Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Shadownight: Ewiges Leben
Shadownight: Ewiges Leben
Shadownight: Ewiges Leben
eBook515 Seiten7 Stunden

Shadownight: Ewiges Leben

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Gibt es nur einen Weg, um ewig zu leben?

Jeremy hat sich ein Jahr nach den Vorkommnissen mit Engeln und Teufeln erholt und ist versucht, sich, befangen von Frieden, zurückzulehnen. Nur die ewige Frage nach seiner wahren Herkunft plagt ihn, die schwerer zu beantworten ist, als er gedacht hätte.
Doch dann wird Kaname entführt und Jeremy muss zusammen mit Raelle eine Reise antreten, um ihn zu retten. Als sie ihn endlich finden, trifft Jeremy der Schlag, als er erfährt, wer für die Entführung verantwortlich ist.
Diese Person verrät ihm, wie Raelle unsterblich werden kann, ohne ein Vampir zu werden. Allerdings gegen einen hohen Preis...

Der zweite Teil der mystischen
Shadownight Trilogie
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. Okt. 2015
ISBN9783732356201
Shadownight: Ewiges Leben

Ähnlich wie Shadownight

Ähnliche E-Books

Kinder für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Shadownight

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Shadownight - Jessica Päschkes

    1

    Die Entführung

    Langsam, ganz langsam, rührt sich das alte und doch so stabile Rat des Schicksals. Ein jeder würde es gerne in Händen halten und Herr über den Verlauf des Lebens sein. Aber niemand kann dem Schicksal vorgreifen oder es gar kontrollieren. Und so fügt ihr euch dem Unvermeidlichen.

    „Jeremy… wirst du ihn gehen? Deinen Weg des Schicksals? Obwohl er doch auf deinem Weg wartet…", flüsterte die einsame, zerbrechliche und zierliche Gestalt in ihr zwielichtiges Spiegelbild hinein und verschwand im Nebel der Welt, die eigentlich nicht existieren dürfte.

    2008: Kanames Villa / Speisesaal /  6:15pm

    Oktober

    Kaname warf sich hinter seine Barriere, welche er aus fünf Stühlen erbaut hatte. Vorsichtig lugte er über den Rand und hielt seine Pistole bereit. Von seinem Gegner war nichts zu sehen. Achtsam wartete er ab. Ich wette, der verkriecht sich irgendwo…

    Er grinste und setzte sich mit seinem Rücken gegen den Schutzwall. Den ganzen Raum erfüllte das Grauen erregende Heulen einer Sirene.

    Plötzlich ertönte ein Schuss und eine Bleipatrone sauste knapp an Kanames Hand vorbei, auf die er sich unachtsam außerhalb der Barriere gestützt hatte. Schnell drehte er sich um und feuerte zurück.

    „Friss Blei!", rief Kaname kämpferisch, während er seine Munition weiter sinnlos verschoss. Schnell lud er nach. Die leeren Patronenhülsen fielen klirrend zu Boden.

    „Vielleicht solltest du versuchen besser zu zielen!", rief Jeremy gehässig hinter der Eingangstür hervor.

    „Wie wäre es mit einem Mexican Standoff?", schlug Kaname irgendwann vor, um seinen Gegner herauszulocken.

    „Ich gehe auf keine Forderungen ein! Diese Chance bekommst du nicht!"

    Okay, ich brauche eine neue Strategie… Ich muss versuchen hinter den Tisch zu kommen, aber so, dass Kaname es nicht merkt, dann kann ich mir auch eine Schutzbarriere bauen, überlegte Jeremy und schaute vorsichtig hinter der rechten, geschlossenen Tür hervor. Die linke Türseite hatte er offen gelassen, um auf Kanames Schüsse schnell reagieren zu können.

    Jeremy wartete, bis sein Feind etwas unaufmerksam wurde, und rannte hinter den Tisch. Dort schob er schnell zwei Stühle zusammen und beobachtete das feindliche Lager.

    Unvermittelt erhob sich Kaname und feuerte Kugeln auf die Eingangstür ab. Jeremy beäugte das Geschehen von seinem neuen Posten aus und musste lachen.

    Schnell nahm er seine Waffe und zielte auf Kanames Arm. Dieser hielt inne und spähte zu den zwei Stühlen.

    „Du!", rief Kaname mit überraschter Miene und richtete seine Waffe auf die zwei Stühle. Jeremy versuchte sich so gut es ging hinter seiner Barriere zusammen zu kauern.

    Kaname schob seine Stühle so um, dass sie genau gegenüber von Jeremys standen. Beide luden sie nach.

    Dann erhoben sie sich und schossen zu ihrem Gegenüber. Eine von Kanames Kugeln sah Jeremy erst im letzten Augenblick.

    Schnell wich er zur Seite aus, und die Kugel streifte seinen Arm. Sein Kapuzenpullover war an der Stelle zerrissen. Er sah seinen Feind böse an und schoss seine Kugeln nun noch schneller ab.

    „Das kannst du vergessen!", schrie Jeremy.

    Rae lief zur Tür herein und erschrak. Den Lärm hatte sie bereits bei ihrer Ankunft vernommen.

    „Was ist denn hier los?", fragte sie aufgebracht und ließ ihre Einkaufstüten fallen. Jeremy und Kaname betrachteten sie kurz aus den Augenwinkeln, schenkten ihr aber nicht weiter Beachtung.

    Rae sah mit fassungsloser Miene zu und hielt sich, wegen des Lärms der Sirene, die Ohren zu.

    Kaname verschwand. Jeremy sah sich verwirrt um und ließ seine Pistole sinken.

    Auf einmal spürte er Kanames Pistole an seinem Rücken und erschrak.

    „Kaname! Tu es nicht!", rief Rae und rannte los.

    „Gewonnen!", grinste Kaname und drückte ab. Jeremy schrie auf und fiel zu Boden. Rae kniete sich vor ihn und legte ihre Hände auf seinen Rücken. Dabei sah sie Kaname wütend an.

    „Was hat er dir denn getan!? Was soll das alles?"

    Kaname zog Jeremys Kapuzenpullover nach oben und griff in seine Schusswunde, die heftig blutete. Jeremy stöhnte vor Schmerz und krallte sich am Boden fest. Rae sah weg.

    „Da ist sie schon", sprach Kaname und hielt die Kugel in der Hand, die zuvor in Jeremys Rücken gesteckt hatte.

    „Was tust du denn da?", fragte Rae mit Argwohn in der Stimme. Kaname stand auf.

    „Wenn man die Kugeln nicht schnell genug herausholt, dann verheilt die Wunde und die Kugeln bleiben trotzdem dort stecken." Rae wollte Jeremy aufhelfen, aber er rührte sich nicht.

    „Was ist mit ihm? Hast du ihn etwa verletzt?"

    „Ach was, der macht bloß Theater!", rief Kaname und fing an, die Stühle wieder an den Tisch zu schieben.

    Dann nahm er eine kleine silberne Fernbedienung aus seiner Hosentasche, richtete sie auf die hohe Decke und betätigte den roten Knopf oben links. Die Sirene verstummte. Währenddessen verschwand Kaname in der Küche.

    „Ich verstehe das nicht! Ich war doch nur ein paar Stunden weg!"

    Jeremy drehte sich stöhnend auf den Rücken und richtete sich langsam auf. Wütend zog er seinen Kapuzenpullover über den Kopf.

    „Wir spielen das nie wieder, klar! Den Pullover kann ich jetzt in den Müll werfen!"

    „Aber…", stammelte Rae, noch immer ahnungslos.

    „Wir hatten Langeweile, da hat Kaname vorgeschlagen ein Spiel zu spielen. Wer zuerst stirbt, verliert", erklärte Jeremy und befühlte die Eintrittsstelle an seinem Rücken, die schon fast wieder verheilt war. Rae atmete hörbar aus und verdrehte die Augen. Auf so etwas Kindisches konnte auch nur Kaname kommen.

    Kaname kehrte mit einem Cupcake in der Hand zurück, blieb stehen und runzelte die Stirn.

    „Das darf doch nicht wahr sein…", flüsterte er und blickte zur Tür hinüber.

    Der rechte Türflügel öffnete sich, sodass nun beide geöffnet waren. Eine junge Frau, ungefähr neunzehn Jahre alt, trat ein. Sie hatte ein schmales, zierliches Gesicht, das mit einer hauchdünnen Schicht Rouge bedeckt war, um die Blässe zu kaschieren. Ihre Augen wurden hinter einer Sonnenbrille mit weißen Rändern versteckt. Sie hatte eine spitze Nase und auf ihren dünnen Lippen war blutroter Lippenstift aufgetragen. Ihre glänzenden, glatten, schwarzen Haare reichten bis zu ihrer Hüfte und ein gerader Fransenpony überdeckte ihre Stirn. Sie trug ein ärmelloses, hautenges, gefährlich kurzes schwarzes Kleid. Und schwarze Highheels aus echtem Leder. Die junge Frau war so schön wie Kaname.

    „Hallo, Kaname. Was treibst du so die Tage?" Sie musterte Rae.

    „Ist das dein neues Spielzeug?" Kaname sah sie entnervt an und fragte:

    „Was machst du denn hier?" Die junge Frau lächelte und trat vor.

    „Falls du es vergessen hast, das hier ist auch meine Villa. Außerdem habe ich dich schrecklich vermisst", antwortete sie mit ironischem Unterton.

    „Kaname, wer ist sie?" Rae sah den blonden Vampir fragend an.

    „Das ist meine Schwester. Er wandte sich wieder der Frau zu. „Nein, Lucia, Rae ist eine gute Freundin und kein Spielzeug. Dann begann Kaname die Glasur des kleinen Kuchens rundherum abzulecken. Lucia lächelte freundlich und umarmte Rae.

    „Freut mich dich kennenzulernen. Mein Name lautet Lucia Catherine Thornton. Ich wurde nach unserer Grandma Catherine benannt. Leider."

    „Freut mich auch. Ich heiße Raelle Kurenai." Rae freute sich, endlich einmal eine von Kanames Geschwistern kennenzulernen. Lucia schien sehr… aufbrausend und belebt zu sein.

    Im nächsten Moment fiel ihr Jeremy auf, der offenbar versuchte sich hinauszuschleichen. Er hatte die Tür schon fast erreicht. Doch dann erschien Lucia direkt vor ihm und drückte ihre rechte Handfläche gegen seine Brust.

    Die Sonnenbrille nahm sie ab, um mit ihren langen Wimpern zu klimpern und Jeremy direkt durch ihre schwarz umrandeten, grünen Augen anzustrahlen.

    „Hallo, Jeremy. Es freut mich dich wiederzusehen. Ich mag deine neue Frisur. Damit siehst du so schneidig aus. Ich fühle mich geehrt, dass du dein Hemd extra für mich ausgezogen hast", begrüßte Lucia ihn vergnügt und ließ ihren Zeigefinger über Jeremys Brust wandern. Der Vampir trat einen Schritt zurück und rief nervös:

    „Also eigentlich habe ich den Pullover ausgezogen, weil Kaname mich mit einer Kugel durchlöchert hat. Ich muss ihn in den Müll werfen." Lucia setzte eine besorgte Miene auf und schritt galant hinter ihn, während sie mit ihrer Hand über seinen Körper nach hinten glitt.

    „Schöner Rücken. Jeremy fuhr herum und versuchte Lucia von sich fernzuhalten. Sie lachte und ließ von ihm ab. Dann stöckelte sie zur Tür und bevor sie den Raum verließ, drehte sie sich noch einmal um und schnurrte: „Falls du mich mal besuchen willst, Jeremy, du weißt ja, wo mein Zimmer ist. Jeremys Lächeln wirkte eingefroren.

    Kaum war sie in der Tür verschwunden, atmete er erleichtert auf. Rae hatte ein breites Grinsen aufgesetzt.

    „Jeremy, was war das denn gerade? Hast du was mit ihr?" Die Augen des Vampirs weiteten sich.

    „Bitte? Mit Lucia? Nein, niemals! Es scheint nur so, dass sie an mir interessiert ist. Aber für mich ist sie … nur die Schwester meines besten Freundes."

    „Deines einzigen Freundes", korrigierte Kaname und steckte sich das letzte bisschen Cupcake in den Mund.

    „Danke, dass du mich erinnert hast", zischte Jeremy sarkastisch. Kaname nickte.

    „Immer wieder gerne", grinste er. Rae schlug Kaname gegen den Arm und sah ihn mit böser Miene an. Dann ging sie zu ihren Einkäufen, hob sie auf und verließ den Raum.

    „Ich geh mir jetzt etwas anziehen", rief Jeremy und verschwand ebenfalls in der Tür. Kaname setzte sich auf den Tisch und flüsterte:

    „Wenn meine Schwester noch länger hier bleibt, dann werde ich einen Strick brauchen."

    Als Rae an Jeremys Zimmer vorbeikam, hörte sie wie er seine Schranktür schloss. Die Tür war einen Spalt geöffnet. Kaum war sie an seinem Zimmer vorbei, hörte sie eilige Schritte. Jeremy bremste ab, als sie sich zu ihm umdrehte.

    Der Vampir lächelte sie an.

    „Was machst du jetzt noch so?"

    „Kaname hat mich, bevor ich in die Stadt gegangen bin, zum Essen eingeladen. Sehe ich gut aus?" Jeremy musterte seine Freundin. Sie trug ein einfaches blaues Abendkleid, welches ihr bis kurz über die Knie reichte. Um den Rumpf schlang sich ein satinblaues breites Band, welches mit einer glänzenden Brosche veredelt wurde. Rae trug dazu passende, ebenfalls blaue Pumps und spielte mit einem kleinen Täschchen in ihren Händen. Sie hatte gehofft damit Kanames Geschmack zu treffen.

    „Du siehst wunderschön aus", lächelte Jeremy. Rae strahlte nun vor Selbstbewusstsein und stieg in den Aufzug.

    Sie betätigte den gläsernen Knopf EG und die Türen schlossen sich. Jeremys Lächeln verschwand.

    Rae konnte immer noch nicht glauben, wie sehr sich Jeremy verändert hatte. Vor einem Jahr noch glaubte sie, dass er nicht einmal lachen konnte. Und jetzt sah er sie stets mit diesem glücklichen Blick an. Zwar war er immer noch ziemlich zurückhaltend und ruhig, aber das war vielleicht sein wahres Ich. Obwohl, dachte Rae. Vielleicht irre ich mich auch…

    Raes Gesicht schmückte sich mit einem glücklichen Ausdruck. Als die Türen sich aufschoben, klopfte ihr Herz wie verrückt.

    Kaname stand neben der Eingangstür und sah sie mit seinem wunderschönen Lächeln an. Es fühlte sich an wie ein Traum. Langsam schritt sie zu ihm. Kaname hatte sich auch umgezogen. Er trug einen Anzug, mit einem dunkelroten Hemd und einem Jackett, das ihm bis zu den Oberschenkeln reichte.

    „Sieh mal an. Die Göttin der Schönheit!", schmeichelte Kaname und küsste Raes Handrücken. Zusammen gingen sie zur Limousine und stiegen ein.

    Es wird wahrscheinlich nicht mehr lange dauern … Bald wird Kaname auch Rae erobert haben, dachte Jeremy, als er hörte, wie Kanames Limousine die Straße entlangfuhr.

    Schon immer war ihm klar gewesen, dass er keine Chance hatte. Er fand es mittlerweile naiv zu glauben, dass Rae sich auch für ihn hätte entscheiden können. Kaname war ein Reinblüter. Reich und schön.

    Eigentlich dachte er, Rae würde verstehen, dass Kaname kein Beziehungstyp war. Zu lange mit einer einzigen Frau zusammen zu sein, langweilte ihn. Statt seine Beziehung zu beenden begann Kaname dann üblicherweise eine Affäre und bisher kam er damit fast immer durch.

    Jeremys Herz brannte vor Wut. Er schlug mit aller Kraft gegen die Wand.

    „Verdammt!" Etwas Putz bröselte von der Decke herunter. Aber es ist auch meine Schuld… hätte ich meine Gefühle zu ihr früher bemerkt, hätte ich mich um sie bemühen können, gab Jeremy zu und fuhr über sein Gesicht.

    Langsam rutschte er an der Wand hinunter. Nun saß er auf dem Boden.

    Jeremy verdeckte sein linkes Auge mit seiner Hand, eine Geste, die er schon fast nicht mehr wahrnahm.

    „Ich habe Durst…, flüsterte er und fuhr mit der Zunge über seine Vampirzähne. „Wie immer.

    Ein paar Minuten saß er nur dort auf dem Boden. Er spürte seine Traurigkeit in jedem Winkel seines Körpers.

    Wankend stand er auf. Seine Augen färbten sich für einen kurzen Moment dunkelrot. Langsam ging er in sein Zimmer. Plötzlich schreckte er auf. Jemand lag auf seinem Bett.

    „Was zum… Er trat näher. „Lucia, was machst du hier? Lucia lächelte und fuhr über ihre Hüfte bis hinunter zu ihren Beinen.

    „Wenn du nicht zu mir kommst, dann komme ich eben zu dir." Jeremy wurde etwas wütend.

    „Was willst du eigentlich von mir? Einem Hybriden, der sich nicht unter Kontrolle hat?" Lucia richtete sich auf und zog den Vampir auf das Bett.

    Abweisend versuchte er aufzustehen, aber Lucia war stärker.

    „Reinblüter sind stärker als Hybriden. Mir ist egal, was du nun genau bist. Du bist doch eigentlich ganz nett … und sexy." Die Vampirin lächelte verschmitzt und küsste Jeremy.

    Vollkommen irritiert starrte er gegen die Wand. Es war zu lange her, dass ihn eine Frau geküsst hatte. Die einzigen Male waren die gewesen, in denen er Frauen verführt hatte, um später ihr Blut zu trinken. Das hatte er vielleicht drei – viermal getan, weil er diese Vorgehensweise entschieden ablehnte.

    Kaname hatte ihm damals beigebracht, wie man so etwas tat. Immer wieder musste Jeremy bei diesem Gedanken lächeln, denn so eine Vorgehensweise war schließlich Kanames Natur. Wenn Jeremy jedoch diese Taktik anwendete, musste die Frau sterben. Er schaffte es nicht, rechtzeitig aufzuhören.

    Natürlich hatte er auch mal ein-zwei Freundinnen gehabt. Aber das hatte nicht funktioniert.

    Schließlich hörte er auf, sich so viele Gedanken zu machen, und erwiderte ihren Kuss. Lucia drückte Jeremy nach unten, lag nun auf ihm und schlich langsam mit ihrer Hand unter sein T-Shirt. Ihr Haar fiel ihr verführerisch über die Schulter. Es verströmte den süßlichen Geruch nach Rosen. Auch wenn Jeremy nicht genau wusste, ob er sie wegschicken oder sie bitten sollte zu bleiben. Doch zu lange hatte er nur zugesehen, wie Kaname und Rae sich einander annäherten. Vielleicht musste er sich auch mal etwas Spaß gönnen. Auch er hatte Bedürfnisse.

    Jeremy rollte sich in Sekundenschnelle nach oben. Lucia lächelte über ihren Triumph und ließ sich von ihm ihr violettes Satinnachtkleid ausziehen. Jeremy spürte, wie Verlangen in ihm aufstieg. Hastig stülpte er sein T-Shirt über seinen Kopf, entblößte so seinen schlanken, muskulösen Oberkörper und warf es in hohem Bogen auf den Boden. Lucia stöhnte, als er ihren Körper mit Küssen bedeckte.

    „Du bist aber resolut. Das hätte ich dir nie zugetraut", hauchte Lucia mit schwerem Atem, als Jeremy innehielt, um seine Jeans und seine Boxershorts auszuziehen.

    „Das liegt daran, dass mich niemand wirklich kennt", grinste er und beugte sich erneut über sie.

    Rae schlug die Augen auf. Sie streckte und aalte sich unter der Bettdecke. Lächelnd erinnerte sie sich an den gestrigen Abend. Und an einen Kuss. Kaname hatte sie wieder geküsst. In letzter Zeit hatte sie sich viel zu leichtsinnig verhalten. Sie liebte die Abende mit Kaname. Aber trotzdem musste sie versuchen Kaname zu widerstehen. Immerhin kannte sie ihn nur zu gut.

    Gut gelaunt stand sie auf und sah aus dem Fenster. Das Sonnenlicht blendete sie ein wenig. Rae nahm Kleidung aus dem Schrank und verließ ihr Zimmer. Leichtfüßig tippelte sie zum Bad, öffnete die Tür und schloss sie hinter sich wieder.

    Rae zog die Arme aus den Spagettiträgern ihres satinroten Nachthemdes und ließ es zu Boden fallen. Langsam ging sie zur Dusche und stellte das Wasser an. Nachdem es eine angenehme Temperatur erreicht hatte, stieg sie hinein und zog die gläserne Schutzwand zu.

    Jeremy vernahm das Prasseln von Wasser. Vorsichtig öffnete er seine azurblauen Augen. Jeremy blickte sich in seinem Zimmer umher und stellte fest, dass er alleine war. Mit einem Satz drehte er sich auf seinen Bauch und steckte, mit einem langen Stöhnen den Kopf in sein Kissen.

    „Ich habe mit der Schwester meines besten Freundes geschlafen…., analysierte er und hob seinen Kopf. Bei dem Gedanken an Kanames Reaktion lachte er freudlos und wollte sich wieder auf seinen Rücken legen. Doch er befand sich zu weit am Rand und fiel bei dem Versuch aus dem Bett. „Au …, flüsterte der Vampir.

    Mühselig richtete er sich auf. Jeremy sah seine Kleidung auf dem Boden. Sie lag zerstreut im ganzen Raum. Er beugte sich hinunter und hob alles auf, dann zog er die Sachen an.

    Jemand klopfte an die Tür. Jeremy durchquerte den kleinen Raum und öffnete sie. Rae lächelte ihn an. Sie hatte nur ein großes weißes Handtuch um ihren Körper gewickelt und ihre dunkelbraunen Haare trieften. Jeremy beäugte Rae mit gerunzelter Stirn.

    „Alles in Ordnung, Jer? Ich habe einen Knall gehört."

    „Ja, ich bin … aus dem Bett gefallen." Rae musste lachen und fragte:

    „Gehst du jetzt auch frühstücken? Dann warte auf mich, ich zieh mir nur schnell etwas an und föhne mir die Haare." Jeremy rieb eine von Raes Haarspitzen zwischen den Fingern.

    „Du brauchst doch sicher noch etwas länger. Ich gehe lieber schon mal vor." Rae lächelte und verschwand noch einmal im Bad.

    Kaname nippte an seinem Kristallglas, welches mit Blut gefüllt war. Jeremy setzte sich auf seinen Stammplatz und nahm eine Herzkirsche aus der gläsernen Schale vor sich. Das waren seine Lieblingsfrüchte.

    „Morgen", grüßte Jeremy halblaut und vermied den Blickkontakt.

    „Morgen", echote Kaname lächelnd und nippte ein weiteres Mal an seinem Glas. Jeremy sah sich nervös um und fragte:

    „Ist Lucia hier irgendwo?"

    „Du weißt doch, sie kommt nur ungern tagsüber zum Vorschein. Die Gläser sind zwar so angefertigt worden, dass sie kein direktes Sonnenlicht hereinlassen, aber sie fühlt sich nachts trotzdem wohler. Was logisch ist. Normalerweise würde ich auch tagsüber schlafen und nur nachts mein Leben leben, aber wegen meinem Geschäftsleben habe ich das umgestellt. Meistens schlafe ich sowieso überhaupt nicht." Jeremy lächelte.

    „Tja, und ich scheine mich immer noch nicht daran gewöhnt zu haben, tagsüber zu schlafen. Das muss ich jetzt auch nicht mehr." Gut. Ich wäre vor Scham im Boden versunken, wenn Lucia hier auf einmal aufgetaucht wäre. Ich kenne sie doch, sie hätte unterschwellige Bemerkungen gemacht.

    Der Vampir atmete erleichtert auf.

    Plötzlich ertönte eine kurze Melodie aus Jeremys Hosentasche. Schnell nahm er sein schwarzes Smartphone hervor. Jeremy tippte auf das Display, betrachtete diesen mit großer Skepsis und öffnete mit ein paar kurzen Handgriffen die MMS. Auf dem beigefügtem Bild sah er Lucia, die nichts weiter als Unterwäsche trug, auf einem Bett saß und der Kamera einen Kuss zuwarf. Jeremy konnte nicht anders als breit zu grinsen.

    Hey Jeremy,

    mir hat die Nacht gefallen. Wenn du willst, können wir das in Zukunft öfter tun. Du hast meine Erwartungen mehr als

    erreicht, Süßer.

    Sag Bescheid XX

    Kaname runzelte die Stirn und fragte:

    „Hast du eine SMS bekommen?"

    „Nein, eine MMS. Da ist ein Bild dabei." Jeremy hätte sich auf die Zunge beißen können. Damit weckte er sicher Kanames Aufmerksamkeit. Er musste sich schleunigst dieses Grinsen aus dem Gesicht wischen!

    „Kann ich mal sehen?", grinste Kaname und beugte sich über den Tisch. Jeremy versteckte sein Handy hinter seinem Rücken und rief nervös:

    „Nein! Das geht dich gar nichts an!" Kaname bewegte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit, hielt hinter Jeremy inne und nahm ihm das Handy aus der Hand. Schnell sprang Jeremy auf und wollte es ihm entreißen. Kaum hatte er sich jedoch seinem Freund genähert, lief Kaname schnell davon.

    Jeremy verdrehte die Augen. Es bringt nichts ihm hinterherzulaufen… Soll er sie doch lesen!

    Kaname tauchte eine Weile nicht mehr auf. Jeremy betrachtete mit einer schrecklichen Vorahnung die Tür.

    Plötzlich erschien Kaname wieder im Eingang.

    „Du Perversling schläfst mit meiner Schwester!", wetterte Kaname, stapfte wütend zu seinem Freund und warf ihm sein Handy über.

    „Na und? Ist doch nichts dabei. Du machst dich ununterbrochen an Rae heran, dann kann ich auch mit deiner Schwester schlafen! ", verteidigte sich Jeremy.

    „Das ist nicht dasselbe. Kaname lehnte sich mit dem Rücken über den Tisch und legte leidend den Arm über die Stirn. „Mein Leben hast du zerstört! Schluchz! Heul!

    „Jetzt hör auf mit dem Theater! Außerdem bin ich ja nicht du. Erinnerst du dich an die Eine? Wie war ihr Name noch gleich? Sie hat dich geliebt, du warst genervt von ihr, weil sie so aufdringlich war und um sie loszuwerden, hast du mit ihrer besten Freundin geschlafen. Und als sie ein Jahr später gesagt hat, sie verzeihe dir, hast du wieder mit ihr geschlafen."

    „Ja, entschuldige! Du weißt, dass ich keine Frauen weinen sehen kann!"

    „Du kannst ganz schön grausam sein, weißt du das?"

    „Ja, ja."

    „Also, was ist jetzt wegen Lucia? Bist du sauer?" Kaname setzte sich seufzend.

    „Nein. Ihr könnt tun, was ihr wollt, solange ihr nicht vor meinen Augen herummacht."

    Rae trat in den Raum. Dann setzte sie sich auf einen der edlen Stühle. Sie trug ein dunkelblaues, ärmelloses Top und, wie sonst auch, eine blaue Röhrenjeans.

    Kaname versuchte Jeremy mit einem wilden Gestikulieren klar zu machen, dass das Gespräch über sein ausschweifendes Liebesleben jetzt beendet sein sollte, da Rae sich nun in Hörweite befand.

    „Guten Morgen. Wie habt ihr geschlafen?" Kaname setzte sich geschwind neben sie und antwortete:

    „Guten Morgen, Göttin der Schönheit. Weißt du, ich habe gar nicht geschlafen. Ich habe die ganze Nacht nur an dich gedacht." Jeremy verdrehte die Augen und räusperte sich leise. Es sah so aus, als ob Kaname und Rae jetzt zusammen wären. Sollte das wirklich stimmen? Leider traute sich Jeremy nicht Rae zu fragen, ob er sie ausführen dürfte, weil er nicht wusste, ob sie zusagen würde. Er hatte Angst. Angst davor, zu erfahren, dass Rae nichts weiter für ihn empfand. Angst vor der möglichen Wahrheit. Außerdem stand es ihm nicht zu sie zu fragen. Immerhin hatte Kaname sie zuerst kennengelernt.

    Raes Wangen färbten sich rosarot und sie lächelte verlegen. Kaname blickte sie verführerisch an. Jeremy beobachtete das Geschehen und er spürte ein unangenehmes Gefühl in sich aufsteigen.

    Er zog lautstark den Stuhl zurück, stand auf und polterte aus der Tür. Als er davoneilte, konnte er noch hören, wie Rae sagte:

    „Ich werde mal mit ihm reden. Vielleicht ist irgendetwas passiert."

    „Nein, bleib hier!", rief Kaname flehend. Doch sie folgte Jeremy. Stur beschleunigte Jeremy seinen Schritt, er wollte nicht mit ihr reden.

    Jeremy warf sich Wasser ins Gesicht. Wütend schlug er gegen die Wand neben dem Waschbecken, sodass Risse entstanden und Putz hinunter bröselte. Dann stützte er die Arme auf den Rand des Waschbeckens und betrachtete den Abfluss.

    „Verdammt…" Rae trat in den Türrahmen und hatte eine besorgte Miene aufgesetzt.

    „Was ist denn los, Jer? Bedrückt dich etwas?" Jeremy sah sie nicht an und antwortete mit ruhiger Stimme:

    „Alles in Ordnung. Lass gut sein, okay?" Doch Rae gab nicht auf. Sie wusste, dass etwas nicht in Ordnung war.

    „Ich sehe es dir doch an. Rede mit mir!"

    Plötzlich ertönte ein lauter Knall, der mit Sicherheit aus einem anderen Stockwerk stammte. Jeremy und Rae erschraken und schauten aufmerksam zum Aufzug.

    „Kaname!", riefen sie zeitgleich und rannten los, um mit dem Aufzug nach unten zu fahren.

    „Was zum…" Der Esstisch war gegen die Wand geschleudert worden. Essen und Besteck lagen vollkommen zerstreut im Raum. Ein Blatt Papier segelte von der Mitte des Raumes aus herab, bis es schließlich auf dem Boden landete. Jeremy nahm es vom Boden auf und betrachtete es. Auf der Oberseite war es beschrieben:

    Kaname Jasper Thornton wurde hiermit entführt. Er befindet sich zur Zeit in der geheimen Stadt Kemet. Reisen Sie zur Sphinx, um ihn zu retten, dort wird Sie jemand erwarten, der Sie nach Kemet geleitet.

    Jeremy konnte es nicht fassen. Sie waren nicht einmal fünf Minuten weggewesen!

    „Soll das ein Scherz sein? Warum sagen sie uns, wo Kaname ist? Und das, ohne Lösegeld oder sonst etwas zu verlangen! Ich verstehe das nicht…" Rae sah sich die Einrichtung an.

    „Hoffentlich tun sie ihm nichts! Er ist doch Reinblüter, da wird er doch mit so ein paar Entführern fertig!" Jeremy sah seine Freundin ernst an.

    „Rae, ich will dir keine Angst machen, aber wenn sie es geschafft haben, ihn zu entführen, dann können sie ihm auch etwas antun." Rae war den Tränen nahe. Doch sie nahm sich zusammen und rief:

    „Wir müssen sofort nach Ägypten! Koste es, was es wolle!" Der Vampir nickte entschlossen.

    Im selben Moment bequemte sich endlich auch Sebastian zum Ort des Geschehens. Er zog eine Augenbraue nach oben und seufzte genervt. So als ob er schon ahnte, was auf ihn zukomme.

    „Ganz toll. Und ich muss das wieder aufräumen! Was ist passiert?"

    „Wir müssen deinen Herrn zurückholen, Sebastian. Dafür brauchen wir ein Transportmittel nach Ägypten. Kannst du uns etwas organisieren?"

    „Ich gehe davon aus, dass ihr beide keine geldlichen Besitztümer habt. Deshalb müsstet ihr ein Verkehrsmittel benutzen, dass meinem Herrn gehört. Der Privatjet ist leider in der Werkstatt. Das einzige funktionstüchtige Verkehrsmittel wäre dann die kleine Jacht." Jeremy legte seine Hand auf Raes Schulter.

    „Dann los! Packen wir unsere Sachen, Rae!"

    2

    Launische Gezeiten

    New Yorker Hafen /Jacht / 8:05pm

    Die kleine weiße Jacht White Ladylief aus dem Hafen aus. Sie hatte zwei Stockwerke und große Fenster aus dickem Glas. Die Jacht wurde mit einer kleinen Turbine angetrieben und hielt eine gute Geschwindigkeit.

    Jeremy warf seinen grauen Rucksack auf das kleine Bett, welches aus einer dünnen Matratze und einer kleinen Decke bestand.

    Er bemerkte Rae, die am Fenster stand und mit besorgter Miene auf das offene Meer hinausschaute. Der Vampir atmete tief durch und ging zu ihr.

    „Ich mache mir auch Sorgen. Aber nicht nur um Kaname selbst. Ich begreife einfach nicht, warum diese Leute ihn entführt haben. Vielleicht kommen eine Menge Probleme auf uns zu. Aber wir holen ihn zurück, das verspreche ich dir." Rae nickte lächelnd und gab Jeremy einen Kuss auf die Wange. Der Vampir sah sie überrascht an.

    Rae ging die kleine Treppe hinunter zum Kontrollraum. Jeremy folgte ihr. Dort sah man einen Computer, auf dessen Bildschirm die Koordinaten und Geschwindigkeit eingetragen wurden. Rae setzte sich auf den Stuhl, der davor stand und betrachtete alles misstrauisch.

    „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich dem trauen sollte… Die Koordinaten sind zwar eingegeben, aber was ist, wenn wir vor etwas ausweichen müssen?"

    „Diese Jacht ist technisch auf dem höchsten Stand, Rae. Sie gehört ja auch der Familie Thornton. Hier ist ein Radar eingebaut, der nicht nur Dinge in der Umgebung wahrnimmt, sondern auch umschiffen kann. Und erst, wenn dieser Radar ausfallen sollte, oder die automatische Steuerfunktion, dann sind wir verloren, denn ich habe noch nie ein Schiff gesteuert und keine Ahnung wie es möglicherweise funktionieren könnte", entgegnete Jeremy. Sofort stand Rae auf, wobei sie genau darauf achtete nichts zu berühren.

    Zusammen gingen sie wieder nach oben und setzten sich auf ihre Betten.

    „Wann werden wir ankommen, was meinst du?", fragte Rae und nahm eine Flasche Wasser aus ihrer Umhängetasche.

    „Mit dem Tempo… vielleicht in drei Tagen. Wenn wir in ein Unwetter geraten, könnte es länger dauern." Jeremy schluckte. Dann legte er seine Hand um seinen Hals. Rae beobachtete ihn und bemerkte seinen merkwürdigen Gesichtsausdruck.

    „Jeremy? Ist irgendetwas?" Der Vampir erschrak und versteckte seine verzerrte Miene hinter einem Lächeln.

    „Nein, was soll sein? Es ist alles in Ordnung." Warum lässt er sich nicht helfen? Rae sah ihren Freund besorgt an. In letzter Zeit hatte Jeremy sich öfters so verhalten. Außerdem wirkten seine Augen welk und krank. Was es auch war, Rae konnte es nicht verstehen. Warum nahm er ihre Hilfe nicht an?

    „Bitte rede mit mir, Jer!" Jeremy legt sich hin und drehte ihr den Rücken zu. Es machte sie traurig ihn so zu sehen. Vor allem, dass sie ihm nicht helfen konnte, war kaum zu ertragen.

    „Na gut … ich versuche jetzt ein wenig zu schlafen. Bitte überleg dir noch mal, ob du nicht doch mit mir reden willst. Ich würde dir so gerne helfen." Rae legte sich ebenfalls auf ihre Matratze und zog die Decke bis zu den Schultern. Dann schloss sie die Augen.

    „Du kannst mir nicht helfen…", flüsterte Jeremy.

    Rae warf ein Kissen nach Jeremy. Träge öffnete er die Augen und blickte sie an.

    „Warum bewirfst du mich mit einem Kissen?", fragte der Vampir heiser. Rae lachte und setzte sich auf ihr Bett, gegenüber von ihm.

    „Ich bin schon lange wach. Und ich fand, dass du jetzt genug geschlafen hast." Jeremy richtete sich auf und fuhr sich durch die Haare. Seine Augen waren blutunterlaufen. Er fand nicht, dass er genug geschlafen hatte. Eigentlich fühlte es sich an, als hätte er überhaupt nicht geschlafen.

    „Und da bombardierst du mich mal einfach mit einem Kissen? Kaum ist Kaname weg, musst du mirauf die Nerven gehen", nörgelte er. Rae setzte sich neben ihn und legte ihre Hand auf seine Wange. Jeremy sah sie mit erstaunter Miene an. Ihre Berührung fühlte sich unfassbar gut an. In seinem Bauch stieg ein Kribbeln empor und er musste sich etwas schütteln. Rae sah ihn besorgt an.

    „Was ist mit deinen Augen? Jeremy, ich bitte dich mit mir zu reden." Der Vampir nahm ihre Hand sanft von seinem Gesicht.

    „Du willst es wirklich wissen? Rae nickte und Jeremy fuhr fort. „Ich habe seit viel zu langer Zeit kein Blut mehr getrunken. Ich wundere mich selbst, dass ich noch aufrecht stehen kann.

    „Aber warum hast du denn nichts gesagt?"

    „Was hätte das geändert?"

    Die Vormittagssonne verschwand hinter einer mächtigen, dunkelgrauen Wolkenwand. Jeremy blickte an Rae vorbei, aus der Glaswand hinaus und sah, wie sich die Dunkelheit auf dem Meer ausbreitete.

    „Rae…", flüsterte er, während er seine Augen nicht von dem Geschehen draußen abwenden konnte.

    „Du brauchst gar nicht zu versuchen, mich abzulenken!"

    „Da draußen!", rief Jeremy. Rae sah nun Jeremys beunruhigte Miene und folgte seinem Blick.

    Ein mächtiges Wolkengewirr, indem es andauernd blitzte, bewegte sich auf die Jacht zu. Sie waren nun auf offener See und konnten beide die Jacht nicht steuern.

    Jeremy überlebte diesen Taifun vielleicht, wenn die Jacht sank, Rae jedoch, würde ertrinken.

    „Sag mir bitte, dass das keine Probleme bereiten wird…" Rae sah Jeremy erwartungsvoll an.

    „Das ist kein normales Unwetter… Das ist ein Taifun. Wenn wir den passieren, dann ist es vorbei. Das hier ist eine Jacht, mit der man angeben und einen schönen Südseeurlaub unternehmen kann. Aber für so was großes, ist sie nicht gebaut worden. Das übersteht sie nicht", mutmaßte der Vampir abwesend. Rae geriet in Panik.

    „Dann teleportiere uns hier weg! Das kannst du doch!" Jeremy schüttelte den Kopf.

    „Ich bin nicht in der Lage mich zu teleportieren. Ich bin ein Hybride. Außerdem sind wir hier mitten auf dem Nordatlantik. Ich habe, wie du weißt, vor Jahren an einer Kreuzfahrt teilgenommen. Die Titanic rammte einen Eisberg und ist gesunken. Natürlich hat Kaname versucht, uns weg zu teleportieren. Aber es funktionierte einfach nicht.

    Nach ein paar Recherchen konnte ich herausfinden, dass die Energie, die für das Teleportieren zuständig ist, bei solchen Temperaturen zu schwach ist. Also selbst, wenn ich es könnte, würde es uns hier nichts nutzen. Jeremy sah dem Unwetter bereitwillig entgegen. „Wir müssen versuchen die Jacht eigenhändig zu steuern. Wenn das nicht funktioniert… müssen wir dort hindurch…

    Schnell stürmten sie zum Kontrollpult. Unzählige rote Knöpfe blinkten und der Radar zeigte als einziges die White Lady an. Jeremy beobachtete alles sorgfältig. Dann erblickte er einen Schalthebel und legte seine rechte Hand um ihn. Vorsichtig bewegte er ihn nach vorne. Die Jacht nahm etwas an Geschwindigkeit zu. Als Rae dies bemerkte, nahm sie Jeremys Arm, riss an ihm herum und rief:

    „So fahren wir doch schneller! Beweg ihn zu dir! Schnell!" Der Vampir zog den Schalthebel langsam nach hinten. Sie wurden etwas langsamer. Doch Jeremy blieb weiterhin angespannt.

    „So fahren wir zwar langsamer, aber wie steuere ich nach links oder rechts?" Sie sahen sich um. Der Computer. Jeremy schob den Stuhl vor dem Computer weg und betrachtete den Bildschirm. Er löschte die Zahl, die bei Breitengrad eingetragen war und setzte die nächsthöhere ein. Die Jacht fuhr nun etwas weiter nach rechts. Jeremy betrachtete alles aufgewühlt.

    „Das bringt doch alles nichts! Der Taifun ist viel zu groß!", schrie Jeremy. Wütend schlug er gegen die Glaswand. Rae zuckte zusammen.

    „Jeremy? Weißt du wo wir sind? Könnte es nicht sein, dass hier irgendwo Land ist?"

    „Nein, ich habe keine Ahnung…"

    Plötzlich schlugen große Wellen gegen die Jacht. Sie schaukelte heftig hin und her. Rae fiel zu Boden. Jeremy konnte sich am Kontrollpult festhalten. Schnell beugte er sich zu Rae herunter und half ihr aufzustehen.

    „Ich habe mir den Kopf gestoßen…", flüsterte sie, rieb sich den Kopf und richtete sich auf. Jeremy hielt sie fest und gemeinsam betrachteten sie den Taifun, der sie nun erreicht hatte. Harte, durcheinanderwirbelnde Wassertropfen trafen die Jacht und liefen hinab. Zuckende Blitze und Donner griffen ineinander über. Man spürte die starke Spannung, die in der Luft lag.

    Der Radar zeigte einen zweiten, grünen Punkt an. Der Vampir sah ihn mit überraschter Miene an und rief:

    „Rae! Der Radar zeigt etwas an! Es ist ein grüner Punkt… das bedeutet… oh Gott! Das bedeutet Land!" Über Raes Gesicht zog ein Lächeln. Sie schöpfte wieder etwas Hoffnung. Jeremy löschte die Zahl im Breitengrad erneut und befahl der Jacht, mit der neuen Zahl weiter nach rechts zu drehen. So näherten sie sich dem grünen Punkt.

    Rae hob den Kopf mit angsterfüllter Miene langsam nach oben. Jeremy sah vom Bildschirm hoch und bemerkte den Grund, welcher Rae solche Angst einjagte. Eine mächtige Welle, aus schwerem dunkelblauem Wasser, kam auf sie zu. Jeremy sah sich panisch um und erblickte einen roten Feuerlöscher an der Wand. Schnell riss er ihn aus der Halterung und schlug damit gegen die Glasscheiben. Doch die Scheibe wollte einfach nicht zerspringen. Jeremy versuchte es immer wieder.

    „Nein!" Er schrie und entblößte seine Vampirzähne und dunkelroten Augen. Ein weiteres Mal schlug er den Feuerlöscher gegen das Fenster. Diesmal zerfiel die Scheibe in tausende Splitter. Ein Gemisch aus Regen und Hagel drang in das Boot ein und stach auf der Haut. Sofort warf Jeremy den Feuerlöscher weg, kletterte in hoher Geschwindigkeit auf das Dach der Jacht und streckte Rae die Hand aus.

    „Rae! Komm!" Rae trat auf das untere Ende des Fensterrahmens und ergriff Jeremys Hand. Vorsichtig versuchte er sie heraufzuziehen. Seine Haare klebten an seinem Gesicht. Die Augen konnte er nur schwer aufhalten, denn der harte Regen brannte unerbittlich.

    Plötzlich rutschte sie ab und Jeremy entglitt ihre Hand.

    „Rae!", rief er entsetzt und sprang ins Wasser. Schnell ergriff er erneut ihre Hand und hielt sie an ihrem Bauch an sich gedrückt. Als sie wieder die Oberfläche erreicht hatten, schnappte Rae verzweifelt nach Luft und hustete.

    „Sie kommt!" Die riesige Welle erfasste sie und die Jacht.

    Das Boot schien zu zerreißen. Die riesigen Wassermaßen drückten sie nach unten. Jeremy versuchte Rae immer weiter festzuhalten. Sie schleuderten umher und Rae bewegte sich bald nicht mehr. Der Vampir kämpfte, um gegen das Wasser anzukommen, doch seine Gliedmaßen gehorchten ihm nicht.

    Auf einmal spürte Jeremy Boden unter den Füßen. Schnell drückte er sich mit beiden Füßen, so fest er konnte, ab und wirbelte in einer Spirale, ohne Rae loszulassen, wieder weiter nach oben. Der Vampir wehrte sich gegen die Ohnmacht, die ihn versuchte zu ergreifen.

    Als er kurz die Augen aufschlug, konnte er die unruhige Wasseroberfläche sehen. Jeremy tauchte auf und schnappte nach Luft. Wäre er ein Mensch gewesen, würde er jetzt nicht mehr leben.

    Der Vampir erspähte nicht weit vor ihnen Land. Sofort schwamm er mit letzter Kraft darauf zu. Bald konnte er sich auf die Knie stützen und kroch aus dem flachen Wasser auf den Strand zu. Sicher im etwas harten, grobkörnigen Sand, legte er Rae ab und betrachtete ihr Gesicht. Jeremy wollte ihren Namen aussprechen, aber er konnte nicht. Vor seinen Augen verschwamm alles. Doch er hielt Rae weiter fest. Der Vampir beugte sich über sie und legte seinen Mund auf ihren. Dann versuchte er ihr seinen letzten verbliebenen Atem zu schenken.

    Auf einmal riss Rae die Augen auf, rollte sich zur Seite und spuckte Wasser aus. Jeremy warf sich schwer atmend in den feuchten Sand.

    Nach kurzer Zeit schloss er die Augen und Ohnmacht beschlich ihn.

    3

    Gestrandet

     ? / 4:38pm

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1