Neurofinancial Engineering: Eine interdisziplinäre Betrachtung neuronal bedingter Effekte im Investmentprozess und möglicher Korrektive bei der Prozessgestaltung
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Buchvorschau
Neurofinancial Engineering - Patrick Allstadt
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Typische Ebenen der Asset Allocation (Auswahl)
Abbildung 2: Basiselemente eines Entscheidungsmodells nach Laux
Abbildung 3: Kapitalallokationsprozess (funktionale Gliederung)
Abbildung 4: Integrierter Ansatz der drei Disziplinen
Abbildung 5: Einfaches Reiz-Reaktionsmodell
Abbildung 6: Vereinfachter Aufbau des Gehirns (Querschnitt)
Abbildung 7: Schematischer Ablauf des Neurofinancial Engineerings
Abbildung 8: Kategorisierungslogik der neuronalen Effekte
Abbildung 9: Beispielhafte Einflussfaktoren der Risikowahrnehmung
Abbildung 10: Zusammenhang zwischen Stimulus und Belohnung
Abbildung 11: Exponentielles und hyperbolisches Diskontieren
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Zusammengefasster Investmentprozess aus Anlegersicht
Tabelle 2: Wichtige Messverfahren der Neurowissenschaften
Tabelle 3: Übersicht ausgewählter neuronaler Effekte
Tabelle 4: Übersicht der neuronalen Effekte im Investmentprozess
Tabelle 5: Zusammenfassung: Neurofinancial Decision Framework …
Abkürzungsverzeichnis
Kapitel 1 – Einleitung
Ein Aspekt, der unsere moderne Gesellschaft von den Gesellschaften vergangener Jahrhunderte unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie die Zukunft durch die Steuerung von Risiken aktiv beeinflussen möchte und kann, und sie nicht nur passiv hinnehmen muss. ¹
Diese Steuerung der Zukunft findet unter anderem durch die Berücksichtigung und Antizipation von Risiken in Entscheidungssituationen statt, in denen sich Menschen auf ihr Gehirn und damit auf ihre vermeintliche Ratio verlassen. Sie nehmen an, dass ihr Gehirn die Situation neutral wahrnimmt und alle Entscheidungsparameter bewusst und rational verarbeitet und bewertet. Diese Annahme erweist sich jedoch oftmals als nicht korrekt. Vielmehr werden Menschen regelmäßig beispielsweise durch sog. kognitive Verzerrungen systematisch und unbewusst in ihren Entscheidungen beeinflusst.² Neben psychologischen Aspekten können auch physiologische und neuronale Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Mit diesen beschäftigt sich, im Kontext von Finanzentscheidungen, das noch verhältnismäßig junge Forschungsgebiet der Neurofinance, das im Folgenden im Zentrum dieses Werkes stehen wird.
1.1 Motivation und Relevanz
Die oben genannten Auswirkungen eines unbewussten, nicht-rationalen Verhaltens werden in den traditionellen Modellen der Mikroökonomie und speziell der Kapitalmarktforschung typischerweise nicht ausreichend gewürdigt.³ Es wird nach wie vor die Annahme des rein rationalen Marktteilnehmers, des Homo Oeconomicus, getroffen, der alle Optionen objektiv abwägt und stets nutzenmaximierend entscheidet.⁴
Des Weiteren wird klassischerweise von der zusätzlichen Modellannahme ausgegangen, dass die Preisbildung auf den Kapitalmärkten ausschließlich auf rein ökonomischen Einflussfaktoren basiert.⁵ Diese Annahme funktioniert im jeweiligen Modell formal korrekt. In der Realität treten hierbei allerdings immer wieder Abweichungen in Form von Anomalien auf.⁶ Darauf aufbauend entstand eine neue Strömung der interdisziplinären Kapitalmarktforschung, die sog. Behavioral Finance, die diese Abweichungen durch Einbeziehung psychologischer Modelle und Einflussfaktoren zu erklären versucht.⁷
In vielen Modellen der Behavioral Finance liegt der Fokus jedoch auf dem Verhalten, während unser Gehirn oft unzureichend als statische und unbeteiligte Blackbox⁸ dargestellt wird. Seit Beginn der 2000er Jahre wird daher vermehrt in der Disziplin der Neuroökonomie geforscht. Infolgedessen kann die Blackbox geöffnet und das Gehirn in ökonomischen Entscheidungssituationen durch Methoden⁹ der Neurowissenschaften genau gemessen, analysiert und operationalisiert werden. Speziell die auf Finanzentscheidungen fokussierte Neurofinance verbindet dabei Kapitalmarktforschung, Psychologie und Neurowissenschaften, um durch die Identifizierung physiologischer und neuronaler Einflussfaktoren neue Erklärungsansätze für das Entscheidungsverhalten von Menschen zu entdecken.¹⁰
Durch die interdisziplinäre Anwendung dieser Ansätze und Untersuchungsmethoden, kann die Neurofinance somit neue Erkenntnisse bezüglich Entscheidungsprozessen, Verhaltenspräferenzen und Verletzungen rationaler Regeln der Kapitalmarktteilnehmer entwickeln und das Verständnis hierüber fördern. Hierdurch können Forscher nicht nur verstehen, wie sich Kapitalmarktteilnehmer tendenziell in der Realität verhalten (Ansatz der Behavioral Finance), sondern anhand der Interpretation neuronaler und physiologischer Daten auch, warum sie sich so verhalten (Ansatz der Neurofinance).¹¹ Die Neurofinance bietet daher eine hohe Relevanz für aktuelle Forschungen mit interessanten und weitreichenden Erkenntnissen.
1.2 Zielsetzung und Forschungsfrage
Um dabei zu helfen, die oben genannte Blackbox, also das Gehirn, während finanzieller Entscheidungssituationen zu entschlüsseln und detaillierter interpretieren zu können, ist das Ziel des vorliegenden Werkes die Gestaltung eines ganzheitlichen, anwendungsorientierten und neuronal modifizierten Frameworks zur Verbesserung der Entscheidungsfindung im Investmentprozess von Privatanlegern. Der sich aus verschiedenen Disziplinen ergebende, systematische und normative Konstruktionsprozess eines solchen Anlegerprozesses wird erstmals in dieser Publikation vorgeschlagen und als Neurofinancial Engineering bezeichnet.¹²
Der wissenschaftliche und praktische Mehrwert eines solchen Frameworks liegt dabei in der Verknüpfung verschiedener Studien mit Handlungsempfehlungen und der methodischen Zusammenführung zu einem konsistenten Entscheidungsmodell, angelehnt an einen Investmentprozess für Privatanleger.¹³ Dieser Vorschlag stellt somit einen ersten Schritt dar, als handlungsorientierte Schnittstelle zwischen den Disziplinen Portfoliomanagement und Neurofinance zu dienen und ergänzt bzw. erweitert somit die Erkenntnisse der vorliegenden Studien der Neuroökonomie und der Neurofinance, die deskriptiv zumeist einzelne neuronale Mechanismen und Anomalien aufführen.¹⁴ Die aus dieser Zielstellung resultierende primäre Forschungsfrage lautet deshalb: Wie kann ein integrierter, ganzheitlicher und neuronal modifizierter Investmentprozess für Privatanleger aussehen?
Bezüglich der Zielsetzung sei konkretisierend erwähnt, dass das Ergebnis ein theoretisches Fundament als Grundlage zur weiteren empirischen Validierung durch nachfolgende Forschungsarbeiten bilden soll. Ebenfalls soll der Vorschlag explizit keine opportunistische Handelsstrategie für Kapitalmarktteilnehmer sein, die durch Ausnutzung neuronaler Effekte Risikoprämien für den Anwender generiert. Final sei nochmal erwähnt, dass der Fokus dieses Werkes auf den neurowissenschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Komponenten bei Privatanlegern liegt und daher keine Vorschläge einer institutionellen Integration in den Beratungsprozess von Portfolio- und Asset-Managern unterbreitet.
1.3 Struktur und Gliederung
Das vorliegende Buch gliedert sich in acht Kapitel. Nach einem einführenden ersten Kapitel wird in den Kapiteln zwei und drei der notwendige fachtheoretische Rahmen erarbeitet. Hierbei behandelt das zweite Kapitel die kapitalmarktspezifischen und entscheidungstheoretischen Grundlagen, wie z.B. Charakteristika des Portfoliomanagements, Funktion und Rollen der Kapitalmarktteilnehmer, sowie eine historische Einordnung der wichtigsten Forschungserkenntnisse und des aktuellen Forschungsstandes. Hierauf aufbauend wird ein erster rein finanzspezifischer Entscheidungsprozess als spätere Grundlage für das Framework abgeleitet.
Im dritten Kapitel folgen die psychologischen und neurowissenschaftlichen Grundlagen, wie z.B. Aufbau und Funktionsweise des Gehirns, die dazu notwendigen Messmethoden und weitergehende Erläuterungen der Disziplinen Neuroökonomie und Neurofinance. Ebenfalls betrachtet wird hier die in dieser Publikation vorgeschlagene Konstruktionslogik des Neurofinancial Engineerings, welche der neuronalen Optimierung von Entscheidungsstrukturen dient.
Das vierte Kapitel baut auf den vorangegangenen Grundlagen auf. Dafür werden zunächst neuronale Effekte typisiert, deren Funktionsweise neurowissenschaftlich erläutert, sowie deren praktische Auswirkungen abgeleitet. Im fünften Kapitel, der ersten Ebene der Framework-Konstruktion, erfolgt zunächst die Zuordnung der neuronalen Effekte zu den passenden Schritten und Aktivitäten im Investmentprozess. Das sechste Kapitel stellt dann auf der nächsten Framework-Ebene mögliche Handlungskorrektive vor und erweitert den Entscheidungsrahmen entsprechend.
Das siebte Kapitel stellt das finale Framework aus ganzheitlicher Sicht dar und beinhaltet eine zusammenfassende Beantwortung der Forschungsfrage. Das Kapitel wird mit einer umfangreichen kritischen Würdigung abgerundet, welche sich auf die Disziplin der Neurofinance, die hier verwendeten Methoden und die vorliegenden Ergebnisse bezieht.
Kapitel acht enthält eine kompakte Zusammenfassung und endet mit einem interdisziplinären Ausblick. Der Ausblick stellt verschiedene Ansatzpunkte zur empirischen Validierung des Frameworks vor und gibt zusätzliche Impulse zur Weiterentwicklung der Neurofinance.
1.4 Methodenübersicht
Die vorliegende Publikation ist bewusst theoriebasiert angelegt. Mittels systematischer Literaturrecherche und -auswertung werden bestehende Theorien und Ergebnisse gegenübergestellt und durch Verknüpfung zu einem neuen Ergebnis zusammengeführt. Dieses Ergebnis wiederum kann als Grundlage für nachfolgende empirische Forschungen dienen.¹⁵
Die Literaturbasis umfasst in erster Linie deutsch- und englischsprachige Monographien, Fachartikel, Sammelbände und wissenschaftliche Beiträge aus einer Vielzahl nationaler und internationaler Fachzeitschriften verschiedener Disziplinen. Die Monographien und Sammelbände werden vor allem für die Darstellung gängiger Theorien und herrschender Meinungen zur Beschreibung des aktuellen Forschungsstands genutzt, während die wissenschaftlichen Journale schwerpunktmäßig zur Vorstellung und Integration aktueller Erkenntnisse aus Neuroökonomie, Neurofinance, Psychologie, Verhaltensforschung und Neurowissenschaften herangezogen werden. In den verwendeten Quellen kommen wiederum verschiedene Forschungsmethoden zum Einsatz, beispielsweise stammen die Daten neuronaler und verhaltenspsychologischer Arbeiten oft aus Laborbzw. Feldexperimenten.¹⁶
Der Fokus auf eine rein literaturzentrierte Methodik liegt in der Zielstellung dieses Werkes begründet. Basierend auf den zu untersuchenden Publikationen und Studien aus u.a. Neuroökonomie und Neurofinance, als jüngerem Forschungszweig¹⁷, – deren bisher meist isoliert betrachtete Primärdaten in dieser Arbeit gegenüberstellt, analysiert und systematisch mit weiteren Disziplinen zusammengeführt werden – soll ein interdisziplinärer, neuer, normativer¹⁸ Framework-Entwurf generiert werden. Das dabei erstellte Framework und seine den Handlungsschritten zugeordneten neuronalen Effekte können dann als erste Basis zur empirischen Evaluierung und als Grundlage für weitere Forschungshypothesen für nachfolgende Forschungsarbeiten dienen.¹⁹
1.5 Wissenschaftstheoretische Einordnung
In der Wissenschaftstheorie existieren mehrere Grundpositionen der Erkenntnisgewinnung, die sich durch unterschiedliche Denkschulen und Prüflogiken auszeichnen. Beispielweise sind der Paradigmenwechsel nach Kuhn zu nennen oder der kritische Rationalismus mit Falsifikationsprinzip zur Erkenntnisabsicherung nach Popper. Der kritische Rationalismus besitzt dabei die größte Anwendungsbreite.²⁰
Unabhängig vom Ansatz ist das zentrale Ziel der Wissenschaft der Erkenntnisgewinn. Hierbei werden zwei Grundlogiken unterschieden: einerseits das deduktive und andererseits das induktive Schließen. Beim Deduktionsprinzip erfolgt das Schließen von einer allgemeinen Theorie auf einen speziellen Fall, um hierdurch neue Hypothesen und damit Erklärungsansätze zu finden, während beim Induktionsprinzip der Schluss von speziellen Beobachtungen auf allgemeine Theorien dazu dient, von Einzelfällen allgemeine Wirkungsmechanismen ableiten zu können.²¹
Die Wirtschaftswissenschaften als Fachdisziplin dieses Werkes werden dem Bereich der Sozialwissenschaften zugeordnet. Dabei können mehrere Forschungsmethoden unterschieden werden. Der empirische Ansatz bietet zwei grundsätzliche Forschungsströmungen: quantitative Methoden der Datenerhebung, mit statistischer Auswertung und Interpretation, und qualitative Methoden, wie beispielsweise Experteninterviews oder Inhaltsanalysen.²² Von den zwei genannten empirischen Forschungsmethoden ist der Theorieansatz zu unterscheiden. Der theoriebasierte Ansatz ist durch systematische Literaturrecherche gekennzeichnet und stellt die gewählte Methodik dieses Buches dar. Ziel ist es, durch verschiedene Theorien und Vergleiche komplexe Zusammenhänge, beispielsweise Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu beschreiben. Die angewandte Schlusslogik ist dabei üblicherweise deduktiv, da von allgemeinen und in der Vergangenheit erstellten Theorien und Feststellungen auf den speziellen Forschungsgegenstand und dessen Ausprägung geschlossen werden soll.²³
Die Zuordnung der zu verwendenden neuronalen Studien zu einem konkreten Schritt im Investitionsprozess und die Erstellung des Neurofinancial Decision Frameworks erfolgen dabei normativ, da die vorliegende Arbeit theoretisch begründen will wie ein Entscheidungsprozess aussehen sollte, um neuronale Effekte systematisch zu kompensieren.²⁴ Die verwendeten Effekte sind hierbei bereits empirisch gesicherte Primärdaten aus Studien. Die Verbindung mit Handlungskorrektiven und die Wechselwirkung untereinander, als komplettes Framework, sind dagegen