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Paranoid: Cyberthriller
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eBook274 Seiten3 Stunden

Paranoid: Cyberthriller

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Über dieses E-Book

Ein Cyber-Thriller wie ein Road Movie, der den Leser in rasender Geschwindigkeit durch zahlreiche Handlungsorte und in die Welt des internationalen Waffenhandels führt. Zwei junge Männer werden für einen Mord zur Rechenschaft gezogen, den sie nicht begangen haben. Nur mit Hilfe der Tochter des Mordopfers können sie ihre Unschuld beweisen und die wahren Täter überführen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. Nov. 2012
ISBN9783847623557
Paranoid: Cyberthriller

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    Buchvorschau

    Paranoid - Wolfgang Ruehl

    Kapitel 1

    In dieser Jahreszeit hatte er eindeutig nichts zu suchen, dieser Mistkerl. Es war Hochsommer und Hagen hatte nicht die leiseste Ahnung, warum er gerade jetzt und hier von seiner unangenehmsten Kindheitserinnerung heimgesucht wurde. Kein Werbeplakat, keine Weihnachtsmusik, nichts Rotes, ja nicht einmal ein Nadelbaum war zu sehen. Er sog die Luft im Wagen tief ein und konzentrierte sich auf den Geruch. Auch daher konnte es nicht kommen, es roch nach Connolly Leder und nicht nach Aachener Printen. Die Erinnerung an den Kinderfreund in rot wurde eindeutig nicht von einer Geruchswahrnehmung ausgelöst. Kaum verwunderlich, denn Hagen hatte wenig von einem romantischen Träumer. Bei ihm musste sich die Erinnerung einen anderen Weg bahnen. Eher wie ein Croupier seines Unterbewusstseins der eine beliebige Karte auf den Tisch warf, mit der dann gespielt werden musste.

    In diesem Fall mit einem Schlüsselerlebnis aus Hagens frühester Kindheit. Er war viereinhalb gewesen. Der Nikolaus war mit seinem Partner, einem ganz in schwarz gekleideten Typen, der kein Wort sagte und bei der Bescherung offensichtlich die Rolle des Bad Cop zu spielen hatte, ins Heim gekommen und wuchtete einen gewaltigen Sack auf die Bühne der Aula. Das Publikum bestand aus den Kindern des Heimes und den Nonnen. Nach der Begrüßung und einer erstaunlich synchron geratenen Erwiderung des Grußes durch die Kinderschar, fragte der Nikolaus, wer denn das jüngste Kind sei und fischte ein erstes Geschenk aus dem riesigen Sack. Hagens Kinderherz begann wie wild zu hüpfen. Er war das jüngste Kind! Er sprang auf und wollte gerade auf die Bühne stürmen, als er feststellen musste, dass ein anderes Kind, deutlich älter als er, schneller gewesen war und das Päckchen einheimste. Hagens Protest wurde von einer der Nonnen mit einer beschwichtigenden Geste abgewiegelt. Seine Hoffnung, zu einem späteren Zeitpunkt mit einem größeren Geschenk entschädigt zu werden, wurde bitterlich enttäuscht. Drei Illusionen trug Hagen an diesem Tage zu Grabe.

    Seinen Glauben an die Allwissenheit des Nikolauses, den an die Gerechtigkeit im Allgemeinen und sein Vertrauen in die Vertreter kirchlicher Institutionen. Hagen registrierte verärgert, dass diese längst vergessen geglaubte Erinnerung immer noch größtes Unbehagen bei ihm auslöste.

    Er entzündete eine Zigarette und inhalierte tief. Warum kam diese Erinnerung jetzt? Kurz vor ihrem endgültigen Triumph? Er rempelte die Frage beiseite. Unfug, stattdessen kramte er in seinem gut ausgestatteten Fundus angenehmer Kindheitserinnerungen und holte ein paar Perlen hervor, um den Schatten der Nikolaus Erinnerung zu vertreiben. Da war

    das legendäre A-Jugend Spiel gegen Bösingen, in dem er drei Tore gemacht und den Gegner quasi im Alleingang pulverisiert hatte. Oder Marita, seine Jugendliebe auf der Abschlussfeier der Realschule: Sie hatte ihn im Werkraum in eine Knutscherei verwickelt, die alle wesentlichen Merkmale eines Duells enthalten hatte, ausgefochten mit Zungen statt Degen. Hagen lächelte. Genug. All das war lange her und hatte mit dem was vor ihnen lag nichts zu tun.

    „Alles klar?, fragte Franjo. „Bestens, alles bene. Hagen drehte die Musik lauter.

    „Dark was the night, red was the dawn" tönte die Stimme John Newlins aus den Türlautsprechern, als Franjo und Hagen genussvoll langsam durch das Pariser Villenviertel fuhren. Ein Song, harmlos und schön wie eine freundliche Warnung.

    Die Beiden folgten den Anweisungen des Navis und betrachteten die Häuser und prächtigen Gartenanlagen.

    „Wie muss ich mir das vorstellen, wollte Hagen wissen, „kriegen wir den Hauptgewinn gleich in bar wenn wir da aufschlagen oder müssen wir am letzten Spielort noch eine Aufgabe lösen?

    „Schätze, wir müssen noch was tun, entgegnete Franjo, „ schließlich haben wir erst neun Aufgaben gelöst. Du kannst ja noch mal ins Netz gehen. Da müsste neben der letzten Aufgabe ein Bild der Trophäe sein, die wir finden müssen.

    Hagen griff nach dem Smartphone und startete die Transadventure App.

    „Kommt sofort." Er gab das Kennwort ein, wobei ihn seine brennende Zigarette behinderte, die er nach kurzem Zögern aus dem Fenster schnippte.

    „Das dauert hier, nicht zu fassen."

    „Das dauert hier genau so lange wie anderswo, du wirst ungeduldig auf der Zielgeraden."

    Auf dem Bildschirm erschien die Flash Animation eines Narren, der den Betrachter grinsend begrüßte und „Well done" krächzte.

    „Na bitte, wer sagt´s denn! Auf Hagens Stirn schoben sich drei Falten zusammen. „Hm, so was Ähnliches habe ich mir schon gedacht.

    „Was?"

    „Das noch so’n Sexding kommt." Hagen hielt Franjo das Display des iPhones vor die Nase und deutete auf ein Paar Handschellen, die im zehnten und letzten Kästchen neben der zehnten Aufgabe abgebildet waren.

    Hagen rieb sich die Hände, schaltete Gerät aus und reichte es an den Fahrer weiter.

    „Die letzte Aufgabe übernehme ich, das ist nichts für frisch Verliebte. Er sah sich um, anerkennend nickend. „Nette Gegend hier.

    „Das kannst du laut sagen."

    „Nette Gegend hier, brüllte Hagen und lachte. „Hast du noch was zu rüsseln? Ich muss mich in Form bringen, bevor ich die Dame des Hauses an die Pfosten ihres Messingbettes kette.

    Franjo reichte Hagen ein Briefchen und sah sich skeptisch um, während er, den Anweisungen des Navis folgend, in eine Seitenstraße abbog.

    „Ich weiß nicht. Das ist mir etwas zu öffentlich hier."

    „Mach dir nicht ins Hemd, bemerkte Hagen, der im Handschuhfach nach einer Unterlage suchte. Da ist eine Parklücke. Rein da und fertig.

    Franjo parkte ein und Hagen ordnete das weiße Pulver in zwei Lines auf einer CD Hülle, die er seinem Nebenmann reichte. Anschließend knüllte er das Briefchen zusammen und warf es aus dem Fenster.

    Franjo rollte einen Geldschein und sog das Pulver ein.

    Hagen folgte seinem Beispiel, rieb sich die Nase und kontrollierte sein Riechorgan anschließend im Kosmetikspiegel der Sonnenblende.

    „Auf geht’s."

    Das Navi führte die Beiden in eine Sackgasse, die auf beiden Seiten von prachtvollen Villen hinter hohen Mauern gesäumt war. Auf der Straße war kein einziges Fahrzeug zu sehen.

    Selbst die Straßenbeleuchtung schien hier heller zu sein, als in den Wohnvierteln, die sie zuvor durchfahren hatten.

    „Hol schon mal den Schlüssel raus, sagte Franjo und deutete auf den Beutel, in dem die gesammelten Trophäen verstaut waren, „wir sind gleich da.

    Hagen kramte den Schlüsselbund hervor und warf den Beutel auf die Rückbank. Er ließ den Schlüsselbund durch seine Finger gleiten und betrachtete ihn liebevoll. Neben dem Emailschild mit dem Grünen Punkt baumelten ein einzelner Schlüssel und eine Infrarot Fernbedienung.

    „Sie haben Ihr Fahrtziel erreicht", verkündete die Stimme des Navigationsgerätes.

    Hagen drückte auf den Infrarotsender, woraufhin sich das gusseiserne Tor schwerfällig in Bewegung setzte.

    „Das nenn ich mal eine amtliche Casa. Er deutete auf das beleuchtete Fenster im ersten Stock. „Die zählen schon die Kohle. Zehn Riesen Mann, wir haben es geschafft. Wir haben es tatsächlich geschafft. Hagen rieb sich die Hände und trommelte auf das Armaturenbrett, während sich die Reifen knirschend durch den weißen Kies der Auffahrt gruben. „Hup mal, damit das Empfangskomitee aufläuft. Ich will hier ganz Old-School-mäßig ein Spalier von befrackten Lakaien sehen, wenn die Sieger aufschlagen."

    Franjo hupte tatsächlich, aber nichts rührte sich. Sie parkten den Wagen direkt vor der Einfahrt und näherten sich respektvoll dem riesigen Eingangsportal.

    „Was glaubst du, kostet so eine Villa?" wollte Hagen wissen.

    „Ein bisschen mehr als unser Hauptgewinn wird es schon sein, damit kann man wahrscheinlich gerade mal die Betriebskosten für einen Monat bestreiten."

    Franjo klingelte, aber wiederum rührte sich nichts.

    „Was machen wir mit der Kohle? fragte Hagen. „Wir haben noch zwei Wochen Urlaub. Wie wär’s, wenn wir nach Thailand fliegen? Da kann man tauchen, da gibt es jede Menge Hasen und Magic Mushrooms.

    „Schließ auf, das Spiel ist noch nicht zu Ende."

    „Das Spiel ist noch nicht zu Ende, echote Hagen mit tiefer Stimme und schob den Schlüssel ins Schloss. „Wir kommen jetzt herein und machen dem Spiel ein Ende, also, jeder Widerstand ist zwecklos. Die schwere Eichentüre öffnete sich wie von selbst.

    „Hallo, ist da jemand?"

    Hagen schaltete das Licht an. Die riesige Halle war beeindruckend und menschenleer. Die beiden sahen einander etwas hilflos an.

    Franjo deutete nach oben, Hagen schüttelte den Kopf. „Der SM-Raum ist immer im Keller."

    „Du bist echt krank im Kopf, im Ernst. Das solltest du mal in Angriff nehmen. Wir gehen nach oben, da brennt Licht."

    Franjo nahm zwei Stufen auf einmal und spurtete die Rundtreppe hoch. Hagen folgte ihm. Oben angekommen orientierten sie sich.

    „Da." Hagen deutete auf den Lichtstrahl unter der Türe am Ende des Ganges.

    Franjo bewunderte den Teppich in den sie beim Gehen zentimetertief versanken. Er drückte die Klinke vorsichtig runter und sie betraten ein altmodisch eingerichtetes, Holz vertäfeltes Arbeitszimmer, in dessen Mitte ein zierlicher antiker Schreibtisch stand. Die linke Seite des Raumes füllte eine Bücherwand, auf der rechten stand ein gewaltiger Kamin, der mit Jagdtrophäen umrahmt war, die ganz offensichtlich nicht in europäischen Wäldern geschossen worden waren. Es war nicht das leiseste Geräusch zu hören.

    Während Hagen, den Kopf im Nacken, die holzvertäfelte Decke betrachtete, entfuhr Franjo ein Fluch. „Verdammte Scheiße."

    Hagen fuhr zusammen und orientierte sich an Franjos Blickrichtung.

    Er sah die Beine eines Mannes hinter dem Schreibtisch liegen. „Fuckch."

    Langsam näherten sie sich der Leiche. Sie sahen einander wortlos an, nur wenige Sekunden, die ihnen aber wie eine Ewigkeit vorkamen. Dann wanderten ihre Blicke wieder zu dem Toten, dessen Kopf durch eine Schusswunde verunstaltet war und der in einer riesigen, schwarzen Blutlache lag.

    Hagen überwand seine Lähmung als erster und beugte sich fachmännisch über die Leiche des alten Mannes.

    „Sieht genauso aus wie der Stift, der letztes Jahr vom Gerüst gefallen ist. Hirngrütze, guck dir das an."

    „Super, das ist alles was dir einfällt, verdammt noch Mal?" Franjos graue Zellen arbeiteten auf Hochtouren.

    „Was regst du dich auf?, versuchte Hagen ihn zu beruhigen. „ Wir haben den doch nicht umgelegt.

    „Was ich mich aufrege? Du fragst, was ich mich aufrege? Ich kann dir sagen, warum ich mich aufrege. Wir sind abgezockt worden. Nach allen Regeln der Kunst. Die ganze Nummer war ein abgekartetes Spiel und wir sind die Deppen, wenn das kein Grund ist, sich aufzuregen..."

    Hage schüttelten den Kopf, lächelte und schob seinen Freund langsam Richtung Türe: „Hör zu. Kein Grund zur Panik. Alles unter Kontrolle. Wir drücken hier die Escape Taste und verschwinden, ohne irgendetwas anzufassen. Sofort. Wir gehen nicht über Los, ziehen auch keine 10.000 Euro ein und vergessen den ganzen Quatsch. Also, kontrollierter Rückzug, auf geht ?s."

    Franjo zögerte einen Moment, dann nickte er. Die Beiden drehten sich um und hatten die Türe noch nicht erreicht, als der ganze Raum von einem Moment zum anderen in blinkendes blaues und rotes Licht getaucht wurde.

    „Don´t fuck... „...with Switzerland, vervollständigte Hagen den Satz.

    Eine durch das Megaphon metallisch eingefärbte Stimme sprach in kurzen und bestimmt klingenden Sätzen zu den Beiden.

    „Was sagt er?", wollte Hagen wissen.

    „Das Haus ist umstellt und wir sollen mit erhobenen Händen rauskommen", übersetzte Franjo.

    „Sehr originell. Hagen hielt seine Hände halbhoch, zögerte und überlegte, ob den Anweisungen der Polizei jetzt schon Folge zu leisten war, oder erst, wenn sie draußen waren. Er betrachtete seine Jacke und die seines Freundes auf der Suche nach roten Punkten von Laserzielgeräten, fand aber keine. „Scheiße. Hast du einen Plan B?

    Franjo war der erste, der sich wieder gefasst hatte.

    „Pass auf. Das ist eine abgekartete Sache, soviel ist klar. Wir haben maximal zwei Minuten Zeit, bis die Bullen hier sind. Wahrscheinlich schießen die bei der ersten Gelegenheit. Also: keine unüberlegten Bewegungen. Wahrscheinlich werden wir sofort getrennt und uns eine sehr lange Zeit nicht mehr sehen. Franjo war hochkonzentriert. „Die werden versuchen uns gegeneinander auszuspielen. Keiner gesteht irgendwas. Wir bringen die Story genau so, wie sie passiert ist. Das ist unsere einzige Chance. Hagen nickte, wobei sich Franjo nicht sicher war, ob sein Freund ihm überhaupt zugehört hatte.

    „Und keiner lässt sich auf einen Deal ein, egal was man ihm anbietet. Hast du das verstanden?"

    Hagen nickte. „Kein Deal, die Story im Original bringen, alles easy." Dann bewegten sich die Beiden langsam auf den Ausgang zu, die Hände erhoben.

    Kapitel 2

    Paris

    Es gibt postkoitale Depressionen, Belastungsdepressionen, Entlastungsdepressionen, drogenindizierte Depressionen, chronische Depressionen und sicher noch ein weiteres Dutzend. Aus der Sicht eines Psychologen wäre Hagen in seinem momentanen Gemütszustand ein äußerst wertvoller Proband, da er eine Vielzahl dieser Depressionsvarianten gerade gleichzeitig durchlitt.

    „Dieses Warten, dieses verdammte Warten, murmelte er. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit. Er schmorte ohne jegliches Zeitgefühl seit einer gefühlten Ewigkeit in seiner Zelle, ohne dass ihn jemand angesprochen hätte. In regelmäßigen Abständen kam jemand den Gang hinunter, an der Zelle vorbei, um dann wieder zu verschwinden. Überhaupt lief das alles ganz anders ab, als in den Filmen oder im Fernsehen. Bis auf die Verhaftung selbst, die etwas ruppig über die Bühne gegangen war, waren alle ausgesprochen höflich gewesen. Man hatte ihm sogar seine Zigaretten gelassen, die allerdings schon vor Stunden zur Neige gegangen waren. Und jetzt wollten sie ihn wohl weich kochen, soviel war klar. Wahrscheinlich aber hatten sie gerade Franjo in der Mangel. Oder – für einen kurzen Moment keimte Hoffnung in ihm auf - das Ganze war ein verdammt professionell gemachter Scherz wie bei „The Game. Quasi der letzte Test bevor sie mit dem Jackpot rüberkommen würden.

    Die Handschellen, die letzte von 10 Trophäen. Genau. Gleich würde eine schlanke Mulattin hereinkommen, einen Koffer voll Geld in der Hand und ihn verführerisch anlächeln. In ihrem Schlepptau der Puppet Master und ein grinsender Urs, der sich geschlagen gibt. Hagen wartete einen Moment, bis sich der Gedanke gesetzt hatte. Dann schüttelte er den Kopf.

    „Du Schwachkopf, du gottverdammter Schwachkopf", schrie er laut in seiner Zelle und hämmerte sich mit der flachen Hand vor die Stirne, als wolle er diesen Gedanken mit Gewalt aus seinem Kopf prügeln. Nein, das war kein Spiel, sie waren nach allen Regeln der Kunst gelinkt worden. Diese Gewissheit nahm ihn in Besitz und ließ alle Kraft aus seinen Gliedern weichen.

    Er betrachtete seine Fingerkuppen, die immer noch Reste der Druckerschwärze aufwiesen. Die erste einer ganzen Reihe von Prozeduren, die er direkt nach der Ankunft auf dem Revier über sich hatte ergehen lassen müssen. Die Drogen, OK, das würde er zugeben müssen, aber das war Eigenbedarf. Das mit den Schmauchspuren an seiner Hand und der Kleidung würde er erklären können. Hoffentlich hatte Franjo noch die ganzen Adressen. Er hatte sich schon seit Stunden das Hirn zermartert, aber ihm fiel beim besten Willen nicht ein wie der verdammte Ort hieß, an dem der Schießstand war. Sein Gedächtnis, das war ein Problem. Aber andererseits war Franjo in diesen Dingen ausgesprochen gewissenhaft. Das würde sich klären lassen. Contenance bewahren, das war jetzt das Wichtigste, Contenance, er nickte, den Blick abwechselnd auf die vier Ecken der Decke gerichtet. Er konnte sie zwar nicht sehen, aber er wusste, dass sie da waren, die Beobachtungskameras, durch die sie ihn studierten, wie eine Laborratte. Jawohl, Haltung bewahren, mehr konnte er im Moment nicht tun.

    Franjo hatte sich den Verhörraum anders vorgestellt, mit einem großen Spiegel, hinter dem sich weitere Polizisten verbergen würden. Mit einer Schreibtischlampe, die ihn blenden würde. Stattdessen befand er sich in einem ganz gewöhnlichen Besprechungsraum. Mit einem großen Tisch in der Mitte und einem kleineren Schreibtisch, sowie den dazu gehörigen Büroutensilien. Eine Strukturtapete in nichts sagendem Grau, das war alles. Kein Fenster. Vor ihm ein Aschenbecher, eine angebrochene Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug, das mit einer Kette am Tisch befestigt war. Er überlegte einen Moment, nahm sich eine Kippe und zündete sie an.

    Dann hörte er Schritte auf dem Gang. Wenig später betraten drei Männer den Raum.

    Zwei setzten sich ihm gegenüber. Ein Diktiergerät wurde auf den Tisch geschoben und angeschaltet. Der dritte Mann blieb hinter Franjo stehen.

    Commissaire Foch hielt eine dünne Akte in der Hand und nickte dem Mann an seiner Seite zu.

    „Herr Gönner, Sie sind über Ihre Rechte aufgeklärt worden?"

    „Jawohl."

    „Wir haben die deutsche Botschaft verständigt, das ist Vorschrift. Ihr Anwalt ist auf dem Wege, wir erwarten ihn jeden Moment. Sie können unsere Sprache verstehen?"

    „Jawohl."

    Der Kommissar nickte. „Wir haben, um Missverständnissen vorzubeugen, trotzdem einen Dolmetscher hier. Sie können also in Deutsch antworten. Der Kommissar vergewisserte sich mit einem Blick über den Rand seiner Lesebrille, dass Franjo ihn verstanden hatte. „Können wir bis er eingetroffen ist, kurz auf ihre Angaben zur Person eingehen?

    „Selbstverständlich."

    Der Dolmetscher las Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Adresse von einem Blatt ab. „Sind diese Angaben korrekt?"

    „Korrekt", bestätigte Franjo.

    „Wissen Sie, was Ihnen zur Last gelegt wird?", fragte Foch, der nach einem billigen After Shave roch, von der Sorte, die man zu den üblichen Anlässen von ratlosen Angehörigen geschenkt bekommt.

    „Nein."? Franjo sagte dies mit einer verblüffend echt wirkenden Sorglosigkeit. Die drei Männer sahen einander ungläubig an. Hatten sie richtig gehört?

    Commissaire Foch notierte etwas auf das Blatt in der Akte. Dann betrat ein Mann den Raum, der sich als Vertreter der Anwaltskanzlei Pleneau vorstellte. Mit sicherem Schritt näherte er sich und begrüßte die Anwesenden. Er nahm neben Franjo Platz.

    „Ich bin Alphonse Radiguet, ihr Anwalt."

    „Franjo Gönner, sehr erfreut." Das war eindeutig gelogen, denn Franjo hatte einen Mann mit grauen Schläfen jenseits der Fünfzig erwartet und sah sich jetzt einer Person gegenüber, die jünger war, als er selbst. Ende Zwanzig, höchstens Anfang Dreißig. Der Mann sprach allerdings akzentfrei deutsch und strahlte eine bemerkenswerte Selbstsicherheit aus.

    „Dies ist kein Verhör, stellte er klar. „Die Herren beschreiben lediglich den Sachverhalt. Wir werden uns zu keinem der genannten Punkte äußern, bis wir Gelegenheit hatten, Einsicht in die Unterlagen zu nehmen. Bitte, meine Herren.

    Commissaire Foch begann, wobei er seinen Vortrag regelmäßig unterbrach, um dem Dolmetscher Zeit für die Übersetzung zu gewähren.

    „Fassen wir den Sachverhalt zusammen, meine Herren. Ihnen wird vorgeworfen den Tod von M. Schoenwater, wohnhaft in der Rue Gilles de Rais, No. 17 herbeigeführt zu haben. Sie sind um 23.45 Uhr am Tatort in Begleitung eines gewissen Hagen Hoffstadt festgenommen worden. Die Gerichtsmedizin hat den Todeszeitpunkt in einem vorläufigen Befund auf 23.30, plus minus eine halbe Stunde, festgelegt. In ihrem Besitz befanden sich die Schlüssel zur Villa, die am Tage zuvor bei einem Einbruch in das Wochenendhaus des Opfers entwendet wurden. Ihre Fingerabdrücke sind neben zahlreichen weiteren Spuren in besagtem Wochenendhaus gefunden worden.

    Wir haben die Fingerabdrücke des Herrn Hoffstadt sowohl auf der Tatwaffe, als auch auf den Patronenhülsen gefunden. Des Weiteren haben wir

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