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In einer fernen Zeit
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eBook364 Seiten5 Stunden

In einer fernen Zeit

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Über dieses E-Book

Als sich die junge Rose von London nach New York aufmacht, ahnt sie nicht, welche Schwierigkeiten sie überwinden muss, um ihren Platz im Leben zu finden. Während einer Indienreise lernt sie ihren Meister kennen. Shakhil, der Rosas Seele berührt, erweckt ihr höheres Selbst. Sie taucht mehr und mehr ein in ihre eigenen Wahrheiten für ein selbstbestimmtes Leben. Die große Liebe zu einem Mann namens Pepito jedoch lässt sie schwer zweifeln, und führt sie fast zur Selbstaufgabe...

In drei Teilen erzählt der Roman im Stile eines 'Roadmovies' die bewegende Geschichte von Rose, die sich im Verlauf der Erzählung Rosa nennen wird. Erst der Weg zu ihrer inneren Mitte, also zu sich selbst, ermöglicht ihr Freiheit im Denken und Handeln. Ihre Persönlichkeit formt sich und in diesem Prozess der Selbstliebe öffnet sie sich für das Leben. Zwischen wechselnden Schauplätzen verändert die Tragödie um den 11. September Rosas Leben. Aber auch Erlebnisse in anderen Städten und Ländern wirken sich auf den Prozess der Selbstfindung Rosas aus.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Okt. 2014
ISBN9783738001594
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    Buchvorschau

    In einer fernen Zeit - Elena Risso

    Roses Welt

    „Ich bin Shakhil. Sha, das ist der Zauber in der Liebe, das Öffnen der wahren Gefühle und der inneren Sehnsucht. Sha heißt, das Leben zuzulassen. Khil, das ist das übersinnliche Ich, die göttliche Energie und bedeutet die Befreiung von Begierde und Erwartungen. Khil ermöglicht die eigene Unabhängigkeit. Khil ist die Vervollkommnung, mit der die wahre Erkenntnis über sich selbst kommt. Nur mit Sha und Khil kommt die Fähigkeit zur bedingungslosen, aufrichtigen Liebe. Suche mich!" Immer wieder träumte Rose diesen Traum, ohne seine Bedeutung zu erahnen, noch nicht. Sie war ein kleines Mädchen mit großartigen Träumen von einer heilen Welt voller Liebe.

    Rose war gerade mal neun Jahre und ihre Seele war sehr erfahren; sie fühlte viele Dinge, die von den Menschen ausgingen. Sie konnte sich in die Menschen hinein versetzen. Dabei lastete all das Schlechte um sie herum auf ihren schmalen Schultern. Rose kletterte auf Bäume, und oft wollte sie in eine andere Richtung gehen, als die, die ihr vorherbestimmt war. Ihre kleine Seele war in einem goldenen Käfig gefangen, und es vergingen viele Jahre, bis Rose sich befreien konnte. Von diesen verschlungenen Wegen durch ein Labyrinth manifestierter Vorstellungen wird erzählt sein, manchmal mit Distanz und oft mitten drin in diesem Chaos unserer Welt der unterschiedlichsten Vorstellungen von Leben, und was jeder einzelne daraus macht.

    Rose wuchs in einem wohl situierten Haus im Süden von England auf. Die Blumen blühten, der Zaun war weiß gestrichen und die Wäsche im Garten flatterte im Wind. Roses Eltern Peter und Susan und ihr kleiner Bruder Ben nahmen gemeinsam die Mahlzeiten ein und diskutierten viel von der Welt da draußen. Meinungen wurden vom Vater geprägt. Wie ein großer Mahner erzählte er von den letzten Jahren der Menschheit und ihrem baldigen Ende. Rose nahm diese ganzen Schlechtigkeiten in sich auf wie ein Schwamm und versuchte doch immer wieder das Gute in den Menschen zu sehen. Peter war oft im Hyde-Park an der Corners Ecke. Jeden Sonntag schwang er dort seine Reden vom Untergang. Abends dann beim gemeinsamen Dinner erzählte er sie wieder seiner Familie. Ben ließ sich davon nicht beeindrucken. Rose versuchte immer dagegen zu halten. Das kostete ihre ganze Kraft. Sie war oft krank; ihre Mutter päppelte sie dann wieder auf und pflegte sie fürsorglich. Diese Zeit genoss Rose, weil sie dann nichts tun musste, sich treiben lassen und träumen konnte. Von ihrem Prinzen, ihrem Retter. Sie wusste noch nicht, das nur sie selbst sich retten konnte. Denn sie war stark.

    Die Jahre in Poole gingen dahin. Ein kleiner Junge aus der Nachbarschaft - Malcom - nahm Rose oft in sein Baumhaus mit, in dem sie beide die Realität vergaßen. Malcom war ein Zigeunerkind. Er konnte aus der Hand lesen und hatte feuerrote Haare. Oft spielten sie mysteriöse Spiele, in denen Rose eine neue Rolle bekam. Die Pflanzen, die um das Baumhaus wucherten, fingen dann zu blühen an in allen Rotschattierungen. Das Baumhaus bewegte sich und sie reisten in kurzen Abständen durch Raum und Zeit.

    Einmal waren sie an einem Lagerfeuer eines Trecks, der gen Westen zog. Die Menschen lachten und unterhielten sich über ihre Erlebnisse, die der Tag mit sich brachte. Ein anderes Mal saßen sie bei einer Familie im Keller und die Wände wackelten. Draußen wütete ein unerbittlicher Krieg, aber die Menschen im Keller halfen zusammen. Wieder ein anderes Mal feierten die beiden bei einem Erntedankfest mit. Alle waren glücklich. Malcom und Rose mischten sich darunter und lauschten den Klängen des Lebens. Rose mit ihrem haselnussfarbenen Haar und den sprechenden Katzenaugen war sehr zurückhaltend, aber das Feuer in ihren Augen war schon zu spüren. Sie sah bei diesen Reisen Malcom aufmerksam an. Er wählte die Reisen aus. Er sprach mit den Menschen. Als sie sich in Calcutta einem Wanderzirkus anschlossen, suchte Malcom den Kontakt zu einem Feuerschlucker namens Balbou. Balbou war sehr weise und Rose sog seine Erfahrungen in sich hinein. Balbou sprach vom Erleben im Jetzt, von Gerüchen und Sinnen und davon, das Leben zu spüren, wenn du nichts erwartest und dich auf jede Situation einlässt.

    Einlassen auf etwas - für Rose kein einfaches Vorhaben. Sie hatte so viele Ideen im Kopf, so dass sie sich nicht festlegen mochte, nichts entscheiden, alles offen lassen wollte. Wenn sie nicht mit Malcom im Baumhaus kauerte und sich mit ihm durch das Leben träumte, saß sie zuhause und schaute ihrer Mutter zu. Susan war eine sehr attraktive Frau, angesehen in der Gesellschaft als eine Frau, die flexibel und einfühlsam war und ihren Mann liebte und schätzte. Oft war Susan schwach. So aus der Sicht von Rose. Wenn Susan mit ihrem Mann stritt, und das kam sehr oft vor, hatte Rose immer das Gefühl, sie müsse helfen. Und sie tat es. Rose hielt zu ihrer Mutter in dieser Zeit und sehr lange, bis es Rose fast zerriss. Eines Nachmittags kam Susan erschöpft von einem Einkauf. Die Tüten standen noch in der Mitte des Flurs. Ein sehr langer Flur war das - mit vielen Türen, die alle geschlossen waren. Hinter jeder Tür war ein Raum mit einem anderen Geruch. Kleine Lichter schienen von oben durch das Treppenhaus auf den Flur, so dass er nicht ganz dunkel war. Die Stimmung im Haus war sehr ruhig. Nun saß da Susan zwischen ihren Tüten. Sie wollte weg aus Poole, wieder in die Stadt. Peter stand im Treppenhaus und war ungehalten. Er wartete den halben Nachmittag auf Susan und das kleine Auto und fuhr sie an. Susan tat Rose leid. Sie beschwichtigte ihren Vater. Nachdem er fort war, saßen die beiden noch lange zusammen und Rose tröstete ihre Mutter. Vielleicht würden sie bald wegziehen, so Rose. Das Licht im Treppenhaus loderte kurz auf. Rose ging in ihr Lieblingszimmer; es war in Aprikose getaucht mit vielen Kissen auf Korbmöbeln. Es duftete ein wenig nach Rosen, wenn das Fenster aufstand. Rose legte sich auf das Bett und dachte nach. Was wird die Zukunft bringen? Wird sie auch einmal eine Familie haben? Mit Kindern, die schokoladenverschmierte Münder haben? Mit einem Haushund und einem Garten? Rose hatte so ihre Vorstellungen von der heilen Welt - voller Träume, von einem Prinzen in hellblauem Tuch gekleidet, der sie mitnehmen würde, fort von dieser Zeit, die so starr ist. Aber Rose machte sich immer viel vor.

    Teil I: Weg zur Mitte

    Kapitel 1: Tanz auf dem Parkett

    Nun hieß es Abschied nehmen von Malcom. Wann würden sie sich wiedersehen? Er gab Rose so viel Wärme und Halt. Die gemeinsamen Reisen, waren sie nun vorüber? Wir hatten Sommer 1978. Rose war 13 geworden. Etwas in ihr wirkte gebrochen. Ihre Familie würde nach London ziehen. Eine neue Schule, neue Kameraden. Susan freute sich auf das Stadtleben. Sie wollte auch mal an sich denken. Peter freute sich auch; er konnte neue Reden vorbereiten, hatte nicht die lange Anfahrt. Und der kleine Ben war ganz unbedarft und freute sich auf die Ballettschule, die er in London besuchen würde. Also schlossen Rose und Malcom ihren ersten Pakt: Den Pakt, sich immer an diese Reisen zu erinnern und dass es eine Zeit geben würde, da fänden sie sich wieder. Dann würde Ruhe auch in Roses Leben eintreten. Eine neue Ruhe und eine neue Gelassenheit dem Leben gegenüber - auch wenn es nicht leicht sein würde. Malcom war der wilde Teil in Rose, er konnte alles tun, was er wollte, sich alles vorstellen, mit jedem reden, jeden lieben. Alles geben und alles nehmen. Malcom war frei und verschmitzt und flirtete mit dem Leben. Malcom war immer da, wenn Rose ihn brauchte. Nur irgendwann hatte sie ihn verlernt und musste ihn wieder finden.

    Es war ein milder Herbsttag, als Familie Plymoth von Poole nach London zog. Ein frischer Wind kam vom Meer her und Rose stand noch einmal am Baumhaus, um von Malcom Abschied zu nehmen. Er kam vom Strand und sah sehr verwegen aus. Er lächelte aufmunternd und hob von weitem seinen Arm zum Gruß. Wie konnte es nur sein, dass sie sich vielleicht nie wieder sehen würde? Malcom reichte ihr einen Apfel, in den Rose herzhaft hinein biss. Sie drückten sich fest.

    Malcom würde auch bald Poole verlassen. Ein reicher Verwandter an der Ostküste hatte ihn adoptiert, so dass seine Odyssee durch die Kinderheime im Süden Englands ein Ende haben würde. Malcom war ein Waisenkind. Er wusste von seinen Eltern nur, dass sie Zigeuner waren. Sein Onkel in New York hätte Nachrichten für ihn, auf die er sehr neugierig war. Weil Malcom noch keine Adresse hatte, gab ihm Rosa ihre neue Anschrift in London. Ansonsten vertrauten sie auf die Zukunft, wann sie sich wo und wie wiedersehen würden.

    Mit einem voll bepackten Bus fuhren die Plymoth in ihr neues Zuhause in Hamden. Dort bezogen sie ein kleines Reihenhaus mit einem langgestreckten Garten. Rose war sehr skeptisch. Ihre Eltern und ihr kleiner Bruder scherzten. Rose bekam das Zimmer zur Straße raus. Von dort blickte sie auf die gegenüberliegenden Häuser und auf eine Bushaltestelle. Dort war viel Betrieb. Die Buslinie von hier fuhr geradewegs ins Zentrum von London, Oxfordstreet. Die schwarze Katze, die Rose beim Einzug im Garten fand und blieb, räkelte sich auf ihrem Bett. In diesem Zimmer war es sehr anheimelnd. Draußen war Betrieb. Susan räumte und schlichtete und sorgte sich um alles. In der Küche dampfte es aus den Töpfen; Rose bereitete ein deftiges Essen. Peter scheuchte die Helfer herum und war sehr nervös. Alles musste bei ihm funktionieren. Die Hektik von London griff bereits auf ihn über. Malcom war weit weg.

    Rose erkundete die Gegend. Die Menschen hatten ihr Ziel, und jeder ging seines Weges. In einer Querstraße traf Rose auf einen alten Mann mit einem verwahrlosten Mädchen. Rose hatte Angst - sie hatten den wir-haben-schon-alles-gesehen-Blick. Rose kam mit ihnen ins Gespräch. Der Mann meinte, sie seien auf der Durchreise nach Irland und wollten von dort nach New York einschiffen. Der Mann hieß Friedrich, er war auf der Flucht und wollte Auskunft von Rose. Rose war nicht sehr gesprächig. Sie war müde und in Gedanken noch gar nicht in Hamden. Friedrich jammerte viel, wie übel ihm das Leben mitspielte und er doch nur immer das Beste wollte. Er hatte in seiner Not eine kleine Tankstelle überfallen. doch in Kürze wieder alles verloren. Der Mann wirkte auf Rose nicht sehr vertrauenerweckend. Sie bekam das Gefühl nicht los, er würde lügen. Lüge war für Rose nicht denkbar. Lüge ist feige und kleinlich. Das kleine Mädchen tat ihr leid, so bot Rose an, etwas zu essen zu bringen.

    Als Rose mit dem Hühnchen zurückkam, schlang es Friedrich schnell in sich herein. Er war komplett ausgehungert und sehr gierig. Penelope knabberte an der Keule. Sie wollte mit Rose Kontakt aufzunehmen, aber sie traute sich nicht. Sie war etwa sieben Jahre alt und sehr verschüchtert. Als Friedrich weitergehen wollte, fasste sie sich ein Herz und steckte Rose in Windeseile einen Zettel zu; dann waren sie auch schon um die nächste Ecke verschwunden. Der Zettel zeigte eine Zeichnung. Es war eine Art Burg am Meer abgebildet mit einem Wappen, das einen Löwen und einen Wolf zeigte. Rose stand noch länger da und betrachtete die Zeichnung. Sie würde jetzt gerne mit Malcom darüber reden. Dann bekämen sie das Rätsel schon heraus. Aber ohne Malcom steckte sie den Zettel erst einmal weg. Heute Abend wurde ein Schulball für alle Neulinge ausgerichtet, für den sich Rose noch umziehen musste.

    Sie ging in ihrer Schuluniform - blau mit weißer Bluse - und sah für ihre 13 sehr adrett aus. Da sie aber auch verschüchtert wirkte, blieb sie den Abend über eher am Rande der Gesellschaft. Mit zwei Klassenkameradinnen konnte sie sich ein wenig anfreunden, Monica aus Polen und Aurora aus Pakistan waren auch Außenseiterinnen. Sie steckten ihre Köpfe zusammen und erzählten von sich. Aurora war erst seit einer Woche in London und Great Britain und sprach schlecht Englisch. Aurora mit Schokohaut, schwarzen großen Augen und schwarzem, seidigem Haar erzählte von einer komplett anderen Welt mit einer sehr großen Familie und vielen Schwestern. Sie wohnten im Norden der Stadt in einem kleinen Apartment. Ihre Eltern wollten bei ihrem Verwandten im Gemüse- und Obstladen helfen. Monica war sehr zierlich mit aschblondem Haar, eisfarbigen Augen und schon länger in der Stadt. Für eine bessere Zukunft gingen ihre Eltern aus Polen weg. Sie arbeiteten beide in einer Hemdenfabrik. Da standen sie alle drei im Saal. Alle Kinder lärmten und tanzten, und sie standen nur da und schauten sich an - ihr unterschiedliches Aussehen, ihre faszinierenden Geschichten und mit dem Wissen, dass sie die Zeit hier in London gemeinsam verbringen würden.

    Vielleicht war das die Zeit, den Zettel zu zeigen, überlegte Rose, aber sie traute sich noch nicht. Sie wartete noch ein wenig, vielleicht bis morgen. Warum war nur Malcom weg? Mit ihm hätte sie längst den netten Jungen vom Buffet angelächelt. So aber fasste sie nicht genug Mut. Der Junge war gleich groß und hatte braunes Haar mit einem so netten Lächeln. Andere Mädchen umschwärmten ihn. Rose faltete unruhig den Zettel in ihrer Tasche. Am Buffet, das mit Hunderten von kunterbunten Luftballons in Purpurrot, Lachsrosa, Giftgrün und Himmelblau geschmückt war, spielten sich ganze Schlachten ab. Jeder wollte an die achtstöckige Torte. Da nicht alle gleichzeitig herankommen konnten, drückten sich die Massen der Kinder gegenseitig weg. Eine Aufsicht „...lasst mich sofort die Torte anschneiden ..., hey, ihr Flegel, hört sofort auf ... kam nicht recht durch. Der smarte Junge machte kurzen Prozess: „John Lennon kommt. Und schon sprengten alle Kinder auseinander, Kurze, Teenies, Blonde, alles rannte wild durcheinander über den Parkettboden, schlitternd und kreischend; ein lustiger Anblick. Rose, Monica und Aurora standen staunend mit offenen Mündern da. Der Jüngling namens Roy brachte ihnen die ersten Tortenstücke. So kam es, dass Rose doch noch ein erster Blickkontakt gelang: etwas durchdringende, blaue Augen musterten sie aufmerksam. Rose schaute zu Boden. Wie peinlich, dachte sie. Okay, der Zettel, jetzt oder nie. Alle acht Augenpaare betrachteten nun neugierig die Zeichnung. Roy fasste in präzisem Englisch zusammen „... ist wohl eine Burg irgendwo an einer Küste. Das Wappen habe ich schon einmal bei einer Urlaubsreise durch Irland gesehen, am besten ihr studiert alle Wappen in der Bibliothek..." Rose war von ihm fasziniert. Wie er doch gleich kombinierte. Roy wurde von einem anderen Jungen gerufen und verließ die Mädchen, die sich für morgen verabredeten. Dann wurden sie von ihren Eltern abgeholt.

    Roses Vater tat die Geschichte mit einem unwirschen Achselzucken ab. „Was kümmert uns diese Arme-Leute-Story?! Warum musste Rose auch immer alles erzählen? War doch ihr Ding. Etwas entmutigt ging sie in ihr kleines Zimmer und betrachtete wieder die Zeichnung. Das Mädchen hatte so einen ängstlichen Blick gehabt, vielleicht war sie in Gefahr. Sie würde Penelope gerne finden, um mehr über sie zu erfahren. Die Nacht über träumte sie sehr wild - sie flog über ein wütendes Meer mit einem Schwarm von Flamingos, die sich rosarot aus der Nacht abhoben. Das Gefieder des Flamingos neben ihr war in feuerrot getaucht und führte den Schwarm an. Rose folgte so gut es ging, aber immer wieder musste sie ins Meer sehen und dann verlor sie an Höhe. Der rote Flamingo drehte sich immer wieder um und rief „es ist nicht mehr weit, aber Rose konnte nicht mehr und klatschte ins Wasser. Schließlich wurde sie wach, triefend nass und schnell atmend orientierte sie sich. „Ich bin daheim."

    Aus der Küche kam Toastgeruch. Verlorene Ritter - Roses Lieblingsfrühstück - brutzelten in der Pfanne. Peter versteckte sich hinter seiner Zeitung und unterhielt mit den neuesten Nachrichten: „... die sollen sich doch alle umbringen, es geht alles kaputt, das Ende ist nahe, ihr werdet sehen, die Menschen, die Gesellschaft sind es nicht mehr wert. Früher hatten wir noch Werte, da gab es einen Zusammenhalt, und jetzt geht jeder für sich, jeder ein kleiner Egoist.... Rose schlang ihre Toasts hinunter und versuchte vergebens, ihren Vater von der Liebe der Menschen zu überzeugen. Daran würde sie fast zerbrechen. Das kostete sie alles so viel Energie, die sie für Penelope, für die Schule, für die neuen Freundinnen, für ihr kleines Leben brauchte. Die Diskussion artete in einen Disput aus. Und die Stimmen von beiden wurden lauter und lauter. „... das stimmt so nicht, nein, du bist mein Kind, ich habe dir alles zu sagen, du willst, wie ich will, wie ich will..., tönte Peter immer stärker. Rose wollte flüchten, saß aber wie angewurzelt und sah die verzweifelten Blicke ihrer Mutter. Susan war schon wieder den Tränen nahe. Rose gab nach, gab nach wie ein viel zu lasches Gummiband, das schon etwas porös ist.

    Endlich im Bus, weg von zu Hause, weg von diesem Druck, der dort verbreitet wurde. Warum musste sie sich auch immer alles zu Herzen nehmen? Sie war ihrem Vater so ähnlich. Sie sagte das, was sie dachte, sprach alles offen aus, aber innerlich verglühte sie. Das tat ihr nicht gut. Im Bus war Roy: Gekämmt und mit viel Pomade saß er da und stierte in die Luft. Roy war sehr arrogant; er dachte, er sei etwas Besonders, weil ihm alle Mädchen nachrannten. Rose sah nur seine Stärke, und sie wollte davon etwas abhaben, aber sie sah nicht, dass Roy ihr nur wehtun würde. Rose ging auf ihn zu, da bremste der Busfahrer stark und Rose wurde durch den halben Bus katapultiert; aus ihrer Tasche fiel der Zettel mit der Zeichnung. Sie griff noch danach, doch er verlor sich in dem Getümmel. Da ging ein Traum dahin. Jetzt ging Rose noch für drei Jahre zur Schule. Roy rannte sie jeden Tag hinterher, vergeblich. Das schwächte Rose zusätzlich, schränkte sie ein, auch zu Lasten ihres Selbstvertrauens. Aurora und Monica stiegen zu. Ihr Lachen war sehr versöhnlich. Sie halfen die Schulbücher einzusammeln, die mit Londoner Staub und kindlichen Fußabdrücken beschmutzt waren. Die Luft war stickig wie grüner Schlamm; atmen kaum möglich. So begann also Roses erster Schultag in einem Moloch von einer Stadt - mit allen Möglichkeiten, aber auch allen Ängsten.

    Die ersten Schulstunden zogen an Rose vorüber; sie nahm nur ihre eigenen Geräusche war und ihr Herzklopfen. Rose wollte nicht mehr in der Historie oder in der Zukunft leben. Jetzt in diesem Augenblick wollte sie leben. Aurora stupste sie an „...du bist dran". Oh ja, Rose war brav, riss sich zusammen und antwortete. Logisch. Bloß keine Schwächen zeigen. Mrs. Smith war streng und trug nicht zu einem aufgelockerten Unterricht bei.

    Kapitel 2: Aurora trägt die Liebe des Ostens in sich

    Nur Aurora ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Sie dachte viel an Pakistan, an die weiten Reisfelder, an ihren liebenden Großvater Salman. Die vertrauten Gespräche mit ihm über die Liebe. Sie saßen dann immer im Zimmer hinter der einfachen Küche. Das Zimmer war rund und von allen Erdtönen beherrscht. Schwere, dunkle Teppiche und farbenfrohe Tücher von Orange und Ocker bis zu Tönen in dunkelroter Kirsche. Und der Duft nach Gewürzen aus der Küche - in der ihre Großmutter ein Chutney zubereitete -, nach Pfeffer, Muskat und Pfefferminze erfüllten den Raum. Der Großvater rauchte in aller Sinnlichkeit eine Wasserpfeife und senkte seinen Blick auf Aurora. „Verliere nie den Glauben an die Menschen, auch wenn du mal Enttäuschungen erleben magst, traue dich, offen zu sein. Aurora zog die Beine an und lauschte. Salman paffte dazwischen immer an seiner Pfeife und sinnierte über das Leben. Er war ein stolzer Mann, sein Gesicht war von grau meliertem Haar eingerahmt. Seine Augen hatten die Farbe eines verwässerten indischen Ozeans, und sie strahlten in weiser Güte. Salman war die Ruhe selbst. Nach turbulenten Jahren im Gebirge, dem Übersiedeln von Indien nach Pakistan in den 50er Jahren und vier Frauen, denen er seine Liebe schenkte, erschütterte ihn wenig. Aurora war die Enkelin seiner dritten Frau aus Marokko. Aurora vereinte die Verspieltheit der Berber mit der Weisheit Indiens, Salman gab ihr nun den letzten Schliff. „Lebe dein Leben, dein Leben ist schön. Suche nie nach der Liebe; du hast sie immer in dir. Lasse die Liebe leben. Auch wenn die Wüste trocken ist, birgt sie unendlich viel Leben, denn das nimmt sich die Wüste einfach, das was sie braucht, um zu leben. Es gibt nichts, was intensiver ist, was mehr Freiheit vermittelt. Liebe birgt Leben in sich; vergiss das nie. Leben ohne Liebe ist umsonst. Auch wenn deine Liebe einmal vertrocknet sein sollte, kannst du sie zum Blühen bringen. Immer wieder, so oft du es möchtest. Du brauchst dazu nicht mehr als einen Funken - einen ich-öffne-mich-tief-gehenden-Blick. Also gehe stolz und hebe deinen Kopf. Blicke frei und großzügig. So sprach er mit monotoner Stimme. Aurora sog all das in sich auf, wie ein Schwamm. Sie genoss seine Stimme und seine Geschichten. Sie saß sehr bequem auf einem Sofa mit unendlich vielen Kissen, versunken in Wärme und Zutrauen, eingehüllt von Wärme und dem Rauch der Wasserpfeife. Salman lächelte mild „Aurora, eines ist noch wichtig: Vergesse nicht das Lächeln über die Welt. Sie ist unser jetziges Zuhause, und sie meint es gut mit uns."

    Dann steckte Großmutter Selma ihren Kopf herein. „Du musst sofort gehen, Aurora; die Bande der freien Kämpfer für Kaschmir ziehen durch den Ort. Salman bring sie zum verabredeten Punkt, damit du endlich in Freiheit kommst."

    Ja, so kam Aurora nach London, mit einem Koffer und der Adresse ihrer Eltern, die bereits hier waren.

    Mrs. Smith holte Aurora unsanft in die Wirklichkeit zurück.

    Aurora hielt ihren Kopf leicht schief und hörte von Ferne die Stimme ihres Großvaters, lächelte und kehrte zurück in ihre neue Realität. Sie war frei wie ein Vogel im Wind und gab ihre Liebe, wem sie wollte. Auch wenn sie da schon wählerisch war...

    Kapitel 3: Monica und eine neue Zukunft

    Monica saß direkt eine Reihe hinter Rose und Aurora. Sie verfolgte aufmerksam den Unterricht. Sie war sehr wissbegierig und machte sich eifrig Notizen; nichts wollte sie verpassen. Ihre Eltern und sie waren gekommen, weil sie in Polen nicht mal ein Heute hatten. Sie lebten in einem Hochhaus mit Hühnern und Ziegen in der Wohnung, um wenigstens das Notwendigste zu essen zu haben. Es war feucht und Sauberkeit nur sehr schwer zu halten. Monica lief zwischen Hühnerdreck und Ziegengeruch von ihrem Bett zur Wohnküche. Dieser Gang jeden Morgen verlangte ihr alles ab. Sie wusch sich in der Küche, aß etwas trockenes Brot und half dann ihrer Mutter Natascha beim Aufspüren von Lebensmitteln in der Stadt. Die Slums waren unerträglich; sie liefen über vor Dreck und Gestank. Monicas Vater Ivan hatte keine Arbeit. Über eine Schlepperbande erhielten sie die Möglichkeit für eine Zukunft. Sie ließen sich über Lieferwagen nach London einschleusen. Ihr letztes Geld gaben sie weg, ihre letzte Habe verkauften sie. Und dann waren sie in London. Durch einen glücklichen Zufall kamen sie bei einer polnischen Familie unter, die auch die Arbeit in der Hemdenfabrik vermittelte. Als gläubige Christen dankten sie jeden Abend dem Herrn. Das Zimmer war klein, aber ein frischer Duft nach Zitrusfrüchten durchzog den Raum. Monica hatte ein eigenes Bett und freute sich jeden Tag über das fließende Wasser. Monica wollte alles tun für ihr Glück, für eine neue Zukunft für sich und ihre Familie. Also lernte sie den ganzen Tag, wenn sie nicht mit ihren neuen Freundinnen zusammen war. Sie war so bescheiden und dankbar, dass ihr niemand etwas antun konnte. In dieser Vertrautheit auf sich und die neuen Möglichkeiten wandelte sie durch ihr neues Leben, war offen und ehrlich. Ihre Stimme war weich und biegsam, wie sie. Oft sprach sie sehr leise. Diese Sanftheit wurde ihr als schüchtern ausgelegt, aber das war sie nicht. Nur zurückhaltend, auf sich bestimmt. Die Zukunft lag in ihrer Hand. Alles, was sie wollte, konnte sie erreichen. In Musik kam sie schnell weiter; die Lehrerin nahm sie im Chor auf. Dort wuchs ihre Stimme in den folgenden Jahren heran zu einer sanften Glockenstimme, die hell und rein war. Ihre Lippen waren voll und formten einen Kussmund. Monica verzagte nie in ihrem Glauben an sich und die Zukunft. Wenn sie hart lernen und arbeiten würde, stünde ihr alles offen. So war Monica geprägt von ihrer Armut, willensstark wie eine Löwin und trotzdem biegsam wie eine Feder. Launen waren ihr vollkommen fremd. Das Leben stand vor ihr, und sie ging darauf zu, ohne zu fragen, was passieren könnte, was schief gehen könnte.

    Aurora mit ihrer östlichen Gelassenheit und der Innensicht der Dinge, Monica, die biegsame Kämpferin, und die katzenhafte Rose mit ihrer Intuition gaben eine Dreieinigkeit ab, die in ihrem Ganzen komplett und ausgewogen war.

    Kapitel 4: Die einigen und innigen Schwestern

    Sie waren ein Herz und eine Seele in den ganzen drei Schuljahren in London. Rose tat das sehr gut, ohne die beiden war sie noch nicht erfüllt, noch nicht in ihrem Ich. Langsam schritt sie voran. Von Malcom hatte sie lange nichts gehört. Wenn sie nicht Aurora und Monica hätte, wäre sie vor Sehnsucht sicher schon vergangen. Aber so gab es tägliche Geschichten vom Schulalltag, vom Lernen, vom Späße machen, von Roy, von ihren Eltern und von Ben, ihrem kleinen Bruder.

    Benny nannte Susan ihren Sohn liebevoll. Er war ein unkompliziertes Kind, ruhte sehr in sich. Seine große Schwester verehrte er sehr. Nachmittags nahm ihn Rose oft mit, wenn sie mit Monica und Aurora unterwegs war. An einem schwülen, dunstigen Tag gingen sie zusammen zum Hunderennen. Das war immer sehr aufregend. Die stolzen Windhunde nahmen keine Notiz von den Menschen um sie herum. Nicht mal Frauchen und Herrchen waren für sie interessant. „Also seid still, es geht gleich los. Rose war bestimmend und dirigierte ihre Freundinnen und ihren Bruder durch die Massen. Es war ein ziemliches Durcheinander. Die Wetten waren noch nicht abgeschlossen, und ein älterer Herr rannte noch, seinen Tipp loszuwerden. Ben war an diesem Nachmittag sehr zappelig. Rose hatte ihre Mühe. Er wollte unbedingt noch zu den Wettschaltern; das ging nun nicht mehr. Die Hunde waren bereits in ihren Startboxen. Ein Schuss fiel, die Hunde katapultierten aus den Boxen, worauf die wilde Hatz begann. Monica war nicht sonderlich interessiert, sie fand es viel aufregender, den gut angezogenen Ladies mit ihren großen, bunten Hüten nachzusehen; die große und weite Welt. Aurora fieberte mit den Hunden, die sich elegant und kraftvoll in die Kurven legten. Ben sah nur nach den Wettschaltern. Rose war leicht genervt. Ist ja gut und schön, aber der kleine Bruder war doch heute leicht lästig. Er schmierte gerade seinen Hot Dog in der Gegend rum. Monica half aus „Ich geh schon mit ihm, dann kann Ben auch noch die Wettschalter ansehen, wir sind gleich wieder da - komm Benny. Und weg waren sie. Nach einer halben Stunde waren sie immer noch nicht da. Rose begann sich zu sorgen. Immer das Gleiche. Sie war aufgebracht; es war

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