Musst Du schon gehen?
Von Bernd Majewski
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Über dieses E-Book
Ich will den Versuch machen, Menschen zu helfen, mit einem derartigen Schicksalsschlag etwas besser umgehen zu können.
Ich will nichts beschönigen, sondern auf sehr persönliche und sehr subjektive Weise darlegen, wie man dafür sorgen kann, dass die oder der Kranke, trotz Widrigkeiten des deutschen Krankenhaussystems, möglichst stressfrei "gehen" kann.
Wir alle haben Angst davor. Aber da müssen wir durch, ob wir wollen oder nicht.
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Buchvorschau
Musst Du schon gehen? - Bernd Majewski
Musst Du schon gehen?
- Diagnose: Glioblastom -
Dietlinde Majewski 12.9.1946 – 11.11.2010
© 2018 Bernd Majewski
Druck und Verlag: epubli GmbH
www.epubli.de ISBN:
auch als e-book erhältlich
Skulpuren: Dietlinde Majewski
Cover: Christian Majewski
Lektorat: Annette Stroux
Textkorrektur: Elke Majewski
Das Buch:
Dietlinde Majewski erkrankte mit 63 an einem schweren Gehirntumor (Glioblastom WHO IV), für den die Heilungsaussichten nahezu null sind. Die Zeit, die Erkrankten bleibt, ist in dem meisten Fällen etwa ein Jahr und denkbar wenig für alle Beteiligten, um zu begreifen, zu entscheiden, zu handeln und gemeinsam das Beste aus dieser wenigen Zeit zu machen.
Dietlinde und Bernd waren über 40 Jahre verheiratet, haben ihr gemeinsames Leben intensiv genutzt und ihre Ehe mit Haus, Reisen und Kindern sehr lebendig gestaltet. Der Zusammenhalt nahm immer eine wichtige Rolle ein und wurde durch diesen Schicksalsschlag besonders wertvoll.
Bernd gibt in diesem Buch eine Vorstellung des gemeinsamen Lebensweges und beschreibt dann tagebuchartig den Verlauf seit Dietlindes erstem durch den Krebs verursachten Anfall bis zu ihrem Tod. Die Schwierigkeiten, die auftreten, wenn man von einer Erkrankung wie dieser überfallen wird und sich orientieren muss, sind enorm; die Komplexität, die immer weiter zunimmt, je weiter man die medizinischen Details erfasst; die schwierige Kommunikation mit Ärzten und medizinischem Personal, bis man sich in dieser Situation zurecht gefunden und persönlich passende Ansprechpartner gefunden hat. All dies lässt einen atemlos hinter einer Entwicklung herjagen, die durch die unglaubliche Geschwindigkeit des Krankheitsverlaufes unerbittlich bestimmt wird. Hat man die eine Situation gelöst, so wartet schon die nächste Herausforderung und immer ist man mit neuen Situationen, komplizierten Fachbegriffen und Entscheidungen konfrontiert, mit denen man sich noch nie beschäftigt und von denen man nicht die leiseste Ahnung hat. Sicher, die Endlichkeit des Lebens ist gewiss, aber wäre es gut für ein glückliches Leben, sich auf jedes erdenkliche Ende vorzubereiten und bei bester Gesundheit schon mal Spezialisten kennenzulernen und Ärztehäuser ausfindig zu machen, anstatt mit den Kindern und Hund eine Alpenwanderung zu unternehmen? Auf ein solch spezielles Ereignis bereitet sich niemand freiwillig vor und so ist die Unwissenheit und Überraschung ständiger Begleiter auf diesem Weg.
Bernd Majewskis Anliegen dieses Buch zu veröffentlichen ist es, Menschen in einer ähnlichen Situation eine Vorstellung davon zu geben, was kommen kann Er möchte Inspiration bieten, diese letzten Monate mit Zusammenhalt, gemeinsamer achtsamer Zeit zu verbringen und den inneren Kompass für die anstehenden Entscheidungen so auszurichten, dass das, was menschlich wichtig ist, immer im Vordergrund steht. Die Gewichtung der Bedürfnisse und die individuellen Rollen der Familie oder der Angehörigen hat sich verschoben und Aufgaben haben sich auf verschiedene Schultern verteilt, immer im Blick das seelische Wohlergehen und die Wünsche der Erkrankten, so die Bemühungen um den Körper bald an Wichtigkeit verlieren und die Natur sich ihren Weg bahnt. Es ist ein Kampf, aber doch auch keiner. Ein Kampf mit dem Begreifen, dem schnellen Reagieren im medizinischen System und mit den eigenen Kräften, aber ein Mitgehen mit dem, was unausweichlich geschieht und sich nicht ändern lässt.
img1.jpg Bernd Majewski, Jahrgang 1943, ist selbständiger Kaufmann und war 40 Jahre lang mit seiner Frau Dietlinde glücklich verheiratet. Dietlinde starb 2010 an einem Hirntumor. Bernd hat zwei erwachsene Kinder. Dietlinde und Bernd reisten viel. Sie haben viele ihrer Reisen, meist mit dem VWBus, dokumentiert, begannen aber erst 2006 Reiseberichte als Bücher zu veröffentlichen. www.epubli.de. Bernd lebt in Ismaning. Er ist dort auch seit fast 40 Jahren ehrenamtlich tätig.
Eine geliebte Person wird sterben
Einer geliebten Person beim Sterben zu „helfen", ist schwer. Es nicht zu tun, es anderen zu überlassen, ist sehr viel schwerer. Es belastet ein Leben lang.
Mit diesem Buch möchte ich den Ablauf der Ereignisse bis zum Tod meiner Frau Dietlinde beschreiben. Ich will den Versuch machen, Menschen zu helfen, mit einem derartigen Schicksalsschlag etwas besser umgehen zu können.
Ich will nichts beschönigen, sondern auf sehr persönliche und sehr subjektive Weise darlegen, wie man dafür sorgen kann, dass die oder der Kranke, trotz Widrigkeiten des deutschen Krankenhaussystems, möglichst stressfrei „gehen" kann.
Wir alle haben Angst davor. Aber da müssen wir durch, ob wir wollen oder nicht.
Das Buch möchte auch darstellen, dass der betroffene Partner, bzw. die Familie Verantwortung übernehmen muss. Die Familie darf sich nicht wegducken und auf andere zeigen, sondern muss akzeptieren, dass die Mutter, die Frau, der Sohn oder die Tochter alle Zuwendung brauchen, derer wir fähig sind.
Wir sind als Familie damals zusammengerückt. Dieses Zusammenrücken machte es uns möglich, dass die unabdingbare Zuwendung geteilt werden konnte. Was ich gerade nicht zu leisten in der Lage war, übernahmen unser Sohn oder unsere Tochter.
Außenstehende, auch Ärzte konnten das unmöglich übernehmen. Nur wir selbst waren dazu in der Lage.
Hinschauen, akzeptieren und verantwortlich und vorausschauend zu handeln, half, viele Probleme auf dem Weg zum Tod zu lösen.
Ohne Liebe, Vertrauen und echte Partnerschaft fällt ein
solcher Schicksalsschlag noch viel schwerer.
Deshalb möchte ich auch über unsere Ehe erzählen.
Schließlich soll dieses Buch auch zeigen, dass das Leben für einen selbst weitergeht. Es gilt, Perspektiven zu erarbeiten und zu erkennen, dass zwar ein wichtiger Lebensabschnitt zu Ende gegangen ist, dass aber ein Leben nach dem Tode des Familienmitglieds möglich und notwendig ist. Auch das ist man der/dem Verstorbenen schuldig.
Dietlinde und ich
1970 heirateten Dietlinde und ich. Drei Jahre zuvor hatte ich noch keine Ahnung, dass es sie gab.
Ich wohnte wieder bei meinen Eltern und studierte BWL. Die Situation zwischen mir und meinen Eltern war mehr als belastend.
Ich hatte einen Freund, Günter, mit einem unglaublich ausgleichenden Gemüt.
Für mich war das ein Labsal, so etwas gab es bei uns nicht. Im Hause Majewski herrschte Spannung. Druck. Es knisterte beständig. Man hätte Birnen damit zum Glühen bringen können.
Sobald Günter das Haus betrat, wurde es ruhig. Entspannung. Kein Stress mehr. Ausatmen. Allein durch seine Anwesenheit. Er brauchte gar nicht viel zu sagen.
Eines Tages sagte meine Mutter: „Ach, wenn er doch nur eine Schwester hätte."
Er hatte.
Wusste ich aber nicht.
Nach dem Studium arbeitete Günter in Bremen. Ich war in Gütersloh bei Bertelsmann.
Irgendwann bekam ich einen Anruf von Günter:
„Ich möchte wieder zurück nach Stuttgart. Kannst du mir beim Umzug helfen?"
Natürlich konnte ich.
Er hatte eine kleine Wohnung im Souterrain.
Als ich die Treppe runter stieg, stand da plötzlich ein 156 cm kleines, schlankes und zierliches Persönchen vor der Eingangstür der Wohnung.
Große Augen strahlten mich an.
Geschminkt. Lange Finger mit lackierten Fingernägeln. Minirock. So gar nicht meine Welt.
„Hallo, ich bin Dietlinde."
„Ich heiße Bernd."
„Das ist meine Schwester. Sie kommt aus Stuttgart und hilft uns auch."
Liebe auf den ersten Blick! Und das blieb dann auch so.
Ich war verzaubert. Und auch das blieb so.
40 Jahre lang.
Physische Schönheit ist vergänglich. Schönheit der Seele nicht.
Ich sah Sie. Nicht die Schminke.
Es folgten eineinhalb Jahre Wochenendfahrten Gütersloh - Stuttgart. Zwei Autos gingen dabei drauf. Es waren ältere Modelle.
Um die Wege abzukürzen, bewarb ich mich in Stuttgart. Aber niemand wollte mich. So zog ich mit der Plattenfirma von Gütersloh nach München.
Jetzt waren es nur noch 220 Kilometer.
Noch mal eineinhalb Jahre Freitag abends hin, Montag früh zurück.
Dietlinde war Friseurmeisterin und hatte ein eigenes Geschäft. Da das aber aus räumlichen Gründen nicht ausbaufähig war, verdiente sie gerade so viel, wie eine Angestellte. Und das bei doppelter Arbeitszeit.
Es zeigte sich bald, dass sie über ähnlich ausgleichende, beruhigende Eigenschaften verfügte, wie ihr Bruder. Allerdings mit einem Unterschied: Irgendwann war Schluss mit ihrer Geduld. Bis hierhin und nicht weiter.
Dann konnte sie beinhart werden.
Wir bezogen eine 3 Zimmerwohnung in Ismaning. Erdgeschoss.
Die Vermieter schlichen ums Haus und schauten ins Fenster. Uns war klar, dass wir das nicht lange aushalten würden. Wir wichen ins Grüne aus, sobald es irgend ging.
Während des Hochzeitsurlaubs in der Kelchsau, Österreich, verliebten wir uns die das Tal und wollten dort eine Hütte bauen.
Es gelang. Ein 200 Jahre altes Heustadl wollte zur Hütte ausgebaut werden.
Wir hatten zwar keine Ahnung, was Nut- und Federbretter sind, oder wie man einen Kamin baut, das brachte uns aber ein Schreinerfreund unter der Woche bei. Am Wochenende wurde gebaut.
Am Anfang schleppten wir die Sachen mit einem Renault 4 ran. Später dann mit einem VW Bus.
Der wurde auch gleich mit Schwiegervaters Hilfe ausgebaut.
Jetzt hatten wir zusätzlich eine mobile Hütte und konnten uns die schönsten Plätze aussuchen.
Dietlinde war mit der Entscheidung, Friseurin werden zu müssen, nicht glücklich. Ihre Eltern fanden, dass ein Mädchen nicht studieren müsse.
Da ich genug verdiente, konnte sie sich einen lange erwünschten künstlerischen Beruf aussuchen. Sie entschied sich, eine Töpferlehre zu machen.
Schon während ihrer Lehrzeit richteten wir eine Werkstatt in einer ehemaligen Papierfabrik ein.
Wir begannen zu reisen. Nicht irgendwohin, um dort mit den Beinen im Wasser zu planschen oder der Sonne zu frönen.
Es war pure Neugierde.
Unser Schreinerfreund arbeitete, um zu reisen. Er drehte Filme, die wir regelmäßig verschlangen.
Das wollten wir auch.
Wir waren neugierig auf alte Kulturen, neugierig auf andere Menschen, andere Länder.
Unsere Sicht der Dinge begannen sich zu ändern. Wir hinterfragten unsere Ansichten.
Wir merkten immer wieder, dass man zum Glücklichsein offensichtlich nicht einmal Geld braucht:
Etwa auf dem Marktplatz von Erzurum am Ararat.
30 Schuhputzer saßen mit blitzenden und reich verzierten Schuhbänken fröhlich plaudernd und teetrinkend rund um den Marktplatz – ohne auch nur einen einzigen Kunden zu haben.
Inmitten der Sahara bei einem kleinen Beduinenvölkchen in einer von allem abgeschiedenen Oase, die glücklich und zufrieden mit dem lebten, was dort zu haben ist.
In Südtansania, als wir von den sich selbst versorgenden Dorfbewohnern mit einer fröhlichen Herzlichkeit und unbekümmerter Offenheit begrüßt wurden.
Als wir einmal aus Persien kommend an der deutsch-österreichischen Grenze mit dem Hinweis und überaus strengem Blick aufgehalten wurden, wir hätten einen Lichtschaden, ein Scheinwerfer sei kaputt, schauten wir uns an: „ Hat der sie nicht noch alle? Ist das tatsächlich so wichtig?"
Unser Blickwinkel erweiterte sich. Wir hinterfragten immer häufiger, was in aller Welt wir so treiben.
Wir wurden demütig und lernten, mit