DAS DAEDALUS LEGAT: Als noch Kolbenmotoren die Luftfahrt beherrschten
Von Kurt J. Jaeger
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Buchvorschau
DAS DAEDALUS LEGAT - Kurt J. Jaeger
VORWORT
Die Welt der Luftfahrt in den 60 & 70 Jahren des vorigen Jahrhunderts war voll mit Abenteuern gespickt. Es war die Zeit, als die Piloten noch nach dem Sitzleder flogen und auf ihren Flügen ohne moderne Navigationshilfen zurechtkommen mussten. Dies war speziell in Afrika und Südamerika der Fall, wo sich auch die Flugplätze alles andere als vertrauenswürdig präsentierten. Die Piloten waren noch Individualisten, die als Kommandanten die Flugzeuge noch von Hand steuerten und vielfach auf einen Autopiloten verzichten mussten. Computer und moderne Navigationshilfen, die heute die Arbeit der Piloten übernehmen, waren noch unbekannt. Das Zeitalter der Jets war noch in den Kinderschuhen. Noch beherrschten verschiedenartige Kolbenmotoren den Bereich der zivilen Fliegerei. Waren es Boxermotoren, die auf Kleinflugzeugen und leichten Geschäftsfliegern zum Einsatz kamen, so waren es bis zu 3’500 PS starke und technisch komplizierte Sternmotoren, die an den großen Transportflugzeugen Verwendung fanden. Anders als bei den heutigen Jets waren den Höhenleistungen jedoch Grenzen gesetzt. Flüge über 20‘000 Fuß mit Kolbenmotoren waren die Ausnahme. Notgedrungen musste man daher bei verschiedensten Wetterlagen durch Wolken und Gewitterzonen fliegen, dabei schwere Vereisungen oder auch Turbulenzen in Kauf nehmen. Das Bordradar steckte noch in den Kinderschuhen und war bei gewissen Transportflugzeugen gar nicht vorhanden. Alles in allem verlangte diese Art der Fliegerei von den Piloten einiges mehr, als es bei den Besatzungen der heutigen Jets der Fall ist.
Die Crews auf den Transportflugzeugen bestanden meistens aus einer zuverlässigen, verschweißten Mannschaft, bei denen sich jeder auf den anderen zu 100% verlassen konnte. Technische Notfälle wurden zudem souverän und unter Einsatz aller verfügbaren Mittel an Ort und Stelle gelöst. Praktisch jedes Besatzungsmitglied war ein ausgebildeter Techniker oder Mechaniker, der die Innereien der von ihnen geflogenen Flugzeuge bestens kannte. Dies führte unter anderem auch dazu, dass sich Piloten hin und wieder sozusagen mit den eigenen Haaren aus schwierigen technischen Knacknüssen herausziehen konnten.
Im Folgenden werden einige Beispiele erwähnt, die der Autor persönlich erlebt hat. Technische oder fliegerische Vorkommnisse, die manchmal auf primitive Art und Weise gelöst werden mussten. Den Besatzungen wurde dabei viel abverlangt, denn die Geräte und Motoren waren in ihrem Aufbau kompliziert und auch anfällig für Probleme, die sich schnell zu einer Katastrophe entwickeln konnten. Von den Piloten verlangte dies eine sehr kurze Reaktionszeit, speziell, wenn es sich um Probleme mit den Motoren handelte. Es war nicht nur das hochvolatile Flugbenzin, das sich beim geringsten Funken oder durch Hitze entzünden konnte, es waren auch die Motoren, die sich zum Teil als technisch anfällige Wunderwerke mit einem ganz eigenen Charakter erwiesen. Eine dauernde Überwachung der Instrumente war daher erforderlich, um nicht durch ein plötzliches Problem überrascht zu werden. Bei einem technischen Zwischenfall musste die Flugbesatzung blitzartig entscheiden, welche Gegenmaßnahmen die Richtigen waren.
Meistens war auch Improvisationstalent gefragt, wenn es sich um technische Probleme handelte. Auf abgelegenen Landepisten gab es sehr selten technisch versiertes Personal oder einen entsprechenden Support, um eine unterstützende Hilfe zu bieten. Speziell die Flugbesatzungen auf nichtregulären Charterflügen in abgelegene Gebiete waren gefordert. Dort war meist jede Hoffnung auf Hilfe vergebens. Die Crews waren völlig auf sich selbst angewiesen und es kam auch öfters vor, dass bei Ausfall eines Motors an einem 4-motorigen Transportflugzeug, die Aufgabe kurzerhand mit drei Motoren erledigt werden musste. Da war es auch nicht außergewöhnlich, wenn der Captain einer Transportmaschine den Flight Engineer im T-Shirt bei der Behebung eines mechanischen Problems unterstützte und mit ölverschmierten Händen an einem Motor arbeitete.
Bei Piloten auf regulären Fluglinien war so etwas ein Ding der Unmöglichkeit. Diese Crews hatten auf jedem Flugplatz, den sie planmäßig anfliegen mussten, die jeweils erforderliche technische und operationelle Unterstützung. Sie genossen dabei die neuesten Errungenschaften in Bezug auf unterstützende Geräte. Das Warten der Flight Crew auf die Erledigung eines technischen Problems fand dann in den besten Hotels der Stadt und deren Swimming-Pools statt. Zusätzlich überschritten sie eher selten ein Arbeitspensum von 70 Flugstunden im Monat. Und wenn es ein bisschen mehr wurde, so musste die Überzeit finanziell entschädigt werden, ansonsten wurde protestiert oder sogar gestreikt. Dazu waren sie auch noch Mitglied von nimmersatten Gewerkschaften, die dafür sorgten, dass von den Fluggesellschaften völlig überrissene Gehälter bezahlt werden mussten.
Charterpiloten hingegen flogen selten weniger als die gesetzlich erlaubten 110 Stunden im Monat, respektive 1000 Stunden pro Kalenderjahr. Sie waren selten oder nie Mitglied einer Gewerkschaft und zogen es vor, durch Leistung in eine höhere Lohnklasse zu steigen. Eine bei den Airlines übliche, anhand von Dienstjahren erteilte Beförderung, gab es nicht. Auch waren sie immer auf sich selbst abgestellt, wenn es auf Außenlandeplätzen um Problemlösungen ging. Sie waren sozusagen eine Elite in Bezug auf die professionelle Einstellung und hatten eine enorme Erfahrung, wenn es um Ideenreichtum bei Problemlösungen ging.
Der Titel des vorliegenden Buches „Das Dädalus Legat" soll damit auf den Einfallsreichtum gewisser Piloten hinweisen, die aus der Not heraus nach Lösungen suchten, die es ihnen erlaubten, technische Probleme aus dem Weg zu schaffen und einen Auftrag zu Ende zu fliegen. Dädalus hatte dies angeblich schon vor mehr als 2000 Jahren mit seinen Flügeln aus Federn, Bindfaden und Wachs geschafft. Auch heute noch sind manchmal unorthodoxe Methoden zur Lösung von Schwierigkeiten nötig, um sich aus einer Notlage zu befreien.
In den folgenden Kapiteln soll durch ein paar Beispiele gezeigt werden, wie gerade in Afrika in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, die Bedingungen in der Fliegerei waren und, wie die Piloten damit umzugehen wussten. Die Namen der Protagonisten wurden absichtlich geändert.
Mankind has a perfect record in aviation – we have never left one up there!
(Unknown author)
CESSNA 195 (Quelle: Autor)
FLUG NACH LIBERIA
Frankfurt, den 25. Juni 1960
Es gibt immer wieder Ereignisse, die erstens überraschend eintreten und zweitens das Leben einzelner Personen maßgebend beeinflussen können. So ging es Fred Porter, als er im Juni 1960 vor dem TWA-Hangar des Flughafens Frankfurt-Main plötzlich mit einer kurzen, handgeschriebenen Notiz konfrontiert wurde. Der Mechaniker, der ihm die Meldung überbrachte, hatte offensichtlich die Mitteilung bereits gelesen, denn er erwähnte so nebenbei, dass es dem Empfänger gleich kalt über den Rücken laufen würde.
Ohne Zweifel hatte der Mechaniker damit ins Schwarze getroffen. Die Notiz von Porters Chefs war kurz und bündig: „Alles vorbereiten für einen Flug mit der Cessna 195 nach Liberia. Aha, dachte er, die Firma Aero Exploration hat tatsächlich den Zuschlag für den großen Vermessungsauftrag in diesem tropischen Land nahe dem Äquator bekommen. Ein Auftrag, über den seit Wochen in den Büros und im Hangar getuschelt wurde. Viel wusste man außerhalb der Chefetage nicht, aber einige wichtige Details waren bereits durchgesickert.
Irgendwo im Innern des unterentwickelten Landes in Westafrika hatte man angeblich Eisenerz in großen Mengen gefunden. Eine zum Zwecke der Erzförderung neu gegründete Firma mit dem Namen DELIMCO (Deutsch-Liberianische Mining Company) brauchte für die geplante Eisenbahnlinie dringend eine Vermessungsfirma, die bereit war, zu diesem Zwecke eine Gruppe von Spezialisten nach dort zu entsenden. Für die Vermessungsfirma, bei der Porter als Pilot arbeitete, war es zweifelsohne ein Glücksfall, aber die Entscheidungsträger ahnten nichts von den Schwierigkeiten, die dort eine solche Mannschaft in der Regenzeit erwartete. Konkurrenzunternehmen waren anscheinend besser informiert und nicht bereit dieses Risiko auf sich zu nehmen.
Zuverlässiges Kartenmaterial war ebenfalls nicht vorhanden. Notgedrungen würde man also dort erst einmal Luftaufnahmen machen müssen, um stereoskopisches Kartenmaterial erstellen zu können. Erst danach konnte eine Bodenmannschaft mit Theodoliten die mögliche Route einer Eisenbahnlinie durch praktisch unbekanntes Terrain vermessen. Ein entsprechendes Flugzeug, ausgerüstet mit einer WILD-Kamera gab es in Liberia aber nicht. Notgedrungen musste also erst einmal eine Maschine mit solch einer installierten Weitwinkel-Kamera Tausende von Kilometer in den dunklen Erdteil überflogen werden.
Inzwischen hatte Porter sich seit Monaten für die neu aufgebaute Cessna 195 interessiert, die hochglanzpoliert und unbenutzt im Hangar stand. Warum niemand dieses elegante, mit einem Sternmotor ausgerüstete Flugzeug fliegen wollte, konnte er nicht begreifen. Also bedrängte er seinen Boss persönlich, bis er ihm schlussendlich die Leidensgeschichte der Cessna erzählte. Es stellte sich heraus, dass diese Maschine schon zweimal schwer beschädigt worden war, und zwar durch erfahrene Piloten der Lufthansa, die man gebeten hatte, den Vogel zu zähmen. Schon bei der ersten Landung hatte ein angeblich erfahrener Flugkapitän die Kontrolle über die Maschine verloren und war nach einem „Cheval de bois – einem unkontrollierten Dreher beim Landen – mit beschädigtem linken Flügel und lädiertem Fahrwerk außerhalb der Piste zum Stehen gekommen. Der zweite Testflug nach langwieriger Reparatur hatte mit einem sehr ähnlichen Resultat geendet. Nach diesen zwei Versuchen aber hatte die Chefetage nicht die geringste Absicht die Maschine in die Hand eines jungen Piloten, wie Porter es war, zu geben. Lieber sollte sie weiterhin ihr Dasein im geschützten Hangar verbringen, als nochmals in einem zerstörerischen „Cheval de bois
oder auch Ground-Loop genannt, zu enden.
Doch stetes Wasser höhlt den Stein, und so hatte Porter beschlossen, mit einem verbalen Dauerbeschuss die Entscheidung der Chefetage zu Fall zu bringen. Tagelang hatte er schon das Handbuch studiert, hatte heimlich in der Maschine gesessen und sich mit der Bedienung der Schalter und Hebel beschäftigt. Die schlechte Sicht aus dem Cockpit nach vorn über den großen Sternmotor war ihm von Anfang an suspekt gewesen. Wochen später hatte Porter den Widerstand des Firmenchefs aufgeweicht. Ein Standlauf war ihm erst einmal bewilligt worden. Die Cessna 195 wurde alsbald aus dem Hangar geschoben und Porter hatte sich mit der Bändigung des großen Sternmotors üben können. Die ersten Rollversuche hatten ihm sehr schnell gezeigt, dass die Sicht nach vorn tatsächlich äußerst prekär war. Schnell hatte er jedoch gelernt, sich durch das seitliche Fenster zu orientieren und im Zickzackverfahren zu rollen.
Dann endlich war ihm auch ein Testflug zugesprochen worden. Mit dem Blick flehend gegen den Himmel gerichtet, hatte ihm der Chef trotz seiner nicht sonderlich großen Flugerfahrung die lang erwartete Bewilligung für einen Start auf der langen Piste 27R bewilligt. Da Porter sein fliegerisches Geschick fast ganz auf Flugzeugen mit Heckrad angesammelt hatte, war er guten Mutes, dieses Monster in den Griff zu bekommen. Auf gar keinen Fall wollte er den beiden Piloten der Lufthansa nacheifern, sondern die Cessna wieder heil auf Mutter Erde zurückbringen.
Der Start war denn auch ohne Problem vonstattengegangen. Porter hatte der eleganten Maschine ihren Lauf gelassen, hatte nur sachte korrigiert und sich deren Reaktionen auf seine Steuerausschläge gemerkt. Durch die missratenen Landungen seiner Vorgänger gewarnt, hatte er nach etwa dreißig Minuten Erprobung der Flugcharakteristik dem Kontrollturm sein Anliegen erklärt und um einen langen Anflug gebeten. Anscheinend hatte der Fluglotse die ehemaligen verpatzten Landungen noch miterlebt, denn er wünschte Porter alles Gute beim Versuch, die Cessna 195 heil auf die Piste zu bekommen.
Es war bei einem Versuch geblieben. Die Fahrwerkbeine aus Federstahl hatten ihm seine ersten Kontakte mit der Piste übelgenommen. Beim Durchstarten hatte er jedoch begriffen, dass die von Kollegen empfohlene Landung mit erhöhter Geschwindigkeit und nur auf dem Hauptfahrwerk, niemals zum Erfolg führen würde. Beim nächsten Anflug hatte er daher kurz vor dem Aufsetzen die Endgeschwindigkeit reduziert, bis der Anstellwinkel eine Dreipunklandung erlaubte. Sachte, wie auf Entenfedern hatte sich die Cessna auf die Piste gesetzt und mit nur wenigen Bremskorrekturen war sie auch auf der Mittellinie geblieben. Stolz, wie ein Gockel, hatte Porter danach die Cessna vor dem Hangar und einer nicht gerade kleinen Menge an Zuschauern abgestellt. Der Chef hatte ihm als Erster strahlend die Hand gedrückt und ihm die Erlaubnis erteilt, mit weiterem Training ein Gefühl für die Maschine zu bekommen. Das Eis war damit geschmolzen und bald hatte Porter die nötige Erfahrung gesammelt, um auch längere Flüge und Landungen auf unbefestigten Pisten mit der Cessna 195 zu unternehmen.
Die Aufforderung der Geschäftsleitung, die Cessna schnellstens für den Überflug nach Liberia vorzubereiten, traf Fred Porter aber unvorbereitet. Eigentlich hatte er erwartet, dass eine der zweimotorigen Avro „Ansons" für diesen Auftrag ausgewählt würde. Sein Hinweis, dass die einmotorige Cessna wohl besser mit den Bedingungen in Liberia fertig würde, und er kleine Wartungsarbeiten auch selbständig ausführen könnte, hatte zweifelsfrei zugunsten seines Vorschlages beigetragen. Jetzt aber galt es, in kürzester Zeit sämtliche Unterlagen und Genehmigungen für diesen Flug zusammenzustellen. Mit Grauen erinnerte er sich der Vielzahl von Telegrammen, die die Sekretärin verschicken musste, um auf der geplanten Route die Treibstoffversorgung sicherzustellen.
Karten vom Gebiet der Sahara und den diversen Kleinstaaten entlang der Flugroute mussten erst bestellt und die Notams studiert werden. Die Arbeiten an der Cessna für den Einbau eines nötigen HF-Funkgerätes kamen nicht vom Fleck und brachten Porter fast zur Verzweiflung. Doch am 22. Juni war es dann endlich soweit. Mit der Erprobung der verschiedenen Geräte konnte begonnen werden. Zu seiner Beruhigung lief alles ausgezeichnet. Die Zusammenstellung der Notausrüstung zur Überquerung der Wüstengebiete, der sogenannten „Region inhospitalière", brachte jedoch erneut unerwartete Probleme mit sich. Die Beschaffung von Morphium Ampullen sowie einer ganzen Anzahl anderer Medikamenten war nämlich eine Sache für sich. Ein paar Tage später war es dann soweit. Die letzten Vorbereitungen zum Start konnten jetzt getroffen werden.
Es war kurz nach elf Uhr, als die Mechaniker wegen der hohen Temperaturen im Süden, das Öl des Jacobs-Sternmotors auf SAE 50 wechselten. Porter war inzwischen mit dem Verstauen der zum Teil sperrigen Ladung in der Kabine und dem Gepäckraum beschäftigt. Währenddessen tätigte sein Begleiter Herget noch ein paar Einkäufe für das leibliche Wohl. Die von den Wetterfröschen abgegebene Vorhersage für die erste Etappe war denkbar schlecht. Da die Maschine nicht für Blindflug ausgerüstet war, musste er sich an die Sichtflugregeln halten. Porter kämpfte also mit dem Ja oder Nein und entschloss sich schließlich, den Flugplan nur bis Lyon auszufüllen. Bei der bestehenden Wetterlage hielt er es für angesagt, genügend Reserve für einen Ausweisflugplatz zu haben.
Nach einem letzten Winken und dann Start von Piste 27 L flog er in einer weit gezogenen Linkskurve Richtung Süden. Die anfängliche Wolkenuntergrenze von 2500 Fuß sank bei Mannheim auf weniger als die Hälfte und bei Baden-Oos huschten sie mit der Maschine nur noch in 500 Fuß über das Rheintal. Wegen der Wetterlage entschloss er sich, dem Rhein zu folgen und nicht den direkten Weg durch die Vogesen zu riskieren. Turbulenzen fassten nach der Maschine, ließen sie tanzen, wie ein Kahn auf aufgewühlter See. Zu seiner Erleichterung meldete ihm Basel Tower per Funk – freundlich wie immer – die Aussicht auf gutes Wetter bis Genf. Entlang den Höhenzügen des Jura schien alles in bester Ordnung zu sein, bis plötzlich der Motor einen Leistungsabfall zeigte und zusätzlich einen Hustenanfall kriegte. Porters Herz rutschte in die Hose. Doch dann verriet ein Blick auf Vergasertemperatur die Ursache und ein Zug an der Vorheizung beendete das Problem. Nachdem sie Genf zu ihrer Linken passiert hatten, fassten die bekannten Turbulenzen der Rhone Schlucht nach ihnen und ein kräftiger Westwind warf zusätzlich ihre geschätzte Ankunftszeit für Lyon weit zurück. Aber es spielte keine Rolle, denn eine Übernachtung in Lyon war sowieso vorgesehen.
Am nächsten Morgen begrüßten sie Nieselregen und tiefhängende Wolken. Mit Pessimismus geladen ging's ab zum Flugplatz Bron. Doch an einen sofortigen Weiterflug war nicht zu denken, denn erstens war die Wetterlage weit von den Sichtflugbedingungen entfernt, und zweitens hatte sich die Pressluft im Heckrad-Stoßdämpfer über Nacht davongemacht. Bis Mittag war jedoch das Problem behoben. Zugleich lockerten sich auch die Wolken etwas auf. Die nächste Etappe bis Barcelona verlief daher bei schönstem Wetter. Die anschließende Verständigung mit dem dortigen Kontrollturm ließ leider zu wünschen übrig. Nachdem Porter über den Anflug und Kommunikation einer Vickers „Viking" rätselte, bekamen auch er die erwartete Landeerlaubnis. Gerade einladend kam Porter die Piste nicht vor und es fehlte auch die QFU-Bezeichnung, aber dann quietschten auch schon die Reifen auf der geteerten Piste auf.
Langsam begann er, abzubremsen. Doch dann – oh Schreck – der Bremsdruck war weg. Die relativ günstige Eigenschaft der Cessna 195 einen Ground-Loop zu produzieren, war damit auf Höchste gegeben, zumal auch noch ein kräftiger Seitenwind herrschte. Porter tat, was möglich war, um dem Unheil entgegenzuwirken. Doch dann drehte es die Cessna auch schon mit einer 450°-Rechtsdrehung um die Hochachse. Immer noch auf der Piste stehend, schauten Hegert und er sich dumm an und dankten Gott, dass sie das Ganze ohne Schaden überstanden hatten. Mit rotem Kopf und gedämpftem Optimismus rollten sie danach dem Terminal entgegen, wo sie zum Abstellen neben eine Messerschmidt Me-109 der spanischen Luftwaffe eingewiesen wurden.
Sofort versuchte Porter, den Grund für den Bremsdruckverlust zu eruieren. Aber es war vergebens. Auf Anhieb war nichts Verdächtiges festzustellen. Es folgte ein Kopfschütteln und die Hoffnung, dass es nur ein zufälliges Problem war. Die Nacht verbrachten sie in einem Hotel in der Stadt, wo Porter für Stunden über das mögliche Problem mit den Bremsen nachdachte. Er wollte am Morgen der Sache auf den Grund gehen und so wartete der nächste Tag mit allerhand Arbeiten auf sie. Nachdem er ein paar Leute der Iberia-Fluggesellschaft mobilisieren konnte, um die Maschine aufzubocken, wurde die gesamte Bremsanlage überprüft. Bremsbeläge, die sie als Ersatzteile geladen hatte, wurden ausgewechselt und das ganze System entlüftet. Danach zog die Bremse wieder an, als ob nie etwas damit gewesen wäre.
Sofort wurde ein Flugplan bis Malaga ausgefüllt und dann rollten sie zum Start. Als Porter jedoch beim Hinausrollen die Bremse betätige, um in einer Schlangenlinie seinen Weg zu finden, fiel der Bremsdruck erneut zusammen. Seine anschließenden Kraftausdrücke waren von der untersten Schublade und wohl in keinem Duden vermerkt. Also zurück zum Abstellplatz, wo sie das ganze Prozedere mit dem Entlüften der Bremsen wiederholten. Der erneute Rollversuch brachte sie dieses Mal immerhin bis zum Holding Point der Piste.
Vor Porter startete gerade donnernd die spanische Version der Me-109, als er gleich darauf dem Jacobs-Sternmotor die Sporen gab. Die nächsten Stunden brachten sie über Valencia, Murcia und die herrliche Gebirgsgegend von Grenada. Alles sah so malerisch aus, aber Porter dachte an den vorne dumpf brummenden Motor. Wehe dem, der hier eine Notlandung vollziehen musste. Doch wenig später kam Málaga in Sicht. Der langgestreckte Sinkflug brachte sie geradezu in den Short Final
zur Piste 14. Der Versuch, die Maschine nach der Landung abzubremsen, wurde auch hier mit einem Druckverlust beantwortet. Nur mit Hilfe von stoßweisem Gas geben und vollem Einsatz des Seitenruders sowie dem glücklichen Umstand, dass kein Seitenwind herrschte, war es zu verdanken, dass ihnen nicht wieder das Gleiche, wie in Barcelona passierte.
Dieses Mal wollte Porter unbedingt wissen, wie es dauernd zum Bremsdruckverlust kam. Nichts wollte er unversucht lassen, um hinter das Geheimnis zu kommen. Nachdem beide Räder des Fahrwerks demontiert und die dünnen Bremsscheiben entfernt waren, kam er bei der Demontage der Räder dem Geheimnis auf der Spur. Beide Scheiben zeigten wellenförmige Verwerfungen. Jetzt wurde ihm einiges klar. Die beim Abbremsen erhitzten Bremsscheiben begannen sich jeweils zu verwerfen und wischten bei jeder Umdrehung des Rades dem Bremskolben konstante Schläge aus. Dies bewirkte, dass das Bremsventil jeweils kurz öffnete und der Druck dadurch auf null absackte. Dies war eine Erfahrung, mit der er etwas anfangen konnte. Mithilfe eines gewieften, alten Schmieds mit einer noch viel älteren Werkstatt konnte er die Bremsscheiben im Feuer und über dem Amboss wieder plan richten und sie im Ölbad sintern. Der danach erfolgte Test an der Maschine bestätigte deren Wirksamkeit. Einem Weiterflug stand also nichts mehr im Weg.
Mit viel Palaver wurde am Morgen danach die Abfertigung nach Casablanca-Nouasseur gemacht. Dies war nach dem Kartenmaterial, das Porter besaß, ein riesiger Flugplatz der USAF, der temporär für Zivilmaschinen geöffnet war. Der eigentlichen Zivilflugplatz Cazes war gemäß Notam für Transitflüge gesperrt. Mit einem letzten Winken an die Helfer ging’s los. Der Flug führte vorbei an malerischen Dörfern, die wie Schwalbennester an steilen Hängen klebten. Weit im Süden konnte mal bald den von einer geschlossenen Stratusschicht umgebenen Felsen von Gibraltar erkennen. Die per Funk eingeholte Überflugs-Genehmigung kam prompt. Leichter Regen hatte jetzt eingesetzt. Sie überflogen die am Fuße des Felsens gebaute Piste in 800 Fuß und holten nach rechts aus, um die sich vor ihnen türmende Schlechtwetterzone zu umfliegen. Es half nichts. Im Tiefflug und schlechter Sicht mussten sie durch die Front, vorbei an schwer in der Dünung stampfenden Tankern. Windböen rissen an der Maschine und die Wellen unter ihnen trugen verwischte, weiße Kronen. Auch das Thermometer fiel merklich und mahnte Porter, ein Auge auf die Vergaserheizung zu haben.
Die Einöde über der Meerenge schien kein Ende zu haben. Die Minuten krochen furchtbar langsam dahin. Allein das Lästern über die spanischen Wetterfrösche, welche die Vorhersage für die Route gemacht hatte, bot etwas Abwechslung. Zu ihrer Erleichterung meldete Tangier Tower ein akzeptables Wetter und beste Sicht. Die Küste von Nordafrika kam in Sicht und sie schüttelten sich die Hände für den Übergang auf den Schwarzen Kontinent. Ein paar angeschwemmte und ausgehöhlte Schiffswracks gähnten zu ihnen herauf. Sie staunten herunter und vergaßen dar ob völlig ihre Umgebung. Erst ein Schatten, der über Porters Gesicht huschte, ließ ihn erschrocken aufschauen. Eine Mistère-Patrouille der marokkanischen Luftwaffe auf ihrer linken Seite brachte ihn etwas in Aufregung. Schon glaubte er in ihrem Flügelwackeln das Zeichen des „Follow-me" zu sehen. Aber ein freundliches Winken hinter deren Plexiglashaube beruhigte ihn. Erfreut hob er ebenfalls die Hand zum Gruße. Nach kurzer Zeit drehten sie weg, und das Eintönige der Gegend umfing sie erneut.
Casablanca Control gab ihnen gleich darauf die Einflug-Bewilligung und leitete sie nach Nouasseur weiter. Der dort tätige Turmbeamte der US-Air-Force antwortete mit einem herrlich klaren Englisch. Ein Genuss nach all dem Kauderwelsch der letzten Tage. Allerdings wollte er wissen, wie sie überhaupt dazu kämen, Nouasseur anzufliegen. Porter erzählte ihm vom Flugplan, dem Notam und dem Transitverbot in Casablanca-Cazes.
„Stand-by!", war seine Antwort. Zehn Minuten vergingen. Nach weiteren fünf Minuten, die sie mit dem Umkreisen des Flugplatzes verbrachten, verlor Porter die Geduld. Sein Protest war von Erfolg gekrönt, denn gleich darauf bekam er die Landerlaubnis. Kaum hatte er die Cessna auf der Piste, kam auch schon die Anweisung vom Kontrollturm, einen Taxiway auf der Südseite zu benutzen, der zu einem kleinen Hangar und ein paar Baracken führte. Argwöhnisch stellte Porter dort die Maschine ab und wartete der Dinge, die da kommen sollten.
Gerade bestaunten sie die mit B-52 Bombern und Transportflugzeugen überfüllten, riesigen Abstellplätze auf der anderen Seite der Piste, als ein Renault mit amerikanischem Kennzeichen angesaust kam. Porters Herz rutschte gegen die Magengegend. Military Police! Zu seiner Erleichterung erwies sich der Uniformierte, der ausstieg und sich ihnen näherte, als ein gutmütiger Amerikaner. Nach einer ersten kritischen Musterung hieß er sie freundlich willkommen. Gleichzeitig aber wünschte er ihnen einen guten Weiterflug nach Casablanca-Cazes. Dies wäre eine Sperrzone für Zivilflugzeuge, erklärte er mit einem schweren texanischen Akzent. Kein Zoll, kein Benzin und keine Polizei seien hier verfügbar. Als Porter ihn wegen des Notams fragte, gab er zur Antwort, das Transitverbot in Cazes sei zwar einmal gewesen, aber das liege schon über ein Jahr zurück. Ihr Staunen war echt. Mit dem Updating von Notams klappte anscheinend in Europa nicht alles.
Minuten später waren sie erneut in der Luft und in Richtung Casablanca-Cazes. Die Verständigung mit dem dortigen Tower war denkbar schlecht, aber Porter konnte heraushören, dass sie für Piste 21 eine Landegenehmigung hatten. Der erste Eindruck von Cazes war genauso schlecht. Ein furchtbares Durcheinander empfing sie am Zoll. Erst als Porter beim Chef persönlich vorstellig wurde, kam die Sache ins Rollen. Immerhin dauerte es immer noch zwei Stunden, bis sie endlich mit einem „Au revoir" entlassen wurden.
Als Nächstes fixierte Porter den Flugplan für die nächsten drei Tage bis Dakar.