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9 spannende Urlaubskrimis Juli 2022
9 spannende Urlaubskrimis Juli 2022
9 spannende Urlaubskrimis Juli 2022
eBook1.507 Seiten17 Stunden

9 spannende Urlaubskrimis Juli 2022

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Über dieses E-Book

9 spannende Urlaubskrimis Juli 2022

von Alfred Bekker

 

Über diesen Band:

 

 

Dieser Band enthält folgende Krimis von Alfred Bekker:

 

Kommissar Jörgensen und die letzte TRäne

Kommissar Jörgensen und der Fall mit dem Knie

Münster-Wölfe

Der Killer wartet...

Hinter dem Mond

Zweisam in Sonsbeck

Eine Kugel für Lorant

Tuch und Tod

Der Armbrustmörder

 

 

 

 

 

Der Unbekannte fasste das Ruderholz mit beiden Händen und schlug zu.

Sluiter wich zur Seite.

Der Schlag traf ihn schmerzhaft an der Schulter. Ein weiterer Hieb folgte unmittelbar darauf und traf ihn am Kopf.

Sluiter stöhnte auf, sank auf die Knie. Ihm war schwindelig.

Er fasste sich an den Kopf. Blut rann ihm zwischen den Fingern hindurch.

Undeutlich sah er den Unbekannten noch einmal ausholen.

Das Ruderholz traf ihn voller Wucht an der Stirn.

Mit einem platschenden Geräusch fiel Sluiter in das unter Wasser stehende Gras.

Dort blieb er reglos und in einer eigenartig verrenkten Haltung liegen. In seinen starr gewordenen Augen spiegelte sich das Mondlicht.

Der Mörder legte das Ruderholz auf den sumpfigen Boden.

SpracheDeutsch
HerausgeberAlfred Bekker
Erscheinungsdatum29. Juli 2022
ISBN9798201528256
9 spannende Urlaubskrimis Juli 2022
Autor

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Buchvorschau

    9 spannende Urlaubskrimis Juli 2022 - Alfred Bekker

    Der Unbekannte fasste das Ruderholz mit beiden Händen und schlug zu.

    Sluiter wich zur Seite.

    Der Schlag traf ihn schmerzhaft an der Schulter. Ein weiterer Hieb folgte unmittelbar darauf und traf ihn am Kopf.

    Sluiter stöhnte auf, sank auf die Knie. Ihm war schwindelig.

    Er fasste sich an den Kopf. Blut rann ihm zwischen den Fingern hindurch.

    Undeutlich sah er den Unbekannten noch einmal ausholen.

    Das Ruderholz traf ihn voller Wucht an der Stirn.

    Mit einem platschenden Geräusch fiel Sluiter in das unter Wasser stehende Gras.

    Dort blieb er reglos und in einer eigenartig verrenkten Haltung liegen. In seinen starr gewordenen Augen spiegelte sich das Mondlicht.

    Der Mörder legte das Ruderholz auf den sumpfigen Boden.

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

    © Roman by Author /

    © dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

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    postmaster@alfredbekker.de

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    Alles rund um Belletristik!

    Kommissar Jörgensen und die letzte Träne: Kommissar Jörgensen Hamburg Krimi

    Kommissar Jörgensen und die letzte Träne: Kommissar Jörgensen Hamburg Krimi

    Alfred Bekker

    Published by Alfred Bekker, 2022.

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

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    Alles rund um Belletristik!

    Kommissar Jörgensen und die letzte Träne

    von Alfred Bekker

    1

    »Würdest du dich jemals tätowieren lassen, Uwe?«, fragte mich mein Kollege Roy Müller.

    »Das kommt für mich nicht in Frage, Roy.«

    »Wieso nicht?«

    »Das ist einfach nichts für mich.«

    Mein Name ist Uwe Jörgensen. Ich bin Kriminalhauptkommissar. Zusammen mit dem Kollegen Roy Müller arbeite ich in einer Sonderabteilung, die sich ‘Kriminalpolizeiliche Ermittlungsgruppe des Bundes’ nennt und hier in Hamburg angesiedelt ist. Unsere Büros sind im Hamburger Polizeipräsidium untergebracht. Wir kümmern uns vor allem um den Bereich der organisierten Kriminalität. Da sind wir Spezialisten.

    Roy und ich saßen in der Kantine des Hamburger Polizeipräsidiums und genossen gerade das, was man dort ein Mittagessen nennt. Aber in letzter Zeit steht da eher die gesundheitliche Erziehung der Belegschaft auf dem Plan - und weniger das Ziel, die Hamburger Polizei fit und satt zu halten und zufrieden. Vegetarische Tage und sowas. Das klingt so furchtbar, wie es dann schmeckt.

    »Also, Tattoos sind nichts für mich«, meinte ich. »Ich finde es besser, ein unbeschriebenes Blatt zu sein, wenn du verstehst, was ich meine.«

    »Ich glaube schon.«

    »Siehst du!«

    »Ich habe mal auf St. Pauli in einem Strip Club eine Frau gesehen, die hatte sich den Riesen Atlas auf den Bauch stechen lassen.«

    »Aha...«

    »Kennst du doch. Der Riese aus der griechischen Sage, der das Atlas-Gebirge trägt!«

    »Ja. Aber mein Abitur ist schon eine Weile her!«

    »In diesem Fall trug der Riese Atlas nicht das Atlas-Gebirge, sondern die Brüste der Frau.«

    »Witzige Idee.«

    »Finde ich auch, Uwe.«

    »Was ist dann dabei?«

    »Jetzt ist das eine witzige Idee und sieht vielleicht auch gut aus. Aber in zwanzig Jahren, wenn die Schwerkraft ihre Wirkung ausgeübt hat: Was ist dann? Dann trägt der Atlas-Riese die Brüste nicht mehr, sondern sie hängen ihm im Gesicht und die Frau wird eine Lachnummer.«

    »Darum sag ich ja für meinen Teil: Finger weg von der Nadel!«

    Roy schob seinen Teller zur Seite.

    »Was ist los?«, fragte ich.

    »Weißt du was?«

    »Ja?«

    »Wir holen uns demnächst wieder einen Fischburger am Wagen!«

    Ich warf einen Blick auf meinen Teller und schob ihn dann auch zur Seite.

    »Ich glaube, das ist eine gute Idee, Roy!«

    *

    Der kahlköpfige Mann betrat das Tattoo-Studio in Hamburg. Unter dem eng anliegenden Blouson wölbte sich etwas. Eine Waffe.

    »Hey, ich brauche eine Träne!«, sagte der Kahlkopf. »Und zwar ein bisschen plötzlich. Dafür wirst du deine Mittagspause ja wohl verschieben können.«

    Eine Träne – das bedeutete einen erfolgreich ausgeführten Mord, den ihm seine Gang befohlen hatte.

    Rahim Anas Menem blickte auf, nachdem der kahlköpfige Mann seinen Laden betreten hatte – ein Tattoo-Studio.

    »Ich habe eigentlich schon geschlossen«, sagte Menem freundlich. Seine Stimme klang furchtlos. Diese tätowierten Gang-Mitglieder rochen die Angst bei ihrem Gegenüber förmlich und genossen sie. Aber diese Genugtuung wollte Menem ihnen nicht geben. Nicht mehr. Diese Gangster konnten Furcht an jeder noch so feinen Veränderung im Tonfall erkennen, als ob sie einen sechsten Sinn dafür hätten, was daher kam, dass sie selbst oft in entsetzlicher Weise erniedrigt und gequält worden waren, bevor man ihnen die Gelegenheit ab, andere zu drangsalieren. Aber genauso sehr spürten sie innere Stärke.

    Menem war ungefähr fünfzig Jahre alt, der Kahlkopf keine fünfundzwanzig. Er schob sich die Waffe zurecht, setzte sich auf den Stuhl in der Nähe des Fensters und blickte hinaus auf die Straße. An den sichtbaren Hautpartien seines Körpers hatten sich bereits mindestens ein Dutzend Tätowierer mit unterschiedlich großer Begabung zu schaffen gemacht. Menem konnte das beurteilen. Er war schließlich vom Fach. 

    Der Kahlköpfige wandte den Kopf in Menems Richtung.

    »Na wird’s bald?«

    »Ich habe dich hier noch nie gesehen.«

    »Ist doch egal, oder? Bin auf der Durchreise. Und dies ist doch unser Gebiet. Also bin ich hier zu Hause.« Er grinste.

    Den Stuhl hatte Menem einem Zahnarzt abgekauft, der seine Praxis aus Altersgründen geschlossen hatte.

    »Ich hoffe, du kannst Schmerzen aushalten«, sagte Menem. Er holte den Schiebewagen mit der Nadel und betätigte ein paar Knöpfe an dem Zahnarztstuhl, woraufhin die Lehne etwas nach hinten glitt und der Mann insgesamt auf Arbeitshöhe angehoben wurde.

    »Willst du mich verarschen?«

    »Mein Rücken ist schon kaputt. Ich bücke mich nicht mehr beim Tattoo-Stechen. Und jetzt halt still und zeig mir, wo die Träne hin soll!«

    In diesem Moment fuhr draußen ein Wagen vor. Es war ein blauer Van mit getönten Scheiben. Die Seitentür glitt zur Seite. Wie eine Flammenzunge blitzte das Mündungsfeuer einer MPi aus dem Schatten im Inneren des Wagens hervor. Die Kugeln ließen das Fenster zerspringen. Der Kahlköpfige, der genau in passender Schusshöhe wie auf dem Präsentierteller dalag, wollte aufspringen. Aber dazu kam er nicht mehr. Sein Körper zuckte unter einem halben Dutzend Treffern. Immer wieder schlugen die Kugeln durch seine Kleidung. Die blutüberströmte Hand umklammerte noch den Griff seiner Waffe, riss sie mit erlahmender Kraft aus dem Hosenbund heraus und drückte ab. Ein ungezielter Schuss löste sich, traf ein gerahmtes, großformatiges Porträtfoto einer schwarzhaarigen jungen Frau, woraufhin es zu Boden fiel. Ein Treffer in die Schläfe und ein zweiter in den halb geöffneten Mund ließen den Kahlkopf dann zurück auf den Stuhl sinken. Er hing halb über der Lehne, Blut troff ihm aus Mund, Nase und Ohren. Außerdem noch aus einem Dutzend anderer Wunden, die sich über seinen Rumpf und seine Beine verteilten. Er rührte sich nicht mehr. Seine Augen waren weit aufgerissen, der Blick starr.

    Menem lag inzwischen bäuchlings auf dem Boden hinter dem Zahnarztstuhl. Er hatte instinktiv das Gesicht mit den Armen geschützt. Jetzt spürte er, wie das Blut auf ihn herabtropfte. Draußen ließ der Fahrer des Van den Motor aufheulen. Das Fahrzeug brauste davon. Die Bremsen quietschten, als er um die nächste Ecke bog.

    Rahim Anas Menem blieb eine ganze Weile am Boden liegen und rührte sich nicht. Er war wie gelähmt. Erst, als er ein paar Blocks weiter das Martinshorn der Polizei hörte, ließ ihn das aus seiner Erstarrung erwachen und sich vorsichtig erheben.

    Das Martinshorn wurde wieder leiser.

    Mit dem Vorfall hier hatte dieser Einsatz wohl nichts zu tun.

    Nein, ging es Menem durch den Kopf. Bis hier jemand die Bullen ruft, kann es eine ganze Weile dauern.

    Du sollst nicht ohne die Träne gestorben sein!, dachte Menem. Die Träne eines Mörders ...

    Dann nahm der Tätowierer seine Nadel und begann mit seiner Arbeit.

    2

    »Ah, ist das scharf!«, meinte Roy und verzog das Gesicht. Wir saßen in einem Döner-Imbiss. Eigentlich warteten wir auf einen Informanten namens Nureddin Ghasil. Aber Ghasil war schon seit einer halben Stunde überfällig und normalerweise konnte man sich, was die Pünktlichkeit betraf, auf ihn verlassen.

    Ghasil, ein gebürtiger Libanese, besaß einen Friseursalon zwei Straßen weiter. Jeden Tag um fast genau 18.00 Uhr ging er in diesen Döner-Imbiss, um zu essen. In unregelmäßigen Abständen sprachen ihn dann Kollegen unserer Abteilung dort an. Ghasil war Anfang siebzig, ein alter Mann, der seine Altersversorgung während des letzten Banken-Crashs verloren hatte und darum gezwungen war, seinen Laden so lange weiter zu führen, bis er keine Schere mehr halten konnte.

    Vor drei Jahren waren er und seine Frau bei einer Schießerei zwischen rivalisierenden Gangs schwer angeschossen worden. Die beiden waren völlig unbeteiligt gewesen. Seitdem humpelte Nureddin Ghasil. Seine Frau hatte es schlimmer erwischt. Sie war ihren Verletzungen erlegen. Seitdem hatte Ghasil keine Angst mehr. Vor niemandem. Regelmäßig versorgte er uns mit Informationen aus dem Umkreis der Clans und Gangs. Drogenhandel, Prostitution, Glücksspiel, Waffen, Schutzgeld und illegale Müllentsorgung – alles, womit sich viel Geld verdienen ließ, gehörten zum Geschäftsfeld dieser straff organisierten Banden, die für ihre Verschwiegenheit, ihre außergewöhnlich brutalen Einstiegsrituale und vor allem ihren kompromisslosen Umgang mit jedem, den sie für einen Verräter hielten, bekannt waren.

    Äußerlich waren sie an ihren Tätowierungen erkennbar.

    Al-Kubba nannten sie sich.

    Die Nische.

    Oder der Schrank.

    Das deutsche Wort Alkoven leitete sich davon ab.

    Es war die Nische des Schweigens.

    Der Schrank, der geschlossen blieb.

    Zumindest für Außenstehende.

    Einer solchen Gang gehörte man sein Leben lang an. Die einzige Möglichkeit des Ausstiegs war der Tod oder eine andere Identität.

    Es war ausgesprochen schwierig, verdeckte Ermittler einzuschleusen. Eigentlich kamen dafür nur angeworbene Gang-Mitglieder infrage, die aussteigen wollten. Aber so etwas war selten – und davon abgesehen hatten die Betroffenen dann zumeist nur noch eine sehr kurze Lebenserwartung, wenn ihr Doppelspiel aufflog. Das Risiko ging kaum jemand ein. Die einzelnen Untergruppen der Gangs bestanden ausschließlich aus Mitgliedern, die in denselben Straßenzügen groß geworden waren und sich oft seit frühester Kindheit kannten. Jemand, der von außen kam, hatte keine Chance sich ihr Vertrauen zu erwerben. Das brutale Einstiegsritual bestand darin, sich mehrere Minuten lang von allen Gang-Mitgliedern verprügeln zu lassen, ohne sich zu wehren. Für Frauen gab es wahlweise auch die Möglichkeit, sich von mindestens drei Mitgliedern vergewaltigen zu lassen.

    Aber das war nur der Einstieg. Richtig dazu gehörte man erst, wenn man sich seine erste Träne verdient hatte – das Zeichen dafür, dass man bereit gewesen war, für die Gang zu töten. Manchmal wurden dafür willkürliche Opfer ausgesucht – aber für den Täter gab es dann kein Zurück mehr. Der erste Mord kettete ihn auf ewig an die Gang. An seine Mitwisser und Komplizen. Wie eine in das Fleisch geritzte Kriegsbemalung trugen sie ihre Tätowierungen und jeder, der sie ansah und einigermaßen Bescheid wusste, wie die Dinge liefen, konnte ihnen ansehen, was sie auf dem Kerbholz hatten. Das verbreitete Angst. Und genau darauf kam es den Al-Kubba-Gangs an. Die Tätowierung eines Gangmitglieds war nichts anderes als eine deutlich für jedermann sichtbare Drohung.

    Die meisten Bewohner der betroffenen Viertel ließen sich einschüchtern und schwiegen. Es häuften sich bei uns im Polizeipräsidium die Fälle, in denen ein Verbrechen auf offener Straße geschah und es nicht einmal jemand wagte, die Kollegen der Polizei zu verständigen.

    Eine Schwäche hatten die Al-Kubba-Leute allerdings. Sie waren eitel und gingen häufig zum Friseur. Manche ließen sich den Schädel ganz kahl rasieren, um Platz für Tattoos zu haben, andere bevorzugten Schnitte, bei denen nur ein mehr oder weniger breiter, sehr exakt begrenzter Haarstreifen auf dem Kopf übrig blieb. Beim Friseur unterhielten sich die Bandenmitglieder  ziemlich ungehemmt - und einen alten Mann wie Nureddin Ghasil nahmen sie ohnehin nicht ernst. Sie gingen einfach davon aus, dass er genauso von seiner Furcht in Schach gehalten wurde, wie die meisten anderen.

    Und so war es wiederholt vorgekommen, dass Ghasil einiges mitbekommen hatte, was für die Ermittlungsarbeit von großem Nutzen gewesen war.

    Ich sah auf die Uhr.

    »Der kommt nicht mehr«, stellte ich fest.

    Mein Kollege Roy Müller schob den Teller ein Stück von sich weg und nahm einen tiefen Schluck Mineralwasser. Ich hatte wenig Mitleid mit ihm. Schließlich hatte ich ihn gewarnt. Das Essen war wirklich extrem scharf.

    »Meinst du, wir sollten mal bei seinem Laden vorbeischauen, ob alles in Ordnung ist?«, fragte er.

    »Damit würden wir ihn kompromittieren.«

    »Ich mache mir Sorgen um ihn. Wenn wir unauffällig bleiben, könnten wir doch mal bei ihm vorbeischauen.«

    »Ich weiß nicht, ob das wirklich eine gute Idee ist.«

    »Ghasil könnte in Schwierigkeiten sein.«

    »Na gut.«

    Wir standen auf und verließen das »Antalya Döner«.

    So hieß das Lokal nämlich.

    Der Sportwagen stand nur wenige Meter entfernt. Wir stiegen ein und fuhren noch einen Umweg, der sich aufgrund der Einbahnstraßen leider nicht vermeiden ließ, etwa eine Viertelstunde später an Nureddin Ghasils Friseurgeschäft vorbei – so langsam wie möglich, ohne dabei besonders aufzufallen.

    Der Laden war geschlossen. Und zwar offenbar dauerhaft. Die Tür war mit Holzplatten vernagelt, die Fenster blickdicht verhängt und es hing ein Schild mit der Aufschrift »Zu verkaufen« davor.

    »Halt mal hier irgendwo an und lass mich raus!«, forderte Roy. »Dann fahre einmal um den Block und hol mich wieder ab!«

    »Aber ...«

    »Das stinkt doch zum Himmel!«

    »Ghasil hat sich ja nicht ausdrücklich mit uns verabredet.«

    »Aber dieser Mann führt ein Leben wie ein Uhrwerk! Und jetzt so etwas!«

    »Vielleicht will er einfach seinen Lebensabend irgendwo anders genießen als in Hamburg. Da muss er uns ja nicht unbedingt vorher einweihen, oder?«

    »Mir gefällt das trotzdem nicht!«

    Ich ließ Roy am Straßenrand aussteigen und fuhr dann weiter. Während ich eine Runde um den Block drehte, erreichte mich über Handy ein Anruf unseres Polizeipräsidium, den ich über die Freisprechanlage entgegennahm. Am Apparat war Herr Kriminaldirektor Bock, unser Chef.

    »Uwe, ich nehme an, Ihr Treffen mit Nureddin Ghasil ist bereits beendet.«

    »Es hat nicht stattgefunden, weil er nicht aufgetaucht ist«, erwiderte ich. »Sein Laden steht überraschenderweise zum Verkauf. Unser Informant scheint in seiner Lebensplanung eine sehr plötzliche Veränderung vorgenommen zu haben.«

    »Oh«, entfuhr es unserem Chef. Weitergehend dokumentierte er diese Neuigkeit nicht. Sie war ein einzelnes Puzzleteil in unseren Ermittlungen gegen die Gangs, die hier herrschten. Wie dieses Puzzleteil einzuordnen war, musste sich erst noch erweisen.

    »Ich nehme aber an, dass Sie immer noch in Altona sind«, sagte Herr Bock dann nach kurzer Pause. Ich konnte durch die Freisprechanlage hören, wie Herr Bock in seinem Büro von jemandem angesprochen wurde und erkannte die Stimme von Mandy, seiner Sekretärin.

    »Wir sind immer noch in Altona«, bestätigte ich.

    »Ganz in Ihrer Nähe hat es einen Mordanschlag gegeben. Ein Mann wurde bei seinem Tätowierer erschossen. Die Kollegen der Schutzpolizei sind bereits dort.«

    »Wir sind schon unterwegs!«, versprach ich.

    3

    Mein Kollege Roy Müller sah sich unterdessen bei dem Friseursalon von Nureddin Ghasil um. Seltsam war, dass auf dem »Zu verkaufen«-Schild kein Hinweis zu sehen war, an wen man sich denn wenden konnte, wenn man tatsächlich an dem Laden interessiert war. Nicht einmal eine Telefonnummer war angegeben.

    Dann ging Roy in die Türnische. Dafür, dass die Tür mit Holz vernagelt war, konnte es eigentlich nur eine vernünftige Erklärung geben: Die Tür ließ sich nicht mehr schließen. Vielleicht deswegen, weil es einen Einbruch gegeben hatte. Jedenfalls war es unmöglich, einen Blick ins Innere zu werfen. Weder durch die Ritzen zwischen den einzelnen Holzplatten, noch durch die engen Schlitze zwischen den Vorhängen war das möglich.

    Eine ältere Frau mit einer Einkaufstasche blieb stehen. Sie war klein und zierlich. Das Haar war – passend zu ihrem dunklen Teint – sicherlich einmal blauschwarz gewesen, doch jetzt war es grau durchwirkt. Sie war schätzungsweise zwischen Mitte sechzig und Mitte siebzig und starrte Roy mit großen Augen an, als hätte sie einen Geist vor sich.

    Roy deutete auf Ghasils Laden.

    »Wissen Sie, seit wann hier geschlossen ist?«, fragte er.

    »Nix verstehen!«

    Roy war sich ziemlich sicher, dass die Frau aus der näheren Umgebung stammte, und dass sie Nureddin Ghasils Friseursalon eigentlich kennen müsste. Vermutlich war sie sogar mit ihm persönlich bekannt.

    »Herr Nureddin Ghasil – wo?«, fragte Roy.

    »Nicht sprechen Deutsch!«, behauptete die Frau.

    Roys Blick fiel auf eine zusammengerollte Zeitschrift, die aus ihrer Tasche herausragte. Es war deutlich erkennbar, dass die Überschriften in deutscher Sprache verfasst waren. Die Frau hatte einfach Angst, mit jemandem zu sprechen. Sie sah zur Seite. Ein Mann, Ende zwanzig näherte sich. Er hatte die Ärmel seines Kapuzenshirts hochgeschoben. Er hatte sich verschnörkelte Tattoos in Form arabischer Schriftzeichen tätowieren lassen.

    »Probleme?«, fragte der Tätowierte.

    »Nein«, murmelte die Frau und nutzte die Gelegenheit, sich davon zu machen.

    Der Tätowierte kam auf Roy zu. Er verschränkte dabei die gut trainierten Arme vor der Brust. Drei Tränen gab es auf seiner linke Wange – fein säuberlich in schwarz auftätowiert. Das Innere war mit blutroter Farbe ausgefüllt.

    »Verlaufen?«, fragte er dann.

    Roy nahm seinen Dienstausweis hervor.

    »Anscheinend bin ich hier genau richtig«, antwortete er.

    Der Tätowierte zuckte unwillkürlich zusammen. Er schien zu erwägen, einfach wegzulaufen. Die Anspannung seiner Muskulatur war deutlich zu sehen. Für den Bruchteil eines Augenblicks schien nur noch nicht entschieden zu sein, ob er Roy vorher noch einen Faustschlag versetzen wollte. Aber dann besann er sich eines Besseren.

    Er atmete tief durch und verzog das Gesicht, so, als wollte er damit sagen: Was habt ihr hier schon zu suchen? Dies ist unser Gebiet.

    »Hier war bis vor kurzem ein Friseursalon«, sagte Roy.

    Der junge Mann zuckte die Schultern.

    »Die Zeiten ändern sich und die Straße auch.«

    »Ich dachte, Sie hätten vielleicht was davon gehört, an wen man sich wenden kann, wenn man den Laden kaufen will.«

    »Hör zu, ich habe es nicht gerne, wenn man hier herumschnüffelt! Ob du jetzt ein Polizist bist oder nicht, interessiert mich dabei nicht, hast du mich verstanden?«

    »Ist leider mein Job«, sagte Roy.

    Ein Cabriolet blieb stehen. Am Steuer saß ein Kerl mit einer Baseballmütze und Spiegelbrille. Der Tätowierte setzte sich plötzlich in Bewegung und rannte mit wenigen, weiten Schritten auf den Wagen zu, schwang sich hinein und der Fahrer des Cabriolets trat daraufhin das Gaspedal durch. Einen Augenblick später bog er mit quietschenden Reifen in die nächste Seitenstraße.

    4

    Als ich Roy wenig später wieder abholte, erzählte er mir von dem, was er erlebt hatte.

    »Am Liebsten hätte ich den Kerl mit in eine Gewahrsamszelle unseres Präsidium genommen!«, machte er seinem Ärger Luft.

    Ich grinste.

    »Warum hast du es nicht getan? Der Fond des Sportwagen ist zwar ziemlich eng – aber mehr Beinfreiheit hat man während eines Fluges in der Economy Class oft auch nicht!«

    »Ich hätte keinen Grund gehabt. Hässliche Tätowierungen sind leider nicht strafbar  - und mein subjektives Gefühl, dass die alte Frau Angst vor ihm hatte, dürfte wohl kaum einen Richter überzeugen.«

    »Roy, es ist immer dasselbe. Verbreitung von Furcht ist die wichtigste Methode des organisierten Verbrechens. Da sind diese Gangs nicht anders als die kalabrische ‘Ndrangheta oder Tschetschenen-Gangs, die in jüngster Zeit die Reeperbahn aufmischen.«

    Die Adresse, die Herr Bock uns angegeben hatte, war von den Kollegen der Polizei weiträumig abgesperrt worden. Aber nachdem ich das Seitenfenster herabgelassen und meinen Dienstausweis vorgezeigt hatte, ließ man uns weiter vorfahren. Ich stellte den Sportwagen neben einen Van, der die Kennzeichnung des Erkennungsdienstes trug. Wo der Tatort war, konnte man sofort erkennen. Das zur Straße ausgerichtete Fenster des Tattoo-Studio war zerschossen. MENEM – stand in großen Neonbuchstaben über dem Fenster. Die Buchstaben flackerten auf, obwohl es eigentlich noch viel zu früh war, die Anlage einzuschalten.

    Zwei uniformierte Kollegen der Polizei trugen gerade den Zinksarg mit dem erschossenen Mann hinaus. Dr. Bernd Heinz, ein Gerichtsmediziner des Erkennungsdienstes kam uns entgegen und war dabei im Gespräch mit Kommissar Siegfried Mansfeld von der Mordkommission des zuständigen Polizeireviers vertieft. Ich kannte Mansfeld flüchtig. Als er noch Polizist gewesen war, hatte er seinen Dienst in einem Revier in Altona verrichtet. Unser Job hatte es mit sich gebracht, dass wir uns hin und wieder über den Weg gelaufen waren und ein- oder zweimal auch zusammen an Fällen gearbeitet hatten.

    »Als Todesursache dürfte wohl nur eine der zahlreichen Kugeln infrage kommen, die den Körper des Opfers getroffen haben«, hörte ich Dr. Heinz sagen und dabei gestikulierte er mit der rechten Hand, während die Linke seinen Arztkoffer trug.

    Dr. Heinz und Kommissar Mansfeld bemerkten uns.

    »Diesmal ist die Kriminalpolizei ja schnell zur Stelle«, sagte Mansfeld und begrüßte uns dann knapp. »Das Ganze sieht nach einer dieser gewöhnlichen Schießereien zwischen den verschiedenen Gangs aus. Niemand will was gesehen haben. Selbst wenn man jemanden nach der Uhrzeit fragt, muss man es den Leuten aus der Nase ziehen, weil sie Angst haben.«

    »Wollen Sie den Toten noch einmal sehen, Uwe?«, fragte Dr. Heinz plötzlich.

    Der Zinksarg war gerade vor dem Leichenwagen abgestellt worden. Einer der Träger öffnete die Heckklappe.

    »Ja«, sagte ich.

    »Dann folgen Sie mir.«

    Wir gingen zusammen mit Mansfeld und Dr. Heinz zu dem Zinksarg. Auf Mansfelds Anweisung hin wurde er für uns noch einmal geöffnet.

    Der Tote war durch die Schüsse furchtbar zugerichtet. Alles war blutverschmiert. Er starrte mich mit weit aufgerissenen, starren Augen an. Für einen Angehörigen dieser Gang war er fast schon sparsam tätowiert. Manchmal bedeckten Tattoos selbst ihre Gesichter so eng, dass man kaum noch ein Stück freie Haut finden konnte.

    Mir fiel auf, dass er ein paar eintätowierte Tränen im Gesicht hatte. Nach allem, was wir über die Bedeutung dieser Tattoos wussten, hatten die Kugeln offenbar keinen Unschuldigen hingestreckt. Aber dieser Umstand beeinflusste natürlich keineswegs unseren Eifer bei der Aufklärung dieses Mordes.

    »Wir haben ein Flugticket bei ihm gefunden«, sagte Kommissar Mansfeld. »Er war mit dem Flieger aus München gekommen und wollte offenbar nächsten Dienstag wieder zurück. Außerdem war da ein Führerschein auf den Namen Adnan Kaplanoglu.«

    »Kann ich den mal sehen?«, fragte sich.

    »Die Kollegen vom Erkennungsdienst sind noch nicht so weit damit.«

    »Haben Sie schon eine Personenabfrage nach diesem Adnan Kaplanoglu durchgeführt?«, hakte ich nach.

    Mansfeld nickte bedächtig und steckte die Hände in die Tasche seiner weiten Flanellhose.

    »Er ist mehrfach verurteilt worden. Das Register umfasst die üblichen Delikte: Körperverletzung und Drogen.«

    »Und Mord?«, hakte ich nach.

    »Wegen der Tränen?«

    »Ja.«

    Mansfeld zuckte mit den Schultern.

    »In dem über SIS einsehbaren Datensatz ist darüber nichts zu finden. Der Tätowierer hat übrigens ausgesagt, dass Kaplanoglu zu ihm gekommen wäre, um sich eine neue Träne stechen zu lassen.«

    »Kein Gangmitglied würde sich so etwas stechen lassen, wenn er sie sich nicht verdient hätte«, war Roy überzeugt.

    Ich nickte den uniformierten Kollegen zu, und der Sarg wurde wieder geschlossen. Wir würden uns die grausigen Einzelheiten dieses Verbrechens ohnehin noch oft genug auf den zahlreichen Tatortfotos ansehen müssen, die die Kollegen des Erkennungsdienstes mit der ihnen eigenen Sorgfalt anzufertigen pflegten. Normalerweise wurde auch ein Videorundblick gemacht, so dass man sich den Tatort als Ermittler jederzeit noch einmal in dem Zustand ansehen konnte, wie er zum  Zeitpunkt dieser Aufnahme gewesen war.

    5

    Wenig später führte uns Kommissar Mansfeld zu Rahim Anas Menem, dem Inhaber des Tattoo-Studios.

    Er saß in sich zusammengesunken in einem kleinen Sofa, auf dem normalerweise seine Kunden zu warten pflegten, wenn es sich mal ein wenig staute und die Nachfolgenden warten mussten, bis sie dran waren.

    Mehrere Schüsse waren in das Polster eingeschlagen und hatten die Bezüge aufgerissen.

    Menem schien ins Nichts zu blicken. Er saß einfach nur da und starrte vor sich hin. Vielleicht stand er unter einem schweren Schock.

    Rund um den Stuhl, auf dem offenbar das Opfer dieses Anschlags gelegen hatte, fanden sich Blutspritzer und auch Menems Kleidung war davon besudelt.

    Eine Frau mit rötlichen Haaren, die einen weißen Overall mit der Kennung des Erkennungsdienstes trug, wandte sich an Kommissar Mansfeld.

    »Wir brauchen auch noch die Kleidung von Herrn Menem für die kriminaltechnische Untersuchung«, sagte sie in gedämpftem Tonfall. »Sie sagten, wir sollten noch warten, aber ...«

    »Sehen Sie nicht, dass der Mann völlig fertig ist?«

    »Die Spuren werden wertlos, wenn ...«

    Als Menem den Kopf hob und sie mit verengten Augen ansah, schwieg sie.

    »Was wollen Sie denn mit meiner Kleidung, Frau ...«

    »Janine Schneider, Spurensicherung. Ich bin Chemikerin und Spezialistin für Spritzspuren für die Hamburger Polizei.«

    Menem blickte an sich herab.

    »Was spielt das für eine Rolle, dass meine Kleidung mit Blut bespritzt ist? Wollen Sie mir etwa was anhängen, nur, weil ich Ausländer bin? Glauben Sie vielleicht, ich habe diese Irren dafür bezahlt, auf mich loszuballern oder was gehen in Ihrem kranken Gehirn für Gedanken vor ich?« Menem Gesicht wurde von Zornesröte überzogen.

    »Ganz ruhig, Herr Menem«, versuchte Mansfeld ihn zu beruhigen. »Wir versuchen nur Ihnen zu helfen.«

    »Helfen?«, ereiferte er ich. »Wenn man euch Polizisten braucht, seid ihr nicht da, aber wenn ihr da seid, sucht ihr euch einen aus, dessen Nase euch nicht gefällt. Dann dreht ihr die Sache so, dass ihr ihn einbuchten könnt.«

    »Herr Menem, das ist doch nicht wahr!«, widersprach Janine Schneider. »Wir brauchen Ihre Kleider nur, um unser Bild vom Hergang der Tat abzurunden und letztlich auch Ihre Aussagen zu verifizieren.«

    »Was gibt es da zu verifizieren? Es ist alles so, wie ich gesagt habe!«

    »Ist schon gut, lassen Sie mich das machen«, sagte Mansfeld an Janine Schneider gewandt.

    Sie atmete tief durch und schluckte ihren offensichtlichen Ärger herunter.

    »Viel Glück, Herr Kommissar!«, murmelte sie.

    »Herr Menem, mein Name ist Uwe Jörgensen und dies ist mein Kollege Roy Müller. Wir kommen von der Kripo und auch, wenn ich Verständnis dafür habe, dass Sie – nach dem, was Sie durchgemacht haben! - äußerst angespannt sind, müssen wir Ihnen ein paar Fragen stellen. Sie sind unser wichtigster und vielleicht sogar einziger Zeuge.«

    Menem schluckte. Er lehnte sich etwas zurück und schien noch mehr in sich zusammenzusinken. Er sah mich nur ganz kurz an und wich dann meinem Blick aus. Wie schon zu Beginn starrte er scheinbar einfach nur ins Leere.

    »Tut mir leid«, sagte er dann. »Ich ... habe vielleicht etwas überreagiert.«

    »Wir sind alle nur Menschen, Herr Menem.«

    »Ja, ja ...«

    »Erzählen Sie einfach noch einmal von Beginn an, was sich ereignet hat – so, wie Sie sich jetzt daran erinnern.«

    »Als gut. Zum letzten Mal. Und ehrlich gesagt, weiß ich noch nicht, ob ich auch nur einen Ton davon irgendwann mal vor Gericht wiederholen werde. Es war während meiner Mittagspause – und die ist normalerweise heilig für mich. Was ich hier mache, ist schließlich Kunst am Körper. Ohne bleibende Narben kann man da in der Regel nichts mehr rückgängig machen. Eine ruhige Hand ist da ausgesprochen wichtig und eine Voraussetzung dafür ist nun mal, dass man sich seine Pausen nimmt, sonst ist man irgendwann im falschen Moment unaufmerksam und der Kunde trägt die Folgen dann ein Leben lang am Körper.«

    »Aber bei diesem Kunden haben Sie eine Ausnahme gemacht«, stellte ich fest.

    »Haben Sie die Tätowierungen des Toten nicht gesehen? Der gehörte dazu. Niemand weist so einen Kunden ab, Herr Jörgensen. Niemand ... Es sei denn, dem Betreffenden ist sein Leben oder seine Gesundheit nicht so wichtig.«

    »Hatten Sie den Mann schon mal gesehen?«

    »Nein. Er kam nicht aus der Gegend, aber das spielt keine Rolle. Ich wollte keine Ärger. Er wollte eine Träne, ich habe sie ihm gestochen. Leider ist er nicht mehr dazu gekommen, mich zu bezahlen. Und auf der Rechnung für den Schaden hier im Studio werde ich vermutlich wohl sitzen bleiben.«

    »Was ist genau passiert?«, hakte ich nochmal nach.

    »Ein Van kam vorbei, hielt vor dem Laden, die Seitentür öffnete sich und dann blitzte es nur noch. Ich verstehe nichts davon, aber das war wie Hagelschlag. MPi-Feuer, nehme ich an. Mein Kunde hat noch versucht, seine eigene Waffe zu ziehen und ich habe mich einfach nur zu Boden geworfen. Dann quietschten irgendwann die Reifen des Van, und der Fahrer hat wohl das Gaspedal voll durchgetreten. Ich habe kaum noch was mitbekommen und lag einfach nur am Boden, in der Hoffnung, dass alles schnell vorüber geht. Bei Allah! Ich habe schon lange nicht mehr gebetet, aber in dem Augenblick tat ich es, das können Sie mir glauben.«

    Der Schrecken stand Rahim Anas Menem ins Gesicht geschrieben, aber irgendetwas an der Art und Weise, wie er mir seine Geschichte erzählte, überzeugte mich nicht. Ich konnte nicht sagen, was genau mich stutzig machte. Vielleicht war es einfach der Instinkt, den man sich im Laufe der Zeit in meinem Job zwangsläufig aneignet. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass er mir irgendetwas verschwieg. Da war noch etwas, was er mir eigentlich sagen wollte. Aber aus irgendeinem Grund tat er es nicht.

    »Haben Sie etwas aus dem Inneren des Vans erkennen können?«, fragte ich. »Vom Täter ...«

    »Nein.«

    »Gar nichts?«

    »Das ging alles so schnell. Da war ein Schatten. Aber es müssen mindestens zwei gewesen sein. Schließlich konnte der Schütze nicht gleichzeitig fahren.«

    »Und was ist mit dem Nummernschild? Haben Sie sich vielleicht einen Teil der Kennung merken können?«

    »Ich weiß nicht, was Sie sich alles merken können, wenn auf Sie geschossen wird, Herr Jörgensen. Ich hatte einfach nur noch Angst.«

    Ich sah ein, dass die Befragung so nicht weiterführte. Wir drehten uns im Kreis. Was immer er noch vor uns verbergen mochte, er schien nicht gewillt zu sein, es preiszugeben.

    »Kommen öfter Mitglieder dieser Gangs hierher?«, fragte ich.

    Er nickte.

    »Es hat sich herumgesprochen, dass ich der beste Tätowierer weit und breit bin. Niemand bekommt diese verschnörkelten Buchstaben so stilecht hin, wie die das haben wollen. Allerdings kommen ausschließlich Mitglieder einer Gang hierher. Wenn sich einer von den anderen beispielsweise hier blicken ließe, dann würde der seines Lebens nicht mehr froh werden.«

    6

    Die Kollegen der Schutzpolizei und des Erkennungsdienstes waren damit beschäftigt, auch auf der Straße die Spuren zu sichern. Ein Reifenprofil konnte genommen werden. Außerdem hatten wir massenweise Projektile. Der Großteil davon war in den Laden eingeschlagen, aber ein paar Kugeln steckten auch im Mauerwerk.

    Eine Gruppe junger Männer sah von der anderen Straßenseite aus dabei zu. Die Jüngsten schätzte ich auf fünfzehn, die ältesten auf Anfang dreißig. Manche hatten selbst die Gesichter fast vollkommen tätowiert.

    Roy nahm sein Handy und filmte die Gruppe mit Hilfe der Videofunktion kurz ab.

    »Die interessieren sich für unseren Fall – also sind die vielleicht auch für uns noch interessant«, meinte er.

    »Ich werde mal versuchen, mit ihnen zu reden.«

    »Sinnlos, Uwe!«

    »Wieso? Wenn ich das richtig sehe, müssten die eigentlich ein Interesse daran haben, dass der Täter gefasst wird.«

    »Ich schätze, die regeln das lieber unter sich, Uwe.«

    Ich ging über die Straße. Die Männer sahen mir ruhig entgegen.

    »Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei«, sagte ich und hielt meine Marke hoch. Roy folgte mir. »Der Mann, der hier umgebracht wurde, hieß Adnan Kaplanoglu. Kennt den hier jemand?«

    Die Antwort war Schweigen.

    Dann trat schließlich einer der Kerle vor. Er war vermutlich der Älteste in der Gruppe: Ende zwanzig oder Anfang dreißig.

    Sein Schädel war vollkommen kahl rasiert, und er trug eine Tätowierung - einen von Schlangen umrankten arabischen Schriftzug.

    »Wallah! Hören Sie zu, Bulle! Am besten Sie verschwenden hier nicht Ihre Zeit. Die Schuldigen an diesem Mord wird schon ihre Strafe ereilen, darauf können Sie wetten. Aber dazu brauchen wir weder die Kripo noch irgendwelche anderen Bullen!«

    »Vielleicht fällt ja doch noch jemandem hier irgendetwas ein, was er beobachtet hat. Ich erwarte nicht, dass einer von Ihnen meine Visitenkarte annimmt, aber unser Polizeipräsidium hat eine übersichtliche Homepage. Da stehen die Telefonnummern von Ansprechpartnern drauf und wenn etwas hier mit dem Fall zu tun hat, wird es mich erreichen.«

    »Hier wird niemand mit Ihnen reden«, sagte der Kerl. »Sie können sich Ihre Bemühungen gleich sparen.«

    »Pardon, aber in diesem Punkt lässt uns das Gesetz keinen Spielraum.«

    »Lass uns gehen, Mahmut«, meinte einer der anderen Kerle.

    Der Mann, dessen eintätowierter Kopfschmuck ihn als »geborene Killerameise« auswies, erwiderte etwas. Wenn man kein Wort versteht, achtet man auf andere Dinge umso mehr. Zum Beispiel den Tonfall und die Art und Weise, wie etwas gesagt wird. Mir fiel die betonte Aggressivität auf. Gleichzeitig schien Mahmut Schwierigkeiten zu haben, einen offen anzusehen. Das galt in Bezug auf seine eigenen Leute genauso wie bei Roy und mir. Er trat auf mich zu, so nahe, dass ich seinen Schweiß riechen und die kleinen Unsauberkeiten bei seinen Tattoos sehen konnte. All die Buchstaben und Tränen, die sich im Laufe der Zeit auf Mahmuts Haut angesammelt hatten, waren von höchst unterschiedlich begabten Tätowierern gemacht worden, wie mir schien. Das konnte sogar ich erkennen, und ich bin in diesem Punkt nun wirklich kein Fachmann. Bis jetzt habe ich allen freundlichen Angebote, die mir während meiner Arbeit in dieser Hinsicht manchmal gemacht werden, widerstehen können. Kein Tattoo kommt auf meine Haut. Ich möchte einfach ein unbeschriebenes Blatt bleiben – schon deshalb, weil alles andere bei bestimmten verdeckten Einsätzen schlicht lebensgefährlich wäre.

    »Passen Sie gut auf sich und Ihren Partner auf, Bulle!«, murmelte Mahmut. Er grinste schief. »Hier passiert so viel! Das wissen Sie doch, oder? Wallah! Jedenfalls sollten Sie sich hinterher nicht darüber beklagen, dass Sie es nicht gewusst haben!« Dann drehte er sich um und zog mit seinen Leuten davon. Sie verschwanden hinter der nächsten Ecke.

    7

    In der Nähe gab es ein Bestattungsunternehmen. Im Schaufenster wurden ein paar Sargmodelle präsentiert.

    »Wie passend!«, meinte Roy.

    »Ehrlich gesagt, ist mir im Moment nicht nach Witzen zumute, Roy.«

    »War auch nicht witzig gemeint«, gab mein Kollege zurück. »Man müsste eigentlich von dem Geschäft aus einen guten Blick auf die Stelle haben, von der aus auf das Tattoo-Studio geschossen wurde. Vielleicht hat ja da jemand was gesehen.«

    Am Anfang einer Ermittlung muss man immer versuchen, so viele Zeugenaussagen wie möglich zu bekommen. Solange die Erinnerung noch einigermaßen frisch ist, taugen diese Aussagen auch was. Zeugen, die man erst später auftreiben kann, sind hingegen oft problematisch. Ich hatte schon erlebt, dass Menschen felsenfest davon überzeugt waren, sich an etwas zu erinnern, das sie in Wahrheit in den Nachrichten des Lokalfernsehens gesehen hatten.

    Wir gingen zu dem Bestattungsgeschäft. Es hieß 'Die letzte Ruhe'.

    Vielleicht hatten wir Glück und es gab vielleicht sogar eine Überwachungskamera, die etwas aufgezeichnet hatte.

    Roy bezweifelte das allerdings. Särge und Grabschmuck waren schließlich nichts, was Einbrecher anlockte, wie es vielleicht bei einem Juwelier der Fall gewesen war.

    Wir traten ein.

    Ein hagerer Mann in einem dunklen, dreiteiligen Anzug mit weißer Krawatte stand hinter dem Tresen. Er sprach uns an. Er muss wohl unseren Gesichtern angesehen haben, dass wir ihn nicht verstanden. Ich zeigte ihm meinen Ausweis. »Jörgensen, Kriminalpolizei. Dies ist mein Kollege Müller.«

    »Was kann ich für Sie tun?«

    »Schräg gegenüber ist ein Tattoo-Studio.«

    »Ja, es gehört Herrn Menem. Hier kennt jeder jeden.«

    »Dann werden Sie auch sicher schon davon gehört haben, was dort geschehen ist.«

    »Das Verbrechen nimmt überhand, wenn Sie mich fragen. Es ist furchtbar. Aber ich wüsste nicht, was ich in dieser Sache für Sie tun kann.«

    »Uns vielleicht sagen, was Sie beobachtet haben. Durch Ihr Fenster ...«

    »Es tut mir leid, ich war nicht hier.«

    »Aber ...«

    »Ich war auf dem Friedhof an der Stadionstraße, ein paar Straßen weiter, um in der Kapelle den Grabschmuck der letzten Beerdigung wegzuräumen. Man kriegt ja kein Personal!«

    »Wieso nicht?«

    »Das sollten Sie eigentlich wissen.«

    »Was meinen Sie damit?«

    »Es gibt leichtere Möglichkeiten, Geld zu verdienen, als Särge zu schleppen und Gräber auszuheben. Auf den ersten Blick scheint es vielen ein leichterer Weg zu sein, mit Kokain oder Crack zu dealen.«

    Ich gab ihm meine Karte.

    »Falls Sie irgendetwas hören, was mit den Schüssen auf Herrn Menems Tattoo Studio zu tun haben könnte, dann lassen Sie es uns bitte wissen.«

    »Natürlich!«

    8

    Es war schon spät, als wir ins Polizeipräsidium am Bruno-Georges-Platz zurückkehrten. Die Arbeiten am Tatort hatten sich hingezogen – ebenso wie unsere Versuche, in der Nachbarschaft des Tattoo-Studios von Rahim Anas Menem irgendjemanden zum Reden zu bringen. Es gab Anwohner, die eigentlich etwas gesehen habe mussten, nun aber behaupteten, gerade in diesem Moment nicht aus dem Fenster gesehen zu haben. Mit den Gangs wollte sich niemand anlegen. Schon gar nicht, wenn die ihren andauernden Kleinkrieg untereinander ausfochten.

    Wir suchten Herrn Bock in seinem Büro auf. Unser Chef gehörte stets zu den ersten die morgens im Präsidium waren und zu den letzten, die manchmal bis spät in der Nacht noch im Polizeipräsidium auf ihrem Posten waren.

    Bei ihm im Büro waren Max Warter aus dem Innendienst unserer Fahndungsabteilung und Stefan Czerwinski. Er war nach Herr Bock der zweite Mann bei uns im Präsidium.

    Davon abgesehen hatte auch noch ein Mann mit dichtem, dunklem Haar in einem der Sessel Platz genommen. Sein Alter war schwer zu schätzen. Irgendetwas zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig, so nahm ich an. Aber für den Fall, dass seine Haare und vor allem ihre Färbung nicht echt waren, waren auch zehn Jahre mehr drin. In unserem Job bekommt man einen Blick dafür. Und noch etwas anders fiel mir auf. Unter seinem linken Auge befand sich eine Narbe. Die konnte durch alles Mögliche verursacht worden sein. Eine entzündete Windpocke im Kindesalter, ein entferntes Muttermal, ein Abszess ... Ich dachte in diesem Augenblick zuerst an die Entfernung einer tätowierten Träne. Aber wenn man sehr intensiv in einen Fall involviert ist, beginnt man manchmal auch Gespenster zu sehen.

    »Schön, dass Sie da sind! Dann können Sie uns gleich auf den neuesten Stand der Dinge bringen«, meinte Herr Bock an uns gerichtet. »Aber zuvor darf ich Ihnen Tarik Yagmur vorstellen. Er hat einige Jahre für die Drogenfahndung als verdeckter Ermittler gelebt, gegen türkisch-libanesische Clans ermittelt und hat hervorragende Kenntnisse über die Organisation der Al-Kubba-Gangs, die uns bei unseren gegenwärtigen Problemen hier in Hamburg sehr von Nutzen sein können. Er wird mit uns zusammenarbeiten.« Herr Bock wandte sich an Yagmur. »Herr Yagmur, dies sind die Kommissare Uwe Jörgensen und Roy Müller.«

    Yagmur nickte uns knapp zu. Sein Lächeln war geschäftsmäßig und kühl.

    »Freut mich!«, sagte er.

    Wir setzten uns.

    Also doch!, dachte ich. Mit der Annahme, dass es sich bei der Narbe unter dem Auge um eine entfernte Träne handelte, hatte ich offenbar gar nicht so falsch gelegen.

    »Ein verdeckter Ermittler in diesen Gangs?«, fragte Roy. »Alle Achtung, das ist ungewöhnlich!«

    »Ich war mal Teil dieses Milieus«, erklärte Tarik Yagmur. »Außerdem bin ich genau in den Vierteln aufgewachsen, in denen der Weg in die Gang normalerweise vorgezeichnet ist.«

    »Hier in Hamburg?«, hakte Roy nach.

    Ein breites Lächeln erschien auf Tarik Yagmurs Gesicht. »Sie wollen es aber ganz genau wissen, Herr Müller.«

    »Sie können mich ruhig Roy nennen.«

    »Wollen Sie auch noch wissen, wie einer wie ich als Ermittler bei der deutschen Drogenpolizei gelandet ist?«

    »Das dürfte eine ungewöhnliche Geschichte ein.«

    »Nein, eigentlich nicht. Nachdem mein bester Freund zu Tode gequält wurde, weil man ihn verdächtigte, ein Verräter zu sein, war für mich die Entscheidung gefallen.«

    »Sie haben Ihr Leben dem Kampf gegen die Gangs gewidmet«, meinte Roy.

    Er nickte.

    »Ich sehe, Sie verstehen das, Roy.«

    Und damit hatte er recht. Denn, wenn man sich dem Kampf gegen das Verbrechen widmet, dann tut man das nicht aus materiellen Gründen oder weil man unbedingt Karriere machen will. Man tut das, weil man daran glaubt, dass es richtig ist und die Schwachen jemanden brauchen, der sie schützt. Viele Polizisten opfern sehr viel dafür. Ein normales Privatleben führen zum Beispiel die wenigsten. Aber kaum einer wäre bereit, sich um dieser guten Sache willen Tränen ins Gesicht tätowieren zu lassen, nur um in der Gang nicht aufzufallen. Ich fragte mich, ob es da ein geschickter Maskenbildner nicht auch eine überzeugende kosmetische Lösung hätte finden können. War Yagmur das Risiko zu groß gewesen?

    »Es hat sich jemand bei uns gemeldet, der überlaufen will«, ergriff nun wieder Herr Bock das Wort. »Sein Name ist Mahmut Museweni. Kein großes Tier in der Hierarchie, aber er genoss bisher das besondere Vertrauen von Ferhat Emran und wäre bereit, ihn hochgehen zu lassen.«

    Ferhat Emran war der Chef der Al-Kubba-Gang für den Großraum Hamburg. Wenn es uns gelang, den aus dem Verkehr zu ziehen, wäre das ein schwerer Schlag für die Gang gewesen. Allerdings war es schwierig an ihn heranzukommen, obwohl er mit Dutzenden von Morden in Verbindung gebracht wurde. Aber jemand wie Ferhat Emran tötete nicht mehr selbst. Es gab genug junge Gang-Mitglieder, die sich ihre Tränen verdienen wollten. Junge Männer zumeist, die normalerweise auch dann noch eisern über ihren Auftraggeber schwiegen, wenn der Staatsanwalt ihnen ein großzügiges Angebot machte.

    Umso erstaunlicher war der Sinneswandel, den dieser Mahmut Museweni offenbar hinter sich hatte.

    »Sie beide sollen sich morgen mit Mahmut Museweni treffen«, sagte Herr Bock. »Der Treffpunkt ist ein Café in Altona.«

    »Also weit genug vom Schuss«, meinte ich.

    »Herr Museweni legt sicher keinen Wert darauf, irgendeinen seiner Freunde aus Altona dort zu sehen«, nickte unser Chef. »Herr Yagmur wird Sie begleiten. Alles weitere bekommen Sie morgen früh mitgeteilt.«

    »Ich bin gespannt, ob Mahmut wirklich ernst macht«, sagte Tarik Yagmur.

    »Das klingt, als ob Sie ihn kennen«, stellte ich fest.

    Yagmur lachte kurz auf.

    »Und ob ich ihn kenne. Ich habe ihn gewissermaßen dazu überredet, die Seite zu wechseln. Er trägt ein Tattoo auf dem kahlen Schädel: Geboren als Al-Kubba auf Arabisch. Ich schreibe es Ihnen auf, damit Sie es erkennen.«

    Ich wechselte einen überraschten Blick mit Roy.

    »Scheint so, als wären wir ihm auch schon begegnet«, äußerste sich mein Kollege.

    »Also dann, bis morgen«, meinte Yagmur. Er sah auf die Uhr und wandte sich an Herr Bock. »Wenn Sie gestatten – ich habe heute Abend noch etwas vor.«

    »Das ist schon in Ordnung. Wir haben für heute alles besprochen«, sagte Herr Bock.

    Yagmur trank seinen Kaffeebecher aus und verabschiedete sich.

    »Ich will offen sein: Der Kerl gefällt mir nicht!«, sagte ich.

    »Er ist aber in Ordnung«, antwortete Stefan. »Vor allem kennt er sich in der Szene der Gangs wirklich aus.«

    »Ich hatte Einblick in seine Akten«, erklärte nun Herr Bock. »Seine Erfolge für die Drogenfahndung sind beeindruckend.«

    »Vielleicht sehe ich ja auch Gespenster.«

    »Uwe, ich weiß Ihren Instinkt zu schätzen, aber vielleicht sehen Sie im Moment ein Haar in der Suppe, wo nichts zu beanstanden ist.«

    »Ich kann es nicht erklären – aber der Kerl gehört einfach nicht zu den Leuten, denen ich gerne vertraue.«

    »Er wollte sich am liebsten allein mit Museweni treffen – aber ich habe darauf bestanden, dass Sie beide dabei sind«, erläuterte Herr Bock die Situation. »Schließlich ist das Ganze eine Operation der Kriminalpolizei und Herr Yagmur ist lediglich von der Drogenfahndung abgestellt worden, um uns zu unterstützen.«

    9

    Nachdem wir Herr Bocks Büro verließen, gingen wir noch in das Dienstzimmer, das Roy und ich uns teilten. Roy fuhr noch mal den Rechner hoch. Er rief das Datenmaterial über Mahmut Museweni ab, das man über SIS bekommen konnte.

    »Da kommt ja eine ziemliche Liste von Delikten zusammen«, meinte er. »Mit mindestens drei Mordfällen wird Museweni in Verbindung gebracht.«

    »Aber er würde kaum noch frei herumlaufen, wenn man ihm etwas beweisen könnte«, gab ich zurück.

    »Trotzdem - irgendwie schmeckt es mir nicht, dass so einer ungeschoren davonkommt.«

    »Wenn wir dafür einen richtig großen Hai an den Haken bekommen, ist es das wert«, fand ich.

    Roy zuckte mit den Schultern.

    »Das wird sich erst noch zeigen müssen.« Er tippte wie wild auf der Tastatur herum.

    »Was machst du da noch?«, fragte ich und unterdrückte ein Gähnen. »Ganz ohne Schlaf kommst du vermutlich auch nicht aus, Roy. Also komm schon – morgen ist auch noch ein Tag!«

    »Dachte ich es mir doch!«, murmelte er.

    »Was?«

    Roy lehnte sich zurück.

    »Ach, es geht um Herrn Ghasils Friseurladen. Der ganze Block ist im Besitz einer deutschen Großbank. Ghasil hatte den Salon nur gemietet und dass diese Bank nur ein einziges Ladenlokal verkauft, wäre völlig unlogisch.«

    »Und was schließt du daraus?«, fragte ich.

    »Das weiß ich auch noch nicht.«

    »Und warum sollte deiner Meinung nach jemand ein falsches 'Zu verkaufen'-Schild aufgestellt haben?«

    »Frag mich was Leichteres, Uwe! Aber mir geht das einfach nicht aus dem Kopf.«

    »Dieser Ghasil genießt vielleicht inzwischen irgendwo unter südlicher Sonne sein Leben, Roy.«

    »Und wenn das genau der Anschein ist, der erweckt werden soll?«

    Ich hob die Augenbrauen.

    »Du würdest wohl einfach mal gerne in das Gebäude gehen, oder wie soll ich das verstehen? Dazu haben wir keine rechtliche Handhabe.«

    »Wenn wir die Erlaubnis des Besitzers haben, schon. Und die werde ich mir morgen holen!«

    10

    Am nächsten Tag fuhren wir zu Fati's Café in Altona. Als wir eintrafen, war Tarik Yagmur schon dort. Er kaute auf einem Donut herum und las in einer Zeitung.

    »Ich schlage vor, Sie überlassen mir das Reden«, sagte er. »Dann sparen wir viel Zeit. Schließlich kenne ich Mahmut.«

    »So?«

    »Ich war dabei, als die Übereinkunft mit dem Staatsanwalt getroffen wurde. Er weiß, dass ich ein ehemaliger Al-Kubba bin, der ausgestiegen ist, auch wenn ihm natürlich nicht auf die Nase gebunden wurde, dass ich danach noch als verdeckter Ermittler gearbeitet habe. Aber die Tatsache, dass ich noch lebe und den Sprung auf die andere Seite geschafft habe, dürfte ihn dazu ermutigt haben, es auch zu versuchen.«

    »Aber vergessen Sie nicht, dass die ganze Sache eine Operation der Kriminalpolizei ist«, gab ich zu bedenken.

    Er hob die Augenbrauen.

    »Wollen Sie mir jetzt mit irgendwelchen kleinkarierten Kompetenzgrenzen kommen?«, fragte er.

    Ich schüttelte den Kopf.

    »Kein Gedanke. Ich überlasse Ihnen gerne den Vortritt, aber es darf keine Alleingänge geben.«

    »Das vergesse ich tatsächlich manchmal«, gab er zu. »Allerdings ist das auch kein Wunder. In der Zeit, in der ich verdeckt ermittelt habe, war ich sehr stark auf mich allein gestellt.«

    »Wie lange dauerte dieser Einsatz genau?«, fragte ich.

    Sein Lächeln wurde wieder breit.

    »Es tut mir leid, aber sämtliche Angaben dazu unterliegen der absoluten Geheimhaltung. Also haben Sie Verständnis dafür, dass ich dazu nichts sage, bevor mir nicht jemand von oben grünes Licht gibt.«

    Ich wechselte einen kurzen Blick mit Roy und sah, dass ihn dieselbe Frage beschäftigte wie mich: War Tarik Yagmur nur geschickt meiner Frage ausgewichen oder waren die Geheimhaltungsvorschriften bei der Drogenfahndung tatsächlich so viel strenger als bei uns. Letzteres konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen.

    Wenig später traf Mahmut Museweni ein. Es handelte sich tatsächlich um jenen »Mahmut«, dem ich gegenüber von Rahim Anas Menem' Tattoo-Studio begegnet war. Allerdings hatte er sich etwas verändert und ich hätte ihn auf den ersten Blick nicht erkannt. Er trug eine Strickmütze, so dass man den kahlen Schädel mit dem eintätowierten arabischen Schriftzug 'Geboren als Al-Kubba’' nicht sehen konnte. Selbst die Tattoo-Tränen in seinem Gesicht waren kosmetisch so verändert, dass man sie im ersten Moment für Muttermale halten konnte.

    Er stutzte, als er mich sah. Dann näherte er sich und setzte sich zu uns. Er wandte sich an Tarik Yagmur, den er offenbar kannte.

    »Sie haben nicht gesagt, dass noch jemand dabei ist«, beklagte er sich.

    »Tut mir leid, Mahmut, aber so läuft das nun einmal. Ferhat Emran ist ein Fall für die Kriminalpolizei, und ich helfe den Kollegen eigentlich nur etwas aus.«

    »Sie können uns vertrauen, Herr Museweni«, sagte ich. »Wenn Sie ehrlich spielen, tun wir es auch.«

    Mahmut Museweni atmete tief durch.

    »Also gut. Sie wollen Ferhat Emran – und ich will ein anderes Leben und die Genugtuung, dass Emran am Ende doch noch bezahlen muss.«

    »Was hat er Ihnen angetan, dass Sie ihn so hassen?«, fragte ich.

    Er sah mich an.

    »Meine Schwester hat sich mit jemandem getroffen, dessen Bruder bei der Gang war – man hat sie dann irgendwann auf einer Müllhalde in einem Plastiksack gefunden. Und jetzt ist plötzlich mein Onkel verschwunden, weil er sich angeblich mit den falschen Leuten getroffen hat und außerdem seinen Friseursalon nicht mehr als Crackhaus zur Verfügung stellen wollte.«

    »Ein verschwundener Friseur«, fragte ich. »Sprechen Sie zufällig von einem gewissen Nureddin Ghasil?«

    Mahmut Museweni runzelte die Stirn.

    »Sie sind ja besser informiert, als ich dachte«, stellte er fest.

    »Haben Sie irgendeine Ahnung, was mit Herr Ghasil geschehen sein könnte?«

    Museweni zuckte mit den Schultern. Sein Gesicht wurde dunkelrot. Er schien noch zu überlegen, ob er wirklich darüber sprechen sollte.

    »Machen Sie reinen Tisch, packen Sie aus!«, mischte sich Roy ein. »Dies ist ein informelles Treffen. Und außerdem hat der Staatsanwalt Ihnen für bestimmte Delikte eine Immunität zugesagt, also können Sie frei reden.«

    Museweni verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Was würden Sie dann unternehmen? Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder ist er geflohen und untergetaucht, oder man findet ihn irgendwann in nächster Zeit im Elbe – von den Fischen so zernagt, das man ihn vermutlich nicht mehr identifizieren kann. Irgendein ein junger Idiot hat sich damit eine Träne verdient und der Gang auf Lebenszeit verpflichtet.«

    »So wie Sie«, stellte ich fest.

    Er zögerte und nickte dann kurz.

    »Ja«, murmelte er langsam. »So wie ich. Haben Sie ein Problem damit?«

    »Nein«, sagte ich. »So ist nun mal unser Rechtssystem. Und ich weiß, dass Sie einen hohen Preis dafür zahlen werden, dass Sie die Seiten wechseln.«

    Das Zeugenschutzprogramm war für diejenigen, die es in Anspruch nahmen, keineswegs ein einfacher Weg. Es hieß, dass man alle früheren Bindungen hinter sich ließ. Und ein einziger falscher Anruf, eine Unachtsamkeit, eine Kontaktaufnahme mit jemandem aus dem früheren Leben konnte den Tod bedeuten. Die Gang jedenfalls verfolgte die wenigen Abtrünnigen, die es gab, mit einer selbst für die Verhältnisse des organisierten Verbrechens beispiellosen Unerbittlichkeit.

    Museweni beugte sich vor.

    »Es gibt in Jenfeld das Gelände einer ehemaligen Spedition. Dornbach & Partner ist der Name. Die Adresse werden Sie wohl ohne meine Hilfe herauskriegen. Die Firma hat vor einiger Zeit Pleite gemacht. Jetzt stehen da noch ein paar ausgeschlachtete Trucks, die niemand haben will. Das Gelände eignet sich hervorragend, um einen großen Deal über die Bühne zu bringen – vor allen Dingen deshalb, weil es von mehreren Seiten angefahren und verlassen werden kann.«

    »Ich kenne das Gelände«, erklärte Tarik Yagmur. »Wann genau findet die Sache statt?«

    »Morgen Nacht, irgendwann nach Mitternacht. Genauer kann ich es nicht sagen. Ferhat Emran bekommt einen Anruf auf einem Prepaid-Handy, und dann geht es los. Diesmal wird eine ganze Lastwagenladung Drogen den Besitzer wechseln.«

    »Wenn wir Emran auf frischer Tat erwischen, ist er für viele Jahre weg vom Fenster«, meinte Yagmur.

    »Ich will hoffen, dass ihr es nicht vermasselt«, zischte Mahmut Museweni zwischen den Zähnen hindurch. »Ich werde übrigens auch dabei sein. Es wäre also sehr nett, wenn Ihre Scharfschützen nur dann von der Waffe Gebrauch machen, wenn ich nicht im Schussfeld bin.«

    »Keine Sorge«, erwiderte Yagmur. »Beim Kriminalkommissariat tun ausschließlich die Besten ihren Dienst – habe ich nicht recht!«

    »Wallah, dein Gerede kannst du dir sparen!«, knurrte Museweni ihn an. »Ich will einfach nur, dass das alles reibungslos über die Bühne geht!« Er sah auf die Uhr. »Ich war schon lange genug hier ...« Er erhob sich, grüßte knapp und ging, nachdem er sich mehrmals umgedreht hatte.

    »Ferhat Emran mit einer Ladung Kokain und einem Koffer voller Geld in flagranti bei einem Deal erwischt – das ist es doch, wovon wir alle träumen«, meinte Tarik Yagmur. »Und die Staatsanwaltschaft erst recht!«

    »Was halten Sie von Museweni? Kann man sich auf ihn verlassen?«, fragte ich.

    Yagmur zuckte mit den Schultern.

    »Das weiß man immer erst hinterher, wenn alles glatt über die Bühne gegangen ist. Aber Tatsache ist, dass er sein Leben riskiert. Ich habe ihm eine Wohnung organisiert, in der er nach dem Deal erst mal abtauchen kann.«

    »Normalerweise übernehmen wir so etwas.«

    »Ja, das wollte Museweni nicht. Er vertraut mir vielleicht zu zehn Prozent – Ihnen gar nicht. Und ich verstehe ihn.«

    »Wieso?«

    Tarik Yagmur beugte sich etwas vor und sprach in gedämpftem Tonfall.

    »Sie ahnen nicht, wie weit der Arm dieser Leute reicht. Die erfahren Dinge, wo Sie sich fragen, wie das überhaupt möglich ist.«

    Wir verließen Fati's Café. Draußen hatte unangenehmer Nieselregen eingesetzt. Ein grauer, trüber Tag, dem man ansah, dass er nichts Gutes mehr bringen konnte.

    »Was haben Sie heute noch vor?«, fragte Yagmur. »Ich meine – ermittlungstechnisch.«

    Ich sah ihn an.

    »Wir müssen noch zu Dr. Heinz. Und dann muss der Einsatz in Jenfeld vorbereitet werden. Ich nehme an, dass Herr Bock die Unterstützung der Polizei von dort anfordern wird, um das Gelände weiträumig abzusperren.«

    »Zu Dr. Heinz würde ich Sie gerne begleiten. Gibt es schon einen ballistischen Bericht?«

    »Kommt heute Nachmittag. Was glauben Sie, warum der Kerl im Tattoo-Studio sterben musste?«

    »Ich nehme an, dass die Konkurrenz die anderen Gangs waren – und nicht etwa ein Racheakt der eigenen Leute. Das Opfer ist vermutlich ein Kurier oder ein Verbindungsmann gewesen. So weit ich informiert bin, kam er aus München.«

    »Das trifft zu.«

    »Eben! Die Gang-Mitglieder haben ihn auf seiner Reise abgefangen.«

    »Aber der Tätowierer hat ausgesagt, dass dieser Adnan Kaplanoglu eine Träne gestochen haben wollte. Wieso lässt sich ein Al-Kubba hier in Hamburg eine Träne stechen, anstatt in seinem heimischen Gang-Revier?«

    »Weil er sie sich erst kurz zuvor verdient hat, nehme ich an.«

    »Dann ist Kaplanoglu wegen eines Auftragsmordes hier gewesen?«

    Yagmur zuckte mit den Schultern.

    »Das wäre eine logische Schlussfolgerung. Wenn er mit der Träne nach München zurückgekehrt wäre, brauchte er noch nicht einmal ein Wort über die Erledigung seines Auftrags zu verlieren.«

    »Man hätte es ihm im Gesicht angesehen«, stellte Roy fest.

    Yagmur nickte. »Genau!«

    11

    Auf dem Friedhof in Altona stand ein Mann mit einer dunkelblauen Jacke. Er hatte sich den Kragen hochgestellt, weil ein unangenehmer Wind durch die umliegenden Häuserzeilen fegte. Es war feucht und dunstig geworden. Leichter Nieselregen hatte eingesetzt, und das trostlose Wetter war wie ein Spiegelbild seiner Seele. Er stand an einem Grab, auf das er frische Blumen gelegt hatte. Eine Grablicht flackerte unruhig und schien verzweifelt gegen das Verlöschen anzukämpfen.

    'Nicht gegangen, sondern fortgerissen' war in den Stein gemeißelt. Und der Mann in der blauen Jacke stand mit glasigem Blick und Tränen in den Augen da.

    Aber die Fäuste, die er tief in den Taschen vergraben hatte, waren geballt. Und eine davon umfasste den Griff einer Waffe.

    Er stand immer noch genauso regungslos da, als ein heftiger Schauer einsetzte, der das Grablicht verlöschen ließ. Das Wasser tropfte ihm von Kinn und Ohren und lief ihm in den Jackenkragen, aber das alles spürte er kaum. Seit einiger Zeit spürte er ohnehin kaum noch etwas, so kam es ihm vor. Innerlich fühlte er sich wie tot, einem Zombie gleich, der nur noch den Anschein erweckte, ein lebendiger Mensch zu sein.

    Dieser Zustand hatte allerdings einen Vorteil. Er hatte keine Furcht mehr.

    Vor nichts und niemandem.

    Schließlich ging ein Ruck durch ihn. Er wandte sich von dem Grab ab und ging davon, vorbei an einer kleinen Kapelle, die zum Friedhof gehörte. Seine Schritte beschleunigten sich.

    Eine Sache musst du noch zu Ende bringen!, dachte er. Sonst wird es niemand tun!

    12

    Wir machten uns auf den Weg zu Dr. Heinz. Aber dort kamen wir nicht an. Dr. Bernd Heinz rief uns an, dass unser Termin in seinem Sektionsraum im Gebäude des Erkennungsdienstes leider ausfallen musste. Er war zu einem Tatort in Altona gerufen worden.

    »Ist ein Friseur, dessen Geschäft angeblich zum Verkauf bestimmt war«, erklärte uns der Gerichtsmediziner über die Freisprechanlage, während wir uns gerade auf dem Weg zu ihm befanden.

    »Sein Name ist nicht zufällig Nureddin Ghasil?«, hakte Roy nach.

    »Doch – genau so heißt er«, bestätigte Dr. Heinz.

    »Wir sind gleich bei Ihnen – und was es über die Obduktion von Adnan Kaplanoglu zu berichten gibt, können Sie uns dann vielleicht schon mal zusammenfassen.«

    »Ich habe es gewusst, dass da was nicht in Ordnung war«, stellte Roy fest und ballte die Hände zu Fäusten. Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte einfach die Tür aufbrechen und hineingehen sollen!«

    »Du hättest es nicht verhindern können!«

    Auch, wenn Dr. Heinz es nicht ausdrücklich gesagt hatte, aber ich nahm an, dass Nureddin Ghasil schon längst tot gewesen war, als Roy vor seinem Laden gestanden hatte.

    »Trotzdem!«, murmelte er. »Der Täter hat jetzt einen wertvollen Vorsprung.«

    Roy rief noch kurz Yagmur an, der in seinem eigenen Wagen hinter uns her fuhr. In knappen Worten informierte er ihn darüber, dass sich unser Fahrziel geändert hatte.

    »Dann werde ich Sie nicht begleiten«, erklärte Yagmur. »In Altona möchte ich ungern in der Gesellschaft von Polizei gesehen werden.«

    »Schon in Ordnung«, sagte ich.

    »Wir sehen uns dann bei der Einsatzplanung für morgen Nacht im Präsidium.«

    Yagmur beendete das Gespräch.

    »Seltsamer Typ«, meinte Roy.

    »Zurzeit hast du deine misstrauische Phase, was?«

    »Bei Nureddin Ghasil hatte ich doch recht.«

    Ich atmete tief durch. »Leider.«

    ––––––––

    13

    Wir erreichten den Friseursalon von Nureddin Ghasil und stellten unseren Wagen zwischen die Einsatzfahrzeuge, die sich dort inzwischen angesammelt hatten.

    Unsere Dienstausweise sorgten dafür, dass man uns passieren ließ. Der mit Kanada-Platten vernagelte Eingang zum Friseursalon war aufgebrochen worden. Wir gingen hinein.

    Der Tote saß auf einem seiner Friseurstühle. Die Kleidung war überall blutdurchtränkt. Sein Gesicht war kaum noch zu erkennen. In der Linken hielt er eine Pistole, deren Lauf in seinen Mund gesteckt worden war. Der Griff war mit einem Stück Draht an der erschlafften Hand befestigt. Nureddin Ghasils Augen waren weit aufgerissen.

    Dr. Bernd Heinz war gerade damit beschäftigt, Fotos zu machen. Die Auswertung von Fotos war inzwischen auch für Gerichtsmediziner zu einem immer wichtigeren Instrument der Aufklärung geworden. Und viele von ihnen verließen sich dabei auch nicht mehr auf die Bilder ihrer Kollegen, sondern fertigten selbst welche an. Das galt ebenso für andere Wissenschaftler, die beim Erkennungsdienst oder in unserem eigenen Erkennungsdienst beschäftigt waren. Jede der einzelnen Disziplinen hatte da so ihre eigenen Gesichtspunkte, die bei der Erstellung der Tatortfotos wichtig waren.

    »Das sieht aus wie eine schauerliche Inszenierung«, entfuhr es Roy.

    Ich nickte.

    »Ja – jemandem sollte gezeigt werden, dass er besser geschwiegen hätte.«

    Nureddin Ghasils Tätigkeit als Informant war ihm offenbar letztlich doch noch zum Verhängnis geworden.

    Dr. Heinz überprüfte kurz die Bildausschnitte im Display seiner Digitalkamera und wandte seine Aufmerksamkeit dann anschließend uns zu.

    »Der Mann ist mindestens zwei Tage tot«, erklärte er. »Ob er an den Misshandlungen starb und der Schuss in den Mund erst hinterher inszeniert wurde, muss ich bei der Obduktion überprüfen. Es spricht aber einiges dafür.«

    »Sie wollten uns noch etwas über Adnan Kaplanoglu sagen«, erinnerte ich ihn.

    »Ich hätte es ihnen gerne im Sektionsraum am Toten gezeigt.«

    »Ich bin überzeugt davon, dass wir es auch so begreifen werden«, mischte sich Roy ein.

    »Es ist nur eine feine Kleinigkeit und ich weiß auch nicht, ob und was sie zu bedeuten hat. Aber der Tätowierer hat seine Arbeit offenbar nach dem Anschlag noch fortgesetzt.«

    »Wie bitte?«, fragte ich.

    »Ja – ich hätte es zuerst gar nicht bemerkt, aber dann brachten mich die Tatort-Fotos darauf. Die Stelle um die Träne hätte mit Blut vollgespritzt sein müssen. Aber unterhalb des Auges wurde gewischt – und das kann nur bedeuten, dass die letzte Träne nach dem Tod gestochen wurde. Dann habe ich mir die Tätowierung selbst etwas näher angesehen, und der Befund ist eindeutig. Post mortal.«

    »Aber – warum sollte ein Tätowierer, der bei dem Anschlag selbst nur knapp mit dem Leben davongekommen ist, zuerst in aller Seelenruhe seine Arbeit zu Ende bringen, bevor er die Polizei ruft?«, fragte ich.

    »Das sollten Sie ihn vielleicht mal selbst fragen«, riet Dr. Heinz. »Wie gesagt, ich weiß nicht, was es bedeutet und was die Todesursache von Adnan Kaplanoglu angeht, gibt es auch keinerlei Überraschungen. Dessen Körper war so von Kugeln durchsiebt, dass mindestens ein halbes Dutzend davon für sich genommen schon tödlich gewesen wären.«

    Konnte es sein, dass der Tätowierer so unter Schock stand, dass er in einer solchen Situation seine Arbeit einfach fortsetzte, so, als wäre nichts gewesen? Rahim Anas Menem hatte auf mich tatsächlich einen ziemlich traumatisierten Eindruck gemacht und es gab durchaus Fälle, in denen Menschen, die entweder Opfer oder Zeuge eines Verbrechens geworden waren, danach völlig sinnlos ihren täglichen Verrichtungen nachgingen, als sei nichts gewesen.

    Aus einem der Nebenräume kam jetzt Kommissar Mansfeld zusammen mit einem Spurensicherer des Erkennungsdienstes hervor.

    »Ich hätte Sie noch verständigt«, versicherte er, als er Roy und mich entdeckte. »Aber nachdem ich mitbekommen habe, dass Dr. Heinz das schon erledigt hat ...«

    »Schon gut«, sagte ich.

    »Wer hat Sie alarmiert?«, fragte ich.

    »Das war eine anonyme Anruferin. Sie behauptete, gesehen zu haben, wie Herr Ghasil vor seinem Laden abgefangen wurde.«

    »Von wem?«

    »Die Frau sprach von einem Mann. Er hat Ghasil zurück in den Laden geschoben und dann hat die Zeugin durch das Fenster sehen können, wie der Täter den Friseur

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