Der Waldviertler. Visionen einer Regionalwährung: Das Freigeldprojekt von Heidenreichstein 2005-2016
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Über dieses E-Book
Dabei zeigt sich: Vorhaben wie dieses gelangen früher oder später an eine Stelle, wo sich der Weg gabelt und sich die Leute unterschiedlich entscheiden. Dieser Pluralität trägt das Buch Rechnung, denn in ihm werden die Standpunkte, deren Wert gerade in ihrer Verschiedenartigkeit liegt, gleichberechtigt nebeneinandergestellt.
Damit ist "Der Waldviertler. Visionen einer Regionalwährung" sowohl Dokumentation als auch Leitfaden: Welche Überlegungen und Strategien bei der Errichtung eines Freigeldprojekts notwendig sind, welche Schwierigkeiten auftreten können, wie man sie meistert und wie man das ganze Vorhaben in andere Bereiche weiterentwickeln kann, berichtet dieses Buch aus erster Hand.
Alexander Glück
Alexander Glück wurde 1969 in Usingen (Hessen) geboren und lebt seit 1996 in Österreich. Zehlreiche Zeitschriften- und Buchveröffentlichungen in namhaften Verlagen. Bei BoD veröffentlicht er die Bücher, über deren Form und Inhalt er nicht erst lange mit Lektoraten debattieren muß. Dabei entstehen hochwertige Veröffentlichungen ohne Kompromisse.
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Buchvorschau
Der Waldviertler. Visionen einer Regionalwährung - Alexander Glück
Regionalgeld aus dem Waldviertel – Zahlungsmittel im Alltag
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Teil: Visionen
Gerhard Dogl: Wir hatten einen Traum
Manfred Stattler: Die Waldviertler Regionalwährung – eine Zumutung!
Elisabeth Eckhart: Es war ein besonderer Moment
Karl Immervoll: Das gute Leben ist möglich
Teil: Fachaufsätze
Veronika Spielbichler: Wörgl und das Waldviertel
Tobias Plettenbacher: Regionalwährungen
Matthilde Stanglmayr: Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Regionalwährungen
Rudo Grandits: Versuch einer Förderung
Karl Immervoll: Das gute Leben und der Waldviertler
Alexander Glück: Freigeld – die Lösung der Wirtschaftskrise?
Dokumentation
Infostand auf der Minimesse 2012 –Geldbaum (Crassula ovata)
VORWORT
Freigeld als Modell der Europolitik?
VON
ALEXANDER GLÜCK
Geld ist immer Vereinbarungssache, das kann man im Casino genauso erleben wie beim Monopoly. Seit den neunziger Jahren greifen regionale Initiativen verstärkt die Ideen von Silvio Gesell und anderen Vordenkern auf, die bereits vor Jahrzehnten ein „gesundes" Geld erfanden. Inzwischen scheint auch die EZB auf den Geschmack zu kommen – mit einem gewichtigen Unterschied.
Freigeld funktioniert so: Ein Verein druckt seine eigenen Geldscheine, hinterlegt den Gegenwert in Euro und gibt die Scheine in Umlauf. Angeschlossene Betriebe, Handwerker und Geschäfte akzeptieren sie wie Geld. Benutzer können dieses Geld aber nur regional verwenden. Horten sie es, so müssen sie eine Gebühr bezahlen, die regionalen Projekten zugutekommt. Während Waren mit der Zeit verderben, so die Grundidee, muß auch das Tauschmittel an Wert verlieren. Das so konzipierte „Schwundgeld" verliert im Quartal 2–3 % seines Wertes, durch ein Märkchen wird es wieder aufgeladen. Wenn man Geld als Infrastruktur ansieht, fällt für seine Benutzung eben eine Gebühr an.
Diejenigen, die sich an solchen Freigeldprojekten beteiligen, finden dieses System ganz gut und richtig, denn sie wissen, daß Geld umlaufen muß, um die Dienstleistungs- und Warenkreisläufe in Schwung zu halten. Normales Geld, wie wir es kennen, war bisher untrennbar mit der Zinswirtschaft verbunden. Geld auszugeben, das man nicht hat, brachte Verlust. Geld, das man hat, nicht auszugeben, brachte Gewinn. Die Leute, die Geld benutzen wollten, mußten deshalb eine Mehrleistung zugunsten derjenigen erwirtschaften, die Geld nicht gemäß seinem ursprünglichen Zweck benutzen wollten. Dies führte dazu, daß herkömmliches Geld dazu neigte, sich irgendwo anzuhäufen, während es woanders fehlte.
Regionale Währungsvereine wollen seit rund zwanzig Jahren zurück zum „gesunden Geld. Sie drucken Gutscheine, die im regionalen Kontext die Funktion eines Zahlungsmittels erfüllen sollen. Und damit dieses „Freigeld
schön im Umlauf bleibt, schmelzen gehortete Beträge spürbar zusammen: Am meisten hat man von diesem Geld, wenn man es bald wieder ausgibt. Dies führt dazu, daß diejenigen, die sich damit bezahlen lassen, sich beeilen, sich damit zügig wieder etwas anderes zu kaufen. Das Geld bleibt im Fluß, wechselt viel häufiger seinen Besitzer und setzt dadurch ein Vielfaches an Kaufkraft frei. Und es fließt nicht ab. Weltweit gibt es derzeit gut 2.700 solcher Ortswährungen und Verrechnungssysteme, sie heißen „Kirschblüten, „Triestingtaler
, „Rheingold oder „Hansemark
. Mit ihnen kauft man beim Bäcker ein, der geht damit zum Müller und der Müller zum Schuster. Der Geldumlauf wird stets mit einem eingebauten Negativzins (Demurrage) gesichert.
Schon um 1900 gab es in Bielefeld freies Geld. Seit es den Euro gibt, hat man in Bielefeld den „Bethel-Euro. Seit 70 Jahren gibt es in der Schweiz das WIR-System, zu dem etwa sechzigtausend Firmen gehören, die ihre Geschäfte untereinander mit dem Buchgeld „WIR
verrechnen. Das bedeutendste historische Beispiel ist die österreichische Erfolgsgeschichte von Wörgl. 1932 wurde in dem kleinen Tiroler Städtchen ein Freigeldprojekt begonnen – mit gewaltigem Erfolg. Das Freigeld bestand in „Arbeitsbestätigungen zu 1, 5 und 10 Schilling. Während der Wirtschaftskrise senkte man damit die Arbeitslosigkeit um 16 %, während sie in Österreich um 19 % stieg. In den 13 ½ Monaten bis zum Verbot setzte jeder Freischilling das 73fache seines Werts an Waren und Dienstleistungen um. Der „richtige
Schilling bewegte im selben Zeitraum nicht einmal das 9fache seines Werts. Während die Nationalwirtschaft aufgrund der Krise gelähmt war, sprang das Freigeld von einem Projekt zum nächsten, über der Gemeinde ging ein warmer Regen aus Steueraußenständen nieder. Dies sind historische Fakten, die belegt und nachprüfbar sind. Zumindest die Beflügelung des örtlichen Wirtschaftstreibens dürfte auch heute noch funktionieren. In den USA führten zwischen 1932 und 1937 mehrere hundert Gemeinden und Städte Freigeldvarianten ein, sogenannte „Scips". Diesmal war es Franklin D. Roosevelt, der auf Druck großer Finanzinstitute die erfolgreichen Projekte untersagte. In Deutschland wurden zwischen 1929 und 1931 diverse Freigeldprojekte begonnen, unter anderem in Berlin, Gera, Schwanenkirchen und Ulm. Alle wurden nach kurzer Frist durch die Reichsregierung untersagt. Die Gegenwart, ebenfalls krisengebeugt, sieht allerorten neue Freigeldprojekte entstehen.
Örtliche Unternehmer, Handwerker, Händler und Dienstleister haben sich schnell an dieses System gewöhnt und machen mit – wo sie dabei sind, bekommen sie praktisch automatisch zusätzliche Kundschaft, weil ja jeder immer auf dem Sprung ist, sein Freigeld gleich wieder auszugeben. Ganz unbemerkt hat sich die Idee mit dem Negativzins bis in die EZB herumgesprochen, wo sie sich inzwischen etabliert hat.
Denn auch anerkannte Kapazitäten sprechen bereits offen davon, daß „einige Funktionen des heutigen Geldsystems dazu neigen, sich zu widersprechen, wie es der frühere belgische Zentralbankmanager Bernard Lietaer formuliert hat. An eine Reform des Euro nach Gesell-Muster glaubte noch vor einigen Jahren niemand, auch nicht bei den regionalen Initiativen. Doch nur dann könnte das Freigeld-Konzept wirklich greifen, behauptete Friedrich Baumann, der für den Westallgäuthaler eine Machbarkeitsstudie durchgeführt hat. „Eine natürliche Wirtschaftsordnung mit zinsfreiem Geld, wie sie von Silvio Gesell vorgeschlagen wurde, funktioniert nur als offizielle Währung
, sagt Baumann. Schön und gut, aber seit Basel II bekommt man bei einer Bank fast überhaupt keinen Kredit mehr.
Ausstellung „Zehn Jahre Waldviertler Regionalwährung"
In verschiedenen Ländern Europas laufen aktuell mehrere Dutzend Freigeldprojekte. Viele Systeme wurden bereits wieder aufgegeben oder sie gingen in anderen auf. Ihre durchschnittliche Lebensdauer betrug knapp unter fünf Jahre. Ihre Wirkung liegt möglicherweise in einem Effekt, mit dem die Veranstalter überhaupt nicht gerechnet haben: Denn was die EZB seit einiger Zeit mit den Zinsen veranstaltet, weist zahlreiche Merkmale der Freigeldprojekte auf – nur mit dem Unterschied, daß man es da nicht mehr als löbliche Errungenschaft einer örtlichen Wirtschaftsinitiative ansieht, sondern als eine die Massen enteignende Maßnahme des früheren Goldman-Sachs-Mitarbeiters Mario Draghi. Auch die EZB hat verstanden, daß Negativzinsen zu einer höheren Umlaufgeschwindigkeit des Geldes beitragen können. Aber zwischen den äußeren Enden des Euro-Währungsraums und angesichts der vertikalen Staffelung des Geldvermögens kann beim besten Willen nicht von regionalen Wirtschaftskreisläufen auf Augenhöhe gesprochen werden.
Vergleichen wir einmal: Gemeinsames Ziel der Freigeldprojekte ist es, geschlossene Wirtschaftskreisläufe zu etablieren und die Wirtschaft vor Ort zu fördern, um nicht zuletzt zur Sicherung der Arbeitsplätze beizutragen. Hierfür belegt man eine kontrollierbare Geldmenge mit einer Benutzungssteuer, also einem Straf- oder Negativzins. Ziel der EZB-Geldpolitik ist es, die Wirtschaft zu beleben, indem Geldumlaufgeschwindigkeit und Inflation erhöht werden. Um das zu erzwingen, belegt die Zentralbank die von ihr kontrollierte Geldmenge mit Negativzinsen als Strafe für alle, die es nicht ausgeben. Soweit ist das nichts anderes – der Hauptunterschied liegt jedoch darin, daß der Euro trotz Negativzinsen weder in die Wirtschaftskreisläufe vordringt noch regionale Wertschöpfung befeuert: Es bleibt in den Metropolen und bei den Banken hängen oder sammelt sich in Anlageformen an, die zunehmend Blasen bilden. Wobei oft übersehen wird, daß Geld, das zum Beispiel in den Immobilienmarkt oder in Aktien fließt, ja nicht dort bleibt, sondern von dort aus ebenfalls weitergegeben wird. Aber die Menschen an der Basis sehen davon nun einmal nichts – weder auf dem Lohnzettel noch im Ausbau der Infrastruktur, weder im Bildungswesen noch in Fragen der öffentlichen Sicherheit, des öffentlichen Nahverkehrs oder des sozialen Wohnbaus. Es fließt einfach ab und nur wenige wissen, wohin. Daran ändert sich auch durch negative Zinsen nichts, und deshalb kann der Euro, auch wenn er die Freigeldprojekte nachahmt, niemals ihre positiven Effekte erzielen.
Gegenwärtig laufen in Deutschland und Österreich noch unter 130 000 Regioeinheiten um. Wie die Süddeutsche Zeitung herausfand, sieht die Bundesbank derzeit keine Gefahr für den Euro und geht nach Auskunft eines Sprechers nicht gegen die Regio-Initiativen vor. Solange die Zwergwährungen Vereinssache sind und sich im Mikrorahmen bewegen, kann sie das auch gar nicht.
Der Nebeneffekt der Freigeldprojekte lag sicher darin, breitere Bevölkerungskreise auf die Art und Funktionsfähigkeit desjenigen Geldsystems einzustimmen, das die gegenwärtigen Probleme lösen könnte. Wie wahrscheinlich das ist, zeigt sich beispielsweise an dem Beschluß der japanischen Regierung, Barvermögen zu besteuern, sowie an den Negativzinsen im Euroraum, die bereits von den ersten Banken an die Sparer weitergegeben werden. Doch