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Der englische Graf von Wittenbergen: Ein historischer Roman
Der englische Graf von Wittenbergen: Ein historischer Roman
Der englische Graf von Wittenbergen: Ein historischer Roman
eBook410 Seiten5 Stunden

Der englische Graf von Wittenbergen: Ein historischer Roman

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Über dieses E-Book

Dies ist die authentische Geschichte des irischen Adligen Donough MacCarthy, 4. Earl of Clancarty (1668-1734), der nach seinem spektakulären Ausbruch aus dem Londoner Tower nach Wittenbergen bei Hamburg ins Exil gehen muss. Vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse beschreibt der Autor die dramatischen Umstände, unter denen es den wagemutigen Heerführer und politischen Parteigänger wie auch selbstsüchtigen Lebemann an die Gestade der Niederelbe verschlägt. Von dort aus unternimmt er als Strandpirat abenteuerliche Streifzüge entlang der Unterelbe und nach Friesland hin. In vielen Episoden wird das umtriebige Leben eines Heimatlosen dargestellt sowie von seiner spät gefundenen Liebe zu seiner Frau Elizabeth, einer Ahnin der berühmten Prinzessin Diana, erzählt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. Sept. 2019
ISBN9783748228981
Der englische Graf von Wittenbergen: Ein historischer Roman
Autor

Karl-Heinz Biermann

Karl-Heinz Biermann arbeitete für Zeitungen und Zeitschriften, war lange Jahre in der Chefredaktion der Zeitschrift „BILD der FRAU“ als Redakteur tätig. Er ist Autor der Romane „Im Zeichen des Rosenmonds“ und „Am Ende des Himmels“. Im tredition-Verlag sind auch seine Erzählungen „Das Tor zur Welt – Wundersame Geschichten rund um den Hamburger Hafen“ und der biografische Essay „About Jack“ über den US-amerikanischen Schriftsteller Jack London erschienen, sowie der historische Roman „Der englische Graf von Wittenbergen". Unter dem Pseudonym Henrik van de Beer hat Karl-Heinz Biermann eine Krimi-Trilogie geschrieben. Die drei Novellen sind als eBook bei neobooks.com erschienen. Unter dem Titel „Der weite Weg zurück nach Pleasant Valley" ist nun die Fortsetzung des Romans „Am Ende des Himmels" erschienen. Mit seiner Familie wohnt er in seiner seit der Jugendzeit geliebten Wahlheimatstadt Hamburg. Er ist Mitbegründer der Kunst und Wissenschaft Gruppe West.

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    Buchvorschau

    Der englische Graf von Wittenbergen - Karl-Heinz Biermann

    Karl-Heinz Biermann

    Der englische Graf von Wittenbergen

    Ein historischer Roman

    nach einer wahren Begebenheit

    Der

    englische Graf

    von

    Wittenbergen

    © 2019 Karl-Heinz Biermann

    Lektorat: Michael Streeb

    Coverillustration: Klaus Bartel

    Verlag & Druck: tredition GmbH

    Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

    ISBN: 978-3-7482-2897-4 Hardcover

    ISBN: 978-3-7482-2898-1 e-Book

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Ausgesetzt

    In einer Barke von Nacht

    Trieb ich

    Und trieb an ein Ufer.

    An Wolken lehnte ich gegen den Regen.

    An Sandhügel gegen den wütenden Wind.

    Auf nichts war Verlaß.

    Nur auf Wunder.

    Ich aß die grünenden Früchte der Sehnsucht,

    Trank von dem Wasser das dürsten macht.

    Ein Fremdling, stumm vor unerschlossenen Zonen,

    Fror ich mich durch die finsteren Jahre.

    Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.

    Mascha Kaléko (1907-1975)

    Prolog

    1668 wird in Irland Donough MacCarthy geboren, als Earl of Clancarty wächst er in der Grafschaft Cork heran. Die ausgedehnten Besitztümer seiner Familie sind Erbe einer strengen Linie irischer Hochkönige. Sein Vater stirbt früh, und bald gerät der junge Clancarty in den Einfluss seines umtriebigen Onkels Justin MacCarthy, konvertiert zum Katholizismus und wird von seinem Onkel mit 16 Jahren mit der erst 13-jährigen Tochter des katholischen Staatsmanns Robert Spencer, 2. Earl of Sunderland, verheiratet, einem Vorfahre der berühmten Prinzessin Diana. Diese Ehe existiert aber für viele Jahre nur auf dem Papier und gilt als einer der größten Skandale der Zeit.

    Mit der Glorreichen Revolution von 1688/89 beendet das englische Parlament die Politik ihres Königs Jakob II., der unter Vortäuschung religiöser Toleranz den Katholizismus auf der Insel vorantreiben will. Der protestantische Wilhelm III. von Oranien, Statthalter der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen, wird gerufen. Vor dessen militärischer Übermacht muss Jakob ins französische Exil fliehen. Wilhelm III. besteigt den Thron Englands, Schottlands und Irlands.

    Als Kommandant eines irischen Kavallerieregiments ergibt sich Clancarty am Ende der Glorreichen Revolution nach der Belagerung von Cork einer protestantischen Armee und wird 1690 im Tower von London eingekerkert. Was nur wenigen Inhaftierten gelingen sollte, schafft auch er: Während wieder einmal der Nebel über London fällt, bricht er aus einem der sichersten Festungsgebäude Englands aus und kann fliehen.

    Hier beginnt dieses Buch vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse mit der Geschichte des Grafen Clancarty, den es unter dramatischen Umständen vom politischen Parteigänger, vom Lebemann und wagemutigen Heerführer zu einem verwegenen Strandpiraten an die Gestade der Niederelbe bei Hamburg verschlagen wird.

    Die Staatengebilde in der Region – in diesem Roman Schauplätze vieler Handlungen – gliedern sich in dieser Zeit in das freie hansestädtische Hamburg, das wegen des Handels an einem florierenden und ungehinderten Zugang des Schiffsverkehrs interessiert ist, und in das nördlich gelegene Holstein, in Personalunion vom dänischen Königreich regiert. Auf der südlichen Seite der Elbe haben welfische Herzöge das Sagen. Es sind zersplitterte Fürstentümer Niedersachsens, dennoch nennen sie sich das Herzogtum zu Braunschweig-Lüneburg.

    Die Westfriesischen Inseln sind den Sieben Vereinigten Provinzen vorgelagert, gehören zum überwiegenden Teil zum Heiligen Römischen Reich und verfügen über keinen Monarchen. Zwar suchten die Niederländer bereits früher nach einem fürstlichen Souverän und hatten sich unter anderem auch an die englische Königin Elizabeth I. gewandt, die die Niederlande de facto zu einem englischen Protektorat gemacht hatte. Doch im Grunde bleiben die Provinzen unabhängig, werden in der Folgezeit zur kulturellen und politischen Großmacht, das Goldene Zeitalter der Niederlande beginnt.

    Völkerrechtlich beansprucht Spanien die Provinzen, im Zuge des Erbfolgekrieges 1701 bis 1714 kommt es wiederholt zu Auseinandersetzungen. So liegen sich in der Elbmündung niederländische, französische, englische und spanische Kriegsschiffe gegenüber, bis weit den Fluss hinauf werden Scharmützel ausgetragen. Blockaden werden von Waffenschmugglern gebrochen, Strandpiraten haben Hochkonjunktur.

    Auch das Landschaftsgefüge sieht hier vor Jahrhunderten anders aus als heute. Der Strom ist breiter, Inseln, die sich in unserer Zeit über Kilometer erstrecken, sind früher kleine Eilande und Sandbänke im Fluss. Auch die heute baumbestandenen Hügel und Hänge des nördlichen Elbufers sind im 17. bis ins 18. Jahrhundert hinein noch recht kahl, wie auch Bilder und Gemälde aus dieser Zeit zeigen, man braucht Holz für den Schiffbau. In Wittenbergen bei Hamburg-Rissen wachsen Krattwälder in einer Heidelandschaft, als Folge der Weichsel-Kaltzeit mit Dünen durchsetzt, da nach Rückgang der Gletscher vorherrschende Westwinde Flugsand aus dem Urstromtal auf die Höhen des Nordufers wehen. Der Strom nagt ständig an seinen Ufern, und so rutscht der weiße Sand immer wieder von den Hängen ab, diese erscheinen im niederdeutschen Sprachgebrauch als „Witte Berge, daher also Wittenbergen. Und hier irgendwo, einsam und versteckt, steht ein verwinkeltes Haus, von hier aus bricht ein irischer Exilant auf zu seinen Raubzügen. Bald nennen sie ihn den „Englischen Graf von Wittenbergen.

    Heute erinnert nur wenig an den Strandpiraten. Selbst unter den Einheimischen ist kaum noch Kenntnis über ihn vorhanden, längst hat sich seine Spur verwischt, sein Leben und Wirken im 17. und 18. Jahrhundert ist zur Legende geworden, von Mythos umrankt. Der Historiker Hubert Wudtke, der die Geschichte des Elbdorfs Rissen dokumentiert hat, ruft dazu auf, den Grafen Clancarty nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dieser Ihnen vorliegende historische Roman, verehrte Leserinnen und Leser, soll mit dazu beitragen.

    Kapitel

    1Nebelschwaden wabern über das Wasser der Themse, undurchdringlich für die Blicke der Männer, die ihren Kahn in der Strömung des Flusses nah an das Ufer drücken. Es sind unsichere, angstvolle Blicke, welche sie in die grauen Schleier werfen. Ihre bange Aufregung unterdrücken die Männer, indem sie sich einreden, dass auch von Land, von der Festung nur wenig von ihnen entfernt, jegliches Spähen nach ihnen ebenso vergeblich bleiben muss. Nichts kann von den unsichtbaren Mauern hinter den Schleiern zu ihnen dringen – ohnehin sind es quaderdicke Festungsringe, die den Tower von London umgeben.

    Und so hören sie auch nichts von den Schreien hinter den Mauern, kein Laut kommt an ihre Ohren. Die Männer wissen nichts von den Hinrichtungen, die in diesen Tagen nicht enden wollen. Ihnen beizuwohnen wird nur wenigen Adligen und Hofbeamten zugestanden. Nur sie sind es, die, wenn der Nebel einmal nicht über London fällt, bei Tagesanbruch sehen, wie die Gefangenen hinüber zum Tower Green gezerrt werden – gepeinigte Kreaturen, in zerrissener Kleidung, nur noch Lumpen und Stofffetzen an ihren geschundenen Körpern, kaum noch als menschliche Wesen zu erkennen. Der Henker wartet mit verschränkten Armen vor seiner Brust, sein Haupt verhüllt, das Beil neben dem Richtklotz gelehnt, die schwere Axt, die Häupter von ihren Leibern trennen wird.

    Manche der Armseligen schreien die ganze Zeit über. Die Unglücklichen, denen es angesichts des Unfassbaren da vor ihnen die Beine wegreißt, werden getreten und gezerrt, stolpern, wenn sie vorwärtsgetrieben werden. Andere geben sich stumm ihrem Schicksal hin. Wieder andere scheinen nicht begreifen zu wollen, was ihnen bevorsteht, entsetzter Unglaube steht in ihren Gesichtern.

    Donough MacCarthy, vierter Graf von Clancarty, hört nichts davon. Er ahnt in seiner Zelle nur von dem Geschehen da draußen, von den Schrecken, die ihn bisher nicht ereilten. Warum? Das hat er sich mehr als einmal gefragt. Schon so lange halten sie ihn fest, in einer der am sichersten geltenden Festung des britischen Königreichs.

    Seine Zelle gleicht eher dem durchschnittlichen Komfort der Kammer einer Herberge statt den dunklen, engen Verliesen anderer Gefangener, die dort dahinvegetieren. Sein Grinsen ist gezwungen, als er zum Balken über der Tür sieht. „Castle Inn" hat er irgendwann mit einem abgebrochenen Löffelstiel in das Holz geritzt. Den Löffelstumpf haben sie ihm genommen, haben wohl gedacht, er würde sich damit den Weg durch die Mauern nach draußen graben können. Den Schriftzug belächelten die Wachen aber und ließen ihn dort. Überhaupt ist der Umgang mit ihm kein rauer, nicht selbstverständlich ihm als gebürtigen Iren gegenüber. Offenbar ist es seine Abstammung einer alten, irischen Königsfamilie wegen, warum sie ihn zuvorkommender behandeln.

    Allerdings sind es auch überwiegend Adlige, die draußen auf dem Tower Green ihr Leben lassen, angebliche Anhänger des Absolutismus Jakob II., die selbst nach dem Sieg der sogenannten Glorreichen Revolution des britischen Parlaments mit der anschließenden Inthronisierung des neuen Königs Wilhelm III. eine fortgesetzte Gefahr für die Monarchie bedeuten. Katholiken gelten inzwischen als Staatsfeinde. Clancarty, wie er sich selbst nennt, weiß sich aber als Verlierer ehrenvoll den Belagerern von Cork in der gleichnamigen irischen Grafschaft ergeben zu haben. Vielleicht hielten sie ihn deshalb privilegierter als andere Gefangene. Kann er vielleicht sogar irgendwann auf die Gnade Wilhelms hoffen?

    Eher nicht, die Zeit rann dahin, drei Jahre ist er jetzt bereits gefangen, eher sieht er sich dem Schafott entgegen – bis heute. Heute hatte er Besuch bekommen. Ein sonderbar wirkender Mann war in seine Zelle eingetreten, vermummt in einer grob gewebten Kutte, er sah darin aus wie ein Mönch. Sein Auftreten war ihm seltsam vorgekommen und verwunderte ihn zunächst, hatte ihn aber dann in arge Furcht versetzt, als sich der Vermummte als Geistlicher zu erkennen gab. Er war hier, um ihn zum Schafott zu begleiten, schoss der entsetzte Gedanke durch den Kopf des Grafen, und er sah seine letzte Stunde gekommen.

    Doch der Geistliche gab sich als Anglikaner aus, er sei ein Abgesandter des Bischofs von Oxford, was Clancarty verwunderte, galt doch der Bischof als ein Verfechter des Katholizismus.

    Sowie die Wachen, die den Geistlichen in die Zelle geführt hatten, sie alleine ließen, hatte der ihm eröffnet, dass es im Untergrund immer noch eine katholische Bewegung gäbe. Der Bischof sei nur unter Druck darauf eingegangen, seiner Religion zu entsagen, und hatte sich zum Schein auf den neuen König Wilhelm III. eingeschworen.

    Clancarty war wie vom Donner gerührt. Schon lange hatte er sich um seine Religion keine Gedanken mehr gemacht, fand sich inzwischen damit ab, niemals mehr für die katholische Glaubenssache zu streiten, obwohl er sich immer noch als einen Christen sah. Längst hatte der Graf erkannt, dass er ein Verführter gewesen und gezwungenermaßen katholisch geworden war. Und jetzt gäbe es immer noch Leute, die im Geheimen der katholischen Kirchenlehre nachhingen? Es missfiel ihm, und erst, als der Vermummte ihm beizubringen versuchte, dass er gesandt worden sei, um zu helfen aus dem Verlies zu entkommen, war er aufmerksam geworden und hatte seinen Worten gelauscht.

    Clancartys Blick geht zur schlichten Schlafstätte, eine simple Holzpritsche. Immerhin bedeckt sie ein Kissen, gefüllt mit Gänsefedern, statt der in den Verliesen üblichen Strohsäcke, auf denen die Armseligen liegen müssen, wenn überhaupt. Oft liegen sie auf nacktem, feuchtem Boden. Der Graf sieht noch einmal prüfend zur Pritsche, eine Perücke am Kopfende lugt unter einer Decke hervor. Es ist seine eigene, die er dalassen muss. Sie soll die Wachen täuschen, als sei er im Schlafe, während er bereits auf und davon wäre. Einmal mehr lauscht er zur Tür, will nach draußen horchen. Wie auch sonst meistens hört er nichts dahinter. Sein Zeitgefühl lässt ihn ahnen, dass draußen bereits der Morgen graute; es war soweit, jetzt musste er die Chance nutzen, die der Geistliche ihm aufgezeigt hatte.

    Tatsächlich ist die Tür unverschlossen. Im dunklen Gang, vom flackernden Schein einer brennenden Fackel matt erhellt, sieht er einen der Wachen, die üblicherweise zu zweit auf den umliegenden Gängen patrouillieren. Der Mann lehnt an der Wand und rührt sich nicht. Wo ist der andere? Clancarty geht langsam auf den halb Liegenden zu, zögert, nimmt ihm dann die Schlüssel vom Gürtel. Den Gang aber weiterzugehen, weigert er sich, es scheint eine unsichtbare Barriere vor ihm zu geben, die ihn hindern will. Doch es ist der Zeitdruck, der ihn bald wieder vorwärtsdrängen lässt.

    Den Weg kennt er, er führt in den Innenhof. Ab und wann holen sie ihn, lassen ihn aus Gnade ans Tageslicht, was nicht jedem Gefangenen gestattet wird. Jetzt sieht er auch den zweiten Wachposten. Auch der liegt stocksteif auf den Steinen des Gangs. Clancarty bemerkt das Fässchen neben ihm auf dem Boden, also hat sein Inhalt die Wirkung getan, von der der Geistliche gesprochen hatte. Deppen, denkt er, einfältige Pinsel, die sich mit Wein bestechen lassen. Clancarty grinst spöttisch bei aller Anstrengung, seine Furcht zu unterbinden – dieser Wein ist ein besonderer Tropfen, wie ihm der Vermummte erklärt hatte. Schlafmohn mit einer guten Mischung Opioide sei immer noch das sicherste Mittel, um selbst einen kräftigen Kerl außer Gefecht zu setzen, hatte er gesagt. Dieses hatte mit zu der Überzeugung beigetragen, die Flucht zu wagen. Aber draußen im Grau des frühen Tages den Weg an die Mauer zu finden, ist ein gefahrvolles Wagnis. Überall kann er auf weitere Wachen stoßen.

    Es behagt ihm auch nicht, sich so ohne Weiteres mit einem Exil im Ausland abzufinden. Der Gedanke ist ihm fremd – so fremd und fern, wie ein unbekanntes Land nur sein kann. Der Geistliche hatte ihm eröffnet, dass Jakob II., ehemals König von England, sich im französischen Exil recht wohlfühle. Und außerdem – wolle er, der junge Graf, auf ewig in den dunklen Löchern des Towers vergessen werden? Oder am Ende gar seinen Kopf verlieren?

    Es drängt, und Clancarty bleibt nicht die Zeit, weiter zu grübeln. Jetzt ist er bereits vor dem letzten Gitter zum Innenhof angekommen und bemerkt draußen den Nebel, zweifelt angesichts der grauen Wand, ob sein Ausbruch letztlich nur ein Versuch bleiben wird. Wo ist die Festungsmauer? Im Dunst kann Clancarty nichts ausmachen. Schlecht, denkt er, aber auch schlecht für die Wachen.

    Mit einem der Schlüssel öffnet er das Gitter, geht umsichtig vor, oft quietschen sie in ihren Angeln. Er schaut auf den Papierfetzen, den ihm der Geistliche dagelassen hat. Die Markierungen darauf sollen ihm zur Orientierung dienen. Aber wo sind die Himmelsrichtungen? Der Nebel unterschlägt sie ihm. Clancarty sieht wieder auf den Zettel, dreht ihn ein paar Mal und kommt zu dem Schluss, sich nach links wenden zu müssen. Sind es dreißig, vierzig Schritte? Er hat sie nie geschätzt, die Entfernungen zu den Festungsmauern. Vielleicht sind es viel mehr Schritte, die er über das freie Gelände des Innenhofs gehen muss. Einzig der Nebel, der ihm immer dichter zu werden scheint, gibt ihm das Gefühl, seinen Wächtern verborgen zu bleiben. Es lässt ihn hoffen, an die Südseite der Mauer zu gelangen, da wo die Themse fließt, denn nur dort ist weitere Hilfe zu erwarten, wie es der Geistliche erklärt hatte, und dazu braucht er Licht, einen Feuerschein.

    Die Fackel! Clancarty wähnt sich schon weit auf dem Innenhof, als ihm auffällt, dass er die Fackel nicht dabei hat. Der Geistliche hatte es ihm gesagt, die Aufregung hatte es ihn vergessen lassen: Die Fackel am Ende des Gangs, er hätte sie mitnehmen müssen. Ohne sich bemerkbar machen zu können, ist es sinnlos. Verflucht, wie sollen sie erfahren, dass er an der Mauer angekommen ist? Er braucht die Fackel, er soll sie über die Mauer werfen, an der Südseite. Helfer auf der anderen Seite sollen so erkennen, wo sie ihrerseits ein langes Seil zu ihm hinüberwerfen können, um ihn dann über die Mauer zu ziehen – wenn sie denn überhaupt im Nebel das Feuer sehen können. Der Graf zweifelt, verzweifelt. Wenn er zurückgeht, ist sein Vorsprung dahin. Der Trick mit der Perücke – alles umsonst, wenn die Wachen sich inzwischen von ihrem Rausch erholten. Sie werden die Finte durchschauen und alles daransetzen, ihn einzuholen.

    Er muss zurück! Im Dunst versucht er den Weg einzuschlagen, der ihn wieder in den Gang zu seinem Verlies führt. Nach ihm endlos erscheinender Zeit – verlorene Zeit – findet er das Gitter wieder, schließt es auf, nachdem er es vorhin abgesperrt hatte, um auch dadurch Vorsprung zu gewinnen. Dann noch ein paar umsichtige Schritte in den Gang hinein – der eine der Wachen liegt noch genauso da, wie vor Stunden, so will es ihm die vertane Zeit vorgaukeln. Einige vorsichtige Schritte weiter sieht er flackerndes Licht, endlich die Fackel. Den zweiten schlafenden Wachposten hält Clancarty im Auge, als er den brennenden Stab über ihm von der Wand nimmt, wendet sich dann um und strebt zurück, dem Ausgang entgegen. Unbehagen macht sich bei ihm breit, die Strecke noch einmal gehen zu müssen. Entmutigt und argwöhnisch zugleich tritt er ein weiteres Mal in den Nebel ein, der ihm den Weg an die Südseite der Festungsmauer zu versperren versucht.

    Doch er hat auch jetzt Glück, nicht entdeckt zu werden, nichts rührt sich, kein Laut ist zu hören. Irgendwann steht er vor einer Wand grob gehauener Felssteine, erst als sie nur noch wenige Fuß vor ihm erkennbar wird. Ist es die Südseite? Clancarty kann es nur ahnen. Er schaut noch einmal um sich in die wabernden Schleier hinein, geht dann ein paar Schritte zurück und wirft mit weit ausgeholtem Arm die brennende Fackel über die Mauer, in der Hoffnung, sie zu überwinden. Sie entschwindet mit einem Feuerschweif, der sich im grauen Nichts über ihn verliert. Hoffentlich, so sein flehender Gedanke, wird der Feuerschein für die unbekannten Helfer drüben auf der anderen Seite sichtbar, er weiß, dass die nahe Themse für noch dichteren Nebel sorgt.

    Und um noch eines sorgt er sich: Oben verläuft ein Gang, wenn auch ein schmaler. Wenn sie ihn in den Innenhof ans Tageslicht ließen – was selten genug vorkam –, so hatte er doch oben auf den Mauern die Wachposten gesehen, wie sie hin und her patrouillierten.

    Clancarty hofft darauf, sein Wurf ist weit genug gewesen, bangend blickt er an der Wand hoch – so weit es eben geht. Er weiß auch von den Türmen in den Mauern, sie stellen eine weitere Gefahr dar. In ihnen halten sich die Wachmannschaften auf. Allein, dass ihnen die Sicht genommen wird, beruhigt den Grafen etwas.

    Dann sieht er einen Pfeil, der zu ihm hinunterfällt. Clancarty erschrickt, bis er das starke Seil erkennt, an dem das Geschoss baumelt. Sie haben noch einen Stein in das Seil gebunden, als zusätzliches Gewicht; sie mussten das Ganze mit der Wucht einer Armbrust herübergeschossen haben. Schon kann er den Stein greifen, erfasst das Seil, zieht heftig daran, einerseits um denen auf der anderen Seite zu signalisieren, dass er bereit ist und auch, um sich den Strick um seinen Körper zu winden. Das kennt er, als Soldat in seinem irischen Regiment hat er das zigmal geübt und angewandt.

    Er verspürt einen starken Ruck, als sie anfangen, ihn hochzuziehen. Mit beiden Händen klammert er sich an dem dicken Tau, mit den Füßen stößt er sich an der Mauer ab, damit sein Körper nicht dagegenprallt, und während er nach oben der unheilvollen Erde unter sich entschwindet, stellt sich ein Gefühl bei ihm ein, das er vor drei Jahren verloren hatte: dass sich die Welt ihm wieder öffnet, er wieder ein Teil ihrer wird.

    Oben windet er sich über den Rand der Mauer und merkt, wie der Zug am Seil nachlässt. Schnell bindet er sich von ihm los, blickt dabei in die Richtung, in der er einen Turm vermuten kann. Auch in die entgegengesetzte Richtung starrt er, fürchtet, dass ihm Gestalten mit erhobenen Schwertern aus dem Nebel entgegenstürzen.

    Doch es bleibt weiterhin still. Rasch bindet Clancarty das Ende des langen Seils um eine der Zinnen auf der außenwärtigen Seite der Mauer. Prüfend, ob die Knoten an der Zinne halten, zieht er kräftig das Seil, schlingt es dann um seinen Leib und lässt sich auf der anderen Seite hinab. Langsam, vorsichtig, sich immer wieder von der fast dreißig Fuß hohen Wand abstoßend, gleitet er hinab.

    Dann, als ihm das Seil immer mehr in seinen Leib schneidet und ihm allmählich die Arme schwer werden – die Festungsmauer ist bedeutend höher, viel höher als die Wände und Barrieren, an denen er in der Armee geübt hat –, spürt er Widerstand unter sich. Zaghaft tastet er mit seinen Füßen danach, kann kaum fassen, als er aufrecht auf festem Boden steht. Hände greifen aus dem Nebel nach ihm – helfende Hände, wie er nach erstem Argwohn erleichtert feststellt.

    „Hier entlang, Graf, raunt ihm jemand zu. „Bleibt dicht hinter mir, es sind nur ein paar Schritte bis zum Boot.

    „Wer seid ihr?" Clancarty will wissen, wer das ist, der ihn auffordert – ja fast schon fortreißt –, mit ihm zu gehen.

    „Folgt mir nur, Ihr seid in guten Händen", erwidert die Stimme vor ihm im Nebel.

    „Wie viele sind bei Euch?" Der Graf hastet vorwärts, es sind nur wenige Schritte bis an das Ufer der Themse, ihm kommt es wie eine Ewigkeit vor. Doch bald sieht er schemenhaft den dümpelten Kahn auf dem grauen, glatten Wasser der Themse. Jetzt erkennt Clancarty auch die Männer im Boot.

    Ohne Antwort auf seinen Wissensdurst weist die Gestalt, die ihn führt, ins Boot hinab. Clancarty starrt in das dunstige Grau, will den Geistlichen entdecken. Ist es schon Stunden her, als er von ihm aufgesucht wurde? In den nebligen Schleiern kann er nicht die Gesichter der Männer sehen, von denen einer ihm seine Arme entgegenstreckt.

    Er schaut um sich, als erwartete er immer noch den Vermummten, der dazu beigetragen hat, in die Freiheit zu entkommen. Doch dann drängt es ihn, schnell in den Kahn hineinzukommen, er denkt an mögliche Verfolger.

    Einer der Männer stößt das Boot vom Ufer ab, bald gerät es in die Strömung des Flusses. Irritiert hat er den Helfer, der ihn über die Mauer zog, am Ufer zurückbleiben sehen, bald eine nebulöse, sich auflösende Gestalt. Es musste ein starker Kerl gewesen sein, den er kaum in Augenschein nehmen konnte. Er hatte ihm nicht mal ein Wort des Dankes zuwerfen können.

    Der Graf verliert keinen weiteren Gedanken an seine Spekulation über ihn, wendet sich an die Männer im Kahn, die mit leichten, flachen Ruderschlägen das schwimmende Gefährt in der Strömung halten. „Wohin bringt ihr mich?"

    Einer der beiden bedeutet ihm durch Fingeranlegen an seine Lippen, still zu sein.

    Clancarty versteht. Er hat es auch nur in seiner Aufregung gefragt, nur um etwas sagen zu wollen. Er weiß, dass es an die Küste gehen wird und von da aus nach Frankreich hinüber. Noch ist er nicht in Sicherheit. London ist groß, die Themse ist lang, und das Land ist weit. Alles ein gewagtes Unterfangen. Und ewig können sie nicht auf der Themse bleiben. Der Trick mit seiner Perücke auf der Pritsche wird seine Häscher nicht lange aufhalten. Sie werden die Ufer entlangreiten, werden ihn bald aufgespürt haben. Er weiß, dass der Nebel sich irgendwann am Tag lichten wird, spätestens da muss er ihnen entkommen sein.

    Trotz des stummen Hinweises einer seiner Begleiter richtet er flüsternd seine Vermutung an ihn. „Wir werden bald aufs Pferd umsteigen?"

    Der Mann vor ihm am Ruder nickt nur.

    Und es wird ein lang dauernder Ritt an die Küste, dünkt es dem Grafen, die Gefahr entdeckt zu werden bleibt. Und dann ist da in Dover noch das Kastell, die Festung hoch über den Kreidefelsen, besetzt mit Militär. Ausgerechnet nach Dover soll es gehen. Doch von dort aus ist es die kürzeste Distanz zum französischen Festland auf der anderen Seite des Kanals. Und erneut fühlt er sich elend bei dem Gedanken, England verlassen zu müssen. Widerwillen steigt in ihm auf, er beugt seinen Kopf nach vorn, bedeckt mit beiden Händen sein Gesicht, solange, bis ihm bewusst wird, seine Begleiter könnten ihn weinend glauben.

    Clancarty will nicht weinen, er hat nie geweint, nicht bei seiner Niederlage, als die Glorreiche Revolution ihn besiegte, weder vorher noch nachher, und auch nicht, als er wieder einmal an seine junge Frau denkt, die ihm einfällt. Wie sieht sie eigentlich aus? Er weiß es nicht mehr. Wie lange hat er sie nicht mehr gesehen? Er hat sie überhaupt nur einmal gesehen, da war er sechzehn Jahre alt. Zehn Jahre her, denkt Clancarty, und wieder war es sein Onkel Justin MacCarthy gewesen, der ihn heimlich nach London gebracht hatte – zur Vermählung mit diesem jungen Mädchen, fast noch ein Kind. Elizabeth Spencer war ihr Name – ist ihr Name, berichtigt er sich, sie muss es ja immer noch irgendwo geben. Vielleicht bringen sie ihn zu ihr? Undeutlich sieht er das gegenüberliegende Ufer, er stellt fest, dass es hier ländlicher aussieht, obwohl er sich noch in der Stadt wähnt. Dann macht er einen Mann aus, mehr einen Schatten, der zwei Pferde im Zaume hält. Sie scheuen, als das Boot aus den diesigen Schwaden auftauchend auf sie zusteuert, bald stößt der Kahn an die grasbewachsene Böschung.

    „Hierher, Graf!, wird ihm zugerufen, und Clancarty duckt sich instinktiv, er ist gerade dabei, aus dem schwankenden Boot zu steigen. Die Stimme war laut herübergeschallt, zu laut für ihn, der sich jetzt nach allen Seiten spähend der Gestalt mit den Pferden nähert. Das ist ein junger Kerl, ein Knecht, ein Bauernbursche, scheint ihm, als er ihn erkennen kann, jünger als seine eigenen 26 Jahre. Doch dann sieht er den Degen an ihm. „Ihr scheint mir mit Waffen umzugehen.

    „Wenn’s darauf ankommt, bin ich bereit", erwidert der Fremde, berührt dabei den Griff seines Degens und der Graf glaubt bei ihm ein Grinsen zu sehen.

    „Werdet Ihr mich begleiten?"

    „Es ist mir so aufgetragen worden."

    „Wie ist Euer Name?"

    „Ihr könnt mich Marley nennen, und lasst es beim Du."

    „Finden die in diesem Nebel überhaupt den Weg?" Clancarty weist auf die beiden Pferde, die Marley jetzt ruhig im Griff hat.

    „Darauf könnt Ihr Euch verlassen. Aber lasst uns keine Zeit verlieren."

    Clancarty wendet sich den Männern im Kahn zu. „Habt Dank", wirft er ihnen leise zu.

    Die Bootsleute nicken, stoßen vom Ufer ab, sind sofort außer Sicht.

    „Wer steht hinter meiner Befreiung? Weißt du es?", will er von Marley wissen, als er eines von den Pferden besteigt.

    Der hat dem Grafen die Zügel überlassen, schwingt sich ebenso in den Sattel seines Tieres. Es will aufbäumen, aber er reißt es herum und ist schon im Galopp. „Ich weiß es nicht. Folgt mir!", ruft er im Wegreiten.

    Clancarty ist dicht hinter ihm, darf seinen Begleiter nicht aus den Augen verlieren. Dabei ist die Furcht bei ihm, die Pferde könnten bei diesem Tempo in der grauen Wand vor ihnen gegen ein Hindernis prallen. Aber bald lassen sie die Tiere in Trab übergehen, reiten nebeneinander, und er ist weniger besorgt.

    „Ist dir ein Geistlicher bekannt, der mich im Tower aufgesucht hat?", fragt er hinüber.

    „Gar nichts weiß ich", kommt die knappe Antwort.

    „Ist es mein Onkel, der meine Befreiung geplant hat?"

    Wieder sieht Clancarty ein aufblitzendes Lächeln im Gesicht seines Begleiters. Überhaupt wird es allmählich klarer um die Reiter herum, der Nebel scheint sich zu lichten. „Ich weiß nichts von Eurem Onkel", sagt der junge Reiter neben ihm.

    Justin MacCarthy, denkt Clancarty spöttisch, der große Heerführer der französischen Armee. Nur sein Onkel kann es sein, nur er besitzt Möglichkeiten, eine Flucht, die bis ins Kleinste ausgeklügelt sein muss, zu organisieren. Der Graf denkt nicht gern an ihn, zu viele Unannehmlichkeiten hängen an seiner Person und an seinen Taten. Dafür hockt er im Exil, drüben auf dem Kontinent. Das hat er nun davon, genauso wie König Jakob – Ex-König, weiß Clancarty sich zu berichtigen.

    Der Nebel ist nun völlig im hellen Tag verblasst, die Sonne kommt durch brüchige Wolken. Deutlich liegt die Landschaft vor den Reitern, die jetzt wieder die Gangart angezogen haben. Noch drei Stunden, hatte sein Fluchthelfer ihm vorhin zugerufen, in drei Stunden seien sie in Dartford.

    Der Weg dahin führt an weitflächigen Wiesen vorüber, Clancarty sieht die Knicks, die sie durchtrennen. Von Menschen will er nichts zu sehen bekommen, bekommt er auch nicht, die Gegend scheint ausgestorben, nicht einmal ein paar Viecher auf den Weiden kann er entdecken. Erst als sie durch die ersten Dörfer reiten, laufen ihnen ein paar Bauern mit ihren Karren und tobende Kinder über den Weg.

    „Wo werden wir unterkommen?" Der Graf weiß, dass die 80 Meilen bis an die Küste bei Dover nicht an einem einzigen Tag zu schaffen sind.

    „Nach Dartford werden wir den Nachmittag über nach Halling reiten", hört er die Antwort.

    „Sind wir in den Ortschaften überhaupt sicher?"

    „Wir werden nicht auffallen. Niemand weiß, wer Ihr seid. „Vielleicht sollten wir die Pferde noch einmal antreiben. Jetzt, nachdem der Nebel sich verflüchtigt hat, will Clancarty seinen Vorsprung vor seinen möglichen Verfolgern vergrößert wissen. Mehrmals hatte er sich umgeschaut, und auch jetzt späht er immer wieder in die Landschaft um sie herum.

    „Wir dürfen sie nicht müde reiten, warnt Marley. „Wir brauchen sie auch noch nach Dartford.

    Später breiten sich vor ihnen mehrere zusammenstehende Gebäude aus. Widerwillen lässt Clancarty die Zügel straffen, sein Pferd steht auf den Hinterbeinen. Aber es scheint ihm Dartford zu sein, von dem gesprochen wurde, und sein Begleiter nickt bestätigend, als er ihn danach fragt. Marley scheint sich auszukennen, zielstrebig traben sie einen Stall an. Das Wirtshaus daneben verspricht Essen und Trinken, ein Knecht kümmert sich um die Pferde. Mensch und Tier sind erholt und erfrischt, als sie nach einer Stunde weiterziehen.

    Die nächste Ortschaft passieren sie an deren Rande, halten sich mehr in der Nähe eines Gehölzes auf einem Hügel. Der Graf sieht den steinernen, vierschrötigen Turm der Kirche aus dem kleinen Ort herausragen. Für einen Moment wünscht er sich, dort eintreten zu können, Christ genug glaubt er sich noch – wie oft hatte er während seiner Gefangenschaft um Gottes Hilfe gefleht. Ob die Kirche da unten den Katholiken gehört? Oder alles längst wieder anglikanisch ist? Seine an sich selbst gerichtete Vermutungen beantwortet er gleich mit der Überzeugung, dass es König Jakob nie wirklich gelungen ist, seinen Katholizismus unter das englische Volk zu bringen. Doch wie hatte der merkwürdige Geistliche im Tower zu ihm gesprochen? Es gäbe immer noch im Untergrund eine katholische Bewegung und der Bischof von Oxford stünde dahinter? Dann ist es also in der Tat der Bischof, der Leute gesandt hatte, die ihm zur Flucht verhalfen, kommt Clancarty zu dem Schluss. Und der Geistliche heute früh war kein Anglikaner, sondern ein Vasalle des Bischofs. So passt das also zusammen! Noch einmal wirft der Graf

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