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Die Aktivistin: Der Widerstand beginnt
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eBook340 Seiten4 Stunden

Die Aktivistin: Der Widerstand beginnt

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Über dieses E-Book

Gibt es bald kein Bargeld mehr? Wie aus dem Nichts verlautbart das EU-Parlament die komplette Abschaffung von Bargeld im gesamten Euroraum. Die supranationale Regierung preist die Währungsreform als großen Fortschritt an und setzt eine riesige PR-Maschinerie in Gang, aber nicht jeder lässt sich davon täuschen: Viele wissen, dass diese Neuerung in Wahrheit vor allem mehr Überwachung und eine höhere Steuerlast bedeutet.

Die Studentin Johanna Perl beginnt im Internet gegen den Beschluss aus Brüssel zu protestieren - und stößt auf unerwartet große Resonanz.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum23. Okt. 2019
ISBN9783749712687
Die Aktivistin: Der Widerstand beginnt
Autor

Thomas Sailer

Thomas Sailer B.A., geboren am 4. August 1987 in Eisenstadt, Österreich, ist Autor, Künstler und Freizeitpionier. Er ist bekannt für seine Romane, darunter „Der Freizeitpionier“, „Die Wüstenpflanze“ (2012), „Die Aktivistin“ (2014) und „Die Gefängnisinsel“ (2018). Er schreibt außerdem Sachbücher zu den Themen Lebensträume, Erfolg und Geld. Bis zum Jahr 2024 hat er insgesamt 8 Buchtitel veröffentlicht, die teilweise auch ins Englische übersetzt wurden. Neben seiner literarischen Karriere ist Sailer Vorstandsmitglied des Kunstvereins ART HOUSE PROJECT in Eisenstadt und Mitorganisator der erfolgreichen Kunstmesse TRANSFORM-ARTE. Thomas Sailer liebt es, Zeit in der Natur zu verbringen, und hegt eine besondere Leidenschaft für klassische Autos. Derzeit besitzt er eine Sammlung von 13 Exemplaren. Als echter Freizeitpionier verfügt Sailer über die Fähigkeit durch kreatives und innovatives Denken Lösungen für Probleme zu finden, in Situationen, in denen viele andere glauben, dass es nicht möglich ist.

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    Buchvorschau

    Die Aktivistin - Thomas Sailer

    1. Ein folgenschwerer Beschluss

    „Und damit möchte ich gerne zum letzten Punkt auf der heutigen Tagesordnung übergehen."

    Mit diesen an sich unscheinbaren Worten leitete Guido Abbindolatore, der amtierende EU-Parlamentspräsident, die erste öffentliche Ankündigung einer tief greifenden Neuerung ein.

    „Um Geldwäsche, Schwarzgelder, Bestechungsgelder, kurzum jeden illegalen Geldtransfer in Zukunft unmöglich zu machen, hat das Europaparlament beschlossen, das Bargeld im gesamten Euroraum durch ein rein digitales Zahlungsmittel zu ersetzen."

    Sein Ton vermittelte Entschlossenheit und Überzeugung.

    „Ab dem 1. April 2019 werden Zahlungen EU-weit ausschließlich in digitaler Form abgewickelt – bequem, umstandslos und zukunftsorientiert. Sowohl für die Wirtschaft, als auch für jeden einzelnen Bürger der Europäischen Union bedeutet das nicht nur eine große Vereinfachung, sondern vor allem einen enormen Zugewinn an Sicherheit – für bestehende Vermögen und für den Fortbestand und die Stabilität unserer Gemeinschaftswährung", fuhr Abbindolatore fort und achtete dabei sehr auf eine tadellose Körpersprache – für die zahlreichen Pressefotografen und Kamerateams, die seine Ansprache dokumentierten.

    „Vielen Dank. Das wäre alles", sagte er schließlich und verließ damit das Rednerpult.

    Es war im Oktober 2018. Schon seit geraumer Zeit hatte die Führungsspitze der Europäischen Union im Verborgenen an diesem Vorstoß gearbeitet: An dem Vorhaben, Bargeld im Euro-Raum endgültig abzuschaffen, damit jede Geldbewegung nur noch digital ablaufen und jeder Geldbesitz ausnahmslos in virtueller Form vorliegen würde – mit dem Ziel, dass die supranationale Regierung einen lückenlosen Überblick hätte, über jeden existierenden Euro und jeden europäischen Cent. Was ohne Wissen der Öffentlichkeit längst beschlossen worden war, hatte der EU-Parlamentspräsident nun verlautbart – die strenge Überwachungsmaßnahme verklärt als einen großen Fortschritt.

    Diese brisante Neuigkeit verbreitete sich in Windeseile: Mehrere Millionen Menschen in der Europäischen Union, aber auch von außerhalb, hatten Abbindolatores Ansprache live im Fernsehen und im Radio verfolgt; noch am selben Abend waren auf sämtlichen Nachrichtenportalen Artikel darüber zu lesen – am kommenden Tag prangte die Schlagzeile auf den Titelblättern aller namhafter Zeitungen in ganz Europa.

    Auch in den folgenden Tagen blieb die jüngst proklamierte Währungsreform medial allgegenwärtig. Viele Medien berichteten neutral über den Beschluss des Europaparlaments; andere priesen die von offizieller Seite genannten Vorteile der Umstellung auf eine digitale Währung an – wieder andere schrieben mit Skepsis über die bevorstehende Abschaffung von Bargeld.

    So waren die Pläne des Europaparlaments bald Gesprächsthema Nummer Eins in allen betroffenen Nationen: Die einen begrüßten die Einführung einer digitalen Währung – sie vertrauten auf die Europäische Union und erhofften sich, dass Diebstähle, Korruption und Steuerbetrug dank der Bargeldabschaffung bald der Vergangenheit angehören würden; viele zeigten sogar Zuversicht, dass sich die ständig kriselnde Wirtschaft durch diese Maßnahme endlich stabilisieren würde. Andere wiederum waren besorgt und beklagten sich wegen der Währungsreform. Sie sahen darin einen herben Eingriff in ihre Privatsphäre und befürchteten außerdem, dass sie bald gezwungen wären noch mehr als ohnehin schon für den Systemerhalt abzugeben.

    Wenige Tage nach der Verlautbarung des EU-Parlamentspräsidenten war die bereits beschlossene Abschaffung von Bargeld in aller Munde – nicht nur europaweit, sondern gar international. Allerdings gab es trotz der Omnipräsenz dieses Themas nach wie vor auch EU-Bürger, die noch nichts von dieser Neuigkeit mitbekommen hatten – so etwa Johanna Perl.

    Johanna war 23 Jahre alt und wohnte in Hohenau an der March; einem Ort im Nordosten Niederösterreichs, nicht weit vom Dreiländereck zwischen Österreich, der Slowakei und Tschechien. Sie war Studentin an der Universität Wien – nur anderthalb Semester trennten sie noch von ihrem Abschluss.

    Doch an diesem Freitagnachmittag beschäftigte sich Johanna keineswegs mit ihrem Studium; auch nicht mit Plänen für das bevorstehende Wochenende – für Alltagspflichten oder Freizeitvergnügen hatte sie einstweilen bestimmt keinen Sinn. Sie lag bloß auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Ihr Radio spielte leise Musik, doch das nahm sie kaum wahr. In diesem Moment schien alles rund um sie grau und trostlos: Erst zu Beginn der Woche hatte sich Johanna von ihrem Freund getrennt.

    „Wahrscheinlich ist es besser so", murmelte sie, in der Absicht sich selbst gut zuzureden. Ihr Körper verkrampfte – was die Vernunft ihr gebot, erfüllte sie mit großem Widerwillen: Ihre Beziehung mochte in die Brüche gegangen sein, doch Johanna hatte nach wie vor Gefühle für ihren Exfreund.

    „Drei Jahre lang waren wir zusammen – jetzt ist es vorbei … die ganze Zeit für die Katz! Warum er auch so ein dämlicher Idiot sein muss?, dachte Johanna, eher verletzt als zornig. „Ich meine … meistens war er ja sehr lieb zu mir und alles – aber was hätte ich schon mit ihm anfangen sollen?

    Unwillkürlich begann Johanna in Erinnerungen zu schwelgen: Voller Wehmut dachte sie an Situationen zurück, die sie gemeinsam mit ihrem Exfreund erlebt hatte – und wie es das unerbitterliche Schicksal wollte, erinnerte sie sich nun, da ihre Beziehung vorüber war, immerzu an die schönen, heilen Momente.

    „Vielleicht war ich doch zu vorschnell? Habe ich einfach zu viel von ihm erwartet?"

    Einen Moment über schien Johanna sich beinahe schon sicher, dass sie ihrem Exfreund Unrecht getan hatte – ein Stich in ihrem Inneren. Sie kniff ihre Augen fest zusammen und rang mit sich selbst, um nicht in Tränen auszubrechen.

    „Nein! Ich muss standhaft bleiben, suggerierte sie sich und schob ihren Emotionen einen Riegel vor. „Wir haben einfach nicht zusammengepasst, das lässt sich nicht bestreiten. Marvin ist ein netter Kerl – aber er ist in keiner Weise dazu bereit seinen Horizont zu erweitern und sich wenigstens ein bisschen weiterzuentwickeln. Vor drei Jahren habe ich es ja noch toll gefunden, dass er alles so locker angegangen ist … aber auf Dauer wird es eben langweilig, wenn er sich nur für Fußball und Partys interessiert. Das ist viel zu wenig – das genügt mir einfach nicht!

    Mit diesem Gedanken schien sich der peinigende Krampf in Johannas Inneren zu lösen – oder jedenfalls zu lockern.

    „Außerdem hat er das mit uns, glaube ich, nie wirklich ernst genommen – es ist ja nicht so, dass ich ihm nie den einen oder anderen Fehltritt verziehen hätte … mit einer von seinen so genannten »guten Freundinnen«, von denen er ja einige hatte."

    Fast schien Johanna über ihren Exfreund hinweg, da überkamen sie abermals wehmütige Erinnerungen.

    „Ach, dieser verdammte Mistkerl! Ich weiß ja, dass es mit ihm auf Dauer sowieso nicht funktioniert hätte – aber ich bekomme ihn trotzdem nicht aus meinem Kopf!"

    Innerlich aufgewühlt wand sich Johanna auf ihrem Bett hin- und her.

    „Warum tut er mir das an? Warum verschwindet er nicht einfach aus meinen Gedanken und lässt mich endlich in Ruhe?"

    Just in diesem Moment drang die Stimme von Johannas Mutter durch ihre Zimmertür.

    „Johanna – das Essen ist fertig."

    „Ja, ich komme schon", rief Johanna und atmete tief durch.

    „Was soll’s? Es hilft ja doch nichts, wenn ich mir jetzt weiter den Kopf zerbreche."

    Damit stand sie auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und verließ ihr Zimmer.

    Unten im Esszimmer hatte ihre Mutter bereits den Tisch gedeckt.

    „Papa wird gleich kommen. Wenn er da ist, wird gegessen."

    Johanna antwortete lediglich mit einem abwesenden Nicken und setzte sich zu Tisch.

    „Was ist denn los mit dir? Ist es etwa immer noch wegen Marvin?"

    „Ja … es ist halb so wild, antwortete Johanna und schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht darüber sprechen – es nützt ja sowieso nichts.

    „Ich verstehe doch, dass dir die Trennung wehtut, begann Frau Perl zu sprechen und versuchte tunlichst auf ihre Wortwahl zu achten, um ihre Tochter nicht unnötig zu belasten. „Aber du warst jetzt die ganze Woche nicht an der Uni. Du hast dich mit keiner deiner Freundinnen getroffen und dich die ganze Zeit lang zu Hause verkrochen. Und jedes Mal, wenn ich dich sehe, hast du diesen abwesenden Gesichtsausdruck …

    „Ja, ich weiß. Worauf möchtest du hinaus?", erwiderte Johanna leicht genervt und fiel ihrer Mutter damit ins Wort.

    „Ich will nur, dass du wieder anfängst zu leben. Geh hinaus – tu etwas! Du kannst doch nicht den ganzen Tag lang nur im Bett liegen. Davon wird ganz bestimmt nichts besser."

    Gerade als Johanna sich zu den Worten ihrer Mutter äußern wollte, hörten die beiden, dass jemand das Haus betrat.

    „Ah, das wird Papa sein", sagte Frau Perl und verließ das Esszimmer, um ihren Ehemann zu begrüßen; Johanna, die sich einstweilen zu träge fühlte, um aufzustehen, blieb bei Tisch sitzen.

    Wenig später begann die Familie zu essen. Johanna war in Gedanken versunken und stocherte in ihrem Essen herum; sie hatte schlicht und einfach keinen Appetit.

    „Ich habe keine Ahnung wie es weitergehen soll, seufzte Johannas Vater und schüttelte den Kopf. „Diese gottverdammte EU!

    Plötzlich wurde Johanna hellhörig; sie wollte erfahren was ihren Vater so sehr belastete. Erstmals seit Tagen hatte etwas die Gedanken an ihren Verflossenen in den Hintergrund gedrängt.

    „Komm schon, erwiderte Frau Perl. „Es hat doch keinen Sinn, wenn du dich aufregst! Du kannst es sowieso nicht ändern. Es wird einfach passieren, ob wir wollen oder nicht.

    „Was ist denn los?", erkundigte sich Johanna.

    „Ja Kind, wo bist du denn mit deinen Gedanken?, fragte ihr Vater bestürzt. „Seit zwei Tagen rede ich doch schon von nichts anderem mehr – und in den Nachrichten läuft auch pausenlos etwas zu dem Thema.

    „Entschuldige, dass ich meine eigenen Probleme habe, antwortete Johanna trotzig. „Aber was ist denn jetzt los? Es ist ja scheinbar sehr wichtig – nur habe ich echt noch nichts davon mitbekommen.

    Johannas Vater seufzte abermals.

    „Also gut, hör zu: Das EU-Parlament hat diese Woche bekannt gegeben, dass nächstes Jahr der Euro als harte Währung abgeschafft wird – es gibt dann nur noch digitales Geld."

    „Wie bitte? Warum denn das?", erwiderte Johanna, plötzlich aus allen Wolken gefallen; es schien ihr ausgesprochen befremdlich, dass es schon in wenigen Monaten kein Bargeld mehr geben sollte.

    „Ich kann dir genau sagen aus welchem Grund die das machen: Digitales Geld können sie hervorragend überwachen – sie werden Überblick haben über jeden Cent den ich verdiene. Ich bin zwar nur Fliesenleger und kein Wirtschaftswissenschaftler, aber ich habe einen gesunden Hausverstand und merke sehr wohl, wenn ich nach Strich und Faden verarscht werde!"

    „Reg dich doch nicht so auf, sagte seine Frau. „Das hilft dir auch nicht weiter.

    Herr Perl schüttelte den Kopf.

    „Wisst ihr, ich halte mich für einen braven Bürger: Ich arbeite Vollzeit und bezahle meine Steuern und Sozialabgaben – nicht nur für die Arbeit, sondern auch mit jedem Einkauf, für das Auto, beim Tanken, für Grund und Boden und so weiter. Aber wenn ich mir am Wochenende etwas dazuverdiene, erfährt das Finanzamt nichts davon. Irgendwo muss auch einmal Schluss sein mit Steuern zahlen!"

    „Das bedeutet also, dass du dann auch noch das Geld versteuern musst das du dir nebenbei dazuverdienst?", erkundigte sich Johanna; sie war immer noch etwas durcheinander wegen der unerwarteten Neuigkeiten.

    „Ja sicher, was denkst du denn?, erwiderte ihr Vater, erneut in Rage geraten. „Wenn es kein Bargeld mehr gibt, sehen diese elenden Halsabschneider alles – dann gibt es keinen unregistrierten Zusatzverdienst mehr. Und ich sage euch eines: Aus diesem und keinem anderen Grund wird uns dieser so genannte Fortschritt aufgezwungen – damit die Regierung auch noch den letzten Tropfen aus den Steuerzahlern herauspressen kann!

    „Mir gefällt das ja auch nicht, äußerte Johannas Mutter. „Aber es hilft uns nun mal nicht weiter, wenn du dich deshalb so aufregst. Also sei doch so gut und sprich bitte von etwas anderem!

    Johannas Vater hatte die Worte seiner Frau gar nicht recht wahrgenommen und beklagte sich unbeirrt weiter.

    „Großartig wird das! Diese Lackaffen da oben, die haben doch keine Ahnung davon, wie teuer das Leben geworden ist: Bald zwei Euro kostet der Liter Benzin; die Lebensmittel sind kaum noch bezahlbar – wenn ich am Wochenende nicht schwarz etwas dazuverdienen kann, weiß ich nicht, wie wir uns trotz der hohen Kreditraten für das Haus noch irgendetwas gönnen sollen! Urlaub, Kino, Ausgehen und so weiter – das wird für uns bald alles unerschwinglich, ihr werdet schon sehen!"

    „Siegfried! Ich glaube ich habe dich eben um etwas gebeten, sprach Johannas Mutter bestimmt. „Würdest du dieses Thema bitte sein lassen?

    „Ja, ist ja schon gut", schnauzte Johannas Vater; wiederum seufzte er und öffnete eine Flasche Bier, um seinen Kummer einstweilen in Gerstensaft zu ertränken.

    Unterdessen starrte Johanna nachdenklich auf ihren Teller. Doch es war nicht länger ihr Exfreund, der nicht aus ihren Gedanken weichen wollte; viel eher waren es die Worte ihres Vaters, die sie beschäftigten. Sie war keineswegs der Ansicht, dass er sich zu Unrecht ärgerte.

    „Wenn das wirklich so stimmt, was Papa gerade erzählt hat, dann ist Brüssel dieses Mal echt zu weit gegangen!"

    Johanna verfolgte das politische Geschehen im Normalfall durchaus – es interessierte sie welchen Kurs das Land nehmen sollte und manchmal hatte sie gar den Wunsch, aktiv daran mitzugestalten. In der Vergangenheit hatte sie schon mehrere Male mit dem Gedanken gespielt sich politisch zu engagieren – etwa als Gemeinderätin zu kandidieren. Allerdings hat sie diesen Schritt bis jetzt nie getan – einfach weil ihr Politik, so wie sie praktiziert wurde, zuwider war: Ihr missfiel die Parteipolitik – dieser beinharte Interessenkampf, in dem ernsthafte Inhalte fortwährend Schmutzkübelkampagnen untergeordnet wurden.

    Von der Europäischen Union hatte Johanna erst recht keine hohe Meinung: Sie hielt es für äußerst fraglich, ob eine zentrale Regierung, deren Verwaltungsbereich so viele verschiedenen Landstriche und Kulturen umfasste, Entscheidungen fällen konnte, die tatsächlich zum Wohl der großen Mehrheit aller EU-Bürger wären – geschweige denn, dass dieser supranationale Verwaltungsapparat überhaupt daran interessiert wäre das zu tun: Ihrer Meinung nach war die EU in erster Linie eine Wirtschaftsunion, die darauf abzielte Geld und Macht zu zentrieren – zugunsten von Konzernen und der politischen Führung selbst, während der Großteil der Bevölkerung eher Nachteile aus diesem System davontrug.

    „Ich will an die frische Luft, sagte Johanna, nachdem sie aufgegessen und ihren Teller in die Geschirrspülmaschine geräumt hatte. „Ich werde eine Runde mit dem Rad fahren.

    „Ist okay, entgegnete ihre Mutter und lächelte. „Es wird dir bestimmt guttun, wenn du ein bisschen rauskommst.

    „Ja, das glaube ich auch", erwiderte Johanna; damit verließ sie die Küche und ging geradewegs in die Garage. Da sie seit einer Weile schon nicht mehr Fahrrad gefahren war, prüfte sie erst den Druck ihrer Fahrradreifen.

    „Das sollte ausreichen", befand Johanna nachdem sie mit dem Daumen auf beide Reifen gedrückt hatte. Da ihr Fahrrad einsatzbereit schien, schob sie es vorsichtig an dem Wagen ihres Vaters vorbei. Sie öffnete das Garagentor – angenehm milde Herbstluft drang ins Innere. Johanna atmete tief durch.

    „Ach ja … das ist herrlich", murmelte sie mit einem Lächeln auf den Lippen; seit einer Woche hatte sie das Haus nicht verlassen und nun tat ihr die frische Außenluft besonders gut. Während sie ihr Fahrrad in die Einfahrt schob und sich zum ersten Mal seit Tagen wieder im Freien aufhielt, spürte sie deutlich, dass sich etwas verändert hatte: Sie hatte wieder das Bedürfnis etwas zu tun; aktiv zu sein und sich zu freuen. In diesem Moment fühlte sie, dass sie die Trennung von Marvin endlich verwunden hatte.

    Schließlich brach Johanna zu einer Fahrradtour auf: Erst fuhr sie durch die Gassen der Ortschaft, dann hinaus auf die Güterwege, in Richtung des nahe gelegenen Fürstenwaldes.

    Während sie gemütlich durch die Landschaft fuhr, fühlte sie sich ungewohnt heiter und beschwingt: Sie erfreute sich an all den Dingen rund um sich: An den Wiesen, den Wäldern, dem herbstlich farbenfrohen Laub, dem blauen, leicht diesigen Himmel – ja sogar an der feuchten, fruchtbaren Erde auf den Feldern. Johanna war erfüllt von einem Hochgefühl. Endlich hatte sie das Ende ihrer Beziehung verkraftet – eine Altlast war beseitigt und nichts hinderte sie mehr daran sich ihres Lebens zu erfreuen.

    „Was für ein Gefühl! Ich fühle mich richtig befreit – es tut so gut wieder draußen zu sein, dachte Johanna. „Die letzten Tage waren eine Qual! Fast so als wäre ich krank gewesen … die ganze Zeit lang bin ich in meinem Zimmer dahinvegetiert – und das nur wegen diesem blöden Kerl. Aber das ist jetzt vorbei!

    Nun da sie ihren Kopf wieder frei hatte, begann sie zusehends an Dinge zu denken, die sie gerne tun wollte.

    „Ich möchte unbedingt Sabrina besuchen; ich habe sie bestimmt seit zwei Wochen nicht mehr gesehen, plante Johanna. „Am besten fahre ich gleich morgen zu ihr. Und nächste Woche? Ach, egal was ich tun werde – irgendetwas Spannendes wird mir bestimmt einfallen. Wenn ich es recht bedenke, freue ich mich auch schon richtig darauf am Montag wieder an die Uni zu fahren!

    Am Rand des Fürstenwaldes angelangt entschied Johanna spontan ihr Fahrrad abzustellen und ein bisschen spazieren zu gehen. Sie wollte das nasse Gras unter ihren Schuhsohlen spüren und sich einen Moment lang voll und ganz auf die Beschaulichkeit dieses Ortes konzentrieren. Während sie am Waldrand einen Wiesenweg entlangging, genoss sie es, sich frei und unbeschwert zu fühlen; dann jedoch, nach einigen Minuten, drang ein störender Gedanke in ihr Bewusstsein – ein penetrantes Problem das sie einstweilen trotz ihrer positiven Stimmung einfach nicht ignorieren konnte.

    „Kaum zu glauben was Papa vorhin erzählt hat, begann Johanna zu grübeln. „Eigentlich kann ich mir gar nicht recht vorstellen, dass etwas Derartiges ernsthaft auf uns zukommen soll – aber erfunden wird er das ja nicht haben.

    Die Vorstellung, bald nur noch mit Plastikkarte bezahlen zu können, verärgerte Johanna: Ihr war vollkommen klar, dass die Behörden durch diese Neuregelung jederzeit uneingeschränkten Einblick in all ihre privaten Geldangelegenheiten haben würden.

    „Wenn das wirklich kommt, macht das Leben echt keinen Spaß mehr: Ich kann mir nichts mehr dazuverdienen, ohne, dass jemand davon erfährt; auch weiß das Finanzamt genau wie viel ich gespart habe, murmelte Johanna; ihre gute Laune wurde zusehends von Frust verdrängt. „Außerdem kann so auch jederzeit ermittelt werden was ich einkaufe – die wüssten einfach alles: Wenn ich etwas privat kaufe oder verkaufe, wüssten die Bescheid. Wenn ich Bier oder Wein kaufe, wüssten sie, dass ich Alkohol trinke. Wenn ich die Pille oder Kondome kaufe, wüssten sie, dass ich Sex habe – und womöglich noch, wie oft. Das ist doch einfach nur krank!

    Rasch war Johannas Unbeschwertheit verflogen; viel eher plagte sie nun Anspannung. Ihr war klar, dass sie sich – ohne das selbst verschuldet zu haben – auf eine Situation zubewegte, die einfach unannehmbar war – und es stand in keiner Weise in ihrer Macht, irgendetwas daran zu ändern.

    „Aber selbst wenn ich bei dieser Überlegung mögliche Missbrauchsfälle außer Acht lasse … es kann ja nicht ernsthaft sein, dass die Regierung uns alle dermaßen durchleuchtet – das hat doch nichts mehr mit Menschenwürde zu tun, dachte Johanna verärgert. „Wenn das wirklich kommt, sind wir alle endgültig nur noch Rädchen im System!

    So kurz hatte sie also gedauert; die Zeit während der Johanna sich nach ihrer Trennung vollkommen unbekümmert fühlen durfte. Erneut gab es etwas, das sie belastete – ein Problem, dem sie nun mindestens ebenso machtlos gegenüberstand wie zuvor der Tatsache, dass es für Marvin und sie einfach keine gemeinsame Zukunft gab.

    Eine wesentliche Sache hatte sich aber verändert: Während der vergangenen Tage hatte Johanna sich innerlich leer gefühlt; nichts auf dieser Welt schien ihr mehr Freude zu machen; nun allerdings sah sie durchwegs wieder einen Wert in allem was sie hatte – aber jetzt war sie mit der prekären Sachlage konfrontiert, dass ihr bald ein Teil ihrer persönlichen Freiheit weggenommen würde.

    Nach einer Weile des Grübelns ging Johanna zu ihrem Fahrrad zurück und begab sich wieder auf den Heimweg. Die unerwarteten Neuigkeiten raubten ihr zusehends die Ruhe – sie hatte das Bedürfnis sich nun erst einmal selbst zu informieren, über diese Neuerung, die womöglich schon bald vieles verändern würde.

    „Ich muss unbedingt mehr über diese Währungsreform erfahren! Bevor ich mich weiter darüber ärgere, will ich zuerst einmal wissen was da eigentlich wirklich auf uns zukommt."

    Zurück bei ihrem Elternhaus ging Johanna gleich auf ihr Zimmer. Sie schaltete ihren Computer ein und startete eine Recherche: Sie besuchte dutzende namhafte Nachrichtenportale im Internet – und die Details, die sie auf diese Weise in Erfahrung brachte, verschlugen ihr beinahe den Atem.

    „Es stimmt also – die komplette Überwachung kommt wirklich. Ab nächstem April wird die EU die totale finanzielle Kontrolle über uns haben!"

    2. Johannas Weblog

    Am kommenden Tag erwachte Johanna zeitig. Obwohl sie bis spätnachts vor ihrem Computer gesessen hatte, fühlte sie sich frisch und munter. Während sie frühstückte, bekam sie spontan Lust auf einen Morgenspaziergang. Also ging sie bald darauf los, verließ das Ortsgebiet und schlenderte durch Wiesen und Felder – nach einer ganzen Woche, die sie zurückgezogen in ihrem Zimmer verbracht hatte, übte es nun einen besonderen Reiz auf sie aus, Zeit unter freiem Himmel zu verbringen.

    Doch nicht nur die Freude an Bewegung und Natur hatte sie zurückgewonnen; auch hatte Johanna wieder das Bedürfnis nach Kontakt zu ihren Freunden. Noch während sie unterwegs war, griff sie zu ihrem Mobiltelefon und rief Sabrina an – kurzerhand vereinbarten die beiden, sich zum Mittagessen zu treffen.

    Etwa eine halbe Stunde vor zwölf Uhr Mittag stieg Johanna in ihr Studentenauto. Als sie hinter dem Steuer des zwanzig Jahre alten Skodas Platz genommen hatte, überkam sie ein seltsames Gefühl: Eine Woche war es her seit sie mit tränenüberströmtem Gesicht aus Dürnkrut – wo ihr Exfreund wohnte – nach Hause gefahren war; gut ein Dutzend benutzter Taschentücher, die sie einfach auf die Beifahrerfußmatte geworfen hatte, zeugten immer noch von dieser Fahrt. Aber nicht nur dieses Zeugnis ihrer Trennung, sondern generell das Gefühl in ihrem Auto zu sitzen, erinnerten sie in diesem Moment daran, wie sie am vergangenen Wochenende mit gebrochenem Herzen den Heimweg angetreten hatte.

    „Ach, was soll’s, seufzte Johanna. „Es ist definitiv besser so.

    Zwar hatte ihr das plötzliche Hochkommen von Erinnerungen kurz einen Stich versetzt, doch nun ließ sie sich davon nicht mehr aus der Fassung bringen. Seit dem Vortag hatte sie endgültig verinnerlicht, dass die Trennung nur zu ihrem Besten war. Mit diesem Gedanken – und in Vorfreude darauf, ihre Freundin Sabrina bald wiederzusehen – startete Johanna ihren Wagen und fuhr los.

    Die Fahrt nach Dobermannsdorf dauerte nur wenige Minuten. Als Johanna vor Sabrinas Zuhause anlangte, klopfte sie gegen die Eingangstür, betrat das Haus – und wurde sogleich stürmisch in Empfang genommen.

    „Oh mein Gott, ich freue mich riesig dich zu sehen! Du Arme, du!", rief Sabrina und fiel Johanna um den Hals.

    „Hey! Ich bin auch froh, dass wir uns endlich wiedersehen", sagte Johanna während sie Sabrinas Umarmung erwiderte.

    „Aber hallo!, äußerte Sabrina verwundert und ließ von ihrer Freundin ab. „Dir geht es besser, wie es aussieht.

    „Ja, Gott sei Dank! Johanna lächelte. „Eine Woche Trennungsschmerz reicht vollkommen. Jetzt habe ich genug davon und will endlich wieder Spaß haben.

    „Wow, du klingst so entspannt. Sabrina war immer noch überrascht; sie hatte eigentlich erwartet, dass ihre Freundin nach wie vor zutiefst betrübt wäre. „Ich habe gedacht dir geht es noch voll mies wegen der Sache mit Marvin.

    „Ja weißt du, die letzten Tage war ich auch echt niedergeschlagen. Aber gestern war ich endlich soweit, dass ich wieder halbwegs klar denken konnte."

    „Okay … ich verstehe, murmelte Sabrina, von der unerwartet guten Laune ihrer Freundin etwas aus dem Konzept gebracht. „Jedenfalls freut es mich sehr, dass es dir wieder besser geht!

    „Ja, mich auch", erwiderte Johanna. „Aber weißt

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