Das Heiligenkreuz-Komplott: Kai Kaiser und Thomas Fischer ermitteln
Von Lars Friedrich
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Buchvorschau
Das Heiligenkreuz-Komplott - Lars Friedrich
VORWORT
Ich ging mit schellen Schritten durch die Vicolo dei Duomo, die von den schattigen Laubengängen zum Platz vor dem Dom führte. Schon als Kind hatte ich diese Gasse geliebt – gleich zu Beginn das Käsegeschäft, das der schmalen Gasse ihren typischen Geruch gab. Rechts der „Oste Scuoro, das traditionelle Einkehrgasthaus für Touristen. Mehr als ein Dutzend Mal hatte ich gemeinsam mit meinen Eltern Brixen besucht – stets im Sommer, stets für drei Wochen – aber nie hatten wir beim „Finsterwirt
gegessen.
Ich wollte mit meiner Familie die Tradition der Sommerferien zwischen Eisack und Rienz fortsetzen. Nur dass meine Frau und meine Kinder die Käsegasse meiden und lieber durch die Vicolo dei Fornai und die Via Porticci Magiore zum Domplatz flanierten.
Vor mehr als 28 Jahren hatte ich bei jedem Besuch in der Südtiroler Domstadt mit meinem Vater gleich am ersten Tag den Kreuzgang besichtigt und im Dom eine Kerze angezündet. Heute war Sonntag und der Dom wegen des Hochamtes noch nicht geöffnet. Dom, Kerze und Kreuzgang mussten warten. Wir trafen uns auf der Piazza Duomo in der Gelateria gegenüber der Domfassade, suchten uns einen schattigen Platz unter einem der bunten Stoffschirme und bestellten drei große Eisportionen.
Ich blickte über den Platz, der sich in den vergangenen Jahren stark verändert hatte: die stattlichen Kastanienbäume waren verschwunden, ebenso die umzäunten Blumenbeete, in denen die Stadtgärtner jeden Sommer neue Kunstwerke aus Blumen geschaffen hatten – Reiter, eine große Uhr, das Stadtwappen mit Lamm und Schlüssel.
Ich hing dem Gedanken an die Reisen meiner Kindheit nach, als das Handy klingelte. Ein Freund und Arbeitskollege aus frühen Tagen rief an und bat mich, ihm bei der „Vergangenheitsbewältigung" zu helfen. In leichtfertiger Urlaubsstimmung sagte ich zu und drei Wochen später trafen wird uns zu dritt in der Heimat.
Thomas Fischer, der Urlaubs-Anrufer, brachte seinen Freund und Kollegen Kai Kaiser mit. Am Ende des Abends hatte ich zugesagt, die Geschichte dieser beiden brillanten Journalisten aufzuschreiben. Thomas hatte mich angesprochen da er wusste, dass ich mich in Österreich auskenne und auf Grund meines Hobbies, dem Nachspüren von bislang ungelösten Geheimnissen in der Geschichte des einstigen österreich-ungarischen Kaiserhauses, die besten Voraussetzungen für einen Chronisten mitbrachte. Fischer hatte zunächst selbst versucht, das Erlebte nieder zu schreiben, was ihn jedoch emotional stark mitnahm. Kaiser hatte dann den Vorschlag gemacht, ein unbeteiligter Dritter sollte die Story schreiben.
An dieser Stelle möchte und muss ist feststellen, dass ich das hier vorliegende Buch nicht für ein breites Publikum geschrieben habe, sondern in erster Linie für Thomas Fischer und Kai Kaiser. Die Geschichte, die sie erlebt haben, soll nicht in Vergessenheit geraten, da nur wenige Zeitgenossen in das Geschehen tatsächlich eingeweiht waren. Letztlich berichtet dieses Buch vom Untergang der Österreichischen Bundesrepublik und politische Seilschaften in Wien. Dass erst jetzt diese Zeilen gedruckt wurden hängt damit zusammen, dass ich rund um die Geschichte von Fischer und Kaiser noch rechtliche Aspekte abklopfen musste.
Thomas Fischer hat seit den damaligen Ereignissen nicht mehr journalistisch Arbeiten können und arbeitet als Tierpfleger und Gelegenheitsgärtner in einem ostdeutschen Freizeitpark. Kai Kaiser hat Deutschland den Rücken gekehrt. Wie ich hörte, lebt und arbeitet er nun in Kanada.
Ich wünsche jenen Lesern, die sich für die Geschichte von Thomas Fischer und Kai Kaiser interessieren, eine spannende Lektüre. Ich habe versucht, die Geschichte der beiden deutschen Journalisten möglich so wieder zu geben, wie sie mir berichtet wurde. Allerdings musste ich einige Namen ändern und Details weglassen, an denen man die damals handelnden Personen hätte erkennen können. Dennoch hat die Geschichte nicht an Brisanz verloren.
Übrigens riet mir Pater Karl Wallner OCist vom Stift Heiligenkreuz nach der Lektüre der Druckfassung 2010, ich solle doch lieber historische Chroniken schreiben als schlechte Romane. Recht hat er, aber diese „Jugendsünde" musste sein, denn nur so ist mein Kopf wieder frei geworden für neue (bessere) Buchprojekte…
Hattingen, Sommer 2014
Lars Friedrich
Kapitel 1
Wir näherten uns dem Wienerwald von Westen. Nürnberg lag hinter uns, Regenburg auch, irgendwann dann Passau und St. Pölten. Auf der nassen Autobahn flimmerten rote Rücklichter und ich schlief ein. Der Weg war fast geschafft. Autobahn 21, Exit bei Kilometer 17.
In der Ausfahrt schlidderte der Wagen in Richtung Graben. Kai schaffte es gerade noch, den Daimler abzufangen.
„Nicht schlecht", murmelte ich wachwerdend. Seit Mitternacht saß er am Steuer und flog Stunde um Stunde über mindestens 190 Kilometer Autobahn dahin. Ich wünschte mir, mit 48 noch so eine Kondition zu haben. Na ja, bis dahin waren es ja zum Glück noch fünf Jahre!
Die schwarze Wolkendecke riss auf und der hellblaue Maimorgenhimmel spiegelte sich in den Matschpfützen. Die Felder und Äcker unterhalb der Autobahn hatten sich in sicher knöcheltiefe Sümpfe verwandelt. Südstaaten-Feeling zur Begrüßung.
Wie schön, denke ich.
Dann schreckte ich hoch und dachte erst mal gar nichts.
„Scheiße", zischte Kai. Zeitgleich brach der Wagen am Heck aus und schleuderte um seine Achse. In der Morgendämmerung flimmerten Lichter – rot, orange, blau. Die Fahrt war zu Ende, ich hellwach. Ein Glück, dass wir die Straße nicht verlassen hatten, denn siehe oben: Die Felder und Äcker unterhalb der Autobahn hatten sich in knöcheltiefe Sümpfe verwandelt.
Gar nicht schön, denke ich.
Aus dem Dunkel der Straßenböschung löste sich eine Gestalt und kam zur Fahrerseite. Kai kurbelte das Fenster hinunter – unser Daimler war schon etwas älter.
Die Gestalt murmelte ausländisch klingende Wortfetzen, die „Glück gehabt bedeuten konnten. Oder „Glühwein
. Oder sonst etwas. Dabei waren wir nur nach Österreich gefahren.
„Oberst Watzl, Polizei Alland. Grüßen sie Gott und geben mir die Fahrzeugpapiere und Ihre Ausweise bitte!"
Wir kramten – der österreichische Polizist, der sich in meiner Jugend noch klangvoll Gendarmeriepostenkommandant nennen durfte, schlurfte mit unseren Dokumenten zu seinem Streifenwagen, der definitiv älter war als unser fahrbarer Untersatz.
Das „Willkommen in Österreich!" vom Fahrersitz neben mir klang irgendwie nicht echt.
„Hätte uns auch in Spanien passieren können."
„Hätte. Kai strich seine schulterlangen, grauen Haare zur Seite. „Wäre aber nicht, weil es dort nicht regnen würde.
Kaiser war genervt!
Kai Kaiser: Kollege, Freund und - zumindest gerade - mein Fahrer. Eigentlich hatte er gehofft, die Eröffnung eines schicken Gastronomietempels an der Costa Brava abschießen zu können: Frühling an der wilden Küste, Frühstück in einer kleinen Bodega, Sonnenbaden an der Playa von irgendwo. Stattdessen saß er jetzt, knapp vierzig Kilometer südwestlich von Wien, auf einer Bezirksstraße an einer Polizeisperre fest und musste in den nächsten Tagen den Alltag eines tausendjährigen Mönchordens fotografieren.
„Die Story lebt vom Text" hatte er mir Dienstag bei unserer Abreise aus dem Ruhrgebiet gesagt – ja, ja: das war gestern Abend. Ich wusste aber genau, was das bedeutete: Kai hatte weder Lust auf Motivsuche noch auf fotografische Experimente. Das Thema reizte ihn kein bisschen. Also müsste ich allein sehen, wie fünfeinhalbe Magazinseiten bis Monatsende mit einem halbwegs passablen Text zu füllen waren. Vom Kollegen Kaiser würde ich wenig mehr als Postkartenmotive bekommen. Strafe musste sein!
Während im Polizei-Oldtimer die Innenraumbeleuchtung aufflackerte und das Gesicht des Postenkommandanten im fahlen Licht dem milchigen Vollmond glich, stieg ich aus. Um uns herum hoben sich die Silhouetten einiger Berge vom Morgenhimmel ab – aber weder hoch noch nah. Hier und dort blitzten Felskanten. Und das Dorf am Fuße dieser Berge schlief noch immer.
„Alland" sagte ich und nickte in Richtung der Ansiedlung - ohne zu bemerken, dass Kai mich nicht sehen konnte.
„Ja, allerhand" murmelte er und fingerte losen Tabak aus einem speckigen Beutel, leckte an billigem Zigarettenpapier und quetschte schließlich den Tabak so, dass ein krummer Stumpen entstand. Widerlich!
Kais rauchender Kopf schraubte sich in die Höhe. An ihm war alles lang: die Finger, die Haare, die Beine und der Rest irgendwie auch. Insgesamt zwei Metern Körper plus acht Zentimeter. Die Arme, die er aufs Wagendach legte, waren lang. Mit dem Ding, das eine Zigarette sein sollte, fuchtelte er Richtung Alland.
„Dein Kloster?"
„Nee, das liegt da drüben Ich zeigte in die entgegen gesetzte Richtung. „Der Wagen steht schon richtig.
Nochmals unsere unsanfte Drehung missbilligend, presste er den Rauch aus den Nasenflügeln. Auch so lang, dieser Zinken...
Mit einer Polizeikontrolle an der Autobahnausfahrt hatten wir nicht rechnen können und die nasse Straße hatte unsere Vollbremsung zur Karussellfahrt werden lassen. Vom Kirchturm, der sich am Ortseingang aus dem Grau des schlafenden Dorfes räkelte, kam Glockengeläut zu uns herüber.
„Halb sechs", stellte der Polizist fest. Er kam zurück. Der Regen lief in braunen Bächen aus dem höher gelegenen Feld über die Straße und spritzte an die Hose des Gendarmen, der sich jetzt Polizist nannte.
„Was wolln's denn hier?"
„Berufliches." Kai nahm seinen Ausweis und die Wagenpapiere entgegen.
„Geht's nicht genauer?"
Er zog meinen Pass wieder zurück.
„Ist ja wie in der Zone hier!" stellte Kai verärgert fest.
„Wir arbeiten für ein deutsches Nachrichtenmagazin und wollen unseren Lesern Ihr Kloster hier vorstellen", beeilte ich mich zu versichern.
Der Gendarm glotzte.
„Heiligenkreuz? Das sans hia aba foalsch. Do geht’s long."
Sein Arm schnellte in die Höhe. Eine plötzliche Bewegung, die nicht nur uns überraschte: Den Gendarmen verwunderte das Ausreißen seines Armes ebenso sehr, dass er nicht mehr Herr seiner Hand war – die behandschuhten Finger öffneten sich unkontrolliert und mein Pass sauste durch die Luft.
Platsch.
Nass.
Zwei Schritte hinter dem Fahrbahnrand bückte ich mich. Irgendwo im Gestrüpp lag jetzt meine Legitimation, die ich nach Schengen ja eigentlich gar nicht mehr brauchte. Das war aber kein Grund, warum sie dieser Dorf-Deppen ungefragt entsorgte.
„Fahrens die Stroße übern Hügel, dann kommens ins Himmelreich."
Kai sah Richtung Hügel, während ich weiter ins kniehohe Gras starrte.
Fein, da lag er: mein Pass in guter Gesellschaft unzähliger Nacktschnecken. Mit Daumen und Zeigefingern fingerte ich das Dokument aus der Botanik. Kai hatte es sich schon wieder hinter dem Lenkrad bequem gemacht und sah zu mir herüber: „Du machst alles nass."
„Ich weiß!"
Meine Schuhe waren voll Wasser, die Hosenbeine dunkel verfärbt. Als ich saß, kroch die nasse Kälte zu allem Überfluss auch noch an meinen Beinen hoch.
Der Daimler heulte auf, die Räder rotierten und erst als Kai Gas zurücknahm, setzte sich unser beiger Benz auf der schnurgeraden Straße in Bewegung. Ziel: Übern Hügel Richtung ins Himmelreich Heiligenkreuz!
„Und, wie gefällt's dir?"
Kaiser sagte nichts.
Er hatte schon in Hongkong, New York, Istanbul, am Nordpol und in Moskau gearbeitet. Er war für Boulevardzeitungen nachts in Leichehallen eingebrochen und hatte für Presseagenturen lebende oder fast noch lebende Leinwandlegenden wie Sean Connery und Johannes Hesters abgelichtet. In seiner Wohnung standen die Fotopreise dicht neben den Katalogen eigener Ausstellungen. Und heute? Kaiser sollte Mönche fotografieren, Mönche in Österreich. Für Kai war das nicht der Kick, den der Bildjournalist brauchte, um einiges besser als gut zu sein.
„Übermorgen sind wir fertig, dann geht’s wieder heim, versuchte ich. „Und wenn ich reinklotze, sind wir schon morgen Abend auf der Rückfahrt.
Kai reagierte immer noch nicht. Seine Augen folgten der Straße, die nach „überm Hügel" wieder Richtung Tal führte, um dann dem Bergrücken nach links zu folgen. Zwischen den Bäumen schimmerten massige, regennasse Dächer und die Türme des Zisterzienserstiftes.
„Schön, was?"
Jetzt nickte er. Von der Kehre der Bezirksstraße aus hatte man noch den gesamten Klosterkomplex überblicken können, der jetzt schon wieder hinter Bäumen und Büschen verschwunden war.
„An der Stelle habe ich auch mal geknipst", fiel mir ein. Dreiundzwanzig Jahre waren vergangen, seit ich das erste und bisher einzige Mal hier war - in meiner Jugend mit meiner Jugendliebe Lena: Erster Urlaub mit einer Frau, der Ur-, Urur, oder Urururenkelin aus dem Baedecker´schen Reiseführer-Clan und meine bis heute noch größte Liebe: braunen Augen, meist hochgesteckte rotbraune Haar, süß-sündige Lippen, weiche...
Kai bremste.
„Rechts, links?" Er kickte die ausgerauchte Zigarette in Richtung Aschenbecher.
„Rechts rein und nach links durch das Tor."
Der Wagen hüpfte über Kopfsteinpflaster. „Links ist die päpstliche Hochschule, rechts das Stift."
„Und vor uns Frühstück."
Er hatte Recht.
Während überm Hügel vorne bei Alland der Regen abgeklungen war und die nächtlichen Gewitterwolken dem frühen Mittwoch Platz gemacht hatten, lag in dem engen Bachtal hier die Feuchtigkeit noch in der Luft. Die Klosterpforte auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes war geschlossen. Aber auch der Stiftsgasthof machte nicht den Eindruck, zu so früher Stunde Gäste empfangen zu wollen. In der Gaststube war es finster, die Tür war verschlossen.
Kai suchte nach der Glocke und verschwand hinter einer Hausecke, während ich meine Hand durch die Drahtmaschen eines abgedeckten Brunnentroges stecken wollte, der in der Mitte des Biergartens stand. Mit einem nassen Taschentuch hätte ich wenigstens meine Schuhe vom dreckigen Erbe der Allander Äcker befreien können.
„In der Küche ist jemand", rief Kai rüber. Ich hörte ihn, bevor Jeanshose, Jeansjacke und Jeanshemd wieder um die Hausecke kamen. Kies knirschte unter seinen Schritten und schließlich wurde die Wirtshaustür entriegelt.
Unter dem weißen Kittel erkannte ich ein Dirndl. Sicher hatte Kai das Mädchen durch ein Fenster gesehen, geklopft und ihr Tief in die Augen geschaut – ich wusste: dann machten die Frauen meist das, was er will. „Komm mit, meinte Kaiser und war schon im düsteren Flur des Wirtshauses verschwunden. „Ich habe diesem weiblichen Wesen tief in die Augen geschaut und jetzt macht sie, was ich will.
Macho dachte ich und bekam meine Hand nur mit erheblichen Schwierigkeiten wieder aus dem Drahtgeflecht raus.
Wir hielten uns in dem nur vom schwachen Licht eines Zigarettenautomaten erhellten Vorraum rechts. In der Gaststube ging das Licht an. Dieses weibliche Wesen war höchstens Mitte zwanzig, hatte hüftlanges, glattes Haar und einen glitzernden linken Nasenflügel.
Wir setzten uns. Kai bestellte zwei Kaffee, worauf das Mädchen näher kam. Und es geschah genau das, was immer dann geschieht, wenn jemand in Österreich Kaffee bestellte und was auch immer in Büchern über Österreich zu lesen ist.
Also:
„Welchen?" wurde gefragt.
Fein, wenn die Klischees bedient sind.
Sie hatte nicht nur wunderschöne wasserblaue Augen, sondern auch einen hübschen kleinen Delphin als Schmuck im zierlichen linken Nasenflügel.
„Zwei große Braune."
Ich übernahm die Bestellung, Kai grinste doof.
Augenscheinlich wusste mein polyglotter Fotoreisende nicht, dass es in Österreich mehr als nur eine Sorte Kaffee gab und sich die zwei großen Braunen mal nicht auf den Inhalt des Dekolletes bezogen, das durch die offene Kittelschürze blitzte. Ich hätte ihn eigentlich aufklären müssen, doch der Kollege war