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Das "Geheimnis der Möwe"
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Das "Geheimnis der Möwe"
eBook285 Seiten3 Stunden

Das "Geheimnis der Möwe"

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Über dieses E-Book

Das "Geheimnis der Möwe" ist ein nautischer Roman von den Heldenfahrten und Abenteuern der 'Möwe' im Weltkrieg 1915-1916. Georg Gellert war ein produktiver deutscher Schriftsteller und verfaßte Werke in verschiedensten Genres. Aus dem Buch: "Immer mehr langten auf dem Land- und Wasserwege an der Küste an. Besitzer von Faktoreien sah man, Vertreter von Hamburger und Bremer Handelshäusern. Jeder wünschte etwas Gewisses zu erfahren, und keinem konnte etwas Sicheres mitgeteilt werden. Sie erfuhren eben nichts weiter, als was sie schon wußten: daß Deutschland im Kriege war. Verschiedene abenteuerliche Gerüchte waren an der Küste seit ein paar Tagen im Schwange. Keiner wußte, was er mit diesen phantastischen Nachrichten anfangen sollte. Und niemand wußte, wie solche Gerüchte entstehen konnten."
SpracheDeutsch
HerausgeberSharp Ink
Erscheinungsdatum1. März 2023
ISBN9788028281618
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    Buchvorschau

    Das "Geheimnis der Möwe" - Georg Gellert

    Erster Abschnitt.

    Ein Tornado.

    Inhaltsverzeichnis

    Es war Mitte September des Jahres 1914.

    Drei Tagereisen von der Kameruner Küste entfernt, nicht weit vom Ufer des Lukundje, saß auf der schattigen Veranda eines Wohnhauses Frau Petersen mit ihrem dreizehnjährigen Knaben.

    Die noch junge Frau saß in einem bequemen Klappstuhl von Rohr bei einer Handarbeit. Von Zeit zu Zeit richtete sie ihre unruhigen Blicke hinaus in die Landschaft.

    »Hörst du denn auch zu, Mutter?«

    »Gewiß, Hans. Ich höre alles, was du liest.«

    Der Junge blickte zu der Mutter hinüber.

    »Daß du mir zuhörst, Mutter, das weiß ich wohl«, sprach er lachend. »Ich meine nur, ob du auch mit dem Herzen hörst?«

    »Woraus willst du schließen,« sagte lächelnd die Mutter, »daß ich nicht mit dem Herzen dabei bin?«

    »O, ich beobachte dich schon eine ganze Weile. Deine Augen sind heut so unruhig, als ob du in Sorge wärest.«

    »Ja, mein Junge, das bin ich auch. Um Vater. Vater bleibt heut solange. Und beinahe möchte ich wieder ein schlimmes Wetter prophezeien wollen, wenn es mit dem Prophezeien nicht eine eigene Sache wäre. Ich glaube, wir werden heut noch ein Unwetter bekommen.«

    »Das haben wir doch oft. Das darf dich doch nicht so aufregen. – Ja, ja, Muttchen, ich sehe immer an deinen Augen, was in dir vorgeht.«

    »Du bist ein Schelm, aber mein lieber, einziger Junge.«

    Die blasse, hübsche Frau hatte sich von ihrem Stuhl erhoben, war zu dem Jungen getreten, hatte seinen Kopf in ihre feinen, zarten Hände genommen und ihn auf Stirn und Mund geküßt.

    »Ich kann's dir nicht verhehlen, lieber Junge, – auch noch andere Sorgen bedrücken mich. – Doch, willst du nicht weiter lesen?«

    »Wenn du es wünschst, Mutter, gern. – Jetzt lese ich von Felix Dahn ein Gedicht:

    Die Deutschen im Auslande.

    Ihr Deutschen unter fremden Sternen,

    In meergeschiednen, weiten Fernen,

    Ihr sollt die Sprache nie verlernen,

    Die wohllautreiche, starke, milde,

    Die schönheitvollen Klanggebilde,

    Die in des alten Lands Gefilde

    Dereinst zu euch die Mutter sprach.

    In euren Herzen tönt sie nach:

    Wer sie vergißt – dem Weh und Schmach! –

    Die Sprache Shakespeares trägt der Britte.

    Ich lob' ihn drum! – wie seine Sitte

    Getreu in fremder Lande Mitte:

    Und Schiller soll vergessen sein? –

    Ihr deutschen Männer rufet: ›Nein!‹

    Ihr deutschen Frauen, stimmet ein,

    Und eure Mädchen soll'n und Knaben

    Als köstlichste von allen Gaben

    Das Kleinod deutscher Sprache haben!

    Gefällt dir das Gedicht, Mutter?«

    Ohne die Antwort abzuwarten, fuhr der lebhafte Knabe fort:

    »Mir gefällt es sehr. Weißt du, Mutter, was mein größter Wunsch wäre? – doch einmal nach Deutschland zu kommen. Ich kenne ja nichts anderes als Kamerun. Das imponiert mir ja sehr. Aber Vater hat soviel von Deutschland erzählt, und du auch, daß ich oft vor Sehnsucht versucht bin, mit meinem Kanoe den Lukundje hinunter zu paddeln, bis ich zum Meer komme. Weißt du, ich war oft nahe daran.

    Dann habe ich mir das ausgemalt, wie schön das sein würde, wenn ich so auf ein Dampfschiff kletterte, um auf dem, nach Wochen, endlich bei den Großeltern in Hamburg zu landen. – Was die dann für Augen machen würden, wenn sie ihren Enkel, den sie nur aus der Beschreibung oder von einer schlechten Photographie kennen, nun mit einemmal in Lebensgröße vor sich sähen?! – Dann aber sagte ich mir, daß mein heimliches Fortgehen ein Unrecht sein würde. Denn du, liebstes Mütterchen, würdest dich doch bangen und sorgen und nicht wissen, wo ich geblieben bin. Und da warte ich lieber ab, bis wir einmal zusammen die weite Reise machen.«

    Die Mutter hatte ihre Handarbeit fortgelegt. Sie war auf der Veranda auf- und abgeschritten, während Hans zu ihr sprach.

    Jetzt stand sie still. Sie blickte wieder in die Ferne, auf die dunkle Silhouette des in den Himmel steigenden Kamerungebirges.

    »Vielleicht werden wir die Reise noch eher antreten, als wir es alle vermuten.«

    Man merkte Tränen in ihrer Stimme, als sie abgewandt, diese Worte sprach.

    Hans hatte den Kopf erhoben. Sie stand abseits. Doch seinem scharfen Blick entgingen die Tränen nicht, die langsam über die Wangen rollten.

    Flugs war er aufgesprungen und bei ihr. Er umschlang die Weinende.

    »Was hast du, Mütterchen? Warum weinst du? – Willst du mir nicht sagen, was dich bedrückt?

    Oft hast du es schon getan. Willst du es nicht auch heut aussprechen, was dich weinen macht?«

    Frau Marie-Luise hatte sich bald wieder gefaßt. Sie zog ihren Liebling an sich und beruhigte ihn mit den Worten:

    »Es ist nichts. Wirklich nichts, Hans. Es ist ein unbestimmtes Gefühl, das mich seit einiger Zeit bedrückt. Und auch Vater leidet unter einem solchen Druck, ohne daß er das Gefühl genau bestimmen oder sagen könnte, wann das Unheil, das sich über uns zusammenzuziehen scheint, losbrechen würde.«

    Hans blieb sinnend stehen.

    »Ein Unheil? – Von welcher Seite könnte das wohl kommen?« –

    Er riet hin und her. – Ob etwa die Dualla oder Bakoko einen Aufstand planen? Ob man dergleichen gehört hätte? – Oder ob die schwarzen Händler dem Vater Schaden zugefügt hätten?

    Frau Marie-Luise wollte das junge Gemüt nicht beunruhigen. Sie wußte, wie sehr er sich alles zu Herzen nahm. Sie fürchtete, daß seine ohnehin nicht sehr starke Gesundheit Schaden nehmen könnte.

    »Nichts dergleichen, mein lieber Hans. Du kannst ganz beruhigt sein. – Vielleicht ist bei mir wieder das Fieber im Anzug. Und da weißt du ja, daß es sich bei mir schon durch Verstimmung und Unruhe ankündigt.«

    »Du sagtest doch aber, auch der Vater leide unter einer solchen seelischen Verstimmung?«

    »Beim Vater ist es wohl etwas anderes. Du mußt nämlich wissen, daß schon zweimal das Dampfschiff ausgeblieben ist, und mit ihm die Post. Vater erwartet aus Deutschland Briefe.«

    »Wenn's weiter nichts ist ... Dann werden die Briefe eben mit der nächsten Post kommen.«

    »Nun also. Da siehst du, wie unnütz deine Sorge ist. – Komm, mein Junge, und lies mir noch eins deiner schönen Gedichte vor.«

    Der Knabe setzte sich wieder an den Tisch und las.

    Anfänglich hatte sie versucht, einen Stich an der Handarbeit zu machen. Die Worte des Dichters hatten aber ihr völliges Interesse erweckt. Sie legte die Arbeit auf den Tisch und hörte mit großer Aufmerksamkeit zu:

    »Es muß in Sternen stehn geschrieben,

    Daß Deutschland nicht darf untergehn,

    Der Gott der Völker muß uns lieben, –

    Sonst wär' es längst um uns geschehn.

    Mein Volk, nicht rückwärts darfst du schauen,

    Daß Gram dir nicht das Herz verzehrt:

    Nein, vorwärts, und auf Gott vertrauen

    Und auf dein Recht und auf dein Schwert.«

    Hans hatte sich in Eifer gelesen und die letzten Zeilen mit Kraft und Betonung gesprochen.

    Frau Marie-Luise hatte jedes kraftvolle Wort mit einem Faustschlag durch die Luft begleitet.

    »Das sind herrliche Worte«, rief sie jetzt, als Hans geendet hatte, aus. »Ja, ja, so wollen wir's auch halten. Nicht wahr, mein Junge? ›Vorwärts und auf Gott vertrauen, auf unser Recht und unser Schwert!‹«

    Die Sonne war hinter schweren Wolken verschwunden. Obgleich es noch nicht Abend war, hatte sich eine graue Dämmerung über Wald und Feld gelagert. Die Gipfel des Kamerungebirges waren in Nebel und Wolken völlig verschwunden.

    Immer dunkler und unsichtiger wurde die Luft.

    Amba, der schwarze Koch, lief eilig an der Veranda vorüber.

    »Amba! Was hast du? Was gibt es?« rief Hans dem Davoneilenden zu.

    »Wird schlimmes Wetter geben! Amba schließt Hühner ein und Ziegen. – Amba sieht nach, ob Schweine im Stall sind. – Wird viel schlimmes Wetter, junger Herr!«

    Man hörte noch den Schwarzen eine Weile rufen und schreien, offenbar trieb er die Tiere in ihre Behausung. Dann lagerte wieder die graue, unheimliche Stille über allem.

    Die Dunkelheit hatte noch mehr zugenommen. Ein scharfer Wind hatte sich jetzt aufgetan. In pfeifenden, kurzen Stößen fuhr er durch die Kronen der Palmen. Dann trat wieder eine beklemmende Stille ein, – die Stille vor dem Sturm.

    Hans hatte den Stuhl neben den seiner Mutter gerückt. Beide saßen jetzt dicht beieinander, Hand in Hand. Sie blickten in die immer unheimlicher werdende Dunkelheit.

    Mutter und Sohn schauten über die Veranda in die immer schwärzer werdende Landschaft. Auf ihren Gesichtern stand Angst und Sorge.

    Da ließ sich mit einemmal neben den zu Tode Erschrockenen eine sonore Stimme vernehmen:

    »Bitte um Entschuldigung, wenn ich störe.«

    Frau Petersen hatte vor Schreck laut aufgeschrien. Sie war aufgesprungen und hatte, wie zur Abwehr, angsterfüllt die Hände erhoben. Hans war wie zum Schutze vor sie hingetreten.

    »Oh, oh! – hat Sie mein Kommen so erschreckt, gnädige Frau? Das tut mir aber leid. Ein schweres Wetter in Sicht. Kann jede Minute losbrechen. Da dachte ich, wirst nicht erst den Umweg um die große Besitzung machen, – hab' den Weg abgekürzt – –«

    »Sie, Mister Northcliff?! Gott, bekam ich einen Schreck. Ich habe Sie ja gar nicht hereinkommen sehen. Wie kamen Sie denn hier ins Haus?«

    »Sehen Sie, das ist gar nicht so schwer. Aus reiner Bequemlichkeit zog ich mich an einer der Palmen, die an Ihrem Zaune hinter dem Wellblechmagazin stehen, in die Höhe, dann stand ich auf dem Dach des Magazins. Mit einem Satz meiner langen Beine war ich im Hof und sah gerade, wie Amba sein Viehzeug in den Ställen sicherte. Dann kam ich ins Haus über die kleine Treppe, sah in dem Zimmer Ihres Gatten nach, ob er vielleicht zu Hause wäre, dann trat ich hier heraus und – da bin ich.«

    Frau Marie-Luise stand noch mit allen Zeichen des Schreckens da. Ihr war die Rede verschlagen. Sie mochte und konnte beim besten Willen die Begründung des langen Engländers für seine plötzliche Anwesenheit im Hause nicht glauben.

    Sie hatte von jeher den Menschen nicht leiden mögen. Seine Augen erinnerten an die einer Hyäne. Sein grausames Gebiß an das eines Panthers.

    Vor einem Jahre war er plötzlich in der Kolonie aufgetaucht. Keiner wußte recht, woher er kam. Einige Kaufleute, die sie deswegen befragte, meinten, er käme aus Amerika oder England. Andere wieder wollten ihn in Kapstadt gesehen haben. Was er eigentlich in der Kolonie trieb, war nicht völlig zu ergründen. Er sprach stets von Geschäften und vom Export von Landesprodukten, die er nach Kapland, Australien und auch direkt nach London verschiffen wollte. Aber bisher hatte noch keiner recht die Ballen, Kisten oder Fässer gesehen, die der seltsame Engländer verfrachtet oder zum Versand gebracht hatte. Man sah ihn immer, die Büchse über die Schulter gehängt, in allen Orten von Kamerun auftauchen. Bald hatte er auf der Faktorei etwas zu erfragen, bald zechte er im Hafen von Duala mit den Kaufleuten und Farmern. Und immer fand er sich bereit, auch ohne Aufforderung, die Zeche, die mitunter eine erhebliche Höhe erreichte, zu zahlen. Man konnte auf den Gedanken kommen, Mister Northcliff wollte mit aller Absicht sich dadurch Freunde machen.

    Von seinen Jagderlebnissen wußte er gelegentlich die Hörer zu unterhalten. Bald wollte er Elefanten weit hinten im Grasland erlegt haben, bald in den Urwäldern des Kamerungebirges auf Leoparden gepirscht oder Krokodile zur Strecke gebracht haben. Er verschwand auf einige Wochen, um dann plötzlich wieder aufzutauchen, in den Faktoreien herumzulungern oder in einem Kanoe Fluß auf und Fluß ab zu fahren.

    Zuerst entstand ein großes Gerede in der Kolonie, man deutete seinen Aufenthalt bald in günstigem, bald in ungünstigem Sinne. Aber niemand konnte ihm etwas Unrechtes nachweisen. Da, wo er hinkam, entstand gleich eine Zecherei, die auf seine Kosten ging. Daran schloß sich zumeist ein Spiel, und der Klatsch wußte bis zur Küste hinunter, daß Mister Northcliff sich nur dumm stelle, um jeden seiner Partner einmal gewinnen zu lassen. Zumeist aber sei ihm im Spiel das Glück hold. Einige sprachen was von Falschspielen.

    Etwas Wahres mochte an dem Gerede sein. Der Engländer verfügte über große Summen, die er bald an der Küste, bald weiter im Lande drinnen verausgabte.

    Da entstand einmal das Gerücht, keiner wußte, wo es herkam, Northcliff sei ein Abenteurer und in allen Spielhöllen zu Hause. Zuletzt habe er in Neuyork durch falsches Spiel große Summen gewonnen, sie dann aber wieder verloren. Und als man ihm auf die Schliche kam, hatte er es vorgezogen, den Schauplatz seiner Tätigkeit auf einen anderen Erdteil zu verlegen.

    Schließlich munkelte man noch, er erhielte oft aus London und Neuyork Briefe und Geldbeträge.

    Böse Zungen wollten aus diesem Umstande schließen, Northcliff sei ein bezahlter Spion der englischen Regierung, um den deutschen Handel auszuspionieren und die Liste der deutschen Kunden.

    Was förderte der Klatsch in den Kolonien nicht alles zutage!

    Wenn man einmal eine Zeitlang seinen Nächsten durchgehechelt hatte, dann begrüßte man die Abwechslung im täglichen Einerlei der angestrengten Arbeit, wenn es dann wieder über einen andern hergehen konnte. Allzu viel würde weder auf die eine, noch auf die andere der losen Reden gegeben. So schnell wie eine Rede entstanden war, so rasch wurde sie wieder vergessen.

    Und so hatte man sich auch mit der Zeit an den langaufgeschossenen Mister Northcliff gewöhnt. Es wurde nicht mehr nach seinem Woher und Wohin gefragt. Er war keinem etwas schuldig, gab reichlich Geld aus und wußte trotz seiner Wortkargheit immer einen neuen Witz zu erzählen. Und da er auf Form hielt, so war er allenthalben wohlgelitten. Man ließ ihn seinen unbekannten Geschäften nachgehen und bestaunte oder belachte seine Jagderlebnisse.

    Sehr wenige hatten Zeit oder Lust, die zwei Stunden von Batanga entfernte Hütte Northcliffs zu besuchen. Einer oder der andere, der in der abseits vom Wege gelegenen Hütte einmal eingekehrt war, berichtete ziemlich enttäuscht darüber.

    Die Hütte hatte er von Eingeborenen, nach dem Muster ihrer eigenen Hütten, errichten lassen. »Billig und schlecht« lautete das Urteil. Sie bestand aus einem etwa fünf Meter langen und vier Meter breiten Raum mit einem simplen Lager und einem primitiven Kochherd. Überall hingen und lagen Jagdtrophäen. Was er an Konserven, Munition, Kleidungs- und Ausrüstungsstücken brauchte, das kaufte er alles in einer oder der anderen deutschen Faktorei. Er feilschte nicht. Man konnte fast auf die Vermutung kommen, es wäre ihm angenehm, jeden Preis zu zahlen. Und wenn jemand seiner Verwunderung Ausdruck gab, warum er so ohne jeden Komfort, fast wie die Neger, eingerichtet wäre, dann sagte er: »Was wollen Sie? Ich bin ein Junggeselle. Wenn eine Frau im Hause wäre, dann würde es anders sein. So aber bin ich fast immer unterwegs. Jagd und Geschäfte führen mich in der Kolonie umher. Ich schlafe in der Steppe oder in den Hütten der Eingeborenen oder nächtige bei einem der vielen Freunde, die ich hier habe. Was soll mir da ein komfortabel eingerichtetes Haus? Und lange gedenke ich sowieso nicht in Kamerun zu bleiben. Ich bin ein unruhiger Geist. Vielleicht, wenn es mir einfällt, bin ich schon im nächsten Monat wieder unterwegs. Mein Schicksal ist, ruhelos von einem Kontinent zum andern wandern.«

    Das klang plausibel.

    Bei dem Bescheide mußte sich jeder neugierige Frager beruhigen.

    Frau Petersen mochte sich dem allgemeinen Urteil über den Engländer nicht anschließen. Vom ersten Augenblick an, als ihr Mann ihn ins Haus brachte, empfand sie einen starken Widerwillen gegen ihn. Sein Benehmen war korrekt geblieben. Aber sie wurde bei seinem Anblick eine heimliche Furcht nicht los. Das wurde auch nicht anders, als Northcliff eines Tages ihren Hans von einem Ausflug ins Haus brachte, bei dem der Junge beinahe zu Tode gekommen war.

    »Hier bringe ich Ihren Liebling, Frau Petersen. Wenn ich nicht dazu gekommen wäre, hätte ihn ein Krokodil gefaßt.«

    Oh, sie erinnerte sich jenes erschütternden Augenblicks noch sehr gut. Und in überquellender Dankbarkeit hatte sie damals die Hand Northcliffs gedrückt. Doch trotz der dankbaren Gefühle, die sie für den Lebensretter ihres Knaben hegen sollte, konnte sie für den Mann mit den kalten, kühl berechnenden Zügen keine Sympathie gewinnen.

    Ganz anders war es bei Hans. Er sah in dem fremden Manne, der ihm das Leben gerettet hatte, den Inbegriff aller männlichen Tugenden. Er verehrte in ihm den kühnen Jäger, den sicheren Schützen, seine Kraft, Energie und Ausdauer, die er bei seinen Jagden bekundete.

    Als Northcliff durch das nahe Unwetter nun plötzlich auf der Veranda erschienen war, und als Hans sich von dem ersten Schreck, den er gleich seiner Mutter empfand, erholt hatte, begrüßte er ihn zutraulich und freundschaftlich, wie bisher. Auch seiner Mutter blieb nichts anderes übrig, als dem Engländer gastfreundlich zu begegnen.

    Doch zu langen Auseinandersetzungen blieb ihr keine Zeit. Das Unwetter war mit aller Macht losgebrochen. Der Himmel hatte sich völlig verfinstert. Auf die pfeifenden, sausenden, kurzen Windstöße folgten jetzt grelle Blitze. Schwer und wuchtig rollte der Donner, und mit elementarer Gewalt öffnete der Himmel seine Schleusen. Die Regenmassen fielen so wuchtig, so massig, daß bald alles, so weit das Auge reichte, unter Wasser stand. Und nun fegte ein furchtbarer Sturm alles vor sich her.

    »Ein Tornado!« sprach Mister Northcliff tonlos.

    In das unheimliche Sausen des Sturmes brüllte der Donner, leuchteten die Blitze. Und immer gewaltigere Wassermassen stürzte der Himmel herab.

    In dem Aufruhr der Natur war es Frau Petersen, als ob sie einen furchtbaren Schrei vernähme. Ganz in ihrer Nähe mußte es sein. Sie entschuldigte sich bei dem Gast und lief durch die zu ebener Erde gelegenen Räume nach der Hofseite hinüber.

    Sie hatte sich nicht getäuscht. Sie sah ein paar Neger, die zu ihrer Dienerschaft zählten, wie sie trotz Sturm und Wolkenbruch über den weiten Hof liefen, durch dessen offenstehende Tür sie verschwanden.

    Erstaunt sah sie dem Treiben zu.

    Sie brauchte nicht lange zu warten. Die Schwarzen kamen bald zurück. Sie brachten Amba, der vom Sturm durch die Luft geführt und draußen, zehn Meter hinter dem Hause, wieder zur Erde gekommen war. Er war ohne Besinnung. Man wußte noch nicht, ob er sich Arm oder Bein gebrochen hatte.

    Länger als eine Stunde hielt dieser mächtige Regen an. Dann wurde der Himmel wieder heller, und so plötzlich, wie das Unwetter aufgetreten war, war es wieder verschwunden.

    »So, meine verehrte Frau Petersen, nun will ich mich empfehlen. Ihr Mann wird vom Unwetter irgendwo festgehalten sein. Auf seine Rückkehr werde ich heut doch nicht warten können. Der Lukundje soll mich rasch nach Hause tragen. Mein Kanoe wird hoffentlich der Sturm nicht fortgetragen haben.«

    Er trat von der Veranda in den Garten und ließ einen lauten Pfiff ertönen, auf den hin ein schwarzer Boy auf dem Hofe erschien, wo er sich bei den anderen seiner Stammesgenossen aufgehalten hatte.

    Mister Northcliff verabschiedete sich von Frau Marie-Luise und Hans. Dann sah man, wie die beiden Männer durch das Wasser wateten, um bald ihren Blicken zu entschwinden.

    Kaum eine Stunde später, – die Nacht war schon hereingebrochen, und am Himmel glänzten wieder die blanken Sterne – langte Petersen auf seiner Besitzung an.

    »Gottlob, Eberhard, daß du da bist!« begrüßte ihn seine Frau. »Ich hatte mich schon so um dich geängstigt.«

    »Du bist und bleibst ein Närrchen mit deiner Angst. Was soll mir denn passieren? Ich habe eine Menge Elfenbein zu billigem Preise gekauft. Ich denke damit ein gutes Geschäft zu machen. Da traf mich das Unwetter, unweit von Vasunga. Ich blieb nun da, bis es vorüber war. Dann machten wir uns auf den Weg.«

    Frau Marie-Luise umarmte ihren Gatten wieder und immer wieder. Sie freute sich über alle Maßen, daß ihr Lebensgefährte dem schweren Wetter entgangen und

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