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Rio - Santos
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eBook137 Seiten1 Stunde

Rio - Santos

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Über dieses E-Book

Rio-Santos beinhaltet drei Kurzgeschichten, so brutal, gewalttätig, krank und exzessiv, schmutzig, schräg und gemein, so farbig, fröhlich, liebevoll, voller Musik und Lebenslärm, schockierend, berührend, erschreckend und faszinierend wie das Land, wie die Stadt, der sie gewidmet sind.
"Pelé ist tot" erzählt von verschiedenen Menschen aus verschiedenen sozialen Klassen, die, im sehr auf Klassenunterschiede bedachten São Paulo der 80-iger Jahre, aufeinander treffen, sich zufällig für kurze Zeit begegnen und zerstören.
"Rio-Santos" ist die Geschichte einer Reise von São Paulo nach Rio und zurück, der Reise eines Paares, das dabei ist, sich zu verlieren, wobei die bereits überwunden geglaubten kulturellen Gräben durch die alptraumhafte Rückreise mit voller Wucht wieder aufgerissen werden.
"Sampa", ein Kaleidoskop von schrägen Ereignissen, verrückten Begebenheiten und Erlebnissen in der Metropole, von der Stefan Zweig schon 1941 sagte, dass sie kein Bild ergibt, weil sie zu unruhig ist, zu rapid in ihrer Veränderung, Trotz des heiteren Tons ist 'Sampa' auch eine dezidierte Anklage gegen den alles zerstörenden Krebs von Korruption und Vetternwirtschaft.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Apr. 2016
ISBN9783738067057
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    Buchvorschau

    Rio - Santos - Katharina Conti

    Zitat

    São Paulo gibt kein Bild, weil es seinen Rahmen ständig erweitert, weil es zu unruhig ist in seiner rapiden Veränderung.

    Stefan Zweig, 1941

    Pelé ist tot

    Er war der Sohn eines verstorbenen Generals, Konsuls in Bolivien, eines Mannes, der sich verdient gemacht hatte um die Nation. Ricardo hieß er, liebte Männer, liebte auch schöne Frauen, weil sie Männer anziehen, der eine oder andere hängen bleiben, die Seite wechseln könnte. Ein begnadeter Geschichtenerzähler war er und unvergessen sein Pathos, wenn er von seiner Mutter, der Konsulin, erzählte, die aus dramatischem Anlass aus einer Gala in Santa Cruz de la Sierra gerissen worden war. Ein krankes Kind in Rio, und die Mutter an einem rauschenden Empfang weit fort am Fuß der Anden.

    Schwarz und weiß erzählte er von damals, als Rio de Janeiro Hauptstadt war, das vulgäre Brasília noch nicht einmal auf dem Reißbrett, er der kleine Junge mit Masern; und endlich war man durchgekommen, war ein Bote in den hell erleuchteten Gouverneurspalast gesandt worden, riss sie aus dem Tanz. Die Masern! In Rio! Ihre Hand flog an ihr Herz! Seine eigentlich, doch sah man die ihre, elegant, anmutig auch im Entsetzen. Mein Kind!

    Und die Männer ließen ihre Muskeln spielen, befahlen einen Offizier zum Flughafen. Eine Maschine soll bereit gemacht werden, Befehl des Gouverneurs, und eine Eskorte für die Dame; befahlen einen Wagen das Mädchen zu holen, den Pelz für Madame! Und man sah riesige Scheinwerfer angehen, Nebelschwaden, zerrissen von den Propellern einer langsam rollenden Maschine, sah Casablanca, Humphrey Bogart, immer schneller drehende Propeller, dann stellte sie richtig. Zwei Mädchen hatten sie begleiten müssen, man bedenke nur die Hutschachteln der damaligen Zeit.

    Dreiundsiebzig war sie jetzt, lebte wieder in ihrer Heimatstadt São Paulo, sah aus wie sechzig und wenn ihr danach war, griff sie an einem Fest schon mal zum Mikrofon, schmetterte eine Arie, beherrschte jede Szene und manche fragten sich immer wieder, wer denn nun der General gewesen war, wenn sonntags ihre Stimme über den Spieltisch gebot, an dem die immer gleichen Leute saßen. Der alternde Kritiker, peinlich in seinen Bemühungen jung zu erscheinen; die verwelkende Kolumnistin, blond gefärbt, mit riesenroten Lippen, Krallen, vor denen man sich fürchtete, wenn sie zu viel getrunken hatte. Sie wurde bösartig, wenn sie trank, schimpfte über all die Feste, all die Leute, die sie ohne sie gaben, weil sie bösartig wurde, wenn sie trank, trank fast ununterbrochen und nur die Stimme sie zu ducken, aufs Spiel zu zwingen; man wollte es schließlich gewinnen.

    Fermin war auch da, kam jeden Sonntag zum Mittagessen, zum Kartenspiel, kam auch zu den Partys, die weniger geworden waren, nicht mehr so rauschend. Das Essen ließ manchmal zu wünschen übrig, der Wein, auch für weniger verwöhnte Gaumen. Aber das störte ihn nicht, er war da, immer auf der hoffnungsvollen Suche nach einer reichen Frau - die Zeit wurde immer reifer -, immer bereit zu Schmeicheleien für einen Mann. Zu mehr konnte er sich nicht durchringen, nicht so lange es Frauen gab; und er kam zum Kartenspiel, war Hahn im Korb, war der Jüngste, war Weichspüler für die Stimme der Konsulin.

    Ricardo spielte selten, eigentlich nur an den Turnieren, die sie manchmal gaben, an denen es hoch herzugehen pflegte, dem Sieger ein hübscher Gewinn winkte. Manchmal sprang er ein, im äußersten Notfall nur, zog es ansonsten vor, den Sonntag zu genießen, seinen Schönheitsschlaf weit in den Morgen hinein; die Gäste, die kamen, Sé Carlos, der auch sonst immer da war, der sein Mann gewesen war, seine Frau - jetzt waren sie Freunde, waren verbunden in Vertrautheit; zwei, drei seiner Kunden, die nie müde wurden sein Geschick im Auftreiben ganz wundervoller Stücke, mit denen sie ihre Heime schmücken konnten, zu preisen; die jungen Leute, die kamen, weil sie sich etwas erhofften, weil ein Wort von ihm Türen öffnen konnte, so wünschten sie es sich wenigstens, die angehenden Schauspieler, Models, Künstler im Allgemeinen.

    Ricardo selbst war unermüdlich, sie in ihren Hoffnungen zu bestärken, auch wenn seine Kundschaft stetig kleiner wurde, schrumpfte auf ein paar Neureiche. Die alten Vermögen konnten sich nicht mehr viel leisten, waren am Schwinden, zusammen mit der Macht der Militärs, und die Inflation tat das ihrige. Es kümmerte ihn nicht. Sie würde kommen, die rechte Eingebung, und dass die großen Gesellschaften weniger wurden, störte ihn auch nicht. Er genoss seine Sonntage, die Gegenwart einfacher Leute, die zu Geld gekommen waren, kommen wollten, andächtig den Erlebnissen seiner Reisen lauschten.

    Und so verbrachte er angenehme Tage, angenehme Abende, bis er einmal von herrlichen Abendspaziergängen schwärmte, als komme das Schlendern durch Pariser Gassen einem Liebesakt gleich und sie ihn plötzlich wurmten, die Einschränkungen, die ihnen auferlegt waren. Augenblicklich beschloss er sie aufzuheben und so schäumend war sein Enthusiasmus, dass niemand groß Widerstand leistete, als er vorschlug, zum Brahma zu spazieren.

    Ah das Brahma! Das waren Zeiten, als das Brahma noch das Brahma war. Die Größen der Stadt hatten sich dort getroffen, die Theaterleute nach den Vorstellungen, alles was Rang und Namen hatte. Auf ein Bier würde man hingehen, es war nicht weit, nur ein paar hundert Meter durch das Herz des alten São Paulo, das schon längst nicht mehr schlug, und selbst der gerissene Geschäftsmann, der die kleine Schreinerei seines Immigrantenvaters zu einem der größten Möbelhäuser der Stadt gemacht, hatte sich mitreißen, seine Bedenken gegenüber dem gefährliche Vorhaben, im Dunkeln an der Praça da República entlang zu flanieren, fortspülen lassen vom allgemein begeisternden Europa-Feeling. Er bewunderte Ricardo, seine alte Familie, die Konsulin, den unbekümmerten Charme, als sei das Leben ein Spiel, das man jederzeit setzen kann; und sie machten sich auf den Weg, ließen die Praça links liegen, es war doch sehr dunkel unter den Bäumen und Büschen, gelangten ohne Zwischenfälle ins Brahma.

    Müde Blicke von alten Kellnern streifte die große Gruppe, aufgeraut empfing sie das Leder abgenutzter Sitze, das Licht der Lüster glänzte trübe auf den messingenen Verzierungen der Lehnen, brach sich matt in herrlichen, halbblinden Spiegeln, und Ricardo erzählte vom Glanz vergangener Tage, als das Brahma noch das Brahma war, die Stadt ein Gesicht hatte, eine Straßenbahn, das Teatro Municipal mit seinen gloriosen Aufführungen, das jetzt still vor sich hin rottete, weil für sowas nun wirklich kein Geld da war.

    Schwarz und weiß erzählte er, das Brahma mischte einen Tupfen verblichenes Rot hinzu, einen blassen Schimmer Gold, ein müdes Lächeln von schlurfenden Kellnern; und man trank Bier und Caipirinha, fühlte sich beruhigt, aufgehoben nach dem unheimlichen Spaziergang, der so unheimlich gar nicht gewesen war, vergaß ihn über dem Lachen, Schwatzen, hatte es auch nicht mehr eilig auf dem Heimweg, die Luft so mild, und über dem allgegenwärtigen Gestank der Abgase schwebte der Duft der Praça mit ihren abertausend Blüten und Pflanzen, machte die Älteren jünger, versetzte sie zurück in eine Zeit als dies eine gute Gegend war.

    Und dann eine Bewegung! Und ein gespenstisches Loch in die Dunkelheit reißend torkelte eine Gestalt ins Licht, grau wie der Tod, wie der Schimmel auf ihrer Haut, im Filz ihrer Haare, aufgeschreckt aus dumpfem Siechen von lachenden Stimmen, die so plötzlich verstummten beim Anblick der Kreatur, dass diese erstarrte, als hätte sie mit sehenden Augen einen Spiegel vorgehalten bekommen.

    Die paar Mutigen der Gruppe rotteten sich zusammen, drängten alle zu einem Haufen, gingen schneller, wachsam plötzlich, erwacht, wie der Wind, der mit einem heftigen Stoß durch die Bäume der Praça strich, wie die düsteren Torbogen, in denen Grauenvolles sich bewegte. Hirten gleich trieben sie Frauen und Schwule über die Straße, traten ins Licht der Avenida, waren gerettet, man lachte schon wieder, wenn auch leicht gekünstelt, und nur die Stimme von Sé Carlos überschlug sich, kippte bedenklich, als er Ricardo bat, die Ipiranga nie mehr mit den Champs Elysée zu verwechseln, ihrer aller Leben aufs Spiel zu setzen!

    War er nicht lächerlich? Gab es diese Gestalten nicht überall? Im Quartier Latin, im Soho, Trastevere, diese Säufer, die auf den Straßen hausen? Und war ihr Los hier nicht um einiges besser, als das der Kollegen in Übersee? Man bedenke bloß die langen Winter. So spottete Ricardo über Sé’s Hasenherz während sich der Wunsch nach Gefahr in seine Seele fraß, sich vermischte mit der Lust auf Elend, dem Grauen erregenden Prickeln im Angesicht menschlichen Abfalls, dem er entkommen war, dem er auf fast sehnsüchtige Art und Weise wieder begegnen wollte. Einen weiteren Blick noch in den Abgrund.

    Die Konsulin aber hatte Pläne mit Ricardo. Es war an der Zeit, dass er in die Fußstapfen seines Vaters trat und sich mit Politik befasste. Nur die Politik, um ohne große Anstrengungen das Familienvermögen wieder herzustellen, und auch sein Alter würde kein Hindernis sein. Er war etwas über Fünfzig, war eine ungemein charmante Erscheinung. Natürlich kam nicht jeder Posten in Frage, sie war Realistin, kannte ihren Sohn und auch wenn sie tief in ihrem Innern seine sexuelle Abnormität, wie sie es noch tiefer in ihrem Innern nannte, verabscheute - er war doch immerhin der Sohn eines Generals! -, akzeptierte sie seine Veranlagung, weil er erstens ihr Kind und überaus diskret war und man zweitens auch gar nichts tun konnte. Etwas abzuzweigen jedoch gab es überall, und sie hatte bereits einen Posten ins Auge gefasst.

    Das Teatro Municipal, der verlotterte Stolz der Stadt! Er würde ihn auferstehen, in neuem Glanz erstrahlen lassen! Hungerten sie denn nicht nach großen Namen? Hatten sie denn nicht den Betonklotz gefüllt, der eingeklemmt zwischen Autobahnen, halb zerfallenen Lagerhallen und der traurigen Kloake des Tietê am Rande der Stadt steht? Dieses Anhembi mit der grauenhaften Akustik, um die New Yorker Philharmoniker zu sehen? Sie hatte nicht die geringsten Zweifel. Ricardo war der Mann für das Teatro Municipal und Rodrigo Furlàm der Politiker, den es zu unterstützen galt.

    Und sie ließ ihre Beziehungen spielen, traf sich mit den Damen der Gesellschaft, mit denen des katholischen Frauenbundes, sicherte sich deren Hingerissenheit von dem Projekt, trieb es voran, weil sie mit dem untrüglichen Instinkt der Mutter - der gegeben ist, auch wenn sich manche Mütter etwas schämen für ihre Kinder - bemerkt hatte, dass die Zeit drängte, Ricardo eine Verhaltensänderung an den Tag legte, die man nur als beunruhigend bezeichnen konnte. Träge war er geworden, lasch in seinen Gewohnheiten, sein Äußeres zeigte einen Anflug von

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