Der Fluch von Azincourt Buch 4: Das Tor von Ara'wen
Von Peter Urban
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Rezensionen für Der Fluch von Azincourt Buch 4
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Buchvorschau
Der Fluch von Azincourt Buch 4 - Peter Urban
Kapitel 1 La Blanche Hermine
I
Der ausgetüftelte Belagerungsturm, den man auch eine Ebenhöhe nannte, schob sich langsam und krächzend näher. Das fahrbare Monstrum hatte mehrere Stockwerke. Sobald zum Angriff geblasen wurde, würden sich auf der obersten Plattform hinter einer hochgezogenen Zugbrücke die tapfersten Ritter und die verlässlichsten Haudegen des verfluchten Richemont drängeln. Ihre Aufgabe würde es sein, im richtigen Augenblick über die Zugbrücke und die Zinnen der Festung zu stürmen. Darunter, von Schießscharten geschützt kauerten bereits Bogenschützen und im obersten Stockwerk konnte man Topfhelme ausmachen, die im Schein der Feuer, wie Bronze glänzten. Olivier de Penthièvre konnte sich keinen Reim darauf machen, was sich hinter der soliden, hölzernen Brustwehr wirklich verbarg.
„Er muss vollkommen wahnsinnig sein! Ein solches Unternehmen in der Nacht zu wagen, widerspricht allen Regeln der Kriegskunst," flüsterte sein jüngerer Bruder Charles ihm zu. Ihre eigenen Waffenleute hatten den Beschuss durch die Bombarden sehr schlecht verdaut. Viele der Männer hatten noch niemals eine Kanone gesehen und waren mit der verheerenden Wirkung von Pulver nicht vertraut. Sie schrien laut, der Richemont sei mit dem Teufel im Bund und würde die Heerscharen der Anderswelt Ara’wn auf sie loslassen. Die monotonen Einschläge der Steinkugeln ins äußere Mauerwerk hatten die mit Bogen bewaffneten Bauern und Winzer vollkommen zermürbt. Viele der behauenen Felsbrocken hatten sicher ihr Ziel gefunden und den Wall zur Landseite schwer beschädigt.
„Glaubst Du, das Narbengesicht kümmert sich um die Regeln der Kriegskunst, zischte Olivier den jüngeren Charles wütend an, „Der wird so lange vor diesen Mauern ausharren und auf sie einhämmern, bis wir nicht mehr vor und nicht mehr zurück können. Er hat genug billiges Fleisch dabei, um seinen Turm den Hügel hinaufzuschieben. Was interessieren ihn bei dieser riesigen Streitmacht vier- oder fünfhundert Knechte aus dem gemeinen Volk. Sieh nur, wie willig sie sich für den Eber von Breizh ins Geschirr legen! Der Turm kommt.
Charles ging zu einer Gruppe Bogenschützen, die die Angreifer fixierten, wie verstörte Karnickel. Er versuchte die Männer, von denen ein paar Zeichen zur Abwehr des Bösen machten, zu beruhigen. Er bemühte sich, ihnen Mut zuzusprechen, doch das beständige Knarren und Knirschen der riesigen Holzräder der Ebenhöhe, die näher und näher rückte, machte all seine Anstrengungen zunichte. Plötzlich brüllte einer der Posten vom Außenturm: „ Dort oben stehen noch welche, die halten dieses Teufelswerk in ihren Händen. Ich sehe es ganz genau!"
Olivier drehte sich um und verließ den Wall. Dann hatte Richemont also auch seine wertvollen, teutschen Söldner unter dem Hauptmann Keyser mitgebracht und die legendären Culverines à main: „Macht Feuer unter den Pechkesseln, befahl er im Vorbeigehen ein paar seiner Kriegsknechte, „bereitet Strohballen vor. Sobald sie nah genug sind, schießt Brandpfeile in die unteren Stockwerke des Turms.
Ihre letzte Chance war es, das Monstrum anzuzünden. Nur wenn das hölzerne Gebälk früh genug in Flammen aufging, konnte es zum Scheiterhaufen der Ambitionen von Arzhur de Richemont werden. Sollte es ihm allerdings gelingen, trotz Pfeilhagel und Funkenregen bis vor den Wall zu kommen, dann waren sie und Champtoceaux verloren.
II
Der Rabe schwang sich hoch in die Lüfte. Das Kriegstreiben auf der Ebene war ohne Bedeutung für den großen Vogel. Er schlug einen weiten Bogen und betrachtete aus kalten, schwarzen Augen, wie sie fielen.
Man warf Steine und pechgetränkte Strohbündel auf die Knechte, um die menschliche Antriebskraft der Ebenhöhe auszuschalten. Doch alle Mühe war vergeblich, denn Richemont hatte dafür gesorgt, dass stets Nachschub an frischem Fleisch da war. Mochten die Verteidiger von Champtoceaux auch Hunderte aus den Reihen seiner Fußtruppen abschlachten: hunderte neuer Knechte warfen sich im selben Augenblick mit ungebrochener Energie in die Bresche. Die Schubkraft blieb erhalten, die Ebenhöhe rollte weiter den Hang hinauf. Erbarmungslos.
Dumpf dröhnten die vier Bombarden. Ohne Unterlass hatten sie seit den frühen Abendstunden, als die Sonne hinter dem Horizont zu versinken begann, ihre grob behauenen Steinkugeln gegen die Außenmauer der Festung geschleudert, genau an die Stelle, wo die Verbindung zwischen dem Wall und einem Wachturm eine Schwäche bot. Oben auf diesem Turm harrten trotzdem immer noch einige Bogenschützen aus, die verzweifelt einen Pfeilregen auf die Mannschaften abschossen, die die großen, schweren Geschütze bedienten. Es war ein unsinniges Unterfangen. Für einen der zu Boden ging traten sofort zwei neue Kriegsknechte neben Richemonts riesige Bombarden, füllten die Pulverkammern, kühlten die Bronze mit nassen Schaffellen, schafften mehr Steinkugeln herbei. Es war ein Hin- und Herrennen, wie in einem Ameisenhaufen.
Langsam glitt der Rabe hinunter zu der kleinen, dunklen Öffnung des Donjons. Einmal flog er vorbei. Niemand war zu sehen. Schließlich ließ er sich auf dem Sims nieder und spähte hinein. Es war ein sonderbarer Kontrast zu der wilden Aktivität draußen vor der Festung und oben auf ihren Wällen. Seine scharfen Sinne ließen ihn die ruhigen Atemzüge zweier schlafender Menschen ausmachen. Sie mussten dicht beieinander liegen, denn sie atmeten fast im gleichen Takt. Der Rabe legte denn Kopf schief, dann stieß er sich ab und flog mit zwei langsamen Schlägen seiner mächtigen, schwarzen Schwingen hinunter in den Innenhof. Niemand schenkte dem Unglücksvogel in der Hitze des Kampfes Aufmerksamkeit. Die meisten Augen waren beinahe panisch auf die Mauern und auf den Eckturm gerichtet. Ein Stimmengewirr bedeutete, dass die Ebenhöhe schon fast auf einem Niveau mit dem Wall war. Männer rannten die Treppen hinauf, frisch gefüllte Pfeilköcher über die Schultern geworfen. Andere schleppten Verletzte hinunter in die trügerische Sicherheit der wenigen langgestreckten Gebäude, deren Strohdächer noch nicht lichterloh brannten. Pfeile zischten im hohen Bogen über den Wall und versenkten sich in anonymem Fleisch. Pferde wieherten verzweifelt und schrill vor Angst. Rauch erfüllte die Festung.
Sévran schlich als dunkler Schatten an der uralten Mauer des Donjons entlang. Sein schlanker Leib klebte an den grob behauenen Steinen. Trotz des ganzen Aufruhrs vermied er es, auch nur das geringste Geräusch zu machen. Die geduckte Eichenpforte, die in den alten Wehrturm führte, stand unbewacht. Vorsichtig schob er den Riegel zurück und quetschte sich durch den engen Spalt. Genau so vorsichtig, wie er sie geöffnet hatte, schloss Sévran die Pforte wieder. Der Raum lag leer und dunkel vor ihm.
Mit einem leisen Schnippen der Finger der rechten ließ der junge Mann eine Feuerkugel entstehen. Sie mussten in großer Eile von hier verschwunden sein, denn die lange Leiter, die sie benutzten, um hinauf in den ehemaligen Wachraum zu klettern, lag achtlos auf den Boden geworfen vor ihm. Vorsichtig legte er die Feuerkugel auf den Stein. Dann hob er die Leiter auf und platzierte sie direkt unterhalb der Falltür. Genauso lautlos, wie er eingedrungen war, kletterte er nach oben und öffnete die Luke. Seine weichen Lederstiefel machten auf den hölzernen Dielen des Bodens kein Geräusch. Er wusste ganz genau, wo er hintreten konnte. Als er endlich neben Yann und Marguerite angekommen war, sank er langsam auf die Knie.
Die Ebenhöhe hatte beinahe den Außenwall erreicht. „Das Pech, brüllte Charles de Penthièvre zu seinen Männern hinüber, „ versucht, sie mit dem Pech zu übergießen! Jetzt!
Er selbst hielt den Bogen gespannt. Ein Brandpfeil lag bereit auf der Sehne und seine Augen fixierten eine wunde Stelle an dem Belagerungsgerät. Sie befand sich direkt zwischen der obersten Plattform und den Schießscharten der herzoglichen Bogenschützen.
Sein älterer Bruder Olivier hatte sich aus dem Staub gemacht. Alles, was der Jüngere der beiden Söhne von Marguerite de Clisson verstanden hatte, war das man ihm, der mit dieser ganzen üblen Geschichte überhaupt nichts zu tun gehabt hatte die Verteidigung von Champtoceaux gegen den wütenden Eber Richemont überließ: Seine Mutter und sein Bruder erwiesen sich wieder einmal als feige, kleine Intriganten. Und am Ende würde er die Suppe auslöffeln müssen!
Charles biss die Zähne zusammen. Das war ihre größte Chance, denn wenn es ihm jetzt gelang, seinen Pfeil genau in den dicken Hanfseilen zu platzieren, dann würde das hölzerne Gebälk in Flammen aufgehen, wie ein Haufen trockenes Reisig. Am Ende hing ihr Schicksal vom Mut und der Überzeugung jener Männer ab, die das brennende Gerüst vorwärts schieben mussten. Sollten sie es schaffen, sollte die Entfernung zwischen der Ebenhöhe und dem Wall stimmen, wenn sich die Zugbrücke der oberen Plattform rasselnd auf die Zinnen des Walles senkte, dann würde wildes Kriegsgeschrei den Anfang vom Ende von Champtoceaux signalisieren.
Was in Hunderten von Jahren weder die Nordmänner, noch die Engländer und die heimtückischen Franzosen geschafft hatten, war in dieser Stunde für den Bruder von Yann de Montforzh, Arzhur, den Eber von Breizh, in greifbare Nähe gerückt: die Bezwingung der Uneinnehmbaren an den Ufern der Loire!
„Jetzt!" brüllte eine Stimme zu ihm hinüber. Bestialischer Gestank nach versengendem Menschenfleisch drang an Charles’ Nase. Er konzentrierte sich, spannte die Sehne bis zum Zerreißen. Das Holz seines Bogens ächzte und stöhnte vor Schmerz, dann schnellte sein Brandpfeil in die Stricke und eine Stichflamme erhellte für einen kurzen Augenblick die Nacht. Charles atmete tief und füllte seine leeren Lungen mit Luft. Er seufzte. Es war zu spät gewesen. Alle Anstrengungen waren vergebens. Der jüngere der beiden Penthièvre-Brüder ließ seinen Bogen sinken. Seine Augen starrten fassungslos auf die Ebenhöhe.
Von der obersten Plattform zischte und blitzte es und ein Hagel von eisernen Kugeln ergoss sich über den Verteidigern. Genau in diesem Augenblick signalisierte ein dumpfer Knall einen anderen Treffer der Bombarden. Schreie klangen vom nördlichen Wachturm an sein Ohr, als die Mauer von Champtoceaux brach und Angreifer und Verteidiger ohne Unterschied unter sich begrub. Die ersten Montforzh ergebenen Ritter drängen über die Zugbrücke der Ebenhöhe in seine Burg. Jene Verteidiger die nicht zu benommen oder zu verstört waren, versuchten im Gegenangriff den Belagerungsturm zu entern. Charles beobachtete entsetzt das grausige Schauspiel. Sie trafen auf der Zugbrücke waffenklirrend aufeinander. Beim ersten Zusammenprall flogen ein paar der Angreifer in die Tiefe und erschlugen, sterbend, mit ihren schweren Rüstungen ein paar der Knechte am Fuß der Ebenhöhe. Aus den unteren Etagen drängten mehr Angreifer nach oben. Rücksichtslos warfen sie diejenigen, die im blutigen Kampf zusammengebrochen waren über die Zugbrücke. Es war dabei ohne Bedeutung, ob ein Mann tot oder nur verwundet war.
III
Sie hatten ohne einen einzigen Zwischenfall den Gang erreicht. Genau in dem Augenblick, in dem Sévran, Montforzh und Marguerite aus dem Donjon in den Innenhof geführt hatte, war die Außenmauer mit einem lauten Krachen eingestürzt. Alle Augen waren auf die Kämpfenden auf der Ebenhöhe und auf den Wällen gerichtet. Marguerite und Yann konnten in der Dunkelheit nichts erkennen, das die abweisende Glätte der Mauer unterbrochen hätte, zu der Sévran de Carnac sie schweigend und bestimmt führte. Nirgendwo sahen sie eine Tür oder ein Tor, doch die Tatsache, dass der Sohn seines Verbündeten Ambrosius von Cornouailles es geschafft hatte, unbeschadet in die Festung hineinzugelangen, bewies dem Herzog, dass es diesen Weg offensichtlich geben musste.
„Vorsicht!", flüsterte Sévran plötzlich scharf und hob die Hand. Sie blieben stehen und beobachteten, wie er, unter überhängendem Gestein fast verborgen, ein dichtes Efeugewächs mit der Rechten zur Seite schob. Er ging voran. Sie folgten ihm schweigend. Montforzh warf einen prüfenden Blick nach oben. Wachen waren nicht zu sehen: wozu auch, auf dieser nach der Loire hin gelegenen Seite der Festung, mit einem massiven, feindlichen Angriff, drüben auf der anderen Seite. Zum ersten Mal fiel eine bretonische Festung unter dem lauten, tiefen Grollen von bronzenen Bombarden. Montforzh wollte gerade noch einmal zurückblicken, als er plötzlich bemerkte das Sévran etwas in der linken Hand hielt, das den engen Gang beleuchtete. Mit der Rechten zog der Knappe seines Bruders einen langen, scharfen Dolch.
„Schnell!" bedeutete er den beiden befreiten Geiseln knapp. Sie drängten sich an ihm vorbei in den engen, dunklen Schlund. Yann bemerkte, dass es keine Fackel war, die ihnen den Weg leuchtete, sondern eine kalte, blaue Feuerkugel in Carnacs bloßer Linker.
So schnell sie konnten, pressten sich die Drei durch den engen, abfallenden Gang unter der Außenmauer hindurch in Richtung auf den kühlen Luftzug, der andeutete, wo die andere Öffnung des geheimen Weges liegen musste. Es roch nach Schimmel und Feuchtigkeit. Man konnte das leise Schlagen der Wasser der Loire gegen ein felsiges Ufer bereits entfernt ausmachen. Die Schreie und der Lärm des Kampfes, der um die Festung der Familie Penthièvre entbrannt war, wurde von den Felsblöcken gedämpft, in die der Fluchtgang vor vielen Hundert Jahren einmal hineingetrieben worden war. Als der Weg sich seinem Ende zuneigte, quetschte Carnac sich an ihnen vorbei, als Erster nach draußen. Es war zwar unwahrscheinlich, dass dem Herzog und Marguerite an einer solch verborgenen Stelle noch Gefahr drohte, doch der junge Mann wollte offensichtlich erst ganz sicher sein, bevor er seinen beiden Schutzbefohlenen zurief, sie könnten auch ins Freie treten.
Er hatte den schmalen Pfad, der am Ufer entlang durch dichtes Strauchwerk führte entdeckt, nachdem er sich zum ersten Mal durch den geheimen Gang aus Champtoceaux hineingeschlichen hatte. Die Strecke war gefährlich. Geröll und Gestrüpp