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Der Auto-Mensch: Ein mehrfach verunglückter Lebensentwurf des 20. Jahrhunderts und die frühen Anfänge eines ökologischen Zeitalters
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Der Auto-Mensch: Ein mehrfach verunglückter Lebensentwurf des 20. Jahrhunderts und die frühen Anfänge eines ökologischen Zeitalters
eBook288 Seiten2 Stunden

Der Auto-Mensch: Ein mehrfach verunglückter Lebensentwurf des 20. Jahrhunderts und die frühen Anfänge eines ökologischen Zeitalters

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Über dieses E-Book

Die Geschichte des Automobils wird in den Kontext zweier unterschiedlicher körperlicher Bewegungskulturen gestellt. Gerade in seinen Anfängen setzte sich das Auto mit sportlichen Mitteln, den Rennfahrten durch. Konkurrenz und Höchstleistung waren aber auch die Prinzipien des körperlichen Leistungssports. Am beginnenden 20. Jahrhundert trat aber auch eine ganz andere Bewegungskultur auf, die sich etwa in Gymnastik und Tanz zum Ausdruck brachte. Die Untersuchung gibt eine Anwort auf die Frage, durch welche Bedürfnisse und durch welche neue Wahrnehmungsweise es zur Verbindung von Auto und Mensch zum Auto-Menschen kam.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. Apr. 2021
ISBN9783347214620
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    Buchvorschau

    Der Auto-Mensch - Hans Bischlager

    Das Buch „Der Auto-Mensch" wurde zuerst im Jahr 1986 im Selbstverlag als Begleitheft zur gleichnamigen Ausstellung beim Deutschen Umwelttag veröffentlicht.

    Umschlaggestaltung:

    Zeichnung des Autors nach einer Werbeanzeige der Autofirma ZÜST,

    Simplicissimus, 1907

    Hintergrund mit freundlicher Genehmigung von Organication

    Grafik Design: Martin Schneider

    © 2021 Hans Bischlager

    Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN Taschenbuch 978-3-347-21460-6

    ISBN e-Book 978-3-347-21462-0

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    HANS BISCHLAGER

    DER AUTO-MENSCH

    Ein mehrfach verunglückter Lebensentwurf des 20. Jahrhunderts und die frühen Anfänge eines ökologischen Zeitalters

    Buch zur Ausstellung beim Deutschen Umwelttag 1986 in Würzburg

    Vorwort

    Das neu aufgelegte Buch „Der Auto-Mensch" ist 1986 im Zusammenhang mit einer Ausstellung zur Automobilgeschichte entstanden. In jenem Jahr wurde das 100-jährige Jubiläum des Automobils gefeiert. Damals stießen kritische Darstellungen seiner Geschichte noch auf wenig Resonanz. 35 Jahre später steckt die Automobilindustrie in einer tiefen Krise, erstens weil ihre Produkte kräftig zur Erderwärmung beitragen, zum andern weil das Auto wegen massenhafter Verbreitung eine ungehinderte Mobilität nicht mehr garantieren kann. Zwar ist teilweise auch seine Akzeptanz beim Publikum zurückgegangen. Aber bei der großen Mehrheit der Bevölkerung ist es bis heute ein hoch angesehener und geliebter Gegenstand.

    Weitgehend offen geblieben im historischen Diskurs ist die Frage, wie das Auto zu dieser Ehre kam, in welchen gesellschaftlichen und psychischen Strukturen sich die Liebe zum Automobil entzünden und erhalten werden konnte. Für die Beantwortung der Frage erwies sich das herkömmliche Denkmodell, das mit Subjekt und Objekt operiert, als nicht zielführend. Die Untersuchung setzt die Automobilität in Zusammenhang mit zwei verschiedenen körperlichen Bewegungskulturen, von denen die eine nicht im bewussten rationalen Agieren aufgeht. Gemeint ist die leibliche Wahrnehmung, die mit einem Netz- oder Gewebemodell zu beschreiben ist. Dieses erlaubt, das zu untersuchende Ding – hier das Automobil – in neue und auch überraschende Beziehungen mit der leiblichen Existenz zu bringen. Ein aktuelles Nachwort führt die Ergebnisse des Buches von 1986 mit dem Ansatz einer Leib- und Dingpsychologie weiter.

    Obernbreit, April 2021

    Dank

    Danken möchte ich an erster Stelle Debbi Dominski. Von ihr kam der Anstoß, das Buch neu aufzulegen. Sie hat sich die Mühe gemacht, das Manuskript zu digitalisieren. Für ihre zustimmende Unterstützung und Auseinandersetzung mit Inhalten danke ich Claudia Bischlager herzlich. In der langjährigen Zusammenarbeit mit Claus Petersen haben sich wichtige Grundfragen unseres Denkens klären lassen. Vielen Dank! Ein scharfer Blick auf meine Texte und präzise Nachfragen über deren Sinn – damit hat mir Laura Schneider geholfen. Gedanken, die Thomas Schmelter beigesteuert hat, hatten manch orientierende Wirkung. Kritische Anfragen von Karl Meyer haben die Thematik vorangebracht. Über eine Zeitspanne von 35 Jahren hinweg bin ich Christiane Meisterernst dankbar für ihre damalige Arbeit an der graphischen Gestaltung von Buch und Ausstellung.

    INHALTSVERZEICHNIS

    EINLEITUNG

    ■ Zusammenhänge: Über die Notwendigkeit einer neuen Philosophie

    ■ Veränderung der gesamten Lebensform statt ökotechnischer Reparatur

    ■ Körpergeschichte statt Geistesgeschichte

    ■ Technikursprungskritik statt Technikfolgenkritik

    ERSTES KAPITEL

    DER WIDERSTAND GEGEN DAS „MONSTER"

    ■ Die Zeit der Straßendampfwagen

    ■ Die Eindämmung des neuen Phänomens mit Geschwindigkeitsbegrenzungen und anderen Verordnungen

    ■ Die Motivation des Widerstands gegen das Automobil, am Beispiel der Reichstagsdebatten um ein Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz zwischen 1904 und 1909

    ■ Der Körper als Maß möglicher Geschwindigkeit und die Folgen seiner Überschreitung

    ZWEITES KAPITEL

    DER WEG ZUR DURCHSETZUNG DES AUTOMOBILISMUS

    ■ Vergleich zwischen animalischer und mechanischer Kraft

    ■ Durchbruch mit Hilfe des Rennsports

    DRITTES KAPITEL

    DIE ALTE BEWEGUNGSKULTUR

    ■ Innere Struktur und Prinzip der Bewegungskultur „Sport"

    ■ Die Karriere der Höchstleistung in Technik und Sport

    ■ Aus der Sicht der neuen Bewegungskultur

    ■ Die Bewegungsformen des Sports als körperliche Konkretion gesellschaftlicher Zwecke

    ■ Sport als versuchte und Autofahren als realisierte Körperlosigkeit

    VIERTES KAPITEL

    DIE NEUE BEWEGUNGSKULTUR

    ■ Befreiungs-Bewegung

    ■ Der Körper als Formprinzip der Bewegung

    ■ Das rhythmische Bewegungsprinzip

    ■ Der Lebens- und Weltgestaltungsanspruch der neuen Bewegungskultur

    ■ Vortäuschung medialer Erfahrung

    FÜNFTES KAPITEL

    DIE AUTOMOBILISIERUNG DER LANDSCHAFT

    ■ Illusionen übers Autofahren

    ■ Autobahnpläne vor 1933

    ■ Die neue Naturerfahrung

    ■ Motorisiertes „Naturerleben"

    ■ Einrichtung der Landschaft für Hochgeschwindigkeit

    LITERATURVERZEICHNIS

    NACHWORT – EINE AKTUALISIERENDE WEITERFÜHRUNG

    ■ Das zweipolige Denkschema hat ausgedient

    ■ Leib- und Dingpsychologie

    ■ Eine einzigartige Konstellation

    ■ Körperlosigkeit und Passivität

    ■ Exkurs zur Corona-Krise

    ■ Das objektivistische Bewusstsein

    ■ Abstraktion in der Produktion

    ■ Das Scheitern der objektivistischen Rationalität

    ■ Die leibliche Wahrnehmung

    ■ Rundumverhältnis zur Welt

    ■ Leibliche Kompetenz

    ■ Was sich dazwischenschiebt

    ■ Verhinderte Wirkung auf das Denken

    ■ Zwei gegensätzliche Arten von Weltbezug

    ■ Rückwirkung auf das Bewusstsein

    ■ Wirkende Passivität

    ■ Entlastung

    ■ Welche Psychologie?

    ■ Das konkrete Profil der leiblichen Einbettung in die Welt

    ■ Psychosomatik

    ■ Vom Maschinen-Modell zum Medium-Modell

    ■ Druck auf das Selbst

    ■ Das unternehmerische Selbst

    ■ Das glückliche Selbst

    ■ Das erschöpfte Selbst

    ■ Das überforderte Selbst und das Automobil

    QUELLENANGABEN

    ABBILDUNGSVERZEICHNIS

    EINLEITUNG

    Zusammenhänge: Über die Notwendigkeit einer neuen Philosophie

    Die Form von Naturwissenschaft und Technik, wie sie seit dem 16. Jahrhundert in Europa entwickelt wurde und wie sie heute weltweit die natürlichen Lebensgrundlagen an den Rand des Abgrunds bringt, verdankt ihren „Erfolg" vor allem der systematischen Ausblendung des Gesamtzusammenhangs der Welt des Lebendigen. Sie arbeitet mit der Methode, aus dem nicht überschaubaren Geflecht von Zusammenhängen einige wenige herauszuschneiden. Von deren Kenntnis verspricht man sich einen Zuwachs an Herrschaft über die Natur und damit höheren Gewinn. Wir haben eine mehrere Jahrhunderte währende Epoche hinter uns, die es zur wahren Meisterschaft in der Fähigkeit gebracht hat, alle Dinge allein für sich, also umweltlos betrachten zu können. Sie sieht beispielsweise an Verbrennungsprozessen nur die entstehende Energie, aber nicht deren schädlichen Zusammenhang mit der Luft, die wir atmen. Umweltlosigkeit ist die Signatur unserer geschichtlichen Herkunft.

    Während der naturwissenschaftlich-technische Umgang mit der Natur sich in der systematischen Ausblendung der Gesamtzusammenhänge des Lebens vollzieht, existiert dennoch eine philosophische Reflexion, Versuche also, den Gesamtzusammenhang der Welt zu denken. Wie geht dies zusammen? Nur dadurch, dass das Ganze als eine Zusammensetzung autonomer Teilbereiche betrachtet wird. Es liegt auf der Hand, dass eine solche nur gedachte Ganzheit eine schwache Ganzheit ist, die keine lebens- und umweltgestaltende Kraft mehr besitzt. Es ist keine Philosophie im eigentlichen Sinne mehr. In der Struktur ihrer Reflexion erweist sie sich als eine Widerspiegelung des naturwissenschaftlich-technischen Umgangs mit Natur. Als solche hat sie nur noch dienende Funktion. In der philosophischen Reflexion von Descartes bis Kant und Hegel vergewissert sich das heraufziehende Industriezeitalter der „Wahrheit seiner Lebens- und Umweltgestaltung. Es tut dies allein aus dem denkenden Ich heraus. Das Nicht-Ich, die Welt draußen, die Natur, die Landschaft soll nicht „Maß gebend sein für das, was das Ich sich jeweils ausdenken will. So verstanden war die idealistische Philosophie von Descartes bis Hegel immerhin die denkerische Begleiterscheinung beim Aufbau der technisch-industriellen Welt. Sie tat nicht mehr und nicht weniger, als genau die Denkstrukturen zu präformieren und die Gedankengänge zu bahnen, mit welchen auch praktisch die Natur behandelt und unterworfen wurde. Das tatsächliche Bild stellt sich somit folgendermaßen dar: Die Methode der systematischen Ausblendung des Gesamtzusammenhangs von Natur und Welt, wie sie seit dem 16. Jahrhundert praktiziert wurde, gewann die Leitfunktion in der Weltauffassung. Mochten philosophische oder theologische Systeme noch einen Gesamtzusammenhang behaupten, der reale Prozess der technisch-industriellen Zivilisation ging unberührt darüber hinweg.

    Mit Beginn des 20. Jahrhunderts tauchen erstmals Versuche auf, das Denken des Gesamtzusammenhangs mit einem praktischen Lebens- und Umweltgestaltungsanspruch zu verbinden. Die Wahrnehmung von Zusammenhängen des Naturganzen lässt Bewegungen entstehen, die auf Umgestaltung des Lebens, der Ernährung, des Verhältnisses zum Körper, der Kleidung, der Wohnung, des Bauens, der Landschaftsgestaltung, der politischen Beteiligung ausgerichtet sind. Ihre Kritik am „mechanistischen Zeitalter zielt vor allem auf das Auseinanderfallen der Lebensbereiche, das es dem Menschen nicht mehr erlaubt, alle seine Dimensionen und Fähigkeiten voll zu entfalten. Diese Bewegungen sind wie auch die frühe Naturschutzbewegung, welche den Gesamtzusammenhang des Lebendigen zu denken versucht, alle gegen die Aufteilung der Lebenswelt in nebeneinander liegende Sektoren gerichtet. Gleichwohl reagiert die alte Welt auf das verstärkte Wiedererwachen der Bewegungen in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht ohne Erfolg nach eben diesem Muster. Sie greift die Umweltfrage auf und grenzt sie als Teilproblem ein. Die Umwelt wird zu einem zusätzlichen Wissens- und Problembereich, als einer unter zahllosen anderen. Für ihn gibt es eigene Experten und Beamten, eigene Gebäude, Institute und Ministerien. Der Charakter einer Gesamtfrage, die das Ganze des Lebens und der Natur betrifft, wird auf diese Weise nicht ohne gewissen Erfolg zum Verschwinden gebracht. Die alte Welt der Naturbeherrschung und -ausbeutung kann vorerst aufatmen: Das Umweltproblem konnte unter Kontrolle gebracht und ein weiteres Übergreifen auf andere Lebensbereiche oder gar auf das Ganze verhindert werden. Das gern zitierte „gestiegene Umweltbewusstsein in der Bevölkerung ist weitgehend domestiziert. Es erweist sich sogar als günstiger Faktor in der Vermarktung herkömmlicher, aber mit dem Prädikat „umweltfreundlich" versehener Produkte. Sektorenhaft und isoliert wird die Umweltfrage zum Teil aber auch von der basisorientierten Umweltbewegung selbst behandelt.

    Die Umweltfrage betrifft in Wirklichkeit aber die Gesamtheit des Lebens und seiner Gestaltung. Sie bedarf deshalb einer Philosophie im Sinne der Reflexion des Gesamtzusammenhangs von praktischer Lebens- und Umweltgestaltung. Gefordert ist ein regelrechtes „Ausufern" der Umweltfrage. Aber gibt es nicht Lebensbereiche, die mit der Umweltfrage nichts zu tun haben? Der Sport? Die Geisteswissenschaften? Die Außenpolitik? Einigen dieser ungewöhnlichen Fragen soll in der folgenden Untersuchung nachgespürt werden. Liegt das Umweltproblem beim Auto lediglich im Katalysator oder etwa im Bedürfnis nach hoher Geschwindigkeit? Kann eine Kultur der Hochgeschwindigkeit überhaupt ein nicht herrschaftsorientiertes Verhältnis zur Natur entwickeln? Steht die Art und Weise der körperlichen Bewegungsformen, wie sie seit dem 19. Jahrhundert im Sport entwickelt wurden, mit einem geschwisterlichen Verhältnis zur Natur im Einklang oder Widerspruch?

    Veränderung der gesamten Lebensform statt ökotechnischer Reparatur

    Fixierung auf die unmittelbare Gegenwart beschränkt den Horizont. Die Umweltzerstörung erscheint dann als bloße Folge der Technik und deshalb als technisches Problem. Man folgert daraus, dass dieselbe Technik, die uns die Probleme beschert, sie auch wieder aus der Welt schaffen wird. Wie sich allenthalben zeigt, versagt diese beschränkte Sicht der Dinge in mehrfacher Hinsicht. Sie ist erstens zu einer realitätsgerechten Wahrnehmung der tatsächlichen Ausmaße und der Tragweite der bereits entstandenen Naturzerstörung völlig unfähig. Zweitens lässt das ökotechnische Reparaturkonzept das Problem der Durchsetzung von Maßnahmen außer Acht. Denn diese ist kein isoliert technisches Problem, sondern eine Frage des gesamten Geflechts sowohl der Lebens- und Weltauffassung wie auch der Lebenspraxis der Gesellschaft. Dass das umfassende Ganze der Lebensform hier mit im Spiel ist, wird aber erst bewusst und sichtbar, wenn das kulturelle Szenario der Entstehungsbedingungen rekonstruiert wird. Seine Kenntnis ist für die Frage der Durchsetzung einer Veränderung der Lebens- und Umweltgestaltung deswegen von Bedeutung, weil es in der Unüberschaubarkeit der jeweiligen Aktualität die geschichtswirksamen, bestimmenden Faktoren einer Technik oder eines Verhaltens enthüllen kann. Ungeschichtliches Starren auf die Gegenwart ist der Gefahr verhängnisvoller Fehleinschätzung der wirklich bestimmenden Faktoren ausgeliefert. Zum einen neigt es dazu, die Stabilität der bestehenden Verhältnisse zu überschätzen. Es lässt sich nicht selten vom Machtgehabe gerade im Amt befindlicher Autoritäten über Gebühr beeindrucken. Umgekehrt aber – und dies ist noch gefährlicher – unterschätzt der ungeschichtlich denkende Zeitgenosse die Massivität der historischen Erblast. Die zerstörerische Wut der mechanisierten Welt ist nicht ausschließlich auf das Konto der gegenwärtig lebenden Generationen zu verbuchen. Diese Feststellung sieht zunächst nach Entlastung aus, bedeutet jedoch in Wirklichkeit das Gegenteil. Denn damit sind wir mit einer Realität von historischen Weichenstellungen, historisch gewordenen Bedürfnissen, Verhaltensweisen und Denkstrukturen konfrontiert, die uns zunächst einmal vorgegeben sind. So leicht schnelle ökotechnische Korrekturen auszudenken sind, so schwierig ist es, von den Bahnen herunterzukommen, auf die wir, die gegenwärtig lebenden Menschen, von unseren Vorfahren gesetzt worden sind. Diese Bahnen haben sich in das Ganze unserer Lebensform und Bedürfnisstruktur eingegraben. Deswegen haben wir es nicht mehr nur mit einem eingrenzbaren so genannten „Umweltproblem" zu tun, sondern mit einer Problematisierung unserer gesamten Existenzform. Die massive Zunahme des Artensterbens seit 1950 wäre zum Beispiel so nicht geschehen ohne die Mechanisierung der Landwirtschaft seit dem 19. Jahrhundert. Wer aber hat diese zu verantworten? Nicht nur die Naturwissenschaftler und Techniker seit dem 15. Jahrhundert. Aber auch nicht nur Denker wie Descartes und Bacon, welche die Unterwerfung der Natur zum Programm erhoben. Es lassen sich überhaupt keine Einzeldisziplinen und Einzelpersonen als Letztverursacher nennen. Der Letztverursacher ist eine spezifisch historische Lebensform.

    Tritt man also, bildlich gesprochen, einige Schritte von der unmittelbaren Aktualität zurück und überblickt längere Zeiträume unserer geschichtlichen Herkunft, so dreht sich der Streit um die zeitliche Abgrenzung unserer Epoche und die Einordnung der Gegenwart in sie. Die meisten Historiker der Gegenwart sehen den unsere Epoche einleitenden Umbruch in der Zeit um 1800. Sie schreiben dann meist das damals beginnende Industriezeitalter bis heute fort. Die vergangenen 200 Jahre als Kontinuität zu deuten, ist zweifellos richtig mit Blick auf die Entwicklung und Zunahme der naturwissenschaftlich-technischen Errungenschaften von der Dampfmaschine bis zum Computer. Es ist jedoch auch bekannt, dass viele Epochen und Weltreiche gerade in der Zeit ihrer höchsten Entfaltung und Übersteigerung ihres eigenen Prinzips bereits mit den ersten Vorboten eines neuen Zeitalters durchsetzt waren. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass dies auch für die technisch-industrielle Zivilisation im 20. Jahrhundert gilt. Denn parallel zu ihr tauchen im ersten Drittel des Jahrhunderts Phänomene auf, welche den Prinzipien von Jahrhunderte alten Denk- und Verhaltensmustern widersprechen. Zum Beispiel wendet die bildende Kunst sich nach fünf Jahrhunderten vom Prinzip der realistischen Abbildung ab. Soziale Bewegungen entwickeln Programme einer umfassenden Lebensreform. Es werden neue Formen von Kleidung und Ernährung, Wohnung und Städtebau, neue Formen im Verhältnis von Mann und Frau, im friedlichen Zusammenleben der Menschen und Völker gesucht. Für den Historiker wäre dies alles reichlich Stoff und Hinweis genug, hier die kleinen Anfänge eines neuen Zeitalters zu vermuten und zu erforschen. Die meisten Historiker und Gegenwartdeuter sind, zumal sie Teil der vom Staat organisierten Wissenschaft sind, in ihrem Denken der alten Epoche verpflichtet. Deswegen sind sie weitgehend blind gegenüber den Erscheinungen eines neu heraufziehenden Zeitalters. Sie nehmen sie als unwichtige Randerscheinungen wahr, können darin oft nur ausgefallene exotische Blüten erkennen oder aber greifen bei zunehmender Verbreitung des Neuen zur Waffe der moralischen oder politischen Verurteilung und, im Falle des 20. Jahrhunderts, zur Strategie der Vereinnahmung und Umfunktionierung. Weil es ein Grundmerkmal der neuen Kultur ist, die alte Trennung zwischen Wissenschaft und Leben nicht mehr mitmachen zu können, sind adäquate Beschreibungen und Analysen des Neuen auch nur von Menschen zu erwarten, die in ihrer konkreten Lebensform wenigstens ansatzweise bereits daran teilhaben. Gelänge es, die Grundprinzipien sowohl der neuzeitlichen Kultur als auch des sich andeutenden neuen Zeitalters zu erfassen, bliebe man angesichts der ökologischen Krise nicht dazu verdammt, lediglich Oberflächenkorrekturen vorzunehmen, sondern könnte die Vorbedingungen eines notwendigen neuen Verhältnisses zur materiellen und natürlichen Umwelt besser erkennen.

    Körpergeschichte statt Geistesgeschichte

    Die vorherrschende Automobil-Geschichtsschreibung gliedert sich im Wesentlichen in zwei Grundthemen: Zum einen wird die Geschichte des Autos als Prozess der folgerichtig sich auseinander entwickelnden technischen Erfindungen und konstruktiven Verbesserungen dargestellt, d.h. als Erfolgsgeschichte des technischen Geistes. Als zweites und schon weniger wichtiges Thema erscheint die Geschichte der Akzeptanz und Durchsetzung des Automobils. Auf diese Weise wird der Geist in seiner Form als technische Rationalität zur entscheidenden weltbewegenden Kraft erhoben. Die praktische Anwendung gilt als mehr oder weniger zwangsläufig. Dahinter steht der bekannte Dualismus zwischen Geist und Materie, die Trennung zwischen Geist und Körper. Auf ihr basiert eine Denkweise, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie die Abstraktion von der materiell-körperlichen Existenz des Menschen für zulässig hält. Das hat zur Folge, dass Denkoperationen ohne Bezug zur materiell-körperlichen Realität des Menschen vor sich gehen können, welche dann über eben diese Realität bestimmen. Resultat davon sind technische Vorrichtungen, die entweder direkt gegen die Interessen des Körpers gerichtet sind, ihn also schädigen, oder ihn

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