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Wenn Alpträume wahr werden ...
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eBook506 Seiten6 Stunden

Wenn Alpträume wahr werden ...

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Über dieses E-Book

Reinhard Heilmann

Wenn Alpträume wahr werden ...
Kurzbeschreibung

Alles beginnt ganz harmlos und alltäglich, so scheint es.
Ein paar Morde, ein paar mögliche Zusammenhänge, offenbar mal wieder das Übliche, organisierte Kriminalität, wahrscheinlich Drogen …, wenn da nicht ein paar Kleinigkeiten wären, die einfach nicht ins Bild passen. Doch je mehr die ermittelnden Kommissare Wendehals und Mertens in die Tiefen der Fälle eindringen, umso weniger scheinen sie zu verstehen, worum es wirklich geht. Aber die beiden geben nicht auf und finden langsam, unterstützt auch durch 'Kommissar Zufall', Indizien, Belege und Hinweise, die in eine Richtung zu weisen scheinen, gegen die sich in ihnen alles sträubt, das Unterbewusstsein einfach nicht zulassen will, dass es das geben darf...
Beginnt die Vergangenheit langsam aber stetig die Zukunft einzuholen? - Fakten, wissenschaftliche Erkenntnisse und Machbarkeiten überrollen uns bereits heute. Unaufhaltsam?
Sollte eines Tages Realität werden, was die Ermittler schließlich mit ohnmächtigem Entsetzen erkennen müssen, müßte die Evolutionsgeschichte der Menschheit ganz neu geschrieben werden...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum18. Sept. 2013
ISBN9783847654018
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    Buchvorschau

    Wenn Alpträume wahr werden ... - Reinhard Heilmann

    Kapitel 1

    Kapitel 1

    „Wie wär´s mit Das ewige Rätsel des Platon, eine Kriminalgeschichte mit mystischem Hintergrund und nebulösen Zusammenhängen?" fragte der Erzähler sein interessiertes Gegenüber.

    „Also gut, dann hör Dir das mal an ..., aber ich warne Dich, komm mir hinterher nicht mit sowas wie ‘Hirngespinste, Phantasterei, reinster Humbug’. Das alles ist wahr, so wahrhaftig wie ich hier sitze und hat sich so zugetragen!"

    Und so fing es an:

    Ein Waldstück bei Osnabrück, nahe dem Ort Sommertal, am Ortsrand gelegen, es war morgens erst gegen Sechs. Ein neblig beginnender Julimorgen und ein einsamer Waldläufer. Jedenfalls lief er allein, als der Schuss fiel und ihn tödlich an der Schläfe traf und ihn umwarf wie einen Baum. Danach wieder Stille, nur ein aufgeregter Eichelhäher, ‘Polizist des Waldes’ im Volksmund, der sich gestört fühlte, das Rascheln einer in der Nähe vorbeistreunenden Spitzmaus, ein leichter Windhauch, sonst nur die wattedicke Nebelschicht, die die Geräusche von weiter weg wie durch einen dicken Vorhang filterte und fernhielt. Die Schritte des Schützen oder war es eine weibliche Schützin?, etwa 120 m von dort, entfernten sich keineswegs eilig, nachdem die Büchse, ein Repetierer mit Zielfernrohr, das den punktgenauen Schuss auch auf weitere Entfernungen erlaubt haben würde, sorgsam entladen und in die Gewehrtasche verpackt wurde;

    nur das Zirpen des Reißverschlusses, der danach zugezogen wurde, war in dieser Umgebung ein ungewohntes Geräusch.

    Das Kaliber, stellte man später fest, war .30-06 mit 11,7 Gramm Ladung und einem Torpedo-Universalgeschoß, das die Eigenschaft hat, nach sauberem Eintrittsloch und Aufpilzen im getroffenen Körper, ohne Splitterabgabe ein entsprechend großes

    Austrittsloch und damit viel Blutverlust zu garantieren, Schweiß in der Jägersprache, aber hier wurde ja ein Mensch getroffen, wie gesagt ein Waldläufer, der allein war, aber vielleicht doch nicht einsam, jedenfalls vielleicht nicht bis zum Moment des Todes?

    Fragen die sich aufwerfen und die, wie wir erfahren werden, später beinahe lückenlos, dennoch aber ein wenig verhangen und unsicher beantwortet werden;

    denn es könnte auch ganz anders gewesen sein.

    *

    Der Tote war starker Raucher, wie Kriminalkommissar Jens Wendehals von der SOKO 7 später feststellte; an Zeige- und Mittelfinger der linken Hand wurden starkgelbe Nikotin- und Teerspuren zwischen erstem und zweitem Fingerglied festgestellt, also ein Linkshänder offenbar.

    Was noch anders war, oder jedenfalls etwas aus dem Rahmen fiel bei dem Toten, waren frische Würgemale an den Halsaußenseiten im Bereich des Kehlkopfes und Daumenabdrücke auf der Haut über dem Adamsapfel, mit entsprechenden Hämatomen. Ungewöhnlich war auch oder war zumindest nicht alltäglich, eine frische Schnittwunde auf dem linken Handrücken, messerscharf abgezeichnet mit einer Länge von fünf Zentimetern; nicht tief, aber die Wunde mußte zu großem Blutverlust geführt haben, durch das Anschneiden von Venen und Äderchen. Und die Wunde war keine drei Tage alt. Bei der Obduktion und forensischen Untersuchung wurde später auch festgestellt, dass der Tote auf dem Rücken zahlreiche Narben aufwies von bereits seit mehreren Jahren zurückliegenden Verletzungen, die nicht von einem Unfall herrühren konnten. Wie später eindeutig festgestellt wurde,

    stammten die Narben von Metallfäden: Peitschenhiebe?

    Von einer neunschwänzigen Katze, diesem Zuchtinstrument aus archaischen Marinetagen, deren Lederriemen mit Metallfäden durchwirkt waren?

    Warum sich jedoch die SOKO 7 mit dem Fall beschäftigte und nicht ein gewöhnliches K-Dezernat, war der Umstand, dass sich in dem besagten Waldstück und in den angrenzenden Parks der in einem schlossähnlichen Gebäude lebenden Mitglieder und Anhänger der asiatischen A-Sekte (*) in den vergangenen Monaten drei weitere Morde ereignet hatten, die bislang unaufgeklärt geblieben waren. Diese Ereignisse hatten die Bevölkerung und die Sekte in verständliche Unruhe versetzt und das Waldstück wurde seitdem am liebsten gemieden.

    Der Nebelmörder hieß es bereits hinter vorgehaltener Hand bei den Landwirten und Verwaltungsbeamten und den kleinen Gewerbetreibenden und Ladenbesitzern. Kleinbürgertum, das sich hier am Rande Osnabrücks angesiedelt hatte. Die Menschen hier lebten in kleinen gemütlichen, meist spießig eingerichteten Häuschen und Resthöfen, mit liebevoll gepflegten Gemüsegärtchen und den stets unkrautfrei gehaltenen Vorgärten. Und sie fühlten sich überhaupt nicht mehr sicher in ihrer sonst so ungestörten Umgebung. Schulkinder gingen inzwischen nur noch in kleinen Gruppen und in Begleitung Erwachsener auf dem Schulweg, der für viele am Rande des unheimlich gewordenen Waldstückes vorbeiführte; es waren immer große und kräftige Männer und Burschen, die diese Grüppchen begleiteten und später zu abgesprochenen Zeiten auch wieder abholten.

    Bei Befragungen in der Umgebung und unter den Sektenmitgliedern, bei Feststellung der Personalien aller Besucher des Schlosses und der Tagesgäste und bei Überprüfung der Meldeliste, die für jede Übernachtung geführt werden musste,

    tauchte ein Name auf, zu dem die Person bislang fehlte:

    Daniel Herrmann Wong, ein gemeldeter Gast des Gasthofes Wilder Hahn in Sommertal, der seit zehn Tagen dort logierte und als eher unauffällig und zurückhaltend angesehen wurde. Dieser Gast ging nach dem täglichen Frühstück um sieben Uhr und nach beinahe schon ritueller Absolvierung eines Waldlaufes, mit dem angemieteten Fahrrad auf Tour und war immer erst abends, meist nach zwanzig Uhr, zurückgekehrt. Daniel Herrmann Wong sah durchaus nicht chinesisch aus und woher der exotische Name des sehr westlich wirkenden und gekleideten Mannes mit akzentfreiem Deutsch stammte, wusste auch der Wirt nicht zu sagen.

    (*) Wir wollen vermeiden, die A-Sekte zu diskriminieren oder gar in einen direkten Zusammenhang mit den Vorfällen zu bringen, obwohl...., aber dazu später mehr.

    Es liegt uns auch fern, den Eindruck erwecken zu wollen, derlei trage sich nicht nur ausnahmsweise in Milieu und Umfeld von Sekten zu, obgleich ...

    Jedenfalls dürfen wir nicht pauschalieren und wollen keine Vorurteile schüren; denn so etwas kann sich überall und an jedem Ort zutragen, nicht nur im Zusammenhang mit Gruppen von Sekten oder Sektierern?, jedenfalls fanatisch abgespaltenen Minderheiten, die eigene Vorstellungen vom Sein und Werden und dem Danach haben und danach leben, und manchmal auch andere von diesen Inhalten überzeugen wollen, und das nicht immer mit feinen, gar erlaubten Methoden ...

    Wir würden zu viel verraten, legten wir an dieser Stelle bereits Akteure und Personen der Handlung fest oder würden wir ihnen gar die eine oder andere, entscheidende Rolle zuordnen.

    Wie gesagt, nennen wir die Sekte nicht beim Namen und möchten wir alles offen lassen und soll sich der Leser hinterher selber Gedanken über Zusammenhänge machen.

    Wir zeigen hier nur auf, verfolgen Tatsachen, schildern Zusammenhänge, soweit es den oder die Fälle betrifft und sind am Ende hoffentlich auf der richtigen Spur und finden am Ende den richtigen oder die richtigen Täter ...

    Die Vermutung ist richtig, dass auch wir jetzt noch nicht mehr wissen als der Leser und es ist uns verwehrt, neugierig auf die letzte Seite zu schauen, auch wenn wir es nicht mehr abwarten können, die Lösung zu kennen, denn diese letzte Seite ist noch nicht geschrieben.

    Ob Kommissar Wendehals die Lösung heute und jetzt schon kennt, wissen wir nicht; wir vermuten aber eher, er tappt auch noch im Dunkeln.

    Kapitel 2

    Nachdem die Leiche ‘menschenwürdig’ wiederhergestellt worden war und der Gerichtsmediziner auch das Loch im Kopf, im Schläfenbereich, mit viel Geschick und plastisch-chirurgischem Können verschlossen hatte, identifizierte der Wirt schließlich bei der ‘Gegenüberstellung’, wie paradox, die in der Zinkwanne liegende Person als den Gast Daniel Herrmann Wong.

    Papiere wurden bei dem Toten nicht gefunden und auch die Durchsuchung des Zimmers, in dem die zu identifizierende Person seit zehn Tagen gewohnt hatte, jedenfalls zwischen irgendwann nach zwanzig Uhr und sechs Uhr morgens geschlafen hatte, ergaben keine sicheren Hinweise auf Namen, Herkunft, Alter und andere Angaben, die sich in einem ordentlich geführten Polizeiprotokoll wiederzufinden haben.

    Die Kleidung des Toten, so stellten Assistent Völkl und das

    kriminaltechnische Labor fest, stammten aus Hongkong und Amsterdam; man erhoffte sich weitere Hinweise von einem Paar maßgefertigter Schuhe, die man im Zimmer des Toten im Gasthaus fein säuberlich geputzt und poliert nebeneinander stehend gefunden hatte, die von einem Hersteller aus Pirmasens stammten.

    Jens Wendehals, Leiter der SOKO, ging dieser Spur nach und bat die Kollegen in Pirmasens um Amtshilfe und um Recherchen bei dem Hersteller der Schuhe. Der Schuhmachermeister, ein gewisser Zwickel, der Name erscheint für die weitere Aufklärung allerdings nicht wesentlich, konnte sich sogar noch sehr gut an den Kunden erinnern, besser gesagt an dessen ungewöhnlich hohen Spann. Das Paar Schuhe für 220,-- Euro aus feinem Boxcalf-Leder, zwiegenähte Rahmennähte, dafür noch recht preiswert, wurde nach Fertigstellung vier Tage nach der Bestellung vom Käufer nicht persönlich abgeholt, erinnerte sich Herr Zwickel, sondern wurde, nachdem bereits bei Bestellung der volle Kaufpreis gezahlt worden war, an eine Adresse in der Nähe von Göttingen geschickt.

    Die ordentliche Ablage des Schuhmachermeisters förderte dann auch die exakte Anschrift zu Tage, mit dem Vermerk des Absendedatums: 13. Juni.

    In Groß-Einmaleins in der Nähe von Göttingen, im Rubikon-Weg Nr. 11, fand der mit der Recherche beauftragte Kripo-Beamte Harald Mertens aus Göttingen ein sauber poliertes Messingschild an der Wohnung im ersten Stock, mit der Gravur: D. H. Wong.

    Mitbewohner erkannten auf dem Foto, das von dem Toten gemacht worden war, den Mieter Wong wieder.

    Auch hier wurde der lebende Wong als bescheiden, zurückhaltend und unauffällig bezeichnet. Frau Engel, die Mieterin der Wohnung im Erdgeschoss, verstieg sich gar in reinste Lobeshymnen auf die Lautlosigkeit und Sauberkeit des Mitbewohners, der nie vergaß,

    abends die Haustür abzuschließen in diesem ehrenwerten Haus, nicht wie so andere im Hause - man wolle ja nichts sagen, aber die kennt man ja, allein schon die langen Haare und diese Gesundheitslatschen ...

    Herr Wong ließ auch nie die Mülltonnendeckel offen, schwärmte Frau Engel, und stellte sich mit seinem Wagen ordentlich in die mit weißen Streifen markierte Parklücke, im Gegensatz zu anderen, die kreuz und quer einparkten, ohne darauf zu achten, ob Frau Engel mit ihrem Kleinwagen genügend Platz hatte, ein- oder auszusteigen ...

    In der Wohnung, nach Öffnung durch den etwas feisten Hausmeister, der um diese Zeit, es war gerade Zehn, schon nach Bier und Korn roch, - ein feines Haus - eine Ordnung wie vorbereitet für eine Besichtigung:

    kein Geschirr stand herum, kein Kleidungsstück, das nicht an seinen Platz im Schrank oder in der Schublade geräumt war, nicht einmal der Papierkorb unter dem nachgebauten Kapitänsschreibtisch aus Mahagoni wies ein Papierplätzchen aus dem Locher auf, der oben auf dem Schreibtisch stand, wohl geordnet neben Schreibtischlampe, Klammerer aus Acryl und Federschale. Kommissar Mertens hob das eine oder andere Teil an und legte einen sauberen Platz frei, auf dem es jeweils gestanden hatte, drumherum eine dünne Staubschicht, die, so war seine Erfahrung, von zehn bis vierzehn Tagen nicht staubgewischt stammen könnte, je nachdem, wieviel Bewegung im Raum gewesen war und wieviel Staub zusätzlich durch Fenster und Türen hereingewirbelt war.

    Der Zeitraum schien mit der Anwesenheit des Toten in dem Gasthaus in Sommertal übereinzustimmen und es war davon auszugehen, dass in dessen Abwesenheit niemand sonst diese Wohnung betreten hatte, wenn da nicht... Kriminalhauptkommissar Mertens, dem Leiter der hiesigen

    Mordkommission, dem der vorläufige Amtshilfefall ‘Wong’ übertragen worden war, weil es sonst momentan sehr ruhig war und gerade nichts anderes anlag, fiel es erst auf, als er die Wohnung schon wieder verließ und mit dem vom Hausmeister überlassenen Schlüssel abschließen wollte: der Riegel ließ sich garnicht schließen, nur der Schnapper funktionierte, der auch bei einfachem Zuziehen einrastete. Als zweites entdeckte Kommissar Mertens jetzt bei genauerem Hinsehen einen kleinen Kratzer rechts neben dem Schlüsselloch auf der Deckplatte, die mit Blindschrauben zur Sicherung gegen Abschrauben und anschließendes Herausdrehen des Schlosszylinders den dahinter liegenden Bereich schützte. Was Mertens an diesem kleinen Kratzer auf der sonst blitzblank polierten Messingplatte störte, war nicht nur die offensichtliche Penibilität des dazugehörenden Mieters, Herrn D.H. Wongs: bei noch näherem Hinsehen staunte Herr Mertens über die Tiefe des Kratzers, der nicht lang war, aber doch so tief ins Metall gerieft, dass dies kein einfacher Kratzer war, der durch Abrutschen des Schlüssels oder durch versehentliches Danebenstecken passieren konnte. Hier war ein Werkzeug abgerutscht, mit dem unter sehr großem Kraftaufwand am Schloss hantiert worden war.

    Die Kollegen vom Erkennungsdienst mussten ‘ran, hier gab es mehr zu tun und zu entdecken, als Mertens meinte auf den ersten Blick festgestellt haben zu können.

    Die Information übers bequeme Handtelefon war schnell weitergegeben, noch am Vormittag würden die Herren mit den staubfreien Anzügen und den Latex-Handschuhen hier erscheinen und, D.H. Wong würde sich in seiner Kühlkammer im Keller des gerichtsmedizinischen Institutes umdrehen, wenn er das wüsste: nichts würde mehr so sein wie vorher.

    Mertens wollte die Zeit bis zum Eintreffen der Kollegen nutzen

    und sich noch einmal gründlicher umschauen und auch er zog jetzt doch sicherheitshalber die durchsichtigen innen mit Talkum bemehlten Handschuhe an und zog sich Latexgaloschen mit Gummizug über seine Straßenschuhe, um nicht noch mehr mögliche Spuren zu legen, die sich als dann doch nur von ihm verursacht, herausstellen würden.

    "Jetzt nochmal ganz anders an die Sache herangehen, so tun, als sei dies kein einfacher Routinefall mit Amtshilfe, sondern eine Herausforderung an meine bei den Kollegen bereits verschriene

    Gewissenhaftigkeit und erbarmungslose Spürnase", redete sich Mertens ein.

    Und es dauerte keine halbe Stunde, da hatte er bereits ein drittes und ein viertes Indiz gefunden, Dinge, die ihm auffielen, weil sie nicht in das ansonsten akkurate Gesamtbild passen wollten: einen Papierschnitzel von sechskommaacht mal achtkommazwo Zentimetern Kantenlängen mit einer diagonalen Abrisskante, die aus dem Schnitzel ein Dreieck gemacht hatte.

    Möglich, dass die Kanten auf 21 auf der einen und 29.7 Zentimeter auf der anderen Seite verlängert vorzustellen waren und möglich, dass es sich dann um ein Blatt aus dem Vorrat des Stapels unter dem Drucker handelte, jedenfalls schienen Gewicht, chlorfrei-hochgeweißter Dreischicht-Zellstoff in Sandwich-Qualität, wie sie nur hochwertige Papiere aufwiesen und Alterungsbeständigkeit übereinzustimmen. Für das Labor ein Leichtes, hier letztendliche Klarheit und Identität zu bestimmen.

    Die lesbaren Buchstaben in 10er Schriftgrad, sehr ähnlich ‘Times New Roman’ auf diesem Papierrest, waren mit einem oberen Abstand von einskommafünf und einem linken Seitenabstand von zwei Zentimetern geschrieben worden und lauteten:

    Tagesbericht

    Hubert Claus-Ferdinand Graf vo

    Kopf der A-Sekte und hat üb

    seine Gebäude oberhalb

    DM monatliche Pacht

    überlassen. Damit

    Hannoverschen

    Die Besitzung

    Verwendun

    Über Que

    Imma

    der

    Das war das ganze Fragment.

    Und diesen Schnipsel hatte Mertens im Papierzufuhrschacht des Einzelblatteinzuges des Canon BJ-330 gefunden, wo ihn die Person, die, vermutete Mertens, den frischen Ausdruck auf der Auswurfablage entdeckt, entfernt und sofort an Ort und Stelle in Fetzen zerrissen hatte, übersehen haben musste; ein kleiner Schnipsel, der aus dem offenbar in Eile zerfetzten Schnipselpaket unbemerkt dorthin geflattert war.

    Als vierten Hinweis fand Mertens einen braunen C5-Umschlag. Dieser Umschlag war mit Leukoplastband an die Unterseite der Sandschale eines Vogelkäfigs geklebt; der Vogelkäfig war leer und geradezu antiseptisch sauber; hier hatte noch niemals ein Vogel von der Stange gekäckert. Und gerade das hatte Mertens’ Aufmerksamkeit und Neugierde erregt.

    Der Piepmatz, der auf der Stange saß und nach Betätigen eines Kontaktschiebers fröhlich trillerte, war stubenrein.

    In dem Umschlag befanden sich Fotos, Nacht-Aufnahmen von, wie es den Anschein machte, irgendwelchen Übergabeaktionen.

    Verschiedene Fahrzeuge waren auf den Fotos zu sehen. Die

    Personen darauf nicht sehr deutlich oder durch Schattenwurf großer Bogenlaternen, die an altem Mauerwerk in vielleicht fünf Metern Höhe angebracht waren, unkenntlich. Aber wenigstens deutlich lesbar die Kennzeichen der Fahrzeuge. Die Szenen auf den Bildern ähnelten sich: immer gab irgendeiner irgendeinem ein weißes Paket, nicht größer als vielleicht dreißig oder vierzig Zentimeter und vielleicht zwanzig Zentimeter hoch. Auf einigen Bildern umarmten sich die Personen und bis auf eine Ausnahme waren nur Männer abgelichtet.

    Der Hintergrund waren große Sandsteinquader irgendeines älteren Gebäudes, ein großer Torbogen mit gotischem Spitzbogen, ein einseitig geöffnetes zweiflügeliges Tor von leicht dreieinhalb Metern Höhe mit schweren Angeln, von denen die zweite von unten vom rechten Torflügel aus der Waagerechten verrutscht war und leicht nach unten geneigt. Die Angeln waren markant in nach außen auslaufende Bourbonen-Lilien-Doppelbogen geschmiedet.

    Auf der Rückseite der Fotos waren jeweils Datum, Uhrzeit und Kfz-Kennzeichen vermerkt. Es waren dreizehn Fotos.

    Mertens war sich sicher, dass die Kollegen von der Spurensicherung auch noch fünftens und sechstens finden würden. Man musste auch Arbeitsspeicher und Festplatte des Computers abfragen. Fest stand, dass hier etwas Ungewöhnliches am laufen war, entweder handelte es sich bei D. H. Wong um einen Erpresser, um einen privaten Schnüffler oder um einen verdeckten Ermittler. Die Sache entwickelte sich brisanter, als Mertens noch bei Übernahme des Hilfe-Ersuchens am Morgen gemutmaßt hatte.

    Das musste sich sein Kollege aus Osnabrück selber anschauen, hier war etwas zu vermasseln, wenn man nicht in die richtige Richtung ermittelte und warum sollte Mertens dafür geradestehen.

    Sein zweiter Anruf galt der Nummer in Osnabrück, die oben in

    rot auf dem graubraunen Aktendeckel prangte, sofort zu verständigen stand dahinter vermerkt.

    Wendehals war gleich selber ‘dran: „Bitte nichts weiter unternehmen, ich komme gleich selber 'rüber zu euch, sprudelte er hastig hervor, „kann ein paar Stunden dauern bei dem Verkehr, könnt ihr mir ein Zimmer reservieren, die Nacht werde ich wohl ‘dranhängen müssen und vielen Dank, Herr Kollege, saubere Arbeit!

    Kapitel 3

    Der Erzähler unterbrach, nahm einen großen Schluck des inzwischen kalt gewordenen Kaffees und schaute sein Gegenüber erwartungsvoll an: „Na, mein Lieber, was meinst Du, was dahinter steckt?"

    „Sehr eigenartig", gab der zur Antwort, „da bin ich nun aber mal richtig gespannt, ich tippe auf Rauschgiftmafia in großem Stil

    und Du sagst, das beruht alles auf Wahrheit?"

    „Ich habe die Ermittlungen zum Teil selber vorgenommen, wie Du bemerkt hast und im übrigen mich über den Fortgang dieses Falles ständig auf dem laufenden halten lassen; aber weiter im Text", mit diesen Worten nahm der Vorlesende sein Manuskript wieder auf und fuhr fort:

    Tatsächlich fand Kommissar Wendehals, der am frühen Nachmittag in Groß-Einmaleins eintraf, auch noch einen fünften und einen sechsten und schließlich einen siebten Hinweis:

    den Erkennungsdienst hatte man erst einmal zurückgepfiffen, weil Wendehals sich einen eigenen unverfälschten Eindruck verschaffen wollte. Das war den Kollegen ganz recht, denn eine

    Einbruchsserie der vergangenen Nacht hatte allen mehr Arbeit beschert als man sich gewünscht hatte.

    Mertens, eher untersetzt und zu Fettansatz neigend, vielleicht Einssiebzig groß, aber durchaus nicht schwächlich oder weich,

    mit einem runden Kopf auf den Schultern und pfiffigen wachsamen Augen über der knolligen roten Nase, begrüßte den Kollegen aus Osnabrück mit einem kräftigen Händedruck, den Wendehals erwiderte. Gegen Wendehals freilich wirkte Mertens eher klein und unsportlich, gegen diesen Vierschröter von Einsachtundachtzig und dazu passenden Schultern, einem gesunden Quadratschädel und unter dem bereits schütter werdenden Haar und unter dichten buschigen Augenbrauen ein paar tiefdunkle beinahe stechende Augen, denen nichts zu entgehen schien. Eine fast zart wirkende kleine Nase und ein verspielt wirkender, leicht geschwungener Mund schienen ein Missklang in dem Arrangement des übrigen Gesichtes und doch war es gerade dieser Kontrast mit dem alles einrahmenden Zweiwochenbart, wohl gepflegt und auf eine Länge von circa fünf Millimetern gestutzt, der dem Ganzen eine interessante Ausstrahlung gab.

    Sympathisch und umgänglich, aber knallhart in der Profession, urteilte Mertens, und unnachsichtig in der Aufdeckung dunkler Geheimnisse.

    Das fünfte Indiz waren drei achtstellige Telefonnummern mit der Vorwahl 00852 für Hongkong. Diese Nummern waren nicht nur irgendwo vermerkt, sondern seltsamerweise im nicht herstellerbedingt aufklappbaren Stiel einer Zahnbürste, die unbenutzt und gelangweilt in einem Zahnputzglas lehnte, was jedoch normalerweise und allein noch kein Grund gewesen wäre, hier nach irgendwelchen Informationen zu suchen, es sei denn,

    es handelte sich dabei um eine ausgesprochene Kinderzahnbürste. Eine Kinderzahnbürste hier in dieser Wohnung

    schien Kommissar Wendehals irgendwie unpassend, deshalb hatte er sie in die Hand genommen, eigentlich nur so, und dabei, wer weiß warum auch immer, war sie ihm entglitten und auf den Fliesenboden des Badezimmers gefallen.

    Ein bisschen Glück gehörte eben auch dazu.

    Und den sechsten Hinweis entdeckten Wendehals und Mertens in dem banalsten Versteck, das nicht einmal mehr Kinder benutzen: beim Einschalten der Deckenbeleuchtung im Wohnzimmer, nachdem es bereits 23:00 Uhr geworden war und die Schreibtischleuchte trotz des mondhellen Sommerabends einfach nicht mehr genug hergab: es war lediglich ein dunkler störender Schatten zwischen den widerspiegelnden Kristallen des billigen Kaufhauslüsters. Vielleicht war gerade das zu dieser Jahreszeit, in der erst sehr spät das Licht eingeschaltet wurde, das Geniale an dem Versteck, jedenfalls hatten andere es nicht gefunden, weil sie wahrscheinlich sowieso nicht das Licht eingeschaltet hatten, wenn sie schon, aber davon ging Wendehals eher nicht aus, in der Dunkelheit hier nach etwas gesucht hatten.

    Einen ähnlichen Fall hatte der Osnabrücker Kommissar schon einmal vor etwa drei Jahren, bei dem die Wohnung eines zu Identifizierenden so gründlich durchkämmt worden war, dass sogar die Küchenabfälle, der Inhalt von Kosmetik- und Papierabfalleimern in Plastiktüten geschüttet und später im einzelnen durchsucht worden waren. Auch damals hatte die Wohnung beinahe unbewohnt ausgesehen, wie für den neuen Mieter nach Endreinigung des Vormieters vorbereitet.

    Klar, dass die intensive persönliche Note in so einer möbliert angemieteten Wohnung fehlte, aber dennoch, alles war zu ordentlich, zu un-persönlich.

    Der selbe Eindruck hier:

    Wong war starker Raucher, wo also waren Aschenbecher, Kippen und Zigarettenschachteln, Feuerzeuge und andere Utensilien?

    Nichts davon war da.

    Und dann dieses Versteck in dem Lüster:

    eine kleine schwarze Filmdose, in der Filme aufbewahrt wurden, die noch nicht belichtet waren. Die Dose war mit Tesaband oberhalb der Halterung einer fehlenden Glühbirne fixiert worden.

    Wendehals fand eine Trittleiter neben dem Kühlschrank in der Küche und schnitt mit seinem Taschenmesser das Klebeband an der Filmdose durch. Vorsichtig öffnete er den hellgrauen Kunststoffdeckel.

    Der Inhalt war eher banal, auf den ersten Blick: ein weißgraues Pulver, mit dem die Dose vollständig gefüllt war, darin eingebettet fand sich ein kleines Glasröhrchen mit einer milchigtrüben, offenbar eingetrockneten Substanz, wie aus den Trockenrändern, die oberhalb der Substanz am Glas hängengeblieben waren, geschlossen werden konnte; die Laboranalyse würde später den Beweis erbringen, dass es sich tatsächlich ursprünglich um eine dickzähe Flüssigkeit gehandelt hatte.

    Am Rande steckte ein kleiner Zettel, der zweimal gefaltet war.

    Auf dem auseinandergefalteten Zettel war zu lesen:

    Replikation - Plasmidvektoren - codierende Sequenzen

    Woher hatte D. H. Wong dieses ‘Etwas’? Was wollte er damit?

    Waren das Beweismittel? In welchem Zusammenhang standen sie mit seinem gewaltsamen Ableben? - „Ist das Cocain, war Wong drogenabhängig? - „Wohl kaum, meinte Kommissar Wendehals, „warum hätte er dann auch noch diesen Zettel zu seinen Suchtrationen stecken sollen, das sieht eher so aus, als hätte er ein Beweismittel gesichert und vor unbefugtem Zugriff verstecken wollen. Aber in welchem Zusammenhang? Wir müssen sukzessive vorgehen, Herr Kollege, Schritt für Schritt, wo wir stehen, was wir bis jetzt an Fakten haben. Ich denke, nur so kommen wir weiter.

    Gehen wir chronologisch vor."

    „Lassen Sie uns rekapitulieren, wie der heutige Stand unserer Ermittlungen ist, den Rest kennen Sie ja", war Mertens‘ Vorschlag.

    „Wir wissen von dem Aufenthalt des Toten seit dem 9. Juni, jedenfalls lässt sich vorerst bis zu diesem Datum seine Spur zurückverfolgen.

    An diesem 9. Juni hatte Wong handgefertigte Schuhe in Pirmasens gekauft. Was machte er dort? Was ausgerechnet in Pirmasens?

    Ich denke, hier müssen wir auch ansetzen oder über die Telefonnummern in Hongkong, wir werden sehen.

    Wong hatte diese möblierte Wohnung in der Nähe von Göttingen über eine Immobilienfirma am 1. April für ein halbes Jahr mit Option auf Verlängerung gemietet. Wir haben diese Angaben über den Verwalter des Hausbesitzers erfahren.

    Seit dem 9. Juni fehlen uns Angaben zu Wong’s Aufenthaltsort,

    abgesehen davon, dass er diese Wohnung angemietet hatte.

    Sicher ist nur, dass er in der Zeit vom 25. Juni bis zum 5. Juli ein Zimmer im Gasthof in Sommertal angemietet hatte und dort auch regelmäßig gesehen wurde. Und sicher ist sein gewaltsamer Tod am 6. Juli."

    „Wenn wir diesen Schnipsel Papier nehmen, wandte sich Kommissar Wendehals an Mertens, und davon ausgehen, dass es sich um eine Art Untersuchungs- oder Observationsbericht handelte, wäre es von höchster Priorität zu wissen, was in diesem Bericht noch stand. Vielleicht finden Ihre Kollegen vom Erkennungsdienst irgendwelche Informationen dazu auf der Festplatte des Rechners oder vielleicht können sie gelöschte oder überdeckte Informationen wieder aktivieren!"

    „Lassen Sie mich rechnen, unterbrach ihn Kommissar Mertens, zu Hongkong haben wir derzeit acht Stunden Zeitunterschied, das heißt in etwa einer Stunde können wir versuchen heraus-zufinden, wer hinter den geheimnisvollen Telefonnummern aus der Zahnbürste steckt. Und wir können feststellen, wer sich im einzelnen hinter den dreizehn Autokennzeichen verbirgt.

    Ich schlage vor, wir brechen hier erst einmal ab, besorgen uns an der Autobahntankstelle was zu essen und fahren zu mir. Nach ein paar Mützen Schlaf, wenn Sie mit einer durchgelegenen Besucherklappcouch zufrieden sind, können wir vom Kommissariat aus alles Weitere unternehmen und die Kollegen können dann hier morgen alles auf den Kopf stellen."

    „Prima Idee", entgegnete Wendehals, drehte sich um, nahm seinen Sakko von der Sessellehne und sah nur für einen Sekundenbruchteil in seinem rechten Augenwinkel etwas Blitzen.

    Es war weniger ein Blitzen als eine Reflexion und die kam von irgendeiner Unregelmäßigkeit in der wild-gemusterten Tapete hinter der Wohnzimmertür, die direkt gegenüber der Balkontür in den Raum führte. Wendehals hatte zufällig in einem bestimmten Winkel gebeugt gestanden, sodass diese Widerspiegelung ihm überhaupt auffallen konnte, besser: sein Unterbewusstsein in der Lage war, ‘Etwas’ zu registrieren, was im Grunde viel zu kurz gewesen war, als dass die Augen es hätten aufnehmen können. Und dennoch: eine kurze Reflexion hatte genügt, auch wenn die einem Unbefangenen, nicht ‘kriminell’ Veranlagten und Vorbelasteten, wie Wendehals, garnicht aufgefallen wäre.

    Wendehals ging zu der Stelle, die den Lichtschein der Deckenlampe widergespiegelt hatte. Er entdeckte auf der Tapete ein Stück transparentes Klebeband, das so schlechte Reflexionseigenschaften hatte, dass es wirklich purer Zufall gewesen war, diesen Klebestreifen zu entdecken.

    Bei näherer Untersuchung fühlten Wendehals und Mertens links von dem Klebestreifen, der etwa acht Zentimeter lang und einen Zentimeter breit war, eine kaum merkliche Ausbeulung der Tapete.

    Wendehals riss vorsichtig den Klebestreifen ab, der sich recht

    einfach von der rauen Oberfläche der Tapete trennte.

    Aus der jetzt an dieser Stelle etwas aufklaffenden Tapete zog Wendehals zu seinem nicht geringen Staunen eine Code-Karte in einer dünnen Plastikschutzhülle hervor.

    Mertens war verblüfft. Ein phantastisches Versteck, aber doch nicht gut genug!

    Die Karte war bis auf eine sechzehnstellige Nummer, die in die Mitte der Karte, die Scheckkartengröße hatte, eingedruckt war und bis auf drei Großbuchstaben mit einem Punkt hinter jedem

    und einer zu vermutenden Titelbezeichnung Dr. A. B. C., unbedruckt.

    Wendehals und Mertens beschlossen, ihr Glück nicht weiter zu strapazieren; falls es hier noch weitere solcher raffinierten Verstecke geben sollte, würden die Kollegen vom Erkennungsdienst sie am nächsten Tag finden; die Wohnung musste jedenfalls äußerst sorgfältig durchsucht werden.

    Für heute hatten die beiden hier genügend Material zusammenbekommen, sodass sie erst einmal mit dessen detaillierter Auswertung beginnen mussten. Hinter dem Ganzen hier steckte, da waren sich beide jetzt sicher, nicht nur ein ganz normaler Mord, sondern viel mehr und, wer weiß, vielleicht hingen auch die übrigen Morde in der letzten Zeit in der Nähe des kleinen Örtchens Sommertal alle irgendwie zusammen ...

    Kapitel 4

    Während Kommissar Wendehals und sein Kollege Mertens genüsslich eine Tasse brühenden Kaffees schlürften und dazu in frisch aufgebackene Baguette mit Schinken und hauchdünn geschnittenem Emmentaler bissen, mit ihren Gedanken doch schon wieder beim Fall waren und Wendehals die Chronologie des bisher Bekannten auf einem Notizblock rechts neben der Kaffeeuntertasse anfertigte ...

    ... wechselte in dreihundertundvierzig Kilometer Entfernung-Luftlinie in einem kleinen Ort namens Volendam in der Nähe von Edam am holländischen Ijsselmeer, garnicht weit von Amsterdam, ein Paket, etwa dreißig mal fünfundzwanzig mal zwanzig Zentimeter groß, eine Styroporkiste, den Besitzer, als Grete Oostburg einem ihr unbekannten Fischer die kleine Kiste übergab.

    Die Frau, die einem schwarzen Passat mit Kennzeichen NF-372-317 entstiegen war, eine schlanke Brünette von vielleicht fünfundzwanzig, vielleicht hübsch, aber durch einen harten Zug um den Mund eher als bösartig und ‘mit Vorsicht zu genießen’ einzustufen, eine instinktmäßige Einschätzung, die auch die Gedanken des Fischers eher auf diesen Wesenszug als auf anderes Äußeres lenkten, fragte: „Kennen Sie Edam?"

    Worauf der Fischer antwortete: „Ich habe dort in meiner Jugend gearbeitet!"

    Auf dieses ‘Kennenlernen’ holte die Brünette ein Codiergerät aus Ihrer Umhängetasche, ein Gerät ähnlich einem Scheckkartenlesegerät, nur handgroß, tippte eine sechzehnstellige Nummer ein und hielt dem Fischer das Gerät hin mit der Aufforderung, seine Code-Karte einzustecken.

    Der Fischer kramte umständlich unter seinem Takelhemd in der Brusttasche der Latzhose und förderte eine Codekarte in einer Plastikhülle hervor; mit den Worten: „Die Hülle ‘is wohl wegen

    des Fischgeruchs, der den Magnetstreifen sonst wegätzt" und einem kehligen Lachen steckte der Fischer die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz. Ein grünes Licht links oberhalb des Tastwahlblocks blinkte und ein auf und abschwellender Summton ertönte für fünf Sekunden. Der Codierer spuckte die Karte wieder aus.

    „OK." stellte die Frau fest und übergab dem Fischer das Paket.

    „Den nächsten Termin erfährst Du rechtzeitig", meinte sie dann noch und stieg auch schon in ihr Fahrzeug.

    Ohne Gruß fuhr sie davon ...

    während gleichzeitig ...

    ... im sechshundertundzwanzig Kilometer Luftlinie von Volendam entfernten polnischen Swinouj´scie am Baltischen Meer Igor Petrescu, ein ehemaliger rumänischer Geheimagent,

    der sein neues Tätigkeitsfeld nach Polen, genauer gesagt in den Stettiner Raum verlegt hatte, von wo aus die Grenzübergänge in das neue große Deutschland so herrlich bequem zu benutzen waren, eine etwas andere Variante abfragte: „Warst Du schon einmal auf Bornholm? war seine Frage an einen stämmigen untersetzten Polen, einen der Wenigen, die noch hauptberuflich dem Krabbenfang nachgingen und dessen richtige Antwort lautete: „Letzten Sommer erst mit meiner Tante Else und den Kindern, woraufhin auch hier die Prozedur mit dem Codiergerät folgte, grünes Licht, Summton und Übergabe der weißen Kiste.

    Der Pole warf die Leinen an Bord, sprang selber hinterher und legte sofort ab. Igor Petrescu setzte sich in seinen dunkelgrünen Mercedes LT mit Warschauer Kennzeichen, wendete und fuhr die Mole entlang davon ...

    ... und zufällig beinahe zeitgleich in Zeebrugge, einem kleinen Seebad mit Vorhafen, während des zweiten Weltkrieges als deutscher U-Boot-Stützpunkt Seebrügge bekannt, mit Tiefwasserhafen, Fischerei-, Krabben- und Fährhafen nach Harwich, malerisch an der belgischen Kanalküste gelegen, konnte man folgendes beobachten, eine allerdings eher völlig harmlose und unverfängliche Szene, die deswegen auch niemandem aufgefallen war: ein silber-metallicfarbener Peugeot-Boxer mit britischem Kennzeichen fährt an den Stapel Fangboxen, die zum Abtransport ins Kühlhaus bereitgestellt worden waren, wo sie als Tagesfang der ‘Marie-Claude’ verbucht werden würden. Aus dem Wagen steigt ein schlanker Mann mit strohblondem Haar und einem kinnfreien Backenbart, der Name sagt uns nichts weiter, stellt hinten auf der Ladefläche nach Öffnen der beiden Laderaumtüren eine kleine weiße Kiste aus Styropor bereit und ruft zum Fischkutter hinunter, der dreikommafünf Meter tiefer Relingoberkante zu Molenpflaster liegt, in dessen gedrungenen Schornstein man leicht hätte reinspucken können: „Kapitän Crevette, sind sie an Bord? Woraufhin eine Antwort zurückkommt: „Was denken Sie? Kommen Sie ruhig ‘runter!

    Und während der Schlanke mit dem strohblonden Haar die in die Kaimauer eingelassenen rostigen glitschigen Stufen, die gerade mal nicht sechs Stunden unter der Wasserlinie liegen, hinunterklettert, geht etwas schief.

    Denn entgegen der Planung und Absprache erscheint oben auf der Mole ein weiterer Mann, nimmt die Kiste von der Ladefläche, stellt sie in eine der bereits zum Abtransport aufgestapelten Fischkisten, wühlt rasch etwas gestoßenes Eis darüber, mit dem die Seezungen bereits abgedeckt sind, geht einen Schritt beiseite, nimmt die Deichsel des Elektrohubwagens auf, drückt den Hubhebel auf Auf, hubt die gesamte Palette etwa einen halben Meter über Pflasterhöhe, schiebt den Regler mit dem rechten Daumen auf Vorwärts und verschwindet mit dem ganzen Zeug in nicht übermäßiger Eile hinter einer der automatischen Schleusentore des angrenzenden Kühlhauses.

    Inzwischen ist der schlanke Strohblonde unten auf der ‘Marie-

    Claude’ angekommen, nicht ohne Schlick und Rostspuren an den Knien seiner hellgrauen Seidenhose davongetragen zu haben und kleine Partikel einer seltenen Muschel, die eigenartigerweise nur um den Hafenbereich hier vorkommt und die sich in eine Schlinge des dünngewebten Stoffes der Hose verhakt haben, und betritt das Steuerhaus des kleinen Kutters. Unten rechts im Steuerhaus ist eine aufgeklappte Luke und sieht man einen Niedergang, der in den Maschinenraum, in die Koch- und Schlafkajüte und in den Vorratsraum mit den Kühlaggregaten hinunter führt.

    Von unten kommt der Ruf: „Wenn’s ihnen nichts ausmacht, ich muss die Maschine noch durchsehen, vielleicht können wir das Geschäftliche hier abwickeln." Der Strohblonde folgt dem Ruf nach unten und beschmiert sich beim Abstützen am Boden, während er schon halb in der Bodenluke auf dem Niedergang verschwunden ist, den Ärmel seines weinroten Sakkos und seine rechte Hand mit Maschinenfett, einer Sorte, die nur noch selten verlangt wird und im Grunde auch garnicht mehr bevorratet wird bei Schiffsausrüstern und -werkstätten; eine ekelhaft hartnäckige und klebrige Schmiere mit enorm hoher Viskosität, die sich der schlanke Strohblonde gleich mit einem Putzlumpen abwischen will. Er kommt nicht dazu.

    Sobald er den über der Bilge eingezogenen Holzboden betritt, trifft ihn ein stumpfer Gegenstand in dem durch die Notwendigkeit der gebeugten Haltung während des Abstieges ungeschützten Nackenbereich und verursacht ein Knacken, wie das Zerbrechen eines spröden Holzstückes beim D'rauftreten.

    Der schlanke Strohblonde hat das alles nicht einmal gespürt.

    *

    Die Netzgewichte, die an ihm hingen und die den Auftrieb seines

    Körpers verhindern sollten, die jedoch für die starke Strömung an diesem Küstenstrich als nicht schwer genug berücksichtigt worden waren, sind es später nicht gewesen, die die Spur der Leiche auch nach einigen Gezeiten noch unzweideutig zurückverfolgen ließen, nicht nur zu einem passenden Belegnagel ...

    ... und eine Stunde später nur an diesem 13. Juli taucht in Laufen, dem Bezirkshauptort im Kanton Bern

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