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Mehr recht als billig - Kriminalroman
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eBook470 Seiten6 Stunden

Mehr recht als billig - Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Unterschiedlicher können zwei Charaktere kaum sein. Dennoch bestimmen sie das Denken und Handeln eines Menschen in fataler Weise. Ein hohes Maß an krimineller Energie und extreme Skrupellosigkeit verschmelzen zu einem gefährlichen Gemisch.
Pathologische Spielsucht und der krankhafte Drang nach persönlicher Anerkennung münden in eine Spirale maßloser Gier. Er begeht dafür Straftaten, die schon bald die Ausmaße grausamer Gewaltverbrechen annehmen. Schuldgefühle sind dem selbstverliebten Psychopathen fremd. Immer sieht er das Recht auf seiner Seite. Eigene kriminelle Handlungen verdrängt dieser Egozentriker oder nimmt sie billigend in Kauf. Sehr spät erkennt er die Ausweglosigkeit der Lage. Seine Reaktion ist unberechenbar und durch extreme Brutalität geprägt. Auch Personen aus seinem persönlichen Umfeld geraten in große Gefahr.
Hauptkommissar Thomas Laaser und sein Ermittlerteam erkennen schon bald, dass sie es mit einer Serie schwer vergleichbarer Verbrechen zu tun haben. Hinzu kommt, dass die Spuren der Gewalt in mehrere Länder führen. Dennoch gibt es eine gemeinsame und außerordentlich grausame Basis der Taten, die sich nur langsam herauskristallisiert.
Das Buch wird Leser begeistern, die spannungsgeladene Kriminalromane mit sympathisch-amüsanten Nebenhandlungen mögen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum23. Apr. 2021
ISBN9783347310674
Mehr recht als billig - Kriminalroman
Autor

Peter Werkstätter

Der Autor mag es gern aktiv. Die in seinen Krimis beschriebenen Orte hat er unisono mehrfach bereist. Ob mit der Harley, dem Rad oder per Helikopter - die Welt erobern ist seine Leidenschaft. Bereits als Jugendlicher wollte er seine Reiseerlebnisse aufschreiben. Später kam dann die Liebe zu Kriminalromanen mit sympathisch - amüsanten Nebenhandlungen dazu. Bereits in seinem ersten Buch hat der Autor diese Visionen miteinander verbunden. Dennoch ist er ein Familienmensch und ein heimatverbundener Erzgebirger. Für seine Familie und Freunde ist das kein Widerspruch. Er hat sein Leben so organisiert, dass seine mobilen Leidenschaften, Zeit für seine Frau und die geliebten vier Enkel und die Pflege seiner Freundschaften durchaus eine harmonische Einheit bilden. Nur etwas hat der Autor nie: Langeweile!

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    Buchvorschau

    Mehr recht als billig - Kriminalroman - Peter Werkstätter

    Wer nichts waget, der darf nichts hoffen

    (Friedrich Schiller)

    Der bronzene Löwe vor dem riesigen, grünen Gebäudekomplex des MGM Grand begann die ersten Sonnenstrahlen in der Wüste Nevadas zu reflektieren. Der sitzende König der Tiere flößte einerseits Respekt ein, strahlte aber gleichzeitig etwas Erhabenes, Würdevolles und Beruhigendes aus.

    Ein einsamer Spieler betrachtete diese eindrucksvolle Komposition aus der natürlichen Schönheit eines erwachenden Tages und des in Anlehnung an das berühmte Hollywoodstudio von Metro Goldwyn Meyer geschaffenen Bauensembles. Er weiß, der neue Tag kann nur besser werden als der gerade zu Ende gegangene – und dazu gehört nicht viel.

    Er sieht das von Schweiß glänzende, ausdruckslose Gesicht des übergewichtigen Amerikaners vor sich. Er fühlt die manikürten, schlanken Hände des russischen Oligarchen, der scheinbar ohne nachzudenken hohe Risiken einging. Er hört deutlich die unangenehme hohe Fistelstimme des Griechen, die akustisch einem Greis zugeordnet werden konnte aber in Realität zu einem jungen Mann gehörte. Er glaubt sogar, das penetrante, aldehydig anmutende und gleichzeitig animalisch an Moschus erinnernde Parfüm des blassen Finnen zu riechen und überhaupt:

    Der Eindruck des Blackjack Tisches mit seinen, im Halbkreis sitzenden Spielern und dem emotionslos auf der gegenüberliegenden Seite agierenden Kartengeber, hatte sich in den zurückliegenden 6 Stunden so fest in seine Erinnerung eingeprägt, dass er sich an Details erinnerte, die ihm während des Spieles kaum aufgefallen waren.

    Die Stapel der bunten Jetons, die optisch immer wieder an das momentane Spielergebnis erinnerten, verschwammen mit fortschreitendem Spielverlauf zu einer bedeutungslosen Dekoration, deren Informationsgehalt zumindest für die Glücklosen der Nacht zunehmend schwand. Und genau zu dieser kleinen Gruppe hatte er in den letzten Stunden gehört.

    Nahezu 80000 $ hatte er während der drei Tage seines Aufenthaltes in Las Vegas verspielt. Diese katastrophale Bilanz war auch durch die, im Vergleich zu den Hotels auf der nördlichen – und südlichen Strip preiswerte Unterkunft in einem Campground am Rande von Las Vegas, nicht auszugleichen.

    Dafür musste er jetzt todmüde noch ein überteuertes Taxi nehmen, da um diese Zeit ein Shuttle für 12 $ nicht zu bekommen war. Das Wohnmobil, was er sich als Schlafstätte im gepflegten Oasis Las Vegas RV Resort angemietet hatte, war aufgrund seiner Größe und der begrenzten und extrem teuren Parkmöglichkeiten keine Alternative für einen Trip zu den Spielhöllen von Las Vegas.

    Er löste seinen Blick von dem imposanten Panorama der Skyline von Las Vegas und wie aus dem Nichts tauchte eine der zahlreichen Stretchlimousinen auf, die für eine Einzelperson wahrlich keine preiswerte Alternative zu einem Uber Taxi darstellt – aber das war ihm jetzt auch schon gleichgültig.

    Erfolg hat nur, wer etwas tut, während er auf den Erfolg wartet

    (Thomas Alva Edison)

    Volker Selketal wartete einmal mehr auf Mandantschaft. Seine kleine Kanzlei war zwar gemütlich eingerichtet, ließ aber jegliche Art von professioneller Ausstrahlung anwaltlicher Sachkunde vermissen. Seine Bürohilfe war daran nicht ganz schuldlos. Gestickte Fensterbilder sind zwar typisch für das Vogtland, aber eben unpassend für eine Anwaltskanzlei. Die hoffnungslos veraltete Bürotechnik komplettierte das Gesamtbild eines Provinzbüros mit überschaubaren Referenzen.

    Scheidungsprozesse, Nachbarschaftsstreitigkeiten, Verkehrsverstöße und Diebstahlsdelikte waren bisher fast ausschließlich die juristischen Betätigungsfelder von Selketal.

    Wenn er damit gut verdient hätte, wäre er vielleicht sogar zufrieden mit seiner Arbeit gewesen. Das war aber nun wirklich nicht der Fall. Sein Honorar reichte kaum für ihn selbst – geschweige denn zum Verwöhnen seiner Freundin.

    Er bedauerte das zwar, sah aber den wirklichen Grund für seine ständige Geldnot im kapriziösen Charakter und den übertrieben hohen Lebenserwartungen seiner Partnerin Bettina.

    Volker Selketal musste etwas tun, um zumindest den gegenwärtigen Lebensstandard zu halten. Er war überzeugt davon, nur durch das Erbe von seiner Mutter – sie war vor 3 Jahren verstorben – in der Lage gewesen zu sein, das gemeinsame Leben mit Bettina bis heute zu finanzieren.

    Der Anwalt ignorierte dabei vollständig, dass seine Freundin über ein eigenes, regelmäßiges Einkommen verfügte und ihn in keiner Weise belastete. Volker Selketal beruhigte mit dieser fiktiven Doppelbelastung lediglich sein Gewissen.

    Ansonsten schätzte er die Lage real ein: In spätestens zwei Monaten würde er Insolvenz anmelden müssen – oder zumindest in einem ersten Schritt seiner Bürohilfe Mandy kündigen.

    Das Bekanntwerden dieser wirtschaftlichen Schräglage, dürfte in seinem Umfeld, dem vogtländischen Lützengrün, zwangsläufig das berufliche Ende für ihn bedeuten. Auch ein persönliches Desaster stand ihm bevor, wie er glaubte. Er unterstellte Bettina konsequent, sie würde sich mit einer solchen Situation nicht abfinden können und ihn sicher verlassen wollen. Auch diese Einschätzung erklärte sich mit der Manie des Anwalts, niemals persönliche Verantwortung übernehmen zu müssen.

    In diesem Moment klingelte das Telefon und Volker Selketal hoffte spontan auf den großen Auftrag, der alle seine Befürchtungen in weite Ferne verschieben würde. Dass sich mit diesem Anruf vieles in seinem Leben grundlegend verändern sollte, konnte er allerdings nicht im Ansatz erahnen.

    Sie war schon ein Blickfang für jeden, nicht völlig desinteressierten – oder gänzlich anders orientierten, Mann. Bettina Doll wusste das natürlich und genoss ihre Ausstrahlung auf die Kunden des renommierten Herrenausstatters „Golden Grip", den die junge Frau gerade verlassen hatte.

    Sie hatte Feierabend und nachdem sie 5h fast ohne Unterbrechung Herrenmode an den Mann – oder auch häufig an die Frau – gebracht hatte, sehnte sie sich danach, jetzt selbst ein wenig verwöhnt oder zumindest freundlich bedient zu werden. Erst wollte sie Volker anrufen, aber er war sicher noch in seinem Büro. Da heute der erste wirklich spürbare Frühlingstag in diesem Jahr die Biergärten und Eisdielen mit Sonne verwöhnte, steuerte sie ihren Lieblingsitaliener an. Sie wollte sich gerade im Freibereich setzen, als ihr Blick auf das gegenüberliegende Reisebüro fiel. Durch einen kleinen Ausschnitt, der zum Großteil mit Sonderangeboten beklebten Scheibe der Reiseecke Böhm, sah sie ihre Freundin, die Inhaberin der Reiseagentur.

    Rita schien gerade nicht in Beratung zu sein und so änderte Bettina Doll ihren Plan, einen Eisbecher zu bestellen. Zumindest korrigierte sie die zeitliche Abfolge, denn es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Freundinnen ihren Schwarzwälder Becher von Lucio, dem Pächter des Eiscafes, ins Reisebüro bringen ließen.

    Nach einer herzlichen Begrüßung setzten sich die beiden Frauen an einen der zwei Beratungstische der Agentur und befanden sich unmittelbar danach bereits in einem angeregten Gespräch zu nahezu allen Themen, die Familie, Freundeskreis und Weltpolitik so hergaben. Das konnten sie auch ungestört tun, da die Bürger des Vogtlandes an diesem herrlichen Tag offenbar Besseres vorhatten, als sich zu fernen Reisezielen beraten zu lassen.

    Rita orderte, wie schon vermutet, zwischenzeitlich zwei Schwarzwälder Eisbecher. Der freundliche Lucio war sehr schnell bei den Freundinnen, nahm sich dann aber viel Zeit beim Servieren. Er fühlte sich sichtlich wohl in der Gegenwart von „Schneeweißchen und Rosenrot", wie er Rita und Bettina in optischer Anlehnung an das von den Gebrüdern Grimm bekannt gemachte Märchen gern nannte und auch nennen durfte.

    Als die jungen Damen wieder unter sich waren, ging das Gespräch unterbrechungsfrei weiter. Als Rita auf den 30. Geburtstag ihrer Freundin zu sprechen kam, trat die einzige kleine Pause ein.

    „Daran mag ich noch nicht denken, sagte Bettina – „obwohl du recht hast. Soviel Zeit bleibt bis zum 12. Januar nächsten Jahres nicht mehr.

    Volker hatte bisher keinen Satz dazu verloren. Vielleicht hat er auch eine Überraschung geplant.

    Als ob Rita ihre Gedanken lesen könnte, kam sofort ihr Einwand. „Bei dem Phlegmatismus deines juristischen Provinzgenies darfst du nicht auf Wunder hoffen. Da musst du schon aktiv werden, sonst bekommst du bei einem rauschenden Fest im Iglu deines winterlichen Vorgartens schafwollene Socken geschenkt."

    Bettina hielt das für unfair, obwohl sie auch nicht an eine Überraschung glaubte. Sie mochte es aber nicht, wenn Rita in dieser Weise über Volker urteilte.

    „Von den in der antiken Humoralpathologie bekannten vier Temperamenten ziehe ich den Phlegmatiker allemal den Cholerikern, Sanguinikern und Melancholikern vor", konterte sie deshalb.

    Rita lachte schallend los – wurde aber sofort wieder sachlich. Sie schlug Bettina eine Geburtstagsreise vor, die sie nie vergessen würde, wohin ihre Eltern niemals folgen könnten und die ihr im Januar endlich einmal das Gefühl vermitteln würde, nicht in der falschen Jahreszeit auf die Welt gekommen zu sein. Das Wunderreiseziel hieß Vietnam.

    Bettina Doll kannte zwar die spontane Verrücktheit ihrer Freundin, aber jetzt überzog sie. „Woher bitte sollen wir die geschätzten 10 TEUR nehmen, die eine solche Reise an das andere Ende der Welt kostet? Volker würde hyperventilieren und ich traue mir einen solch langen Flug auch gar nicht zu."

    „Erstens ist Vietnam nicht ganz am anderen Ende der Welt, sondern in Südostasien, die Reise wäre dank meiner guten Kontakte in dieses zauberhafte Land wesentlich preiswerter als du annimmst, Volker könnte seinen Kindheitstraum, einmal auf einem Elefanten zu reiten, am Lak – See erfüllen und du solltest nichts ablehnen, was du nicht kennst. Einen Flug mit der thailändischen Fluggesellschaft Thai Air hat noch niemand in meinem Reisebüro beanstandet", erwiderte die Reiseexpertin.

    Man musste es Rita schon lassen, sie konnte argumentativ überzeugen. Bettina glaubte ihr aufs Wort, wenn sie jedem der es hören wollte – oder auch nicht hören wollte – sagte, dass nur 10 % ihrer Besucher die Reiseecke Böhm verlassen, ohne gebucht zu haben oder in Bälde buchen.

    Als Bettina Doll das Reisebüro verließ, gehörte sie zu den 90 % der Agenturbesucher, die Rita überzeugt hatte. Sie war zwar nachdenklich aber auch zufrieden.

    Ihre Freundin hatte eine Reiseroute empfohlen, die einen umfassenden Eindruck von der atemberaubenden Schönheit und der Liebenswürdigkeit Vietnams vermitteln würde. Dabei hatte sie ihren Freund und Kollegen Hung Phan, den Direktor des legendären Hotel Rex in Saigon, fest in die Reiseplanung integriert. Rita würde ihn zu gegebener Zeit bitten, alle Inlandsaktivitäten wie Hotelbuchung, Inlandsflüge und touristische Höhepunkte vor Ort zu organisieren und zu buchen. Hung sei in der Tourismusbranche bestens vernetzt. „Er würde den Gesamtpreis der Reise auf ein schmerzarmes Niveau senken können, hatte Rita nicht ohne Stolz verkündet. Bettina war sich nur nicht sicher, ob sie beide über die gleiche „Schmerzgrenze verfügten.

    ***

    Er nahm den Hörer erst nach dem vierten Klingeln ab – sofortiges Abheben deutete seiner Meinung nach auf eine schlechte Auftragslage hin – und meldete sich mit seinem Namen.

    Überraschung, Argwohn und Verunsicherung waren die Begrifflichkeiten, die Volker Selketals Empfindungen wohl am besten beschrieben, als er den Namen am anderen Ende der Leitung hörte. Er hätte es niemals für möglich gehalten, dass ausgerechnet der Seminargruppenprimus seiner Studienzeit, Sohn aus bestem Haus, intellektueller Überflieger und heutiger Staranwalt in Dresden, mit ihm – ohne Not – Kontakt aufnimmt. Und Not war nun wirklich etwas, was ein Erfolgsmensch wie Jörg Leifeld nicht kannte.

    Dieser Mann hatte es geschafft, sich seit drei Jahren in der Liste der Top Anwälte für Strafrecht zu etablieren und lehnte hochdotierte Partnerschaftsangebote renommierter Anwaltskanzleien ab, um sich eine eigenständige Existenz aufzubauen. Starthilfe hatte er allerdings insofern erhalten, dass er die Jugendstilvilla seines Vaters geschenkt bekam. Dieser hatte die Räumlichkeiten als Zahnarztpraxis genutzt und in den noblen Kreisen seiner Patienten zu einer bestimmten Bekanntheit geführt, was sich auf die Kanzlei übertragen hatte.

    Ja, er war tatsächlich am Telefon: sein ehemaliger Kommilitone Dr. Jörg Leifeld.

    Jörg hatte offenbar die Verwunderung in Volkers Stimme wahrgenommen, denn er ging ohne große Vorrede sofort in medias res.

    „Hast du am kommenden Samstag Zeit und Lust, mit einem alten Freund eine Party zu besuchen und ein paar Kostproben deiner brillanten Kenntnisse als Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht zum Besten zu geben?", fragte er in fast beiläufigem Ton.

    Ja, es stimmte, Selketal hatte vor zwei Jahren, als wieder einmal keine Mandantschaft in Sicht war, Geld und Zeit investiert, um die gerade erst eingeführte Fachanwaltschaft auf diesem Spezialgebiet zu erwerben. Der entsprechende Lehrgang umfasste 150 Stunden und beinhaltete 3 Klausuren. Erst dann erhielt man die Zulassung bei der zuständigen Anwaltskammer und durfte die wohlklingende Berufsbezeichnung „Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht" führen. Nutzen, in Form von Aufträgen, hatte es bisher nicht gebracht. Größere, global aufgestellte Unternehmen gab es in seinem Kanzleibereich nur in sehr überschaubarer Anzahl, und hätte er diese Berufsbezeichnung an die Scheibe seiner Kanzlei geschrieben, wären Scheidungswillige und Verkehrssünder auch noch ferngeblieben.

    Jörg Leifeld deutete das Zögern von Volker Selketal richtig. Er unternahm deshalb sofort den Versuch einer glaubhaften Erklärung für sein Anliegen, wobei er sich weitgehend an die Wahrheit hielt.

    „Ein großer, in Dresden ansässiger Konzern, Globalplayer und Weltmarktführer im Elektronikbereich, sucht eine renommierte Anwaltskanzlei für Strafrecht, die aber auch Kompetenzen im internationalen Handels–und Wirtschaftsrecht vorzuweisen hat. Unsere Kanzleien könnten pro forma eine Kooperation eingehen, wobei sich dein Part auf den Bereich Wirtschaft und auf `bei Bedarf` beschränken sollte. Natürlich würden wir ein angemessenes Honorar zahlen", ergänzte er gönnerhaft.

    Was hätte Volker Selketal in seiner Situation anderes tun können, als der Bitte von Jörg Leifeld zu entsprechen.

    Dieser reagierte auf die Zusage erleichtert und nachdem sie Ort und Zeit vereinbart hatten, um die gemeinsame Fahrt in das als Partylocation ausgewählte Landhaus in der Dresdner Heide zu starten, verabschiedeten sie sich.

    Volker Selketal hatte schon reichlich 120 km Autofahrt hinter sich, als sich die beiden schmiedeeisernen Flügel des reichlich dimensionierten Tores der Jugendstilvilla im noblen Stadtteil Blasewitz für ihn öffneten. Der linkselbisch von Dresden gelegene Villenvorort entstand bereits in der Gründerzeit und derartige Anwesen sorgten zweifellos für den Erhalt des Charmes dieser Periode.

    Volkers 9 Jahre alter Jetta passte so gar nicht in den gepflegten Innenhof der Anwaltsvilla. Besonders krass war der Gegensatz zu dem neben seiner Gästestellfläche abgeparkten, basaltschwarzen Porsche Panamera, der offenbar seinem ehemaligen Kommilitonen gehörte. Das war deshalb anzunehmen, weil sich gegenwärtig kein anderes Fahrzeug im Innenhof des Anwesens befand.

    Dr. Leifeld stand bereits in der geöffneten Massivholztür seiner Villa, die typisch für den Jugendstil mit einer edlen Zarge umschlossen war. Nach einer kurzen Begrüßung ging er voraus in sein Büro.

    Fast wäre Selketal ein überraschtes „wow!" herausgerutscht, als er die Arbeitsräume des erfolgreichen Anwaltes betrat.

    Ein riesiger, in einem polarisierenden Design gestalteter Schreibtisch, dominierte den mittleren Bereich des Büros. Seine weiß abgesetzten und ansonsten in eleganter, schwarzglänzender Klavierlackoptik gehaltenen Rundungen erinnerten in Verbindung mit einer ovalen Arbeitsfläche stark an die Handschrift Luigi Colanis. Da die gesamte Büroausstattung sehr wertig und exklusiv wirkte, war diese Annahme durchaus glaubhaft.

    Sie hatten noch genügend Zeit. Die Veranstaltung begann erst in 90 Minuten und es dauerte höchstens eine Viertelstunde bis in die nördliche Dresdner Heide – selbst bei starkem Verkehr am Blauen Wunder. Die Brücke stellte zwar ein Nadelöhr zwischen den beiden Elbufern da, war aber dennoch ein Segen für die Anwohner.

    Leifeld nutzte die Zeit, Volker auf Sinn und Nutzen der Party und auf seine Taktik einzunorden. Er wollte seinem Kommilitonen die „Bälle präzise zuspielen", so dass dieser nur noch logisch und fachlich fundiert reagieren musste. Volker Selketal war in diesem Schauspiel die Rolle eines sehr guten Freundes zugedacht, der, aufgrund seiner Kompetenzen im internationalen Wirtschaftsrecht, in naher Zukunft als Sozius in einer gemeinsamen Anwaltssozietät mit Dr. Leifeld zusammenarbeiten wolle.

    20 Minuten vor 19.00 Uhr stiegen sie in Leifelds Panamera und erreichten kurz darauf den reservierten Vorplatz des „Historischen Fischhauses" in der Dresdner Heide. Trotz des Gardemaßes seines Porsche parkte Dr. Leifeld routiniert und exakt ein.

    Der Abend verlief vollständig nach den Plänen des Staranwalts und er war entsprechend gut gelaunt. Dr. Leifeld überredete seinen „besten Freund" noch zu einem letzten Drink, obwohl es bereits 23.30 Uhr war und beide schon reichlich dem Alkohol zugesprochen hatten. Ihr heimliches Verschwinden würde nicht auffallen, da der Festsaal einen separaten Eingang hatte, der auf der gegenüberliegenden Seite des Parkplatzes ins Freie führte und somit keine Sicht auf kommende – oder abfahrende Fahrzeuge zuließ. Außerdem befanden sich die Toiletten in Richtung Ausgang, so dass ein zufälliger Beobachter eher einen Besuch dieser Räumlichkeiten vermuten würde, als einen heimlichen Abgang. Beide verließen sie den in der ersten Etage des Traditionsrestaurants gelegenen, famos restaurierten Jugendstilsaal und steuerten den Parkplatz an. Sie erreichten unbemerkt ihr Ziel.

    Jörg Leifeld lenkte den Wagen auf die unbefahrene Fischhausstraße. Sie führte das erste Stück durch den Albertpark, der um diese Zeit natürlich menschenleer war. Er beschleunigte den Porsche kaum hörbar in kürzester Zeit auf 80 km/h und suchte per Sprachsteuerung nach einem, zu seiner Hochstimmung passenden, Musiktitel.

    Der plötzliche, dumpfe und dennoch laute Aufprall im vorderen Bereich der Fahrerseite ließ beide erstarren. Der Wagen kam sofort zum Stehen.

    Die noch im Panamera ausgesprochene Vermutung von Leifeld, ein Wildschwein sei ihm ins Fahrzeug gelaufen, stellte sich in fürchterlicher Weise als Irrtum heraus. Nur wenige Meter vom Wagen entfernt lag ein menschlicher Körper in unnatürlich aussehender Stellung reglos am Boden.

    Daneben lag ein Fahrrad, was offenbar dieser Person zuzuordnen war. Die beiden Anwälte beugten sich fast gleichzeitig zu der verunfallten Person hinunter. Es handelte sich um eine Frau, die mit hoher Wahrscheinlichkeit tot war. So äußerte sich zumindest Leifeld, nachdem er die Halsschlagader vergeblich nach einem Impuls abgetastet hatte.

    „Wir müssen sofort Hilfe rufen", sagte Volker Selketal mit belegter Stimme. Während er die Nummer des Notrufes in sein Mobiltelefon tippte, stellte sich Dr. Leifeld gedanklich auf das jetzt notwendige Gespräch ein. Obwohl er sich auf den Inhalt – ähnlich wie bei seinen Plädoyers – akribisch vorbereitet hatte, galt es jetzt vor allem, das richtige Timbre in seine Stimme zu legen. Er musste überzeugen, ohne erkennbaren Druck auszuüben. Eine kleine und dennoch spürbare Dosis an Hilflosigkeit sollte das Herz des Zuhörers berühren. Und nicht zuletzt bestand die Kunst darin, seinem Gesprächspartner eine solche Chance zu bieten, dass er seine vergleichsweise kleine Bitte nicht abschlagen konnte. Druck, Täuschung und Skrupellosigkeit waren unschlagbare Erfolgsgaranten. Man musste sie nur perfekt beherrschen und anwenden.

    Er drehte sich zur Seite, damit Volker Selketal das Lächeln nicht bemerkte, was über sein Gesicht glitt.

    Der Albertpark war an der Unfallstelle seit 30 Minuten durch die Scheinwerfer der Spurensicherung von grellem Licht durchflutet. Verstärkt wurde der bizarre, fast surreale Eindruck dieses Parkbereiches durch die pulsierenden Sondersignale von Rettungswagen und Polizei, die alle Gesichter der anwesenden Personen in flackernde, mystische Masken verwandelten.

    Während die Spurensicherung ihre Arbeit erledigte, saß Volker Selketal in einem Kleinbus der Polizei und wurde umfänglich zum Hergang des Unfalls befragt. Natürlich war auch sein Alkoholpegel ermittelt worden. Er betrug 0,9 Promille. Die Antworten Selketals auf die routinierten Fragen des ermittelnden Polizeikommissars waren sehr leise und schienen emotionslos, obwohl er sich vermutlich in einem Stresszustand befand, der ihn praktisch paralysierte.

    Nach ca. einer Stunde verließ Selketal das Polizeifahrzeug und sah gerade noch einen schwarzen Kombi den Unfallort verlassen. Dessen Heckscheibe war blindverglast und mit einer hellsilberfarbenen Gardine versehen. Die Radfahrerin war tot.

    Dr. Leifeld verließ gegen 02.45 Uhr am Morgen die Feier im „Historischen Fischhaus". Seine, von den Gastgebern georderte Taxe, wartete bereits auf ihn. Er nannte dem Fahrer die Adresse seiner Kanzlei, deren obere Etagen ja gleichzeitig seinen Wohnbereich bildeten.

    Als sie den Unfallort passierten, war in der mondlosen dunklen Nacht nahezu nichts mehr von dem Unfall zu erkennen. Lediglich Lagemarkierungen auf dem Fahrweg konnte man im Scheinwerferlicht erkennen.

    Zu Hause angekommen ging er in die Diele seines Wohnbereiches. Er schenkte sich ein Glas mit Single Malt Whiskys fast randvoll und setzte sich damit vor den Kamin, der natürlich um diese Zeit längst erloschen war.

    Die letzten Stunden musste er noch einmal in Gedanken ablaufen lassen. Das war schon deshalb notwendig, um relativ sicher zu sein, keine Fehler begangen zu haben.

    Volker hatte seiner Bitte entsprochen, den Unfall komplett auf seine Kappe zu nehmen. Er vermittelte in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit seinem Kollegen glaubhaft, dass Volker lediglich mit einer Bewährungsstrafe zu rechnen hätte. Bei ihm wäre das anders gelaufen. Er hatte überzeugend behauptet, vor weniger als einem Jahr zu einer Bewährungsstrafe wegen Herbeiführens eines Verkehrsunfalles unter Alkoholeinfluss und anschließenden unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden zu sein.

    Die heutige Alkoholfahrt mit Todesfolge hätte sicher eine Gefängnisstrafe ohne Bewährung nach sich gezogen. Auf die Folgen für sein anwaltliches Renommee und den eventuellen Entzug seiner Zulassung durch die Anwaltskammer hatte er Volker Selketal gar nicht hinweisen müssen – das wusste der selbst.

    Ausschlaggebend für Selketals Einwilligung, die Schuld für den Unfall auf sich zu nehmen, war aber mit Sicherheit der enorme finanzielle Druck, der auf ihm lastete. Am Ende schienen bei Volker die in Aussicht gestellten, großzügigen Honorare durch die künftige Zusammenarbeit mit seiner Dresdner Kanzlei schwerer zu wiegen, als die Strafe, die ihn zweifellos erwartete.

    Nach der Unterredung mit Volker Selketal war er unbemerkt von bekannten Personen durch den separaten Saalzugang wieder im Fischhaus eingetroffen. Auf dem kurzen Weg vom Unfallort zur Veranstaltungsstätte war ihm niemand begegnet.

    Bevor er den Jugendstilsaal betrat, machte er sich auf der Toilette noch ein wenig frisch. Dann ging der Anwalt mit ordentlich gekämmten Haaren und den typisch vom Körper abgespreizten und leicht schüttelnden Händen, um den Trocknungsprozess nach dem Toilettengang zu beschleunigen, in den Festsaal.

    In Folge suchte er regelrecht nach Mitgliedern von Geschäftsführung und Vorstand der von ihm umworbenen Firma. Es gelang ihm tatsächlich, den Vorstandsvorsitzenden und den kaufmännischen Prokuristen des Dresdner Chipherstellers an die Bar zu locken. Die erhoffte Frage, wo denn sein Freund und Kollege sei, beantwortete er prompt und schaffte sich damit für alle Fälle ein Alibi. „Er muss morgen zeitig ins Vogtland zurück und ist deshalb mit meinem Wagen voraus zu mir gefahren. Herr Selketal wird wohl bereits schlafen."

    Wie als Bestätigung der vorangegangenen Sätze schloss er eine Bitte an: „Ist es vielleicht möglich, dass ihre nette Mitarbeiterin am Empfang zu später Stunde ein Taxi für mich bestellt?"

    Dem Wunsch wurde natürlich entsprochen und während eines gelösten Smalltalks an der Bar hatte Leifeld noch andere Gesprächspartner kennengelernt. Er war sich jetzt sicher, bei Notwendigkeit seine durchgängige Anwesenheit in den Räumen des „Historischen Fischhauses" nachweisen zu können.

    Nein, er hatte keinen Fehler begangen.

    Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug

    (Epikur von Samos)

    Acht Monate später.

    Die Weihnachtszeit stand unmittelbar bevor und in den Küchen und Wohnräumen der traditionsbewussten Bewohner des Erzgebirges und des Vogtlandes herrschte reges Treiben und zuweilen auch positiver Weihnachtsstress.

    Bettina Doll verließ gegen 16.00 Uhr ihre Boutique. In ca. 20 Minuten würde die Sonne untergehen und endgültig den herbeigesehnten Feierabend einläuten.

    Die schwere Zeit des Sommers hatte sie mit Volker durchgestanden und jetzt sollte endlich Ruhe einziehen und eine bessere Phase in ihrem Leben beginnen. Die Voraussetzungen dafür waren gut: Ihr Partner war dank eines brillanten Strafverteidigers mit einer moderaten 6 – monatigen Bewährungsstrafe und 2000 EUR Bußgeld mit einem blauen Auge für diesen grausamen Verkehrsunfall davongekommen. Außerdem hatte ihn ein guter Freund aus der Studentenzeit mit zahlungskräftigen Auftraggebern aus der Wirtschaft zusammengebracht und Aufträge vermittelt. Er hatte aufgrund dieser Mandantschaft für seine sonstigen Verhältnisse außergewöhnlich hohe Honorare erwirtschaftet, was ihm sogar die Anmietung neuer Kanzleiräume in bester Zentrumslage von Plauen ermöglichte. Für ihn ein qualitativer Quantensprung.

    Seinen betagten Jetta musste er einem Schrotthändler überlassen, aber er konnte sich einen schicken Audi A4 leasen. Auch ihr Geburtstagsgeschenk, die Traumreise nach Vietnam, hatte Volker akzeptiert und schien sich nun auch darauf zu freuen, je näher der Termin kam.

    Da sie beide zwar getrennt aber nahegelegen am Stadtrand von Plauen wohnten, war ihr Arbeitsweg völlig unproblematisch. Sie konnten häufig gemeinsam mit dem Audi zur Arbeit fahren.

    Der Herrenausstatter „Golden Grip", in dem Bettina angestellt war, lag in unmittelbarer Nähe von Volkers neuem Büro. Er hatte sich die Räumlichkeiten zu einem moderaten Preis in den Kolonnaden von Plauen angemietet. Dieses große Einkaufs – und Bürocenter verfügte zwar über eine ideale Citylage, litt aber unter einem häufigen und ständig wechselnden, partiellen Leerstand, was den überschaubaren Mietpreis erklärte.

    Das moderne Gebäude hatte man direkt gegenüber dem Landratsamt des Vogtlandkreises, am zentralen Postplatz errichtet. Auch ein Parkhaus gehörte zum Gesamtkomplex der Kolonnaden. Es war von der rückwärtigen Bahnhofstraße aus zu befahren und hatte über das Einkaufszentrum einen direkten Ausgang zu der Ladenstraße, in der Bettina Doll arbeitete. Besser ging es nicht.

    Sie entschloss sich, Volker in seinem Büro zu überraschen. Bereits durch die Büroscheibe, die von der Rolltreppe des Einkaufcenters aus einem günstigen Blickwinkel einzusehen war, bemerkte Bettina die Bürohilfe Mandy Bartel. Sie war offenbar gerade im Begriff zu gehen, was Bettina nicht als Fehler ansah. Sie konnte Volkers Mitarbeiterin nicht besonders leiden.

    Eigenartigerweise fand sie keine logische Begründung für das über Jahre gewachsene angespannte Verhältnis. Ihr Chef im Herrenausstatter würde sagen „Weiberlogik" und Bettina hätte dem nichts zu entgegnen gewusst.

    Sie hatte den Eingang der Kanzlei erreicht und verinnerlichte sich zum wiederholten Male die noch ungewohnte Berufsbezeichnung ihres Partners, die auf einer Messingtafel den Eingangsbereich zierte:

    VOLKER SELKETAL

    Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht

    Dependance der Rechtsanwaltssozietät

    Dr. Jörg Leifeld & Volker Selketal, Dresden

    Sicher hätte diese Aufschrift nicht an die schadhafte Fassade der Kanzlei in Lützengrün gepasst.

    Sie konnte es sich im Kontext dieses Vergleiches nicht verkneifen, dass sie Mandy Bartel auch lieber in den alten Räumen wüsste.

    Just in diesem Moment öffnete sich die Tür der Kanzlei und Mandy verließ das Büro. Sie wäre fast in Bettina hineingelaufen und ihre Gesichter hätten sich beinahe berührt.

    Die Bürogehilfin musste noch das Lächeln im Gesicht der Freundin ihres Chefs registriert haben denn sie wirkte leicht irritiert bei der Begrüßung.

    Glücklicherweise konnte sie keine Gedanken lesen.

    Nachdem sie sich noch einen schönen Feierabend gewünscht hatten, betrat Bettina die Kanzlei. Volker telefonierte gerade und machte ihr mit einer Handbewegung in Richtung eines Besucherstuhles und einem entschuldigenden Schulterheben und -senken klar, dass das Telefonat noch dauern konnte.

    „Handelt es sich dabei um eine einmalige Beratung zu einem, eher seltenen Sachverhalt, oder gehen sie von einer permanenten Beratungstätigkeit über einen längeren Zeitraum aus?", hörte sie ihren Freund seinen Gesprächspartner fragen.

    Die Antwort war kurz und für Volker offenbar sehr zufriedenstellend, was sie seinem Gesichtsausdruck und seiner Reaktion entnehmen konnte.

    „Dann sehen wir uns morgen gegen 10.00 Uhr in Aue und ich werde reichlich Zeit einplanen, um den Gesamtumfang meines Aufgabenportfolios für die Vertragsgestaltung richtig einschätzen zu können. Es wäre gut, wenn neben ihnen noch andere maßgebende Mitglieder der Geschäftsführung von Secury Tex anwesend oder zumindest erreichbar sein könnten", bat er abschließend.

    Dieser Bitte wurde offenbar entsprochen, denn Volker verabschiedete sich und legte das Mobiltelefon unter hörbar erleichtertem Ausatmen auf den Tisch.

    „Ich habe endlich einen großen Fisch an der Angel, und wenn ich mich nicht stark täusche, kann daraus eine langfristige Zusammenarbeit werden. Die brauchen jemanden mit meiner Qualifikation und haben offenbar akute Personalsorgen. So eine Chance lasse ich mir nicht entgehen", sagte Volker ungewöhnlich laut und sein Gesicht zeigte eine Entschlossenheit, die sie nicht an ihm kannte…

    Der Abend könnte schön werden, dachte Bettina – vermochte aber seine überzogene Reaktion nicht recht einordnen.

    Volker Selketal erschien zur vereinbarten Zeit am Empfang des Unternehmens Secury Tex GmbH. Es befand sich am Rande der ehemaligen Bergarbeiterstadt Aue im Erzgebirge.

    Er hatte sich im Netz ein wenig über Struktur und Produktpalette dieses global aufgestellten Konzernes und der zugehörigen erzgebirgischen Betriebsstätte kundig gemacht.

    Es handelte sich bei Secury Tex Aue um einen Hersteller „Technischer Textilien". Das Kerngeschäft besteht in der Produktion Persönlicher Schutzausrüstungen. Das Spitzenprodukt ist ein besonders innovativer Chemikalienschutzanzug.

    Selketal wurde von einem Mitarbeiter des Betriebsleiters abgeholt und in ein schlichtes, aber zweckmäßig eingerichtetes Besprechungszimmer geführt. Der große Beratungstisch war bereits eingedeckt. In der Mitte standen die obligatorischen Kaltgetränke, etwa ein Dutzend Gläser und ein Behältnis mit Servietten.

    Es war für vier Personen Kaffee vorbereitet. Volker Selketal würde also vermutlich drei Gesprächspartner haben, was er als positives Zeichen für die Bewertung des Gespräches durch die Geschäftsführung anerkannte.

    Die Frage des Mitarbeiters, ob er schon einen Kaffee möchte, beantwortete er freundlich mit „nein, danke". Er fand es bei Erstkontakten immer als angebracht und höflich, wenn man den Hausherren stehend erwartete.

    Er musste auch keine fünf Minuten warten, bis zwei Herren und eine Dame erschienen.

    Die Reihenfolge, in der die Mitglieder der Geschäftsführung des Unternehmens den Beratungsraum betraten, entsprach – wie sich kurz darauf herausstellte – auch der Hierarchie in der Auer Firma.

    Lutger Krings stellte sich als Betriebsleiter „vor Ort" vor. Er ergänzte ohne jegliche Eitelkeit, dass er in der Konzernstruktur den Rang eines Generalmanagers einnahm. Dies sei auch notwendig, um weitgehend lokale Entscheidungsfreiheit zu haben. Die Europäische Konzernzentrale sei in Paris und der Chief Executive Officer hätte seinen Hauptsitz in Boston, erläuterte der Chef des Erzgebirgischen Unternehmens.

    „Mein Name ist Verena Korte, ich bin die kaufmännische Leiterin und mein Mitarbeiter Herr Kai Jäger fungiert als Controller und erledigt die notwendigen Aufgaben als interner Berater der Geschäftsleitung unseres Hauses. Das ist im Übrigen auch erforderlich, da meine Prokura einen sehr umfangreichen und verantwortungsvollen Bereich umfasst." Diese beiden Sätze aus dem Munde der Prokuristin, drückten, sowohl inhaltlich, als auch in der Art und Weise, wie sie ihren Einfluss in der Firma regelrecht zelebrierte, zumindest ein hohes Maß an Selbstbewusstsein aus. Volker Selketal schien das gut zu gefallen, was man mit etwas Übung aus seinem Gesicht ablesen konnte.

    Der Betriebsleiter schien das anders zu sehen, denn er ergänzte mit Blick auf den jungen und sicher noch unerfahrenen Herrn Jäger, dass dieser über hervorragende Kenntnisse in der Europäischen Förderlandschaft verfüge. „Das macht ihn für Sie, Herr Selketal, zu einem wichtigen Ansprechpartner. Da wir aufgrund unserer extrem innovationsintensiven Produktpalette viel eigene Forschungsarbeit betreiben und dabei natürlich auch Fördermöglichkeiten nutzen, benötigen wir inhaltliche Fachkompetenz auf diesem Gebiet. Um Fehler in jedem Fall auszuschließen, brauchen wir aber gleichzeitig juristischen Sachverstand, und ich wäre froh, wenn wir uns heute zu diesen Inhalten einigen würden", erklärte der Betriebsleiter.

    Nachdem sie Kaffee getrunken und sich dabei ein wenig näher kennengelernt hatten, wurden die Beratungsbereiche, deren Umfänge und die entsprechenden Konditionen ausführlich besprochen und verhandelt. Während die inhaltlichen Aufgabenstellungen an die Kanzlei Selketals sehr komplex waren und sich in der konkreten Formulierung als sehr aufwändig herausstellten, wurden sich die Parteien bezüglich der zu vereinbarenden Honorare für die Kanzlei erstaunlich schnell einig. Offenbar verdiente das Unternehmen recht gut mit seinem Produktportfolio und musste aufgrund komfortabler Gewinnmargen nicht sehr eng kalkulieren.

    Wie zwischen seriösen Kaufleuten üblich, wurden die besprochenen Vertragsteile per Handschlag besiegelt. Volker Selketal bekam seinen ersten konkreten Auftrag. Er sollte den schriftlichen Vertrag unterschriftsreif innerhalb von zwei Tagen erarbeiten und der Geschäftsführung vorlegen. Sie vereinbarten sich in gleicher Runde für kommenden Mittwoch zu gleicher Zeit an gleicher Stelle. Das Verhandlungsergebnis war für Volker Selketal ausgesprochen erfreulich. Es generierte zwar noch keine Gier, regte aber zumindest den Speichelfluss an. Selketal saß allein in seinem Büro, hatte den Vertragsentwurf vor sich liegen und genoss die 5stellige Zahl, die sie für den ersten Beratungsmonat als Honorar vereinbart hatten.

    Für den Anwalt war das ein Anlass, das denkwürdige Gespräch mit seinem Freund Leifeld, was unmittelbar nach seiner Verurteilung wegen des Verkehrsunfalles mit tödlichem Ausgang stattfand, noch einmal Revue passieren zu lassen.

    Dr. Leifeld lud Volker unmittelbar nach der Urteilsverkündung in das Dresdner Coselpalais ein. „Das ist doch das Mindeste, was ich an einem solch wichtigen und erfolgreichen Tag für dich tun kann", hatte er, in der ihm nun wieder eigenen, wohlgefälligen Unantastbarkeit, seinem ehemaligen Kommilitonen gegenüber geäußert. Dass dieser noch ganz unter dem emotionalen Eindruck stand, soeben fast milde für ein schweres Vergehen, bei dem ein Mensch ums Leben kam, verurteilt worden zu sein, schien ihn in keiner Weise zu berühren. Auch seine eigene Schuld hatte er in seinen Augen mit finanziellen Unterstützungen Selketals großzügig abgegolten. Diese Art von Rechtsempfinden prägte Leifelds Persönlichkeit. Spätestens in der schrecklichen Nacht im Albertpark war das Volker Selketal bewusst geworden – und er bewunderte den Staranwalt dafür.

    Während des hervorragenden Menüs – Jörg Leifeld als Stammgast in diesem noblen Restaurant hatte Oliven – Creme brulee als Vorspeise, Fasanenbrust „Sous Vide" für den Hauptgang und Schokoladen – Rotwein Tarte zum Nachtisch empfohlen – kam es zu einem handfesten Streit zwischen beiden.

    „Bist du denn mit den Mandantschaften und vor allem mit den Honoraren zufrieden, die ich dir vermittelt habe?", leitete Leifeld das Gespräch ein.

    „Ja, aber ich denke, diese kleine Mühe, die dich das gekostet hat, wiegt den Freundschaftsdienst, den ich dir erwiesen habe nicht im Ansatz auf", erwiderte Volker Selketal heftig. Er hatte sofort erkannt, dass sein neu gewonnener Freund das Ende der Gefälligkeitsperiode einleiten wollte.

    Dr. Leifeld wirkte nicht verärgert – im Gegenteil, er heuchelte sofort Verständnis für Selketals Bemühen, die für ihn komfortable Auftragssituation beibehalten zu wollen. Diese Gabe war ein Bestandteil seines Erfolgsgeheimnisses als Strafverteidiger. Er konnte völlig unvermittelt und scheinbar authentisch in die Rolle des „Advocatus Diaboli" schlüpfen, ohne seine Strategie erkennbar werden zu lassen.

    „Das wollte ich auch nicht in Frage stellen. Wir sind uns ja in den letzten Monaten auch persönlich nähergekommen und ich schätze dich sehr. Da ist es doch selbstverständlich, dass wir uns auch künftig unterstützen. Freundschaft schließt man doch nicht auf Zeit", erklärte Leifeld belehrend.

    Das Hauptgericht wurde serviert und alles schien einen harmonischen Lauf zu nehmen. Bis Volker die Katze aus dem Sack ließ.

    „Ich habe das Geld aus den Aufträgen, die du mir vermittelt hast, gut angelegt. Die Kaution für meine neue Kanzlei, die geforderte Pachtvorauszahlung, der Umzug nach Plauen, das zeitgemäße Equipment im Büro und die

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