Beiträge zur Jugendbewegung: Aufsätze
Von Alexander Glück
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Über dieses E-Book
Alexander Glück
Alexander Glück wurde 1969 in Usingen (Hessen) geboren und lebt seit 1996 in Österreich. Zehlreiche Zeitschriften- und Buchveröffentlichungen in namhaften Verlagen. Bei BoD veröffentlicht er die Bücher, über deren Form und Inhalt er nicht erst lange mit Lektoraten debattieren muß. Dabei entstehen hochwertige Veröffentlichungen ohne Kompromisse.
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Buchvorschau
Beiträge zur Jugendbewegung - Alexander Glück
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Jugendbewegung und Liederbücher
Zur Geschichte des „Zupfgeigenhansl"
Zur politischen Biographie Walther Jantzens
Weltanschauung in der Schule
Geopolitik als Kriegspropaganda
Walther Jantzen und der Nationalsozialismus
Zur Gesamtausgabe von „Namen und Werke"
Das Ludwigsteiner „Lichtgebet": Raubkunst?
Dokumente
Weiterführende Bücher
Vorwort
Das Thema Jugendbewegung hatte ich als Student der Fächer Buchwesen, Deutsche Volkskunde und Politikwissenschaft zunächst nur deshalb für mich entdeckt, weil es ein reizvoller Gedanke war, darin meinem Vater und meinem Großvater nachzugehen und dadurch eine kleine Tradition fortzuführen. Als ich als Thema für meine Magisterarbeit meinem damaligen Professor Koppitz „Das Wanderliederbuch in der deutschen Jugendbewegung 1897–1933" vorstellte, schaute er überrascht. Es war Mitte der neunziger Jahre an unserem Institut in Mainz kein besonders populäres Themenfeld. Während der Arbeit an diesem Thema bekam ich eine lebendige Vorstellung davon, mit welchem Elan und welcher Unverdorbenheit junge Menschen Ende des 19. Jahrhunderts aufbrachen, um sich eine eigene Lebenswelt zu schaffen. Sie erarbeiteten sich Literatur und Musik, erwanderten ihr Land, bildeten sich als Menschen.
In meiner Kindheit und Jugend war mir der Begriff Jugendbewegung allerdings schon geläufig, da sowohl mein Vater als auch meine Großmutter immer wieder damit zu tun hatten. Ich hatte jedoch lange keine inhaltliche Beziehung dazu und „die Jugendbewegten" im Grunde ausschließlich als alte Menschen erlebt. Die Arbeit über die Liederbücher war rein historisch ausgerichtet und eröffnete keine Gegenwartsbezüge.
Etliche Jahre später stieß ich eher zufällig in einer Gedenkgabe über meinen Großvater Walther Jantzen auf dessen autobiographischen Hinweis auf seine Mitgliedschaft bei der Waffen-SS. Mein Großvater, sieben Jahre vor meiner Geburt verstorben, war mir immer weitgehend unbekannt geblieben, in der Familie wurde er entweder beschwiegen oder ausschließlich im höchsten Maße gelobt. Da ich als Kind keinen Zugang zu diesem Mann hatte, den ich ausschließlich als gerahmtes Photo im Haus meiner Großmutter kannte und über den ich nur wenig wußte, hatte ich lange auch kein Interesse an seiner Biographie. Allerdings begeisterte ich mich schon sehr früh für die Ahnenforschung, deshalb bewahrte ich seine Bücher auf und begann, darin zu lesen.
War schon mit meiner Großmutter die Erörterung der NS-Zeit nicht möglich gewesen, so setzte sich das, leicht modifiziert, in der Kindergeneration fort: Mein Vater äußerte sich nur sehr schönfärberisch über den seinen, und wenn man etwas tiefer schürfte, dann relativierend. Teilweise stellte er Dinge ganz anders dar, als sie belegt waren. Ich vermute, daß er schon von seinen Eltern nicht richtig informiert worden war und manches auch nicht genauer wissen wollte. Mir jedenfalls brachte der Vergleich meiner Rechercheergebnisse mit den Aussagen meines Vaters die Gewißheit, daß etwas mit dem tradierten Bild des Großvaters nicht stimmte. Dadurch wurden meine weiteren Forschungen ganz erheblich inspiriert und befeuert.
Dabei kam ich unter anderem mit dem inzwischen emeritierten Prof. Christian Niemeyer in Kontakt, an dem mir bald die solide Kenntnis einer sehr großen Menge an Schrifttum auffiel. Die Verbissenheit, mit der er historische Personen anklagte, und sein bilderstürmerischer Eifer bei der Destruktion der von ihm als falsch empfundenen Historiographie, seine Fokussierung auf den für die Ideengeschichte der Jugendbewegung von ihm vielleicht etwas überschätzten Friedrich Nietzsche und der von ihm gepflegte tendenziell unsportliche und hastige, dissonante Schreibstil mit zahllosen Einschüben und Rückbezügen auf sich selbst haben mich zweifeln lassen, ob sich dieser laute Publizist so ganz der lauteren Wissenschaftlichkeit verpflichtet fühlt oder mit seinen Veröffentlichungen nicht eher einem schwer stillbaren Mitteilungsdrang nachgab. Seine Einschätzung Walther Jantzens ließ schnell erkennen, daß er ihn für unwichtig hielt: Offensichtlich war er ihm nicht belastet genug beziehungsweise ein zu kleines Licht und deshalb für ihn kein Objekt für differenziertere Betrachtung.
Dabei wurde für mich auch deutlich erkennbar, was meine Arbeitsweise von seiner unterscheidet: Bei der Erforschung der Biographie Walther Jantzens bin ich weder von Zorn geleitet noch von dem Wunsch, die Dinge zu relativieren. Ich bin mir bewußt, daß mein Zugang zu diesem Thema sehr persönlich ist. Gerade deshalb kann ich das prinzipielle Problem familiärer Befangenheit klar erkennen, bin dabei aber auch niemandem verpflichtet, schon gar nicht innerhalb der Verwandtschaft. Mir ging uns geht es um ein genaues, wirklichkeitsgerechtes Erkennen des Lebensweges eines Menschen, der von seinem biographischen und soziologischen Hintergrund aus den Anschluß an den Nationalsozialismus gesucht, gefunden und hinterher geleugnet hat. Dieser Lebensweg ist typisch für viele andere in dieser Zeit. Er hilft zu verstehen, warum und auf welcher Grundlage der Nationalsozialismus so immensen Erfolg haben konnte und warum eine ganze Generation von Tätern und Mitläufern nach dem Krieg nicht einmal ihren eigenen Familienangehörigen reinen Wein einschenken wollte. Diese Erforschung ausgerechnet der eigenen Großeltern ist für mich zwingend, insbesondere aufgrund der Behauptung meines Großvaters, er wäre beinahe ins KZ gekommen. Für mich ist eine dermaßen unverfrorene Verhöhnung all derer, die dort wirklich hingekommen sind, ohne ausführliche Richtigstellung unerträglich.
Daß Christian Niemeyer jedoch von mir erwartete, in meinem eigenen Text zu einer Darstellung, die ich selbst ihm zuvor einmal mitgeteilt und die er veröffentlicht hatte, diesen seinen Text als Quelle anzugeben, erschien mir lächerlich. Diese Art der Wissenschaftspublizistik, mit der sich Prof. Niemeyer in der Fachwelt sehr viele Freunde gemacht hat, steht im Kontrast zu der eher ruhigen Vorgehensweise auf der Burg Ludwigstein. Von dort hört man generell eher wenig und ich bekam den Eindruck, daß man Themen dort nach von außen kaum erkennbaren Maßgaben spielt oder im Sande verlaufen läßt. Ein Beispiel ist die lückenhafte und stellenweise unsauber gearbeitete Untersuchung Malte Lorenzens über Walther Jantzen, die im Archivjahrbuch abgedruckt wurde und nach Richtigstellung geradezu ruft. Die genaue Berichtigung der in dieser Arbeit versammelten Läßlichkeiten hingegen wurde mit Hinweis auf die persönlichen Schilderungen in meinem Text zurückgewiesen. Mir leuchtet die Forderung nach wissenschaftlicher Distanz zum Stoff ein, allerdings erschließt sich mir nicht, wie man sich auf diesem nordhessischen Berg das quellengestützte Belegen eigener Beobachtungen vorstellt. Ob Fußnoten und Querbezüge zum aktuellen Forschungsverlauf wirklich das entscheidende Kriterium waren oder ob man nicht vielleicht auch vermeiden wollte, des Abdrucks einer inhaltlich mangelhaften Arbeit überführt zu werden, wird sich nicht klären lassen, ebensowenig wie die Gründe für die deutlich erkennbare Zurückhaltung beim Thema „Lichtgebet".
In die Provenienzgeschichte dieses Bildes konnte erst durch Auswertung des Nachlasses meines Vaters Hinrich Jantzen hineingeleuchtet werden. Der komplett durch Originalquellen gestützte Bericht über die Übergabe dieses Bildes wäre für den Ludwigstein eigentlich von besonderem Interesse (auf mein Angebot der originalen Schriftstücke wurde nicht einmal nach Beilage eines frankierten Rückumschlags geantwortet, obwohl das Archiv sowohl den Nachlaß von Fidus als auch den von Walther, Marga und Hinrich Jantzen verwahrt), wenn er nicht zugleich deutlich erkennen ließe, daß dieses Bild, als Hauptikone der Jugendbewegung die größte Attraktion in den Archivräumlichkeiten, einst irgendwo entwendet worden sein muß. Von der Stiftung Jugendburg Ludwigstein hieß es lapidar, man habe das Bild über die Jahre „ersessen, demgegenüber gehen viele Restitutionsverfahren in eine andere Richtung. Da von Stiftung und Archiv nicht einmal die Verfügung der damaligen Überbringerin des Bildes, das „Lichtgebet
solle auf der Burg Ludwigstein verwahrt werden, eingehalten wird, indem man das Bild immer wieder als Leihgabe herumschickt, wäre sogar eine Rückforderung durch deren Erben denkbar.
Die hier zusammengestellten Beiträge verstehen sich nicht als Musterbeispiele wissenschaftlicher Literaturauswertung, sondern führen überwiegend Primärquellen und eigene Beobachtungen zusammen. Mir ist bewußt, daß sie deshalb für die Verwendung in den genannten, renommierten Organen in dieser Form nicht geeignet sind. Trotzdem enthalten sie Informationen, Berichtigungen und Zusammenhänge, die für die Untersuchung der von ihnen berührten Themenfelder wichtig sein können.
Jugendbewegung und Liederbücher
Die deutsche Jugendbewegung ist als eine Folge der tiefgreifenden und alle Lebensbereiche umfassenden Umwälzungen des 19. Jahrhunderts zu verstehen, von denen an erster Stelle die Industrialisierung zu nennen ist. Mit ihr einher gingen Strukturveränderungen aller Art, etwa die soziale Deklassierung der Handwerker, enormes Bevölkerungswachstum, Wellen der Migration, Verschiebungen im wirtschaftlichen und sozialen Gefüge sowie eine weitgehende Verstädterung der Bevölkerung. Hinzu kam ein gesteigertes bürgerlich-autoritäres Wertesystem der Gesellschaft, und es ist nicht als durchdachter Protest zu verstehen, was sich in dieser Zeit zur Jugendbewegung entwickelt, sondern als günstiges Zusammenwirken von Zufall und historischer Konsequenz.
Vor dem Hintergrund kulturkritischer Ideen von Nietzsche, Hesse, Lagarde, Langbehn u. a. bildete sich – zunächst weitgehend unreflektiert – bei Jugendlichen das Bedürfnis heraus, die überkommenen Normen abzustreifen und in freier Natur ein Zusammenleben eigener Art zu pflegen; daß als regelrechter „Zündfunke" der junge Idealist Hermann Hoffmann, der in seiner Magdeburger Schulzeit durch einen Lehrer zum Wandern angeregt worden war, als Student die Schrey’sche Kurzschrift am Steglitzer Gymnasium kostenlos unterrichtete und seine Schüler zu gelegentlichen Wanderausflügen um sich sammelte, ist als Kristallisationspunkt einer Bewegung aufzufassen, die alsbald große Teile der Jugend Deutschlands und des deutschsprachigen Auslands ergriff.
Einer von Hoffmanns Kurzschriftschülern war Karl Fischer, der als Begründer der vereinsmäßigen Jugendbewegung gilt und durch taktisches Geschick und eine zielstrebige Führung einen Zusammenschluß wanderbegeisterter Jugendlicher unter dem Schutz eines „Eltern- und Freundesrates formierte und ausbaute. Dies geschah zwischen 1896 und 1901 und ist in der Literatur übereinstimmend dokumentiert; an der Person Fischers jedoch schieden sich lange die Geister, und nicht allein aufgrund der Kritik an ihm, sondern auch wegen unterschiedlieber Auffassungen über Stilfragen zerbrach der 1901 gegründete „Wandervogel A. f. S.
bereits 1904. Diese erste Spaltung zeigt schon in der Frühzeit einen Wesenszug der Bewegung, der sich durch ihre gesamte Entwicklung bis 1933 immer wieder offenbart; den Separatismus in der deutschen Jugendbewegung als gelegentliche Unfälle abzutun, hieße eines ihrer immanenten Charakteristika zu übersehen. Letztlich ist der große Durchbruch der Jugendbewegung auch eine Folge ständiger Teilungen und Umbildungen, da in ihnen die Schaffung zahlreicher Gruppen, die den individuellen Ansprüchen und Interessen ihrer Mitglieder Rechnung trugen, ohne sie zu Kompromissen zu zwingen, begründet liegt.
Entscheidend ist hierbei, daß aus der Trennung zwei recht unterschiedliche Bünde hervorgingen: der „Wandervogel, Eingetragener Verein zu Steglitz bei Berlin – gekürzt in der gesamten Literatur: „Steglitzer E. V.
– und der „Alt-Wandervogel – kurz: „A.-W.-V.
. Die Gründung des Steglitzer E. V. wirkte sich in Hinblick auf Ästhetik und Kultur durchweg positiv aus. Das Ideal des „Sinnvollen Wanderns" wurde gepflegt, die erste Anweisung zur Fahrtenausrüstung erschien noch 1904, ein Orchester wurde gegründet, eine eigene Zeitschrift herausgegeben und 1905 das erste aus der Jugendbewegung hervorgegangene Liederbuch veröffentlicht. Wichtige Meilensteine der Veränderung in der