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Honorio Delgado und die Frühgeschichte der Psychoanalyse in Peru
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Honorio Delgado und die Frühgeschichte der Psychoanalyse in Peru
eBook262 Seiten3 Stunden

Honorio Delgado und die Frühgeschichte der Psychoanalyse in Peru

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Über dieses E-Book

Honorio Delgado war in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts ein begeisterter Anhänger der Psychoanalyse. Er begann schon als Student einen Briefwechsel mit Freud und versuchte später an der psychiatrischen Klinik Limas dessen Konzepte in die praktische Arbeit umzusetzen. Auf zwei Europareisen suchte er die Nähe Freuds und begehrte die Aufnahme in die Psychoanalytische Gesellschaft. In der rennommierten peruanischen Tageszeitung "El Commercio" fand man, nach seinem zweiten Besuch in Europa, einen ersten Psychoanalysekritischen Artikel Delgados, in dem er sich selbst als Psychoanalytiker bezeichnet und von Ernest Jones in die Britische Psychoanalytische Gesellschaft aufgenommen worden sei. In der Zukunft distanzierte er sich zunehmend von der Psychoanalyse und machte, nachdem er zu grossem politischen und wissenschaftlichem Einfluss gekommen war, deren Verbreitung in Peru zu seinen Lebzeiten praktisch unmöglich. Er sympathisiserte mit dem Nationalsozialismus und machte jüdischen Immigranten in Peru das Leben unmöglich.

Die Hintergründe der persönlichen Entwicklung Delgados und deren weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklung der Psychoanalyse in Südamerika untersucht dieses Buch anhand von unveröffentlichen Materialien und eigenen Recherchen. Es deckt dabei einige erstaunliche medizinhistorische Irrtümer auf.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum25. Jan. 2013
ISBN9783844244007
Honorio Delgado und die Frühgeschichte der Psychoanalyse in Peru

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    Buchvorschau

    Honorio Delgado und die Frühgeschichte der Psychoanalyse in Peru - Mario Scheib

    Mario Scheib

    Honorio Delgado und die Frühgeschichte der Psychoanalyse in Perú

    Das vorliegende Buch wurde von mir 1995 als Dissertation an der Johann- Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main eingereicht. Ich wurde mit „magna cum laude" promoviert. Die erste Auflage bestand nur in der Mindestanzahl der für das Promotionsverfahren erforderlichen Exemplare.

    Ich glaubte damals nicht, dass dieses Thema auf ein breiteres Interesse stoßen würde. Allerdings wurde ich in der Zukunft immer wieder darauf angesprochen, weshalb ich nun - siebzehn Jahre später - beschloss, dieses Buch einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

    Natürlich gab es in der Zwischenzeit neue Erkenntnisse und ich würde heute sicher Einiges anders schreiben. Diese zweite Auflage wurde von mir nicht aktualisiert und erscheint unverändert so, wie sie 1995 geschrieben wurde.

    Palma de Mallorca, im Dezember 2012

    Dr. med. Mario Scheib

    Gewidmet meiner Frau Tania und meiner Tochter Vanessa Antoinette

    DANKSAGUNG

    Zum Gelingen dieser Arbeit haben zahlreiche Personen auf unterschiedliche Weise beigetragen. An erster Stelle möchte ich Herrn Dr. Ramón León nennen, der mir in Lima viele Kontakte vermittelte und bei der Beschaffung von Material unentbehrlich war. Bei der Koordination von Treffen und der Unterstützung bei meinen Südamerikareisen waren meine Schwiegereltern, Justa Yepez de Ramos und Dr. Manuel Ramos, eine große Hilfe. Herr Luis Thayer Ojeda durchsuchte für mich wochenlang alte Krankenakten. Wichtige Informationen und Anregungen erhielt ich in Lima von Prof. Dr. Leopoldo Chiappo, Prof. Dr. Javier Mariátegui, Dr. Grover Mori, Dr. Álvaro Rey de Castro und Dr. Carlos Seguin, in Santiago de Chile von Dr. Nicolas Allende, Prof. Dr. Otto Dörr und Dr. Juan Pablo Jimenez. Herr Enrique Torteil half mir bei der Korrektur der Übersetzungen ins Deutsche. In Großbritannien wurde ich von Frau Perl King, Dr. Adam Limentani und den Mitarbeiterinnen der Archive der Internationalen und der Britischen Psychoanalytischen Vereinigung bei meiner Suche unterstützt, ebenso wie von Dr. Michael Molnar vom Freud Museum und Herrn Thomas Roberts von Sigmund Freud Copyrights, Colchester. Zahlreiche Anregungen erhielt ich aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen anläßlich des Congress on History of Psychoanalysis 1993 in London. Wichtige Hinweise oder Einsicht in schwer zugängliche Quellen oder Literatur erhielt ich auch von Dr. Kurt Adler, New York, Dr. Heinz Ansbacher, New York, Frau Dr. Almuth Bruder-Bezzel, Berlin, Dr. H. Jürgen Kagelmann, München, Dr. Alain de Mijolla, Paris, und Frau Dr. Daisy de Saugy, Genf. Herr Dr. Gerhard Wittenberger, Kassel, half bei der Suche in den Rundbriefen des Geheimen Kommites und stellte mir Kopien zur Verfügung. Meine Eltern, Hedi und Richard Scheib, halfen mir bei der Materialsuche in Aschersleben. Eine große Hilfe waren mir die kritischen Anregungen und Diskussionen mit meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Helmut Siefert aus Frankfurt, und mit Herrn Prof. Dr. Hannes Stubbe, Köln und Rio de Janeiro, die durch ihre hervorragende Betreuung das Entstehen der Arbeit in dieser Form ermöglichten. Zum Schluß möchte ich meine Frau erwähnen, die neben ihrer Mithilfe bei meinen Recherchen in Perú durch ihr Verständnis und ihre Geduld wesentlich zum Gelingen beitrug. Ihnen allen und den namentlich nicht genannten Helfern und Unterstützem möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank ausdrücken!

    1. EINLEITUNG

    Im Jahre 1908, dreizehn Jahre nach Freuds und Breuers erster entscheidender psychoanalytischer Veröffentlichung Studien über Hysterie, begann die Psychoanalyse ihren Einzug in Südamerika. Eine wahrscheinlich erste Erwähnung erfolgte durch den Argentinier Juan A. Agrelo in seiner medizinischen Dissertation mit dem Titel Psicoterapia.¹ 1910 schließlich hielt German Greve (1869-1954), ein deutschstämmiger chilenischer Arzt, auf einem Kongreß in Buenos Aires einen Vortrag, in dem er die wesentlichen Konzepte der Psychoanalyse vorstellte und propagierte.

    In den folgenden Jahren gab es nur vereinzelte Publikationen, die sich des Themas annahmen, und erst am 1. Januar 1915 begann mit der Veröffentlichung des Aufsatzes El psicoanálisis in der Neujahrsnummer der renommierten peruanischen Tageszeitung El Comercio eine kontinuierliche Entwicklung, deren Vorreiter der Autor dieses Artikels, Honorio Delgado (1892-1969), werden sollte.

    Delgado, damals noch Medizinstudent und gerade 23 Jahre alt, graduierte mit einer Examensarbeit zum gleichen Thema 1918 zum Arzt.² Die gleiche Arbeit wurde ein Jahr später, ebenfalls unter dem Titel El psicoanálisis³ als Buch veröffentlicht und war damit die erste Monografie zum Thema Psychoanalyse in spanischer Sprache.⁴ Delgado unterhielt über viele Jahre Korrespondenz mit Freud und anderen Repräsentanten der Psychoanalyse und traf sich mit diesen in Europa. In Lima begründete er gemeinsam mit dem Psychiater Hermilio Valdizan (1885-1929) die erste psychiatrische Fachzeitschrift in Perú und versuchte sich in der Anwendung der psychoanalytischen Behandlungsmethode. Er publizierte viel, auch in psychoanalytischen Zeitschriften Europas, und es heißt, er sei 1927 von Emest Jones in die British Psychoanalytical Society aufgenommen und damit formal zum ersten Psychoanalytiker Lateinamerikas geworden.⁵

    Jenem Delgado schrieb Freud am 20. Oktober 1919: Es war eine außerordentliche Freude, Ihre Arbeiten zu erhalten, die soviel Verständnis und Wertschätzung vor Psychoanalyse beweisen ... . Karl Abraham und Hanns Sachs beschrieben ihn in einem Rundbrief des geheimen Komitees am 16. Oktober 1922)⁶ als einen Mann,  ... der durchaus günstig wirkt und durchaus ernst zu nehmen ist.... Delgado gewann in Perú wie auch in ganz Lateinamerika zunehmend an Einfluß, zeigte jedoch von Beginn an Seiten, die von Freuds Lehre abwichen und die sich eher an Jung und Adler orientierten. Im weiteren Verlauf läßt sich bei Delgado eine zunehmende Abwendung von der Psychoanalyse beobachten, die in einer offensichtlichen Gegnerschaft endete, von der Álvaro Rey de Castro 1985 schreibt: Von da an wußte jeder Sympathisant der psychoanalytischen Strömung, daß er der Feindschaft Delgados die Stim bieten mußte, welcher zur führenden Figur der peruanischen Psychiatrie und zu einer der intellektuellen Persönlichkeiten der Epoche geworden war.⁷ Emilio Mira y López, ein nach Südamerika emigrierter spanischer Psychologe, bezeichnete ihn gar als Faschisten.⁸ Als offensichtliche Folge dieser Gegnerschaft entstand in Perú erst am 8. Januar 1970, zwei Monate nach dem Tod Delgados, eine psychoanalytische Studiengruppe⁹, die 1980 zur Sociedad Perúana de Psicoanálisis und zum Mitglied der International Psychoanalytic Association (IPA) wurde, mehrere Jahrzehnte nach anderen lateinamerikanischen Gesellschaften.

    Diese hier kurz angerissene Entwicklung, in der ein einzelner Mann eine so bedeutende Rolle einnimmt, wirft in vielerlei Beziehung Fragen auf, mit denen sich in den letzten Jahren insbesondere peruanische Psychiater, Analytiker und Psychologen¹⁰ auseinandergesetzt haben. Mit unterschiedlichen Gewichtungen und teilweise konträren Schlußfolgerungen werden von diesen Autoren sowohl Ursachen in der Persönlichkeit Delgados, wie auch in den sozialen und fachlichen Rahmenbedingungen gesehen. In meiner Arbeit möchte ich, auf Ergebnissen der vorliegenden Studien aufbauend und unter Hinzuziehung der Ergebnisse eigener Recherchen, versuchen, eine weitere Annäherung an die Person Honorio Delgados und die Situation der Psychoanalyse in Perú während ihrer Frühgeschichte zu erzielen.

    Dabei muß ich dieses Anliegen und mich selbst kritisch hinterfragen, inwieweit ein Ausländer und Außenstehender - der Verfasser arbeitet zwar als psychoanalytisch orientierter Psychotherapeut, ist aber nicht Mitglied einer der IPA zugehörigen psychoanalytischen Vereinigung - kompetent und berechtigt ist, sich aus der Distanz mit einem lateinamerikanischen Phänomen auseinanderzusetzen. Ist es nicht vielleicht arrogant, sich ein Verständnis und Urteil anzumaßen, wenn man nie wirklich in dieser Kultur gelebt hat und auch nicht alle Veröffentlichungen Delgados - es sind mindestens 362 - gelesen hat? Andererseits bietet - bei Einhaltung der gebotenen Zurückhaltung und Vorsicht - vielleicht auch gerade diese Position die Möglichkeit, manches unter einem anderen Blickwinkel zu sehen. Als Folge kann dann die Diskussion durch neues Material bereichert werden. In dieser Auffassung bin ich sowohl bei meiner Teilnahme an der IPA Conference on the History of Psychoanalysis 1993 in London, als auch bei meinen Gesprächen mit Psychoanalytikern in Perú bestärkt worden. Dort sagte mir ein Kollege, der namentlich nicht genannt werden will, ganz offen: Es gibt Dinge, die kann man in Perú nicht publizieren; dazu muß man Ausländer sein." Es wird sich im Verlauf dieser Arbeit zeigen, daß diese Einschätzung richtig war.

    Ich möchte mich im folgenden darauf beschränken, die Ergebnisse meiner Recherchen und eigene Überlegungen aufzuzeigen und vielleicht neue Diskussionsanstöße zu geben, ohne hiermit eine abschließende Wertung zu diesem sehr umfangreichen und komplexen Thema geben zu können.

    Unter Frühgeschichte fasse ich die Zeit von der ersten psychoanalytischen Veröffentlichung in Perú 1915 bis zur Gründung der ersten peruanischen Studiengruppe für Psychoanalyse 1979 zusammen. Im engeren Sinne handelt es sich um die Zeit bis Anfang der dreißiger Jahre, da durch die Gegnerschaft Delgados die Psychoanalyse dann von ihrer ursprünglichen Bedeutung verlor.

    Zur Einführung in die Gesamtsituation stelle ich meinen Ausführungen einen kurzen Überblick über Erwähnungen der Psychoanalyse in Lateinamerika vor Delgados Zeitungsartikel 1915, sowie über die gesellschaftliche Situation und die Geschichte der Psychiatrie in Perú vor und bei Beginn der Verbreitung psychoanalytischer Ideen voran.

    Die Fragestellungen, denen anschließend mein besonderes Interesse gilt, betreffen einerseits die Person Honorio Delgados und seinen Wandel vom Befürworter zum Gegner der Psychoanalyse, andererseits die Frage, wie Psychoanalyse damals in Perú praktiziert wurde. Daraus läßt sich dann direkt die Frage ableiten, ob und wie sich diese beiden Themen gegenseitig beeinflußt haben.

    2. METHODISCHE VORBEMERKUNGEN

    Die vorliegende Arbeit stützt sich im wesentlichen auf folgende Quellen:

    1. Die Veröffentlichungen Honorio Delgados

    Delgados Veröffentlichungen umfassen eine Fülle von Aufsätzen in Tageszeitungen, Zeitschriften unterschiedlicher Art und Monografien, die in verschiedenen Ländern erschienen. Dabei fiel mir auf, daß auch Delgados offizielle Bio-Bibliografie¹¹ der Perúanischen Nationalbibliothek nicht vollständig ist. Ein wesentliches Problem stellte dabei die Verfügbarkeit der Arbeiten dar. Viele Arbeiten sind in Europa nicht erhältlich und auch in Lima nur als Nachdruck verfügbar. Die wichtigsten von mir benutzten Arbeiten Delgados befinden sich als Nachdruck in einem von der Universidad Perúana Cayetano Heredia herausgegebenen Sammelband.¹² Herausgeber ist Javier Mariátegui, der den Lehrstuhl Honorio Delgado innehat, und Mit-Herausgeber der Delgado kritisch gegenüberstehende Álvaro Rey de Castro. Dies ist für mich ein Hinweis auf Vollständigkeit und Richtigkeit der Nachdrucke, eine Meinung, die auch von dem peruanischen Psychologie-Historiker Ramón León geteilt wird.

    2. Publikationen über Honorio Delgado und die Psychoanalyse

    Die wichtigsten Arbeiten zu Delgado und der Psychoanalyse habe ich kritisch zusammengefaßt und kommentiert. Aus weiteren Arbeiten und Vorträgen werden Auszüge im jeweiligen Zusammenhang berücksichtigt und zitiert. Manche dieser Arbeiten wurden mir bei persönlichen Gesprächen mit den Autoren überlassen und sind über Bibliotheken nicht oder nur schwer zugänglich.

    3. Delgado betreffende Briefwechsel und Dokumente

    Leider war es auch mir - wie Rey de Castro vor mir - nicht möglich, Delgados Briefe an Freud aufzufinden. Wahrscheinlich blieben sie bei Freuds Flucht nach London in Wien und wurden vernichtet oder sind dort verschollen.

    Eine weitere Informationsquelle sah ich in der Korrespondenz zwischen damaligen Analytikern, in denen Delgado möglicherweise Vorkommen konnte. Eine erste Spur fand ich bei Sigmund Freud Copyrights, die mich schließlich zu den Rundbriefen des geheimen Komitees führte, in denen Delgado verschiedentlich erwähnt wird.

    Weitere Briefe fand ich bei Durchsicht der Korrespondenz zwischen Sigmund Freud und Karl Abraham im Freud-Museum in London.

    In London durchsuchte ich bei der British Psycho-Analytical Society die Protokolle der Mitgliederversammlungen und die Mitgliederverzeichnisse der relevanten Jahrgänge, um Hinweisen auf eine Aufnahme und Mitgliedschaft Delgados nachzugehen.

    Nicht fündig wurde ich bezüglich der Korrespondenz zwischen Delgado und Alfred Adler und Carl Gustav Jung. In Lima vermutlich vorhandene Kopien einzelner Briefe wurden mir leider bis heute nicht zugänglich gemacht und werden möglicherweise demnächst von Herrn Dr.Grover Mori publiziert. Über einen Briefwechsel und dessen möglichen Verbleib ist beim C. G. Jung-Institut und dem Archiv der ETH Zürich sowie beim Sohn C. G. Jungs, Herrn Franz Jung, nichts bekannt. Auch beim Sohn Alfred Adlers, Herrn Dr. Kurt Adler, sowie bei Dr. Heinz Ansbacher und Dr. Almuth Bruder-Bezzel wußte man nichts von einer Korrespondenz mit Delgado.

    Eine weitere Spur verfolgte ich über mögliche Angehörige der Witwe Delgados in Deutschland. Hierzu sah ich Dokumente des Evangelischen Kirchenamtes in Aschersleben ein und suchte über eine Zeitungsanzeige in der Mitteldeutsche Zeitung lebende Verwandte. Die Geschwister der Witwe sind inzwischen offenbar alle verstorben. Wesentliche Informationen konnte ich auch auf diesem Weg nicht erhalten.

    4. Krankengeschichten von Patienten Delgados aus dem Asilo Colonia Magdalena

    Die Krankengeschichten aus den zwanziger und dreißiger Jahren sind dort in einem Kellerraum, ohne erkennbares System übereinandergestapelt. Ein peruanischer Psychologiestudent, Herr Luis Thayer Ojeda, hat dort mehrere Wochen lang in meinem Auftrag nach Krankengeschichten von Patienten Delgados oder anderen Patienten, in denen sich Hinweise auf psychoanalytische Behandlungen befanden, gesucht und diese teilweise oder ganz kopiert.

    5. Interviews mit Zeitzeugen, die Delgado persönlich kannten

    Hierbei handelt es sich um Gespräche in Lima, die ich in Kapitel 7.1. beschreibe.

    6. Briefe und Dokumente zur frühen lateinamerikanischen Psychoanalysegeschichte

    Mein besonderes Interesse galt dabei dem Briefwechsel zwischen Delgado und Fernando Allende Navarro (1891-1981), dem ersten chilenischen Analytiker. Leider war dieser weder im Nachlaß Allendes in Santiago de Chile noch in Lima aufzufinden. Einzelne Briefe wurden von mir aus anderen Publikationen zitiert. Ein Brief von Freud an Allende wurde mir von dessen Sohn in Kopie überlassen.

    Näheres über German Greve konnte ich in Gesprächen mit chilenischen Kollegen leider nicht in Erfahrung bringen.

    Bei der Übersetzung der Texte aus dem Spanischen war ich um einen Mittelweg zwischen Lesbarkeit und Worttreue bemüht. Bei den Arbeiten Delgados war das aufgrund seines ausschweifenden Stiles und einer teilweise vagen Ausdrucksweise problematisch. Wichtige Textstellen habe ich deshalb immer zusätzlich als Anmerkung in der spanischen Originalform zitiert.

    3 ANFÄNGE DER PSYCHOANALYSE IN LATEINAMERIKA

    3.1. GERMAN GREVE

    1910 referierte ein vermutlich deutschstämmiger chilenischer Arzt namens German Greve auf einem Kongreß in Buenos Aires einen Vortrag mit dem Titel Über Psychologie und Psychotherapie bestimmter Angstzustände.¹³ 1911 schreibt Freud im Zentralblatt für Psychoanalyse dazu: Der Autor, der diesem Kongreß als Delegierter der Regierung von Chile beiwohnte, hat in besonders lichtvoller und von Mißverständnissen freier Weise den wesentlichen Inhalt der Verdrängungslehre und die ätiologische Bedeutung des sexuellen Moments für die Neurosen dargelegt. Freud hob in seiner Rezension besonders hervor, welch gutes Verständnis der neurotischen Erkrankungen sich darin verrät, den Heilerfolg nicht in der Beseitigung einzelner Symptome, sondern in der Herstellung der Leistungsfähigkeit fürs Leben zu suchen. Seine Besprechung endet mit dem Satz: Wir danken dem (wahrscheinlich deutschen) Kollegen im fernen Chile für die unparteiische Würdigung der Psychoanalyse und die unerwartete Bestätigung ihrer Heilwirkung in fremden Landen. In seiner Schrift Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung (1914) kommt Freud darauf zurück: Ein (wahrscheinlich deutscher) Arzt aus Chile trat auf dem internationalen Kongreß in Buenos Aires 1910 für die Existenz der kindlichen Sexualität ein und lobte die Erfolge der psychoanalytischen Therapie bei Zwangssymptomen.¹⁴

    Unklar ist, wie Freud in für damalige Verhältnisse so kurzer Zeit Kenntnis von Greves Vortrag Kenntnis erhielt; möglicherweise schickte ihn Greve direkt an Freud.¹⁵ In Südamerika ging dieser Vortrag zunächst verlorenen und wurde erst 1945 von Ludovico Rosenthal, verloren zwischen anderen Broschüren, in Buenos Aires entdeckt.¹⁶ Bei seinen Nachforschungen fand Rosenthal keinerlei Hinweise auf den damaligen Kongreß und schreibt, daß der einzige internationale Kongreß dieses Jahres der Congreso Cientffico Intemacional Americano del Centenario vom 10. bis 25. Juli 1910 gewesen sei, in dessen Unterlagen er aber auch nicht fündig wurde. Hugo Vezzetti bezeichnet die Arbeit Greves als einen obligaten Bezugspunkt in der Geschichte der lateinamerikanischen Psychoanalyse.¹⁷ Casaula, Coloma und Jordán beschreiben in ihrem Rückblick auf die Geschichte der Psychoanalyse in Chile, daß Greves Vortrag neben einer großen konzeptuellen Klarheit und einem eleganten literarischen Stil eine genaue Kenntnis der Psychoanalyse zeige.¹⁸

    Tatsächlich gab Greve in seinem Vortrag einen guten und damals aktuellen Überblick über das Konzept der Psychoanalyse: Er beschreibt die hohe Bedeutung der Sexualität bei der Entstehung von Neurosen. Dies sei auch der Grund, weshalb diese Theorie heftig angegriffen werde. Nach einer kurzen Gegenüberstellung zu Pierre Janets Neurosendefinition hebt Greve die Rolle seelischer Traumen in der Entstehung der Hysterie hervor und verweist auf Freuds Arbeit mit Breuer. Bewußtes wird vom Unbewußten bzw. Unterbewußten abgegrenzt, die kindliche Sexualität wird als polymorph pervers dargestellt und als Ursprung der sexuellen Phantasien der Erwachsenen, ebenso wie deren Sublimierung in soziales und ethisches Verhalten. Sexualität solle im weitesten Sinne verstanden werden, Libido im engeren Sinne. Zur Bi-Sexualität beschreibt Greve auch die weibliche Sexualität als zunächst männlich, wobei die Überwindung dieses Anteiles in der Pubertät der Ursprung für häufigere neurotische Erkrankungen bei Frauen sei. Beim Hysteriker bestünde eine anomale Sexualität mit verdrängten perversen Phantasien, wobei Hysterikerinnen häufig frigide seien. Die Ursprünge der Zwangsneurose werden in einer frühkindlichen Periode von Amoralität dargestellt, Zwangsgedanken als Kompromißbildungen zwischen Verdrängtem und Verdrängendem. Die Auslöser seien regelmäßig in der Pubertät auszumachen. Greve verweist auf Freuds Unterscheidung zwischen den überwiegend stoffwechselbedingten Aktualneurosen und den durch das Hinzukommen psychischer Affektionen entstehenden Psychoneurosen, wozu Grewe Zwangsneurose und Hysterie zählt.

    Er weist auch darauf hin, daß in der Ätiologie der Neurosen immer neben der sexuellen Entwicklung und deren Störungen auch die Vererbung eine Rolle spiele. Weiter beschreibt er, daß bisher Theorie und Technik mehrfach modifiziert

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