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Fatale Fehler: Oder warum Organisationen ein Fehlermanagement brauchen
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Fatale Fehler: Oder warum Organisationen ein Fehlermanagement brauchen
eBook312 Seiten3 Stunden

Fatale Fehler: Oder warum Organisationen ein Fehlermanagement brauchen

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Über dieses E-Book

Ich irre, also bin ich, schrieb Augustinus, und Benjamin Franklin war der Meinung, die Geschichte der menschlichen Irrtümer sei interessanter als diejenige ihrer Erfindungen; doch wenn wir uns irren und Fehler machen, ärgern wir uns und fühlen uns peinlich berührt. Am unangenehmsten sind uns die Fehler, die uns geschäftlich unterlaufen, denn auf dieser Ebene ist das Publikum in der Regel größer als im privaten Kreis. Dass diese Einstellung verhängnisvoll ist, demonstriert Jan Hagen auf faszinierende Weise anhand einschlägiger Beispiele aus der zivilen und militärischen Luftfahrt. Ebenso eindrucksvoll beschreibt er, wie dort nach und nach ein einschlägiges Fehlermanagement entwickelt wurde, die Widerstände, die auf dem Weg dahin überwunden werden mussten, und die langsame aber letztlich erfolgreiche Generierung jener sachlichen, fehlerdiagnostischen Kultur, die heute jedes moderne Unternehmen braucht.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum19. Juli 2013
ISBN9783642389443
Fatale Fehler: Oder warum Organisationen ein Fehlermanagement brauchen

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    Buchvorschau

    Fatale Fehler - Jan U. Hagen

    TEIL I

    © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

    Jan U. HagenFatale Fehler10.1007/978-3-642-38944-3_1

    Vor dem Crew Resource Management

    Jan U. Hagen¹

    (1)

    ESMT Customized Solutions GmbH, Berlin, Deutschland

    Im Zuge der sich seit 2007 verstärkenden Finanzmarktkrise ist großes Unverständnis darüber geäußert worden, dass renommierte Banken mit ihren strukturierten Wertpapieren unverhältnismäßig hohe Risiken eingegangen sind. Insbesondere das Vergütungssystem im Investmentbanking, die hohen Bonuszahlungen und die damit einhergehende asymmetrische Risikoverteilung wurden als wesentliche Ursache der Krise gesehen. Man wunderte sich darüber, wie alles dermaßen hatte aus dem Ruder laufen können. Dabei hatte es in den Banken schon vor der Krise warnende Stimmen gegeben. Die Frage ist nur, warum sie nicht gehört wurden. Wurden die Warnungen einfach nicht zur Kenntnis genommen? Wurden sie unterschätzt? Worin bestanden die Fehleinschätzungen, wie sind sie entstanden, wem unterlaufen, und wie konnten sie zur Grundlage immer neuer falscher Entscheidungen werden, so lange, bis es zu den dramatischen Folgen kam?

    Das Verhalten der Banker ist allerdings kein Sonderfall. Es ist nicht einmal branchentypisch, denn wir kennen ähnliche Beispiele. Enron wäre eins von ihnen, ein Unternehmen, in dem die Politik der Geschäftsleitung geltenden Gesetzen widersprach, ohne dass jemand gebremst hätte. BP wäre ein anderes. Dort gab es vor dem Unfall auf Deepwater Horizon genügend Warnungen über die unzureichende Zementierung des Bohrlochs, aber die Bohrungen wurden nicht gestoppt. Das Gleiche gilt für die klemmenden Gaspedale der PKW von Toyota, die ungehindert auf den Markt kamen, als hätte Toyota weder Designer noch Kfz-Ingenieure noch eine Qualitätskontrolle für die Lieferanten. Aus den Reihen jeder denkbaren Organisation sind uns Fehler, Irrtümer, Fehlentscheidungen, Übergriffe, Affären und Skandale bekannt, und doch scheint es in keiner eine Kontrollinstanz zu geben, die rechtzeitig eingreift, um das, was falsch läuft, zu unterbinden. Stattdessen nimmt das Verhängnis – für jeden Beteiligten sichtbar – seinen Lauf.

    Aber schauen wir uns den Unternehmensalltag an. Was geschieht, wenn jemand Fehler gemacht oder Fehlentscheidungen getroffen hat? Die Rede ist hier weder von bewusstem Fehlverhalten noch betrügerischen Absichten, grober Fahrlässigkeit oder großangelegtem Missmanagement. Es geht einfach um Fehler, Irrtümer und falsche Entscheidungen, wie sie täglich vorkommen. Es sind Patzer, die uns, während wir sie machen, nicht einmal bewusst sein müssen, obwohl uns alle vier Minuten ein kleinerer Fehler unterläuft. So jedenfalls lautet das Ergebnis einer Studie der National Aeronautics and Space Administration (NASA) aus dem Jahr 1979, bei der es um Piloten ging, eine Gruppe also, die wegen des Risikos ihrer Tätigkeit sehr bewusst versucht, Fehler zu vermeiden (H. P. Ruffell Smith (1979), S. 14-21). Aber bei ihnen wie bei uns sind die Fehler Folgen von kurzen Blackouts, Kurzschlusshandlungen, falschen Eindrücken, Erinnerungen, die uns täuschen, Gesprächsfetzen, die wir aufschnappen und falsch auslegen, Annahmen, aus denen wir Prämissen ableiten; auch von Überzeugungen und Vorurteilen – seien sie geschlechtsspezifischer, sozialer oder ideologischer Natur – ebenso wie von Desorientierung, Stress und anderen psychischen und physischen Faktoren. „Wir machen zick, wenn wir hätten zack machen sollen, schreibt Charles Perrow in seinem brillanten Buch über Normal Accidents (Perrow, C. (1999), S. 214). „Es geschieht selbst dann, wenn wir aufpassen und sehen, was wir tun (ebd.). Im besten Fall ahnen wir, dass das, was wir gemacht oder gedacht haben, nicht ganz so perfekt war. Einen Grund für unser Verhalten sieht Perrow darin, dass wir die Dinge vereinfachen, um mit ihnen umgehen zu können, „denn die Komplexität der Gesamtwelt ist uns zu groß. Deshalb verarbeiten wir die Informationen, die in die Welt unserer Erwartung passen, und finden Gründe, dazu widersprüchliche Informationen auszulassen (ebd.). Tatsächlich benutzen wir reine Annahmen, um Schlüsse zu ziehen, Wissen abzuleiten und Urteile zu fällen. Wir sehen feste Verbindungen und logische Zusammenhänge, wo es nur schwache Anhaltspunkte gibt, missverstehen einen Kontext und interpretieren Geschichten und Hinweise als objektive Fakten, selbst wenn es dabei nur um Hörensagen geht. Im Grunde ist unser Problem, dass wir glauben, wir könnten und sollten immerzu „richtig-liegen. Dabei liegen wir im Idealfall vielleicht annähernd richtig und passen unsere Informationen und die darauf beruhenden Entscheidungen im Lauf der Zeit den nächsten Erkenntnissen an. Zu glauben, man habe recht, und später zu erkennen, dass man unrecht hatte, führt oft zu Verwirrung und Selbstzweifeln. Wenn ich beispielsweise sage: „Ich weiß, dass meine Wagenschlüssel in der oberen Schublade des Tischchens in der Diele sind, gar keine Frage. Dahin lege ich sie immer und das seit Jahren", wird es mir nicht gefallen, plötzlich festzustellen, dass ich sie in der Nachttischschublade untergebracht habe. Genau genommen wird es mich derart verwirren, dass ich mich immer wieder aufs Neue zwinge, mir den Weg der Schlüssel in den Nachttisch zu erklären, nur um mir zu bestätigen, dass ich mich in einer plausiblen, geordneten Welt zurechtfinde.

    Im geschäftlichen Alltag ist die Lage noch prekärer, denn da entstehen die vermeintlich sicheren Erkenntnisse häufig unter Druck – Zeitdruck wie Erfolgsdruck -, was ihre Validität erneut relativiert. Konkret können sich dadurch etwa falsche Zahlen ergeben, die zur Entscheidungsgrundlage und im nächsten Schritt zu verkehrten Zinssätzen, Marktanteilsquoten oder Wachstumsraten werden. Oder wir begegnen Kausalitäten, die, aus statistischen Analysen unvollständig abgeleitet, zur Basis geschäftlicher Entscheidungen werden (vgl. Reason, J. (1997), S. 71 f.).

    Natürlich gibt es auch Arbeitsschritte und Prozesse, die einfach falsch ausgeführt werden, obwohl die Voraussetzungen stimmen. Die Gründe können vielfältig sein, aber nur in den seltensten Fällen sind die Beteiligten zu dumm oder handeln zum Spaß verantwortungslos. Um noch einmal Perrow zu zitieren: „Tatsache ist, dass nur sehr wenige Menschen dieses Attribut [dumm] verdienen, ganz gleich, in welchen Lebensbereichen wir sie finden. Auch die Bezeichnung, dass jemand ‚risikofreudig‘ ist, hilft uns nicht viel weiter. […] Wir geben vermutlich alle zu, dass wir als Autofahrer hier und da unnötige Risiken eingegangen sind; doch das, was wir uns und anderen dazu sagen, ist: ‚Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Es war dumm und albern von mir‘ (Perrow, C. (1999), S. 214). In der Regel sagen wir nicht: „Mann, gestern habe ich im Auto was Tolles gemacht. Um ein Haar wäre ich dabei sogar gestorben.

    Trotzdem müsste man durch die Fehler, mit denen wir uns hier beschäftigen, eigentlich noch klüger werden als man ist, denn so will es das Sprichwort. Die Voraussetzung wäre jedoch, dass wir unsere Fehler nicht schleunigst verdrängen, sondern akzeptieren und analysieren. Denn nur wer weiß, wie ein Fehler entstanden ist, kann dazulernen und ihn künftig vermeiden. Insbesondere Führungskräfte sollten Fehler daher in diesem Zusammenhang sehen, ganz gleich, ob sie selbst oder andere sie begangen haben.

    Vor etwa einem Jahr wollten meine Kollegen an der ESMT und ich wissen, wie Manager und Mitarbeiter mit Fehlern umgehen. Im Rahmen einer Studie befragten wir daher 360 Führungskräfte verschiedener Branchen nach ihrer Bereitschaft, die Fehler von Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten anzusprechen. Außerdem sollten sie die Fehlerakzeptanz in ihren Unternehmen einschätzen. Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei 43 Jahren; ihr Verantwortungsbereich umfasste im Durchschnitt 150, mindestens jedoch 8 Mitarbeiter. Dreiundachtzig Prozent waren dem mittleren Management zuzuordnen; 11 Prozent Eigentümer, Vorstände oder Geschäftsführer. Der Frauenanteil betrug 12 Prozent.

    Korrigieren Führungskräfte also die Fehler ihrer Mitarbeiter, beispielsweise den falsch berechneten Marktanteil des Konkurrenten in einer Wettbewerbsanalyse? Wie unsere Studie ergeben hat, haben die meisten Vorgesetzten damit – wenig überraschend – kein Problem. Aber trauen sich auch die Mitarbeiter, ihre Vorgesetzten darauf anzusprechen, wenn diese sich verrechnet haben oder eine ethisch fragwürdige Entscheidung treffen wollen? Wie wir festgestellt haben, ist die Hemmschwelle in diesem Fall deutlich höher.

    Fehler werden oft mit schlampiger Arbeit assoziiert, mit Versagen oder persönlicher Schwäche. Deshalb ist es uns unangenehm, offen über sie zu sprechen. Dabei sind Fehler nicht unbedingt auf Nachlässigkeit oder mangelnde Fähigkeiten zurückzuführen. Jeder kann einmal abgelenkt, müde oder überfordert sein. Die Gründe dafür müssen auch keineswegs nur privater Natur sein, sondern haben häufig mit belastenden Situationen im Unternehmen zu tun.

    Wir erkundigten uns, wie Führungskräfte über die Fehler von Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten sprechen. Unsere Studie ergab, dass 88 Prozent der Manager die Fehler ihrer Mitarbeiter und gleichrangigen Kollegen diskret unter vier Augen ansprechen. In offener Runde wollen nur 11 Prozent darüber diskutieren. Ein Prozent zieht es vor, die Fehler zu ignorieren. Umgekehrt weisen 86 Prozent der befragten Manager ihre eigenen Vorgesetzten unter vier Augen auf Fehler hin; offen möchten das nur 4 Prozent tun. Zehn Prozent behalten den Vorgesetztenfehler lieber für sich. Fragt man Führungskräfte danach, wie sie selbst von ihren Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten auf Fehler angesprochen werden, geben nur 54 Prozent an, dass dies überwiegend im vertraulichen Gespräch geschieht. Achtzehn Prozent dagegen sagen, dass die Fehler in der Regel im größeren Kreis erörtert werden. Achtundzwanzig Prozent schließlich gehen davon aus, dass niemand sie auf ihre Fehler aufmerksam macht.

    Wir erkennen eine bemerkenswerte Diskrepanz: Zwar behaupten 88 Prozent der befragten Manager, die Fehler anderer anzusprechen, vorzugsweise unter vier Augen. Aber nur 54 Prozent haben den Eindruck, dass sie selbst unter vier Augen auf Fehler hingewiesen werden. Dafür glauben 18 Prozent, die eigenen Fehler würden vor einem größeren Kreis diskutiert, wohingegen nur 11 Prozent selbst die offene Fehleransprache bevorzugt.

    Dieser Unterschied kann auf das Phänomen der verzerrten Wahrnehmung zurückzuführen sein: Womöglich haben sich die – oft demütigend empfundenen – Momente, in denen die eigenen Fehler in großer Runde diskutiert wurden, bei Managern stärker eingeprägt als diejenigen, in denen sie selbst andere offen kritisiert haben.

    Bemerkenswert ist auch, dass 28 Prozent der Führungskräfte davon ausgehen, ihre Fehler würden nie offen angesprochen. Sie nehmen demnach an, dass hinter ihrem Rücken über sie getuschelt wird oder hoffen, dass ihre Fehler unerkannt bleiben.

    Interessant ist auch der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Befragten. Wenn sie Fehler bei Vorgesetzten ansprechen, bevorzugen beide Geschlechter das vertrauliche Gespräch – Frauen (78 Prozent) etwas weniger als Männer (87 Prozent). Dagegen zeigen Managerinnen eine fast dreimal größere Bereitschaft zur offenen Fehlerdiskussion als ihre Kollegen, allerdings auf insgesamt niedrigem Niveau (9 Prozent gegenüber 3 Prozent). Von den 10 Prozent der Befragten, die die Irrtümer ihrer Vorgesetzten nie offen ansprechen, zeigten Frauen eine größere Neigung, hinter dem Rücken ihrer Vorgesetzten über deren Fehler zu sprechen – 67 Prozent im Vergleich zu 39 Prozent der männlichen Führungskräfte. Die restlichen Befragten zogen es vor, die Missgriffe des Chefs für sich zu behalten.

    Die größten Unterschiede zeigten sich jedoch beim Vergleich der Altersgruppen. Je älter Führungskräfte werden, desto bereitwilliger sprechen sie Mitarbeiter und Vorgesetzte auf Fehler an. Jüngere Manager sind dabei erwartungsgemäß vorsichtiger: Fünfzehn Prozent der unter 30-Jährigen behalten die Fehler ihrer Chefs für sich. Fast 100 Prozent der Jüngeren geben an, dass sie Fehler unter vier Augen besprechen. Bei den über 60-Jährigen liegt dieser Anteil nur noch bei 71 Prozent.

    Auch sind jüngere Führungskräfte zurückhaltender, was die Offenlegung eigener Fehler angeht: Knapp 20 Prozent gaben an, ihre Fehler lieber allein und unauffällig zu korrigieren. Mit zunehmendem Alter sinkt diese Tendenz jedoch; bei den über 60-Jährigen liegt dieser Anteil nur noch bei 6 Prozent. Im Übrigen spielen sich diese Unterschiede ungeachtet der Position ab: Ältere Führungskräfte auf unteren und mittleren Hierarchiestufen sprechen Fehler bei Mitarbeitern wie bei Vorgesetzen eher an als jüngere, aber hierarchisch höher stehende. Dieser Effekt tritt vor allem bei Managern von über 55 Jahren auf – ein Alter, in dem die eigene Position in der Regel gefestigt ist.

    Bezogen auf die Unternehmenskultur zeigt unsere Studie, dass Fehler in den meisten Unternehmen mittlerweile als Teil des normalen Arbeitsablaufs wahrgenommen werden. Das gaben 75 Prozent der Befragten an; nur 25 Prozent sehen Fehler als Resultat schlampiger Arbeit und verbinden sie mit Bloßstellungen oder Sanktionen.

    Was aber bedeuten diese Erkenntnisse für wettbewerbsorientierte Unternehmen, deren Organisationsform zunehmend auf vernetzten Systemen beruhen wird? Solche Systeme verlangen zur zügigen Problembewältigung offene Diskussionen, zu denen auch die über Fehlerquellen gehören. Dabei geht es nicht nur um technische Pannen und Schäden, die Dritte verursacht haben, sondern auch um Irrtümer, Fehlentscheidungen, Versehen und Fehler der Beteiligten. Die Debatten darüber müssen rational und analytisch geführt werden. Schuldzuweisungen, Verteidigungen und die damit verbundenen Emotionen würden die jeweiligen Arbeitsprozesse nur verlangsamen oder stören.

    Da der offene Umgang mit Fehlern in den meisten Unternehmen jedoch noch alles andere als selbstverständlich ist und somit beträchtliche Umstellungen erfordern wird, muss die neue permissive Fehlerkultur kontinuierlich von oben nach unten vorgelebt und die Sanktionsfreiheit konsequent durchgehalten werden. Zudem müssen Mitarbeiter, die eigene und andere Fehler offen benennen, geschützt werden. Es in puncto Fehlerkultur nur bei Lippenbekenntnissen zu belassen, wird bestenfalls zur Verunsicherung der Belegschaft beitragen.

    Das Wissen über diese Umstände war bei unseren Befragten vorhanden, denn zum überwiegenden Teil betrachteten sie Fehler als normale Bestandteile des beruflichen Alltags. Was nicht dazu passt, ist die große Vorliebe für das Vier-Augen-Gespräch, denn sie zeigt, dass der Umgang mit Fehlern weiterhin von Scham geprägt wird, oder – noch schlimmer – von Schweigen und heimlichem Getuschel.

    Dabei ist aktives Fehlermanagement möglich. Dass es sogar erfolgreich durchgeführt werden kann, zeigt ein Blick in Hochrisikobranchen wie die Luftfahrt, wo Fehler offen akzeptiert, analysiert und Fehlerquellen sachlich ausgeschaltet werden – und auch ausgeschaltet werden müssen, um Katastrophen zu vermeiden. Wer jemals dabei war, wenn Piloten einander auf einen Fehler aufmerksam machen, wird erstaunt feststellen, dass dazu ein ruhiger Hinweis und ein ebenso ruhiges „Danke" als Antwort ausreichen. Das heißt auch, dass man sich in der Luftfahrt schon seit Jahren mit den Phänomenen der allgemeinen Fehlbarkeit und des dennoch fehlerfeindlichen Verhaltens auseinandersetzt. Schließlich können Fehler auf dem Gebiet des Personentransports so katastrophale Folgen haben, dass man sie weder schönreden noch unterschlagen kann. Allein deshalb werden Flugunfälle, anders als Fehlinvestitionen, falsche Preisstrategien und Insolvenzen, von den staatlichen Behörden umgehend und ausführlich analysiert. Immerhin handelt es sich bei den Opfern oft um Tote, die von ihren Angehörigen betrauert werden, sodass Flugzeugunglücke die Öffentlichkeit existenziell beunruhigen, also auf einer tieferen Ebene, als verlorene Gelder es können, die, zumindest hypothetisch, im Lauf der Zeit wiederherstellbar sind.

    Die nach Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem in den USA eingeleitete systematische Erforschung von Flugunfällen hatte jedenfalls das primäre Ziel, Unfallursachen zu identifizieren, um Wiederholungen zu vermeiden und die Sicherheit des Flugbetriebs zu erhöhen. Die Bestrafung von Fehlverhalten spielte dabei – zumindest für die Unfallermittler – keine Rolle. Seit Anfang der 1970er werden Verkehrsflugzeuge zur Verbesserung der Unfallursachenanalyse überdies mit Stimmrekorder und Datenrekorder – der sogenannten Black Box – ausgestattet, die sich im Heck befindet. Mit diesen beiden Geräten werden sowohl die maßgeblichen Flugparameter¹ wie Geschwindigkeit, Höhe und Triebwerkleistung, als auch die Gespräche der Piloten im Cockpit² festgehalten. Diese Rekorder haben wesentlich dazu beigetragen, dass Flugzeugunfälle rekonstruiert und die Sicherheit in der kommerziellen Luftfahrt kontinuierlich erhöht werden konnten. Dennoch sind die Untersuchungen von Flugunfällen in der Regel langwierig, da sie aufwendige Analysen und Rekonstruktionen verlangen.³ Im Normalfall liegen die Ergebnisberichte frühestens ein Jahr nach dem Unfall vor – häufig mit dem Zusatz „vorläufig" versehen, um zu signalisieren, dass es noch weitere Einflussfaktoren gegeben haben kann.Aber gehen wir noch einige Dekaden zurück: Mit Propellerflugzeugen fing der kommerzielle Personentransport in den 1920er Jahren an, und bis in die 1960er dominierten Flugzeuge mit anfälligen Kolbenmotoren. Flugzeugabstürze wurden oft durch Triebwerkausfälle ausgelöst. Doch selbst als die Flugzeuge in den 1970ern zunehmend mit zuverlässigeren Turbinentriebwerken ausgestattet wurden, verringerten sich die Unfälle nicht im erwarteten Ausmaß. Vielmehr wurde klar, dass die weiterhin auftretenden Vorkommnisse überwiegend auf Fehler der Cockpit-Besatzung zurückzuführen waren. Unter der Federführung der amerikanischen Luftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) und der NASA wurde deshalb Anfang der 1980er Jahre ein Konzept entwickelt, das sich genau diesem Personenproblem widmete. Heute wird es Crew Resource Management (CRM) genannt. Es behandelt die Zusammenarbeit der Mitglieder der Flugzeugbesatzung, doch vor allem geht es darum, die hierarchischen Barrieren zwischen Kapitän, Cockpitbesatzung und Kabine zu senken.

    Um uns die frühere Situation deutlich zu machen, müssen wir auch hier noch einmal einen Schritt zurückgehen: Seit Anfang der 1930er wurden größere Flugzeuge wie die DC-3 oder Ju 52 von Besatzungen geflogen, die zusammenarbeiten mussten. Je nach Flugzeugtyp setzten sie sich aus Pilot (Kapitän), Copilot (Erster Offizier), Bordmechaniker (später Flugingenieur, Zweiter Offizier), Funker und Navigator zusammen. Dem Zusammenwirken innerhalb der Flugzeugbesatzung wurde ganz allgemein jedoch wenig Beachtung geschenkt, und der heute überstrapazierte Begriff „Team" lag noch in weiter Ferne. Seinerzeit dominierte, sowohl bei der Ausbildung von Flugzeugführern als auch ihrem späteren Einsatz, das Pilotenbild aus der Frühzeit der Fliegerei. Es war das des allein verantwortlichen Piloten, der allenfalls Helfer hatte, die ihn bei seiner gehobenen und faszinierenden Tätigkeit unterstützen durften.

    Dieses Bild änderte sich auch im Zweiten Weltkrieg nicht, obwohl da insbesondere Bomberbesatzungen in Formationen operierten, teilweise im Verband von mehreren hundert Flugzeugen. Doch das Idealbild des Piloten blieb das des einsamen, mutigen oder tollkühnen Helden, das lange Zeit von Luftfahrtpionieren wie Charles Lindbergh, „Wild Bill Hopson oder Kampffliegern wie dem „Roten Baron Manfred von Richthofen geprägt wurde. Mythisch überhöht waren es Männer, die, wie man meinte, über den Schlachtfeldern der anonymen Heere ihren einsamen Luftkampf führten, obwohl auch sie schon seit dem Ersten Weltkrieg fast ausnahmslos in Staffeln flogen (vgl. z. B. Hackman, J. R. et al. (1987), S. 291 und Richthofen, M. (1917)). Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, und trotz des starken Wachstums der zivilen Luftfahrt, blieb das tradierte Bild erhalten, nicht zuletzt deshalb, weil zahlreiche ehemalige Kampfpiloten in der zivilen Luftfahrt unterkamen. Denken wir etwa an „Chuck" Yeager: Er war Testpilot und Veteran des Zweiten Weltkriegs sowie 1947 der Erste, der die Schallmauer durchbrach, und wurde in Tom Wolfes Die Helden der Nation (Wolfe, T. (1988)) noch einmal als Einzelgänger und Kämpfer gefeiert. (Auf die Rollenverschiebung vom Einzelkämpfer zum frei vagabundierenden Rebell kommen wir in Teil III noch einmal zurück.)

    Bei den zivilen Flugzeugbesatzungen wiederum gab es Zeiten, die von solch extremem Autoritätsgefälle geprägt war, dass es bisweilen surreale Züge annehmen konnte. Ein schönes Beispiel ist die Einweisung, die Rudolf Braunburg Mitte der 1950er als junger Copilot – aber erfahrener Jagdflieger – bei der Lufthansa von seinem amerikanischen Kapitän erhielt: „Fassen Sie hier nichts an. Das ist ein großes Flugzeug!" (vgl. Braunburg, R. (1978), S. 207).

    Bei der Mythisierung der Flieger spielten kraftvolle, emotionsgeladene Bilder eine wichtige Rolle, die den Einzelnen nicht nur heroisierten, sondern gleichzeitig seine Autorität und folglich sein Ego bestimmten. Beispiele dazu werden wir uns im Folgenden anschauen. Sie werden uns verdeutlichen, wie restriktiv diese Autorität oder dieses Ego jedoch für das direkte Umfeld sein konnte, und welche Problematiken sich daraus ergaben. Betonen möchte ich an dieser Stelle, dass die angeführten Kapitäne und Besatzungen keine Sonderphänomene der Luftfahrt sind, sondern hier lediglich als Prototypen für Führungskräfte aller Branchen stehen. Anders als ihre Pendants in den Unternehmen haben die Piloten allerdings inzwischen dazugelernt und benutzen das Instrumentarium des CRM,

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