Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Das Post Mortem Phänomen
Das Post Mortem Phänomen
Das Post Mortem Phänomen
eBook305 Seiten3 Stunden

Das Post Mortem Phänomen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Philipp ist anders, und das schon seit seiner Zeugung...
Man sieht es ihm nicht an, doch er kann spüren, wenn der Tod sich nähert. Es quält ihn, denn er weiß nicht, was mit ihm geschieht und er kann nichts dagegen tun.
Chris, sein Onkel und der Arzt, der für die künstliche Befruchtung verantwortlich war, könnte ihn aufklären, doch er schweigt.
Prof. Kerrington, sein Mentor beim Studium in den USA, interessiert sich sehr für den jungen Mann, doch er hat seine eigenen Motive.
Schließlich kommt es, wie es kommen musste:
Eine Katastrophe ereignet sich.

Ein Thriller, der an die Grenzbereiche ärztlicher Kunst und des medizinischen Ethos vorstößt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum10. Juni 2016
ISBN9783741819919
Das Post Mortem Phänomen

Ähnlich wie Das Post Mortem Phänomen

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Das Post Mortem Phänomen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Das Post Mortem Phänomen - Peter M. Sauer

    Für CERM

    Das Post Mortem Phänomen (E-Book Version)

    published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Copyright: © Peter M. Sauer

    Titelbild: © Sabrina Gonstalla / pixelio.de

    Satz: Samuel Schwarzkopf

    ISBN 978-3-7418-1991-9

    Peter M. Sauer

    Das Post Mortem

    Phänomen

    Roman

    „Wir sind ein einziges Mal geboren.

    Zweimal geboren zu werden ist nicht möglich.

    Eine ganze Ewigkeit hindurch werden wir

    nicht mehr sein dürfen.

    Und du schiebst das was Freude macht auf,

    obwohl du noch nicht einmal Herr über das Morgen bist?

    Über dem Aufschieben schwindet das Leben dahin,

    und so mancher von uns stirbt,

    ohne sich jemals Muße und Freude gegönnt zu haben."

    Epikur, 341 – 271 v. Chr.

    1

    Bonn, 08.11.1986

    Im Schatten des neuen Stadthauses liegt inmitten der Stadt der ehrwürdige Alte Bonner Friedhof. Er ist von einer schlichten hohen Mauer umgeben und ein Ort der Stille.

    Eine große Trauergemeinde hatte sich an diesem Tag hinter dem schmiedeeisernen, weit geöffneten Eingangstor versammelt und wartete schweigend auf den Sarg.

    Als der Leichenwagen schließlich vorgefahren war, setzte sich der Trauerzug langsam in Bewegung und folgte ihm still in den Friedhof hinein. Es war ein grauer, diesiger Spätherbsttag. Das zur Seite gefegte Laub auf den Wegen war braun und nass, und es roch ein wenig nach Fäulnis. Allerheiligen war bereits vorbei, auf den Gräbern welkte der Blumenschmuck, und nur noch hier und da flackerte ein rotes Kerzenlicht.

    Der im Jahre 1715 angelegte Alte Friedhof war in Bonn etwas ganz Besonderes. Der Trauerzug kam jetzt auf seinem langen Weg zum offenen Grab an den Ruhestätten und Grabmälern vieler berühmter Bürger der Stadt vorbei. Neben bedeutenden Professoren wie Ernst Moritz Arndt, Karl Simrock oder F.W. Argelander hatten hier viele weitere bedeutende Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe gefunden, so zum Beispiel Robert und Clara Schumann, Mathilde Wesendonck, die Muse und Geliebte Richard Wagners und Maria Magdalena Keverich, die Mutter Beethovens. Seit 1883 war dieser Friedhof für Neubeerdigungen geschlossen; eine Ausnahme gab es lediglich für Ehrenbürger der Stadt und Nachfahren von hier Bestatteten, die ihre Grabstelle weiter nutzen durften.

    Da Carolin Baltin aus einer alten Bonner Familie stammte, besaß sie hier ein eigenes Familiengrab, das nun die letzte Ruhestätte ihres verstorbenen Mannes Dr. Hans Baltin werden sollte. Er war ein begabter, mehrfach ausgezeichneter und erfolgreicher Physiker am hiesigen Max-Planck-Institut gewesen, dem eine glänzende Karriere prognostiziert worden war.

    Vor vier Tagen war er, ganz in der Nähe von Bonn, auf dem Rückweg von einem Kongress in Straßburg wegen eines Staus in einen schweren Unfall verwickelt worden. Baltin war mit seinem Wagen bei dichtem Nebel und hoher Geschwindigkeit auf einen liegen gebliebenen LKW aufgefahren und unter ihn geschoben worden. Er hatte schwerste Kopf- und Brustverletzungen erlitten und war trotz aller Rettungsversuche später im Krankenhaus verstorben. Seine Frau Carolin stand immer noch unter einem schweren Schock, der Körper und Seele so sehr schwächte, dass sie nicht an der Beerdigung teilnehmen konnte, sondern in ärztlicher Obhut bleiben musste.

    Dr. Chris Bergers, der Schwager des Verstorbenen und einzige Bruder von Carolin Baltin, der ein enges Verhältnis zu seiner Schwester und ihrem Mann hatte, hielt eine kurze und eindrucksvolle Grabrede. Sowohl seine Frau und er wie auch die Baltins waren kinderlos geblieben. Das hatte sie über ihre verwandtschaftliche Beziehung hinaus besonders verbunden.

    Der Sarg wurde von vier schwarz gekleideten städtischen Bediensteten getragen. Der Priester, ein alter Schulfreund von Carolin, zelebrierte die Gebete sichtlich betroffen und warf als Symbol für die irdische Vergänglichkeit mit einer kleinen Schaufel etwas Erde hinab auf den Sarg. Nach dem Segen kondolierte er den Angehörigen. Obwohl er sich vorgenommen hatte, diese Beerdigung genau wie alle anderen mit der nötigen Andacht und einer distanzierten priesterlichen Anteilnahme durchzuführen, konnte er seine tiefe Ergriffenheit nicht verbergen, denn er hatte mit dem Verstorben oft zusammengesessen und über den Glauben gestritten. Hans Baltin war als Physiker ein überzeugter Atheist gewesen und hatte keinen Schöpfer der Natur akzeptiert. Da er aber auch streng katholisch erzogen worden war, tat er sich trotz allem schwer damit, sich endgültig von der Kirche zu lösen, zumal seine geliebte Frau Carolin gläubig war und ihren kirchlichen Verpflichtungen ernsthaft nachging. Unbeirrt hatte Hans Baltin jede höhere Intelligenz oder Instanz abgelehnt und konsequent rein materialistisch gedacht. Carolin zuliebe hatte er jedoch in begrenztem Umfang an kirchlichen Veranstaltungen und Festen teilgenommen und dabei durchaus heimlich einen gewissen inneren Frieden gefunden, der ihn an seine Jugendzeit erinnerte. Diese Zwiespältigkeit hatte er nie auflösen wollen, sie gehörte einfach zu ihm, und gerade aus diesem Grunde war für einen Priester ein Gespräch mit ihm immer eine große Herausforderung gewesen. Aber nun lag Hans hier im Sarg und es gab keine Möglichkeit der Aussprache mehr.

    Als der Sarg in die Erde hinabgelassen wurde, standen die Eltern und zwei Schwestern von Hans Baltin mit ihren Ehemännern und deren Kindern in der ersten Reihe. Carolins Mutter Tina war von ihrem Sohn Chris in einem Rollstuhl zum offenen Grab ihres Schwiegersohnes gefahren worden. Auch an ihr waren die schmerzerfüllten Tage seit dem verhängnisvollen Unfall nicht ohne Spuren vorüber gegangen. Sie war herzkrank und es fiel ihr sichtlich schwer, die Rosen als letztes Geleit in die Grube zu werfen. Nach ihr stellte sich Chris noch einmal an den Rand des Grabes und verharrte eine Zeit lang schweigend mit ehrfurchtsvoll gebeugtem Kopf. Er trug sein dichtes, leicht ergrautes Haar, das ihm nur mäßig geordnet bis zum Kragen reichte, länger, und der Herbstwind blies ihm die Strähnen ins Gesicht, was ihn aber offenbar nicht störte. Sein gutmütiges, breites Gesicht war von Falten durchzogen, und mit seiner leicht gedrungenen Statur und dem auffallend kurzen Hals wirkte er trotz des langen, schwarzen Mantels beinahe wie ein Pykniker. Ernst schaute er auf den Sarg hinunter. Seine Lippen formten leise den letzten, bewegenden Gruß seiner Schwester Carolin an ihren Ehemann, den sie ihm aufgetragen hatte. Als Chris fertig gesprochen hatte, hob er seinen Kopf und schaute noch einmal zum Himmel empor. Alles war still. Er tat einen tiefen Atemzug, dann folgten gemurmelte Worte, die offensichtlich nicht für die Umstehenden bestimmt waren. Es hörte sich an wie „… von Dir … weiterleben … versprochen." Nach einem tiefen Seufzer drehte er sich um, ging zu seiner Mutter und schob sie mit dem Rollstuhl auf den Weg zurück.

    Eine große Anzahl von Kränzen und Gebinden säumten in einem weiten Bogen die Grabstätte und eine nicht enden wollende Schlange von Verwandten, Freunden, Kollegen und Bekannten kondolierten den Angehörigen. Der Sarg selbst war äußerst schlicht gewesen; eine helle Eiche-Truhe mit einer Palmenzeichnung. Als einzigen Schmuck hatte Carolin einen großen Strauß aus roten und weißen Rosen mit zwei weißen Schleifen, auf denen „We’ll meet again – don’t know where – don’t know when!" und „In Liebe Deine Carolin stand, auf dem Deckel befestigen lassen. Diesen Satz hatte sie vor kurzem im Geschichtsunterricht verwendet – sie war Lehrerin für Englisch und Geschichte. Thema war die Rolle Englands im Zweiten Weltkrieg gewesen. Dieses Lied hatten damals die in den Krieg ziehenden Soldaten zusammen mit ihren Freundinnen und Familien gesungen. Die Textzeile besaß noch eine Fortsetzung: „… but I know we’ll meet again some sunny day ... Carolin hatte sogar eine CD mit einer beeindruckenden Songversion davon gekauft und sie ihrem Mann vorgespielt. Er fand diese hoffnungsvolle letzte Zeile zwar sinnlos, aber die Melodie hatte ihm gut gefallen. Und nun war er selbst fortgegangen. Die Hoffnung war mit ihm gestorben, denn es würde für sie beide auf Erden keinen „sunny day" mehr geben. Das wusste Carolin. Und doch spendete ihr der Text Trost, denn sie war überzeugte Katholikin, die an die Auferstehung und ein Wiedersehen nach dem Tode glaubte.

    2

    Nach den aufregenden Begebenheiten um und wegen der Beerdigung erholte sich Carolin nur schleppend. Ihr ging es immer noch nicht besonders gut und ihr Bruder, Dr. Chris Bergers, kümmerte sich rührend um sie. Er war deutlich älter als sie und pflegte ein sehr inniges Verhältnis zu seiner Schwester. Seine eigene Ehe war nach fünf Jahren kinderlos geschieden worden, unter anderem auch deshalb, weil seine Frau keine Kinder wollte, was ihm bis jetzt wie ein Stein auf dem Herzen lag. Da die Baltins bisher ebenfalls kinderlos geblieben waren, obwohl sie sich Kinder gewünscht hatten, war diese Gemeinsamkeit ein weiteres verbindendes Element ihrer familiären, engen Beziehung gewesen.

    Chris war Chirurg am Städtischen Florentius Krankenhaus. Da aber aus seiner eigenen Geschichte heraus auch ein großes Interesse am Fachgebiet der Zeugungshilfe entstanden war, engagierte er sich zusätzlich in der privaten Fertilisationsklinik „Infant in Bad Godesberg. Er war nicht nur ein geschickter Chirurg, sondern auch versiert in der Durchführung komplizierter Techniken im Bereich der künstlichen Befruchtung, was er als angenehme Ergänzung zu seiner Tätigkeit im OP empfand. Dort endete seine schwierige Arbeit zwar meist lebenserhaltend, aber manchmal auch nicht. Der Tod war immer latent gegenwärtig. Aber hier bei „Infant konnte er die schwerwiegende Belastung im OP durch die Euphorie der Lebensspende ausgleichen. Diese Tatsache half ihm sehr.

    Einige Wochen nach dem Begräbnis war Carolin zu aller Überraschung schwanger. In der Zeit nach der Bestattung hatte sie sich gehen lassen. Ihr schönes blondes, schulterlanges Haar war fettig, der stets sorgsam gezogene Scheitel war verschwunden und die auffälligen Halsketten fehlten. Überhaupt schien Schmuck seine Bedeutung verloren zu haben, und ihre ebenmäßige Figur wirkte durch Verspannungen jetzt eher gebeugt. Seitdem sie jedoch wusste, dass sie schwanger war, sah sie wieder ganz lebendig aus. Voller Stolz erzählte sie allen, dass sie ihr Glück nicht fassen könne, weil sie und Hans offensichtlich kurz vor dessen Tod dieses Kind gezeugt hätten. Sie war außer sich vor Freude. Bei den Freunden allerdings standen eher Verwunderung und Skepsis im Vordergrund, weil sie Carolin wegen ihrer derzeitigen geschwächten körperlichen und seelischen Verfassung eine Schwangerschaft kaum zutrauten. Aber das legte sich nach einiger Zeit, und ihr Umfeld reagierte zunehmend begeistert, weil Carolin so glücklich war. Alle gönnten ihr diesen Lichtstrahl in ihrem Leben. Sie empfand das Kind als ein Geschenk von Hans.

    Die Schwangerschaft verlief unter strenger persönlicher Be-treuung von Chris komplikationslos und Carolin gebar am 05. August 1987 einen Sohn. Die Wahl des Namens war ihr schwer gefallen. Für Hans konnte sie sich nicht entscheiden, da sie befürchtete, dass sie jedes Mal, wenn sie ihren Sohn beim Namen nennen würde, in Erinnerungen versunken bliebe, abgesehen davon, dass sie ihn noch nie schön gefunden hatte. Ihr Sohn sollte ihr Leben mit einem neuen, eigenen Namen bereichern. Sie nannte ihn Philipp, weil sie mit Hans zuletzt einen wunderschönen Urlaub auf den Philippinen verbracht hatte und ihr verstorbener, geliebter Vater ebenfalls Philipp geheißen hatte.

    3

    Mai 2007

    Sue und Mary genossen an jedem Donnerstag ihren gemeinsamen Einkaufstag in der Shopping Mall von Oklahoma City. Diese Verabredung, die sie schon vor Jahren getroffen hatten, war ihnen heilig, denn sie verbrachten den ganzen Tag in diversen Einkaufszentren, verstauten die erstandenen Waren in ihren Pickups auf dem hauseigenen Parkplatz und freuten sich auf den anschließenden genussvollen gemeinsamen Ausklang. Sue hielt schon seit Wochen eine strenge Diät, was dazu führte, dass sie sich heute mit einem großen Salatteller begnügen wollte, während die immer noch schlanke Mary sich ein großes Steak leistete. Den Kaffee wollten sie im Freien genießen, denn die trockene Luft in den klimatisierten Cafés verhinderte ihrer Meinung nach den vollen Kaffeegenuss. Ein Hinweisschild im Einkaufscenter empfahl den Besuch eines großen Dachgartens mit bunten Sonnenschirmen und Palmenbäumen. Es gab frisch gepresste Obstsäfte, italienischen Kaffee und französisches Gebäck. Neben der Aufzugstür suchten sie sich in den Auslagen eines großen Kiosks die aktuellen Boulevard-Zeitschriften mit dem üblichen Klatsch aus und fuhren in den dritten Stock. Der Dachgarten war wirklich schön, ein grünes Paradies, das einen herrlichen Ausblick auf die Stadt bot.

    Um diese Zeit war es den meisten Gästen hier oben zu heiß, sodass jetzt, am frühen Nachmittag, noch viele Tische frei waren. Nur in der letzten Reihe lag eine schlafende junge Frau im Liegestuhl. Die Bedienung kam nur gelegentlich vorbei und es dauerte eine gewisse Zeit, bis die beiden Frauen ihren ersehnten Kaffee vor sich hatten. Trotz der angeregten Unterhaltung warf Sue immer wieder unwillkürlich einen Blick auf die Schlafende im Liegestuhl. Die Sonne war mittlerweile weiter nach Westen gewandert und das Mädchen lag jetzt im prallen Sonnenschein. Dennoch bewegte sie sich nicht. Als auch die Bedienung ihnen auf ihre Nachfrage hin bestätigte, dass die Frau sich in der letzten halben Stunde nicht gerührt habe, beschlossen alle drei nachzuschauen. Die junge Frau sah sehr blass aus, ihr Mund war leicht geöffnet und ihre aschfahle Gesichtsfarbe wirkte beängstigend ungesund. Als Sue sie ansprach, erfolgte keine Reaktion. Deshalb berührte sie die Schlafende an der Schulter, während sie weiter auf sie einsprach und – weil diese immer noch nicht reagierte – nun heftig an deren Armen rüttelte. In diesem Moment rutschte der Körper der jungen Frau unkoordiniert aus dem Liegestuhl auf den harten Boden. Auch jetzt bewegte sie sich nicht. Auf dem Sitz war ein großer, nasser Fleck zu sehen. Die drei Frauen erschraken und begannen wie auf Kommando zu schreien. Das Mädchen war offensichtlich tot.

    Der herbeigerufene Notarzt konnte nur noch den eingetretenen Tod feststellen. Da es keine Anzeichen für eine Fremdeinwirkung gab, bestellte er umgehend den Leichenwagen. Weil aber am Kopf der Toten, um den gesamten Haaransatz herum, eine nicht erklärliche kreisförmige, bläuliche Verfärbung zu erkennen war, bestand die Möglichkeit eines unnatürlichen Todes, und der Arzt benachrichtigte die Polizei. Diese befragte Sue und Mary, ob ihnen sonst noch etwas aufgefallen sei und ebenso die Bedienung. Diese erinnerte sich nur, dass am frühen Nachmittag an diesem Tisch ein junges Paar gesessen hatte, das sich angeregt unterhalten und ab und zu umarmt hatte. Ob das die junge Frau aus dem Liegestuhl gewesen war, konnte sie allerdings nicht mit Sicherheit sagen.

    4

    Carolin ließ sich vom Unterricht freistellen und widmete sich mit Hingabe der Erziehung ihres Sohnes. Das Kind war von Anfang an ein wenig kränklich, machte aber gute Fortschritte. Nach zwei Jahren lernte sie bei einem Geburtstagsfest ihrer Freundin einen interessanten Mann kennen; Martin Kargen, einen Rechtsanwalt aus Bonn, der beim Büffet eher zufällig an ihrer Seite gestanden hatte, und mit dem sie ungezwungen ins Gespräch kam. Er war elegant gekleidet, nicht sehr groß und wirkte sehr sportlich. Sie genoss seine Eloquenz und war erstaunt, dass er sich später am Abend auch noch als passabler Pianist entpuppte, der die Anwesenden mit seinen Improvisationen am Klavier unterhielt. Es war wunderbar mit anzuhören, wie spielerisch ihm die schwierigen Übergänge zwischen den verschiedensten Melodien und Rhythmen, zwischen Klassik und moderner Musik gelangen. Carolin war beeindruckt. Kargen war intelligent, schlagfertig und lustig und zudem geschieden. So kam es, dass die beiden bald eine leidenschaftliche Liebesbeziehung begannen, die im Jahre 1990 mit einer großen Hochzeit besiegelt wurde.

    Martin, den alle nur Mäc nannten, passte gut zu Carolin, lediglich mit Philipp gab es ein paar Probleme. Das Kind lehnte ihn offensichtlich ab. Martin tat sein Bestes und schenkte dem Kind all seine Sympathie und, wenn es der Beruf zuließ, auch seine Freizeit. Allmählich besserte sich ihr Verhältnis und die beiden konnten sogar miteinander lachen. Als Carolin schließlich erneut schwanger war, teilten sie Philipp behutsam mit, dass seine Mutter bald ein weiteres Baby bekommen würde. Das fand er, wie alle Kinder, vor der Geburt lustig. Die kleine Melanie kam am 13. März 1991 zur Welt, und von nun an waren sie zu viert.

    5

    Nach einer schwierigen Zeit lernte Philipp allmählich mit der Anwesenheit seiner neuen kleinen Schwester zurechtzukommen. Zwischen ihnen herrschte keine geschwisterliche Liebe, ihr Miteinander beruhte eher auf Toleranz, aber sie spielten miteinander, soweit dies bei einem Altersunterschied von mehr als drei Jahren möglich war.

    Mit Philipps Einschulung im Sommer 2003 änderte sich sein Leben. Er wollte jetzt vor allem selbstständig sein, lehnte fremde Hilfe bei den Schulaufgaben ab und wollte alles alleine machen. Carolin ließ ihn gewähren, beschloss aber, dem Jungen als Ausgleich die Welt der Musik zu erschließen und meldete ihn zum Klavierunterricht an. Aber genau wie seinem Vater fehlte auch ihm jegliches Talent für ein Instrument und schon bald musste Carolin einsehen, dass dies keinen Zweck hatte. Andere Versuche, wie der Mitgliedschaft in einer Theatergruppe oder dem örtlichen Fußballverein scheiterten an Philipps Unfähigkeit, mit anderen unverkrampft und offen kommunizieren zu können. Er war sehr verschlossen und ging, wo und wann immer er konnte, Streitigkeiten aus dem Wege. Er besaß ein sanftes Wesen und blieb ein guter, aufgeweckter Schüler. Es gab keine Probleme, sodass Philipp die Grundschule mit der nötigen Empfehlung zum Gymnasium abschloss. Carolin entschied sich für ein naturwissenschaftlich orientiertes Gymnasium, welches außerdem nur einen Steinwurf von ihrem Haus entfernt lag. Die Veranlagung des Vaters zur Naturwissenschaft schien auch in Philipp zu stecken, wie sie glaubte.

    In den kommenden Jahren kam Philipp manchmal unverhofft nach Hause, weil ihn starke Kopfschmerzen quälten. Bei diesen Gelegenheiten war er meistens nach dem Unterricht mit Freunden in der Fußgängerzone herumspaziert, wo ihn plötzlich beklemmende Hitzewallungen und Herzklopfen überwältigten. Carolin sorgte sich natürlich um ihren Sohn und veranlasste eine gründliche ärztliche Untersuchung, die aber zu keinem Ergebnis führte. Angeblich war Philipp kerngesund. Immer dann, wenn ihn die Attacken von neuem überfielen, ging er nun zum Alten Friedhof ans Grab seines Vaters und redete mit ihm. Das beruhigte ihn.

    Eines Tages, als Philipp wieder einmal vom Friedhof nach Hause kam, weil er heute unter einer besonders schweren Attacke zu leiden hatte und überdies die ganze Zeit an seinen besten Freund Andreas denken musste, überbrachte ihm am Abend seine Mutter Carolin die schreckliche Nachricht, dass Andreas am Mittag auf dem Rückweg von der Schule überfahren worden war. Ein Lastwagen hatte ihn beim Abbiegen übersehen. Andreas war sofort tot gewesen. Während sie noch darüber sprachen, erinnerten sie sich daran, dass Philipp am Morgen seltsam aggressiv und verstört gewesen war.

    „Siehst du Mama, als ich heute Morgen aufgestanden bin, habe ich gewusst, dass etwas Schlimmes passiert. Und ich musste dabei an Andreas denken. Ich hab das gespürt. Ich hätte dir das sagen müssen. Dann hätten wir ihn noch warnen können." Philipp war vollkommen durcheinander.

    „Kind, das war doch bestimmt nur so eine komische Ahnung, die wir alle schon mal haben. Das geht mir manchmal genauso. Aber erst, wenn wirklich etwas passiert, denkt man: Das habe ich doch geahnt."

    „Nein, Mama, ich habe das wirklich gewusst! Das ist etwas ganz anderes, als du sagst, ganz schlimm. Ich hätte Andreas anrufen müssen. Ich bin schuld, dass er jetzt tot ist."

    „Philipp, nein, natürlich bist du nicht schuld! Andreas hätte besser aufpassen müssen. Es war seine Entscheidung, über die Kreuzung zu fahren. Er war eben im falschen Moment an der falschen Stelle. Komm, jetzt verscheuchen wir die schlechten Gedanken und du gehst ins Bett. Ich komme gleich zu dir und wir kuscheln noch ein bisschen, O.K.?"

    Andreas war wie Philipp ohne seinen leiblichen Vater groß geworden, hatte

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1