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3 Tickets um die Welt: Eine Familie, ein Schuljahr, eine mutige Entscheidung
3 Tickets um die Welt: Eine Familie, ein Schuljahr, eine mutige Entscheidung
3 Tickets um die Welt: Eine Familie, ein Schuljahr, eine mutige Entscheidung
eBook339 Seiten4 Stunden

3 Tickets um die Welt: Eine Familie, ein Schuljahr, eine mutige Entscheidung

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Über dieses E-Book

Im Grunde genommen war es ganz und gar nicht möglich. Ein Jahr lang reisen? Ein Jahr nicht am Arbeitsplatz sein. Wer kümmert sich um die Firma? Angenehm und sicher reisen kostet. Wie bringen wir das Budget dafür auf? Eine angeschlagene Gesundheit und ein schulpflichtiges Kind. Wie können wir eine Weltreise vernünftig und logisch planen? Solche Überlegungen entmutigen. Und doch hat uns die Idee einfach nicht losgelassen. Eine Weltreise. Ein Jahr lang. Wir drei gemeinsam.
SpracheDeutsch
HerausgeberA S B
Erscheinungsdatum24. Feb. 2022
ISBN9783985101504
3 Tickets um die Welt: Eine Familie, ein Schuljahr, eine mutige Entscheidung

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    Buchvorschau

    3 Tickets um die Welt - Petra Babinsky

    VORBEREITUNG UND PLANUNG

    „Ich bin dankbar für die Begeisterung, die mir gegeben wurde – nur so waren die Widerstände zu überwinden."

    Horst Babinsky

    Geht nicht – gibt’s nicht!

    Januar bis August

    Im Grunde genommen war es ganz und gar nicht möglich. Ein Jahr lang reisen? Ein Jahr nicht am Arbeitsplatz sein. Wer kümmert sich um unsere Firma? Angenehm und sicher reisen kostet. Wie bringen wir das Budget dafür auf? Eine angeschlagene Gesundheit und ein schulpflichtiges Kind. Wie können wir eine Weltreise vernünftig und logisch planen? Solche Überlegungen entmutigen. Und doch hat uns die Idee einfach nicht losgelassen. Eine Weltreise. Ein Jahr lang. Wir drei gemeinsam.

    Wir lieben es, am Abend gemütlich beisammen zu sitzen, den Tag Revue passieren zu lassen, zu philosophieren. Die Weltreiseidee stand ganz oben auf unserer Themenliste. Sie verfolgte uns bis in unsere Träume. Mein Mann ist der festen Überzeugung, dass wir das anziehen, womit wir uns beschäftigen. Beschäftigen wir uns gedanklich damit, was wir nicht haben oder nicht können, dann werden wir es auch nicht haben können und auch nicht erreichen. Träumen ist ein erster Schritt. Doch Träumen allein reicht nicht aus, um seine Ziele zu erreichen. Immer mehr hat uns die Weltreiseidee in ihren Bann gezogen. Wir haben von Ländern geträumt und uns die wundervollen Orte, die wir mit eigenen Augen sehen wollten, vorgestellt. Gleichzeitig haben wir nach Möglichkeiten gesucht, wie es gehen kann. Wir sind vom Träumen ins Tun gekommen. Und so kam es, dass wir trotz vieler „Geht-nicht"-Einwände fast ein Jahr gereist sind.

    Nun aber der Reihe nach. Ich erinnere mich genau an den Sonn­tagnachmittag im Januar. Die Weihnachtsferien waren gerade vorbei. Draußen pfiff ein eisiger Wind, der die weißen Schneeflocken hin- und herwirbeln ließ. Wir drei saßen bei einer Tasse Tee vor dem offenen Kaminfeuer in unserem Wohnzimmer. „Was würdest du dazu sagen, einmal ein ganzes Jahr auf eine große, große Reise zu gehen? Ohne Unterbrechung. Ein Land nach dem anderen anschauen. Und erst nach 12 Monaten wieder heimkommen?", fragte Horst unsere Tochter Mona.

    „Boah, toll! Keine Schule und jeden Tag ausschlafen!, antwortete Mona. „Du würdest aber auch ein Jahr lang deine Schulfreunde nicht sehen, gab ich zu bedenken. „Aber es gibt doch ein Telefon und E-Mail!", meinte Mona.

    Horst spann den Faden weiter und wollte von Mona wissen, wo sie denn gerne hinreisen wolle.

    „Mexiko, Thailand, Neuseeland", kam es wie aus der Pistole ge­schossen. Mona gefiel dieses Spiel. Sie schleppte die große Weltkarte an, die sie von uns zu Weihnachten bekommen hatte – zugegeben nicht gänz­lich ohne Hintergedanken. Eine auf Holz aufgezogene Plakatrolle. Länder und Kontinente können freigerubbelt werden und sind dann golden. Wir rubbelten nicht, sondern steckten bei einem Glas Champagner die ersten Zielfähnchen in die Landkarte und legten grob fest, wo wir wie lange bleiben wollten. Kanada, USA, Neuseeland waren dabei. Auf alle Fälle die Südsee, Bali, Thailand.

    Geht-nicht-Einwand Gesundheit: Mein Mann hatte im Herbst eine Operation an der Wirbelsäule. Zehn Wochen ein Korsett und die Aussicht auf eine komplett schmerzfreie Bewegung düster. Seine Vorstellung vom Reisen hingegen war heiter. Sobald er das Stützkorsett ablegen durfte, begann er seine Rückenmuskulatur zu trainieren. Täglich und konsequent. Immer denkend ‚Geht nicht, gibt’s nicht‘.

    Praktischerweise gibt es jedes Jahr im Februar die Reisemesse f.re.e. in München. Dort ließen wir uns beraten und knüpften die ersten Kontakte mit Reiseagenturen. Von einigen Reiseagenten hörten wir: „Was, in einem halben Jahr wollt ihr los? Da seid ihr mit den Buchungen zu spät dran." Ja, aber: ‚Geht nicht, gibt’s nicht‘. Und so blieb Horst hartnäckig am Ball und bekam das, was wir wollten. Die Grobplanung stand Ende März. Aus dem Spiel war Realität geworden.

    Anfangen wollten wir im Westen: Indian Summer in Kanada, Monu­ment Valley und Las Vegas. Dann Südamerika und entgegen der Erddrehung nach Neuseeland, Südsee, Indonesien, Thailand, eventuell Vietnam. Monas Favoritenländer sind Mexiko und Peru. Ab Februar lief die CD „Was ist was" über Maya, Inka und Azteken heiß.

    Vorerst hielten wir unser Vorhaben bedeckt. Erst Ende April weih­ten wir die Familie ein, unsere beiden Söhne, meine Eltern. Unser Sohn Christof war sehr daran interessiert, seinen Job in England aufzugeben, in unsere Firma einzusteigen und diese vorübergehend zu leiten. Dank Internet, Telefon und Computer für Horst gut vorstellbar. ‚Geht nicht, gibt’s nicht‘.

    Packen und Reisevorbereitungen wie Impfungen, Medikamente etc. fielen in meinen Aufgabenbereich. Das bereitete mir durchaus Kopfzerbrechen. Was soll mit? Welche Kleidung brauchen wir? Und wie viel davon überhaupt? Wo wasche ich die Wäsche? Welche Medikamente kommen mit, welche Impfungen brauchen wir unbedingt? Richtig heftige Kopfschmerzen bereitete mir die Schule.

    Geht-nicht-Einwand Schulpflicht: Mona ist acht Jahre und geht in die dritte Klasse Grundschule. Anfang der zweiten Klasse haben wir unsere Tochter wegen eines dreiwöchigen geschäftlichen Aufent­haltes in Indien von der Anwesenheit in der Grundschule befreien können. Das Lehrmaterial hatte ich im Gepäck und mit Mona täglich erarbei­tet. Problemlos. Zumal ich bis zu Monas Geburt selbst an einer Grundschule unterrichtet hatte. Doch ein ganzes Jahr? Könn­te ich und durfte ich sie selbst unterrichten? Oder gibt es eine Art Online-Unterricht? Wir haben mit Monas Klassenlehrerin und der Rektorin der Schule gesprochen. Beide waren aufgeschlossen. Die Rektorin meinte sogar, für Mona und ihre Entwicklung wäre das sicher nicht verkehrt. Nur das Rechtliche musste geklärt werden. Da gab es zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins: Die Schulbehörde findet unser Vorhaben so umwerfend und befreit sie von der Schulpflicht. Die weitaus realistischere Möglichkeit ist jedoch die zweite: Wir melden unseren Wohnsitz in Deutschland ab und melden uns wahlweise in einem Land an, in dem die Schulpflicht eine Bildungspflicht ist. Zum Beispiel Kanada.

    Unter Einbeziehung der Schulleitung und des Schulamtes entschieden wir uns für Möglichkeit zwei. Mona beendete im Juli die 3. Jahrgangsstufe und sollte nach einem Jahr in der 4. Klasse weitermachen. Ich deckte mich mit Lehrstoff für die 4. Jahrgangsstufe in den Fächern Mathe und Deutsch ein. Um am Ball zu bleiben und auch sicherheitshalber. Sicherheitshalber, weil: Was ist, wenn wir unsere Reise aus irgendeinem Grund schon früher beenden müssten? Dann muss Mona in ihre alte Klasse.

    Geht-nicht-Einwand Budget: Das Türchen zur Finanzierung unserer Reise öffnete uns eine Lebensversicherung, die vorzeitig ausbezahlt werden konnte.

    Und so vergingen die Monate Mai bis Juli. Flüge wurden gebucht, Zimmer reserviert, Reisebegleiter organisiert, Wohnmobile gemietet, versicherungstechnisch alles abgeklärt und die Geschäftsführung der Firma vorübergehend an unseren Sohn übertragen. Die letzten Wochen ließen uns nicht viel Luft zum Durchatmen. Und da ist noch unser Haus. Unser Zuhause. Sollen wir es in der Zwischenzeit vermie­ten? Aber was tun, wenn wir doch früher als geplant zurückkommen? Nach vielen Abwägungen entschieden wir uns gegen eine Vermietung. Der Abflugtermin rückte immer näher. Mona genoss die Sommerferien mit ihren Freundinnen am Badesee und am 11. September meldeten wir uns beim Einwohnermeldeamt unserer Heimatgemeinde ab.

    Nordamerika

    „Gehe aufrecht wie die Bäume. Lebe dein Leben so stark wie die Berge. Sei sanft wie der Frühlingswind. Bewahre die Wärme der Sonne im Herzen und der Große Geist wird immer mit dir sein."

    Sprichwort der Navajo

    Abflug LH 6790 nach Toronto

    12. September

    Ein ganzes Jahr unterwegs sein? Richtig bewusst wird mir diese Zeitspanne erst am Flughafen. Meine Eltern haben uns nach München gebracht. Ein kleiner Stau auf der Autobahn. Mein Papa nimmt die Schleichwege durchs Erdinger Moos. Es dauert länger. Trotzdem geben wir die drei großen roten Koffer pünktlich auf und checken ein. Habe ich alles dabei? War das schwarze Kleid noch nötig? Der rote Pulli und die hohen Schuhe? Habe ich an alles gedacht? Solche Gedanken schießen durch mein Hirn, während wir eine letzte Tasse Kaffee mit meinen Eltern trinken. Mona ist sehr aufgeregt und ich bin es auch. Ich schwitze, obwohl ich nur eine dünne Bluse anhabe, die Jacke im Handgepäck. Horst ist vollkommen ruhig. Auf dem Weg zur Sicherheitskontrolle wird mir etwas schlecht. Die Verabschiedung. Mona drückt sich in Omas Arm und hält Opas Hand ganz fest. „Oma, ich bringe dir die schönsten Muscheln mit! Und da ist es so weit: Ich fange an zu schluchzen. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Meine Mama nimmt mich in den Arm. Sanft streicht sie mir über die Wange: „Alles gut. Wir sehen uns in einem Jahr wieder. Passt gut auf euch auf. Und ich habe damit gerechnet, dass die beiden in Tränen ausbrechen. Mein Papa drückt mich und dann den Horst. Oma steckt Mona noch ein klitzekleines Glücksschwein aus Plüsch zu. Wir legen unser Handgepäck auf das Band. Auch die Gürtel und Schuhe müssen durch den Scanner. Ein letzter Blick zurück. Ich wische meine Tränen aus dem Gesicht und fädle den Gürtel wieder durch die Schlaufen meiner Hose. Vor der Passkontrolle drehe ich mich um. Meine Eltern sind nicht mehr da. Jetzt geht es wirklich los. Mit jedem Schritt zum Flugsteig fällt meine Anspannung ab. Horst hat alles im Griff. Alle Reiseunterlagen liegen geordnet in seinem kleinen schwarzen Rollkoffer.

    LH 6790 nach Toronto. Wir steigen ein. Flugzeit: 8 Stunden, 50 Minuten. 6 Stunden Zeitverschiebung. Wie wird sie wohl werden, unsere Reise? Monatelang aus dem Koffer leben? Werde ich ganz alltägliche Dinge sehr vermissen? Freunde, Arbeit, Haushalt? Wo werde ich die Wäsche waschen? Wird unserer Tochter die Schule fehlen? Wird sie ihre Freunde vermissen? Ihr Schwimmtraining, Klavierspielen und Ballett? Oma, Opa, Tante und ihre Brüder? Wie wird es Horst ohne seine Firma gehen? Werden wir Heimweh haben? Unser Traum, ganz viel Zeit miteinander zu haben – wird er sich so erfüllen, wie wir uns das vorgestellt haben? Kommentare von Freunden und Bekannten wie „Unmöglich! Spannend! Ganz schön mutig! Eine einmalige Sache! Das könnte ich mir nicht leisten …, spuken mir gerade im Kopf herum. Vielen „Geht-nicht-Einwänden haben wir getrotzt. Das Ziel Weltreise hatten wir fest im Fokus, visualisiert und fast schon gespürt. Wir haben uns selbst nicht begrenzt. Wir haben uns getraut. Horst und Mona sitzen am Fenster, ich in der Mittelreihe. Mona packt die Kopfhörer aus und erkundet das Unterhaltungsprogramm an Bord. Horst zwinkert mir zu. Ich entspanne mich und denke daran, was meine Yogalehrerin in der Entspannungsphase häufig sagt: „Erlaube dir, komplett loszulassen".

    Entschleunigen mit Anlaufschwierigkeiten: Von Toronto nach Edmonton

    13.–18. September

    Am späten Nachmittag checken wir im Royal York Hotel im Herzen von Toronto ein. Wir werden hier eine Nacht bleiben, die Koffer ganz auszupacken macht nicht wirklich Sinn. Die Sonne scheint, die Temperaturen draußen sind angenehm und ein leichter Wind streift an den Fassaden der Häuser entlang. Es treibt uns in die Stadt. Toronto empfängt uns laut und geschäftig. An vielen Plätzen und Straßen im Stadtzentrum sind Attraktionen aufgebaut, denn genau an diesem Wochenende findet das 37. Toronto International Filmfestival, kurz TIFF statt. Jetzt verstehen wir auch, warum Kameraleute und Reporter auf unserem Stockwerk im Hotel waren. Alljährlich treffen sich im September Fernsehstars, Produzenten und Medienleute aus aller Welt. Rote Teppiche, lange Schlangen von Menschen vor den Gebäuden und jede Menge Buden und Verkaufsstände.

    Weil wir noch keinen rechten Plan für heute Abend haben, beenden wir diesen Tag in der Bar des Hotels. Eine Kleinigkeit essen, ein Glas Weißwein für uns und für Mona ein Tonic Water. Viel mehr ist gar nicht nötig, um müde ins Bett zu fallen.

    Am nächsten Tag bringt uns einer der sechs Aufzüge des CN Towers bis unter seine Spitze. Mit einer Geschwindigkeit von 22 km/h geht es in nur 58 Sekunden hinauf auf 346 Meter. Wir genießen den Ausblick auf die smarte Skyline der Stadt und den Ontario See. Eine kleine Erfrischung im 360 Grad Restaurant. Mona schreibt ihren ersten Eintrag in das kleine Tagebuch, das sie sich im CN-Souvenirshop zuvor gekauft hat. Im CN Tower gibt es eine etwa 25 Quadratmeter große Glasbodenfläche, durch die man direkt nach untern sehen kann. Mona traut sich an den Rand der Glasplatte heran und betrachtet sie so, wie die anderen Touristen auch: sehr skeptisch. Fünf chinesische Mädchen stehen vor uns und haben große Hemmungen, auch nur einen Fuß auf die Glasplatte zu setzen. Es bleibt beim Versuch, diese mit der Schuhspitze anzutippen. Mona nimmt all ihren Mut zusammen und springt mit Wucht auf das Glas. Die Mädchen aus Peking kreischen und gestikulieren wild. Mona ist ihre Heldin. Das wollen sie unbedingt festhalten und drücken Horst eine Kamera in die Hand. Jetzt trauen auch sie sich auf die Glasfläche, nehmen Mona in die Mitte und lächeln so in die Kamera, wie es Chinesen eben tun.

    Unserem Hotel gegenüber steht der wuchtige Bahnhof. Da müssen wir hin. Der Hotel-Portier hilft uns mit dem Gepäck über die stark befahrene Hauptstraße.

    Es ist der 14. September und wir steigen ein in den „Canadian". Der berühmte Zug ist ewig lang, hat drei Glaskuppelwaggons und fährt in fünf Tagen von Toronto nach Vancouver. Nach drei Tagen werden wir in Edmonton aussteigen. Wir beziehen eines der geräumigsten Abteile. Der Schaffner klappt unsere Betten auf und richtet sie für die Nacht. Mona reibt sich vor Müdigkeit die Augen. Der Zug setzt sich in Bewegung, es ruckelt und zuckelt. Auch Horst und mir fallen die Augen zu.

    Der erste Tag zieht fast noch schneller an uns vorüber als die Landschaft selbst. Wir lesen, schauen aus dem Fenster, plaudern und essen. Der Tagesrhythmus ist getaktet: Frühstück um 6.30 Uhr, Mittagessen um 11 Uhr und Abendessen um 17 Uhr. Das Essen wird in zwei Schichten im Speisewagen serviert. Die Gerichte und der Service gefallen uns sehr gut. Mona macht uns Sorge. Sie ist still, blass und hat Bauchweh. Muss ich mir ernsthafte Sorgen machen? Ich lasse den ein oder anderen Gedanken von der Leine. Zu viel? Zu weit? Heimweh schon jetzt?

    Heute ist der 15. September. Über der Prärie geht gerade die Sonne auf. Der Schaffner verkündet über das Mikrophon des Bordcomputers: „Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen. In wenigen Minuten halten wir in Winnipeg!" Durch die Panoramascheibe sehen wir einen großen Fluss, den Assiniboine River. Darüber spannt sich eine Stahlbrücke. Und schon kommt der Zug in einem bildschönen Bahnhof zum Stehen. Wir haben zwei Stunden Aufenthalt in Winnipeg und nutzen die Zeit für einen Spaziergang. Kurz nach 8 Uhr ist die Luft noch etwas kühl. Wir sehen den zweiten Fluss, der sich durch Winnipeg schlängelt, den Red River, und viele gläserne Bürogebäude. Einige Menschen sind schon in den Stadtparks, den Forks, unterwegs. Wir lesen in unserem Reiseführer, dass bis vor etwa 30 Jahren die Canadian National Railway hier Lagerhäuser und Werkshallen besaß. Diese sind mittlerweile abgerissen oder umgebaut. Das Gelände mit Theatern, Galerien, Museen, Konzertbühnen und einer Markthalle ist ideal für Freizeit und Erholung. Schon so zeitig drehen einige Skater mit schräg auf dem Kopf sitzenden Kappen ihre Runden im Park. Mona fühlt sich schlapp. Sie hat Fieber. Der Schaffner richtet Monas Bett wieder her. Obwohl sich Mona im Schlaf zu erholen scheint, klettert das Fieber am späten Nachmittag auf 40 Grad. Ohren- und Kopfschmerzen kommen hinzu. Mir gefällt das gar nicht. Horst beruhigt Mona und auch mich. Was wird sie denn ausbrüten? Die Ohrentropfen und der Fiebersaft aus meinem Medizinbeutel helfen. Das Abendessen wird in unserem Abteil serviert. Die Zugbegleiter sind unglaublich aufmerksam und erfüllen Monas Wunsch nach Tee und Toast.

    Die Nacht im Zug ist recht unruhig. Das obere Bett, in dem ich schlafe, quietscht, wenn der Zug ruckelt. Ich versuche, zu entspannen – mich gedanklich und meine Muskeln progressiv. Funktioniert heute nicht besonders gut. Linke Seite, rechte Seite, Rücken. Die Stunden schleichen dahin. Ich schaue auf meinen kleinen Reisewecker. Es ist erst 23.54 Uhr. 1.02 Uhr. Plötzlich ein abrupter Stopp – der Zug steht. Auf dem Bahnsteig hört Horst Stimmen. Polizei. Wir rappeln uns auf und spähen durch das Fenster, können nichts erkennen. Es dauert nicht lange, dann hören wir, wie die Türe unseres Waggons geöffnet wird. Wir öffnen die Abteiltüre einen kleinen Spalt weit. Drei Cops steigen ein, bleiben im Gang neben unserem Abteil stehen. Sie sehen tatsächlich so aus, wie wir sie aus den amerikanischen Fernsehserien und Filmen kennen. Ich fange ein bisschen zu schwitzen an. „Suchen die uns? Wegen der Schulpflicht? „Unsinn, beruhige dich, Petra, flüstert Horst. Mir ist trotzdem nicht ganz wohl. Im Nebenabteil gibt es ein kurzes Wortgefecht – dann Ruhe. Wir schließen unsere Türe lieber wieder. Schritte auf dem Gang, vorbei an unserem Abteil – Gott sei Dank. Mona schläft tief. Ich atme aus. Neugierig schleiche ich zurück zum Fenster. Die Polizei führt gerade einen kräftigen Mann mit Bart in Handschellen ab. Es ist dreiviertel zwei. Horst und ich schlüpfen wieder in unsere Betten. Träge schieben die beiden Loks die vielen Waggons an. Endlich ist Ruhe.

    6.30 Uhr. Sonntagmorgen. Der Zug fährt in den Bahnhof von Edmonton ein. Unser Gepäck wird zügig ausgeladen. Vor dem Bahnhof warten die Taxen. Unser Taxifahrer ist sehr freundlich. Rührend sorgt er sich um unser krankes Kind. Am ersten Drugstore hält er an und kommt mit seinem Favoriten zurück, kanadisches Nurofen mit Erdbeergeschmack. Als dreifacher Vater schwört er auf diesen Zaubersaft. Er habe damit nur die besten Erfahrungen gemacht. Die Straßen sind noch nicht sehr stark befahren. Durch das Halbdunkel lasse ich meine Blicke aus dem Taxifenster schweifen. Im Gegensatz zu Toronto sind die Gebäude nicht hoch, die Stadt kommt mir recht übersichtlich vor. Nach einer Viertelstunde erreichen wir unser Ziel, das Fantasyland Hotel in der West Edmonton Mall.

    Natürlich können wir um diese Uhrzeit unser Zimmer noch nicht beziehen. Also beginnen wir den Tag mit einem kräftigen Frühstück im Restaurant L2: Kaffee für uns, Rührei mit Speck, Toastbrot und Orangensaft. Mona bekommt einen Kamillentee. Es scheint ihr besser zu gehen. Sollte kanadisches Ibuprofen im eigenen Land wirksamer sein als europäisches?

    Horst war vor 20 Jahren schon einmal in dieser Stadt. Zu einer Zeit, in der es in Europa noch keine Rieseneinkaufszentren gab. In der West Edmonton Mall findet man neben 800 Geschäften und 100 Restaurants ein riesiges Schiff, den Nachbau der Santa Maria. Es steht in der Mitte dieser gigantischen Einkaufswelt. Dazu gibt es ein Galaxyland mit Fahrgeschäften, eine Eishalle und einen Aqua Park mit Rutschen, Wellenbecken und Strandoptik. Langsam füllt sich das Einkaufsparadies mit Besuchern. Auch an einem Sonntag. Gegen 11 Uhr beziehen wir vorübergehend ein einfaches Ersatzzimmer, damit Mona schlafen kann. Bald wird das gebuchte Zimmer bereitstehen. Im Fantasyland Hotel sind die Zimmer themenbezogen eingerichtet. Es gibt Afrikazimmer, Hollywoodzimmer, Zimmer mit Iglus und Eishöhlen um die Betten, Zimmer mit Betten, die aussehen wie Trucks und Cadillacs. Ein absoluter Traum – nicht nur für die Kinder dieser Welt. Mona blättert im Prospekt und befürwortet das Fantasiezimmer. Während sie sich im Schlaf erholt, reflektieren wir die ersten Tage unserer Reise. In Toronto war der Aufenthalt definitiv zu kurz. Die Bahnfahrt. Der Canadian ist schwer in die Jahre gekommen. Wir hatten uns das Abteil hübscher vorgestellt. Aber nächstes Jahr soll der gesamte Zug renoviert werden. Von Kingsize-Betten in den Luxusabteilen und eigenen Duschkabinen hat der Zugbegleiter erzählt. Die Stimmen aus den alten Lautsprechern im Abteil hallen extrem und erschreckten uns immer wieder. Zumal die Durchsagen gleich zweimal kommen: auf Englisch und natürlich auf Französisch. 90 Prozent der Reisenden sind über 60. Die Küche ist abwechslungsreich und richtig gut. Das Personal freundlich und sehr aufmerksam. Geeignet zum Entschleunigen.

    Mona hat über drei Stunden geschlafen. Sie erwacht fieberfrei und will unbedingt die Mall sehen. Wir studieren den Lageplan und machen uns auf den Weg zum Seelöwenfelsen. Vier Seelöwen unterhalten die Zuschauer. Das ist für Mona nicht anstrengend und sie lacht wieder. Etwas später steht sie traurig vor einer riesigen Glaswand und drückt die Hände dagegen. Dahinter ist das überdimensional große Schwimmparadies. Ein Wellenbecken, künstliche oder echte Palmen, aufgeschütteter Sand und Liegestühle – wie in der Karibik. Unser Versprechen, dort zu baden und zu plantschen, können wir nicht halten. Nicht nur Mona hatte sich darauf gefreut.

    Heute wachen wir im Fantasiezimmer auf. 10. Stock. Blick auf Edmonton. Unser Bett ist ein Schiff mit Gallionsfigur über dem Kopfende. In einer Zimmerecke sitzt ein Plüschpapagei auf einer Stange. Mona reibt sich verschlafen die Augen und schaut von ihrem Hochbett herunter. Sie lächelt. Es geht bergauf. Mitten im Zimmer steht ein Jacuzzi in einer künstlichen Felsenlandschaft. Mona gefällt er auch ohne Wasser. Wir frühstücken. Anschließend bummeln Mona und ich ein Stündchen durch die Mall, Horst bleibt im Hotel und arbeitet. Am frühen Nachmittag nehmen wir ein Taxi zur City Hall. Von dort aus überqueren wir den Sir Winston Churchill Square, gehen vorbei am Citadel Theatre, schauen uns vom Kongresszentrum aus die Glaspyramiden des Muttart Conservatory am Saskatchewan River an, kommen zum Fairmont Hotel Macdonald und laufen ohne Plan die Jasper Avenue entlang. Einen Eindruck von der Stadt haben wir gewonnen. Mehr wollen wir gar nicht. Wir freuen uns auf morgen. Auf den Jasper National Park. Edmonton wird das „Tor zum Norden oder „Tor zu den Rockys genannt. Durch dieses Tor werden wir morgen fahren. Auf den Spuren der Pelzhändler, der Goldsucher und der Tauschgeschäftler.

    Atemberaubende Natur im Jasper National Park

    19.–22. September

    Pünktlich steht der Leihwagen bereit. Wir verstauen die drei großen roten Reisekoffer. Gestern habe ich noch einmal umgepackt, sodass in nur einem Koffer die Dinge sind, die wir in der kommenden Woche brauchen werden. Die Wetteraussichten sind gut. Zwei Koffer können dann im Kofferraum des Autos verbleiben. Die Fahrt nach Jasper ist mit vier Stunden in unserer Reisebeschreibung angegeben. Die erste Etappe von Edmonton nach Edson ist so, wie wir Kanada bisher vom Panoramafenster des Zuges kennen: kleine Seen, Tümpel, Wälder, Wiesen, viel und flaches Land.

    Nach 200 Kilometern erreichen wir die Kleinstadt Edson. Dort kaufe ich Getränke in einem Liquor Store. Ich zahle mit der Kreditkarte, packe die Flaschen ein und verlasse das Geschäft. Horst müht sich mit dem Navigationsgerät ab. Es dauert eine ganze Weile, bis wir weiterfahren können. Und dann fällt Mona ein, dass sie auch noch für kleine Mädchen muss. Ich bin etwas ungehalten: „Das hätte dir doch auch schon im Laden einfallen können! „Es pressiert doch nicht, meint Horst. Manchmal ist es so, dass auch scheinbar unnötige Verzögerungen ihren Vorteil haben. Denn als wir gerade fahrbereit sind, klopft es an die Autoscheibe. Ich drehe mich um. Der Verkäufer aus dem Liquor Store. Was will der denn jetzt noch? Oh! In seiner Hand hält er eine Plastikkarte und wedelt vor meiner Fensterscheibe herum. Sieht ganz nach meiner Kreditkarte aus. Puh, ich lasse die Fensterscheibe herunter, nehme sie erleichtert entgegen und bedanke mich vielmals. Es wäre auch nicht das erste Mal gewesen, dass ich eine Kreditkarte im Gerät habe stecken lassen … Mona schaut mich mit großen Augen an: „Gut, dass ich noch aufs Klo musste, gell Mama?" Ja. Sonst hätte es sich erst einmal ausentschleunigt.

    Ab Edson ändert sich das Landschaftsbild schlagartig. Aus der geraden Fahrbahn werden Kurven und es geht bergauf. Die Landschaft wird abwechslungsreicher, das Bergmassiv der Rockys tut sich vor uns auf. Bei der Einfahrt in den Jasper National Park können wir nur noch staunen. Das sind vielleicht Berge! Mona entdeckt drei große Müllbehälter mit schweren Klappen und Stangenverschluss. Das ist wegen der Bären. Sie sollen davon abgehalten werden, die Abfälle der Parkbesucher zu durchwühlen. Jasper, Banff, Yoho und Kootenay sind vier zusammenhängende Nationalparks. Der Jasper National Park ist der nördlichste und größte davon. Vor über 200 Jahren wurde das Gebiet zum Schutzgebiet und etwas später zum Nationalpark erklärt. Das Bergstädtchen Jasper liegt an einem historischen Handelspfad. Indianer und Pelzhändler waren hier unterwegs durch die Rocky Mountains, zwischen Edmonton und Prince George. Damals war das am Westufer des Athabasca River gelegene Jasper eine kleine Siedlung. Man nannte sie Fitzhugh.

    Die Lodge, in der wir die nächsten Tage verbringen, ist die Jasper Park Lodge. Schon relativ groß, trotzdem idyllisch und stilvoll. Sie liegt am Beauvert Lake. Ein kleiner See. Die Jasper Park Lodge gehört zur Fairmont-Hotel-Gruppe. Die Rezeptionistin ist sehr freundlich. Horst hat ein kleines Chalet direkt am Westufer des Sees für uns gebucht. Mit dem Auto können wir auf einen Parkplatz hinter unserer Hütte fahren. Wir schaffen also nur den einen Koffer und das Handgepäck ins Chalet und genießen die Nachmittagssonne auf der Veranda. Es ist ein traumhaft schöner Tag, die Sonne scheint, der Himmel ist hellblau. Die Bergkulisse im Hintergrund macht den Anblick fast schon unglaubwürdig. Horst zeigt Mona den Whistler Mountain. „Der Name kommt übrigens vom Pfeifen der Murmeltiere, das du vor allem am Morgen und bei Sonnenuntergang hören kannst", erklärt er. Die nette Dame an der Rezeption hat gesagt: „Sie kommen gerade zum richtigen Zeitpunkt. Vor zwei Wochen war es schon richtig kalt und hat geschneit. Die Wetterprognosen für die nächsten Tage sind sehr gut. Bis zu 25 Grad, das ist ungewöhnlich für Mitte September. Nachts

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