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Die Akte Plato: Das wahre Erbe von Atlantis
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eBook496 Seiten6 Stunden

Die Akte Plato: Das wahre Erbe von Atlantis

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Über dieses E-Book

1972, bei der vorerst letzten Mondlandung der NASA, machen die Astronauten eine atemberaubende Entdeckung. Unbemerkt vom Rest der Welt stoßen sie auf eine kleine Mondkapsel unbekannter Bauart. Die Landefähre ist unglaublich alt, und scheint bereits vor Jahrtausenden auf dem Erdtrabanten gestrandet zu sein. Ihr Alter wird nach ersten Schätzungen auf eine Zeit von vor über 10.000 Jahren datiert.
Die NASA Wissenschaftler stehen Kopf. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass bereits vor Jahrtausenden eine technologisch hoch entwickelte Kultur auf der Erde existiert hat. Die Entdeckung des sagenumwobenen Atlantis scheint plötzlich unmittelbar bevorzustehen.
Ein kleines Team von Wissenschaftlern versucht, den Ursprung der Kapsel auf der Erde zu lokalisieren. Doch die Anzeichen für Sabotage häufen sich. Als eine der führenden Archäologinnen entführt wird, wird ihr Ex-Verlobter und Historiker Jan Seibling ins Team geholt, um bei der Aufklärung ihres Verschwindens zu helfen.
Doch kurz nachdem die Wissenschaftler ihren ersten Durchbruch erzielen können, wird die Ausgrabung überfallen, und das Ausgrabungsteam brutal ermordet. Aus der anfänglich geheimen Operation wird ein erbarmungsloser Wettlauf gegen die Zeit. Werden die Wissenschaftler mit der Hilfe von Jan Seibling in der Lage sein, Atlantis noch vor ihrem unbekannten, aber tödlichen Gegner zu finden, oder werden sie selbst das Schicksal ihrer Kollegen erleiden?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum9. Sept. 2016
ISBN9783738083729
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    Buchvorschau

    Die Akte Plato - Kai Kistenbruegger

    1) Mond, 07. Dezember 1972

    Es war warm und stickig im Raumanzug, trotz des integrierten Klimasystems, als ob ihm der Anzug selbst die Luft abschnüren würde. Vielleicht war es aber auch nur der Moment, der ihm den Atem raubte. Sein Blick fiel auf eine weiße, ebene Landschaft, nur von ein paar kleineren Erhebungen und Kratern durchbrochen. Der Boden sah aus wie von einer feinen Schicht Staub bedeckt, einladend wie ein weißer Sandstrand in der warmen Südsee. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass weit und breit kein Meer zu sehen war und auch der nächste Cocktail Tausende Kilometer entfernt auf Jacks Rückkehr wartete. Vorsichtig setzte er seinen rechten Fuß auf die nächste Sprosse der Leiter. „Ich betrete jetzt die Oberfläche. Ein kurzes statisches Rauschen, dann ein Knacken. „Okay. Passt auf euch auf. Die Antwort von Ron, dem Piloten der Kommandokapsel.

    Ein weiterer Schritt und Jack hatte die Enge der Landefähre endgültig verlassen. Ein seltsames Gefühl ergriff von seinem Körper Besitz. Atemlosigkeit. Oder nein, Ehrfurcht. Das war es. Er wollte etwas sagen, etwas Bedeutendes, Monumentales, das diesen Moment in seiner Brillanz für immer als einen der großen Momente der Menschheit festhalten würde, aber sein Kopf war wie leer gefegt. Es fehlten ihm schlicht und einfach die Worte, diesen Augenblick zu beschreiben. Er wandelte auf Gottes Spuren, Auge in Auge mit der Unendlichkeit der Schöpfung. Jedes Wort musste sich zwangsläufig in dieser Situation als unzureichend erweisen und würde augenblicklich vor der Vollkommenheit des Augenblicks verblassen.

    Überwältigt ließ er seinen Blick schweifen. Sein Fußabdruck war deutlich im Mondstaub zu erkennen. Unauslöschlich. Auch späteren Generationen würde er als Beweis seiner Schritte auf dem Mond dienen. Ohne Atmosphäre verfügte der Mond über keine Witterung, die seine Spuren verwischen würde. Ein Monument für die Ewigkeit. Jack musste grinsen. So musste sich Unsterblichkeit anfühlen.

    Er wagte nicht daran zu denken, dass er beinahe nie die Gelegenheit erhalten hätte, diesen Traum leibhaftig zu erleben. Ein Traum, den er bereits als kleiner Junge in sternenklaren Nächten geträumt hatte; in jenen aufregenden Stunden, als er, tief berührt durch die Lektüre von Jules Vernes, in seiner blühenden Phantasie der Realität Jahre zuvor kam.

    Drei Jahre war es jetzt her, dass jemand anderes seinen Lebenstraum verwirklicht hatte. Die ersten Schritte eines Menschen auf dem Mond. Die Schritte von Neil Armstrong. Ein Name, bei dem in seinen Ohren immer eine Symphonie von Heldenmut und Freiheit mitschwang.

    Inzwischen regierte der Rotstift und nicht mehr die Entdeckerlust der Menschheit die Raumfahrt. Die nächste Mondmission, seine Mission, war bereits aus Kostengründen gestrichen worden. Glücklicherweise hatten die Wissenschaftler der NASA darauf bestanden, dass zumindest ein Wissenschaftsastronaut an der vorerst letzten Mondlandung teilnehmen sollte. Und Jack hatte das unendliche Glück, auf Druck der Wissenschaftler dieser Mission zugeteilt zu werden. Eine Gelegenheit, die nur sehr wenigen Menschen in ihrem Leben zuteilwerden würde.

    Eine funkverzerrte Stimme durchbrach seine Gedanken. „Wir sollten jetzt mit dem Aufbau beginnen." Jack drehte sich langsam um. Gene, sein Freund und Kommandant der Mission, war schon dabei, das Lunar Roving Vehicle aus der Verankerung zu lösen und wedelte fordernd mit seinen Handschuh bewehrten Händen. Jack seufzte und machte sich an die Arbeit.

    Mit vereinten Kräften war das Mondauto etwa 20 Minuten später aufgebaut und einsatzbereit. Drei Tage würden Jack und Gene auf dem Mond Experimente durchführen und Gesteinsproben sammeln. Nicht viel Zeit, um den gesamten Mond zu erforschen. Das Gebiet war deswegen bereits vorab von mehreren Sonden kartographisch erfasst worden. Leider zeugte die Auflösung der Bilder nicht unbedingt von gleichbleibend guter Qualität; weder Jack noch Gene wussten, was sie auf dieser Mission erwarten würde. Ein Risiko, dem sich jeder Entdecker gegenüber sah. Aber war es nicht die Unsicherheit, die Unwissenheit, die den Nervenkitzel ausmachte? Wie auch immer, den ersten Tag würden sie dafür verwenden, die Geräte für ihre Experimente aufzubauen und erste Proben zu sammeln. Für Entdeckerromantik blieb später noch Zeit.

    „Was meinst du, sollten wir eine erste Ausfahrt wagen?, belehrte Gene ihn jedoch eines Besseren. Jack konnte Genes Gesicht hinter dem dunklen Visier kaum erkennen, aber er konnte sich das neckische Augenzwinkern lebhaft vorstellen. Er musste grinsen. „Du glaubst doch nicht, dass ich mir das entgehen lassen würde? Wie oft im Leben wird dir schließlich die Gelegenheit geboten, auf dem Mond Auto zu fahren?

    Schnell war das Auto allerdings nicht. 13 km/h war selbst mit viel Phantasie keine atemberaubende Geschwindigkeit, aber Jack genoss das unbeschreibliche Gefühl, das ihm beim Anblick des schwarzen Himmels überkam. Tausende Sterne erleuchteten ihren Weg, in einer Intensität, die er auf der Erde noch nie hatte beobachten können. Die Mondoberfläche selbst war nicht sonderlich aufregend, Mondstaub bis zum Horizont, in welche Richtung er auch blickte. Die Sonne illuminierte den Sand mit einer Kraft, die manchmal in den Augen schmerzte, obwohl das Visier den Strahlen bereits einen Teil ihrer Stärke nahm. Es kam Jack vor, als ob jedes einzelne Sandkorn, angesprochen durch die Intensität der Sonne, sich dem Heer der gleißenden Lichter anschloss, um seinerseits auf die Einzigartigkeit dieses Momentes hinzuweisen.

    Gene nahm direkten Kurs auf den nächsten Krater. Jack würde diesen ersten Ausflug dazu nutzen, ein paar Bodenproben zu sammeln, um sie später genaueren Untersuchungen zu unterziehen. Sie hatten keine Zeit zu verschwenden. Ihre Anwesenheit auf dem Mond war zeitlich begrenzt. Letztendlich mussten sie die Zeit gut einteilen, um das millionenschwere Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Schließlich war das Hauptziel dieser Mondlandung nicht ihr Vergnügen, sondern vielmehr wissenschaftliche Experimente, die ihnen einen Eindruck über die Geschichte und den Ursprung des Erdtrabanten vermitteln sollten.

    Es war wirklich unglaublich, wie leicht Jack das Laufen fiel, trotz des schweren Anzugs. Er machte ein paar übermütige Sprünge. Gene und das Mondauto waren ein kleines Stück zurückgeblieben. Jack lief zum Rande des Kraters. Hinter ihm breitete sich das Meer der Heiterkeit aus, ein großer Krater, der jetzt wahrscheinlich schon älter war, als die Menschheit es jemals werden würde.

    Mit einem Seufzer, der aus dem tiefsten Inneren seiner Seele hervorzudringen schien, wollte Jack sich gerade umdrehen und zum Mondauto zurückkehren, als etwas seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Eine optische Täuschung? Jack war sich nicht sicher, aber irgendetwas hatte das stete Licht, das sich konstant über die Mondoberfläche ausbreitete, seltsam gebrochen. Langsam näherte er sich der Stelle und bückte sich. Doch es handelte sich wiederum um Sand, allerdings mit einer merkwürdig glasartigen Struktur. Vielleicht von Interesse. Jack zog einen seiner Probenbehälter aus der Halterung und verschloss ein paar Proben luftdicht für eine spätere Untersuchung.

    „Hast du was entdeckt?", fragte Gene über Funk. Doch Jack hörte nicht mehr hin. Als er sich aufrichtete, fiel sein Blick vom Rande des Kraters in die darunter liegende Tiefebene. In einem unendlich kurzen Augenblick verlor er sich völlig in dem Anblick, der sich ihm eröffnete. Wie erstarrt blieb er am Rande des Kraters stehen, unfähig sich zu rühren, oder einen weiteren klaren Gedanken zu fassen. Genes besorgte Stimme verlor sich in dem lauten Rauschen unzähliger Stimmen in seinem Verstand, die verzweifelt nach einer Erklärung für das suchten, was seine Augen zu sehen glaubten.

    „Jack? Alles in Ordnung?"

    „Jack?"

    Es dauerte eine Weile, bis Gene unbeholfen bis zu ihm herangehüpft war.

    „Hey, Kumpel, ist alles in Ordnung mit dir?", fragte Gene schwer atmend, als er Jack eine Hand auf die Schulter legte.

    Statt zu antworten, deutete Jack wortlos den Abhang des Kraters hinunter. In diesem Moment erschien es ihm, als wären ihm sämtliche Worte abhandengekommen. Keine Sprache der Welt hätte ausgereicht, das zu beschreiben, was Jack in diesem Moment fühlte. Also blieb er einfach regungslos stehen und ließ den Anblick für sich selbst sprechen. Jack konnte über Funk hören, wie Gene scharf einatmete. „Was zum Teufel ist das?", stammelte er. Seine Hand rutschte Jack von der Schulter und blieb kraftlos an seiner Seite hängen.

    Sie standen lange nebeneinander, ohne ein Wort zu sagen. Zwei Männer, die sich verzweifelt bemühten, das Gesehene mit ihrem bisherigen Weltbild in Einklang zu bringen. Erst als über Funk zum wiederholten Male der Status angefordert wurde, räusperte sich Gene, in dem schwachen Versuch, sich selbst wieder zur Besinnung rufen. Seine Stimme klang verloren und schwach, als er leise flüsterte: „Leute, das werdet ihr nicht glauben!"

    2) Deutschland, München, 03. Juli 2007

    Ein lautes Klingeln ließ Jan aus dem Schlaf hochschrecken. Instinktiv suchte seine Hand nach dem Wecker auf dem kleinen Nachtisch neben dem Bett. Erst nach einigen Sekunden und einigen vergeblichen Versuchen, das nervige Klingeln mit wiederholten Anschlägen auf den Wecker zu beenden, realisierte sein noch völlig übermüdetes Gehirn, dass das störende Geräusch von seinem Telefon stammte. Nur mühsam öffnete er ein verschlafenes Auge. 6:25 zeigte das blinkende Display seines Radioweckers. In fünf Minuten hätte er sowieso aufstehen müssen, aber jede einzelne Minute Schlaf war Jan so früh am Morgen heilig wie einem Gottesgläubigen der Gang zur Kirche.

    Schlecht gelaunt und einige unverständliche Worte brummelnd, schlurfte Jan in Richtung Telefon. Bildete er sich das nur ein, oder hatte das Klingeln eine geradezu nervige Dringlichkeit angenommen?

    „Ja?", krächzte Jan unfreundlich in den Telefonhörer. Um diese Uhrzeit konnte er nicht den Ehrgeiz aufbringen, auch nur annäherungsweise wie ein zivilisiertes Lebewesen zu klingen.

    „Professor Seibling!?", parierte eine Jan unbekannte Stimme fragend. Nun ja, eigentlich ähnelte der Tonfall eher einer Feststellung als einer Frage.

    „Wer spricht denn da?", fragte Jan irritiert und unterdrückte nur mühsam ein Gähnen.

    „Ich freue mich, Sie zu Hause anzutreffen, fuhr die Stimme unbeirrt fort. „Wir haben einen Auftrag für Sie! Wir würden Sie gerne treffen, um Weiteres zu besprechen. In etwa einer Stunde wird Sie ein Fahrer abholen. Bitte halten Sie sich bereit.

    Eine kurze Pause, dann ergänzte die Stimme mit an Arroganz grenzender Selbstsicherheit: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass das Telefon nicht das geeignete Medium ist, über mein Anliegen im Detail zu sprechen. Sie werden alles Notwendige von meinem Fahrer erfahren. Ich weiß, Sie kennen mich nicht, aber ich kann Ihnen versprechen, dass Sie dieses Treffen nicht bereuen werden."

    Der Mann am Telefon wirkte nicht so, als würde er Einwände erwarten. Etwas verunsichert durch diese Haltung und immer noch etwas gereizt von der frühen Störung, wollte Jan zu einer unfreundlichen Erwiderung ansetzen, aber das Tuten in der Leitung deutete darauf hin, dass die unbekannte Person auf der anderen Seite bereits aufgelegt hatte. Ohne seine Antwort abzuwarten.

    Perplex kratzte sich Jan am Kopf. Wenn der Unbekannte glaubte, er würde auf einen so billigen Scherz hereinfallen, dann hatte er nicht mit der frühmorgendlichen Pfiffigkeit von Dr. Jan Seibling gerechnet. An jedem anderen Tag hätte er es sich nicht nehmen lassen, mitzuspielen, aber heute hatte er partout keine Zeit für solche Sperenzchen. Bereits um neun Uhr hatte er die nächste Vorlesung. Als Professor wollte er seine Studenten nicht warten lassen. Immerhin erwartete Jan im Gegenzug auch von seinen Studenten Pünktlichkeit; was er sie in regelmäßigen Abständen auch spüren ließ. Er zuckte mit den Schultern, den Anruf hatte er in diesem Moment bereits vergessen.

    So langsam setzte auch sein klarer Verstand ein und ließ die dunklen Träume der Nacht im neuen Licht des beginnenden Morgens erscheinen. Er hatte wieder von Alissa geträumt, wie so oft in den letzten Monaten. Ihr Gesicht verblasste bereits in den schummrigen Nebeln eines durch die Realität verdrängten Traumes; den bitteren Geschmack der Demütigung konnte er allerdings immer noch auf seiner Zunge schmecken. Der Traum war immer der Gleiche: Sie schien zu schweben, direkt vor ihm in der Luft. Er war unfähig, sie zu berühren oder einzuholen. Ihr Gesichtsausdruck verriet Mitleid und ihr Lächeln war spöttisch, als sie wie so viele Nächte zuvor die Worte sprach, die seine Welt zerrüttet hatten: „Es ist vorbei." Er rannte hinter ihr her, versuchte, sie in seinem Leben zu halten. Mit jedem Schritt spürte er, wie die Verzweiflung ihm die Kehle abschnürte, während ihre höhnischen Worte in seinen Ohren widerhallten und die Demütigung sein Herz vergiftete. Meistens wachte er auf, wenn ihr Bild am Horizont seines Traumes verschwamm und er erschöpft auf die Steine sank, die sein schlafender Verstand ihm in den Weg gelegt hatte.

    Mit einem resignierten Kopfschütteln brachte Jan sich in die Wirklichkeit zurück und verdrängte die Verzweiflung der Nacht, erneut. Zum Glück hatte er seine Arbeit, die ihm gerade in der letzten Zeit viel Halt gegeben hatte. Seine Berufung zum Inhaber für den Lehrstuhl für die Geschichte der Naturwissenschaften und Technik war eine große Ehre, vor allem, weil Jan mit seinen 35 Jahren außergewöhnlich jung für einen solchen Titel war. Jan hatte sein Leben lang hart auf dieses Ziel hingearbeitet, und seine Hingabe an seinen Beruf war es auch, die ihm seine hervorragende Reputation eingebracht hatte. Zugegebenermaßen hatte er allerdings auch viel Freude daran, zu unterrichten und zu forschen, und seine Vorlesungen hielt er, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, immer noch selbst.

    Mit der Hand an seinen Bartstoppeln und einem Seufzer auf den Lippen machte sich Jan auf den Weg ins Badezimmer.

    Erst als es schellte, fiel ihm der Anruf wieder ein. Fassungslos starrte er in Richtung Eingangstür, als würde er allein durch pure Willensanstrengung jenen ungebetenen Gast, der impertinent auf der anderen Seite der Tür seine Klingel traktierte, zum Verschwinden bringen können. Aber das Klingeln schrillte hartnäckig in seinen Ohren und vernichtete jede Hoffnung darauf, die unerwünschte Störung ignorieren zu können.

    Mit einem sehnsüchtigen Blick auf die schwarze Flüssigkeit setzte Jan seinen dampfenden Kaffeebecher ab und schlurfte zur Tür. Auf seiner Fußmatte stand ein etwas untersetzter Mann im schwarzen Anzug, mit einer altertümlich wirkenden Chauffeurmütze auf dem Kopf. „Dr. Jan Seibling?, fragte er ernst. Scheinbar die Standardfrage an diesem viel zu frühen Morgen. Jan verfluchte innerlich das unscheinbare „Willkommen auf dem Fußabtreter. Nichts war ihm in diesem Moment unwillkommener als dieser ungebetene Gast.

    Der mutmaßliche Chauffeur musterte ihn kritisch, als würde er, trotz des Namensschildes über der Klingel, auf dem in deutlichen Großbuchstaben der Name SEIBLING eingraviert war, jemand anderes in der Wohnung vermuten. Jan zog die Tür bis auf einen kleinen Spalt zu, um sie jederzeit wieder zuschlagen zu können, sollte ihm nicht gefallen, was der Unbekannte von sich gab, oder sich die kuriose Situation in eine bedrohliche verwandeln.

    „Ich wurde geschickt, um Sie abzuholen. Wir sollten uns beeilen; wir werden bereits erwartet." Ein eindringlicher Blick begleitete diese Worte.

    Jan schüttelte energisch den Kopf. „Sie glauben doch nicht, dass ich zu einer mir völlig fremden Personen ins Auto steige!? Wer sind Sie überhaupt? Und wer schickt Sie?", konterte Jan aus der relativen Sicherheit seiner halb geöffneten Tür heraus.

    Mit ernstem Blick vollführte der Fremde eine kurze Verbeugung. „Sie können mich Max nennen. Ich bin leider nicht autorisiert, Sie bereits jetzt über mehr als das Ziel unserer Reise in Kenntnis zu setzen. Alles, was ich Ihnen geben kann, ist dieser Brief." Mit diesen Worten zog er einen geschlossenen Umschlag aus der Innentasche seines Anzugs und überreichte ihn mit geradezu feierlicher Miene, als würde er Jan den großen Preis der Samstagabend-Lotterie überreichen.

    Jan stutzte kurz, nahm den Brief aber an sich. Sah offiziell aus. Auf der rechten oberen Seite prangte statt einer Briefmarke der Deutsche Bundesadler, ebenso wie auf dem roten Siegel, das den Umschlag verschloss. Ein Siegel! Jan hatte noch nie irgendein Schriftstück in den Händen gehalten, das mit einem Siegel verschlossen worden war.

    Inzwischen neugierig geworden, öffnete Jan das Schreiben mit einem misstrauischen Blick auf Max und überflog die wenigen Zeilen, die der Anrede folgten.

    Wir bitten um Ihre Expertise und Mitarbeit in einer dringenden internationalen Angelegenheit. Wir möchten uns für die Art der Kontaktaufnahme entschuldigen, aber wir wurden sehr kurzfristig vom amerikanischen Außenministerium gebeten, an Sie heranzutreten. Die Situation ist sehr brisant und wir möchten Sie dazu anhalten, Stillschweigen über diesen Brief zu bewahren, sollten Sie sich gegen eine Zusammenarbeit entscheiden. Aus diesem Grund sind wir leider auch gezwungen, Ihnen nur die nötigsten Informationen zukommen zu lassen, solange wir uns Ihrer Mitarbeit nicht versichern können. Falls Sie sich jedoch dazu entschließen, sich unser Angebot anzuhören, wird der Überbringer dieser Nachricht Sie in die Außenstelle der amerikanischen Botschaft in München bringen. Dort werden Sie weitere Informationen erhalten.

    Unterschrieben war die Nachricht vom deutschen Außenminister persönlich. Verunsichert blickte Jan auf und stellte überrascht fest, dass Max lächelte: „Ich hoffe, Sie haben bereits gepackt?"

    3) Portugal, Terras do Sado, 03. Juli 2007

    Susanna tupfte sich mit einem erschöpften Seufzen den Schweiß von der Stirn. An diesem Tag setzte ihr die Hitze besonders zu, obwohl sie seit dem ersten Spatenstich auf dieser Ausgrabungsstelle ausreichend Gelegenheit gehabt hätte, sich an den glühenden Sand zu gewöhnen, der die gesamte Ebene wie eine alles erstickende Bettdecke überzog. Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war noch früh, gerade erst neun Uhr. Trotzdem herrschte bereits eine Temperatur vor, die das heimatliche England selbst in seinen heißesten Sommern bisher nicht erreicht hatte. Der Staub brannte in ihren Augen, die ohnehin mit dem grellen Licht der heißen Sonne zu kämpfen hatten. Sie ließ für einen Moment die Schaufel ruhen, um einen Blick über die Ausgrabungsstätte zu werfen und um einen dringend benötigten Schluck Wasser zu trinken. Das Wasser war warm wie alles andere auch, aber in ihrer ausgedörrten Kehle fühlte es sich wie der Himmel auf Erden an.

    Die ganze Ebene war von einem emsigen Treiben erfüllt. Bis zum Mittag beabsichtigten sie, einen großen Teil des Tagespensums geschafft zu haben. Am Anfang hatten sie noch versucht, auch über Mittag weiterzuarbeiten, aber die Hitze wurde schnell unerträglich, sobald die Sonne ihren Höchststand am Himmel überschritten hatte. Inzwischen hatten sie sich dem Lebensrhythmus der einheimischen Bevölkerung in dem kleinen Örtchen hinter der nächsten Hügelkette angepasst. Der heiße Nachmittag blieb der Siesta vorbehalten, und erst abends konnten sie ihre Arbeit wieder aufnehmen, sobald die Kühle der Nacht sich mit stetiger Brise angekündigte.

    Die verlorenen Nachmittagsstunden waren wahrscheinlich auch ein Grund, warum ihre Suche an diesem Ausgrabungsort noch keine nennenswerten Erfolge hervorgebracht hatte. Bis auf ein paar zerbrochene Vasen und die kümmerlichen Überreste einiger Mauern konnten sie auf ihrer Habenseite keine interessanten Funde verbuchen. Susanna fragte sich bereits, ob sich die ganze Mühe überhaupt lohnen würde. Vermutlich jagten sie einem Gespenst hinterher, einer fixen Idee, die eher von Wunschglauben als von wissenschaftlichen Fakten getrieben wurde. Es grenzte beinahe an Wahnsinn, hier tatsächlich noch irgendwelche spektakulären Entdeckungen zu erwarten. Dafür war viel zu viel Zeit vergangen, eine halbe Ewigkeit, zumindest nach den Maßstäben der vergleichsweise kurzen Zeitperiode, seitdem der erste Mensch am Horizont der Geschichte aufgetaucht war. Auch wenn sie mit ihren eigenen Augen die Bilder gesehen hatte, konnte sie immer noch nicht glauben, was ein solcher Fund letztendlich für die Geschichtsschreibung bedeuten würde, nein, sie wagte es vielmehr nicht, sich die Konsequenzen dieser Entdeckung auszumalen. Stand es ihnen tatsächlich zu, all jene Glaubensgrundsätze über den Haufen zu werfen, die seit Jahrhunderten die Eckpfeiler des menschlichen Selbstverständnisses darstellten?

    Bislang drohte allerdings keine Gefahr, sämtliche Geschichtsbücher neu drucken zu müssen. Innerhalb der letzten drei Monate hatte sie hier vor Ort noch keine Beweise gesehen, die ihre Theorie untermauern und die Bilder bestätigen würden. Mit jedem Tag, der in unabänderlicher Gleichförmigkeit verstrich, wuchsen ihre Zweifel an der ganzen Geschichte. Zwei, vielleicht drei Tage noch, dann würde sie die Ausgrabung abbrechen, bevor die Kosten sämtliche auf Vernunft basierten Grenzen sprengten.

    Unbewusst wischte sie sich ihre Hand an ihrer kurzen Khakihose ab. Wie sehr sehnte sie sich nach einer Dusche! Doch auch wenn ihr dieser Luxus zurzeit verwehrt blieb, wäre es ihr niemals im Traum eingefallen, sich deswegen zu beschweren. Susanna liebte ihren Job; gegen keine Dusche der Welt würde sie ihre Arbeit eintauschen wollen. Wenn ihr Blick auf die entfernten Berge fiel und über den leicht flimmernden Sand schweifte, dann erfüllte sie eine innere Zufriedenheit, die wahrscheinlich nur wenigen Menschen in ihren Berufen zuteilwurde. Es war dieses unbeschreibliche Gefühl, Spatenstich für Spatenstich der Erde neue Fundstücke abzuringen, das dieses karge Leben lebenswert machte. Inzwischen war sie es gewohnt, außerhalb jeglicher Zivilisation nur mit dem Nötigsten auszukommen. Der Verzicht war ein Teil ihres Jobs, auf den sie sich einzustellen bereit war.

    Susanna widmete sich wieder dem Loch vor sich, das sie mit der Schaufel ausgehoben hatte. Sie folgte mit ihrer Grabung dem Verlauf einer Mauer, auf die sie vor knapp einer Woche gestoßen waren. Mit einem Finger strich sie die Mauer entlang; die leicht raue Oberfläche kitzelte unter ihrer Fingerkuppe. Sie konnte nicht genau sagen, was es war, aber irgendetwas war an der Mauer ungewöhnlich. Sie war alt, vermutlich sogar sehr alt, aber dafür erstaunlich gut erhalten. Sie zeigte beinahe keine Spuren von Verwitterung, wie sie es erwartet hätte. Es wirkte, als hätten Jahrtausende von Sandstürmen und Regengüssen der Mauer nichts anhaben können. So eine Bauwerkskunst hatte sie in einer Gesteinsschicht dieses Alters bisher noch nicht gesehen. Genau genommen konnte sie sich noch nicht einmal daran erinnern, überhaupt jemals etwas Vergleichbares entdeckt zu haben. Sie runzelte ihre Stirn, wie immer, wenn sie angestrengt nachdachte. Vielleicht sollte sie die Flinte doch noch nicht ins Korn werfen. Diese Mauer wirkte vielversprechend und konnte, archäologisch betrachtet, ein erster Schritt auf dem langen Weg zu einer atemberaubenden Entdeckung sein.

    Sie richtete sich auf, als sie jemanden ihren Namen rufen hörte. „Dr. Pullman, Dr. Pullman! Sie sah Pedro, einen der Ausgrabungshelfer, auf sich zu rennen. Er trug, wie viele von ihnen, ein Tuch lose um den Kopf gebunden. Er musste es beim Rennen festhalten, damit er es nicht unterwegs verlor. „Sie sollten sich das ansehen, in Parzelle B3 haben wir etwas gefunden! Pedro schrie diese Worte bereits zu ihr herüber, obwohl er noch knapp fünfzig Meter von ihr entfernt war. Pedro war Student der Archäologie, allerdings bereits im siebten Semester. Inzwischen hatte er ein erkleckliches Maß an Erfahrung auf zahlreichen Exkursionen sammeln können; zumindest genug Erfahrung, um nicht bei jedem kleinen, ausgegrabenen Splitter in helle Aufregung zu verfallen. Susanna hatte Pedro jedenfalls noch nie so aufgeregt gesehen, was an sich bereits ein Anzeichen dafür war, dass Pedro sie nicht zu einem kleinen Schwätzchen einladen wollte. Ihr Magen zog sich plötzlich fast schmerzhaft zusammen. Sollte der lang ersehnte Zeitpunkt endlich gekommen sein?

    Susanna musste sich sehr zurückhalten, um nicht ebenfalls zur Parzelle B3 zu laufen, und um wenigstens den Anschein von Würde bewahren zu können. Nur mühsam verlangsamte sie ihre Schritte, obwohl fast jede Faser in ihrem Körper vor Anspannung schmerzte. Auch in Pedros Gesicht blieb die Aufregung nicht folgenlos, rote Flecken breiteten sich quer über seine Wangen aus. Mit seinen aufgerissenen Augen und den krampfhaft zusammengebissenen Lippen wirkte er noch jünger als ohnehin schon. Er erinnerte Susanna irgendwie an einen kleinen Jungen, kurz vor der Bescherung an Weihnachten. Feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, als er sie eilends vorantrieb.

    „Unglaublich, murmelte er. „Unglaublich. Das müssen Sie mit eigenen Augen sehen.

    Erst als sie die ersten Ausläufer der Grabungsparzelle erreichten, verlangsamte Pedro seinen Schritt. Mit einer hektischen Kopfbewegung nickte er sprachlos in Richtung des ausgehobenen Loches. Eine kleinere Gruppe Ausgrabungshelfer hatte sich am Fuße der Grube versammelt und versperrte ihren Blick auf die aktuelle Grabungsstelle. Wie Hühner scharrten sie sich an der Leiter zusammen und gackerten so aufgeregt untereinander, dass es Susanna schwer fiel, herauszuhören, wovon sie eigentlich redeten. Viele von ihnen waren Freiwillige oder junge Studenten, die das erste Mal aktiv an einer Ausgrabung teilnahmen. Jeder noch so kleine Fund hielt das Feuer ihrer Entdeckerlust am Brennen und wurde in der Regel so ekstatisch gefeiert wie die spektakuläre Entdeckung eines ungeöffneten, reich verzierten Grabes eines unbekannten ägyptischen Pharaos.

    Vielleicht handelte es sich auch in diesem Fall nur um einen falschen Alarm, doch Susanna würde ihnen deswegen keinen Vorwurf machen. Selbst kleine Funde hielten die Motivation der Gruppe aufrecht, insbesondere, da Susanna ihnen bewusst vorenthalten hatte, was das eigentliche Ziel ihrer Exkavation war. Ihr Grabungsteam war immer noch der Meinung, sich auf der Suche nach altrömischen Ruinen zu befinden. Susanna hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, sie alle einzuweihen und mit ihnen die unfassbare Wahrheit zu teilen. Allerdings war sie sich noch nicht einmal sicher, ob sie selbst an die Dinge glaubte, nach denen sie hier suchte. Wie hätte sie einer Schar von unerfahrenen Ausgrabungshelfern überzeugend darlegen sollen, dass sie nichts Geringeres versuchten, als die Geschichte neu zu schreiben, wenn ihr selbst die Vorstellungskraft fehlte, daran zu glauben?

    Insofern war ihr die Entscheidung leicht gefallen. Je weniger von der ganzen Sache wussten, desto besser. Ein Medienrummel war das letzte, was Susanna in dieser Situation hätte gebrauchen können. Allerdings hatte sich auch noch niemand beschwert, zu wenig über das Ziel ihrer Bemühungen zu wissen. Alle verrichteten ohne zu murren zuverlässig ihren Dienst und gaben sich mit den wenigen Erklärungen, die Susanna ihnen gab, zufrieden.

    Nachdem Susanna die kleine Holzleiter hinunter geklettert war, die in die Grube führte, machte ihr die aufgeregte Meute Platz, damit sie sich selbst ein Bild von der Entdeckung machen konnte. Als erstes fielen ihr die Stufen ins Auge, die irgendwer vor langer Zeit in den blanken Stein gehauen haben musste. Die Steintreppe bohrte sich tief in den Felsen und formte zwischen den Felswänden einen beinahe beengend wirkenden Schacht. Sie folgte dem Verlauf der Stufen ein paar weitere Schritte; die angespannten Blicke der anderen brannten in ihrem Nacken.

    Nach zwei Metern endete die Treppe in einem Berg Sand, der ihr weiteres Vorkommen verhinderte. Pedro und seine Helfer hatten bereits begonnen, ihn beiseite zu schaffen, ohne jedoch ihre Arbeit zu Ende zu bringen. In der Ecke hatten sie etwas freigelegt, das Susanna aus der Entfernung noch nicht erkennen konnte. Langsam kroch sie auf allen Vieren in die lang gezogene Öffnung, die sich durch die Felswände an den Seiten der Steinstufen bildete, um einen genaueren Blick auf das werfen zu können, was offensichtlich Pedros Aufregung ausgelöst hatte. Sie brauchte keine weitere Sekunde, um zu verstehen, auf was Pedro gestoßen war. Ungläubig streckte sie ihren Finger aus, um zu erfühlen, was sie ihren Augen nicht glauben wollte. Gold. Zwar bedeckte eine leicht grünliche Patina das Edelmetall, aber die ließ sich mit einem leichten Reiben des Fingers problemlos entfernen. Mit beiden Händen begann Susanna, den Sand beiseite zu schieben. Zutage trat eine Art Scharnier, leicht golden glänzend. Das Scharnier schien von massiven Metallbolzen durchzogen zu sein, die oben und unten an einer dicken Metallplatte angebracht waren. Das Gold diente vermutlich nur der Beschichtung; ein komplettes Scharnier aus Gold wäre nicht in der Lage gewesen, eine massive Tür zu tragen. Dafür war das Edelmetall viel zu weich. Dennoch hatte Susanna mit der üppigen Goldlegierung bereits jetzt ein kleines Vermögen vor Augen, obwohl bislang nur ein kleiner Teil freigelegt worden war; vom archäologischen Wert ganz zu schweigen.

    Susanna drehte sich um und blickte Pedro ungläubig in die Augen. „Ist dir klar, was wir hier gefunden haben?, fragte sie, überwältigt vom Augenblick. Pedros Miene blieb unbewegt, aber das Blitzen in seinen Augen verriet, dass er sehr genau wusste, was er vor sich hatte. Sie waren einer großen Sache auf der Spur. Susanna wusste, dass sie ihren Ausgrabungshelfern ab dem heutigen Tag ein paar weitere Erklärungen schuldig bleiben würde. „Meine Kenntnisse könnten mich trügen, erwiderte Pedro mit einem verschwörerischen Grinsen, „aber wenn ich nicht falsch liege, haben wir etwas gefunden, das es eigentlich nicht geben dürfte."

    4) Deutschland, München, 03. Juli 2007

    Jan wurde von Max durch einen Nebeneingang in die amerikanische Botschaft eingeschleust. Doch auch auf diesem Wege konnten sie nicht die strengen Sicherheitsmaßnahmen umgehen, die das Gebäude nahezu hermetisch abriegelten. Obwohl Max Anwesenheit sich durchaus günstig auf die Dauer der Sicherheitsuntersuchung auszuwirken schien, wurde Jan mit akribischer Sorgfalt von einem Mann im schwarzen Anzug abgetastet. Eine kleine Ausbuchtung auf der linken Seite seines Jacketts verriet die Anwesenheit einer Waffe; und die Haltung des Mannes zeigte den sicheren Stand eines Menschen, der in dem Umgang mit Problemen militärisch geschult war. Beim Anblick des Wachpostens konnte Jan immer noch nicht fassen, dass er tatsächlich dieser merkwürdigen Einladung gefolgt war. Seine Neugier war sicherlich in vielerlei Hinsicht eine seiner Stärken, leider öfters auch ein Fluch. Ob es sich in diesem Fall um das erste oder um das letztere handelte, vermochte Jan noch nicht zu sagen. Aber um ehrlich zu sein; er hätte es sich wahrscheinlich nie verziehen, die Einladung auszuschlagen, ohne mehr über die Hintergründe des Anrufs und die Mitteilung des Außenministers zu erfahren.

    Nachdem sie die Kontrollen passiert hatten, führte Max Jan an einer Reihe von Büros vorbei. Die Büros waren ausnahmslos in hektische Betriebsamkeit getaucht und untermalten den anhaltenden Geräuschpegel der Gespräche mit dem Klappern von Computertastaturen und dem Klingeln von Telefonen. Doch keine der anwesenden Personen nahm von Jan oder seinem Begleiter Notiz. Unbemerkt gelangten sie bis zum Ende des Korridors.

    Die Tür, auf die Max letztendlich deutete, war verschlossen. Im Gegensatz zu den anderen Räumen drang kein Laut zu ihnen auf den Flur. Wortlos geleitete er Jan in das dahinter liegende Zimmer. „Bitte warten Sie hier, Professor Seibling. Man wird sich sofort mit Ihnen beschäftigen!", verkündete Max mit einem kurzen Nicken und zog die Tür hinter sich zu. Jan blieb allein und irritiert zurück.

    Das Zimmer war leer, abgesehen von einem großen gläsernen Würfel, in dessen Mitte sich ein Tisch und sechs Metallstühle befanden. An der Vorderseite befand sich eine große, durchsichtige Tür, die weder Griff noch Scharniere zu besitzen schien. Offensichtlich war sie nur über die Eingabe einer Ziffernfolge in ein Nummernfeld zu öffnen, das fest verschraubt am Ende eines Metallfußes vor der Tür thronte. Merkwürdig. Durch zwei große Fenster fiel Licht auf den Glaskasten und tauchte den Raum in eine Welt glitzernder Farben und Lichteffekte. Die Fenster selbst zeigten in einen unbelebten Innenhof, in dem nichts anderes zu sehen war als ein paar Müllcontainer und ein traurig aussehender, verkrüppelter Baum.

    Bevor Jan sich näher mit der merkwürdigen Apparatur am Zugang zum Glaswürfel beschäftigen konnte, betraten zwei weitere Personen den Raum. Den linken Mann erkannte er sofort: Der deutsche Außenminister, Ferdinand Bauer, zeigte sich wie bei allen öffentlichen Auftritten in einem grauen, eng geschnittenen Anzug, der immer eine Nummer zu klein zu sein schien. Sein graues Haar hielt er nur mit ausreichend Gel in Form.

    Der andere Mann hingegen war Jan unbekannt. Er trug einen schwarzen Anzug mit Krawatte und erzeugte auf den ersten Blick den Eindruck, als ob Begriffe wie Humor und Freundlichkeit nicht zu seinem Sprachschatz gehören würden. Als er die ersten, durch einen starken amerikanischen Akzent getragenen Worte an Jan richtete, verstärkte sich dieser Eindruck sogar noch. Jedes seiner Worte betonte er in einer eher getragenen und ernst anmutenden Art und Weise, als würde er jeden Satz sorgsam abwägen, bevor er ihn aussprach. Seine Augen musterten Jan kritisch. Jan fühlte sich schlagartig an die erste Stunde mit seiner strengen Mathematiklehrerin in der 7. Klasse erinnert, in der er sich wie jetzt einer abschätzigen, fordernden und kalten Begutachtung hatte stellen müssen. Dieser Blick deckte die eigenen Unzulänglichkeiten schonungslos auf und ließ jeden nackt und schutzlos zurück.

    „Guten Tag, Professor Seibling. Ich bin sicher, Sie warten bereits auf eine Erklärung, für diese..., er machte eine gespielt schwammige Bewegung mit der linken Hand, als ob er nach dem richtigen Wort suchen würde, „ ...sagen wir, Zusammenkunft. Mein Name ist Dr. Patterson, Dr. Brian Patterson.

    Er reichte Jan die Hand und zeigte mit der anderen auf den deutschen Außenminister. „Herr Bauer war so freundlich, uns bei der Kontaktaufnahme zu unterstützen." Jan schüttelte auch Ferdinand Bauer die Hand, doch auch aus Bauers Gesichtsausdruck wurde er nicht schlau. Der Außenminister wirkte ebenso fehl am Platze wie Jan sich fühlte.

    „Bitte folgen Sie mir in unseren Kubus, damit wir ungestört besprechen können, warum Sie eigentlich hier sind."

    Mit einem kurzen Schritt trat Patterson zum Ziffernblock und gab mit einer geübten Handbewegung eine Nummer ein, worauf sich die Glastür mit einem leisen Zischen öffnete. Auf den Stühlen im Inneren des Würfels saß es sich hart und unbequem. Erst in diesem Moment dämmerte es Jan, dass dieser Würfel keinem anderen Zweck diente, als Gespräche nach außen abzuschirmen; ein Verhörzimmer, das Unterhaltungen absolute Diskretion garantierte. Allein die Wände maßen mehrere Zentimeter im Durchmesser, und bis auf das spärliche Mobiliar gab es keine Möglichkeiten, Wanzen oder ähnliche Abhöreinrichtungen versteckt anzubringen. Die dicke, durchsichtige Tür stellte den einzigen Zugang zum Kubus dar. Seitdem sie verschlossen war, war auch der geschäftig wirkende Geräuschpegel vom Flur verstummt. Eine unangenehme Stille erfüllte den beängstigend eng wirkenden Raum. Verunsichert rutschte Jan auf dem harten Stuhl nach hinten. Wenn er nichts mehr von dem geschäftigen Treiben im Gang vor diesem Zimmer hören konnte, würde ihn auch keiner mehr hören. Kein Laut würde nach außen dringen. Kein Mucks, kein Schrei.

    Jan lächelte verlegen, als ihm bewusst wurde, wie albern diese Sorge war. Vor ihm saß kein anderer als der deutsche Außenminister, ein ranghohes Regierungsmitglied eines demokratischen, zivilisierten Staates. So merkwürdig diese ganze Situation auch anmuten mochte, ihm drohte mit Sicherheit keine Gefahr. Jan zwang sich, Patterson und Bauer in die Augen zu blicken und sich seine Verunsicherung nicht anmerken zu lassen.

    „Sie sitzen wegen Ihrer Beziehung zu Dr. Alissa Bracke hier", kam Patterson ohne Umschweife zur Sache, nachdem er ein paar Sekunden quälende Stille hatte verstreichen lassen. Jan musste sich verkneifen, bei der Erwähnung des Namens scharf einzuatmen. Dennoch konnte er nicht vermeiden, dass er sichtlich zusammenzuckte.

    „Alissa?, formten seine Lippen lautlos. Es ging um seine Alissa? Als hätte Patterson auf einen Knopf gedrückt, der die selbst errichteten Sperren seiner Erinnerung lösten, stürmten Bilder und Gedanken wie eine Flutwelle auf ihn ein: Der Augenblick, als er Alissa das letzte Mal gesehen hatte. Ihre dunklen Augen, die ihn forschend, fast durchdringend ansahen, als sie die verhängnisvollen Worte sprach: „Jan, ich denke, die Sache mit uns hat keinen Sinn mehr. Unsere Ziele im Leben sind einfach zu unterschiedlich. Er erinnerte sich an den Schmerz, die Fassungslosigkeit und seine Tränen. Viele Tränen. Dunkel tauchten die Bilder seiner Flucht durch die Kneipen Münchens vor seinem inneren Auge auf. Als er am nächsten Tag nach Hause gekommen war, war Alissa bereits ausgezogen. Das war mittlerweile ein Jahr her und schmerzte dennoch wie am ersten Tag. Seit jenem letzten Gespräch hatte er Alissa weder gesehen, noch etwas von ihr gehört. Nach neun gemeinsamen Jahren hatte sie ihn fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel.

    Im Bruchteil einer Sekunde eroberte der Schmerz wieder die Oberhand über sein Denken. Der Schmerz, den er in den letzten Monaten nur mühsam unter Kontrolle gehalten hatte und der jede einsame Nacht sein geplagtes Herz quälte. „Was ist mit Alissa?, presste er nur unter Anstrengung zwischen seinen Zähnen hervor, überwältigt von der Intensität der Erinnerungen, mit irritiertem Blick auf Patterson. Es war jedoch Bauer, der antwortete: „Dr. Bracke wird vermisst.

    5) Deutschland, München, 03.

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