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Stadt, Land, Fluss - Mitteleuropa: Tagebuch einer außergewöhnlichen Radreise durch Deutschland, Polen, Tschechien, Österreich, Ungarn, Slowenien und Italien 2014
Stadt, Land, Fluss - Mitteleuropa: Tagebuch einer außergewöhnlichen Radreise durch Deutschland, Polen, Tschechien, Österreich, Ungarn, Slowenien und Italien 2014
Stadt, Land, Fluss - Mitteleuropa: Tagebuch einer außergewöhnlichen Radreise durch Deutschland, Polen, Tschechien, Österreich, Ungarn, Slowenien und Italien 2014
eBook309 Seiten3 Stunden

Stadt, Land, Fluss - Mitteleuropa: Tagebuch einer außergewöhnlichen Radreise durch Deutschland, Polen, Tschechien, Österreich, Ungarn, Slowenien und Italien 2014

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Über dieses E-Book

Allein mit dem Fahrrad fährt der Autor auf einer Route entlang dem Rhein, der Lahn und der Weser nach Norden, dem Mittellandkanal und der Oder nach Osten und dann der römischen Bernsteinstraße nach Süden bis zur Adria. Auf dieser Route besucht er u. a. die Städte Limburg, Marburg, Fritzlar, Hameln, Hannover, Braunschweig, Magdeburg, Potsdam, Breslau, Glatz, Olmütz, Brünn, Wien, Laibach, Görtz, Grado und Venedig, mithin bedeutende Schauplätze der europäischen Geschichte. Auf dem Rückweg durchquert er die Alpen auf dem zauberhaften Ciclovia Alpe-Adria von Udine über Tarvisio und Villach nach Spittal. Dabei hat er viele weniger bekannte und besuchte aber dennoch hochinteressante Städte einbezogen, was ihm besonders wichtig ist. "Stadt, Land, Fluss - Mitteleuropa" ist nicht nur eine spannende Tourbeschreibung, sondern auch ein informativer Erfahrungsbericht über die Begegnung mit einem weithin unbekannten, östlichen Mitteleuropa.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum23. Okt. 2015
ISBN9783732358830
Stadt, Land, Fluss - Mitteleuropa: Tagebuch einer außergewöhnlichen Radreise durch Deutschland, Polen, Tschechien, Österreich, Ungarn, Slowenien und Italien 2014

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    Buchvorschau

    Stadt, Land, Fluss - Mitteleuropa - Volker Mayer

    I.   

    Vorbemerkungen zum Frühjahr

    Schon am zweiten Tag des Neuen Jahres 2014 befinde ich mich auf dem Anflug zur abenteuerlichsten Winterreise meines Lebens. Als ich in Arusha am Fuß des Kilimanjaros aussteige, liegt eine aufregende Tour durch den Süden des afrikanischen Kontinents durch die Länder Tansania, Sambia, Simbabwe, Botswana, Namibia und Südafrika vor mir. Mit Bedacht habe ich die Route ausgewählt und dadurch Höhepunkt an Höhepunkt gereiht. Weltklasse-Sehenswürdigkeiten arbeite ich ab wie die Perlen eines Rosenkranzes: Serengeti – Ngoro-Ngoro-Krater – Dar es Salaam – Ruinenstadt Kilwa – Viktoriasee – Tanganjikasee – Viktoria-Wasserfälle – Ruinenstadt Great Simbabwe – Okavango-Delta – Namib-Wüste – Swakobmund – Lüderitz – Kolmanskoop – Fish-River-Canyon – Kimberley – Pietermaritzburg – Drakensberge – Durban – Kapstadt.

    Bei meinem Winterurlaub in Mühlbach in der ersten Aprilhälfte sind die Schneeverhältnisse schon so schlecht, dass ich auf das Skilaufen lieber verzichte. Ein Chinaaufenthalt für den SES im Juni wirbelt meinen Jahresrhythmus vollends durcheinander. Dabei ist es nach dem Einsatz in der Provinz Zheijang möglich, einen besseren Blick auf Shanghai zu werfen als bisher. Dennoch lasse ich auch in meinem 72. Lebensjahr keinen Zweifel daran aufkommen, in diesem Sommer eine Große Radtour zu unternehmen. Da kaum 50 Tage zur Verfügung stehen, muss sie entsprechend kürzer ausfallen. Ich entscheide mich, über Berlin, Breslau und entlang der historischen Bernsteinstraße nach Venedig zu radeln, und auf dem Rückweg durch die Alpen ein paar Tage in Mühlbach zu verbringen.

    Meine Ausrüstung ist in den letzten Jahren Zug um Zug besser geworden, und ich habe sogar das schlechte Wetter in Schottland im letzten Jahr gut überstanden. Auch die Vorbereitung meines Zweirads ist inzwischen reine Routine, und ich bin nunmehr seit zwei Jahren ohne jede Panne unterwegs. Ich lasse neue Reifen und Bremsbeläge montieren und verschiebe die neuen Pedale auf die nächste Saison. Zum ersten Mal habe ich mein Nokia-Smartphone auf der Großen Tour dabei, das ein vorzügliches Navigationssystem enthält, und auf das man Karten der ganzen Welt laden kann. Außer meinen alten Radtourenkarten nehme ich nur noch eine in meinen Unterlagen vorhandene Karte für Südwestpolen mit und möchte mich ansonsten auf das Telefon verlassen.

    In der Republik kommt die Große Koalition ins Laufen und schießt nach Meinung der Wirtschaftsforschungsinstitute links über das Ziel hinaus. Bei den Europawahlen im Mai beginnt der Aufstieg der AfD. In ganz Europa werden auffällig viele Europagegner in das Europäische Parlament gewählt. Das Jahr 2014 markiert indes eine Wende der Weltpolitik.

    War man bislang der Meinung, der Kalte Krieg sei vorüber, wird man nun eines besseren belehrt. Noch vor Monaten konnte man sich nicht vorstellen, dass Grenzen wieder gewaltsam verändert werden könnten. Russland hatte wohl noch einige Rechnungen mit dem Westen offen und annektiert völkerrechtswidrig die Halbinsel Krim. Separatisten zetteln einen Bürgerkrieg um die südöstlichen Provinzen der Ukraine Donezk und Luhansk an und werden von Russland unverhohlen unterstützt. OSZE-Vertreter werden entführt und gefangen gehalten. Forbes wählt Putin zum mächtigsten Mann der Welt, da er machen kann, was er will. Der Westen reagiert ziemlich hilflos mit Wirtschaftssanktionen, deren Wirkung umstritten ist. Mitten in Europa entsteht ein Konflikt, der auf Jahrzehnte unlösbar erscheint. Bemerkenswert ist, wie auf beiden Seiten gelogen wird, was ich nach den Lehren der Weltkriege nicht mehr für möglich gehalten hätte. Ein neuer Vorhang ist entstanden, auf dessen beiden Seiten offensichtlich unterschiedliche Wertevorstellungen und Völkerrechte gelten.

    In Syrien gerät der Bürgerkrieg weiter außer Kontrolle. Aus ISIS wird IS, der mit beispielloser Brutalität Stadt um Stadt im Irak und in Syrien erobert, sich mit der Einnahme von Ölquellen immer besser finanziert und in seinem Herrschaftsgebiet staatliche Strukturen aufbaut.

    Der Bürgerkrieg im Südsudan geht weiter, in Somalia herrscht nach wie vor Anarchie, in Nigeria verüben die Islamisten der Boko Haram grausame Anschläge und entführen Schulmädchen, eine Brandkatastrophe zerstört eine meiner Lieblingsstädte, Valparaiso in Chile. Ein malaysisches Verkehrsflugzeug verschwindet von den Radarschirmen und wird verzweifelt gesucht, ein Grubenunglück in Westanatolien fordert über 300 Todesopfer und offenbart den miesen Charakter des türkischen Führers Erdogan, mit einem Terroranschlag in Ürümqi zeigen die Islamisten Flagge in China.

    Bedeutende Persönlichkeiten sterben im ersten Halbjahr 2014: die Schriftsteller Urs Widmer im Alter von 75 und Gabriel Garcia-Marquez mit 87 (Literaturnobelpreis 1982), der Oskarpreisträger Maximilian Schell mit 88 und der ehemalige Schauspieler und Gründer von „Menschen für Menschen" Karlheinz Böhm mit 86. Der spanische König Juan Carlos tritt von einer Krankheit gezeichnet zurück.

    Im Sport wirft das alles überragende Ereignis der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien seinen Schatten voraus. Aber zuerst muss die Bundesligasaison zu Ende gespielt werden. Der FC Bayern München wird mit seinem Trainer Pep Guardiola überlegen Deutscher Meister, scheidet in der Championsleague aber mit deutlichen Niederlagen gegen Real Madrid im Halbfinale aus. Der Erschaffer des Erfolgsclubs Uli Höneß wandert wegen Steuerhinterziehung für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Der VfB Stuttgart vermeidet mit dem Nottrainer Huub Stevens mühsam als Tabellenfünfzehnter den Abstieg, nicht weil er gut gespielt hätte, sondern weil Hamburg, Nürnberg und Braunschweig unsäglich schlecht waren.

    Als endlich die Spiele der Fußballweltmeisterschaften beginnen, bin ich noch in China. Die erste Halbzeit des Gruppenspiels der deutschen Mannschaft gegen Portugal sehe ich im Flughafen in Frankfurt auf einem Fernsehgerät in der Ankunftshalle und die zweite Halbzeit in einem Bäckercafé im Fernbahnhof des Flughafens. Deutschland bejubelt einen 4:0-Sieg nach sehr günstigem Spielverlauf (1:0 durch Elfmeter und Platzverweis eines Portugiesen). Auf meine Anmerkung, dass auch Glück dabei sei, werde ich von meinem Nachbarn im Café, Christian Heidel, Manager von Mainz 05, forsch angeherrscht, dass hier der vierte gegen den zweiten der Weltrangliste spiele, und dass es nichts zu meckern gäbe.

    Nach Hause zurückgekehrt arbeite ich verbissen an meinem Schlussbericht zum Chinaeinsatz und muss den Start meiner Großen Fahrradtour Woche um Woche verschieben, kann aber dabei die Gruppenspiele der deutschen Mannschaft gegen Ghana (2:2), die USA (1:0), das Achtelfinale gegen Algerien (2:1 n. V.), das Viertelfinale gegen Frankreich (1:0) und das Halbfinale gegen Brasilien zu Hause verfolgen. Letzteres gerät zum historischen Ereignis. Der 7:1-Sieg der Deutschen gegen den Gastgeber Brasilien erscheint auch nach langer Zeit noch unwirklich und wie im Traum erlebt. Aber es ist reine Realität, und Miroslav Klose wird mit seinem 16. Tor zum Rekordtorschützen aller Weltmeisterschaften. In der Formel 1 beginnt mit neuen Regeln eine neue Ära. Die Mercedes - Silberpfeile dominieren, Sebastian Vettel fährt sogar hinter seinem Teamgefährten Riccardo hinterher.

    Am 09. Juli ist meine Chinaakte 2014 geschlossen, meine Taschen und Säcke sind seit dem Vortag gepackt, aber es regnet. Am Abend gewinnt Argentinien das zweite Halbfinalspiel nach Elfmeterschießen gegen die Niederlande. Meine Vorbereitungen sind abgeschlossen, und ich bin fest entschlossen, am nächsten Tag in spannender Erwartung des Endspiels in Rio de Janeiro am 13. Juli zu starten.

    ****

    II. Rhein und Lahn: Herrliche Fahrt durch eine einmalige Flussromantik

    1.  Donnerstag, 10. 07. 014 : Von Landau über Speyer nach Worms – Durch die Pfalz, ein Obst- und Gemüsegarten. 87,6 km

    Dunkelgraue Wolken verdüstern den Himmel, als ich in meine Große Radtour 2014 starte. Gestern haben Regenschauer die Sommerhitze gebrochen, heute scheint es trocken zu bleiben, gute Voraussetzungen für den Anfang. Durch den Chinaaufenthalt bin ich mir nicht im Klaren über meine Form, fahre langsam und behutsam und nehme mir vor, nur bis Worms zu radeln, was deutlich weniger als 100 km wären. Der gute Verlauf der Fußballweltmeisterschaft für die deutsche Mannschaft und der sich erfolgreich anfühlende Chinaeinsatz geben mir Schwung, das sonst übliche Lampenfieber und die irrationalen Ängste sind verdrängt.

    Ich lasse die herrliche Landschaft der Vorderpfalz zurück, die hinter mir nach Westen am Haardtrand in Berge mit über 600 m Meereshöhe ansteigt. Zur Rheinebene geht es kaum spürbar abwärts, das ideale Terrain, um eine gute Form aufzubauen. Die Weinberge liegen hinter mir und machen dem Salat- und Gemüseanbau Platz. Schon immer war für mich die Pfalz so etwas wie ein Garten Eden, wo alles wächst und gedeiht bis hin zu Feigen, Tabak und Esskastanien. Die Landwirtschaft ist personalintensiv. Ganze Horden von Saisonarbeitern sind vielerorts beim Pflücken und Sammeln.

    Die Strecke kenne ich wie meine Hosentasche, nach Osten aus Landau hinaus, am Golfplatz Dreihof vorbei, durch den Wald am Hochstädter Bahnhof vorbei zwischen satten grünen Zwiebelfeldern hindurch nach Zeiskam. Wie immer wenn ich nach Norden radle, steuere ich die Rheinauen an. Gleichwohl bin ich nicht mehr bereit, die Umwege auf dem Rheinauenradweg bei Waldsee zu fahren, und radle zügig nach Speyer. Schon zum fünften Mal komme ich während meiner Großen Radtouren durch Speyer. So nah bei Landau ist die Stadt, dass ich meist achtlos hindurchradle. Dabei hat sie eine uralte Geschichte, existierte bereits bei den Römern, war Freie Reichsstadt, Verwaltungssitz der Bayern für die Pfalz seit 1816 und beherbergt mit dem Kaiser- und Mariendom die weltweit größte erhaltene romanische Kirche.

    Ich halte mich in der schönen Stadt nicht auf, radle an der neugotischen Gedächtniskirche vorbei, über den Postplatz mit dem Altpörtel, an der Josephskirche und am Bahnhof vorbei Richtung Schifferstadt. Ich trage kurze Sachen, und mir ist kalt. Deshalb lege ich die Mittagspause in einem Imbiss ein mit Pasta, um mich ein wenig zu wärmen. Einmal mehr bewundere ich das alte Rathaus in Schifferstadt, dann geht es weiter nach Dannstadt und Maxdorf. Obwohl ich die Strecke vor zwei Jahren auf dem Weg in die Ukraine bereits gefahren bin, kommt sie mir reichlich fremd vor, und verfahre mich mehrfach. Ich muss zudem feststellen, dass sich die Verkehrssituation im Vergleich zu meinen alten Radtourenkarten erheblich geändert hat.

    Vor Lambsheim gerate ich auf eine neue Umgehungsstraße und muss erst zurück ins Dorf, wo ich keine Straße nach Heßheim finde. Zwangsläufig radle ich Richtung Gerolsheim, komme an der Deponie vorbei, biege dann rechts ab nach Heßheim. Damit habe ich auch Frankenthal großräumig umfahren und komme über Groß- und Kleinniedesheim nach Weinsheim und Worms. Ich freue mich, als ich mich von oben der alten Reichsstadt mit ihren Türmen nähere.

    Der Anfang am Morgen war sehr schwer, aber jetzt geht es mir gut, und am Nachmittag komme ich gut voran. Ich freue mich riesig, dass in Worms die liebe Marianne und ein warmes Bett auf mich warten. Ich schaue mir nur kurz noch einmal den Kaiserdom an und radle dann mit Hilfe meines Navis quer durch die Stadt auf der Alzeyer Straße nach Westen, wo sich die Weisenheimer Straße etwas verborgen hält, bevor ich sie über einen Fußpfad finde. Der Abend ist urgemütlich und vergeht im Schwelgen in Erinnerungen sehr schnell. Seit zehn Jahren habe ich Marianne meinen Besuch mit dem Fahrrad versprochen, jetzt ist es endlich wahr geworden, weil ich meinen Ehrgeiz gebremst habe und vorsichtig mit meiner Tour beginne. Dabei hätte ich mich durchaus stark genug gefühlt, heute noch nach Oppenheim weiter zu radeln. Aber als in der Nacht ein gnadenloser Wolkenbruch über Worms hereinbricht, bin ich froh, nicht in Oppenheim am Rheinufer im Zelt zu hocken wie vor vier Jahren. So sitzen wir entspannt auf der überdachten Terrasse und beobachten das Toben des Unwetters.

    2.  Freitag, 11. 07. 2014: Von Worms über Wiesbaden nach Rüdesheim – Wunderschöner Mittelrhein von rechts und ein gnadenloser Wolkenbruch. 84,3 km

    Es zieht mich in die Ferne, und ich muss mich von der gastlichen Stätte losreißen. Liebenswürdig meint Marianne, dass sie mein Vorhaben, durch Mitteleuropa zu radeln, ganz toll findet, aber dass sie es selbst nicht machen wolle. Ich schmunzle, Marianne ist 89 Jahre alt und gut drauf. Aber wie schön ist es, einmal auf großer Tour nicht alleine frühstücken zu müssen. Vor mir liegt die Weinstraße durch Rheinhessen, an der ich ebenfalls schon mehrmals entlang geradelt bin. Mit Hilfe meines Telefonnavis ist es ein Kinderspiel, aus Worms hinaus zu finden. Ich brauche nur die Straße nach Hochheim aufzunehmen, wo mir zum ersten Mal der protzige Sandsteinbau der Friedhofskirche auffällt. In Herrnsheim lasse ich den Schlosspark rechts liegen und biege nach Osthofen ab, wo an der Straße entlang ein wunderbarer Radweg verläuft.

    Über Mettenheim und Alsheim komme ich nach Guntersblum und dort auf mäßigen Radwegen durch die Felder auf der Talsohle nach Ludwigshöhe und Dienheim. Bald taucht in der Ferne das großartige Panorama von Oppenheim auf mit der stattlichen Basilika auf dem Hügel über dem Zentrum. Heute bin ich schon am Vormittag in Oppenheim, und es gibt keine Ausrede, erneut an der Stadt vorbei zu fahren. Bei jeder meiner Touren war ich zu träge, ins Zentrum hinaufzufahren. Heute habe ich mir das fest vorgenommen, und es lohnt sich, obwohl es steil aufwärts durch die Altstadt geht, um auf den Marktplatz zu kommen. So oft bin ich vorbeigeradelt und staune jetzt über die historische Bausubstanz und die große Anzahl der Besucher. Das Städtchen mit gut 7.000 Einwohnern beherbergt immerhin das Deutsche Weinmuseum und verfügt mit der Katharinenkirche und dem Kellerlabyrinth über erstklassige Sehenswürdigkeiten.

    Die Katharinenkirche ist der bedeutendste gotische Sakralbau am Rhein zwischen Straßburg und Köln und ist berühmt für ihre großartige Fensterkunst. Sie wurde 1225 begonnen, 1689 von den Franzosen zerstört und erst ab 1873 wieder aufgebaut. Ihre bescheidene Ornamentik im Inneren verweist auf ihre Nutzung durch reformierte und lutherische Gemeinden seit 1556. Berühmt sind vor allem zwei Glasfenster in der Südfassade, das Lilienfenster von 1937 und die Oppenheime Rose, deren Glasscheiben aus dem 14. Jahrhundert erhalten sein sollen.

    Das Oppenheimer Kellerlabyrinth wurde ab dem 14. Jahrhundert gegraben und diente zur Lagerung von Waren aufgrund des Oppenheim zugestandenen Stapelrechts. Es handelt sich um ein 40 km langes System von Gängen, Kellern und Treppen in bis zu fünf Ebenen unter der Altstadt. Heute ist es für den Tourismus erschlossen und zieht viele Besucher an. Oberhalb des Zentrums liegt die Ruine der Burg Landskron, die aber vom Fuß des Hügels nicht zu sehen ist.

    Nur kurz halte ich mich auf dem Marktplatz auf, wo das Rathaus mit seinen beiden Treppengiebeln aus dem Jahr 1620 ins Auge springt. Jetzt kann ich es hinunter zum Rhein rollen lassen und bin endlich am großen Strom angekommen, der mich heute und morgen begleiten wird. Einen weiten Weg aus der Schweiz fast von der italienischen Grenze, dort als Vorderrhein, dann als Alpenrhein bis zum Bodensee, danach als Hochrhein und Oberrhein bis hier her hat er zurückgelegt, um seinen Weg als Mittelrhein und Niederrhein bis zur niederländischen Grenze und dann in mehreren Armen bis zur Mündung in die Nordsee fortzusetzen. Viel von Dichtern besungen ist der Fluss heute die bedeutendste und meist befahrene Wasserstraße Europas und der wasserreichste Nordseezufluss. Der Mittelrhein, den ich morgen früh erreichen werde, gehört mit seinen Kulturschätzen seit 2002 zum Weltkulturerbe. Aus einer Höhe von 2.345 m ü. NN kommend legt der Strom insgesamt 1240 km zurück. Jetzt stehe ich bei der Rheinfähre Nierstein an seinem Ufer und freue mich auf die schöne Fahrt in der Halbhöhenlage durch die Weinberge.

    Nachdem ich das hübsche Nierstein durchquert habe, finde ich den Radweg und komme auf anstrengender Fahrt im auf und ab zügig nach Norden voran. Der schönste Teil des Radwegs endet an einem Bahnübergang und führt unmittelbar zum Ufer, wo jedoch bald der Asphalt endet und eine unangenehme Fahrt im Schlamm bevorsteht. Aber das kenne ich ja schon und lege auf einem Picknickplatz unmittelbar am Ufer meine Mittagspause ein. Offenbar etwas zu lange habe ich geruht, denn die Weiterfahrt fällt mir unglaublich schwer. Was ist los? Ich dachte, mich gut erholt zu haben, aber der Schein trügt. Mühsam quäle ich mich auf der miserablen Trasse am Ufer entlang voran. Zahlreiche Pfützen sind nicht zu umfahren, Schlammlöcher empfinde ich sogar als gefährlich. Ich ärgere mich, da Mann und Fahrzeug schwer mit Dreck verspritzt sind. Und dann kommt noch dieser schlimme Durst hinzu, der mit Wasser einfach nicht zu löschen ist.

    Nackenheim habe ich links liegen lassen, und ein unangenehmes Industriegebiet bei Weisenau liegt vor mir. Jetzt kommt mir das Bootshaus für eine Bierpause gerade recht. Vom Ufer weg führt nun die Trasse und links an der Bahnlinie entlang durch das Werk von Heidelberg-Zement, dann durch die Schrebergärten und zurück zum Ufer auf die herrliche Rheinpromenade von Mainz. Bei all meinen Touren bin ich bislang linksrheinisch weitergefahren. In diesem Jahr habe ich mich zu einem Abenteuer auf der rechten Rheinseite entschlossen. Einen flüchtigen Blick werfe ich auf das vornehme Hyatt-Regency-Hotel, dann kommt durch einen Park hindurch der Mainzer Dom in Sicht, und ich verlasse das Rheinufer, um etwa auf der Höhe des Residenzschlosses, der heutigen Staatskanzlei, auf die Theodor-Heuss-Brücke zu strampeln.

    Zum ersten Mal seit langem sehe ich von der Brücke aus das wunderbare Panorama der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt mit seinen Türmen. Vor mir liegt Mainz-Kastel, und der Blick nach Norden flößt mir Angst ein. Über Wiesbaden stapeln sich schwarze Wolken, ein Unwetter braut sich zusammen. Hier kenne ich mich überhaupt nicht aus und versuche aus einem großen, verkehrsreichen Kreisverkehr Richtung Amöneburg zum rechten Rheinufer zu gelangen. Das gelingt, und schon stehe ich vor dem imposanten Schloss Biebrich, das ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Zwischen 1700 und 1750 erbaut diente es als barocke Residenz der Herzöge von Nassau und wird heute vom Land Hessen als Landesamt für Denkmalpflege und für Repräsentationszwecke genutzt.

    Die rechtsrheinische Route ist hier sehr urban mit viel Verkehr. Nach einer Einkaufspause in einem Lidl fängt es an zu regnen. Ich warte, radle weiter und komme in einen kräftigen Regenguss. Unter dem Zelt vor einer Harley-Davidson-Werkstatt suche ich Schutz und ziehe meine Regenjacke über. Es will nicht aufhören zu regnen, und ich entschließe mich zur Weiterfahrt. Auf einem Radweg neben einer stark befahrenen Straße geht es weiter. Es ist die Hölle im starken Regen, und erst als es nachlässt und dann ganz aufhört, bin ich mit der Welt versöhnt. Die Sonne blinzelt schon aus den dicken Wolken und verspricht einen wunderschönen Radelabend an der Gestaden des Rheins.

    Ich komme nach Walluf und in die Sektstadt Eltville. Hier nehme ich den Hinweis auf den Radweg R 3 auf dem ehemaligen Treidelpfad auf. Als ich das Rheinufer erreiche, denke ich, dass es nicht schöner sein könnte. Zwar ist noch alles nass, aber die Sonne steht schon tiefer und leuchtet die Rheinlandschaft zauberhaft aus. Mein Vorwärtsdrang ist gebrochen, jetzt will ich nur noch die Schönheit des Augenblicks genießen. Noch nie war ich bewusst hier, und nun staune ich über das vornehme Umfeld mit Parks und stattlicher Architektur. Alles sieht außerordentlich wohlhabend aus. Nach Östrich-Winkel befällt mich ein Hungerschub. Auf einer Parkbank in pittoresker Lage esse ich eine Kleinigkeit und beobachte die Städter, die zu einem Glas Wein in einen feinen Gastronomie-Pavillon zum Rheinufer gekommen sind.

    Heute habe ich nicht den Ehrgeiz, die 100 km voll zu machen, und nehme mir vor, schon den ersten Zeltplatz vor Rüdesheim anzufahren. Es ist das „Rheingau-Camping" bei Geisenheim und vom Feinsten. Auf eine herrliche Zeltwiese unmittelbar

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