiben. Mit dem Pastor reden. Woher soll ich denn wissen, was er sagen soll? Welche Lieder sie spielen sollen? Welcher Spruch auf die Karten soll? Welcher Sarg, was für ein Kranz, welche Aufschrift auf der Schleife? Kränze und Blumenspenden erwünscht oder nicht? Tausend Kleinigkeiten, zu viele Entscheidungen. War das alles wichtig? Mir war das egal. Mama musste es egal sein, sie konnte nicht mehr mitreden, nichts entscheiden, nicht mehr. Alle wollten etwas von mir, ich wollte nichts. Vielleicht meine Ruhe, aber auch die eigentlich nicht. Es war, als wäre ich in Watte gepackt. Die Stimmen erreichten mich kaum, alles, was ich sah, war irgendwie trüb. Als ob ich alles durch einen Schleier betrachten würde. Bei der Feier saß ich allein in der ersten Reihe, starrte auf den Sarg, ohne mich umzudrehen. Wer letztlich alles gekommen war, kann ich gar nicht sagen. Nur dass ihre Brüder nicht da waren, das weiß ich. Die haben abgesagt. Wegen gesundheitlicher Bedenken. Dabei hat Mama ihnen jahrelang den Arsch abgeputzt, als sie noch klein waren. Diese undankbaren Arschlöcher. Entschuldigung, aber so ist es nun einmal. Zumindest sehe ich es so. Obwohl ich ihnen eigentlich dankbar sein müsste. Auch Oma und Opa. Denn die haben sie natürlich verteidigt. Dieter ist doch so krank, er kriegt doch so schlecht Luft. Der kommt doch kaum noch aus dem Haus, hat Oma gesagt. Doch dass er zweimal im Jahr in Kur fahren kann, das hat sie nicht erwähnt. Oder Wilfried. Der hat doch immer so viel um die Ohren. Wegen der Kinder. Nicht seine, er hat ja keine, aber die von seiner Nachbarin. Die kriegt ja nichts auf die Reihe. Und wenn Wilfried sich nicht so um die Kinder kümmern würde, schon seit Jahren. Wer weiß? Aber Oma und Opa haben den beiden schon immer alles durchgehen lassen.

    Immerhin haben sie es mir möglich gemacht, etwas anderes zu empfinden als Trauer und Verzweiflung. Überraschenderweise war ich noch zu so etwas wie Wut fähig. Die Einzelheiten erspare ich Dir. Auch von dem sogenannten Kaffeetrinken danach. Wir waren in den Rembrandt-Stuben. Direkt in der Nähe unseres Hauses. Die kennst Du ja. Das düstere, barocke Interieur passt zu derartigen Anlässen. Ich weiß nicht, wozu derartige Zusammenkünfte gut sein sollen. Ich fühlte mich auch hier wie ein Geist. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt, das an einem Ort gelandet ist, wo es gar nicht hingehört. Trotzdem musste ich den Mittelpunkt spielen. Beileidsbekundungen, manche aufrichtig, einige geheuchelt, andere gelogen. Nutzlos, abgesehen davon, dass man die Beteiligten einschätzt, sich seine Urteile, Vorurteile und Fehlurteile bildet oder bestätigt. Die dann das Fundament für die zukünftigen Beziehungen betonieren. Natürlich gab es auch dort viele Fragen nach dem Verbleib von Mamas Brüdern. Auch hier aus den unterschiedlichsten Motiven. Interesse, Neugier oder auch weniger schmeichelnde Gründe.

    Vielleicht war es ganz gut, dass Du von der Beerdigung nichts mitbekommen hast. Das ganze Brimborium. Ich wäre lieber allein gewesen. Hätte lieber in Erinnerungen geschwelgt. An gute Zeiten, an gute Momente gedacht.

    Ach, vielleicht hätte ich Dir das gar nicht erzählen dürfen. Weil es Dich belastet. Vielleicht hörst Du mich auch gar nicht. Oder Du verstehst mich nicht. So sehr ich mir wünsche, dass Du aufwachst, das ist der Moment, vor dem ich mich fürchte. Wenn wir darüber sprechen müssen, wenn ich Dich fragen muss, ob Du Dich erinnerst, ob Du weißt, was passiert ist. Ob Du weißt, was mit Mama passiert ist. Ob Du weißt, dass Mama gestorben ist? Dass sie weg ist. Und nicht mehr wiederkommt.

    Ach ja. Einige Deiner Freundinnen waren da. Hanna, Britta, Eva und noch einige mehr. Sie haben sich natürlich erkundigt, wie es Dir geht. Ich soll Hanna Bescheid geben, wann sie Dich besuchen können.

    Heute Nachmittag muss ich zur Polizei. Ich soll um 15:00 Uhr im Präsidium sein. Warum? Keine Ahnung. Alles, was ich über Euren Unfall weiß, weiß ich doch von den Beamten. Ich weiß ja noch nicht einmal, wo Ihr wart. Und wo Ihr hinwolltet. Wenn Du es mir doch nur sagen könntest. Und nicht nur das. Na ja, mal sehen, was sie wollen. Ich erzähle es Dir dann morgen."

    3.

    „Sie wollten wissen, ob wir schon vorher einen Unfall hatten. Die Polizei hat wohl den Wagen nochmals untersucht. Dabei haben sie am linken hinteren Kotflügel Lackspuren gefunden. Auch die linke Ecke der hinteren Stoßstange war leicht beschädigt. Ich wusste davon nichts. Meist waren ja Mama oder Du mit dem Wagen unterwegs. Ich habe doch diesen Dienstwagen. Den Du für zu groß und überflüssig hältst. Der nur auf irgendwelchen Parkplätzen steht. Bei uns zu Hause, vor meinem Büro, am Flughafen. Jedenfalls hast Du mir das häufig genug vorgehalten. Jetzt wäre ich froh, wenn Du mich deshalb noch einmal anmachen würdest.

    Weißt Du etwas von einem Unfall? Es wäre schön, wenn Du uns weiterhelfen könntest. Uns etwas dazu sagen könntest. Selbst wenn Du nichts weißt, könnte uns das helfen. Natürlich haben sie mich auch wieder gefragt, wo Ihr gewesen sein könntet, wohin Ihr wolltet. Immer die gleiche Leier. Aber das mit den Lackspuren, das war neu. Scheinbar gibt es irgendwelche Aussagen von Zeugen, die etwas gesehen haben. Offenbar hatten die Zeugen sich erst spät gemeldet, nachdem sie aus den Zeitungen und dem Internet von dem Unfall erfahren hatten.

    Mehrere Zeugen haben ausgesagt, dass zu der Zeit und in der Nähe des Unfalls zwei Autos mit hoher Geschwindigkeit durch die Straßen gejagt sind. Mehr haben die Beamten mir nicht gesagt. Ich vermute, dass sie jetzt nach den Autos suchen. Sie haben noch Adressen von unseren Bekannten oder Deinen Freundinnen und Freunden haben wollen. Wahrscheinlich hoffen sie dabei herauszufinden, woher Ihr kamt. Oder wo Ihr hin wolltet. Mama und ich kenne keine Leute auf der Deutzer Rheinseite. Jedenfalls keine, von denen ich weiß. Ich habe ihnen die Telefonnummer von Hanna gegeben. Vielleicht kann sie ihnen helfen, Deine Bekannten zu ermitteln. Wozu das auch immer gut sein mag?

    Heute Nachmittag muss ich auch wieder zur Arbeit. Zum ersten Mal, seit Du hier liegst. Wie ich das schaffen soll, wie es überhaupt weitergeht, weiß ich noch nicht. Aber irgendetwas muss ich tun. Zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf. Ich kann noch immer keinen klaren Gedanken fassen. Laufe herum, wie ein Tiger im Käfig. Treppe rauf, Treppe runter. Hänge vor dem Fernseher, ohne dass mich interessiert, was da läuft. Eigentlich erreicht mich gar nichts. Das ist nur ein Programm gegen die Einsamkeit. Wenn da andere Stimmen im Raum sind, fühlt man sich nicht so allein. Das habe ich immer schon gemacht, wie viele meiner Kollegen. Sobald man in das Hotelzimmer kommt, macht man den Fernseher an. Auch, wenn man gar nichts anschauen will.

    Leider scheint sie wahr, diese Binsenweisheit, dass man immer erst weiß, was man hatte, wenn man es nicht mehr hat. Man vermisst sogar Dinge, die einen früher genervt haben. Zum Beispiel, wenn man nach der Arbeit nach Hause kommt, zermürbt vom täglichen Kleinkrieg im Büro und den verstopften Straßen auf dem Heimweg, den man vergeblich versucht, sich zumindest zeitlich durch das immer gleiche Geplärre populärer Sender im Radio zu verkürzen. Um sich abzulenken, von dem Fahrer im Auto vor einem, der an der Ampel zu langsam reagiert, sodass du es nicht mehr über die Kreuzung schaffst. Er schon. Als Letzter, bei Gelb, so gerade noch. Und wenn du dann nach Hause kommst, die Schuhe noch anhast, Mantel und Mütze noch nicht einmal an der Garderobe hängen, wenn du nur fünf Minuten durchatmen willst, aber noch bevor du das Wohnzimmer erreicht hast, mit der freudigen Nachricht überfallen wirst, dass gleich der Nachbar herüberkommt, um sich irgendetwas auszuleihen, er hat es eilig, weil er schon vor einer Stunde hier war und Mama ihn gerade angerufen hat, als sie das Licht der Scheinwerfer meines Autos über den Vorgarten huschen sah und du dich noch nicht einmal beschweren kannst, weil bevor du den Mund aufmachst, schon die Türklingel ertönt, Mama zur Tür rennt, sie öffnet und dem Nachbarn mitteilt, dass du endlich nach Hause gekommen bist, aber jetzt Zeit für ihn hast. Dann ist er dahin, der Moment, auf den du dich den ganzen Tag gefreut hast, den du dir selbst als Ziel gesetzt hattest, der die Belohnung für einen weiteren Tag darstellen sollte, mit dem du sonst nichts anfangen konntest. Und so gibt es viele Kleinigkeiten, die das Zusammenleben mit anderen Menschen schwierig machen. Wobei Kleinigkeiten noch übertrieben klingt, eigentlich sind es Nichtigkeiten, zumindest aus Sicht des einen, der die Bedeutung der Dinge für den anderen nicht richtig einzuschätzen vermag. Was für den einen eine überflüssige Marotte ist, ist für den anderen ein Symbol. Häufig ohne Wert, dafür aber von großer Bedeutung. Vielleicht auch ein Ritual, ein Schritt, um es von einem Tag in den nächsten zu schaffen. In einen besseren Tag oder sogar in ein besseres Leben. Am schönsten wäre es, wenn es das alte wäre. Aber das ist ja weg. Für immer.

    Natürlich trinke ich auch zu viel. Endlich hat Mama recht. Das war ja immer ein Streitpunkt zwischen uns. Aber jetzt, jetzt hätte sie wirklich recht. Ich fülle mein Glas, sobald ich in das Haus komme. Und wenn ich morgens aufwache, steht da zumeist noch ein Rest auf dem Nachttisch. Oder auf dem Wohnzimmertisch. Wenn ich es nicht mehr bis in das Bett geschafft habe. Was Gott sei Dank nur selten vorkommt. Ich weiß, dass es so nicht ewig weitergehen kann. Aber im Moment fehlt mir die Kraft. Oder der Wille. Wenn Du aufwachen würdest, wären diese Ausreden nicht mehr zulässig. Also, mach, hilf mir! Hilf Dir! Die Ärzte sagen, dass sie nichts mehr für Dich tun können. Du musst es allein schaffen. Du musst nur aufwachen. Mehr nicht!"

    4.

    „Das lief gar nicht so schlecht. Gestern, bei meinem Arbeitgeber. Die waren aufrichtiger und fairer, als ich erwartet hatte. Sie haben gar nicht versucht, mich unter Druck zu setzen. Obwohl es einfach gewesen wäre, denn dass ich dort nicht so würde weiterarbeiten können, wie vor dem Unfall, das war ja klar. Wochen mit bis zu siebzig Arbeitsstunden, eine nahezu permanente Verfügbarkeit, ständige Reisen, auch kurzfristig und über mehrere Tage hinweg, das geht momentan nicht. Also haben sie mir vorgeschlagen, dass ich erst einmal meinen restlichen Urlaub nehme und mir dann noch einige Wochen unbezahlten Urlaub angeboten. Sobald ich meine, wieder arbeiten zu können, sollte ich mich melden. Als ich ihnen sagte, dass ich gerne etwas arbeiten würde, hatten sie auch dafür Verständnis. Sie haben mir angeboten, dass ich mit meinen aktuellen Kunden spreche, ihnen die Situation erkläre und mit ihnen kläre, ob sie mit mir weiterarbeiten können und wollen. Und dabei einige Einschränkungen in Kauf nehmen. Mit zwei habe ich schon gesprochen, einer war einverstanden. Heute Nachmittag rufe ich noch weitere an. Ich denke zwei bis drei weitere werde ich halten können. Das Arbeiten gestern hat mir gutgetan. Seit langem hatte ich wieder mit Menschen zu tun, ohne dass es um den Unfall ging. Entschuldigung, aber es war nicht einfach in den letzten Tagen. Alle, mit denen ich gesprochen hatte, hatten mit dem Unfall zu tun. Die Polizei, die Bestatter, die Besucher auf der Trauerfeier, die Ärzte, Du. Natürlich musste ich auch mit den Kunden erst über die Situation sprechen, aber dann ging es um andere Themen. Um die Zukunft.

    Aber was für Dich interessanter ist, ist sicher der Artikel, den ich heute in der Regionalzeitung

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