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Kommissar Moreau und das Elend der Schönen: Korsika-Krimi
Kommissar Moreau und das Elend der Schönen: Korsika-Krimi
Kommissar Moreau und das Elend der Schönen: Korsika-Krimi
eBook547 Seiten6 Stunden

Kommissar Moreau und das Elend der Schönen: Korsika-Krimi

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Über dieses E-Book

Kommissar Moreau gewinnt bei einer Tombola der Pariser Polizei einen einwöchigen Aufenthalt auf Korsika. Entspannt bewundert er die Schönheit der Insel. Doch gleich am zweiten Urlaubstag lernt er die Schattenseite Korsikas, die Realität, kennen. Ein Motorradfahrer schießt auf dem Cours Napoléon, der Prachtstraße Ajaccios, auf einen Autofahrer, der im Stau steht. Der kann noch zurückschießen, beide sind jedoch tödlich getroffen.

Nach seinem einwöchigen Urlaub wird Moreau bald darauf überraschend von Paris nach Korsika versetzt. Dort soll er einerseits Licht in das Dunkel bringen, wohin ein Teil der drei Milliarden Euro, die Korsika jedes Jahr aus Paris erhält, verschwindet, andererseits soll er die Attentate und Anschläge, die Korsika ständig erschüttern, aufklären. Im Grunde ein hoffnungsloses Unterfangen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum8. Apr. 2015
ISBN9783732334889
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    Buchvorschau

    Kommissar Moreau und das Elend der Schönen - Wilhelm Schneider

    „Es ist unmöglich, einen Korsen zum Dienen zu zwingen!"

    Napoléon Bonaparte

    ENQUÊTE SUR LA GUERRE QUI RAVAGE LA CORSE

    Silence, on tue. C’est la région d’Europe où on assassine le plus. Plus encore qu’en Sicile, si l’on rapporte les meurtres au nombre d’habitants. En toute impunité.

    L’EXPRESS / 28 mai 2009

    BERICHT ÜBER DEN KRIEG, DER KORSIKA VERWÜSTET

    Ruhe, man tötet. Dies ist die Region in Europa, wo am meisten gemordet wird. Mehr als auf Sizilien, wenn man die Ermordeten auf die Zahl der Einwohner bezieht. Und das völlig ungestraft.

    Schreibt die Wochenzeitung L’EXPRESS

    am 28. Mai 2009

    Korsika wird die Insel der Schönheit genannt. La Corse, Ile de Beauté, nennt sie sich auch in den Prospekten gern selbst.

    Während unseren verschiedenen Aufenthalten auf Korsika haben wir, meine Frau und ich, die Schönheit der Insel bei vielen Ausflügen kennen gelernt. Zum Beispiel die wildromantischen Täler und die verwilderten Hausschweine in den Kastanienwäldern, das Weltnaturerbe Scandola, die Kreidefelsen von Bonifacio oder das mondäne Ajaccio, die Geburtsstadt von Napoléon Bonaparte. Es stimmt! Korsika ist wirklich die Insel der Schönheit!

    Aber wir haben auch die andere Seite, die Schattenseite dieser wunderschönen Insel kennen gelernt. Es verging kein Aufenthalt, bei dem wir nicht Anschläge oder Attentate, zwar nicht aus nächster Nähe, jedoch akustisch miterlebt haben. Nun ist es sicherlich auch nicht zu empfehlen, neben einem Attentäter oder einer explodierenden Villa zu stehen, oder in das Visier der korsischen Mafia oder der Separatisten zu geraten. Wir haben auch die Zurückhaltung, ja reale Angst der Korsen, über die Separatisten oder die Mafia zu sprechen, zu spüren bekommen.

    Im vorliegenden Roman sind tatsächlich stattgefundene Überfälle, Attentate und Bombenanschläge in eine frei erfundene, zeitlich veränderte Geschichte mit frei erfundenen Figuren eingebaut.

    Monsieur Marcel Lacroix hatte vom Präsidenten der Republik eine Einladung in den Elysée-Palast erhalten. Lacroix, zur Zeit Präfekt von Marseille, war überregional als nicht besonders ängstlich und ebenso wenig als besonders rücksichtsvoll bekannt. Wenn er zum Beispiel glaubte, schwerwiegende Verfehlungen entdeckt zu haben, ging er denen mit Entschlossenheit nach. Es war ihm bewusst, dass er, wie man so sagt, Ecken und Kanten hatte. Im Laufe der Zeit war er auch etlichen Regionalpolitikern auf die Füße getreten, allerdings nie ohne Grund. Und eines war er ganz sicher: Unbestechlich!

    Als ihn jetzt der Wunsch des Präsidenten erreichte, ihn in Paris sprechen zu wollen, war er sich keiner gravierenden Fehler bewusst, die den Präsidenten hätten aktivieren müssen. Außerdem hatte bisher niemand ihm je ein Fehlverhalten oder etwa Korruption nachweisen können. Und so war er der Überzeugung, dass sein Gewissen ziemlich rein sei. Daher machte er sich zwar gespannt, aber ziemlich unbeschwert auf die Reise nach Paris.

    Claire, seine Frau, attraktiv und resolut, hatte kurzentschlossen entschieden, diese Einladung des Präsidenten endlich einmal selbst für einen Paris-Besuch zu nutzen. Ihr Mann war wiederholt allein in die Metropole gefahren, während sie sich in Marseille langweilen musste.

    Und so saß Claire in Vorfreude auf einen Bummel durch Paris entspannt im TGV von Marseille nach Paris und genoss die vorbeisausende, wechselnde Landschaft, während ihr Mann trotz reinen Gewissens anscheinend doch ins Grübeln versunken war.

    Claire bemerkte den nachdenklichen Gesichtsausdruck ihres Mannes.

    „Und du weißt tatsächlich nicht, was der Präsident von dir will?"

    „Wenn ich es nur wüsste. Ich hatte die Sekretärin des Präsidenten gefragt, aber sie war verschlossen gewesen wie die sprichwörtliche Auster. Ein Informationsgespräch, hatte sie gesagt, das war alles. Vielleicht weiß sie wirklich nicht, worum es geht."

    „Seltsam. Claire war irritiert. „Eine Sekretärin weiß doch sonst immer alles.

    „So sagt man, aber diesmal offenbar nicht. Wenn ich nur wüsste, was der Grund ist. Ich hätte wirklich gern etwas Näheres über den Anlass erfahren, um mich eventuell vorbereiten zu können. Ob es vielleicht um Marseille als Kulturhauptstadt geht?"

    Marseille war nicht unbedingt als eine ruhige, problemlose Stadt zu bezeichnen. Die Stadt war ein Schmelztiegel verschiedenster Nationalitäten und größter sozialer Unterschiede. Daraus resultierte, dass einige Ecken der Stadt nicht unbedingt für touristische Besichtigungen geeignet waren. Es gab zwangsläufig noch genügend ungelöste Probleme. Nun, einige der Problemfälle hatte der angesehene Präfekt aber beherzt angepackt und teilweise ohne jede Hilfe aus Paris gelöst.

    „Mit deiner Arbeit hat es bestimmt nichts zu tun, sinnierte Claire. „Sicher, die Kriminalität ist in Marseille ziemlich hoch, aber die ist in einer Hafenstadt schwer auszumerzen. Dafür hast du mit Erfolg etliche mafiöse Strukturen zerschlagen und einige hochrangige Beamte der Korruption überführt und ins Gefängnis gebracht. Und größere soziale Unruhen in der Nordstadt hast du kürzlich durch geschickte Verhandlungen vermeiden können. Einige Stadtteile sind inzwischen sogar auch ganz passabel hergerichtet. Und die Investitionen für Marseille als Kulturhauptstadt Europas werden sich auch langfristig auszahlen. Marseille wird ein touristischer Magnet werden, da bin ich sicher. Der Präsident muss mit dir doch zufrieden sein. Und dass du unbestechlich bist und ein Attentat unbeschadet überstanden hast, wird er nicht vergessen haben. Es ist bestimmt nichts Schlimmes, was ihn veranlasst hat, dich nach Paris zu rufen.

    „Ich hoffe es, meine Liebe, ich hoffe es."

    Nach einer Nacht im Novotel Paris Halles, neben dem Centre Pompidou und dem Forum des Halles gelegen, bestellte er ein Taxi, um zur Rue du Faubourg-St.-Honoré zu fahren. Madame Lacroix wollte etwas später zu Fuß durch die Stadt bummeln.

    „Ich rufe dich sofort an, wenn ich fertig bin. Dann vereinbaren wir einen Treffpunkt."

    „In Ordnung. Ich weiß allerdings nicht, wo ich dann gerade sein werde."

    „Ich werde dich schon finden. Also bis dann. Und gib nicht zu viel Geld aus."

    Zehn Minuten vor seinem Termin, der auf zehn Uhr angesetzt war, stieg Monsieur Lacroix vor dem Elysée-Palast aus dem Taxi. Mit dem zehnten Glockenschlag wurde er in die heiligen Räume des Präsidenten geführt und von diesem jovial begrüßt.

    „Nun mein lieber Lacroix, Sie wundern sich sicher, dass ich Sie unter so geheimnisvollen Voraussetzungen sehen will. Aber es ist eine äußerst wichtige Sache, die wir erst einmal unter vier Augen besprechen müssen. Später werden wir den Innenminister hinzuziehen. Es geht um eine delikate Angelegenheit und ich muss zunächst wissen, ob Sie überhaupt für das, was ich mit Ihnen vorhabe, bereit sind."

    Monsieur Lacroix sah den Präsidenten nur verständnislos an.

    „Also, kommen wir gleich zur Sache. Wie Sie vielleicht erfahren haben, geht die Amtszeit des Präfekten von Korsika in drei Monaten zu Ende und, wie Sie wahrscheinlich ebenfalls wissen, war er bei der Bekämpfung der Korruption, die auf Korsika grassiert, gelinde ausgedrückt, nicht sehr erfolgreich."

    Lacroix nickte. „Ich hatte vor kurzem mit ihm wegen des Fährstreiks telefoniert. Bei der Gelegenheit hatte er mir gesagt, dass er bald in den Ruhestand gehen und den ganzen Ärger hinter sich lassen würde. Dann kann sich ein anderer hier rumärgern, meinte er zu mir."

    „Unter uns gesagt, ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll. Er hat zwar immer behauptet, sich um die ständig unerklärlich verschwindenden Millionen zu kümmern, ich zweifle allerdings daran, dass er das wirklich ernst gemeint hat. Ich möchte aber jetzt auch nicht mehr nachforschen lassen, ob er selber mit in dem Korruptionssumpf steckt, das würde unnötig politischen Staub aufwirbeln. Das käme mir im Moment verständlicherweise sehr ungelegen. Jedenfalls bin ich froh, dass er geht. Fakt ist, wir wissen immer noch nicht, wo ein großer Teil der Gelder auf Korsika versickert.

    Nun hat vorgestern allerdings zu allem Übel der bereits vorgesehene Nachfolger einen Schlaganfall erlitten. Er wird, wenn überhaupt noch einmal, zumindest über eine lange Zeit keine Amtsgeschäfte mehr führen können. Die Ärzte wollen noch keine Prognose abgeben, ob er bleibende Schäden davontragen wird. Sie sehen, es ist eine äußerst unangenehme Situation für mich. Ich kann doch keinen gesundheitlich angeschlagenen Mann nach Korsika schicken!"

    „Das ist in der Tat ein Problem", konnte Monsieur Lacroix nur bestätigen.

    „Wen soll ich jetzt nach Ajaccio schicken? Ich brauche einen jüngeren, dynamischen Fachmann mit Erfahrung, der endlich etwas erreicht."

    Der Präsident sah dabei Lacroix prüfend an.

    Der zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen bei der Suche helfen kann."

    „Doch, das können Sie! Um es kurz zu machen, ich denke, dass Sie am besten dafür geeignet sind, da Sie die Problematik auf Korsika von allen Infrage Kommenden sicherlich am besten kennen. Ich schätze Ihre hervorragende Arbeit in Marseille und ich denke deshalb, Sie sind durchaus in der Lage, auch auf Korsika aufzuräumen. Die Informationen über die Korruption auf der Insel sind erschreckend. Was ich für Korsika jetzt brauche, ist ein unerschrockener, korruptionsresistenter Mann, der auch dort endlich ausmistet. Es ist zwar schade für Marseille und ich weiß, dass dort noch wichtige Aufgaben unerledigt sind, aber Korsika ist mir im Moment noch wichtiger. Wie Sie wissen, unterstützen wir Korsika mit erheblichen Mitteln, von denen beträchtliche Summen allerdings in dunklen Kanälen versickern. Von den drei Milliarden Euro, die Korsika jedes Jahr überwiesen bekommt, verschwinden jährlich mindestens hohe zwei-, sogar dreistellige Millionenbeträge. Und dann dazu die ständigen antifranzösischen Aktionen und Terroranschläge. Das muss aufhören."

    Der Präsident sah Lacroix fragend an.

    Lacroix hatte nicht im entferntesten daran gedacht, dass man ihn nach Korsika schicken könnte, um dort klar Schiff zu machen.

    „Herr Präsident, Sie sehen mich völlig überrascht. Er holte tief Luft. „Sie stellen mich da vor eine kaum lösbare Aufgabe. Aber ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie in mich setzen. Korsika ist tatsächlich ein großer Problemfall. Wir in Marseille sind ja geographisch Korsika am nächsten und werden allein schon durch die täglichen direkten Fährverbindungen häufig mit Problemen auf Korsika konfrontiert. Denken Sie nur an die notwendigen Kontrollen der Reisenden und der Fahrzeuge, die Suche nach Waffen und Drogen und dann die häufigen Streiks. Und Korruption und organisiertes Verbrechen sind mir natürlich auch in Marseille nicht unbekannt, vielleicht nicht ganz so extrem, wie auf Korsika. Wenn Sie der Meinung sind, ich wäre für diese Aufgabe der richtige Mann, werde ich alles daran setzen, dieser Herausforderung gerecht zu werden. Ja, ich werde die schwierige Aufgabe annehmen. Ob ich das Problem allerdings lösen kann, weiß ich freilich nicht.

    Weitere, dem Präsidenten bekannte Stärken waren Lacroix’s Ehrgeiz und dessen ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Hatte der Präsident das bewusst einkalkuliert? Ganz sicher.

    Der Präsident sah Lacroix wohlwollend an. „Sie sind also bereit, diese schwierige Aufgabe zu übernehmen? Ich möchte Sie gern in Ajaccio haben, denn Sie haben den Ruf, unbestechlich und couragiert zu sein. Ich will auch offen mit Ihnen sein, ich wüsste nicht, wen ich außer Ihnen nach Ajaccio schicken könnte und habe außerdem keine Idee, wie man das Problem Korsika lösen könnte. Das große Dilemma ist, dass man nicht weiß, wem man dort vertrauen kann. Das würde auch für Sie gelten, wenn Sie die Aufgabe übernehmen. Gehen Sie davon aus, zunächst keinem trauen zu können. Jeder kann Zuträger der Mafia oder Informant der FLNC sein. Wir wissen nicht, wer für die Mafia arbeitet und wir kennen auch die tatsächliche Führungsspitze der FLNC nicht. Es war bisher nicht möglich, einen Festlandfranzosen in korsische Führungsstrukturen einzuschleusen. Aber das wissen Sie ja alles selber viel besser. Sie werden jedenfalls jede Unterstützung von mir bekommen, die Sie brauchen. Wir müssen endlich weiterkommen im Kampf gegen Korruption und Terror. Sie können eine Sonderkommission einrichten und ich werde dafür sorgen, dass Sie zu Ihrer Unterstützung zwei der besten Kriminalisten erhalten, die nur Ihnen unterstellt sind und die Sie für besondere Aufgaben einsetzen können. Sind Sie einverstanden?"

    Lacroix, noch ganz perplex, wurde angesichts der Tragweite dieser Entscheidung formell: „Monsieur le président, Sie können auf mich zählen."

    Damit stand der nächste Präfekt für Korsika fest.

    Vor dem Elysée-Palast rief er Claire übers Handy an. „Wo finde ich dich?"

    „Im Lafayette in der Parfümabteilung. Und worum ging es?", wollte sie wissen.

    „Chérie, wir werden demnächst nach Ajaccio übersiedeln!"

    Zwei Wochen später hatte sich im kleinen Konferenzzimmer des Elysee-Palastes eine Viererrunde wichtiger Personen zu einer Besprechung zusammengefunden. An einem kleinen runden Tisch saßen neben dem Präsidenten der Innenminister, der Justizminister und der Präfekt von Marseille.

    „Und?", Monsieur le président sah den Innenminister fragend an.

    „Ich denke, wir haben jetzt den Richtigen für den Posten gefunden", meinte der Innenminister.

    „Und wen haben Sie auserwählt?" Monsieur le président war gespannt, wen sein Innenminister gefunden hatte.

    „Es ist ein gewisser Pascal Moreau, auf den der Justizminister und ich bei unserer Suche gestoßen sind. Der Kandidat ist zurzeit Inspektor im Ressort Wirtschaftskriminalität. Wir waren uns einig, dass der Kandidat für die vorgesehene Aufgabe auf diesem Gebiet bereits große Erfahrung haben muss. Mir wurde berichtet, dass Inspektor Moreau durch seine Akribie und außergewöhnliche Kombinationsgabe sehr erfolgreich ist und dass er, hat er sich einmal an einem Fall festgebissen, wie ein Terrier nicht mehr loslässt. Sein kriminalistischer Spürsinn hat zur Aufklärung etlicher verzwickter Fälle, insbesondere im Bereich von schwerer Wirtschaftskriminalität geführt. Bei seinen Fähigkeiten hätte er eigentlich schon längst befördert sein müssen. Seinen letzten spektakulären Fall, Sie haben sicher von der Leiche im Koffer gehört, hat er in kurzer Zeit bravourös gelöst."

    „Hört sich gut an. Aber wie alt ist denn Ihr 007-Kandidat? Offenbar nicht mehr ganz jung, bei Ihrer Beschreibung und seinen Erfolgen."

    „Nun, er ist im besten Alter, wie man so sagt. Er ist fünfundvierzig Jahre, alleinstehend und voll belastbar. Allerdings hat der letzte, besonders grausame Fall ihn psychisch etwas mitgenommen. Ich habe bereits mit seinem Polizeipsychologen gesprochen. Der meinte, der Mann müsste nur erst einmal eine Woche ausspannen. Wir müssen aber noch seine generelle Einstellung zum Problemfall Korsika prüfen."

    „Und wie wollen Sie das anstellen?", wollte Monsieur Lacroix wissen.

    „Ich sagte ja, dass der Psychologe empfohlen hat, unser Kandidat müsse einmal ausspannen. Und in dem Zusammenhang habe ich eine Idee, wie man seine Eignung zu seiner angedachten Aufgabe diskret prüfen kann. Soviel die bisherige Überprüfung ergab, hat er offenbar keine Beziehungen zu Korsika oder irgendwelche Verbindungen nach dort, aber das werden wir noch genauer prüfen."

    Der Präsident schien zufrieden. „Versuchen wir es mit Ihrem Inspektor Moreau."

    „Wann kann ich den Mann kennenlernen?", wollte Monsieur Lacroix wissen.

    Der Innenminister machte eine abwehrende Handbewegung. „Gedulden Sie sich, wir müssen ihn erst noch genauer durchleuchten."

    Ich saß ungeduldig im Airbus A 320 der Air France und konnte den Abflug von Paris Orly nach Ajaccio kaum erwarten. Ich wollte endlich raus aus diesem nun schon über eine Woche andauernden Nieselregen, raus in die warme Sonne. Acht Tage Urlaub auf der Ile de Beauté, der Insel der Schönheit, wie Korsika genannt wird und sich in Prospekten auch selbst gern nennt, hatte ich vor mir. Herrlich! Dort würde ich den ganzen Tag in der Sonne liegen und meinen letzten Fall vielleicht vergessen können, der mich immer noch nicht nur in meinen nächtlichen Träumen verfolgte.

    Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass das Flugzeug heute bei weitem nicht ausgelastet war.

    „Erstaunlich, sagte ich zur Stewardess, die mich begrüßte, „trotz des wunderbaren Wetters auf Korsika noch so viele freie Plätze? Wo doch die Meteorologen in den Wetterberichten der letzten vier Tage ständig vom schönen, warmen Wetter auf der Ile de Beauté geschwärmt und für Paris nur Tiefs mit Regen, Wind und für die Jahreszeit zu niedrigen Temperaturen übrig hatten. Kommt natürlich alles von Großbritannien rüber. Aber was kann man auch anderes von den Briten erwarten!

    Die Stewardess stimmte mir zu. „Die Pariser haben offenbar die Wetterberichte über Korsika nicht gesehen, sonst wären wir sicher ausgebucht. Oder sie haben sich inzwischen an dieses scheußliche, typisch englische Wetter gewöhnt."

    Ich schüttelte den Kopf. „Das wäre allerdings sehr verwunderlich, denn so anglophil, dass wir englisches Wetter mögen, sind wir Franzosen ganz sicher nicht."

    Die Stewardess zuckte mit den Schultern und setzte ihren Kontrollgang fort.

    Die beiden Plätze neben mir waren noch frei und so richtete ich mich in meinem Sitz bequem schräg sitzend ein.

    Ich sah mich um. Auf diesem Flug gab es keine Platzreservierungen und so war an den Fenstern alles sofort restlos besetzt. Etwa ein Drittel der Sitzplätze war noch frei. Das waren natürlich nur noch die äußerst unbeliebten Mittelplätze und Plätze am Gang.

    Da ich unter den ersten Passagieren gewesen war, die die Maschine betreten hatten, hatte ich mir noch einen dieser begehrten Fensterplätze aussuchen können. Und so saß ich zwei Reihen hinter der Tragfläche auf der linken Seite am Fenster mit freiem Blick nach unten.

    Glück gehabt, sagte ich mir. Ich saß gern am Fenster und war immer fasziniert, während des Fluges die Landschaft unter mir vorüberziehen zu sehen. Mit einem leichten Anflug von Schadenfreude beobachtete ich den jetzt in die Maschine drängenden Pulk von Passagieren, wie jeder mit einem suchenden Blick vergeblich nach einem Fensterplatz Ausschau hielt.

    Wie heißt es doch? Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, oder seit Gorbatschow: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

    Die Stewardessen wollten gerade die Türen schließen, da stürmte im allerletzten Moment ein verspäteter Fluggast kurzatmig und mit hochrotem Kopf durch die vordere Tür in die Maschine. Er kam ein paar Schritte den Gang entlang bis zu meiner Sitzreihe, blickte sich kurz um, entschied sich in Ermangelung eines Fensterplatzes für diese Reihe und schmiss seinen Bordcase und eine schmale Aktentasche auf den mittleren Sitz. Offensichtlich erleichtert, dass er die Maschine noch erreicht hatte, ließ er sich schnaufend in den Sitz am Gang fallen.

    „Gott sei Dank, keuchte der Nachzügler. „Das war knapp!

    Ich tat, als wäre ich in Gedanken versunken und reagierte nicht auf die Bemerkung. Das Erscheinen des Nachzüglers ausgerechnet neben mir empfand ich im Moment als unangenehme Störung. Schließlich gab es noch genügend andere freie Plätze. Ich blickte flüchtig zu meinem Nachbarn hinüber. Hoffentlich versucht er nicht, mir ein belangloses Gespräch über Beruf, Wetter oder Kinder aufzuzwingen, hoffte ich, dazu war ich im Augenblick wirklich nicht aufgelegt. Nein, eine ungezwungene Urlaubsstimmung, wie man sie auf dem Weg in den Urlaub erwarten konnte, hatte noch immer nicht Besitz von mir ergriffen.

    Ich sah zum Fenster hinaus. Der Regen hatte gerade für einen Moment eine Pause eingelegt und durch einzelne kleine Wolkenlücken zwängten sich schüchtern ein paar Sonnenstrahlen. Damit hellte sich auch meine Stimmung schlagartig deutlich auf.

    Mein Nachbar hatte sich inzwischen angeschnallt und schien Gott sei Dank ebenfalls nicht an einem Gespräch interessiert zu sein. Mit einem Taschentuch wischte er sich über die erhitzte Stirn und öffnete seine Aktentasche. Er entnahm ihr eine umfangreiche Mappe, in die er sich augenblicklich vertiefte.

    Unauffällig sah ich zu meinem Nachbarn hinüber. Soweit ich anhand der Zeichnungen erkennen konnte, handelte es sich um Unterlagen über Aufzüge verschiedenster Art und seitenweise Zeichnungen, Zahlen und Preise. Aha, ein Vertreter von Fahrstühlen und Rolltreppen, schloss ich messerscharf aus dem, was ich da erkennen konnte.

    Langsam rollte der Airbus A 320 auf die Startbahn zu und blieb dann aber kurz vor dem Startpunkt hinter zwei anderen Maschinen in Warteposition stehen.

    Das Warten nervte mich. Es stimmte, was meine Kollegen in der letzten Zeit behaupteten, Ungeduld in jeder Beziehung wäre meine hervorstechendste Eigenschaft gewesen. Ich stand, wie man so zu sagen pflegt, tatsächlich ständig unter Strom und fand den imaginären Schalter zum gelegentlichen Abschalten nicht. Nein, meine Nerven waren derzeit nicht mehr die allerbesten und ständig überreizt. Das hatte ich inzwischen selber erkannt. Ich fühlte mich irgendwie ausgebrannt, konnte aber trotzdem keine Ruhe finden. Des Nachts wurde ich oft schweißgebadet wach und schlief danach nur schlecht wieder ein. In meinen Träumen erschien stets ein riesiger Koffer! Es war mir klar, für diese bedenkliche Entwicklung war hauptsächlich mein letzter Fall verantwortlich, denn früher hatte ich solche Probleme nicht gekannt. Ein mir unbekannter, auf der Straße oder im Keller erschossener oder erstochener Mensch konnte mich nicht aus der Fassung bringen, doch der letzte Tote war etwas anderes.

    Immerhin war ich jetzt soweit, dass ich mir sagte, einmal raus aus der Tretmühle, endlich einmal eine Woche ausspannen. Das war mir schon lange nicht mehr möglich gewesen, allerdings, wenn ich ehrlich war, nicht ohne eigenes Verschulden. Immer wieder war etwas sehr Wichtiges dazwischen gekommen, das, wie ich meinte, nicht aufgeschoben oder delegiert werden konnte.

    Doch dann war mir unverhofft das Glück hold. Bei einer Tombola der Pariser Polizei hatte ich das richtige Los gekauft, einen der Hauptgewinne: Eine Woche Urlaub auf Korsika! Und die Woche war zeitlich vorgegeben, sie ließ sich nicht verschieben.

    So saß ich also jetzt im Flieger. Was blieb mir auch übrig, wenn ich den Gewinn nicht verfallen lassen wollte? Und das wollte ich auf keinen Fall.

    In Paris hatte man im Laufe der Jahre meine außergewöhnlichen Fähigkeiten wahrscheinlich bemerkt. Jedenfalls wünschten mir alle eine gute Erholung und baldige Rückkehr, da weitere verzwickte Fälle auf mich warten würden. In meinem letzten Fall hatten sich die Ermittlungen über vier Wochen hingezogen und mir keine Pause gelassen und der Ausgang war selbst für einen erfahrenen Kriminalisten wie mich, nur schwer zu ertragen.

    Ich war jetzt fünfundvierzig Jahre und damit im so genannten besten Alter, und meiner Meinung nach auch voll belastbar. Dennoch, auch ein Mann in diesem Alter muss einmal ausspannen. Das hatte ich nach eindringlichem Zureden meines Chefs und meiner Kollegen endlich doch eingesehen und das Glückslos kam da gerade recht. Irgendwann braucht auch ein außergewöhnlicher Kriminalist eine schöpferische Pause. Und im Moment wollte ich tatsächlich nur abschalten. Deswegen saß ich schließlich in diesem Flieger.

    Die Stewardess ging ein letztes Mal durch den Gang, kontrollierte, ob alle Passagiere ordnungsgemäß angeschnallt waren und schloss im Vorbeigehen die Gepäckklappen über den Sitzreihen. Mein Nachbar wurde aufgefordert, sein Bordcase vom Sitz zu nehmen und im Gepäckfach oder unter seinem Sitz zu verstauen. Eine zweite Stewardess demonstrierte mit Tai Chi-ähnlichen Bewegungen während dessen den Gebrauch der Sauerstoffmasken und der Schwimmwesten. Endlich, etwa zehn oder zwölf Minuten später, heulten endlich die Düsen auf. Die anderen Maschinen waren weg, der Start war freigegeben. Bereits beim Einbiegen auf die Startbahn beschleunigte der Airbus und ein gewaltiger Schub presste die Fluggäste in ihre Sitze. Der Airbus A320 wurde immer schneller. Dann zog der Pilot die Flugzeugnase nach oben. Das Flugzeug gewann schnell an Höhe.

    Unten wurde binnen kurzem alles immer kleiner. Durch die Wolkenlücken sahen die Gebäude und die Landschaft bald wie die Miniaturen eines Modellbauers aus. Wenn man jetzt nach unten sah, hatte man das Gefühl, als würde das Flugzeug immer langsamer, aber der Schein trog wohl, jedenfalls blieb die Maschine oben. Die Turbinen summten leise und beruhigend gleichmäßig vor sich hin.

    Plötzlich durchbrach die Maschine die Wolkendecke und es ging in gleißendem Sonnenschein gen Süden.

    Ich hatte es mir inzwischen bequem gemacht, doch die Anspannung wollte allerdings nur langsam schwinden.

    „Haben Sie einen Wunsch?", wollte die Stewardess wissen.

    „Ja, bringen Sie mir bitte eine kleine Flasche Veuve Clicquot."

    Der Champagner würde meine Stimmung vielleicht endlich aufhellen.

    Mein Nachbar begnügte sich mit einem Kaffee.

    Als die Stewardess die Getränke brachte, legte er seine Unterlagen auf die Tasche, wandte sich dabei mir zu und sagte mit einem freundlichen Kopfnicken nur: „Gestatten, Blümli".

    Blümli war anscheinend sein Name. Mit dem „i hinten bestimmt ein Schweizer, war ich ziemlich sicher. Ein „i hinten ist doch typisch schweizerisch. Und prompt kam auch gleich die Bestätigung.

    „Ist es nicht wunderbar, in der Sonne zu fliegen, während unten alles grau ist? Wir hatten in Zürich in den letzten Tagen auch keine Sonne gesehen."

    „Monsieur Blümli, das ist wunderbar, ich meine das in der Sonne fliegen. Ich freue mich ebenfalls, sie endlich wieder zu sehen und es tut mir leid, dass Sie in Zürich auch schlechtes Wetter hatten. Ich holte tief Luft. „Aber im Moment bin ich etwas abgespannt und müde.

    „Ist schon gut. Entschuldigen Sie. Ich lasse Sie in Ruhe."

    Während ich mir ein Glas Champagner eingoss, kamen mir wieder die Bilder meines letzten, spektakulären Falles ins Bewusstsein.

    „Nein, nein, sagte ich nach einer Weile und schüttelte etwas abwesend den Kopf. „Ich muss mich entschuldigen. Ich wollte nicht unhöflich sein.

    Obwohl ich versuchte, sie zu verdrängen, ließen die Gedanken mich einfach nicht los. Es war allerdings auch mein bei weitem schrecklichster Fall, den ich erst kürzlich abgeschlossen hatte, und die entsetzlichen Bilder ließen sich nicht so einfach aus dem Gedächtnis löschen. Das Gehirn ist eben keine Computerfestplatte, bei der ein Mausklick reicht und alle Informationen sind weg. Es wäre schön, aber so einfach funktioniert das Gehirn leider nicht.

    Und dabei sah dieser Fall zunächst nur nach einem ganz normalen Wirtschaftsverbrechen aus, einer Unterschlagung von allerdings mehreren Millionen Euro. Doch dann kam ein bestialischer Mord hinzu.

    Vor meinem geistigen Auge sah ich den übergroßen, schwarzen Koffer mit dem Torso eines Menschen mittleren Alters halb versteckt hinter einem Gebüsch im Bois de Boulogne liegen. Der Anblick hatte sich unauslöschlich in meinem Gehirn eingebrannt und ich glaubte, den ekelhaften Geruch, der dem großen Koffer beim Öffnen entwich, jetzt noch in der Nase zu spüren.

    „Monsieur Blümli, Sie müssen nachsichtig mit mir sein, mich verfolgen im Moment noch unangenehme Gedanken, die ich erst abschütteln muss. Übrigens, mein Name ist Moreau, Inspektor bei der Pariser Kriminalpolizei und mein letzter Fall war außergewöhnlich hart. Er lässt mich einfach nicht los. Im Moment warte ich noch auf die richtige Urlaubsstimmung", ich deutete auf die Champagner-Flasche.

    „Schon in Ordnung, Inspektor, Sie müssen mir nichts erklären."

    Einen Moment lang überlegte ich und meinte schließlich: „Wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen die Geschichte, sie ging ja durch alle Zeitungen."

    Ich machte eine kurze Pause, um meinen Entschluss noch einmal zu überdenken und rang mich dazu durch, mich einem Fremden gegenüber zu öffnen.

    „Vielleicht ist es für mich besser, mit jemandem einmal darüber zu sprechen. Die Psychologen behaupten ja, man verarbeitet das Erlebte dann besser. Ich verrate damit auch keine Geheimnisse."

    „Nur zu, Monsieur l’inspecteur, wann hat man schon einmal die Gelegenheit, eine dramatische Kriminalgeschichte aus erster Hand zu erfahren? Ich übernehme gern die Rolle des Psychologen und höre Ihnen zu."

    „Also gut. Vielleicht hilft es mir tatsächlich, mit jemandem über die Geschichte zu sprechen und dadurch die Sache besser hinter mich zu bringen. Wahrscheinlich komme ich damit einer gelockerten Urlaubsstimmung näher".

    Und ich erzählte meinem Nachbarn die haarsträubende Geschichte meines letzten Falles.

    „Ein älterer Herr, der täglich seinen großen Leonberger im Bois de Boulogne ausführte, hatte ihn, wie jeden Tag, ohne Leine laufen lassen, als dieser schnurstracks zu einem etwa zwanzig Meter von Weg entfernten Gebüsch lief und sich selbst durch die energischen Rufe seines Herrchens nicht davon abbringen ließ, weiter in das Gebüsch einzudringen. Es blieb dem schimpfenden Mann nichts weiter übrig, als dem Hund zu folgen, um ihn anzuleinen. Der Hundebesitzer hatte Angst, dass sein Hund auf die etwa dreißig Meter weiter hinter dem Gebüsch verlaufende, von Autos befahrene Straße laufen könnte.

    Als er den Hund endlich auf der hinteren, vom Weg nicht einsehbaren Seite des Gebüsches fand, stand dieser neben einem halb ins Gebüsch geschobenen, übergroßen, schwarzen Koffer aus Stoff und schnupperte daran. Neugierig wollte der Mann im ersten Moment den Reißverschluss des Koffers öffnen, aber ein unangenehmer Geruch schlug ihm bereits entgegen, als er sich zum Koffer hinunterbeugte und hielt ihn von seinem Vorhaben ab.

    Und ausgerechnet heute hatte er sein Handy zu Hause liegen lassen. So blieb ihm nichts weiter übrig, als zur Telefonzelle am Rande des Bois de Boulogne zu gehen und von dort die Polizei anzurufen. Man bat ihn, an der Telefonzelle auf die Beamten zu warten, die man sofort schicken würde.

    Es dauerte keine fünf Minuten, als ein Polizeiwagen mit rotierendem Blaulicht eintraf. Kurz darauf kam auch schon die Spurensicherung. Bei herrenlosen Koffern ist man in Paris inzwischen sehr vorsichtig, es könnte ja eine Bombe sein. Die Beamten ließen sich den Fundort zeigen. Ein Beamter von der Spurensicherung sah sich das Terrain an und suchte offensichtlich nach Schleifspuren im Gras, ein zweiter befasste sich dann außerordentlich akribisch mit dem Äußeren des Koffers.

    Es war ein riesiger, schwarzer Koffer aus Stoff mit stabilen Doppelrollen und zwei Reißverschlüssen, so dass man den Innenraum vergrößern konnte. Da der Koffer an einer abseits gelegenen Stelle stand und noch dazu einen widerlichen Gestank verbreitete, schloss die Spurensicherung daraus, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um eine Bombe handeln würde. Die hätte man sicherlich in einer Metrostation oder an einer belebten Ecke von Paris mit einem Zeitzünder deponiert und nicht in einem abseits gelegenen Gebüsch. Außerdem musste eine effektive Bombe nicht die Ausmaße eines übergroßen Koffers haben."

    Herr Blümli nickte zustimmend, das war einleuchtend.

    „Also würde man den Inhalt des Koffers an Ort und Stelle überprüfen können, zumal die beiden Beamten der Spurensicherung auf Grund des unangenehmen Geruches ahnten, was sie finden würden.

    Als der Beamte den Reißverschluss endlich vorsichtig weinige Zentimeter aufzog, verbreitete sich augenblicklich ein intensiver, bestialischer Gestank und zwei oder drei Fliegen entflohen bei dieser Gelegenheit ihrem düsteren Gefängnis.

    Der Koffer enthielt offensichtlich einen menschlichen Torso, soviel stand für die Experten fest, denn für eine komplette Leiche war der Koffer wiederum zu klein. Sofort wurde der Koffer wieder verschlossen und ein Gerichtsmediziner zum Fundort gerufen.

    Es ist ja bekannt, dass Pathologen immer sehr eigen bei Leichenfunden sind. Sie wollen stets selber gern den Fundort begutachten, selbst wenn in diesem Fall davon ausgegangen werden konnte, dass der Fundort mit Sicherheit nicht der Tatort war. Außerdem brauchten sie die Fliegen und die Maden unbedingt zur Bestimmung des Todeszeitpunktes."

    Herr Blümli nickte wieder zustimmend: „Ich habe davon gehört."

    „Zu dieser Zeit hatte ein Finanzskandal größeren Ausmaßes für einen Riesenwirbel in den Medien gesorgt. Professor Robin, Wirtschaftsprüfer und namhafter Fachmann in Wirtschaftsstrafsachen, hatte in einem großen Konzern bei einer Finanzprüfung große, allerdings gut getarnte Unregelmäßigkeiten entdeckt. Die Zeitungen schrieben von vier Millionen Euro, die auf ungeklärte Weise verschwunden waren.

    Ich hatte bereits schon zweimal mit Professor Robin wegen einer größeren Bestechungsgeschichte und einer Unterschlagungsaffäre zusammengearbeitet und dabei den Professor als zuverlässigen, fast pedantischen Menschen kennen gelernt.

    Eines Tages schien der Professor während gemeinsamer Ermittlungen im letzten Millionenskandal wie vom Erdboden verschluckt. Wir hatten uns verabredet und ich wartete am vereinbarten Treffpunkt vergeblich, der Professor kam nicht und war auch telefonisch nicht erreichbar. Das war für den sonst immer auf Pünktlichkeit bedachten Professor sehr ungewöhnlich.

    Als ich nach Tagen noch immer nichts von Professor Robin gehört hatte, machte ich mir ernste Sorgen. Es musste in dem anhängigen Verfahren ja weitergehen.

    Da man inzwischen ein Verbrechen vermutete, wurde ich jetzt stets sofort bei Leichenfunden hinzugezogen, um eventuell bei der Identifizierung zu helfen. Und so kam es, dass ich gleichfalls zum Fundort dieses mysteriösen Koffers gebeten wurde.

    Es war selbst für einen abgehärteten Kriminalisten wie mich ein furchtbarer Anblick. Ich hatte im Laufe der Jahre schon etliche unschöne Leichen gesehen, aber dieser verwesende Torso eines mir vielleicht bekannten Menschen im Koffer mochte für einen Pathologen einen gewissen Reiz haben und eine Herausforderung darstellen, für mich war es das Schlimmste, was ich in dieser Beziehung bisher gesehen hatte. Eine komplette Leiche, na gut, aber ein verwesender Torso? Furchtbar.

    Nach Ansicht des Gerichtsmediziners musste der Koffer aufgrund des Verwesungsgrades und der Tatsache, dass sich schon Maden entwickelt hatten und Fliegen vorhanden waren, wahrscheinlich bereits mehrere Tage in der Wärme gestanden haben. Den genauen Todeszeitpunkt würde, wie üblich, erst eine Obduktion ergeben.

    Da der Torso neben fehlenden Gliedmaßen auch keinen Kopf mehr besaß, konnte ich beim besten Willen nicht sagen, ob es der vermisste Wirtschaftsprofessor war. Selbst ein großes Muttermal auf der linken Schulter des Torsos konnte hier nicht helfen, da ich nie mit dem Professor zusammen in einer Sauna gesessen hatte. Ebenso konnte wegen des fehlenden Kopfes auch kein Bild in den Medien veröffentlicht werden. Erst die unverzüglich durchgeführte DNA-Analyse hatte dann ergeben, dass es sich tatsächlich um den gesuchten Professor handelte.

    Einen Hinweis auf den Täterkreis konnten die Pathologen nach der Untersuchung des Torsos nach dem Ausschlussverfahren geben. Auf Grund der dilettantischen Art, wie die Körperteile abgetrennt worden waren, konnte man davon ausgehen, dass der oder die Täter nicht dem Berufsstand der Chirurgen oder der Fleischer angehörten.

    Ich hatte, wie bereits erwähnt, früher schon in verschiedenen Fällen mit Professor Robin zusammengearbeitet, so auch im letzten Fall. Es war mir sofort klar, wo ich bei der Suche nach den Tätern ansetzen musste. Es ging um viel Geld und um exponierte Stellungen."

    Herr Blümli zeigte Verständnis: „Beides möchte man natürlich nicht verlieren."

    „Als vereidigter Wirtschaftsprüfer war Professor Robin bei einer fälligen Routineprüfung auf gut kaschierte Manipulationen in der Finanzabteilung eines großen Automobilunternehmens gestoßen. Bei seinen weiteren Überprüfungen blieben im Laufe der Ermittlungen für den Professor nur der Finanzchef der Firma und ein leitender Bankangestellter als Verdächtige übrig. Untere Angestellte hätten diese Summen nicht unbemerkt am Finanzchef vorbei abzweigen können.

    Als der Professor feststellte, dass es hier um Millionen ging, hatte er mich daraufhin eingeschaltet und mit mir den Fall besprochen. Daher kannte ich die verdächtigen Personen des letzten Falles, an dem der Professor gearbeitet hatte."

    Herr Blümli nickte leicht mit dem Kopf. „Gut, dass Sie informiert waren."

    „Ja. Dadurch hatte ich sofort Ansatzpunkte. Was war zuvor geschehen? Der Finanzchef eines Automobilkonzerns hatte zusammen mit dem Leiter des Kreditwesens für Industriekredite einer Großbank das Unternehmen um mehr als drei Millionen Euro betrogen. Die Summe wurde vom Konto der Firma bei der Großbank abgebucht und auf Privatkonten umgebucht. Dafür wurden Kostenstellen verschiedener Sparten für die Begleichung von Scheinrechnungen belastet, ohne dass die Waren geliefert oder die Leistungen jemals erbracht worden waren.

    Wie mir die beiden Täter erzählten, war Professor Robin hinter die Machenschaften der beiden gekommen und ihnen damit natürlich auch gefährlich geworden. Er hatte entdeckt, wem das Privatkonto gehörte, auf das das Geld geflossen war. Ein Angebot von Schweigegeld hatte er abgelehnt und den beiden Betrügern bei einem Treffen im Haus des Finanzchefs unmissverständlich mitgeteilt, er sei nicht bestechlich. Damit hatte er selber sein Todesurteil besiegelt.

    Aus Angst vor den Konsequenzen der Entdeckung, was Geldverlust, Gefängnis und sozialer Abstieg bedeutete, wurde der Professor in einer Kurzschlusshandlung rücklings erschlagen. Dabei hätte es den Tätern bei ihrer zweifellos vorhandenen Intelligenz eigentlich klar sein müssen, dass der Betrug auf längere Zeit sicher nicht zu vertuschen und der Mord damit unsinnig war. Aber auch Intelligenz schützt unter Stress nicht immer vor Kurzschlusshandlungen. Das Fatale an der Sache war, dass die beiden nicht ahnten, dass der Professor inzwischen mit mir ausführlich diesen Fall besprochen und die Verdächtigen namentlich erwähnt hatte.

    Jedenfalls hatten die beiden neben ihrem Finanzproblem plötzlich ein weiteres Problem, nämlich einen toten Professor im Haus, der verschwinden musste. Das erforderte eine spontane Improvisation. Bei einem geplanten Mord hätte man Vorbereitungen treffen können und den Mord nicht in der eigenen Wohnung durchgeführt, aber so?

    Der Finanzchef wollte verständlicherweise keine Leiche längere Zeit in seinem Hause aufbewahren. Also wurde sie auf eine große Folie, die der Hausherr glücklicherweise nach der letzten Renovierung in seinem Keller aufgehoben hatte, gelegt und für den Transport in handhabbare Stücke zerteilt. Das war allerdings eine sehr blutige Arbeit, schließlich enthält der Körper eines normalen Menschen etwa fünf bis sechs Liter Blut. Wenn man bedenkt, dass selbst bei kleineren Verletzungen bereits starke Blutungen auftreten können, wie ist es dann erst, wenn man einen Menschen zerkleinert. Selbst wenn das Herz nicht mehr pumpt, fließt eine größere Menge Blut aus den an fünf Trennstellen noch unter leichtem Druck stehenden, durchtrennten Hauptschlagadern und Venen.

    Für einen Laien ohne chirurgische Kenntnisse ist das Zerlegen eines Menschen zumindest beim ersten Mal vermutlich eine schwierige Arbeit und körperlich anstrengend, selbst wenn das geeignete Werkzeug vorhanden ist und es kostet sicherlich eine enorme Überwindung. Es handelte sich ja schließlich nicht um ein Hähnchen. Im letzteren

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