Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Gerhard Gundermann über Arbeit: Eine qualitative Studie zur Bindungstheorie und den  psychosozialen Funktionen der Erwerbsarbeit.
Gerhard Gundermann über Arbeit: Eine qualitative Studie zur Bindungstheorie und den  psychosozialen Funktionen der Erwerbsarbeit.
Gerhard Gundermann über Arbeit: Eine qualitative Studie zur Bindungstheorie und den  psychosozialen Funktionen der Erwerbsarbeit.
eBook643 Seiten5 Stunden

Gerhard Gundermann über Arbeit: Eine qualitative Studie zur Bindungstheorie und den psychosozialen Funktionen der Erwerbsarbeit.

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Weshalb gehen Menschen einer Erwerbstätigkeit nach? Was verändert sich bei Ihnen, wenn sich die Arbeitsplatzsituation ändert? Wie beschreiben Menschen ihre Bindung an Organisationen? Sind die prognostizierten Änderungen der Arbeitswelt durch Industrie 4.0/5.0 wirklich neuartig?

Diese Fragen werden anhand einer Einzelfallstudie zu Gerhard Gundermann untersucht. Grundlage bilden die Liedtexte der fünf Studioalben und seines letzten Live-Auftrittes, die eine Zeitspanne von 1988 bis 1998 abbilden. Gundermann war in diesen zehn Jahren seit langem erwerbstätig im Tagebau Spreetal-Nordost, wurde versetzt in den Tagebau Scheibe und begann nach der Entlassung eine Umschulung zum Tischler. Er hat in seinen Texten die eigene Erwerbsarbeit intensiv reflektiert.

In dieser Untersuchung wird als theoretische Grundlage ein Bindungskonzept aus Sicht des Erwerbstätigen entwickelt. Die klassische Fragestellung wird dabei umgekehrt. Aus: Wie passt der Mensch am besten in die Organisation? wird: Wie passt die Organisation zum Menschen? Wie betrachtet und verändert der Mensch seine Arbeits- und Lebensumwelt?

Welche Wirkungen generiert der Binnenkosmos Organisation-Mensch hin zum Individuum? Wie verändern sich Bedürfnisabbildungen und Verhalten, wenn sich die Arbeit ändert? Wofür entscheidet sich der Einzelne? Gerhard Gundermann hat sich in dieser Frage eindeutig positioniert. Sein reflexiver Entwicklungsprozess ist beispielhaft und nachvollziehbar.

Damit zeigt sich der direkte Bezug zur Diskussion über die Zukunft der Arbeit. Erwerbsarbeit wird zu Arbeit und der Arbeitnehmer zur Ein-Personen-Organisation, auch im Angestelltenverhältnis. Das bedeutet tiefgreifende Veränderungen für alle Beteiligten im Wertschöpfungsprozess.

Agile Unternehmen und Organisationen entwickeln künftig aus dem bisherigen Employer Branding ein neues Partnership Branding. Das wird eine Grundlage für ihren nachhaltigen Erfolg sein.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum26. Okt. 2018
ISBN9783746957630
Gerhard Gundermann über Arbeit: Eine qualitative Studie zur Bindungstheorie und den  psychosozialen Funktionen der Erwerbsarbeit.

Ähnlich wie Gerhard Gundermann über Arbeit

Ähnliche E-Books

Technik & Ingenieurwesen für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Gerhard Gundermann über Arbeit

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Gerhard Gundermann über Arbeit - Falk Rodigast

    1 Einleitung

    1.1 Die Theorie der wirtschaftlichen Wellen und Industrie 4.0

    Kontinuierlicher Wandel ist eine der wesentlichen Konstanten in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Dieser Wandel betrifft auch die Wirtschafts- und Arbeitswelt und direkt jeden Einzelnen.¹

    Die Beschreibung der wirtschaftlichen Entwicklung wird vielfach eingebettet in eine staatengebundene gesamtgesellschaftliche Betrachtung. Hier werden dann die Wechselwirkungen zu territorial determinierten politischen, militärischen, sozialen, ökologischen, religiösen oder ordnungsorientierten Ereignissen dargestellt.² Seit den 1970er Jahren verstärkt sich eine Änderung in dieser Betrachtungsweise. Es erfolgt ein Paradigmenwechsel weg von der Länderkunde und hin zu einer ökonomischen Raumbetrachtung von Regionen, Standorten und Austauschbeziehungen. Die aktuelle Diskussion geht hier weiter und führt unter dem Aspekt der Globalisierung verschiedene Themen als Handlungen von Akteuren in ihren relationalen Abhängigkeiten zusammen: situatives Agieren in Netzwerken, Innovationskraft, Unternehmen als ökologische und soziale Konstrukte, technologischer und gesellschaftlicher Wandel. Beide unterschiedliche Sichtweisen existieren heute parallel.³ Zusätzlich wird seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wirtschaftlicher Fortschritt auch aus betriebswirtschaftlichen und technologischen Zusammenhängen heraus beschrieben und in seiner Wirkung auf andere gesellschaftliche Bereiche. Die ökonomische Entwicklung folgt nicht mehr nur, sondern wirkt selbst als Initial für Entscheidungen in gesellschaftlichen Prozessen.⁴ Aus dieser wirtschaftlich-technologischen Sicht hat Kondratieff seine Theorie der langen Wellen⁵ für Zyklen von 40 bis 60 Jahren entwickelt, wobeiin Abschwungphasen wesentliche neue Technologien entwickelt werden, die für Aufschwung zu Beginn einer neuen Welle führen.

    Abbildung 1: Die vier industriellen Revolutionen und die Zyklen nach Kondratieff

    Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Kondratieff, N. D. (1926), S. 590; Pierenkemper, T. (2015), S. 90-97; Wahlster, W. (2015), S. 8 und Wöhe, G., Döring, U., Brösel, G. (2016), S. 237.

    Schumpeter stellte heraus, dass diese grundlegenden technischen Neuerungen als Basisinnovationen (BI) die Voraussetzung für das Entstehen neuer Wellen sind. Der Aufschwung erstarkt, sobald die neuen Technologien zum umfassenden Einsatz gelangen.⁶ Dafür sind Unternehmer als innovative Akteure erforderlich, deren Erfolg sich einstellt, wenn sie dynamisch neue Produkte und Strukturen am Markt durchsetzen und nicht Besitzstände statisch wahren.⁷

    Die Theorie der wirtschaftlichen Wellen (mit den sie determinierenden technischen Innovationen) mit der Annahme zukünftig digital global vernetzter Akteure in der kommenden Welle bildet die Grundlage für die aktuelle Diskussion⁸ unter dem Schlagwort „Industrie 4.0 in Deutschland oder „Internet der Dinge in englischsprachigen Ländern.⁹ Damit „werden unterneh-mensübergreifende Wertschöpfungsketten bezeichnet, in denen moderne elektronische Kommunikationsmedien eine Vernetzung – also eine „drahtlose Kommunikation – von Betriebsmitteln, Werkstoffen (z.B. Bauteilen) und Produkten ermöglichen.¹⁰ Das Konzept der Zukunft sieht vollständig digitalisierte und in Echtzeit kommunikativ vernetzte Wertschöpfungsnetze vor, bei denen individualisierte Produkte mit minimal möglichen Kosten und maximal möglichem Erlös zur Verfügung gestellt werden. In diese Wertschöpfung werden Personen als Auftraggeber, Mitarbeiter und Kunden einbezogen. Industrie 4.0 steht dabei für die vierte industrielle Revolution (Abbildung 1).11

    Die Umsetzung von Industrie 4.0 wird tiefgreifende Veränderungen in der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft bewirken, so wie sie auch bei den bisherigen industriellen Revolutionen eingetreten sind.¹² Die aus den Basisinno-vationen resultierenden Prozessveränderungen in den Wertschöpfungsketten und die neuen Produkte werden zu einer umfassenden Erneuerung der begleitenden Dienstleistungen führen. Neue Wirtschaftszweige entstehen, bisherige werden in ihrer Bedeutung eingeschränkt. Daraus folgen erhebliche Auswirkungen auf das soziale System, da bisherige Berufsbilder und Arbeitsplätze entfallen und neue geschaffen werden.¹³ Diese Vorgänge des Wandels lassen sich typischerweise am Beispiel der Kohle-, Werft-, und Stahlindustrie der alten Bundesrepublik seit den 1970er Jahren nachvollziehen und am Umbau der gesamten Industrie- und Betriebslandschaft der neuen Bundesländer nach 1990.¹⁴ Darauf wird in diesem Kapitel nachfolgend noch eingegangen.

    Welche Auswirkungen durch Industrie 4.0 werden für Deutschland und hier konkret für Arbeitsinhalte, Arbeitsplätze und Arbeitsgestaltung erwartet?¹⁵ Wissen wird zu einem eigenständigen Produktionsfaktor.¹⁶ Die Aktualität des individuellen Wissens und der Qualifikationen nimmt wegen der Geschwindigkeit des Wandels dauerhaft deutlich ab. Räumliche und zeitliche Strukturen der Erwerbsarbeit lösen sich durch digitale Vernetzung tendenziell auf. Die Anzahl und die leichte Verfügbarkeit von Informationen nehmen zu. Ständige Erreichbarkeit und Aussage-/Entscheidungsfähigkeit wird ein Erfolgskriterium (Klärungen in Echtzeit). Durch die neuen Technologien und Dienstleistungen entstehen vor allem im tertiären Sektor neue Tätigkeitsfelder und Berufe (z. B. Onlineredakteur und Kaufmann im E-Commerce¹⁷). Bisherige Berufe werden nicht fortgeführt (z. B. Film- und Videolaborant¹⁸).¹⁹ Der Anteil an Arbeitsplätzen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Automatisierung liegt bei 12%, wobei der Anteil der Beschäftigten mit geringem Bildungsniveau und Einkommen überproportional hoch ist.²⁰ Andere Hochrechnungen gehen von 59% gefährdeten Arbeitsplätzen aus.²¹ Zwischen 2020 und 2030 wird das Erwerbspersonenpotential um 5 Mio. Menschen schrumpfen, da die geburtenstarken Jahrgänge den Renteneintritt erreichen.²² Das klassische Angestelltenverhältnis in Vollzeit wird reduziert und durch atypische Arbeitsverhältnisse ersetzt werden. Hierzu zählen zeitliche Befristungen, Teilzeit, Zeitarbeit, Minijobs und gering entlohnte Tätigkeiten. Selbständige Arbeit, auch nebenberuflich, wird zunehmen. Dadurch ändern sich die Bindungen an Personen und Unternehmen im Arbeitsprozess. Einkommensstrukturen verändern sich mit direkter Wirkung auf das Ausgabenverhalten. Die Anzahl der von einer Erwerbsperson ausgeübten Berufe und Arbeitsverhältnisse wird steigen, ebenso die Erwerbstätigkeit von Frauen und älteren Arbeitnehmern. Die Absicherung durch staatlich organisierte Sozialsysteme (z. B. Rentenversicherung) wird sich verringern. Die Individualisierung der Arbeitsinhalte und -organisation nimmt deutlich zu.

    Welche möglichen Folgen kann diese Veränderung für den einzelnen Menschen haben? Wie werden sich diese Veränderungsprozesse konkret auf das individuelle psychosoziale Erleben von Erwerbsarbeit auswirken? In welcher Weise ändert sich künftig das Bindungsgeflecht des Erwerbstätigen im Prozess der Tätigkeit? Die Verantwortung des Einzelnen für sich selbst wird vermutlich weiter zunehmen. Die Menschen stehen dann vor der Herausforderung, ihre Fähigkeit zur Beschäftigung (employability) dauerhaft und aktiv selbst abzusichern. Das geschieht auch über kontinuierliche Weiterbildung–lebenslanges Lernen. Das Gefühl, mit der Schule fertig zu sein, wird sich nicht mehr einstellen. Wird der klassische Arbeitnehmer ersetzt durch den flexiblen und mobilen Arbeitskraftunternehmer in Analogie zu einem freiberuflich Erwerbstätigen oder selbständigen Einzelunternehmer?²³ Damit würde die Bindung an die eigene Person und die eigenen Fähigkeiten stärker. Konkurrenzdenken (Einzelkämpfer mit eigenen Fähigkeiten) nimmt einerseits zu, während sich andererseits gleichzeitig die Notwendigkeit von Abstimmung und Zusammenarbeit in Netzwerken (Teamplayer für nicht selbst abgebildete Fähigkeiten) verstärkt. Die Vernetzung schafft dann Transparenz für Fähigkeiten und Unfähigkeiten. Untermaß und Mittelmaß werden ebenso sichtbar, wie herausragende Talente.²⁴ Die eigenen Leistungen können zu positiven oder negativen (anonymen) Bewertungen auf relevanten beruflichen und sozialen Internetportalen führen. Das Gefühl mittel- und langfristiger Absicherung durch feste Arbeit wird zurückgehen. Davon ist auch der kollektive Zusammenhalt betroffen, der sich in Jahren gemeinsamer Arbeit ergibt. Diese Form von Gemeinsamkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit wird es in eher kurzlebigen Arbeitsteams und Projektgruppen wohl nicht geben. Formelle Hierarchien und Abläufe werden ersetzt durch unkonventionelle und informelle Lösungen von Sachthemen in Netzwerken. Geteiltes Wissen dominiert über Einzelwissen–IQ unterliegt WeQ.²⁵ Fachkompetenz wird weniger entscheidend sein als Vernetzungskompetenz. Dabei werden komplexe Sachthemen (global) zielorientiert in entpersonalisierter Zusammenarbeit schnell und flexibel bearbeitet. Die Teammitglieder müssen sich nicht mehr persönlich kennenlernen. Damit erfolgt ein Bruch mit den tradierten Sozialisationsmustern nach dem Angesicht-zu-Angesicht-Prinzip. Die außerhalb der Arbeit verbrachte rein private Zeit wird einen höheren Stellenwert erhalten, da ihr Umfang sich in dem Maße verringern wird, wie der Zeitumfang der Erwerbstätigkeit steigt (atypische Beschäftigung). Die Wertbeimessung der „kleinen Dinge wird sich vermutlich erhöhen, da sich ihre Wahrnehmung im täglichen Erwerbsleben ändert. Die Beziehungen zu Familie und emotional engen Kontakten können sich durch zeitliche Flexibilisierung verbessern, während gleichzeitig die Arbeitskontakte zu Kollegen zurückgehen. Die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und dabei die richtigen Entscheidungen zu treffen, wird zunehmend gefordert werden. Ebenso die Fähigkeit, mit falschen Entscheidungen und sich daraus ergebenden Konsequenzen und Konflikten umzugehen. Die T atsache der Ausübung mehrerer Berufe und Tätigkeiten wird wahrscheinlich dazu führen, dass sich Menschen auf Dinge konzentrieren, die sie gut können und bei denen sie mit Erfolgserlebnissen rechnen. Die Zufriedenheit „im Kleinen, in der einzelnen T ätigkeit, kann sich also erhöhen, während gleichzeitig gerechnet wird, ob es denn „im Großen insgesamt reicht. Die Trennlinie zwischen Arbeit, die zur Sicherung der Existenz nötig ist, und Arbeit, die aus eigenem Antrieb gern getan wird, wird verwischen, sofern es hier individuell überhaupt noch Unterscheidungen geben wird. Die Entscheidungen für langfristige Bindungen jeder Art (persönliche Bindungen, Familie, Kinder, Erwerb von selbstgenutztem Eigentum, Arbeitsverhältnisse) werden gründlicher durchdacht und erfordern je nach individueller Konstitution mehr Mut.

    Wie lassen sich die psychosozialen Wirkungen dieser möglichen Veränderungen der Erwerbsarbeit nun für das einzelne Individuum nachvollziehen? Da die oben beschriebenen Veränderungsprozesse von Industrie 4.0 gerade beginnen und zumeist in Zukunft eintreten werden, können die Auswirkungen auf Einzelpersonen auch erst künftig begleitend und rückwirkend erforscht werden. Alternativ kann ein vergleichbarer Prozess in der Vergangenheit untersucht werden.

    Es wurde festgestellt, dass die industriellen Revolutionen nach gleichartigen Zyklenmustern ablaufen. Sofern also von Industrie 3.0 oder einem zeitlich ähnlich nah an der Gegenwart liegenden und vergleichbaren Umbruchprozess qualitativ und quantitativ auswertbare Daten zur Verfügung stehen, können diese Verwendung finden.

    Die Veränderung der Wirtschaftsstrukturen in den neuen Bundesländern ab 1990 erfüllt diese Bedingung in besonderem Maß. Einerseits wurde hier die dritte industrielle Revolution zeitversetzt zu den alten Bundesländern umgesetzt. Ergänzend wurde die gesamte Struktur der Produktion, Distribution und Konsumtion von Gütern und Dienstleistungen grundlegend durch den Übergang von planwirtschaftlichen Grundlagen zu marktwirtschaftlichen Prozessen transformiert.²⁶

    Dieser Strukturwandel lässt sich am Beispiel des Energiesektors der ehemaligen DDR und hier speziell der Braunkohlenförderung²⁷ im Lausitzer Revier exemplarisch darstellen (Tabelle 1).

    Tabelle 1: Strukturwandel im Lausitzer Braunkohlenrevier 1988 bis 2008

    Quelle: Eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt (1990), S. 45-46; Statistik der Kohlenwirtschaft e. V. (o. J. a-d).

    Der Schwerpunkt des Lausitzer Braunkohlenreviers lag geografisch auf dem Gebiet des ehemaligen Bezirkes Cottbus in den damaligen Landkreisen Senftenberg, Hoyerswerda, Spremberg, Calau und Cottbus. Hier herrschte wirtschaftliche Monostruktur vor. 70% aller Beschäftigten in der Industrie waren in nur einem Industriebereich tätig. Der Anteil der Beschäftigten im Bereich Kohle und Energie im Bezirk Cottbus an allen Beschäftigten des Bezirkes lag 1987 bei 54,3%.²⁸ Die Bevölkerung der Stadt Hoyerswerda stieg mit der Erweiterung des Kohlebergbaus von 1953: 7.351 Personen (Fläche der Stadt: 16,93 km²) auf 1988: 69.361 Personen (Fläche: 20,11 km²) und sank dann bis 1998 auf 54.157 Personen (Fläche durch Eingemeindungen vergrößert auf 87,82 km²).²⁹ Die Vorausberechnung für die Stadt prognostiziert für 2030 eine Bevölkerung zwischen 25.600 und 27.100 Personen.³⁰ Der Anteil der Braunkohle an der Bruttostromerzeugung lag 1988 in der DDR bei 85% der Elektrizitätserzeugung des ganzen Landes³¹ und 2016 in Deutschland noch bei 23,1%.³²

    In dieser Arbeit sollen die vorab beschriebenen Vorannahmen zu psychosozialen Funktionen von Erwerbsarbeit und Bindungsstrukturen in Veränderungssituationen für den einzelnen Erwerbstätigen untersucht werden. Hier muss auf Grund der Komplexität des Themas eingegrenzt werden, dass keine Auswirkungen untersucht werden, welche einem Krankheitsbild nahe kommen oder entsprechen.³³ Da die Wirkung auf eine Einzelperson im Prozess der Veränderung erforscht werden soll, wird eine Einzelfallstudie am Beispiel von Gerhard Gundermann (21.02.1955-21.06.1998) durchgeführt.³⁴ Dafür wird dieser Fall über den Zeitraum von 1988 bis 1998 analysiert. Die Eignung von Gerhard Gundermann ergibt sich grundsätzlich aus der Tatsache, dass er von 1975 bis 1996 erwerbstätig im Braunkohlentagebau war und hier verschiedenen Veränderungen in seiner Erwerbsarbeit ausgesetzt war. Er hatte ein sicheres und dauerhaftes Arbeitsverhältnis, wurde dann in einen anderen Tagebau versetzt und verlor schlussendlich seinen Arbeitsplatz. Seinen in der DDR erlernten Beruf „Maschinist für Tagebaugroßgeräte" gab es im vereinten Deutschland nicht mehr. Nach seiner Entlassung aus dem Tagebau wurde er als Hilfsarbeiter bei der Agentur für Arbeit geführt.³⁵ Hier begann er eine Umschulung zum Tischler.³⁶ Gundermann wohnte in Hoyerswerda und war anerkannter Liedermacher, der die eigene Erwerbsarbeit in seinen Texten reflektierte und dadurch Fragen zur Gegenwart und Zukunft von Arbeit aufwarf. Wie gestaltet sich heute und in nahender Zukunft die systemische Interaktion Mensch-Arbeit? Wie wirkt die Veränderung der Arbeit zurück auf den arbeitenden Menschen? Welche Auswirkungen hat das auf die Bindung des Erwerbstätigen an das Unternehmen und die Arbeit selbst? Wie werden Mensch und Natur künftig in den Arbeitsprozess integriert?³⁷

    In dieser Untersuchung soll an einem Einzelfall analysiert werden, welchen Veränderungen die Wirkung der psychosozialen Funktionen der Erwerbsarbeit über einen langfristigen Zeithorizont auf Grund von Veränderungen der erwerblichen Arbeitsplatzsituation unterliegt. Welche Bedeutung haben in diesem Prozess Änderungen der Bindungsstrukturen?

    1.2 Auswirkungen auf den einzelnen Erwerbstätigen–Forschungsstand und Quellenlage

    Die Auseinandersetzung mit der Zukunft von Arbeit in Deutschland folgt der Debatte um Megatrends und Globalisierung, welche durch den Zerfall der Sowjetunion und ihrer Bündnissysteme Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre einen starken politischen und wirtschaftlichen Schub erhielt. Globale Bipolarität in politisch-militärischer Betrachtung (USA vs. UdSSR) wandelte sich zu globaler Multipolarität, welche seither alle Bereiche der Gesellschaft einbezieht. Damit wurde eine wesentliche Voraussetzung für die Globalisierung der Wirtschaft,³⁸ insbesondere der Produktions- und Distributionsbeziehungen, geschaffen.³⁹

    Die künftige Entwicklung durch Industrie 4.0 mit ihren verschiedenen Auswirkungen auf den Menschen ist Gegenstand einer Diskussion, welche inzwischen die gesamte Breite der Gesellschaft in Deutschland erreicht hat. Es gibt sehr viele mehr oder weniger umfangreiche Veröffentlichungen mit differierendem wissenschaftlichem Anspruch. Die Eingabe des Stichwortes „industrie 4.0 im Oktober 2017 in der Google-Suchmaske zeigt 41 Mio. Ergebnisse an.⁴⁰ Den Umfang der Diskussion verdeutlichen neben verschiedenen wissenschaftlichen Forschungen und Publikationen auch die ARD-Themenwoche „Zukunft der Arbeit,⁴¹ das Filmfestival „Futurale. Arbeiten 4.0"⁴² sowie verschiedene Beiträge in Tages-⁴³ und Wochenzeitungen⁴⁴ und in Verbandszeitschriften.⁴⁵

    Die Diskussion zu künftigen gesellschaftlichen und besonders wirtschaftlichen Veränderungen erhielt in Deutschland Ende der 1980er Jahre einen bedeutenden theoretischen Impuls durch die von Ulrich Beck formulierte These der Risikogesellschaft.⁴⁶ In Folge der Verringerung materieller Not und der Modernisierung (verstanden als technologische Rationalisierung und Wandel von Arbeit und Organisationsformen) führt zunehmendes Wachstum der Wirtschaft zu zunehmendem Reichtum und „systematisch mitproduzierten Risiken und Gefährdungen.⁴⁷ Beispiele sind: Zerstörung der Natur, Fehlund Mangelernährung, Nutzung der Kernenergie, Zunahme von Schad- und Giftstoffen in Umwelt und Nahrung, soziale Gefährdungen durch Verteilungsungleichgewichte und Arbeitslosigkeit, Verfügbarkeit von Wissen, Beseitigung von Fehlentwicklungen durch politische Maßnahmen. Durch die Modernisierung werden globale (neue) Probleme und Selbstgefährdungen erst geschaffen. Damit entstehen Probleme aus der Tatsache des Wandels in Reflexion zu diesem selbst. Beck sieht die Veränderung der Arbeit als eine Voraussetzung für diese Entwicklung der Risiken. Nach seiner Prognose wird die Erwerbsarbeit entstandardisiert werden, d. h. der klassische (lebenslange) Vollzeitarbeitsplatz wird umgewandelt in flexible Arbeitsformen (inhaltlich, örtlich, zeitlich und vertraglich).⁴⁸ Die gemeinsame persönliche Zusammenarbeit wird ersetzt durch digitale Dezentralisierung und Auslagerung. Inhaltliche Arbeitsabläufe in Organisationen werden anonymisiert. Die generelle Flexibilisierung schafft generelle risikobehaftete Unterbeschäftigung und ändert damit die Einkommenssituation und die persönliche Absicherung der Erwerbstätigen in jeder Weise grundlegend. Durch Verringerung der individuellen Arbeitszeit steigt der Anteil der „freien Zeit. Die verbleibenden Vollzeitarbeitsplätze zeichnen sich durch ein sehr hohes Qualifikationsniveau aus. Die Notwendigkeit kontinuierlicher Weiterbildung steigt.

    In der aktuellen Forschung und wissenschaftlichen Diskussion zu Industrie 4.0 und den Veränderungen der Arbeitswelt in Deutschland finden sich diese Thesen und Entwürfe von Beck wieder. Seit Beginn der 2010er Jahre wird das Thema von der Bundesregierung vorangetrieben und über die „Plattform Industrie 4.0"⁴⁹ gesteuert und gebündelt. Das betrifft auch die Koordination und Begutachtung relevanter Forschungsaktivitäten.

    In den Umsetzungsempfehlungen der Forschungsgruppe des Arbeitskreises Industrie 4.0 für die Bundesregierung werden 2013 die neuen sozialen Infrastrukturen der Arbeit als einer von fünf zentralen Forschungsbereichen definiert.⁵⁰ Als konkrete Handlungsfelder werden für diesen Bereich Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung sowie Aus- und Weiterbildung abgeleitet⁵¹ und seitdem in Studien und Berichten berücksichtigt. Auf die Würdigung einzelner Studien und Forschungsberichte soll hier verzichtet werden, um in einer kritischen Zusammenfassung zur künftig erwarteten Wirkung von Arbeit den einzelnen Erwerbstätigen einen summarischen Überblick zu geben. Eine Übersicht der für die folgende Zusammenfassung verwendeten Forschungen findet sich im Anhang.⁵²

    Prinzipiell muss festgestellt werden, dass die Untersuchungen zu Arbeit im Kontext von Industrie 4.0 in Deutschland bislang eher gesamtwirtschaftlich und wenig konkret ausgerichtet sind. Ein gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene wird kaum abgestimmt. Im Fokus steht–dem Begriff folgend–der Industriesektor („smart factory) mit besonderer Beachtung der technologischen Entwicklung.⁵³ Die Zukunft der Arbeit ist nur ein Handlungsfeld, das in der Gesamtbetrachtung nachrangig und nicht tiefgründig bearbeitet wird. Dabei steht die allgemeine organisational Sicht im Zentrum. Wie müssen Arbeitsabläufe und Arbeitsorganisation künftig in die Gesamtstruktur eingebunden werden? Welche Bildungshorizonte der verbleibenden Arbeitnehmer (angestellt oder frei) und welche Art von Weiterbildung sind nötig? Der Mensch wird weiter als fester Bestandteil eines Systems betrachtet, welches über Entwicklung und Nutzung der besten Hardware (Technologien, Verfahren, Maschinen) die besten Produkte bereitstellt. Die Frage, wie mit dem erwarteten Überschuss des Produktionsfaktors (gering qualifizierte) Arbeit umgegangen werden soll, wird nicht thematisiert. Der neue Produktionsfaktor Wissen–die neue Software–wird nur schemenhaft in die Diskussion eingebettet. Auch hier dominiert in Deutschland die Hardware-Sicht (Speichermedien, Netzarchitekturmodelle, Breitbandausbau). Es wird in klassischen Normierungsmustern operiert. Eine Ausnahme bildet die Studie von BMAS/Nextpractice „Wertewelten Arbeiten 4.0,⁵⁴ welche die Vielfalt der derzeitigen Wahrnehmungsrealität von Arbeit bei Erwerbstätigen und ihre Ansprüche (Idealvorstellungen) an die Zukunft dokumentiert. Hier werden sieben Wertecluster definiert, die sich an der klassischen Interaktionsbeziehung Erwerbstätiger-Unternehmen ausrichten. Eine regelmäßige Wiederholung dieser Studie könnte einen Entwicklungsprozess in der Wahrnehmung von Arbeit konkret dokumentieren. Der derzeitige Forschungsstand zum Wandel der Arbeit trägt ergebnisseitig eher weiträumigen Empfehlungs und beruht insgesamt auf Hochrechnungen, Prognosen und Szenarien zur Vorhersage künftiger Entwicklungen, vielfach in Thesenform.⁵⁵ Konkrete differenzierte Auswirkungen auf den einzelnen Erwerbstätigen in seiner Entwicklung und vergleichende Schlüsse zu vergangenen Veränderungsprozessen in Verbindung mit Handlungsempfehlungen zur individuellen Absicherung der künftigen Arbeitsfähigkeit werden nicht wirksam abgeleitet. Das vorherrschende begriffliche Verständnis von Arbeit und Erwerbsarbeit wird wenig hinterfragt oder weiterentwickelt.

    Bei den Forschungen zu psychosozialen Funktionen der Erwerbsarbeit sind die Beiträge von Marie Jahoda sowie Semmer und Udris hervorzuheben. Darauf wird detailliert im Theorieteil Kapitel 2.2 eingegangen. Die Studie von Jahoda, Lazarsfeld und Zeisig Anfang der 1930er Jahre prägt bis heute das Verständnis der Wirkung von Langzeitarbeitslosigkeit.⁵⁶ Paul und Batinic bestätigen mit einer repräsentativen quantitativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung Jahodas Ansatz der negativen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf Zeitstruktur, Sozialkontakt, kollektive Ziele und Aktivität und auch dessen Erweiterung auf Nichterwerbstätigkeit (Rentner, Hausarbeit, Schüler und Studenten).⁵⁷

    Die zentrale Bedeutung der Arbeitszeit als struktureller Fixpunkt der Lebenszeit verdeutlicht der Arbeitszeitreport Deutschland 2016. An den zeitlichen Anforderungen der Erwerbstätigkeit (Lage, Dauer, Flexibilität) richten die Menschen ihre außererwerblichen Lebenshorizonte aus. Hier wird um die Ressource Zeit konkurriert. Die Gestaltung dieser Horizonte wird erschwert durch negative gesundheitliche Auswirkungen, die sich aus Extendierungen der vertraglich vereinbarten/erwarteten Parameter des erwerbsorientierten Bindungsverhältnisses (Überstunden, Arbeitsmenge, Drucksituationen) ergeben.⁵⁸

    Die Rolle der individuellen Arbeitssituation für das Empfinden und Ausleben persönlicher Freiheit unterstreicht die seit 1987 laufende Sächsische Längsschnittstudie. 2009 gaben insgesamt 53% der Teilnehmer (n=315) an, „dass ihnen Freiheit ohne Arbeit nichts nützt,⁵⁹ wobei es große Unterschiede gibt zwischen Teilnehmern, die sich selbst als „Gewinner (111 als „Gewinner antwortende Teilnehmer der Stichprobe, von denen 30% so denken) und anderen, die sich als „Verlierer (100 antwortende Teilnehmer in der Stichprobe, von denen 77% so denken) bezeichnen.⁶⁰ Mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit sinken Zukunftszuversicht sowie Bindungsqualität und–dauer. Familiengründungen verzögern sich und die Dauer der Partnerschaft verkürzt sich. Die negative Zuversicht überträgt sich als erwartetes Lebensszenario auf die (noch nicht) geborenen Kinder.⁶¹

    Grundlagen zu Bindungskonzepten werden in Kapitel 2.3.1 erörtert. In Deutschland wird die emotionale Bindung der Mitarbeiter an ihr Unternehmen jährlich über den repräsentativen Gallup Engagement Index erhoben. Er gibt Auskunft über Engagement und Motivation der Mitarbeiter und untersucht Aspekte zu Arbeitsplatz und Arbeitsumfeld. Im Ergebnis 2016 ist dabei festzustellen, dass 85% der Befragten nur eine geringe bis überhaupt keine emotionale Bindung an ihr Unternehmen angeben.⁶²

    Das Bindungsverhalten von Mitarbeitern ist insbesondere im Einarbeitungsprozess (Onboarding⁶³) Gegenstand verschiedener Untersuchungen. Ergebnisorientiertes Ziel der Unternehmen ist dabei, die Fluktuation während der ersten 12 Monate zu verringern. Unternehmen mit sehr strukturiert aufgestelltem Onboarding konnten, einer amerikanischen Studie folgend, 91% der neu eingestellten Mitarbeiter länger als ein Jahr im Unternehmen halten, Unternehmen mit gering ausgeprägtem Onboarding nur 30% der Mitarbeiter.⁶⁴ Laut einer Studie der Universität Bamberg geben jedoch nur 37,9% der Mitarbeiter an, dass ihr Arbeitgeber ausreichend Unterstützung zur Integration neuer Mitarbeiter bietet.⁶⁵ Ein stärker mitarbeiterorientierter Ansatz des Einarbeitungsprozesses kann dabei besser die individuellen Spezifika neuer Mitarbeiter (Persönlichkeitsmerkmale) berücksichtigen als ein organisationsorientierter Ansatz.⁶⁶ Die richtigen Mitarbeiter sollen gefunden und gehalten werden.

    Es gilt insgesamt, die Differenz zwischen gewünschter und erlebter Qualität der Arbeit bei vielen Beschäftigten, gerade in Bezug auf Lohn/Gehalt, Qualität der Führung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie, deutlich zu verringern.⁶⁷ Die Notwendigkeit langfristiger Bindung von Mitarbeitern für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen ist inzwischen allgemein erkannt worden. Viele Unternehmen erwarten Schwierigkeiten, vakante Stellen künftig passgenau besetzen zu können.⁶⁸

    Bislang beruht die Forschung zur Zukunft der Arbeit, zu psychosozialen Funktionen der Erwerbsarbeit und Bindungskonzepten zumeist auf quantitativen Erhebungen in repräsentativen Studien. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Seite der Unternehmen und der Einbindung von Mitarbeitern in die organisationalen Prozesse. Wie passt der erwerbstätige Mensch zum Wohl der Organisation in diese hinein? Mit dieser Untersuchung soll ein anderer Weg beschritten werden – weg von der Frage, wie jemand in die Organisation und die dortigen Prozesse hineinwirkt und hin zu der Frage, wie das, was im systemisch-reflexiven Verbund der Erwerbsarbeit zwischen Mensch und Organisation geschieht, aus diesem heraus auf den einzelnen Erwerbstätigen in Veränderungsprozessen der Erwerbstätigkeit wirkt. Dafür wird nachfolgend eine qualitative Untersuchung an einem Einzelfall vorgenommen.

    Die Quellen für die Einzelfalluntersuchung zu Gerhard Gundermann in dieser Arbeit sind weitestgehend verfügbar. Die Liedtexte sind über CD-Booklets, zwei Textbücher und einen Interviewband zugänglich. Eine Ausnahme stellt „Männer, Frauen und Maschinen (CD1) dar. Hier wurden mehrere Texte transkribiert (siehe Anhang⁶⁹), da sie nicht in gedruckter Form zur Verfügung standen. Eine Aufgabe bestand darin, die verschiedenen Quellen zusammenzutragen, diese dann zu sichten, zu vergleichen und nach primären und sekundären Bezugspunkten zu klassifizieren.⁷⁰ Schwierigkeiten entstanden hier nicht bei den fünf Studio-LP-/CD-Veröffentlichungen und den Liedtextbüchern. Sie ergaben sich bei der Sichtung des Film- und Buchmaterials und der posthum veröffentlichten CD’s. Gundermann war Protagonist in zwei, auf VHS editierten, Dokumentarfilmen (1982 und 1999⁷¹). Nach Beendigung eines langjährigen rechtlichen Verfahrens zum zweiten Film wurden beide Dokumentarfilme im Dezember 2016 auf einer DVD neu herausgegeben. Daneben hat Gundermann in weiteren Dokumentationen mitgewirkt, die bereits lange vergriffen waren und nach intensivem Suchprozess über verschiedene Anbieter erworben werden konnten. Der Interviewband „Rockpoet und Baggerfahrer erschien in Erstauflage 1996 (weißes Cover) und in zweiter Auflage mit Zusatzmaterialien 1999 (rotes Cover). Seitdem wurde er nicht mehr verlegt und ist ebenfalls seit langem vergriffen. Hier war es möglich, über einen Internetanbieter ein Exemplar der Zweitauflage zu erwerben. Die posthum 2000 erschienene CD „Live-Stücke 1" ist ebenfalls seit langem nicht mehr verfügbar. Hier konnte über einen weiteren Anbieter im digitalen Netz ein Originalexemplar erworben werden.

    Für die nachfolgende Untersuchung fanden ausschließlich originale Veröffentlichungen der Buch- und Musikverlage Verwendung.

    1.3 Vorgehen in der Untersuchung

    Nachfolgend werden in Kapitel 2 theoretische Hintergründe zu den Forschungsaspekten dieser Untersuchung erörtert. Verschiedene Sichtweisen auf Arbeit werden dargestellt und die Termini Arbeit und Erwerbsarbeit in eigener Definition voneinander abgegrenzt. Die psychosozialen Funktionen der Erwerbsarbeit werden nach Jahoda und nach Semmer und Udris beschrieben und für diese Arbeit konkretisiert. Da die Bedeutung der Bindungskonzeption für die Änderungen der Wirkung von Erwerbsarbeit untersucht werden soll, werden verschiedene Bindungsmodelle vorgestellt und abschließend die Sichtweise für diese Untersuchung in einem eigenen Bindungskonzept dargelegt. Schwerpunkt ist hier die Erarbeitung des Zusammenhangs zwischen Erwerbsarbeit, ihren psychosozialen Funktionen und den Bindungen des individuellen Bindungskonzeptes.

    Kapitel 3 entwirft das Design der Untersuchung und beschreibt ihre Durchführung. Der Klärung der Forschungsfrage folgt die Vorstellung des Forschungsansatzes der Einzelfallstudie. Hier greift der Grundansatz der qualitativen Forschung, die bestrebt ist, „komplexe Erlebnisweisen empirisch zu erfassen"⁷² und damit den Untersuchungsgegenstand inhaltlich zu verstehen, seine individuelle Lebenswelt und wahrnehmbare Wirklichkeit zu beschreiben–aus Sicht der untersuchten Personen selbst.⁷³ Die Liedtexte von Gerhard Gundermann werden mit der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Dabei werden verschiedene, auch quantitative, Techniken kombiniert.

    In Kapitel 4 werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und in Kapitel 5 mit den theoretischen Vorannahmen aus den Kapiteln 1 bis 3 abgeglichen. In Kapitel 6 wird geprüft, wie die Gütekriterien qualitativer Forschung eingehalten worden sind. Die Grenzen der Untersuchung und der Prozess der Evaluation werden dargelegt. Kapitel 7 fasst die Untersuchung abschließend. Die Veränderungen im Binnenverhältnis Organisation – Arbeitnehmer und die Zukunft von Erwerbsarbeit und Arbeit werden fokussiert betrachtet.

    ¹ Auf Grund der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf die explizite Schreibweise männlicher, weiblicher und weiterer Genderformen verzichtet. Es werden immer alle Geschlechtsidentitäten einbezogen.

    ² Vgl. Cameron, R., Neal, L. (2003), S. 20-402; Abelshauser, W. (2004), S. 22-453.

    ³ Vgl. Glückler, J. (1999), S. 40-43; Bathelt, H., Glückler, J. (2012), S. 29-44.

    ⁴ Ein Beispiel aus Deutschland ist das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen, welches Bestechlichkeit und Bestechung unter Strafe stellt. Vgl. Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen vom 30.05.2016; BVD (2016), S. 2-4 und S. 24-30.

    ⁵ Vgl. Kondratieff, N. D. (1926), S. 577-595. Die Transkription des Namens Kondratieff hat sich im Lauf der Zeit gewandelt – in anderen Quellen Kondrat’ev, Kondratiev, Kondratjeff, Kondratjew. Hier wurde die Schreibweise nach Schumpeter zugrunde gelegt, die auch der Veröffentlichung von Kondratieff entspricht.

    ⁶ Vgl. Schumpeter, J. A. (1961), S. 180-181 und S. 394-408; Schumpeter, J. A. (2006), S. 425-427 und S. 435-447; Bathelt, H., Glückler, J. (2012), S. 401-404.

    Vgl. zur Kritik an der technologischen Determinante der Zyklen: Heß, M. (2006), S. 25.

    ⁷ Vgl. Schumpeter, J. A. (2006), S. 172-177; Bathelt, H., Glückler, J. (2012), S. 344-345; Pierenkemper, T. (2015), S. 89-90.

    ⁸ Vgl. Müller, K. O. W. (1990), S. 72-75, S. 78-80 und S. 82-87. Müller spricht von einer „Renaissance" Schumpeters (S. 69).

    ⁹ Vgl. Wöhe, G., Döring, U., Brösel, G. (2016), S. 357-360. Die Relevanz der Thematik ergibt sich auch aus der Tatsache, dass das Thema Eingang in diesen Klassiker der BWL gefunden hat.

    ¹⁰ Wöhe, G., Döring, U., Brösel, G. (2016), S. 358.

    ¹¹ Als industrielle Revolution wird im angloamerikanischen Sprachgebrauch meist nur die nach deutscher Zählung erste industrielle Revolution in England bezeichnet. Der Gebrauch des politischen Wortes „Revolution wird in diesem Zusammenhang zum Teil kritisiert. Besser sollte vom Beginn der modernen Industrie gesprochen werden. Vgl. Cameron, R., Neal, L. (2003), S. 161-164. Da sich „Revolution in Deutschland jedoch allgemein durchgesetzt hat, wird es in dieser Arbeit verwendet.

    ¹² Vgl. Müller, K. O. W. (1990), S. 80-81.

    ¹³ Einen allgemeinen Überblick über Industrie 4.0 gibt Schwab, K. (2016). Eine kritische Sichtweise vertreten Syska, A., Lièvre, P. (2016). Aus Sicht der Gewerkschaften schildert Wetzel, D. (2016). Die Entwicklung in China, Japan, Südkorea, den USA und Großbritannien skizzieren Kagermann, H., Anderl, R., Gausemeier, J., Schuh, G., Wahlster, W. (Hrsg.) (2016), S. 40-60.

    ¹⁴ Damit wird auf die Anpassung an moderne und neuartige Fertigungsverfahren, andere Produkte und Dienstleistungen und die damit einhergegangenen Veränderungen der individuellen Arbeitswelt abgehoben. Die Transformation der gesamten Gesellschaft und der Eigentumsform durch den Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur kapitalistischen sozialen Marktwirtschaft nach bundesdeutschem Vorbild ist hier nicht gemeint.

    ¹⁵ Auf Grund der Komplexität des gesamten Themas wird die Betrachtung im weiteren Verlauf eingeschränkt auf den Bereich der Veränderungen von Arbeit in Deutschland.

    ¹⁶ Vgl. Schmid, J. (2010), S. 4-7.

    ¹⁷ Vgl. BA (o. J. a).

    ¹⁸ Vgl. BA (o. J. b).

    ¹⁹ Dieser Veränderungsprozess lässt sich am Beispiel verschwundener Berufe nachvollziehen. Vgl. Palla, R. (2014).

    ²⁰ Vgl. Bonin, H., Gregory, T., Zierahn, U. (2015), S. 14-17; Dengler, K., Matthes, B. (2015), S. 12-21.

    ²¹ Vgl. Brzeski, C., Burk, I. (2015), S. 1.

    ²² Vgl. Kösters, W. (2006), S. 175.

    ²³ Vgl. Voß, G. G., Pongratz, H. J. (1998), S. 139-149.

    ²⁴ Bei einem Onlinekurs zu Künstlicher Intelligenz der Stanford University 2011 haben von weltweit mehr als 160.000 Teilnehmern 23.000 die Prüfung bestanden, davon 248 mit der Spitzennote. Der beste Studierende aus Stanford belegte Platz 413. Vgl. Dräger, J., Müller-Eiselt, R. (2015), S. 16-17.

    ²⁵ Vgl. Dräger, J., Müller-Eiselt, R. (2015), S. 88-101.

    ²⁶ Einen kritischen Überblick über den Zustand der Wirtschaft der DDR im Herbst 1989 aus Sicht der DDR-Führung geben: Schürer, G., Beil, G., Schalck, A., Höfner, E., Donda, A. (1989), S. 1112-1120.

    Einen ersten Einblick in den Prozess der Transformation der Wirtschaft in den neuen Bundesländern nach 1989 ermöglichen: BvS (2003); Roesler, J. (2003); Breuel, B., Burda M. C. (2005); Seibel, W. (2005).

    Anspruch, Struktur, Realität und Überforderung des Alltags in der DDR und im Prozess des Übergangs beschreibt Landolf Scherzer eindringlich am Beispiel Bad Salzungen. Vgl. Scherzer, L. (1997a); Scherzer, L. (1997b); Scherzer, L. (2000).

    Als erster Überblick zur Entwicklung der Energieindustrie auf dem Gebiet der ehemaligen DDR in den Jahren 1989-2001 kann empfohlen werden: Roesler, J., Semmelmann, D. (2005), S. 113-361.

    ²⁷ Vgl. Laschke, B., Weisheimer, M. (1995), S. 254-268.

    ²⁸ Vgl. Röder, H., Sauerbrey, U., Sparmann, M., Stiehl, E. Warth, S. (1990), S. 70 und S. 74-75.

    ²⁹ Vgl. Stadtverwaltung Hoyerswerda (2012), S. 9.

    ³⁰ Vgl. Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen (2016), S. 6.

    ³¹ Vgl. Statistisches Bundesamt (1990), S. 45-46.

    ³² Vgl. Statistik der Kohlenwirtschaft e. V. (o. J. e).

    ³³ Die krankheitsbedingten Auswirkungen von Erwerbsarbeit auf Physis und Psyche waren und sind vielfach Gegenstand von Untersuchungen und Studien. Literaturhinweise können hier nur unvollständig sein. Zum ersten Einstieg in die Thematik werden empfohlen: Glaser, J., Palm, E. (2016) zu allgemeinen Wirkungen auf die psychische Gesundheit; Lang. J., Angerer, P. (2016a) zu Erkrankungen des Muskel-SkelettSystems und Depression; Lang. J., Angerer, P. (2016b) zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

    ³⁴ Veränderungs- und Umbruchprozesse der Erwerbstätigkeit ostdeutscher Arbeitnehmer während der Transformation der Wirtschaftsform von der Planwirtschaft der DDR in die Marktwirtschaft der BRD wurden in verschiedenen Langzeitprojekten filmisch dokumentiert. Die zusätzliche Selbstreflexion der Protagonisten in weiteren separaten Texten (Interviews, eigene Schriften) ist hier nicht in ausreichendem Maße gegeben. Deshalb wird in dieser Arbeit das Einzelbeispiel Gerhard Gundermann untersucht. Illustrierend und ergänzend zu Gundermann werden folgende erste Quellen empfohlen: Koepp, V. (2014): Der Wittstock-Zyklus. 1975-1997. Sieben Filme; Junge, B., Junge, W. (2017): Die Kinder von Golzow. Alle Filme 1961-2007; Junge, B., Junge, W., Wolf, D. (Hrsg.) (2017): Lebensläufe - Buch.

    ³⁵ Vgl. Schütt, H.-D. (1999), S. 49 und Kap. 1.1.

    ³⁶ Zur Biografie von Gundermann vgl.: Schütt, H.-D. (1999), S. 346-347; Kulturfabrik Hoyerswerda e.V. (Hrsg.) (2006), S. 4-26; Hentschel, C., Matzke, P. (2007), S. 131-132; Kirchenwitz, L. (2010),L S. 456; Hintze, G. (2014), S. 128-129.

    ³⁷ Vgl. Schütt, H.-D. (1999), S. 21.

    ³⁸ Vgl. Abbildung 1. Globalisierung als Basisinnovation.

    ³⁹ Vgl. Huntington, S. P. (2002), S. 20-29 und S. 203-210. Die von Huntington vertretenen Thesen zu Perspektiven der Weltpolitik gaben der Diskussion ab 1996 starke Impulse.

    Eine umfassende Einführung zu globalen Herausforderungen im Kontext „MenschGesellschaft, „Mensch-Natur und „Mensch-Politik" gibt die dreibändige Ausgabe der bpb. Vgl. bpb (Hrsg.) (2011a); bpb (Hrsg.) (2011b); bpb (Hrsg.) (2013).

    ⁴⁰ Vgl. Google (o. J.).

    ⁴¹ Diese Themenwoche fand vom 30.10.-05.11.2016 statt. Vgl. ARD (o. J.).

    ⁴² Das Filmfestival fand im Auftrag des BMAS mit 7 Dokumentarfilmen und anschließenden Publikumsdiskussionen in 32 Kinos in Deutschland, Österreich und der Schweiz vom November 2015 bis zum Dezember 2016 mit etwa 185 Veranstaltungen und 9.000 Teilnehmern statt. Vgl. BMAS (o. J.).

    ⁴³ Vgl. Kruthaup, K. (2016), S. IX; LVZ (Hrsg.) (2016).

    ⁴⁴ Vgl. Rauner, M. (2016).

    ⁴⁵ Vgl. IHK zu Leipzig (Hrsg.) (2016a), S. 4-14; IHK zu Leipzig (Hrsg.) (2016b),

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1