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Vampire essen keine Pasta: Ein humorvoller Fantasy-Roman
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Vampire essen keine Pasta: Ein humorvoller Fantasy-Roman
eBook635 Seiten9 Stunden

Vampire essen keine Pasta: Ein humorvoller Fantasy-Roman

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Über dieses E-Book

Ragnors sechstes Abenteuer:
Mumien, Monstren, Menstruationen.
Von all dem wird der Rüpel-Vampir Ragnor auch diesmal nicht verschont. Unverhofft verschlägt es ihn in die sonnige Toskana. Dabei könnte alles so schön sein. Eine ruhige Kugel schieben, das wäre fein. Wenn es nicht wieder Feinde gäbe, die es ihm absolut nicht gönnen. Dazu muss er sich mit einem störrischen und ebenso untoten Pharao, einem hypersensiblen Werwolf, einem transsexuellen Oger und seiner extravaganten Verwandtschaft auseinandersetzen. Hinzu kommt ein einflussreicher Industrieller, der die Organisation "Salomons Ring" vernichtet sehen will. Spielt der Ringleiter, Magus Ambrosius Pistillum, ein falsches Spiel, und dem Feind dabei in die Hände? Ragnor kann wieder mal nicht wegsehen und will unbedingt diese konspirative Verschwörung aufdecken. Wird es ihm mithilfe seiner Mitstreiter gelingen?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum11. Dez. 2015
ISBN9783737581219
Vampire essen keine Pasta: Ein humorvoller Fantasy-Roman

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    Buchvorschau

    Vampire essen keine Pasta - Elke Bulenda

    Prolog

    Ägypten 1292 v. Chr. Genauer gesagt, Theben, die alte und jetzt wieder neue Hauptstadt. Warum das so ist? Dies wird zum späteren Zeitpunkt genauer erläutert. Ebenfalls möchte ich für den/die Leser/in anmerken, dass er/sie nicht das falsche Buch erwischt hat. Wenn Sie mir nicht glauben, schauen Sie auf den Umschlag. Genau, Sie lesen im Moment folgendes Buch: Vampire essen keine Pasta. Doch seien Sie versichert: Es werden noch genügend Vampire, Pasta und andere Wesen in dieser Geschichte auftauchen, inklusive Ragnor. Diese, sich nun anschließende Ausführung ist notwendig, um hinterher nicht völlig verwirrt und fragend dazustehen, warum es so ist, wie es ist. Aber ich versuche, diese kleine Geschichtslektion so unterhaltsam wie möglich zu gestalten. Also weiter im Konzept: Wir schreiben also das Jahr 1292 v. Chr. Die Sonne brennt, weil sie im Moment einfach nichts Besseres zu tun hat. Über dem Königspalast Malkatta liegt eine Decke bleiernen Schweigens. Die sonst so lebendige Metropole scheint unter der Trauer entkräftet darnieder zu liegen. Der letzte Pharao der 18. Dynastie, Haremhab, ist gestorben. Nur das leise Murmeln der Amun-Priester schneidet durch die ansonsten bedrückende Stille. Die Königsgemahlinnen blicken wehmütig auf den leblosen Körper, der in einem goldenen Löwenbett aufgebahrt liegt. Ihre Zukunft ist ungewiss, denn der Markt ist nicht gerade gesegnet mit der Nachfrage nach Ex-Königinnen mit leichten Gebrauchsspuren. Sie fragen sich, ob der junge Ramses den Harem seines Vorgängers übernehmen will, was leider nicht unbedingt die Regel ist, oder sie mit einer bescheidenen Rente entlässt, die ihnen nicht gerade den gewohnten Standard ermöglicht. Leider konnte keine ihren Status als Große königliche Gemahlin an Pharaos Seite behaupten. Nachdem seine Lieblingsfrau bei einer Fehlgeburt verstarb, nahm er sich keine weitere große Königsgemahlin aus seinem Harem.

    »Was ist?«, fragt einer der Priester leicht ungeduldig. »Wollt ihr nicht mal anfangen, meine Königinnen?«, schnauft er beleidigt. Die Damen, allesamt aufs Exquisiteste herausgeputzt, sehen sich fragend an, nehmen widerwillig etwas Asche in die manikürte Hand und bestreuen ihre fulminanten Perücken damit.

    »Ein paar Klagelaute wären schön, sie hätten unseren König erfreut. Er war Soldat, und Klagelaute die reinste Musik in seinen Ohren«, schmunzelt der Oberpriester angesichts der sich leicht sträubenden, und jetzt stäubenden Damen. Obendrein denkt er: Es ist wirklich kein Wunder, wieso der große Sohn des Horus mit dieser Damenriege keinen Nachfolger zeugte! Alles nur ein Haufen dummer Gänse! Ohnehin war er ein wahrer Workaholic und hatte für Vergnügen kaum Zeit.

    Selbstredend gab es den Begriff Workaholic noch nicht, aber es kursierte eine dafür passende Hieroglyphe, die einen mit Griffel und Papyrus zu Boden gegangenen Schreiber zeigte, dessen Beine rechtwinklig gen Himmel ragten, während der Pharao ungerührt weiter auf ihn einredete.

    In der Tat schien der große Sohn des Horus, Haremhab, dessen Regierungsname Djeser-cheperu-Re-setep-en-Re (Heilig sind die Erscheinungen des Re, auserwählt von Re) lautete, es von Anfang an nicht besonders leicht gehabt zu haben. Als junger Soldat begann Haremhab seine militärische Laufbahn unter Amenophis III. Dieser war wahrlich ein großer Gottkönig, wenn nicht einer der größten bisher. Weniger Glück hatte der göttliche Amenophis allerdings mit seinem missratenen Sohn, diesem verabscheuungswürdigen Ketzer, dessen Namenskartuschen - von nun bis auf ewig - entfernt worden waren. Schon immer stand er seinem Sohn, der den gleichen Namen wie sein Vater trug, mit äußerster Skepsis gegenüber. Eigentlich war der Jüngere gar nicht als Thronfolger vorgesehen, denn er besaß einen älteren Bruder, Thutmosis, der leider in jungen Jahren vorzeitig verstarb. Der junge Amenophis war in den Augen seines Vaters nichts anderes, als ein verzärteltes Weichei, das völlig in seiner Religion aufging. Einerseits nicht schlecht, da die Pharaonen selbst als Gottkönige betrachtet und angebetet wurden, doch andererseits, wenn man selbst den ganzen Tag im Gebet versank, blieb kaum noch Zeit übrig, sich selbst anbeten zu lassen. Als der alte Amenophis starb, erlebten vor allem die Priester des angesehenen Amun-Tempel in Karnak, ihr blaues Wunder. Die nicht geringe Macht der Hohepriester war dem jungen Pharao von jeher ein Dorn im Auge und veranlasste ihn dazu, diese Befugnisse kräftig zu dezimieren und in ihre Schranken zu weisen. Außerdem war er ganz beseelt von dem Gedanken, der Gott aller Götter sei allein der Sonnengott Aton. Aton, der über alle anderen Götter stehe und nur er, der Pharao, war in der Lage, eine direkte Verbindung mit Aton aufzunehmen und einzugehen. Dies löste einen wahren Aufschrei, nicht nur bei allen Priestern, sondern ebenfalls in der Bevölkerung aus. Es wurde so gut wie zu allen bestehenden Göttern, aus allen möglichen Gründen, gebetet. Hathor zum Beispiel, wurde angerufen, wenn eine Geburt ins Haus stand. Und die Kreißende bekam tatkräftige Unterstützung durch Amulette und Schutzzauber, die alle mit der Muttergöttin Hathor in Verbindung standen. Und auf einmal sollte ein Gott die Arbeit aller anderen allein erledigen? Was hatte ein männlicher Gott bei einer Niederkunft zu suchen? Und kein Priester sollte befähigt sein, mit diesem Gott in Kontakt zu treten, außer der Pharao selbst? Ehe sich die Priesterschaft bewusst wurde, was auf sie zukam, hatten sie schon das Nachsehen. Die Tempel, die nicht Aton gewidmet waren, wurden geplündert und die Götterstatuen, die meist aus massivem Gold bestanden, konfisziert und eingeschmolzen. Selbstverständlich bekam Amenophis IV. Unterstützung von seiner frömmelnden Aton-Anhängerschar, die ohnehin ihr Mäntelchen nach dem Wind hängte, um Nutznießer zu bleiben und selbst einen Sack Sand anbeten würde, wenn sie weiterhin dafür die Pfründner blieben.

    Dazu gab sich der Gottkönig einen neuen Namen. Echnaton – was nichts anderes bedeutet als: Diener des Aton. Für die Anbeter der figürlichen Götter schien Aton, der lediglich als Sonnenscheibe in Erscheinung trat, als äußerst abstrakt. In einem Land, welches zu über neunzig Prozent aus Wüste besteht, ist die Sonne nicht unbedingt verlockend, lebensfördernd und anbetungswürdig. Wichtiger schien der Nil, die Lebensader Ägyptens, der über die Ufer trat, um das Land mit seinem fruchtbaren Schlamm zu segnen und damit bereit machte, das Getreide und die anderen landwirtschaftlichen Erzeugnisse für das Königreich gedeihen zu lassen. Jedoch war Echnaton davon überzeugt, nur die Sonne sei allein der Quell allen Lebens.

    Nebenbei bemerkt, ist damit sozusagen belegt, dass Echnaton der erste historisch verzeichnete Sonnenkönig war, wahrscheinlich auch einer der ersten, den man als Sonnenanbeter bezeichnen könnte.

    Der religiöse Fanatismus löste bei den Untertanen Zweifel, Befremdung und Kopfschütteln aus. Und schließlich ist ein Staat nur so stark wie sein schwächstes Glied, und das sind die kleinen Bauern, die darauf warteten, dass der Nil alljährlich über die Ufer trat. Ihrer Meinung nach, verstieß Echnaton mit seinem Glauben gegen die Maat, einem Gesamtkonzept aus Gerechtigkeit und Wahrheit, welches somit eine Art Weltordnung darstellte, bei der etliche Götter ein Gleichgewicht zu wahren hatten, was in ihren Augen folglich völlig aus den Fugen geraten musste, wenn es nur noch einen einzigen Hauptgott gab. Sie befürchteten, würden die ungeschriebenen Gesetze der Maat nicht eingehalten, könnten die Götter Rache nehmen und eine Dürre folgen lassen. Denn das Gegenteil von Maat, war Isfet, was Chaos und Vernichtung bedeutete.

    Die Einzige, die diesen ganzen Wahnsinn noch ein wenig im Zaum halten konnte, war die Mutter Echnatons, Königin Teje, die schon an den Regierungsgeschäften Amenophis III. beteiligt war, was damals als relativ ungewöhnlich galt. Und so wie es aussah, war sie dank ihres Wissens, zur Mitregentin erkoren, die vor allem in der Außenpolitik großes Gewicht besaß. Allerdings stand sie mit Nofretete auf nicht all zu gutem Fuß. Obwohl diese ihre Nichte war - was eindeutig bedeutet, dass Echnaton seine Cousine ersten Grades heiratete -, versuchte Nofretete ihren Einfluss beim labilen Echnaton auszubauen, um damit Königsmutter Teje den Schneid abzukaufen. Zum Glück bekam Teje wiederum Unterstützung durch ihren Bruder Eje, den Vater Nofretetes, dem der Ehrentitel »Gottvater« verliehen wurde, was aber wohl eher eine Bezeichnung für den Rang des Schwiegervaters war. Eje, ein hoher Verwaltungsbeamter und Berater, der schon unter Echnatons Vater diente, besaß ein vernünftiges Augenmaß und konnte sich größtenteils durch die Unterstützung seiner Schwester, und vor allem mit guten Argumenten durchsetzen. Aber alles in allem, schien es ein wahrer Eiertanz um die Macht zu sein. Und zur Verstärkung gab es noch ein Zünglein an der Waage - Mutnedjmet, die jüngere Schwester Nofretetes, die kein Hehl daraus machte, was sie von ihrem abgehobenen Schwager, König und Cousin, und vor allem, von dessen religiösen Ansichten hielt. Die Schwester Nofretetes wurde in einer Vernunftehe mit dem jungen Soldaten Haremhab vermählt. Doch zu diesem Zeitpunkt befand er sich noch nicht einmal in Reichweite, als Thronfolger vorgesehen zu werden. Er war lediglich ein geschickter Kriegsherr und Heeresführer. Jedoch erkannte sein Schwiegervater Eje, Haremhabs Organisationstalent auf den ersten Blick und gab ihm wohl aus diesem Grund seine Tochter Mutnedjmet zur Braut, vor allem damit er sich seiner Loyalität gewiss sein konnte. Es ist im Allgemeinen immer günstig, wenn man das Heer auf seiner Seite weiß - und allemal besser, als ein Messer im Rücken zu haben.

    Unterdessen zeigte der religiös verklärte Echnaton wesentlich mehr Enthusiasmus in Sachen Monotheismus als beim Regieren selbst. Stattdessen wollte er sich wie seine Vorgänger, an den Taten messen lassen, bei denen es in Bauangelegenheiten grundsätzlich hieß: »Bigger is better!«, und gab den Bau eines Sonnentempel in Karnak in Auftrag. Allerdings verlor er an diesem Vorhaben schnell das Interesse, weil er etwas völlig anderes ins Auge fasste. Noch größer und wesentlich besser. Er sah sich als göttlicher Visionär und wurde seiner Interpretation gemäß, öfter von Visionen heimgesucht, die er direkt von seinem Gott Aton empfing. Böse Zungen behaupteten, er habe sich lediglich einen echt krassen Sonnenstich eingefangen. Eine Vision bemächtigte sich seiner, auf dass er eine neue Hauptstadt auf völlig unberührten Boden entstehen lassen sollte, zu Ehren seines einzigen und wahren Gottes. Jedenfalls kam er auf diese grandiose Idee, während er mit dem Boot auf dem Nil weilte, und eben jenen verlassenen Flecken Erde erblickte. Inmitten einer trostlosen Wüste empfing der König also einen göttlichen Hinweis, der ihm sagte, genau an diesem sonnenverbrannten Ort, solle eine jungfräuliche Stadt entstehen, wie sie zuvor noch kein Mensch zu sehen bekam, und das aber flottamente, bitteschön!

    Die Stadtplaner und Baumeister wurden vor eine Aufgabe gestellt, die in der Geschichte ihresgleichen suchte. Doch findige Köpfe erfanden den Talatat-Stein, einen genormten Baustein, dessen leichte Handhabung es ihnen ermöglichte, die gewünschte Stadt innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren aus dem Wüstenstaub zu stampfen. Und diese Stadt entpuppte sich als ein wahres Juwel. Prachtalleen, gesäumt mit Palmen und künstlich angelegten Seen, und wie sollte es anders sein, - ein Sonnentempel von gerade biblischen Ausmaßes krönte die Stadt. Ein Tempel ohne Dach, so dass Echnaton in direkter Verbindung mit seinem Gott bleiben konnte. Die Begeisterung in Theben war unterdessen alles andere als euphorisch. Wer in der Gunst des Königs bleiben wollte, musste ihm mit Sack und Pack in die neue Hauptstadt »Achetaton« folgen. So nannte der Pharao seine von ihm erbaute Stadt. Achetaton, Horizont des Aton.

    Theben und Malkatta lagen danach brach. Nur Königsmutter Teje schien beiden noch eine Weile treu zu bleiben. Doch schließlich folgte sie ihrem Sohn und Pharao nach. Widersacher behaupteten, der Pharao wolle so weit wie möglich fort aus dem Dunstkreis der Amun-Priester in Karnak. Diese nagten, um der Tatsache ins Auge zu sehen, durch diesen Umzug gezwungenermaßen am Hungertuch, genau wie es der Pharao haben wollte. Nicht nur die Priester waren die Leidtragenden, auch die nicht besonders wohlhabenden Handwerker und Bauern, die ohnehin schon Einbußen in Kauf nehmen mussten, konnten es sich nicht leisten, so wie die Hofschranzen dem Königshof nachzufolgen. Dies schürte den allgemeinen Unmut.

    Echnaton dagegen, ließ sich wie ein Popstar feiern und ging völlig neue Wege. Er war der Mittler zwischen Aton und dem Volk, betete Aton an und wurde selbst angebetet, bildete mit seiner Großen Königlichen Gemahlin Nofretete und seinem Gott, eine neue Art der Dreifaltigkeit. Was wieder einmal belegt, dass Echnaton seiner Zeit weit voraus war, da er lange vor der Geburt Jesus Christi, gewissermaßen die Dreifaltigkeit erfand. In Achetaton entwickelte sich außerdem eine völlig neue Kunstrichtung, nach ihrem heutigen Fundort, Tell el-Amarna, Amarna-Kunst genannt, eine eigenartige Form des Naturalismus, mit leicht karikaturistischen Zügen. Die Büsten, Statuen und Abbildungen des Pharao und seiner Familie, schienen zumindest die ausgeprägtesten Merkmale darzustellen. Nicht mehr geschönt und konform, sondern markant und mit typischen Alleinstellungsmerkmalen. Wohl jeder kennt die Büste der schönen Nofretete. Selbstverständlich hatte diese in Natura zwei vollständige Augen. Aber wer diese berühmte Büste genauer und unter anderen Lichtverhältnissen betrachtet, wird feststellen, dass sogar ein paar kleine Runzeln zu erkennen sind, was eine gewisse Realitätsnähe bezeugt, und obendrein, mal ganz ehrlich gesagt, äußerst uneitel ist. Könige und Königinnen sind ansonsten eher bestrebt, lediglich auf idealisierte Formen bei ihren Darstellungen zurückzugreifen. Echnaton ist noch heute von allen Pharaonen am besten wiederzuerkennen. Sein langes, schmales Gesicht, seine vollen Lippen, die schweren Lider, sein seltsamer Schmerbauch und die schlaffen Schenkel. All das wirkt völlig ungeschönt und haucht den steinernen Monumenten ein enormes Leben - und eine gewisse Liebenswürdigkeit ein. Neue Zeiten bringen eben neue Moden hervor.

    Inzwischen schien Echnaton immer mehr der Realität zu entrücken. Es wirkte beinahe so, als sei er darüber bekümmert, dass sein Dasein mit der Last des Regierens getrübt wurde, anstatt für immer im Gebet zu versinken. Das Volk war beunruhigt. Dürre und Krankheit überfielen das Land, und schnell wurde gemunkelt, es käme durch die Häresie, die der Pharao so leidenschaftlich betrieb. Er hatte sich in ihren Augen mit der Maat entzweit. Auch Nofretete fiel beim Volk in Ungnade, weil sie in schöner Regelmäßigkeit dem Pharao nur Mädchen gebar, sechs an der Zahl. All das sahen Kritiker als Strafe für den Pharao an, weil er in ihren Augen so mächtig fehlgeleitet war. Der arme, kränkelnde Echnaton verstand nicht, wieso er beim Volk nicht so recht ankam. Tat er doch alles, was sein Gott von ihm verlangte. Dass er aber seinen Untertanen quasi sämtliche Götter entzogen hatte, darauf schien er nicht zu kommen. Der typische Egoismus der herrschenden Klasse. Es wurde immer schlimmer mit Echnaton. Er wankte zwischen verzückt und entrückt, zuletzt eine Mischung aus beidem – nämlich verrückt. Aber es gab einen Lichtblick in der drohenden geistigen Umnachtung des Gottkönigs. Kija, eine seiner Nebenfrauen, gebar ihm einen Sohn. Der stolze Vater nannte ihn Tutanchaton – Lebendes Abbild des Aton.

    Ab diesem Zeitpunkt begann Nofretetes Stern zusehends zu sinken und die Gunst ihres Königs zu verlieren. Teje konnte ihre Position dagegen behaupten und wurde wesentlich einflussreicher als ihre Nichte. Es machte den Eindruck, der König gäbe sich wieder etwas klarer und zugänglicher. Jeder bei Hofe konnte froh sein, wenn der Herrscher eine guten Tag hatte, an dem er  nicht die Unterhose über dem Kopf anzog. Trotzdem war dem ohnehin leicht kränkelnden Herrscher das Klima der Wüste nicht sonderlich zuträglich. Malaria tat ihr Übriges und setzte ihm mächtig zu. Überhaupt schien die Stadt dem glücklosen König wenig Gutes zu bescheren. Als seine Mutter Teje starb, war der Gottkönig untröstlich und zog sich immer weiter in seine Religion zurück. Die anderen dagegen, witterten Morgenluft. Das Schicksal spielte Eje gute Karten in die Hand, und mit der Unterstützung Haremhabs war er eigentlich derjenige, der Ägyptens Geschicke lenkte. Eje musste seiner Schwester Teje auf dem Totenbett schwören, das heftige Kuddelmuddel, welches Echnaton ausgelöst hatte, wieder in die richtigen Bahnen zu lenken und besser noch, gänzlich zu bereinigen. Da ihr von vornherein die schwächliche Konstitution ihres Sohnes bekannt war, hoffte sie, in ihrem Enkelsohn einen besseren Thronfolger zu finden. Eje versprach seiner sterbenden Schwester, alles Menschenmögliche zu unternehmen, um ihren letzten Wunsch in die Tat umzusetzen. Zwei Jahre später sollte Echnaton seiner Mutter nachfolgen. Zu der Zeit war der kleine Tutanchaton noch ein hilfloses Kleinkind, doch statt als Kindkönig den Thron besteigen zu dürfen, erschien ein anderer Pharao auf der Bildfläche.

    Dieser dubiose Pharao Semenchkare, bereitet noch heute Wissenschaftlern heftiges Kopfzerbrechen. Es grassieren sogar mehrere Theorien über dessen Identität. Einige vermuteten in ihm einen jüngeren Bruder Echnatons zu erkennen, gewissermaßen das Nesthäkchen des dritten Amenophis. Hinreichend belegt ist jedoch die Tatsache, Semenchkare habe Echnatons Tochter geehelicht, es steht in Stein gemeißelt, dass er eine Große Königliche Gemahlin namens Meritaton sein Eigen nannte. Möglicherweise spielte er schon zu Echnatons Zeiten eine Rolle als Mitregent. Für diese Schwiegersohn-Mitregenten-These bestehen jedoch berechtigte Zweifel, weil königliches Geblüt in Ägypten schon von jeher eine tragende Rolle spielte. Da die Pharaonen immer der königlichen Blutlinie entspringen müssen, und wenn schon nicht der königlichen, dann zumindest einer göttlichen, konnte der Schwiegersohn beides nicht vorweisen. Folglich fehlte ihm die Legitimation zur Thronbesteigung.

    Ganz böse Zungen behaupten allerdings, Semenchkare sähe aus, als sei er der Königin Nofretete wie aus dem Gesicht geschnitten. Es wäre durchaus denkbar von Nofretete, sich solch einer Praxis zu bedienen. Um die Macht zu erhalten, ist vielen Menschen einfach alles recht. Sie wäre auch nicht die Erste in der Geschichte Ägyptens, die eine Metamorphose, von einer Frau zu einem Mann, durchlebte.

    Ungefähr ein Jahrhundert zuvor, wurde nach dem Tod ihres Mannes Thutmosis II. aus der Königsgemahlin Hatschepsut ebenfalls ein Mann, der den Thron bestieg und die Regierungsgeschäfte übernahm. Hatschepsut ließ sogar Büsten von sich, mit Zeremonienbart und Pharaonentracht herstellen. Obendrein gab sie ihrem Architekten Senenmut den Auftrag, ein Monumentalbauwerk zu errichten - den viel gerühmten Totentempel in Deir el-Bahari -, der noch heute massenweise Besucher-Scharen anzieht. Augenscheinlich machte die Vermännlichte alles richtig, denn sie führte einundzwanzig Jahre die Geschicke des Landes zur größten Zufriedenheit ihrer Untertanen.

    Zumindest die unter uns, die gerne Tratsch- und Klatschgeschichten lesen, wird diese Theorie gefallen, Nofretete könne so an die Macht gelangt sein. Es ist geradezu ein köstlicher Gedanke, dass sie sich mit ihrer eigenen Tochter vermählen ließ. Töchter zur eigenen Frau zu nehmen, war übrigens im damaligen Ägypten eine gängige Praxis. Amenophis III. erhob ebenfalls seine Tochter Sitamun in den Rang einer Königsgemahlin. Sie galt nach dem Tod ihres Vaters als Favoritin, ihren eigenen Bruder Echnaton zu ehelichen. Nofretete schien sich aber durchgesetzt zu haben und machte das Rennen – schon damals genoss sie den Ruf, die schönste Frau der Welt zu sein. Einem gesunden Menschen stehen bei solchen inzestuösen Verbindungen die Haare zu Berge. Die alten Ägypter hingegen glaubten, damit das königliche Blut so rein wie möglich zu halten. Welch verheerende Wirkungen der sogenannte Ahnenschwund auf den Genpool haben kann, zeigt das kaiserliche Geschlecht der Habsburger, die nicht nur wegen ihrer ausladend dicken Unterlippe bekannt wurden, sondern ebenfalls dafür, gerne dem Wahnsinn anheim zu fallen, weil ihre Vorfahren zu oft mit Cousinen und nahen Verwandten vermählt wurden. Als Beispiel sei Johanna, die Wahnsinnige, der spanische Infant Don Carlos und der Österreicher Kaiser Ferdinand I. genannt, der nicht nur eine dicke Lippe riskierte, sondern obendrein mit einem Wasserkopf abgestraft wurde. Vom Infanten zum Infantilismus schien es immer nur ein kleiner Schritt zu sein. Von ihm soll übrigens der kernige Spruch stammen: »Ich bin der Kaiser und ich will Knödel!«

    Semenchkares Angesicht sollte nicht lange von Atons Sonne beschienen werden. Seine Regentschaft währte nur dreieinhalb Jahre, und sein Schlagschatten verschwand klanglos in der Versenkung. Wer, oder was für sein Ableben sorgte, bleibt weiterhin im Dunkeln. Zumindest könnte der Titel dieses Kapitels ebenso gut lauten: »Tod am Nil«, oder: »Nur die Sonne war sein Zeuge«.  

    Nun war Ejes Stunde gekommen, mit freundlicher Unterstützung von Haremhab, den er mit etlichen Titeln und Machtbefugnissen ausstattete. Haremhab stieg zum Oberbefehlshaber des Heeres auf, ebenfalls trug er den Titel: Stellvertreter des Königs an der Spitze der Beiden Länder, oberster Mund des Landes. Es lief wirklich gut für ihn. Er wurde zum Erbfürsten geadelt und Obervermögensverwalter. Zyniker glaubten eher an ein Schweigegeldabkommen.

    Eje, der Großonkel des Thronanwärters, nahm die Rolle des Erziehers für den kleinen Tutanchaton an und führte nun offiziell als Wesir dessen Regierungsgeschäfte. Damit hielt er alle Fäden der Macht in seinen Händen, und gewissermaßen eine kostbare Geisel dazu. Als wahrer Vernunftmensch hielt Eje das gegebene Versprechen zu Ehren seiner Schwester. So sorgte er im Namen des jungen Königs dafür, dass dieser Unglück bringende Aton-Kult ein Ende nahm. Dies kam aber keinesfalls einem Bildersturm gleich, sondern war eher ein Prozess der Ausschleichung. Tutanchaton nahm den Namen Tutanchamun an. Die Hauptstadt Achetaton wurde geräumt und die Regierung verlagerte ihren Sitz wieder zurück nach Theben, der der Rang des Regierungssitzes zugesprochen wurde. Der junge König bestieg den Thron und proklamierte die Rückkehr zu den alten Göttern. Sämtliche Priester kehrten daraufhin in ihre Tempel zurück und wurden in ihrem Amt bestätigt. Vergrabene Goldgötzen kamen wieder aus ihren Verstecken zurück ans Licht der Sonne.

    Die Bevölkerung atmete auf. Es musste den Eindruck erweckt haben, als sei eine schwere Last, oder ein Fluch von ihren Schultern genommen worden. Es folgten Zeiten der Stabilität und des Wohlstandes. Der junge König bekam Anchesenamun, seine Halbschwester, zur Frau. Aus dem Kindkönig wurde langsam aber sicher ein junger, immer selbstbewusster werdender Mann. Ein Mann der die Zeit für gekommen hielt, selbst zu regieren, und der jeden Tag einen Thronfolger zeugen könnte. Ejes Rat fand nicht mehr so viel Gehör wie zuvor, was den alten Mann sehr verbittern musste. Es kam zwischen König und Berater immer öfter zu Spannungen. Gewiss ist jedoch, dass der junge Pharao seinen Großonkel, früher oder später, in den wohlverdienten Ruhestand zu schicken beabsichtigte. Der Ton wurde eisiger, die Situation spitzte sich zu und drohte zu eskalieren.

    Die königlichen Speichellecker steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Tagtäglich wurden die Quoten der Wetteinsätze geändert. Immer öfter sah man Eje und Haremhab bei konspirativen Gesprächen. Sie könnten so verlaufen sein...

    Eje: »Wir sollten uns von diesem Hosenscheißer nicht die Früchte unserer Arbeit zerstören lassen. Haremhab, wir sollten dringend etwas unternehmen!«

    Haremhab: »In der Tat, er wird langsam frech. Und was gedenkst du, sollten wir tun?«

    Eje: »Denk dir etwas aus, aber lass es wie einen Unfall aussehen...«

    Dieser Plan konnte offenbar leicht in die Tat umgesetzt werden, denn der junge Pharao besaß eine große Leidenschaft für die Jagd mit dem Streitwagen. Und so überraschte es nicht, als seine Bediensteten ihn mit einem zerschmetterten Bein in das königliche Gemach trugen. Dieser Jagdunfall machte seiner vielversprechenden Karriere einen abrupten Strich durch die Rechnung. Die Stimmung war bedrückt, als Tutanchamun im zarten Alter von achtzehn Jahren, ohne einen Nachkommen gezeugt zu haben, das Zeitliche segnete. Damit war die eigentliche 18. Dynastie erloschen.

    Nach Tutanchamuns Tod stand nicht einmal die Frage offen, wer als Nächster die Doppelkrone des Königreichs tragen sollte. Zur Beisetzung des jungen Pharaos war es Eje, der Pate vom Nil, der die Mundöffnungszeremonie an ihm vornahm. Dieser Ritus wird im Regelfall stets vom Nachfolger betrieben und dient dem Zweck, dass der verstorbene Pharao im Jenseits essen und trinken kann. Da die mächtigen Priester offensichtlich mit Eje sympathisierten (eine Hand wäscht die andere), stand dessen Thronbesteigung nichts mehr im Wege. Geld verdirbt eben den Charakter und Macht korrumpiert. Um den Anstrich eines Königs zu wahren, nahm Eje seine Enkeltochter/Großnichte Anchesenamun zur Frau, die Große Königliche Gemahlin Tutenchamuns, die nun zu dessen Witwe geworden war. So bizarr das alles wirken mag, gab es jedoch einige außenpolitische Argumente, die diesen Schritt rechtfertigen. Nach Echnatons Herrschaft schien im Allgemeinen niemand sonderliche Lust auf weitere Experimente zu verspüren. Eje hatte über all die Jahre bewiesen, welches Herrscherpotenzial er beherbergte. Zudem durfte es kein Machtvakuum geben, da das wohlhabende Ägypten schon von jeher Begehrlichkeiten bei den Nachbarvölkern weckte. Zudem gab es zuvor bereits Krieg in Nubien, Syrien und Palästina. Immer wieder drangen die Feinde aus dem Norden ins Land, konnten dank Haremhabs Kriegskunst jedoch wieder zurückgedrängt werden. Ein verwaister Thron und Regierungsstreitigkeiten, hätten für Ägyptens Feinde wie eine Einladung gewirkt, sich ein großes Stück vom Kuchen abzuschneiden. Also, warum sollte man nicht auf das Altbewährte zurückgreifen?

    Jeder der die Geschichte der letzten Angehörigen der 18. Dynastie verfolgt, fühlt sich an ein wahres Shakespeare-Drama erinnert. Eje weist starke Parallelen zu Richard III. auf.

    Um auf Englands Thron zu gelangen, ließ Richard of Gloucester seine Neffen Edward V. und Richard of Shrewsbury, zuerst zu Bastarden erklären, um sie anschließend in den Londoner Tower zu sperren, woraufhin diese dann sang- und klanglos vom Angesicht der Erde verschwanden, während es sich Richard auf dem Thron so richtig schön gemütlich machte. Er beabsichtigte sogar, nach dem Tod seiner ersten Frau Anne, seine eigene Nichte Elizabeth zu heiraten, damit sie ihm einen legitimen Erben aus dem Hause York gebar.

    So gesehen, waren die alten Ägypter wieder einmal ihrer Zeit weit voraus. Denn zu deren Zeiten lebten die Engländer wahrscheinlich noch in bescheidenen, primitiven Hütten und waren noch nicht einmal eine Kolonie Roms.

    Die Zeit meinte es gut mit Haremhab, denn Eje war schon ein betagter Mann, als er die Doppelkrone Ober- und Unterägyptens  erwarb. Pharao Eje starb im vierten Regierungsjahres.

    Und jedermann musste bewusst werden, dass dieser Dynastie langsam aber sicher die Thronanwärter ausgingen. Offiziell wurde er nicht von seinem Vorgänger zum König designiert, da in Haremhabs Adern kein königliches Blut floss. Er entsprang einer bürgerlichen Familie aus Hut-nesu, im 18. oberägyptischen Falkengau, und war lediglich Echnatons Schwippschwager. Darum griff er auf eine List zurück. Wenn schon nicht von königlicher Geburt, dann wenigstens von göttlicher. So erklärte er Horus zu seinem Vater und sich damit zu dessen einzigen Sohn. Zudem tauchte eine sehr seltene Sternenkonstellation am Himmelszelt auf, die so nur alle 1456 Jahre in Erscheinung trat. Er besuchte den Tempel von Karnak, um das Orakel des Amun zu befragen und damit die Zustimmung des Gottes zu bekommen. Somit sahen alle ein Zeichen darin, dass Haremhab der Krone würdig sei.

    Und er sollte sich als würdiger Gottkönig erweisen. Er erließ Gesetze, die die Missstände in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht beseitigen sollten. Er ordnete Opfergaben und Erneuerungen der Tempel an. Er ließ Echnatons Sonnentempel schleifen und benutzte dessen Tatlatat-Steine dafür, um damit die von ihm neuerbauten Pylonen des Amun-Tempels aufzufüllen. Gewissermaßen schoss er sich mit dieser Handlung ein echtes Eigentor; wären diese Steine nicht von den späteren Archäologen gefunden und untersucht worden, hätte niemand etwas von Echnatons Existenz erfahren, denn Haremhab ließ systematisch alle Spuren seiner drei, bzw. vier Vorgänger ausradieren. Gewissermaßen führte er die Korrektur der Geschichte mit Hammer und Meißel durch, sodass die Nachwelt denken musste, er sei der direkte Nachfolger von Amenophis III. Was ihn dazu bewog bleibt fraglich. Mag sein, dass er ein dunkles Kapitel der Geschichte Ägyptens ein für allemal abschließen wollte - oder, was einleuchtender wäre - seine eigenen Schandtaten zu vertuschen, indem er so tat, als wäre das alles niemals geschehen. Letztendlich muss jeder am Tag des hohen Gerichts für seine Taten gerade stehen. Die Ägypter glaubten an ein Leben nach dem Tod, weshalb sie auch einen mächtig großen Aufwand betrieben, was den Bau und die Vorbereitung ihrer Grabkammern betraf.

    Womit wir dort angekommen sind, wo wir mit unserer kleinen Exkursion durch Ägyptens Geschichte begannen.

    Nun war Haremhabs Tag des hohen Gerichts angebrochen, doch sollte seine Seele bangen Herzens weiterhin warten. Selbst nach der Mumifizierung und den rituellen siebzig Tagen, kam Anubis immer noch nicht, um Haremhabs Herz zu wiegen. In der Tat eine schlimme Sache, da der Totengott entschied, ob der Pharao ins Reich der Unsterblichkeit eingeht, oder sein Herz von Ammit der Fresserin verschlungen wird, was bedeutet, dass es kein Leben nach dem Tod für ihn gab. Haremhab ließ sich nicht einschüchtern, er war ein harter Bursche und konnte warten. Selbst nach der Mundöffnungszeremonie die sein Protegé, der Wesir Ramses, an ihm vollzog, und der nachfolgenden Grablegung im Tal der Könige, wartete er weiterhin geduldig auf die Dinge, die da kommen sollten.

    … Tag und Nacht vergingen. Die glorreiche Dynastie der Ramessiden regierte und wurde von anderen abgelöst. Alexander der Große schaute vorbei und nahm das Land in Beschlag. Die Ptolemäer kamen an die Macht. Ein neues Imperium wurde geboren. Ägyptens Stern sank, das Land verkam zur Kornkammer Roms. Einheimische verschleppten die Mumien mit den Särgen aus ihren Grabkammern, warfen sie einfach durcheinander, durchwühlten die Binden der Toten nach Skarabäen und Amuletten, raubten Gold und kostbare Grabbeigaben. Derlei Menschen, die vergessen hatten, was ihre eigenen Schriftzeichen bedeuteten, die keinen Respekt mehr vor den alten Göttern zeigten. Das römische Imperium ging unter. Weiterhin vergingen Tage und Nächte. Stimmen, die in fremden Zungen sprachen, verfrachteten Sarkophage auf Schiffe. Meeresrauschen, Helligkeit und neugierige Blicke. All dies geschah, nur Anubis Anwesenheit fehlte... Doch aus welchem Grund?

    *

    Was zuvor geschah:

    An Haremhabs Todestag, kam der Totengott Anubis aus der Nekropole West-Thebens und durchquerte die brennend heiße Wüste in Richtung Theben-Ost. Der Nil wirkte wie eine natürliche Grenze zwischen Leben und Tod. In einer Hand trug Anubis eine große Waage, in der anderen die Feder der Maat, und unter seiner Achsel klemmte ein Anch. Ihn begleitete Ammit, die dämonische Fresserin, ein Mischwesen aus Krokodil, Löwe und Nilpferd. Der Weg durch die Wüste nach Ost-Theben war beschwerlich, die Sonne brannte heiß auf Anubis´ dunkle Haut. Der Schakalköpfige sah auf die Papyrusrolle, um sich zu vergewissern, wohin ihn sein Auftrag diesmal führen sollte.

    »Wieder so ein Tropf! Egal, ob Pharao oder nicht, vor mir sind alle gleich. Wer weiß, vielleicht fällt für dich heute noch ein fetter Happen ab?«, sprach Anubis zu Ammit.

    Diese sah auf, sagte: »Yumm, yumm!«, und wedelte mit ihrem Stummelschwanz. Anubis nahm seine Aufgabe sehr ernst. Niemand entkam ihm, jedem wurde der ihm zugehörige Platz zugewiesen, den er durch eigene Taten verdiente. Anubis wog das Herz bei jedem gewissenhaft mit der Waage. Wog das Herz schwerer als die Feder der Göttin Maat, war es Ammits Aufgabe dieses zu verschlingen. War das Herz leichter, oder genauso schwer wie Maats Feder, durfte der Verstorbene ins ewige Leben aufbrechen, wo ihn Glückseligkeit, Bier und Brot erwartete.

    Anubis warf einen Blick hinter sich. Er machte eine Staubwolke aus, offensichtlich von einem Fuhrwerk aufgewirbelt, die rasch näher kam. Er verdrehte die Augen, als er erkannte, wer auf der mit Flammen bemalten Wagenkanzel stand: »Dieser übereifrige Azrael, gesandt von Jahwe! Dabei hat Echnaton doch schon hinlänglich bewiesen, dass Monotheismus ein Irrglaube ist!«

    Azrael hingegen schien Anubis noch nicht wahrgenommen zu haben. Kein Wunder, wo sich der Totengott doch gern in einem kleinen Sandsturm zu tarnen pflegte. Leider schenkte Azrael dem vor ihm liegenden Sandsturm keine Aufmerksamkeit, weil gerade von Westen her, eine wesentlich größere und äußerst bedrohliche Sturmfront aufzog. Der Engel des Todes wollte dieser selbstredend ausweichen, bevor sie ihn erwischte.

    Schon von jeher galten Sandstürme als äußerst tückisch; sie bewegen sich mit einen Tempo, dem niemand so schnell entkommen kann, zudem ändern sie unberechenbar und abrupt die Richtung. Dieser Sturm wirkte wie ein hungriges Lebewesen. Und ehe Azrael etwas unternehmen konnte, umhüllte ihn bereits die Dunkelheit. So rammte Azrael unbeabsichtigt Anubis, der in der undurchdringlichen Finsternis nicht auszumachen war. Anubis, von den beiden Pferden des Gespanns niedergetrampelt, blieb reglos und halb begraben im Sand liegen. So schnell wie der Sandsturm aufgezogen war, verschwand er wieder. Azrael warf noch einmal einen Blick über die Schulter, spuckte einen Mundvoll Sand aus und bemerkte: »Huch! Ich glaube, da habe ich gerade eben einen Schakal, ein Nilpferd, einen Löwen und ein Krokodil überfahren!«

    Nur zum Anhalten blieb ihm keine Zeit. Die hebräischen Sklaven, die tagtäglich für den Pharao schuften mussten, bedurften seiner Hilfe. Wieder einmal war so ein armes Schwein an Entkräftung dahingeschieden, dessen Seele er retten musste. Der Todesengel vergewisserte sich, ob er nicht in diesem Chaos sein Chepesch (Sichelschwert), oder eine der beiden Urnen verloren hatte. Nein, alles war noch an seinem Platz. Also ging die Reise hurtig weiter. Schließlich nahm auch Azrael seine Aufgabe ziemlich ernst.

    Neben dem bewusstlosen Totengott tauchte ein Jüngling auf, der Ammit etwas zuwarf, das wie ein herausgerissenes Antilopenherz aussah: »Hier Ammit, wenn er dich fragt, ob ihr schon in Malkatta ward, nickst du mit dem Kopf, ist das klar? Der alten Zeiten wegen, denk dran!«

    Die derart bestochene Fressdämonin Ammit leckte ihr Maul und bestätigte: »Yumm, yumm!«

    Der Jüngling kniete neben dem Totengott, packte ihn an den Füßen, drehte den Besinnungslosen in die entgegengesetzte Richtung und tätschelte diesem dann vorsichtig die Wange. »Hey, Anubis. Alles klar mit dir?«

    Anubis´ Lider zitterten einen Moment, ehe er die Augen aufschlug. Dann richtete er sich schnell auf, was er daraufhin gleich wieder bereuen sollte. »Ah! Mein Kopf!«, stöhnte er. Dabei fiel ihm auf, dass etwas Wesentliches fehlte. Tastend suchte er sein Nemes-Kopftuch, fand es, schüttelte den Sand heraus und platzierte es wieder auf seinen Kopf. Nachdem seine Würde einigermaßen wieder hergestellt war, blickte er den Jüngling misstrauisch an. »Was ist denn los? Ich erinnere mich an nichts. Warum liege ich hier im Wüstensand?«

    »Oh, du kamst gerade aus Richtung Theben-Ost, als dich jemand über den Haufen fuhr. Ich glaube, es war der Todesengel der judäischen Sklaven. Meiner Meinung nach, sollte Pharao sie ziehen lassen, sonst gibt es eines Tages noch eine Katastrophe.«

    »Ich kam aus Theben-Ost?«, fragte Anubis verwirrt, der sich vermutlich nicht erinnern konnte, Ägyptens Lebensader, den Nil, überquert zu haben.

    »Ja, gewiss doch! Hast ganz schön was abbekommen«, nickte der Jüngling. »Frag doch Ammit!«

    Anubis sah zur Dämonin: »Ammit? Waren wir schon drüben in Malkatta?«

    »Yumm, yumm!«, nickte Ammit und wedelte.

    »Nun gut, dann ist ja alles bestens... Ach du heilige Schakalscheiße! Wie sieht denn meine Waage aus!«, entwich es Anubis. In der Tat sah das Präzisionswerkzeug ziemlich ramponiert aus. Auch die Feder der Maat war zerknickt und beschmutzt. »Verdammt! Ich muss doch gleich nach Memphis! Jetzt kann ich wieder zurück latschen und sehen, wie ich den Schaden behoben bekomme!«

    Der Jüngling gab ein Schnalzen von sich. »Das ist eine echte Schande! Darf ich dir auf die Beine helfen, großer Anubis?«

    Der Schakalköpfige nahm die Hilfe an. »Danke, mein Sohn... Äh, bist du nicht der Dschinn von Tutanchamun?«

    Ihm kam dieser Bursche sehr bekannt vor.

    »Was machst du hier draußen?«

    Der Jüngling zeigte seinen Kupfermeißel und den Klöppel, der wie ein steinerner Pümpel aussah. »Ich bin Farouk Neke el Abdul, und ich war der Dschinn des jungen Tutanchamun - möge sein Ruhm ewig glänzen - bis zu dem Tag, als er von diesem infernalen Duo namens Eje und Haremhab ermordet wurde. Jetzt muss ich wieder Steine klopfen und ausgerechnet die Namen ausradieren, die es wert wären, in die Geschichte einzugehen. Aber ich will mich nicht beklagen, es hätte schlimmer kommen können.«

    »Ja, an den jungen Tutanchamun Osiris erinnere ich mich sehr gut. Er wäre ein wahrhaft göttlicher König geworden«, sprach Anubis. »Sein Herz war so leicht wie das eines Kindes. Gewissermaßen war er das ja auch noch. Aber sag Dschinn, deine Anschuldigungen wiegen schwer. Woher willst du wissen, dass Tutanchamun ermordet wurde. Meines Erachtens starb er bei einem Jagdunfall. Warst du dabei?«

    »Nein, ich war nicht dabei, denn Eje entsandte mich an die Grenze im Norden, weil dort die Chatti (Hethiter) einfielen. Doch zuvor warnte ich Tutanchamun, er solle nicht zur Jagd gehen, weil er sich mit seinem Großonkel überworfen hatte.«

    Für den Dschinn kam es zuerst einer Strafarbeit gleich, als Babysitter fungieren zu müssen. Aber im Laufe der Jahre, war ihm der junge Pharao sehr ans Herz gewachsen. Für ein so altes Wesen wie den Dschinn, erschien es, als wäre es erst gestern gewesen, als er in Achetaton vor einer Stele stand und von Echnatons oberstem Bildhauer, Bak, der sich dabei mächtig die Haare seiner Perücke raufte, einen heftigen Anschiss kassierte.

    »Was hast du da nur getan? Ich werde dich dafür mit der Silberpeitsche bestrafen lassen, du bösartiger Dschinn! Was hast du dir nur dabei gedacht?«

    Farouk zuckte mit den Schultern. »Was soll daran falsch sein?Du sagtest mir, ich solle die Gravur so ausführen«, grinste er frech.

    In dem herrschenden Tumult bemerkte niemand der Anwesenden die Sänfte, die rasch näher kam. Erst als Leibwächter in Leopardenfell gekleidet riefen, alles solle sich zu Boden werfen, wurde allen klar, dass der Pharao zur Besichtigung vorbeikam. Eine große Gestalt warf ihren Schatten auf die am Boden Liegenden. Echnaton, ganz wie der Papa, war ein sehr hochgewachsener Mann.

    Alle hielten den Atem an, als der Pharao an die Stele trat. Seine sonst so schweren Lider hoben sich und er zog nachdenklich die Augenbrauen in die Stirn. »Bak? Erhebe dich«, sprach er mit sanfter Stimme.

    »Ja, Göttlicher?«, entgegnete der Oberste Bildhauer ängstlich.

    »Bak? Was ist das?«, fragte Echnaton und zeigte auf die Gravur.

    »Göttlicher, dies ist das Werk von diesem Dschinn!«, wälzte Bak die Verantwortung von sich.

    »Du, Dschinn, erhebe dich«, forderte Echnaton.

    Der Dschinn kam dem Befehl nach.

    Echnaton sah ihn an. »Ich kenne dich, du zeigtest mir, als ich noch ein kleiner Junge war, wie man im Tempel der Bastet Katzen fängt und ihnen eine Fackel an den Schwanz bindet, richtig? Du bist doch Farouk, oder?«

    »Ja, ich bin Farouk Neke el Abdul, der Erfinder des Talatat«, grinste der Dschinn. »Und ja, das mit den Katzen stimmt.«

    »Moment mal. Men, der Oberste Baumeister sagte, er habe den Talatat erfunden«, stellte der Pharao fest.

    »Das behauptet er vielleicht. Wahrscheinlich will er nicht zugeben, dass so ein niederes Wesen wie ein Dschinn, diese Bausteine erfunden hat.«

    »Hm, mag sein«, sinnierte Echnaton. »Könntest du mir trotzdem mal erklären, wieso ich auf dieser Stele abgebildet bin, indem ich mit dem nackten Hintern auf der Sonnenscheibe des Aton sitze?«

    »Bak sagte, deine Backen sollten von Atons Strahlen gestreichelt werden«, bemerkte Farouk neunmalklug.

    Echnaton sah den vorwitzigen Dschinn streng an und brach plötzlich in schallendes Gelächter aus. »Ah, jetzt verstehe ich.  Dschinns müssen das ausführen, was man ihnen befiehlt!«

    »Ja, Herr. Ich diene den Pharaonen schon sehr lange. Und da Bak sagte, Aton solle Eure Backen streicheln, tat ich das, was er von mir verlangte«, lächelte der Dschinn wie eine Sphinx.

    Echnaton drehte sich zu Bak. »Das nächste Mal, solltest du dich ein wenig präziser ausdrücken. Bring das in Ordnung. Und sorge dafür, dass meine Familienmitglieder nicht wie Affen aussehen«, lächelte er noch immer belustigt.

    »Ja, Göttlicher!«, schleimte Bak unterwürfig.

    Echnaton winkte Bak davon, legte dem wesentlich kleineren Dschinn die Hand auf die Schulter und zog ihn mit sich. »Ich denke, Bak wird dich eine Weile nicht mehr sehen wollen. Mein Vater war nicht von den rennenden Katzenfackeln begeistert, doch mir gefiel das. Da fällt mir ein, ich hätte eine schöne Aufgabe für dich. Du wirst auf meinen Sohn aufpassen, als wäre er dein eigener Augapfel. Brrr! Bitte, stecke ihn wieder in die Augenhöhle, ich habe einen empfindlichen Magen!«

    Und so kam es, dass Farouk der Begleiter des jungen Tutanchamun wurde. Er tröstete das kleine Kind, als dessen Vater starb, wachte am Bett des Jungen, wenn er Fieber hatte; brachte ihm das Fahren und Jagen bei. Kein Wunder, wenn ihn der Tod des jungen Pharao tief traf. Obwohl er sich nie etwas anmerken ließ, hegte er gegen Eje und Haremhab einen tiefen Groll.  

    »Na gut«, meinte Anubis, »ich will dich nicht länger aufhalten und mir bleibt ebenfalls die Arbeit liegen. Jetzt, wo ihr einen neuen Pharao habt, geht bald wieder das Bauen los, wie?«

    »Gewiss, es hört nie auf«, nickte der Dschinn.

    »Tja, dann ist Malkatta also erledigt... Also hat Haremhab bekommen, was er verdiente. Tja, vielen Dank für deine Hilfe und so...«, sagte der Totengott, sah noch einmal verwirrt in Richtung Ost-Thebens und wankte hinkend mit Ammit davon.

    »War mir ein Vergnügen«, grinste der Dschinn, mit sich und der Welt zufrieden. Als Anubis aus seinen Augen verschwand, murmelte er zufrieden: »Ja, er wird bekommen, was er verdient, da bin ich mir sicher. Das tat ich nur für dich, kleiner Tut. Möge dein Name unsterblich bleiben!«

    *

    Man kann einen Garten nicht düngen, indem man durch den Zaun furzt.

    (Marcel Reich-Ranicki)

    Das Erste, woran ich mich bewusst erinnern konnte, war, dass jemand leise die Vorhänge öffnete, um frische Luft und die bunten Farben des Sonnenuntergangs hereinzulassen. Eigentlich bekam ich nicht allzu viel vom Sonnenuntergang mit, weil ich unter kühlenden Seidenlaken, in einem ziemlich altmodischen Himmelbett lag, dessen Vorhangstoff kaum das Tageslicht durchließ. Wie nicht anders zu erwarten, war ich splitterfasernackt. Und unter meinem nackten Hintern fühlte sich das Seidenlaken irgendwie an, als läge ich auf einem toten Fisch. Gut, dass mir nicht schwindelte, sonst wäre ich sicherlich in der nächsten Kurve aus dem Bett geschlittert. Hm, wieso gehen eigentlich ständig meine Klamotten flöten? Egal, seltsamerweise fühlte ich mich richtig gut. Ich sage »bewusst erinnern«, weil zuvor ein ziemliches Chaos in meinem Kopf herrschte. Soweit ich mich entsinnen konnte, sollte ich eigentlich in einem Kryonik-Tank liegen, eingefroren wie ein Tiefkühlprodukt - fehlte nur noch der Bofrost-Mann. Vorsichtig bewegte ich meine Zehen. Kein Gefühl der Kälte, keine Taubheit - gut.

    Noch immer fühlte ich mich leicht daneben, zumindest mein Kopf, aber meinem Körper ging es wirklich prächtig. Merkwürdig, sollte es nicht eher umgekehrt sein? Nein, nur mein Schädel fühlte sich an, wie Omas Kochwäsche nach einem heftigen Schleudergang mit anschließender Heißmangel. Kein Wunder, zuletzt war ich mit einem unheilvollen Medikamentenmix derartig zugedröhnt, dass ich von der Hochzeitfeier meines Blutbruders Cornelius, nur noch bruchstückhafte Erinnerungen vorweisen konnte. Na ja, unter anderen Umständen, das heißt, ohne Drogen, stattdessen mit mächtig viel Alkohol, wäre es mir wahrscheinlich nicht anders ergangen. Aber wenn die Giftmischer von Salomons Ring gewusst hätten, welche angenehmen Nebenwirkungen das Zeug verursachte, gäben sie das nächste Mal sicherlich eine Prise Salpeter dazu. Junge, Junge! Ich weiß ja nicht, ob ihr schon mal so richtig feuchte Träume hattet; meine waren jedenfalls so etwas von real. Mir war, als hätte mich ein Sukkubus im Schlaf überfallen. Allerdings saß sie auf mir und nicht wie der Name vermuten lässt, unter mir. Äh, sei´s drum. Alles in allem, sollte ich mich eigentlich schämen, von so etwas zu sprechen. Sofort stellte sich bei mir das schlimme Gefühl der Niedergeschlagenheit ein, gewürzt mit einer kräftigen Portion Reue. Und wieder einmal hatte ich alles verkackt, was man nur vermasseln konnte. Dabei dachte ich, der Plan wäre perfekt, den Mörder meiner Frau Amanda, mittels einer Dämonin auszuschalten, ohne dabei die geringste Spur zu hinterlassen... Pustekuchen! Zwar wurde ich nicht beschattet, leider jedoch die Dämonin, die zufälligerweise den Status meiner Ex-Frau trägt. Eigentlich wäre es eine einfache Quid-pro-quo-Sache gewesen. Tja, dumm gelaufen. Anstatt endlich fertig miteinander zu sein, nahm ich die ganze Schuld allein auf mich, als es zu einer internen Verhandlung kam. Ohnehin weiß ich nicht, was in die Leute von Salomons Ring gefahren war. Sonst drückten sie bei jeder noch so großen Verfehlung ein Auge zu, doch diesmal glich alles einem gottverdammten Hexenprozess. Nach der Verurteilung - ich sollte ohne Schonfrist zwanzig Jahre in einem Kryonik-Tank abbrummen -, überredete Cornelius unseren Boss dazu, mir doch noch eine kleine Gnadenfrist einzuräumen, um der Trauung von Cornelius und Cassandra beiwohnen zu können.

    Und jetzt wird´s kompliziert. Als ich meine Kinder ein letztes Mal sehen wollte, wurde ich in Richtung Lift befördert. Es blitzte und tja... mehr weiß ich jetzt auch nicht mehr so genau, denn irgendjemand verpasste mir wieder ein Betäubungsmittel. Also ist es fraglich, was in der Zwischenzeit passierte. Ebenso gut könnten inzwischen zwanzig Jahre vergangen sein, ohne dass ich es bemerkte. Und noch etwas traf mich tief. Was war mit meinen Kindern passiert? Waren sie überhaupt noch Kinder, oder schon Erwachsene? Fakt war, selbst wenn wir bisherig das gleiche Jahr schrieben, wo waren sie abgeblieben? Befanden sie sich in Gefahr, oder brachte Annie sie nach Schottland, so wie ich es Cornelius ausrichten ließ? Selbst wenn sie in Schottland weilten, war es mir nahezu unmöglich, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Wenn die Telefonleitung angezapft, oder Annies Handy überwacht wird, müsste ich unwillkürlich in die Falle tappen, denn ich stehe auf der Abschussliste, gelte nicht mehr als Jäger, sondern Gejagter. Was für ein beschissenes Dilemma.

    Ich seufzte bedrückt und als der Seufzer heraus war, fiel mir auf, dass ich mich gar nicht allein im Zimmer aufhielt. Barfüßige Schritte kamen näher, eine Hand mit rot lackierten Fingernägeln griff nach dem Bettvorhang und zog ihn zur Seite. Vor mir stand eine Frau, die nichts anderes als ihre Tätowierungen am Leib trug. »Ah, Ragnor, du bist wach. Was ist denn? Du hast gar keinen Grund, so zu stöhnen. Weißt du eigentlich, wie verdammt sperrig und schwer du bist? Es war die reinste Plackerei, dich aus der Zentrale von Salomons Ring zu teleportieren«, grinste sie anzüglich und entblößte dabei ihr Raubtiergebiss.

    »Dinah? Wann und wo bin ich?«, räusperte ich mir den Staub aus dem Hals.

    ...Argh, mein Schlund war trockener als eine Handvoll Herbstlaub....

    »Du sprichst mich immer mit meinem früheren Namen an. Mir wäre lieber, du nennst mich Dyna, so wie alle. Dinah gibt es schon lange nicht mehr«, winkte sie ab und setzte sich zu mir aufs Bett. »Keine Bange, wir schreiben immer noch das gleiche Jahr. Drei Tage warst du völlig weggetreten. Wir haben mal analysiert, was sie dir verabreicht haben. Die Giftmischer von Salomons Ring beherrschen wirklich ihren Job; Strychnin, Eisenhut, Ketamin, Acepromazin, Oxycodon, Propofol und Diazepam waren die Hauptbestandteile. Wie geht es dir jetzt? Sei beruhigt, hier bist du sicher, vertraue mir. Du hast mein Wort.«

    »Hm, es geht so. Ich bin froh, nicht wieder irgendwo in einer fremden Gegenwart aufzuwachen«, erwiderte ich heiser. »Vertrauen? Nun hör aber mal auf! Dir vertraue ich nur soweit, wie mich ein Zwerg werfen kann! Du hast mich schon einmal verraten, warum solltest du es nicht nochmals versuchen? Und überhaupt, was zählt dein Wort? Du hast mit meinem Sohn Gungnir geschlafen, und damit meinen anderen Sohn betrogen, beschämt und beleidigt!«, knurrte ich, wieder Herr über meine Stimme.

    »Das musst du gerade sagen, wie?«, fauchte sie ungehalten. »Du, der seinem Dienstherren gegenüber schon etliche Male eidbrüchig wurde? Du schwingst dich mir gegenüber zum Richter auf? Und erkläre mir mal, wieso sollte ich dich erst retten, um dich hinterher zu verraten? Das ergibt überhaupt keinen Sinn!«, gab sie mir heftig Kontra. »Na und? Ich hatte Sex mit Gungnir, weil er so lebendig und voller Pläne ist, und nicht den ganzen Tag in der Kammer sitzt und wie ein Verrückter Leinwände beschmiert, oder auf Marmorblöcke eindrischt. Du kannst gar nicht mitreden, wenn es um das Thema der langen Ehe geht. Du weißt nicht, wie es ist, vom Zweifel zerfressen zu werden, ob es noch Liebe, Bequemlichkeit, oder gar Gewohnheit ist. Mir wurde schlagartig klar, wieso so viele Maler niemals heiraten. Es war für mich einfach unerträglich, jemanden mit so etwas Abstraktem wie der Kunst, teilen zu müssen. Wenn es wenigstens eine andere Frau gewesen wäre. Ohne mich kann er leben, jedoch nicht ohne sein Malen oder die Bildhauerei. Was ist da schon ein kleiner Seitensprung? Schließlich habe ich mit dir auch schon geschlafen«, sah sie mir mit silbrigen Augen herausfordernd ins Gesicht.

    »Schön für dich, jetzt hast du uns alle durch. Ach, komm mir doch nicht schon wieder mit so ollen Kamellen! Das ist jetzt schon über sechshundert Jahre

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