Das Geheimnis der Wächter: Band 1 - Das Geheimnis der Wächter
Von E. M. Schumacher
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Über dieses E-Book
Die Engelsjünger-Saga präsentiert in einzigartiger Weise Science Fiction, die nahezu ausschließlich auf der Erde stattfindet. Ein Epos, das eine neuartige E.T.-Story für Erwachsene entrollt mit Aliens, die nach Hause wollen und vor ihren Verfolgern auf der Hut sein müssen.
Jeder Band der Engelsjünger-Saga ist in sich abgeschlossen und nahezu unabhängig von den anderen Bänden lesbar.
Unter dem Pseudonym E.M.Schumacher veröffentlicht das aus Vater und Tochter bestehende Autorenduo Eva Vanessa Nagel und Manfred Schumacher. Eva Vanessa Nagel lebt mit Mann und Hund in Siegburg und studierte Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Versicherung. Sie ist bei einem internationalen Versicherer am Standort Köln als Spezialistin im Bereich Rückversicherung tätig. Manfred Schumacher lebt in Rheinhessen, studierte Anglistik/Amerikanistik, Politik und Philosophie und promovierte über ein literaturwissenschaftliches Thema. Später leitete er eine PR-Agentur. Er ist zudem Autor des historischen Romans Der Hurenwagen, der ebenfalls im vss-Verlag erschien.
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Buchvorschau
Das Geheimnis der Wächter - E. M. Schumacher
Impressum
Die Engelsjünger-Saga
Band 1
Das Geheimnis der Wächter
E. M. Schumacher
Impressum
Copyright: vss-verlag
Jahr: 2022
Lektorat/ Korrektorat: Peter Altvater
Covergestaltung: Sabrina Gleichmann
Verlagsportal: www.vss-verlag.de
Gedruckt in Deutschland
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig.
Vorwort
„Der Böse aber wird in der Macht des Satans auftreten mit großer Kraft und lügenhaften Zeichen und Wundern und mit jeglicher Verführung zur Ungerechtigkeit bei denen, die verloren werden, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, dass sie gerettet würden. Darum sendet ihnen Gott die Macht der Verführung, sodass sie der Lüge glauben …"
(2. Thessalonicher 2, 9-11)
Der größte Feind des Wissens ist nicht Unwissenheit, sondern die Illusion, wissend zu sein.
(Stephen Hawking, britischer Astrophysiker)
PROLOG
Gilgal nahe Jericho, heutiges Westjordanland – 13. Jh. v. Chr.
Über dem ausgetrockneten Flussbett lag die Hitze wie sengendes Feuer. Nur noch kleine Rinnsale in zerfurchten Mulden in Ufernähe ließen die lebensspendende Kraft des Wassers erahnen, das sonst die breite Jordansenke vor Gilgal ausfüllte.
„Töhöööh! Es folgte eine jähe Stille, die ebenso jäh von einem neuerlichen „Töhöööh
zerrissen wurde – und noch einem. Gleich darauf stießen die langen Hörner, die von den Mündern sieben weiß gekleideter Männer hoch in den Nachmittagshimmel ragten, erneute „Töhöööhs" aus. Und noch mal, und noch mal. Unter den ruckenden und zuckenden Bewegungen der Bläser glänzten die Hörner mal alabasterweiß, mal elfenbeinfarben im gleißenden Sonnenlicht. Hellgelb fing sich das Licht in den Goldbeschlägen einer fast mannslangen und knapp zwei Ellen hohen Kiste aus dunklem Akazienholz. Auf zwei langen kräftigen Stangen schleppten sie mehrere Männer auf ihren Schultern durch Staub und Sand.
Hinter den Bläsern und Stangenträgern hatte sich anscheinend ein ganzes Volk versammelt - Krieger, alte Männer, Frauen und Kinder. Eine unendlich wirkende Prozession von hunderttausend und mehr Füßen. Seit Stunden zogen sie schweigend einen Kreis um die gewaltige Mauer einer dahinter versteckten Stadt. Die schiere Masse der Füße wirbelte Staub vom trockenen Boden auf, den der Wind in Richtung Stadt trieb. Man hörte nur die schrillen Töne der Hornbläser und die dumpfen Schritte der Menschenkarawane. Auf der oberen Plattform der Mauer hatten sich viele Bewohner der Stadt versammelt. Argwöhnisch und verblüfft verfolgten sie den Zug dieser seltsamen Prozession. Eine weitere Stunde später drehte der menschliche Lindwurm in Richtung Gilgal ab. Die Hörner verstummten. Der Staub vor der Stadt legte sich und die Grüppchen der auf der Stadtmauer noch immer ratlos gestikulierenden Zuschauer lösten sich auf.
Später senkte sich der Abend über das Jordantal und über zwei riesige Zeltlager vor Gilgal. Das Mondlicht lag silbern auf den Zeltdächern. Stimmengewirr, das Klappern von Geschirr und das Blöken des Viehs übertönten das Grillenzirpen in den nahen Palmenhainen. Der Rauch von Kochstellen und Lagerfeuern kräuselte sich in den orangevioletten Himmel, durch den sich dunkle Wolkenbänder webten. Nördlich der Stadt erstrahlten ausgedehnte Bergkämme fast fleischfarben unter der von der Abendsonne gefärbten Wolkendecke, die sie überwölbte. An ihrem äußeren Ende verschwamm die Silhouette der Ostmauer und vermengte sich mit dem Bergmassiv. Einzig der Schein zahlreicher Fackeln hinter der Brustwehr der Mauer verriet, dass die unheimlichen Neuankömmlinge, die seit Tagen die Stadt umlagerten, misstrauisch beobachtet wurden.
Aus dem vorderen der beiden Lager trug ein leichter Wind die Geräusche von Pferden und aufeinandertreffendem Metall in Richtung der Stadt. Männer hantierten über Schmiedefeuern, schliffen Schwerter, Messer, Äxte und Lanzenspitzen oder saßen um Feuer und tranken ausgiebig vom Tributwein einer kürzlich auf dem Vorbeimarsch verschonten Stadt. Helles Lachen durchmischte die Reihen der die Feuer Umlagernden. Mal dafür empfänglich, mal energisch die derben Umarmungen der angeheiterten Soldaten abwehrend, lauschten Frauen den Erzählungen, deftigen Witzen und sporadischen Gesängen. Zuweilen verschwand ein Pärchen in einem der nahen Zelte, um beieinanderzuliegen, von schlüpfrigen Ermutigungen der anderen begleitet.
Etwas abseits von diesem ausgelassenen Treiben betrat ein bärtiger Mann mittleren Alters, in einen Lederpanzer gegürtet und mit Schwert an der Hüfte, ein Zelt. Darin befanden sich zwei weitere Männer, beide älter als er und ebenfalls in soldatischer Rüstung. Auf einem grob gezimmerten Tisch lag ein Helm, der im trüben Licht einer Öllampe kupfern schimmerte.
„Gehen wir!, sagte einer der Älteren. „Es ist Zeit.
Die beiden anderen nickten und schweigsam verließen sie das Zelt. Sie schauten sich verstohlen nach links und rechts um. Gleich darauf verschwanden sie möglichst rasch und geräuschlos, um hinunter zur abschüssigen Senke und damit aus dem Blickfeld des Lagers zu gelangen.
Vorsichtig eilten sie entlang einer Palmenreihe um Dornensträucher herum in die leichte Niederung des trockenen Flussbetts. Von Gilgal drang das entfernte Stimmengewirr ihrer Leute herüber. Gelächter, die gezupften Töne von Lauten, die Gerüche von frisch gebackenem Brot und gebratenem Hammel. Im Mondlicht durchquerten sie das Flussbett. Sie bogen nach rechts, stolperten über verwitterte Pinienstümpfe und ritzten sich die Haut an bodennahen Dornen, was ihnen leise Flüche auf die Lippen trieb.
„Wir treffen sie wirklich in der Eremitenklamm, Jafet?", fragte der Schlussmann der hintereinander eilenden Dreiergruppe.
„Ja, Kaleb, in der Klamm", erwiderte der als Jafet Angesprochene, der voranging. Sein Blick ging zum Mond, der hoch über dem dunklen Rücken des Moab-Gebirges stand. Die Fremden sollten jetzt dort sein, dachte und hoffte er. Wie Rahab es vermittelt hatte.
Rahab! Er hatte bei ihr gelegen. In zwei Nächten der sechs Tage, die sie nunmehr die Stadt belagerten, sie täglich umkreisten, die Bundeslade vor den Augen der Städter zur Schau stellten und in die Hörner bliesen, wie es der Herr ihnen geheißen hatte, hatte er bei ihr gelegen. Allein der Gedanke an sie ließ ihr Bild vor seinem inneren Auge entstehen. Ihre verführerischen Bewegungen, die ihre weibliche Taille angenehm betonten. Ihre sich unter dem engen Leinenkleid hebenden Brüste, die ihre Weiblichkeit hervorkehrten. Ihre tiefgründigen Mandelaugen und ihre samtige Pfirsichhaut. Er würde wieder zu ihr gehen, obwohl es ihm ein schlechtes Gewissen bereitete und er sich schuldig gegenüber Esther fühlte, die nichts ahnte. Oder ahnte sie doch etwas? Ihre komische Frage vom Morgen, warum Josua des Nachts Kriegsrat hielt, wenn man am nächsten Tag doch nur wieder Mann und Maus unter dem furchtbaren Geplärre der Hörner um die Stadt trieb, kam ihm in den Sinn. Er schüttelte die Gedanken ab und versuchte, sich auf das Naheliegende, das Treffen mit den Fremdlingen, zu konzentrieren.
Gestern hatte er einen von ihnen bei Rahab, der Dirne, bei der viele ein- und ausgingen, getroffen. Es hatte ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen – dieses Wesen, der Fremde, der anders als alle war, die er bisher getroffen hatte. Trotzdem würde er versuchen, die Fremden als Verbündete zu gewinnen. Sofern sie wirklich über eine Wunderwaffe verfügten, von der ihm Rahab berichtet hatte.
Sie waren am Ende, da machte Jafet sich nichts vor. Auch wenn sie mit letzter Kraft jeden Tag um die Stadt herummarschierten und die Priester wie Besessene die Hörner bliesen, waren sie am Ende. Sie waren ausgezehrt, nach den langen Jahren, die sie Ägypten bereits verlassen hatten, müde und verzagt. Sie mussten endlich sesshaft werden. Zu viele hatten sie auf der langen Wanderschaft in den endlosen Wüsten begraben. Zu wenige waren nachgekommen, weil die Frauen, von der Last des ruhelosen Nomadenlebens ausgemergelt, für weniger Nachkommen sorgten. Es war allerhöchste Zeit für den wegweisenden Erfolg, der hermusste. Mit welchen Mitteln auch immer. Er würde mit ihnen verhandeln, das stand fest. Er würde auch wieder zu Rahab gehen, um bei ihr zu liegen, auch das stand fest. Sie übte einen magischen Zauber auf Männer aus, die mit ihr in Berührung kamen. Auch er konnte sich diesem Zauber nicht entziehen.
„Da vorn!" Er deutete auf eine schwarze Einbuchtung in der Felsformation vor ihnen. Die beiden anderen blickten in die Richtung, in die sein Finger zeigte, und sahen sie auch. Sie hasteten über ein staubiges Plateau ihrem Ziel zu. Rahab hatte ihm erzählt, dass dort früher Eremiten gehaust hatten. Die Städter hatten sie mit Nahrung versorgt, jedenfalls mit so viel, dass es sie lange genug gab, um diesem Felsloch den Namen zu geben – Eremitenklamm. Früher einmal war es wohl auch eine tatsächliche Klamm gewesen, mit einer Quelle im oberen Verlauf, deren Wasser sich zu manchen Jahreszeiten durch die schmale Schlucht gepresst hatte. Auch das wusste er von Rahab. Sein Blick glitt kurz nach links zur Senke und dahinter hinauf zur Stadt, aus der viele kleine Lichter durch die Nacht herüberschienen. Dort saßen jetzt viele um die Feuer, die Angst hatten, dessen war er sich sicher. Sie wussten, dass ihnen Unheil drohte. Natürlich wussten sie es. Allerdings wussten sie nicht, in welcher Form es sie ereilen würde. Und er, Jafet, und mit ihm Kaleb und Adlai waren im Begriff, den Grundstein zu diesem ihnen zugedachten Unheil zu legen.
Im Flussbett nahe der Stadt standen, gleichmäßig nebeneinander gereiht, die Schatten der mächtigen Steine, die Josua gleich am ersten Tag dort hatte aufrichten lassen. Jafet hatte das für einen guten Anfang gehalten. Sie hatten sich so schon mal mit einem wirkmächtigen Zeichen in dieses Land eingegraben, dass sie für sich beanspruchten. Für die Steine und das Land, in das sie sie eingerammt hatten, waren sie bereit, alles zu geben. Es lief auf die Entscheidung hinaus und er hatte es in der Hand, welche Wendung sie nehmen würde.
„Noch was -. Jafet verlangsamte den Schritt und blieb stehen. Die beiden anderen stoppten ebenfalls und sahen ihn neugierig an. „Sie sind - seltsam, diese Fremden. Ihr werdet euch wahrscheinlich vor ihnen erschrecken. Also seid auf alles gefasst.
„Wir haben schon viel gesehen, also mach dir mal keine Sorgen", machte sich Adlai sofort bemerkbar. Es schien ihn zu belustigen, denn seine weißen Zähne glänzten schwach im Mondlicht. Auch Kaleb schien ein Grinsen auf dem Gesicht zu haben, weil auch seine Zähne kurz aufblitzten. In Jafet schoss der Ärger über sich selbst hoch, dass er sie hatte vorwarnen wollen und dadurch zur ungewollten Zielscheibe für ihren milden Spott geworden war. Sollten sie es doch selbst erleben! Er zumindest wäre über eine solche Vorwarnung dankbar gewesen – nachdem er in Rahabs Quartier bereits seine unvermittelte Begegnung mit einem der Fremden hatte. Fast bepinkelt hatte er sich, als er ihm dort gegenüberstand. Dabei war er als schlachterprobter Hauptmann sicher alles andere als ein Feigling. Aber es war gewiss auch kein Amoriter oder Midianiter gewesen, der sich dort über ihm aufgetürmt hatte.
„Flapp, flapp", drang es dumpf aus der Höhle.
„Was war das?", fragte Kaleb besorgt und Jafet registrierte zufrieden, dass sein Grinsen wie weggewischt war. Er hatte mehr als eine leise Ahnung, behielt sie aber lieber für sich.
„Vielleicht sind da Adler drin", mutmaßte Adlai.
Sie hatten den kaum mannsbreiten Eingang zur Klamm erreicht, der aus der Entfernung nur als Riss im Fels auszumachen war.
„Zünden wir die Fackeln an", meinte Kaleb. Er ließ ein Bündel zu Boden gleiten, dass er bisher über dem Rücken getragen hatte. Adlai bearbeitete bereits Feuersteine und Zunderschwamm und im Nu glühte eine kleine Flamme, an die er eine der von Kaleb mitgeführten Pechfackeln hielt. Bald brannten drei Fackeln in ihren Händen. Sie drängten sich hintereinander in die schmale Schlucht. Nach etlichen Schritten über Steinkanten und Geröll weitete sich die Felsspalte und führte sie in eine knapp zwei Dutzend Fuß breite Auswölbung. Sie verbreiterte sich trichterartig nach oben und eröffnete ihnen einen weiten Blick in den Nachthimmel. Die Fackeln warfen ein flackerndes Licht auf das Gestein und fingen sich in drei Gestalten, die sie bereits erwarteten. Es waren riesenhafte Gestalten, deren Umrisse der Fackelschein an den hohen Felskanten noch einmal magisch vergrößerte. Die Fremden verbargen ihr Aussehen unter breiten Umhängen. Die Gesichter steckten unter tief in die Stirn gezogenen Kapuzen. Aber trotz der fleckigen und schummrigen Beleuchtung reichte den Neuankömmlingen das, was sie sahen, um sie in Bann zu schlagen. Mit offenen Mündern und Augen, die schiere Verwunderung und grenzenloses Erstaunen ausdrückten, blieben Kaleb und Adlai wie angewurzelt stehen. Mit in den Nacken gelegten Köpfen beäugten sie die Fremden, die sie fast um drei Fuß in der Höhe überragten. Auch Jafet konnte sich, obwohl er einem von ihnen bereits von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hatte, der erneuten Faszination, die die Begegnung ausübte, nicht entziehen.
„Was - was ist - das?", stotterte Adlai ungläubig. Die Köpfe der Fremden schienen unwirklich weiß unter den Kapuzen hervor. Ihre Augen verströmten im Licht der Fackeln einen silbrigen Glanz. Finger, lang wie Spinnenfinger, umklammerten silbrige Stäbe mit seltsamen Ausbuchtungen, die sich nach oben verjüngten und mit Griffen und Knöpfen versehen waren. Doch das Seltsamste und Außergewöhnlichste an ihnen waren diese – Dinger auf ihren Rücken, mächtig und furchterregend, aber zugleich auch anmutig und von einer fast himmlischen Schönheit.
„Es freut mich, dass ihr gekommen seid", begrüßte Jafet sie, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte. Kaleb und Adlai schienen wie angewurzelt und rührten sich nicht. Nur ihre Fackeln warfen ein zittriges Licht auf den Felsen.
„Ihr wolltet uns eure Wunderwaffe zeigen", begann Jafet erneut. Er sagte es mit festerer Stimme, als ihm zumute war. Zur Bekräftigung blickte er auf die Stäbe in ihren Händen, in denen er die versprochenen Waffen vermutete.
„Wir bekommen die ausgemachte Belohnung?", fragte einer der Fremden im Gegenzug. Seine Worte drangen stockend und merkwürdig abgehackt unter der Kapuze hervor. Er sprach ihre Sprache, aber anders, als ein Moabiter oder Ägypter sie sprach.
„Ja, antwortete Jafet. „Ihr bekommt die Belohnung.
Ihr Wortführer, von dem Jafet nicht wusste, ob er derjenige war, dem er bei Rahab begegnet war, nickte zufrieden.
„Schaut hoch!", forderte er Jafet und seine Begleiter auf. Sein Spinnenfinger zeigte in den dunklen Sternenhimmel und dort auf einen gut fünfhundert Fuß entfernten mächtigen Felsvorsprung. Er gab einem seiner Kumpane ein Zeichen. Der hob den Silberstab und zielte damit in Richtung des Felsens. Eine rasend schnelle Lichtschlange, grell und von einem hohen Summen begleitet, fraß sich auf die Felskanzel zu. Sie ergriff das Gestein und tauchte es für einen kurzen Augenblick in ein unwirkliches Licht, das die Klamm wie in Tageslicht erstrahlen ließ. Jafet musste die Augen schließen. Als er sie wieder öffnete, war die Felskanzel wie von Zauberhand verschwunden.
Er atmete tief durch. „Bei allen Stämmen!, presste er hervor. „Eure Waffen sind gut!
Wieder machte er eine kurze Pause. „Wir erwarten euch morgen bei Sonnenaufgang. Seid bei den Steinen unten am Fluss. Ihr wisst, wo das ist?"
Der Wortführer der Fremden nickte. „Denkt an die Belohnung!", mahnte er.
„Ihr bekommt eure Belohnung. Wir halten unser Wort. Ihr bekommt sie - danach."
Der Fremde verbeugte sich kurz. Seine Begleiter taten es ihm nach. Für einen kurzen Moment verdeckten ihre ausladenden Gestalten das Sternenlicht über der Klamm. Es folgte ein dröhnendes Flapp-flapp. Und noch mal. Dann wieder und wieder. Der kräftige Windzug, der durch die Kammer im Fels wischte, verschwand nach einigen Herzschlägen. Das Flapp-flapp entfernte sich, bis es schließlich verstummte. Kaleb und Adlai lösten sich von der Wand und traten zu Jafet.
„Bei allen Stämmen!", entfuhr es auch Adlai. Der Schreck steckte beiden noch sichtbar in den Gliedern.
„Das haben wir doch nicht geträumt?", fragte Kaleb verwirrt. Er reckte die Fackel wie zur Untermalung seiner Frage in den Himmel, als wenn es da oben noch was zu sehen gäbe. Als Jafet zu einer Antwort ansetzte, hörten sie aus einer der Ecken ein Geräusch. Es war ein kurzes Rascheln und Schaben. Jetzt war es wieder still.
„Wohl ein Tier, meinte Adlai. „Leuchte mal da hin!
, wies er Kaleb an, der der Stelle am nächsten war. Im Schein der Fackel tauchte der Kopf eines Jungen auf. Er war um die zehn Jahre und blickte ihnen ängstlich entgegen. Kaleb eilte zu ihm hin. Er packte ihn an der Schulter und zog ihn hinter einem Steinblock hervor, hinter dem er sich verborgen hatte.
„Was machst du hier?", fuhr ihn Jafet barsch an.
Der Junge begann zu schluchzen.
„Bist du schon lange hier?"
Der Junge nickte. Tränen rollten ihm über die Wangen.
„Wie lange?", fragte Jafet.
„Seit heut´ Morgen. Dagan und ich spielten vor der Mauer. Dann kamen die vielen Leute. Er schniefte und wischte sich über die Augen. Gleich darauf fuhr er fort: „Wir hatten Angst und versteckten uns. Dagan lief in die Stadt zurück. Ich lief über den Fluss hierher. Dann bin ich eingeschlafen.
Er schaute immer wieder hoch, während er zaghaft berichtete. „Als ich aufwachte, waren die Riesen da. Dann kamt ihr", endete er. Wieder schielte er Jafet ängstlich an. Er schien die Wahrheit zu sagen, denn er sprach den Dialekt der Städter.
„Kann ich gehen, kann ich jetzt heim?", flehte der Junge Jafet mit wässrigen Augen und zittriger Stimme an. Jafet machte eine ungehaltene Kopfbewegung und verzog das Gesicht zu einer ärgerlichen Geste. Dann zog er stumm das Schwert.
Kaleb sprang abwehrend zwischen ihn und den Jungen. „Du kannst ihn doch nicht -. Er ist noch ein Kind!"
Jafet biss die Zähne zusammen und stieß Kaleb mit dem Stiel seiner Fackel weg. Im nächsten Moment schnitt sein Schwert durch die Luft und trennte dem Jungen den Kopf vom Rumpf. Der Körper klappte leblos zusammen und färbte sich rasch rot vom Hals abwärts. Die Augen in dem abgeschlagenen Kinderkopf, der an einer verwitterten Felsplatte zum Liegen kam, behielten den Ausdruck ungläubigen Entsetzens. Kaleb und Adlai sahen Jafet entgeistert an. Der fühlte ihre Blicke auf sich, als er sich bückte und die blutige Schneide des Schwerts am Hemd des toten Jungen abwischte.
„Wir wollen nicht nur die Stadt und das Land. Wir brauchen ein Wunder für alle Zeiten, vergesst das nicht! Er sagte es, während seine Augen auf dem leblosen Torso ruhten. „Wunder vertragen keine Zeugen, die sie entkräften!
Er erhob sich, beförderte das Schwert zurück an den Platz an seinem Gürtel und wandte sich dem Ausgang zu. „Gehen wir!", forderte er die beiden jetzt im Befehlston des Hauptmanns auf, der keinen Widerspruch duldete.
Kapitel 1
Florenz - 26. März
Fausto Bianchi bewegte sich mit raschen Schritten entlang der ockergrauen Fassaden des Corso Italia. Er hatte Tonio, seinen Freund Tonio Rensi, um ein Treffen gebeten, und er hatte es eilig, zu ihm zu kommen. Seine stramme Gangart passte nicht recht zu seinem eher behäbigen Aussehen. Ein fleischiger Mann mit untersetzter Statur, dessen untere Gesichtshälfte ein weißer krauser Bart bedeckte. Darüber folgten eine knollige Nase und buschige Augenbrauen. Seine kräftigen Lippen bewegten sich im Takt einer kaum hörbaren Melodie, die er im Rhythmus seiner Schritte durch die Zähne pfiff. Er trug einen Stockschirm mit eleganter Holzkrücke bei sich, den seine kräftige Hand melodisch dirigierte. Auch wenn es nicht nach Regen aussah, hatte er sich wie so oft für den Schirm entschieden. Lieber vorher auf Nummer sicher gehen, als später nass zu werden, pflegte er in solchen Situationen zu sagen.
Obendrein trug er bei schönstem Frühlingswetter einen dunklen Wintermantel. Das war heute ein bisschen zu viel des Guten. Kurz vor der Piazza Vittorio Veneto blieb er stehen und wischte sich den Schweiß von der Schläfe. Automatisch strich er sich mit der Hand über den Nasenrücken und verteilte die Feuchtigkeit in das Gestrüpp über seiner Oberlippe. Vielleicht tischte Beatrice wieder den leckeren Pandoro auf. Dazu reichlich Puderzucker, wie es sich gehörte. Wenn er schwitzte, bekam Fausto regelmäßig Hunger. Als müsste sein Körper die älteste Strategie der Welt herbeibemühen, um verlorene Energie unverzüglich zu ersetzen. Die Ponte Della Vittoria lag schläfrig in der Nachmittagssonne, die das behäbig dahinfließende Wasser des Arno so strahlend türkis wie auf einer Urlaubspostkarte einfärbte. Der Wind trieb die rosa Blütenblätter der Mandelbäume vom nahen Park herüber und klebte sie an die Reifen der vorbeirauschenden Automobile. Es roch überall nach Benzin, altem Stein und, wenn man an einer Pasticceria vorbeikam, nach den Cannoli genannten Cremeröllchen und nach Zitronenkuchen. Es war sein Geruch, der Geruch seines Lebens. Nur Fußgänger kannten ihre Heimat, die Gerüche der Piazzas und der Hinterhöfe, der Tageszeiten, die Launen und das Wechselspiel der Natur.
Fausto war immer nur Fußgänger gewesen. Und er war der Typ Florentiner Stubenhocker, der kaum richtig aus Florenz herausgekommen war. Das toskanische Umland, Castelfiorintino, Pogibonsi, ja sogar Siena oder Arrezo kannte er natürlich. Aber so richtig rausgekommen, über Umbrien oder die Emilia-Romagna hinaus, war er eigentlich nie. Sicher, von Berufs wegen war er auch wiederholt im Ausland gewesen. Später als die Arbeiten als Restaurator, Gutachter und Kunstschätzer dazugekommen waren, hatte er mit Auktionshäusern im In- und Ausland zu tun gehabt. Da gehörten auch Reisen dazu, wenn auch nie mit dem Auto. Dabei liebte er den Benzingeruch, von dem es in Florenz mehr als sonst wo gab. Als Fußgänger lag einem die Welt zu Füßen, aber man brauchte gute Schuhe. Unwillkürlich schaute er auf seine schwarzen Oxfords, die er bei einer Maßschuhmacherin in Florenz fertigen ließ. Wahrscheinlich der einzigen in ganz Italien. Die davor hatte sie auch schon gefertigt und sie würde auch die danach machen,