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David Voss - Scharfrichter zu Wolfenbüttel
David Voss - Scharfrichter zu Wolfenbüttel
David Voss - Scharfrichter zu Wolfenbüttel
eBook475 Seiten6 Stunden

David Voss - Scharfrichter zu Wolfenbüttel

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Über dieses E-Book

Wir befinden uns in Wolfenbüttel kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg. Der junge David Voss, Sohn des Scharfrichtermeisters des Herzogtums Wolfenbüttel, wächst zunächst in dem kleinen Dorf Groß Stöckheim auf, verbringt seine Jugendzeit in Lemgo und erlebt den Prozess gegen Anna Roleffes, die als letzte Braunschweigische Hexe hingerichtet wurde......
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum28. Juli 2017
ISBN9783745006803
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    Buchvorschau

    David Voss - Scharfrichter zu Wolfenbüttel - Adam Fuchs

    image1

    Adam Fuchs:

    David Voss, Scharfrichter zu Wolfenbüttel

    eine fiktive Biografie

    Umschlag:

    Kalika Häring: David Voss vor dem Wolfenbütteler Schloss,

    Kreide auf Leinwand

    © auf Text und Bildgestaltung:

    Kalika Häring

    ISBN: s. Buchrücken

    epubli Verlag Berlin, www.epubli.de

    Wolfenbüttel Juli 2017

    Erinnerungen des David Voss dem Jüngeren

    1646 – 1705

    Herzöglicher Scharfrichter der Festung Wolfenbüttel

    eine fiktive Biografie

    aufgeschrieben von

    Adam Fuchs

    Festung Wolfenbüttel im Mai 1704

    Elf Mal hat es gerade von St. Marien in der Festung geschlagen.

    Die gesamte Gesellschaft ist bereits von der Kirche in Groß Stöckheim auf unserem Gehöft eingetroffen, wo die Männer im Hof versammelt sind, um sich ein erstes schäumendes Bier zu genehmigen.

    Die Frauen scheint es mehr in die Küche zu ziehen, während die Mägde die langen Tische, welche von den Knechten im Hof aufgebaut wurden, eindecken und schwere Krüge herbeischleppen.

    Zwischen den Gebäuden auf dem Hof toben derweil die Kinder herum und oben aus dem Haus hört man durch die weit geöffneten Fenster den Täufling plärren.

    Seit mehreren Tagen ist es warm und sonnig, so dass wir es wagen werden, draußen zu sitzen, zu essen, zu trinken und alte Geschichten zu erzählen, wie es bei jeder Tauffeier üblich ist.

    Bis die Suppe serviert wird, ist noch ein wenig Zeit.

    Die werde ich nutzen, zum Fluss hinunter zu gehen und in aller Ruhe eine Pfeife zu rauchen, denn bis ich dazu wieder Gelegenheit haben werde, kann es eine Weile dauern.

    Das Haus ist voller Verwandtschaft und so schnell wird die auch nicht wieder verschwinden.

    Wenn ich mich durch die Vorratskammer in den dahinter liegenden Gemüsegarten verdrücke, wird mein Fehlen so schnell nicht bemerkt werden und von dort sind es nur noch wenige Schritte hinunter an die Oker zu der Bank, die ich im letzten Herbst am höher gelegenen Ufer habe aufstellen lassen.

    Da kann ich ungestört sitzen, habe einen herrlichen Blick über die Gemeindewiesen am anderen Ufer bis hinüber nach Groß Stöckheim und kann in Ruhe meinen Gedanken nachhängen.

    So lieb und teuer mir mein jetziges Weib auch ist, weiß ich doch, dass sie diese müßige Herumsitzerei nicht leiden kann, weshalb die versteckte Bank, auf der man unbeobachtet träumen kann, von großem Vorteil ist.

    Wir haben Trinitatis und der Sonntag wartet mit wahrhaft prächtigem Wetter auf.

    Die Schneeschmelze ist endlich vorüber, die Oker fließt wieder in ihrem angestammten Bett, ohne die anliegenden Wiesen zu überfluten, die Schwäne und Enten, die sich während der Überschwemmungswochen im Winter auf den großen Wasserflächen angesiedelt hatten, sind verschwunden, das Wasser ist abgeflossen und die Schafweiden auf dem anderen Ufer beginnen sich zu erholen.

    Alles in allem haben wir in diesem Winter Glück gehabt.

    Es hat mäßig Schnee gegeben, so dass das Wasser zum Frühlingsbeginn lange nicht so hoch gestiegen ist wie in den letzten Jahren.

    Die kalte Sophie liegt bereits hinter uns und sobald die Gäste wieder abgereist sind, kann endlich auch der neue Garten angelegt und bestellt werden, der zur Zeit noch etwas nackt und kahl dasteht, während die Büsche und Bäume an der Oker schon kräftig ausschlagen.

    Die Pflaumenbäume hinter mir blühen gerade zum ersten Mal, um mit ihrem süßen Duft Scharen von Bienen anzulocken, die brummend hin- und herfliegen, die Butterblumen recken ihre dicken, plustrigen Blüten in den maiblauen Himmel und lachen aus ihren gelben freundlichen Gesichtern mit der Sonne um die Wette.

    Die Vögel singen in allen Tonlagen, gemeinsam übertroffen vom Kuckuck, der aus der Ferne beharrlich vorzählt, wie viele Jahre einem Menschen auf dieser Welt noch vergönnt sind, ob dieser das nun wissen möchte oder nicht.

    Die sonntägliche Glocke der Apostelkirche in Groß Stöckheim klingt herüber, mal etwas näher, mal etwas ferner, je nachdem, wie der Wind sich bewegt und von der anderen Seite, der Festung her, steuert das satte, volltönende Geläut der Marienkirche seinen Teil zum Sonntagskonzert bei.

    Hier von meinem Lieblingsplatz aus kann ich linkerhand noch gerade die Spitze des Marienkirchturmes sehen.

    Zur Rechten geht der Blick frei über die Wiesen und Schafweiden hinüber nach Groß Stöckheim bis zum Turm der Apostelkirche, der sich über die Baumkronen erhebt, unter denen die Stöckheimer Häuser und Katen verborgen sind.

    Und vor mir ganz im Hintergrund breiten sich die dunstigen Hügel der Lichtenberge aus.

    So schön aber der Blick von meinem liebsten Platz auch ist, er wird noch übertroffen von der Aussicht, die sich mir bietet, wenn ich bis auf den Dachboden meines neuen Hauses klettere.

    Dann kann ich von dem kleinen Giebelfenster aus die Festung Wolfenbüttel sehen mit dem prächtigen Schloss, wo auf den vielen Türmen die Wetterfahnen sich im leichten Maiwind nur ganz wenig hin- und herbewegen.

    Dahinter erkennt man gerade noch die Harzberge, die bei solch einem Wetter gern eine bläuliche Färbung annehmen.

    Und auf der anderen Giebelseite schaut man auf das Dörfchen Groß Stöckheim, hinter dem man weiter im Norden manchmal glaubt, am Horizont gerade noch die Turmspitzen der stolzen, einst freien Stadt Braunschweig ausmachen zu können.

    Doch, ich muss sagen, mein neues Haus macht schon etwas her.

    Groß ist es, komfortabel und vorzeigbar. Und ich habe weiß Gott nicht gespart bei der Ausstattung.

    Das hatte ich auch nicht nötig.

    Es sollen alle sehen, dass ich mir ein solches Wohnhaus leisten kann, denn ich bin ja schließlich nicht irgendwer:

    Ich bin David Voss, Scharfrichtermeister zu Wolfenbüttel.

    Die Taufe

    In einem Monat werde ich achtundfünfzig Jahre alt, das Alter, in dem mein Vater, der alte David Voss, gestorben ist.

    Wenn ich länger darüber nachdenken würde, könnte ich fast trübsinnig werden, aber das ist nicht nötig und ganz besonders nicht an diesem herrlichen Sonntag, an dem wir die Taufe meines kleinen Enkels Ambrosius feiern werden und gleichzeitig die Einweihung des neuen Hauses.

    Freunde aus der Stadt sind geladen wie auch unsere neuen Nachbarn sicherlich vorbeischauen werden.

    Vor allem aber ist es meine Verwandtschaft, die aus Schöningen, Hildesheim, Schöppenstedt und sogar aus dem Märkischen, der Heimat meines Schwiegersohnes Siegmund angereist ist.

    Bislang ist er meiner Tochter Catharina ein ordentlicher Ehemann gewesen und nach ihren zwei Mädchen haben sie jetzt den kleinen Ambrosius, der nach meinem ersten Schwiegervater, Catharinas Großvater, dem alten Schlotte, benannt wurde.

    Ein Jahr wird der Kleine bald alt und so langsam musste es mal angehen mit der Taufe.

    Es war mein besonderer Wunsch gewesen, sie in der Kirche in Groß Stöckheim und nicht im Hause, wie es in meiner Verwandtschaft häufig gehalten wird, stattfinden zu lassen und am Ende hatte meine Katharina gemeint, man solle mir doch diese Freude gönnen und die Kinder haben sich überzeugen lassen.

    Nur mit dem Herrn Pfarrer war es nicht ganz leicht gewesen.

    „Ihr müsst verstehen", fing er immer wieder an zu quengeln.

    „Die Gemeindemitglieder haben es nicht so gerne, wenn die Henkersfamilie in der Kirche auftaucht und ich kann doch auch zu Euch auf den Hof kommen."

    Gar nichts muss ich verstehen! Was interessieren mich seine Gemeindemitglieder. Sollen sie doch zetern und sich beschweren.

    Wir werden sowieso in Zukunft in der neu gebauten Trinitatiskirche sitzen und dann können die Stöckheimer Bauern mich mal allesamt gern haben.

    Kaum hatte ich aber das Grundstück, welches unsere Familie im Dorf noch besitzt und auf das der Pfarrer schon lange ein Auge geworfen hatte, in Aussicht gestellt, da wurde der Mann gesprächsbereit.

    Für mich hat das alte Haus, in dem wir vor langer Zeit gewohnt haben, keinen Nutzen mehr und wenn der Herr Pfarrer vernünftig ist und über verschiedene Dinge mit sich reden lässt, dann werden wir uns schon einig werden.

    Die Taufe jedenfalls habe ich bekommen, wie von mir gewünscht in der Apostelkirche zu Groß Stöckheim, das die Alten noch gern „Großen Stocken" nennen.

    Dort habe ich für meine Familie und mein Gesinde immer noch eine eigene Bank, ganz hinten zwar in der Kirche, aber dennoch eine eigene Bank, was nicht selbstverständlich ist.

    Dieses Recht ist von meinem Vater auf mich gekommen und der Pfaffe hat es bislang nicht gewagt, mir das streitig zu machen.

    Er ist ein furchtsamer kleiner Mann, der sich gerne tief duckt, wenn er auf Obrigkeiten trifft und bei mir weiß er leider nie so genau, woran er ist. Einerseits bin ich Vertreter der Obrigkeit, andererseits aber eben doch nur ein elender Scharfrichter.

    Die christlichen Schäfchen beschweren sich gelegentlich bei ihm, weil sie Sorge haben, sie könnten beim Hinaustreten aus der Kirche mit uns in Berührung kommen und dann ihrerseits unrein sein, wie sie auch uns für unrein und unehrenhaft halten.

    Mein Gott, wenn ich solch dummes Gerede höre.

    Sie sind so kleinlich, diese Bauern.

    Kleinlich, ungebildet und dumm und erheben sich dennoch über Andere, die auch nur ihre Arbeit machen.

    Zum Taufessen mit einem gut gemästeten Lamm in Sauce mit Zwiebelchen in Rotwein gegart, zu dem ich ihn selbstverständlich geladen habe, wollte er nicht kommen, wobei ich ein leises Zögern im Hinblick auf den feinen Braten doch bemerkt zu haben meine.

    Nein, nein, man bedaure. Man habe noch eine wichtige Verabredung.

    Natürlich, im Großen Weghaus drüben im kleinen Stöckheim im Braunschweigischen.

    Dorthin marschiert unser Herr Pfarrer fast jeden Sonntag nach dem Gottesdienst zu Fuß über die Schäferbrücke, den Wiesenpfad hinauf zum Braunschweiger Fahrweg, um am Wald entlang zum Wirtshaus zu gelangen und es sich dort mit seinen Gesellen gutgehen zu lassen.

    Ich weiß es, denn er muss an der alten Richtstätte vorbei, wo ich mich gelegentlich aufhalte, wenn es etwas vorzubereiten oder zu überprüfen gibt und dann sehe ich ihn eilen, den schwarzen Mann, damit er nach seinem Sonntagsgottesdienst nicht allzu spät zu seinen Kumpanen stößt.

    Die nehmen es nämlich nicht so sehr genau mit dem Kirchenbesuch, sondern fangen lieber schon einmal bei einem kräftigen Schluck von dem frisch gebrauten Bier, mit dem die Wirtin sich einen Namen gemacht hat, an, über Gott und die Welt zu spinnisieren, um Verbesserungen für unser aller Leben zu erdenken und wenn unser Pfaffe dann endlich dazu stößt, sind sie schon recht heiter und halten große Reden.

    Nun denn, sollen sie. Wenn sie später betrunken nach Hause torkeln, kann es schon geschehen, dass mein Knecht sie mit dem Karren aufsammelt und ein Stück mitfahren lässt.

    Dann sind die Herren meist sehr tolerant gestimmt und es macht ihnen nichts aus, auf dem Schinderkarren zu fahren.

    Wir werden also den Taufschmaus ohne unseren verehrten Herrn Pfarrer abhalten.

    In meinem neuen Haus!

    Ich freue mich, dass es gerade zeitig fertig geworden ist, wenn man bedenkt, wie viele Jahre schon der Herzog immer wieder verlangt und auch verfügt hat, dass der Wohnsitz des herzöglichen Scharfrichters endlich wieder an alter Stelle zu nehmen ist.

    An dieser Stelle, von der vor fast sechzig Jahren meine Eltern vor der großen Flut geflüchtet und auf einen Hof nach Groß Stöckheim umgesiedelt sind, wobei der Aufenthalt im Dorf eigentlich nur ein vorübergehender sein sollte, aber dann kam alles ganz anders und es sind viele Jahrzehnte daraus geworden.

    Das alte Haus, völlig verwahrlost inzwischen, habe ich abreißen lassen. Nur ein paar Balken und eine Tür waren noch zu gebrauchen und durften in das neue Haus umziehen, der Rest taugte bestenfalls noch als Brennholz.

    Mein Vater

    Sechsundfünfzig Jahre war mein Vater, genannt der alte David Voss, bereits alt, als ich auf die Welt kam und noch vor meinem zweiten Geburtstag ist er gestorben, so dass ich ihn gar nicht mehr richtig kennengelernt habe.

    Was ich über ihn weiß, habe ich eigentlich nur aus den Erzählungen meiner Mutter und denen meiner ältesten Schwester.

    Mit fünfzig Jahren hat er seine vierte Frau, meine Mutter, geheiratet, die damals gerade einmal zwanzig Jahre alt war.

    Seine erste Frau, Maria, kam aus der bekannten Scharfrichtersippe Clauss zu Lemgo im Lippischen, wo nicht nur mein Vater seine Lehrjahre absolviert hat, sondern auch ich später ein paar Jahre verbringen durfte und das waren nicht die schlechtesten, die ich erlebt habe.

    Mit dem Vermögen, das Maria ihm hinterlassen hatte, brachte er es zu mehreren Abdeckereien, zwei weiteren Frauen und schließlich zur Scharfrichterstelle in Braunschweig.

    Und dann kam Catharina, genauer Catharina Jahn, die im Jahr 1640 die vierte und auch jüngste Frau meines Vaters wurde.

    Catharina Jahn, meine Mutter, stammte aus Schöppenstedt und wie auch immer mein Vater an sie geraten ist, sie hat ihm Glück gebracht.

    Mit ihr kam die Berufung nach Wolfenbüttel, wo er schon kurze Zeit danach mit der weit lukrativeren Meisterei des Herzogtums bestallt wurde.

    Ein so alter Mann und eine so junge Frau?

    Da wird so manch einer geredet haben, die Jahnsche, wie meine Mutter nach ihrem Geburtsnamen immer genannt wurde, wird doch wohl Mittel und Wege finden, den Alten aus dem Weg zu räumen, ohne dass es groß auffällt.

    Schließlich war sie als Tochter eines Scharfrichters mit der Herstellung allerlei Tränke und Medizinen bestens vertraut.

    Natürlich wusste sie auch, wie man wirksame und doch kaum nachweisbare Gifte herstellte.

    Meine Mutter hat oft erzählt, dass sie das Getratsche der Weiber gehört hat, wenn sie gelegentlich am Markttag in die Festung ging, um Gewürze oder Tuche für neue Kleider zu kaufen.

    Sie ging zwar so selten wie nur irgend möglich dorthin, aber manchmal ließ es sich nicht ganz vermeiden.

    Die Frauen aus der Stadt standen dann in einigem Abstand von ihr an den Ständen der Händler und tuschelten miteinander, wobei das Tuscheln häufig sehr laut wurde, so dass man auch ja hören konnte, was sie zu sagen hatten, die ehrbaren Weiber von Wolfenbüttel.

    Meine Mutter hat sich immer beeilt auf dem Markt.

    Darüber waren die Händler froh, denn sie hatten kein Interesse daran, dass sich die Henkerin länger als nötig an ihrem Stand aufhielt.

    Nun ja, der Tuchhändler mag da wohl eine Ausnahme gewesen sein, denn wenn wir auch gehalten sind, besondere Kleidung zu tragen, um für Jedermann erkennbar zu sein, so ist es doch nicht verboten, die Kleider aus teuren Stoffen machen zu lassen.

    Meine Mutter hatte eine ausgesprochene Vorliebe für schöne Stoffe und liebte besonders die flandrischen Tuche wie auch die farbigen Seidenwaren.

    Da konnte der Händler schon einmal die Gegenwart der Henkerin ertragen, wenn er mit ihr über die nächste Lieferung verhandelte.

    Auf diese Weise hatten die Weiber auch ausreichend Gelegenheit, sich über den Reichtum der Jahnschen auszulassen und darüber, wie unehrenhaft ihr Geld verdient wurde.

    Aber meine Mutter hat auch gern erzählt, wie manches Mal ein Weib rot wurde, wenn sie es scharf ansah.

    Dann erinnerte sich manche junge Frau, dass man gerade vor kurzer Zeit erst heimlich nachts in das Henkershaus geschlichen war, um nach einem Trunk zu fragen, damit das ungewollte Kind nicht zur Welt kommen musste und dafür bezahlten sie nicht schlecht, die gerechten Weiber von Wolfenbüttel.

    Meine Mutter hat übrigens allem Gequake zum Trotz noch sieben Kinder mit meinem damals schon recht betagten Vater bekommen.

    Im Mai 1641 kam meine Schwester Dorothea zur Welt, noch zu der Zeit, als die Familie im alten Haus auf dem Juliusdamm wohnte.

    Einsam war es dort, keine Nachbarn, keine Gesellschaft, nur meine junge Mutter und eine einzige Magd im Haus.

    Und drumherum nichts als Wasser und Sumpf.

    Zudem war Krieg und nicht nur einmal mussten die beiden Frauen erleben, dass marodierende Soldaten herumzogen und sie in Angst und Schrecken versetzten, während mein Vater den ganzen Tag mit dem Knecht über Land war.

    Und dann das alte Haus.

    Überall saß der Schwamm und es soll immer modrig gerochen haben.

    In dem ersten Winter, den sie dort verbracht hat, habe das Wasser nach der Schneeschmelze gar bis hoch zur Türschwelle gestanden.

    Der alte Kasten hatte ständig nasse und ich immer kalte Füße, schimpfte meine Mutter noch Jahre später.

    Dazu kam die erste Schwangerschaft.

    ... für mich war dieser elende Krieg fast ein Segen. Ich konnte endlich weg aus dem grauslichen Kasten.

    Als Kind habe ich nicht verstanden, warum ein Krieg ein Segen gewesen sein sollte. Wie auch. Als ich auf die Welt kam, war der, Gottlob, schon längst Vergangenheit.

    Aber damals?

    Seit dem Jahr 1618 hatten die unterschiedlichsten Truppen an vielen Orten im Kampf miteinander gelegen.

    Kein Mensch konnte mehr sagen, warum oder wie es angefangen hatte. Das interessierte auch zu meiner Zeit niemanden mehr.

    Ich weiß nur, dass meine Eltern noch in dem Jahr, in dem meine Schwester geboren wurde, also 1641, ihre Sachen aufgeladen haben und mit dem Fuhrwerk nach Groß Stöckheim gefahren sind.

    Zu der Zeit hatten die wer-auch-immer-Truppen schon damit begonnen, einen alten Staudamm über die Oker wieder zu reparieren, um die Festung Wolfenbüttel unter Wasser zu setzen und auf diese Weise zur Aufgabe zu zwingen.

    Es war klar, dass unser Grundstück als eines der ersten absaufen würde, so nah, wie es an der Oker lag.

    Mein Vater hatte dem Herzog seine Situation vor Augen geführt.

    Das tief gelegene einsame Grundstück, die noch junge Magd und die schwangere Frau und keine Möglichkeit weit und breit, Hilfe zu holen, wenn erst einmal alles überschwemmt ist.

    Unser Herzog hat das schließlich verstanden und angeordnet, dass die Familie des Scharfrichters auf einen verlassenen Hof in Groß Stöckheim umsiedelt, denn verlassene Höfe gab es inzwischen genügend dort. Dafür hatten der Ewige Krieg, wie er bei uns genannt wurde, und die Pestepidemien schon gesorgt.

    Die verbliebenen Einwohner werden nicht gerade begeistert über die Neubürger gewesen sein, andererseits war es ihnen wohl schon ziemlich gleichgültig. Sie hatten auch andere Sorgen, als sich darüber aufzuregen, dass jetzt mitten im Dorf die Henkersfamilie lebte.

    Sie mussten versuchen, mit dem Wenigen, das der Krieg noch übrig gelassen hatte, ihr Leben zu fristen, und das mehr schlecht als recht.

    Zu der Zeit dauerte der schon über 20 Jahre und ein Ende war überhaupt nicht absehbar.

    Natürlich wurde nicht täglich und an jedem Ort gekämpft, aber die Auswirkungen, die bekamen alle zu spüren.

    Marodierende Söldnerheere überfielen die Dörfer, kleinere Schlachten hier und da vernichteten die Saat auf den Feldern, Krankheiten verbreiteten sich und Epidemien rafften die Menschen wie Fliegen hin.

    Viele Dörfer waren damals fast menschenleer und die Wenigen, die noch in ihren Häusern waren, hatten kein Material, um Schäden zu reparieren.

    Es wurde auch immer schwieriger, Nahrung zu beschaffen.

    Zu viele Ernten waren vernichtet und zu viele Schlachttiere fortgeführt worden, um die Soldaten durchzufüttern.

    Um nicht zu verhungern, waren die Groß-Stöckheimer sogar bereit, für einen täglichen Kanten Brot und zwei Löffel Schmalz an dem Damm mitzubauen, obwohl sie sich damit doch ihr eigenes Verderben gruben. Aber sie hatten keine Wahl.

    Im Juni 1641 waren sie damit fertig und der Damm, den man später aus irgend einem Grunde den „schwedischen" nannte, wurde geschlossen. Es dauerte auch gar nicht lange, da war das Wasser so hoch aufgestaut, dass nicht nur die ganze Gegend überschwemmt war.

    Auch in der Festung soll das Wasser bis zu einem Meter hoch gestanden haben. Noch bis nach Halchter im Süden waren die Höfe abgesoffen.

    Ach Herrjee, das waren Zeiten, sagte die Nachbarin immer, wenn sie in unserer Küche saß und die beiden Frauen bei diesem Thema angekommen waren.

    Was soll nur aus uns werden. Wo soll das alles noch hinführen! Die Männer im Feld, die Kinder auf dem Friedhof und wir hier zurückgelassen in diesem Elend. Und kein Mensch weiß, wozu das alles gut sein soll.

    Mit dem Schürzenzipfel wischte sie sich die Tränen aus den Augen und schniefte ganz fürchterlich.

    Das war dann der Moment, in dem meine Mutter beschloss, dass unbedingt eine Tröstung vonnöten war, wo man doch diese schrecklichen Zeiten nicht ertragen hätte, wären da nicht so gute Nachbarinnen gewesen und eine gute Nachbarschaft sei doch immer auch einen guten Schluck wert.

    Zum dünnen Bier, das bereits in dicken Tonbechern serviert worden war, wurde noch ein kleines Fläschchen „Medizin" herbeigeholt.

    Bei der handelte es sich um eine dunkelbraune zähe Flüssigkeit, die meine Mutter aus den grünen Schalen der unreifen welschen Nüsse, wie wir sie nannten, herstellte.

    Wie diese Nüsse in unseren Garten in Groß Stöckheim gelangt waren, das wusste niemand mehr. Wahrscheinlich hatten Soldaten sie in ihren Ranzen eingeschleppt.

    Sie wurden jedenfalls klein geschnitten und mehrere Tage in die Sonne gelegt, bis sie richtig unappetitlich braun wurden.

    Dann kamen sie zusammen mit verschiedenen Kräutern, Honig und Branntwein in große Gefäße, die anschließend für mindestens ein Jahr in die Vorratskammer wanderten.

    Das Gebräu, welches dort vor hin reifte und schließlich in Glasfläschchen abgefüllt wurde, vertrieb nicht nur Magengrimmen und Völlegefühl, sondern war auch bestens geeignet, Schwermut zu bekämpfen und je mehr die Nachbarin davon verabreicht bekam, desto fröhlicher wurde sie, bis sie irgendwann in bester Laune nach Hause wankte.

    Gott sei Dank hatte meine Mutter viele dieser kleinen Flaschen, die gegen zwei Groschen bei ihr zu erstehen waren.

    Einige davon sind erhalten geblieben und stehen heute als Zierde hinter den Scheiben meines neuen Schrankes.

    Das Mittel verkaufte sich sehr gut und jeden Tag kamen Frauen aus der Nachbarschaft, um sich mit der Arznei zu versorgen.

    Ich selber musste als kleiner Junge immer den Frauen die Tür öffnen und sie höflich mit einem Diener begrüßen.

    Dann gingen sie zusammen mit meiner Mutter in das Hinterzimmer, wo diese all ihre Töpfe, Flaschen und Zutaten aufbewahrte.

    Was sich hinter der verschlossenen Tür tat, wusste niemand.

    Meine Mutter hatte allein einen Schlüssel und riegelte immer sorgfältig ab, wenn sie den Raum verließ.

    Über ihre Kundinnen und deren Bedürfnisse verlor sie niemals ein einziges Wort.

    Die Frauen wussten das zu schätzen und kamen auch aus den umliegenden Dörfern zu ihr, außer in der Zeit der großen Überschwemmung, denn da war kein Durchkommen mehr, weil das ganze Land unter Wasser stand.

    Drei Monate hatte es gedauert, bis man den Damm wieder öffnete und das Wasser endlich wieder abfließen konnte, damals, im September 1641.

    Aber bis der Erdboden wieder trocken und nutzbar wurde, dauerte es Ewigkeiten.

    Und dann mussten die Stöckheimer zu allem Unglück auch noch feststellen, dass ihre Viehweiden jetzt jenseits der Oker lagen.

    Das stelle man sich vor!

    Bislang war der Ort umgeben gewesen von Wiesen, die sich bis hinab in die großen Okerschleifen geschmiegt hatten, und nun waren diese mit einem Mal nicht mehr erreichbar!

    Wie konnte das geschehen?

    Nun, die gewaltigen Wassermassen waren nach dem Dammdurchbruch nicht brav in dem alten Okerbett abgeflossen, sondern hatten sich einen neuen Weg gesucht, indem sie sich in dem ehemaligen Auebach ein neues Bett gegraben und den zur neuen Oker gemacht hatten.

    Der Bach war zuvor ein kleines, unbedeutendes Rinnsal gewesen, das am Dorfrand entlang floss und aus diesem unscheinbaren Gewässer war nun ein recht breiter Fluss geworden und die Schäferwiesen lagen dahinter.

    Wie sollten jetzt die Bauern zu ihren Weiden kommen!

    Sie versuchten es zunächst mit Brettern und Bohlen, aus denen sie sich einen Steg über den Fluss bauten, aber die Angelegenheit war so wackelig und anfällig, dass immer wieder Unfälle passierten.

    Mal fiel ein Schaf in die Oker, dann ein Kind und ein anderes Mal sogar ein erwachsener Reiter.

    Sobald das Wasser stieg, war die ganze Brücke in den Fluten verschwunden. Dazu war das gesamte Land sumpfig und nur sehr mühsam zu begehen.

    Nur die höher gelegenen Gebiete oben am Itschenkamp waren verschont geblieben, allerdings gehörten die schon nicht mehr zum Groß Stöckheimer Gebiet.

    Dort oben bestellten die Bauern vom Vorwerk, dem Rothen Amt, die Felder, wo sie Getreide und Gemüse anbauten.

    Meine Mutter hatte durch den Verkauf ihrer vielen Mittelchen zum Glück das Geld, dort für die Familie Gemüse zu kaufen, aber das ging den wenigsten Stöckheimerinnen so und viele schafften es nicht, ihre Kinder durch diese Zeit zu bringen.

    Ziemlich genau zwei Jahre später kam mein Bruder Henrich auf die Welt, im Jahr 1643, als wohl endlich auch die letzten Truppen abgezogen waren.

    Meine Mutter erzählte jedenfalls, dass sie den ganzen Winter über Angst gehabt hatte, weil sie doch schwanger war und man nie wusste, wer sich in der Gegend herumtrieb.

    Im März war es dann so weit.

    Mein Bruder kam wohlbehalten auf die Welt und mein Vater schnallte, wie schon nach der Geburt meiner Schwester, die Holzschlurren unter die Schuhe, stapfte durch die nassen Wiesen bis hoch zum Itschenkamp und von dort zum Trinitatistor, das es damals noch gab, in die Stadt, suchte feinsten Stoff aus, brachte den zu der alten Alberta, der Näherin in unserem Dorf und ließ ein feines neues Kleid für meine Mutter fertigen.

    So machte er es bei jedem seiner Kinder und obwohl es im Dorf keine Gelegenheit gab, die schönen Kleider zu tragen, freute sich meine Mutter, wenn sie sich herausputzen und wenigstens der Verwandtschaft ihren Wohlstand vorführen konnte.

    Und mein Vater freute sich über sein junges, gut geratenes Weib, das in den feinen Kleidern ausgesprochen etwas hergemacht haben muss.

    Mit den nächsten Kindern hatten meine Eltern nicht so viel Glück.

    Sie starben schnell hintereinander kurz nach der Geburt, was zu der Zeit wegen der vielen Epidemien gepaart mit schlechter Ernährung an der Tagesordnung war.

    Der Krieg ging derweil dem Ende zu, hier und da schlichen noch die letzten Versprengten in der Gegend herum und machten die Wege unsicher, die großen Schlachten waren geschlagen und am Ende wusste doch niemand so recht, wie alles begonnen und wofür es gut gewesen war.

    1645, sagt man, seien aus unserer Gegend die letzten Soldaten abgezogen und ein Jahr danach, am 11. Juni 1646, kam ich zur Welt.

    Ich, David Voss, genannt der Jüngere.

    Butterblumensuppe

    Voss Sohn, trug der Pfarrer in das Kirchenbuch ein.

    Später einmal hatte ich mich getraut, meine Mutter zu fragen, warum ich nicht mit einem Namen eingetragen worden war.

    Ach Kind, hatte sie geantwortet.

    "Als ihr Zwei auf die Welt kamt, da hat niemand einen Pfifferling für euch gegeben. So kleine Wesen und so dünn und schwach. Nicht einmal saugen konntet ihr, so dass die Amme versucht hat, euch mit einem Tuch Honigmilch einzuflößen.

    Der Pfarrer hat mir weismachen wollen, der liebe Gott wollte euch wiederhaben.

    Dem werde ich was erzählen, dem lieben Gott, habe ich damals bei mir gedacht.

    Wozu gibt es Mittel und Tränke, wenn ich nicht versuche, meine eigenen Kinder durchzubringen. Aber du siehst ja, wir mussten teilen, der Herrgott und ich."

    Ich war also nicht allein auf die Welt gekommen.

    Mein namenloser Zwillingsbruder schaffte es noch gerade so über den Winter und verschwand in den letzten Märztagen wieder von dieser Welt.

    Vielleicht war es besser so, murmelte meine Mutter, wenn das Gespräch auf dieses Thema kam.

    „Es hätte nicht für Zwei gereicht."

    Ich war jedenfalls im März noch am Leben, im April auch noch und im Mai hatte mein Vater den Eindruck, als dürfe ich nun doch bleiben.

    Er war jetzt sechsundfünfzig Jahre alt und nicht mehr gesund.

    Die harten Jahre hatten auch ihm zugesetzt und von Zeit zu Zeit fragte er sich wohl, wie lange er es noch machen würde.

    Für das Scharfrichteramt war er zu der Zeit schon längst zu schwach.

    Er konnte das schwere Richtschwert nicht mehr führen und hatte Angst, dass er bei der nächsten Hinrichtung den Delinquenten mehr verletzt als richtet, was eine große Schande gewesen wäre und eine Menge Scherereien nach sich gezogen hätte.

    Er hatte sich darum zurückgezogen und das Recht, sein Amt auszuüben, dem Christoph Förster aus Schöningen für dreihundert Taler verkauft, um sich nur noch der Behandlung von Verletzten zu widmen.

    Meine Eltern konnten inzwischen geruhsam von dem Geld leben, das meine Mutter durch den Verkauf ihrer Arzneien erwirtschaftete und mein Vater als Arzt.

    Ja, richtig, als Arzt.

    Als Henker konnte er nicht nur Menschen vom Leben zum Tode befördern, sondern er hatte auch dafür zu sorgen, dass die zuvor Gefolterten bis zu ihrer endgültigen Aburteilung einigermaßen wieder hergestellt waren.

    Und für den Fall, dass sie freigesprochen wurden, mussten sie wieder arbeitsfähig gemacht werden.

    Er kannte sich also aus mit Knochenbrüchen, Verrenkungen, inneren Verletzungen und solchen Sachen.

    Er wusste, wie man heilte, ohne mit albernem Zauber und hilflosen Aderlässen die Leiden der Menschen noch zu verschlimmern.

    Nach dem überstandenen Krieg gab es viele Verletzungen, die behandelt werden mussten und meine Mutter kannte als Henkerstochter natürlich alle Kräuter und sonstigen Mittel, die gegen Gebrechen jeder Art helfen.

    Die allerbeste Wirkung übrigens erzielte sie mit Salben, die auf der Grundlage von Menschenfett hergestellt wurden.

    Nichts konnte eine Verstauchung oder ein verrenktes Bein mit großflächigen Hämatomen besser auskurieren, als eine Salbe aus Menschenfett und Arnikablüten.

    Die getrockneten Blüten kaufte sie von einem Händler aus dem Gebirge, denn bei uns wachsen diese Pflanzen nicht.

    Das Fett dagegen bekam sie von den Gerichteten.

    Es wurde sehr sorgfältig aufbewahrt und sehr teuer verkauft.

    Auf diese Weise hatten meine Eltern ihr Auskommen und konnten friedlich und in gutem Einvernehmen mit den Dorfbewohnern ihr Dasein fristen.

    Sogar eine eigene Bank in der Kirche hatten sie. Ganz hinten zwar, aber dennoch eine eigene Bank.

    Dafür spendeten sie natürlich auch fleißig für den Wiederaufbau des tüchtig ramponierten Gotteshauses, das schließlich sogar einen neuen Turm erhielt und nicht länger nur das flache Dach trug, das den Bau notdürftig abdichten und trocken halten sollte.

    Als mein Vater nun im Mai feststellte, dass sein zweiter Sohn möglicherweise doch überleben würde, er selber aber vielleicht nicht mehr lange für seine Familie sorgen könnte, beschloss er, sein Haus zu bestellen.

    Er ging zum Pfarrer und meldete meine Taufe an.

    Genau wie heute mein Enkel wurde auch ich im Mai in der Apostelkirche zu Groß Stöckheim getauft, damals, im Jahre unseres Herrn 1647.

    Meine Mutter erzählte gern, es sei ein wunderschöner, strahlender Maisonntag gewesen.

    Die Glocken hätten von der Marienkirche in der Festung her so fröhlich geläutet wie schon lange nicht mehr.

    Die umliegenden Wiesen und Felder fingen an, sich zu erholen und es duftete nach jungen Blättern und Wiesenblumen.

    Auch die Menschen seien an diesem Tag fröhlich gewesen wie schon lange nicht mehr.

    Die Mädchen hätten sich Girlanden von den Frühlingsblumen auf den Wiesen geflochten und sie zum Kirchgang auf dem Kopf getragen.

    Die ganze Gemeinde, so weit sie noch vorhanden war, soll bei meiner Taufe anwesend gewesen sein.

    Ja, das war anders als heute.

    Damals waren alle eng zusammengerückt und man freute sich am Glück der Nachbarn.

    Das ganze Dorf hatte sich nach dem Kirchgang in einer Scheune versammelt, die Knechte hatten Tische und Bänke aufgestellt und die Mägde Körbe mit Brot und Schinken hereingeschleppt.

    Für die Männer gab es zur Feier des Tages Branntwein und für die Frauen ein Getränk, das meine Mutter extra für diesen Anlass aus Löwenzahnblüten hergestellt hatte.

    Dazu hatte sie jeden Tag die Dorfkinder auf die Wiesen geschickt, wo in der Mittagssonne der Löwenzahn seine dicken gelben duftenden Blüten ganz weit öffnet, welche in Körbe gesammelt und zu ihr gebracht wurden. Dafür bekamen die Kinder eine Scheibe frisch gebackenes Brot mit dick Butter und Sirup darauf.

    Von den Blütenköpfen wurden die gelben Blätter abgezupft und die Kelche weggeworfen. Die Blättchen wurden dann mit Wasser und Zucker so lange gekocht, bis eine zähe Masse entstand.

    Den Zucker bezog meine Mutter von einem Apotheker in Braunschweig, dem sie dafür feine Handschuhe lieferte.

    Sie machte sich gerne lustig über diesen „verqueren Kerl, wie sie ihn bezeichnete, der wohl ziemlich klein geraten war und „hässliche knotige Pfötchen gehabt haben soll.

    Seine Apotheke, so berichtete sie, lag am Altstadtmarkt, von dem sie immer ganz besonders schwärmte.

    Die Handschuhe wurden aus Hundehaut genäht, die ja bekanntlich wasserdicht ist, da Hunde keine Schweißdrüsen besitzen.

    Die Lieferung von Handschuhen war und ist eine der Pflichtabgaben für den Herzog, die ein jeder Henker zu leisten hat.

    Aber ein oder zwei Paare im Jahr fielen schon einmal für den „zierlichen Apothekergecken" in Braunschweig ab, wofür er dann den begehrten Zucker lieferte.

    Aus der Zuckermasse wurden einerseits Lutschpastillen hergestellt, die den Kindern gegen Husten verabreicht wurden.

    Der andere Teil wurde versetzt mit Branntwein und für einige Zeit in die Sonne gestellt.

    So entstand ein bittersüßes, klebriges Getränk, das den Erwachsenen als Tinktur gegen Husten verabreicht wurde.

    Und den Damen als Getränk bei der Tauffeier.

    Dazu wurde die Medizin mit reichlich Branntwein verlängert, um sie trinkbarer zu machen.

    Bei uns hießen die gelben Blüten Butterblumen ihrer Farbe wegen, weshalb das daraus entstandene Getränk Butterblumensuppe genannt wurde.

    Meine jetzige Frau hat das Rezept von meiner Schwester anlässlich unserer Hochzeit in einem kleinen, fein geschriebenen Buch übergeben bekommen und ich nehme an, dass man in der Küche bereits probiert, ob der Liqueur, wie

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