Mädchen oder Junge? Das Geschlechterlabyrinth: Ein subjektiver Erfahrungsbericht
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Über dieses E-Book
Ich begann, die Debatten zu verfolgen und meine persönliche Ansicht dazu parallel zu reflektieren.
Hinzu kam meine fast dreißigjährige Tätigkeit als Grundschullehrerin, in der ich zahlreiche Beobachtungen und Erfahrungen in Bezug auf geschlechtsspezifisches Verhalten sammeln konnte, die häufig konträr zu angeblich wissenschaftlichen Forschungsergebnissen standen.
Ein Blick in die Geschichte der Geschlechterrollen erweiterte die Komplexität der Geschlechterpositionen ebenso wie die Einsicht in verschiedene Bücher zur Thematik.
Dazu kam meine individuelle Biografie als Mädchen/Frau, zu deren Entstehen ich nach kausalen Zusammenhängen fragte.
Aus diesen verschiedenen Perspektiven entstand mein Manuskript.
Es gliedert sich in einen subjektiven biografischen Darstellungs- und Erfahrungsbericht im ersten Teil des Manuskriptes und einen gesellschaftlichen Deutungs- bzw. Untersuchungsansatz im zweiten Teil, in dem ich fachwissenschaftliche, geschichtliche, literarische, psychologische Aspekte aufgreife.
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Buchvorschau
Mädchen oder Junge? Das Geschlechterlabyrinth - Sylvia Rosenkranz-Hirschhäuser
Anstelle einer Einleitung
Frauenquote für Päpste!
Männerquote für Hebammen!
Frauenquote für Kranführer!
Männerquote für Zahnarzthelferinnen!
Frauenquote für Türsteher!
Männerquote für Tagesmütter!
Frauenquote für Baggerführer!
Männerquote für Kosmetikerinnen!
Frauenquote für Waldarbeiter!
Im weitesten Sinne von der Infragestellung dieser Sätze handelt das Buch.
Ein Buch über Geschlechtsfragen – Junge oder Mädchen – Mann gegen Frau –
erweckt
schlechtestenfalls Gähnen – nein bitte nicht noch eines
bestenfalls Hoffnung – die möglicherweise enttäuscht werden wird
eher Achselzucken – was soll dazu noch zu sagen sein?
Vorworte
Vorwort 1
Das Buch entsteht während der Fußballfrauenweltmeisterschaft.
Die Frauen stürmen, dribbeln, grätschen, foulen, siegen………
Ein Frauensport? Warum nicht!....(.Sendung hart aber fair mit Hajo Schuhmacher, Töpperwien, Uli Stein, Bärbel Wohlleben….am 6.07.11)
Vorwort 2
Während ich diese Zeilen schreibe, wünsche ich mir einen Mann ins Haus, einen richtig großen, starken zum Anpacken, einen der zupacken kann, einen durch und durch praktischen typischen Mann.
Gerade komme ich aus meinem Garten, habe mit dem Spaten in Wurzelboden gestochen, in tiefe, feste verwurzelte Erde, die kaum zu durchdringen ist. Dazu braucht es Kraft, Männerkraft. Ich fühle mich überfordert, möchte delegieren, nicht mehr alles mit Frauenhand und Frauenkraft machen müssen. Ich habe ausgepowert. Genug Frauenpower gezeigt. Über Jahre. Fast Jahrzehnte.
Morgen steht Rasen mähen an, ein Hangrasen, rauf, runter, runter, rauf. Auch auf dem Rasen habe ich gezeigt, was ich als Frau kann, jahrein, jahraus, immer gezeigt, mir und jedem anderen, der es sehen oder hören oder wissen wollte.
Nun reicht’s. Ich möchte, dass ein Mann meine Gartenarbeit übernimmt, das Äste schneiden, Bäume fällen, Abfall schleppen.
Vorwort 3
Vor wenigen Wochen titelte die Frankfurter Rundschau den Vorschlag Merkels, Niedersachsens Landeschef Wulf zum Präsidentschaftskandidaten zu machen mit dem Ausruf: Es ist ein Junge!
Vorwort 4
Auf der Nachhausefahrt sitze ich in der S-Bahn und höre von zwei etwa elf- bis zwölfjährigen Jungen folgendes Gespräch:
‚Weißt du, das Leben mit Bruder und Schwester ist ganz anders als nur mit Bruder.’-
‚Ich weiß das, mit Schwester regelt man alles mit Reden – mit Bruder mit Kloppen.’
Vorwort 5
Das Thema ist so alt wie die Menschheit.
‚Ist es ein Junge oder ein Mädchen?’- die erste Frage nach einer Geburt.
Einerseits die unwichtigste, die gestellt werden kann, die Frage ‚Ist es gesund?’ ist zweifelsfrei die wichtigste, dennoch folgt diese Frage fast immer an zweiter Stelle.
Andererseits ist es aber auch sehr entscheidend, ob ich als Mädchen oder als Junge, als Frau oder als Mann durchs Leben gehe.
Das Thema ist heikel.
Es hat eine unendlich lange wechselhafte Geschichte.
In unzähligen Büchern wurde und wird über das Verhältnis ‚Mann-Frau’ geschrieben und immer wieder anders und/oder neu oder auch immer wieder die gleiche Frage nach der Unterschiedlichkeit und dem Warum.
Das Thema ist gesellschaftspolitisch brisant und interessant, denn es polarisiert, ist in seiner Bewertung subjektiv und wird in seiner Objektivierung aus subjektiven Quellen gespeist.
Die Thematik der Geschlechtsspezifigkeit umfasst eine ähnliche Spannbreite der Beurteilungen wie die Frage nach der Intelligenz: ist sie zu nahezu 100 Prozent genetisch oder ist sie zu nahezu 100 Prozent von sozio-kulturellen Faktoren abhängig? Wie ist sie zu beeinflussen?
Meinungen, Einschätzungen, Untersuchungen, Studien verändern sich im Laufe der Jahrzehnte, je nach sozial- und kulturpolitischem Mainstream und gesellschaftspolitischem Avantgarde-Denken. Gab es in den sechziger-siebziger Jahren die vorrangige Meinung (natürlich mit wissenschaftlichen Belegstudien), Intelligenz sei zu 90 Prozent erziehungs- und herkunftsbedingt, bildungsabhängig und beeinflussbar, so änderte sich in den folgenden Jahrzehnten (mit natürlich ebenso belegbaren Studien) die Wertigkeit um riesige Prozentzahlen bis zu der These, Intelligenz sei zu etwa 10 Prozent genetisch. Im Zwischenfeld tummelten sich munter Behauptungen und Vermutungen und heute ist wohl die vorrangige These akzeptiert, dass Genetik und soziale Umwelteinflüsse sich die Waage halten. An Beweisbarkeit wird es allerdings allen Untersuchungen weiterhin mangeln.
Einem vergleichbaren Wandel und Wechsel an Behauptungen und Beurteilungen ist die Geschlechterfrage unterworfen.
Was ist an Jungen-/Männerverhalten und entsprechend Mädchen-/Frauenverhalten genetisch und was ist durch Erziehung und Umwelt erworben bzw. kann durch Erziehung beeinflusst und verändert werden? Zahllose Texte kursieren in diversen Fachbüchern diverser Fakultäten.
Eines Beweises wird die Wissenschaft auch hier schuldig bleiben.
Ich behaupte, die Position zu der gestellten Frage hängt von der eigenen Biographie, vielen individuell erlebten Erfahrungen und geschlechtsunabhängiger psychischer Konstitution ab. Unbewusst fließen so geprägte unterschiedliche Faktoren in Wertungen ein.
Meine persönliche Beschäftigung mit der Thematik fußt auf zunächst nicht definierbarem Interesse, das ich lange Zeit immer wieder in mir spüre und einer Unmutsreaktion, wenn ich auf pauschale Polarisierungen zu der Geschlechterrolle in Wort und Bild treffe.
Das Thema begleitet mich durch mein Leben, es umkreist mich immer wieder, lässt mich Kopf schütteln, lachen, wütend werden, ungläubig staunen, lässt mich nachdenklich werden, es ist so umfassend und in so vielen Bereichen implizit enthalten, wenn nicht direkt, so zumindest indirekt, dass ich täglich darauf stoße: zu Hause, im Beruf, in den Medien, in unserer Gesellschaft, eben überall.
Heute lese ich gerade wieder unsägliche Artikel zum ‚girls day’, für mich Anlass, die ersten Zeilen dieses Buches zu schreiben.
Die kaum überschaubare Textflut in Wort und Schrift, in der Junge oder Mädchen, Frau oder Mann inhaltlich thematisiert werden, macht es schwer einen roten Faden an konzeptionellem Vorgehen zu legen.
Ob in Psychologie, Pädagogik, Soziologie, die Geschlechterrollen haben in jeder Wissenschaft ihren Stellenwert, die Reihe ließe sich fortsetzen: Biologie (logisch), Medizin, Religion (Adam und Eva), Germanistik (Grammatik: der, die, das!), Geschichte (die großen Kaiserinnen und Königinnen, die blutrünstigen Herrscher!), Politik (auch die aktuelle Situation: erste Kanzlerin)
In diesem Wirrwarr der Thematik und der daraus folgenden Schwierigkeit des Herausgreifens der wichtigen, aussagekräftigsten Kernpunkte, habe ich mich entschlossen, ein subjektives Buch zu schreiben.
Ich schreibe meine eigene Jungen-Mädchen Geschichte und meine ganz persönlichen Gedanken dazu auf, ich trage so etwas wie Puzzleteile zu einem Ganzen zusammen.
Das Ganze wäre dann ein gesellschaftlicher Komplex, in dem die Mädchen-Jungen-Frau-Mann Problematik sichtbar, fühlbar und spürbar würde.
Ich unternehme eine chronologische Mädchen-Jungenreise, gelange über persönliche Erlebnisse und Erfahrungen zu Ansichten und Meinungen und stelle diese zur Diskussion.
Jede Leserin, jeder Leser kann darin sich selbst suchen und vielleicht auch finden.
Sollte Provokantes zwischen den Zeilen zu lesen sein, wäre es entweder Absicht von mir oder entstünde aus der jeweiligen subjektiven Perspektive der Leserin, des Lesers.
Im Grunde wäre genau dieses Empfinden eine meiner hypothetischen Behauptungen:
Die individuelle Sozialisation mit ihren eigenen Prägungen entscheidet über die persönlich erlebte Geschlechterrolle. Wie ich mich als Mädchen, als Frau oder eben umgekehrt als Junge, als Mann sehe, erlebe, empfinde, ob unterlegen, überlegen, devot, in Konkurrenz zum anderen Geschlecht, hängt von vielfältigen Faktoren ab, die in der Summe die lebenslange gesellschaftliche Position ergeben.
Teil I Ich bin ein Mädchen
Meine persönliche Entwicklung in meine Rolle als Frau
Mein erster Kontakt mit dem Thema fand in meiner frühesten Kindheit statt, im Grunde vor meiner Geburt.
Irgendwann hörte ich damals meine Mutter zu einer anderen Frau sagen:
Ich wollte kein drittes Kind mehr, weil ich Angst hatte, es wird wieder ein Mädchen.
Als ich diese Worte hörte, erschrak ich.
Mein Vater war Unternehmer, führte eine Fabrik und wünschte sich einen ‚Nachfolger’.
Unausgesprochen stand der Wunsch nach einem ‚Stammhalter’ für Name und Firma jahrelang im Raum.
Ein Jahr nach meiner Geburt kam meine Schwester zur Welt. Wieder ein Mädchen.
Ich bin gerne Frau und froh darüber, eine zu sein. Ich wollte als Kind immer Mädchen sein und vermisste nichts. Das würde ich auch im Rückblick heute noch gleichermaßen behaupten. Dennoch gibt es eine andere Erinnerung, die fest in mir verankert ist, deren Gefühl ich jederzeit wieder aufleben lassen kann, von dem ich heute noch nicht sagen kann, woher es rührt .
Innerlich wünschte ich mir jahrelang einen ‚großen Bruder’. Diesem starken kontinuierlichen Bedürfnis forschte ich nach, was bedeutete es für mich und warum hegte ich diesen Wunsch und kam erst sehr spät davon ab?
Es muss mit einer omnipotenten Männlichkeitsvorstellung zu tun gehabt haben.
Von einem großen Bruder kann ich viel lernen, dachte ich, er kann so viel, was ich nicht kann. Ich würde zu ihm aufschauen, ihn bewundern und er würde mir helfen können. Solche oder ähnliche gedankliche Phantasien müssen mich als Kind bewegt haben, einen Bruder zu idealisieren. Es entsprang einem Anlehnungsbedürfnis, einem Wunsch nach Sicherheit und Aufgehobensein, das mir mein Vater nicht erfüllen konnte. ‚Mit einem großen Bruder bin ich auch groß’, so mein Allmachtsstreben.
Die Irrealität war mir nicht bewusst und auch nicht wichtig, ich trauerte einfach innerlich immer ein wenig um die nicht erlebbare Situation. Einen ‚kleineren Bruder’ zu bekommen, war mir ein völlig fremder Gedanke und damit Beweis für mich, dass die ‚Brudertheorie’ ein psychischer Stabilisierungsgrund meiner Kindheitsseele war.
Mit meiner Identität als Mädchen war ich stets zufrieden, ich benahm mich teilweise jungenhaft, trug aber gerne ‚schöne Kleidchen’ und achtete schon früh auf Geschmack und Ästhetik.
Puppen mochte ich nicht sehr, spielte nicht oft mit ihnen, spielte viel lieber mit Tieren. Ich war kein ‚richtiges’ Mädchen, aber auch kein ‚echter’ Junge.
Bei den Spielen bestimmte ich auch am liebsten und ‚kommandierte die anderen’, wie meine Mutter behauptete.
Dominanz im Umgang mit Freundinnen und Freunden wurde mir schon sehr früh nachgesagt. Ich hatte einen starken Willen, wusste ihn einzusetzen und ließ mich nur wenig beeinflussen.
Trotz meines kindlichen Bedürfnisses nach einem starken großen Bruder fühlte ich mich Jungen zu keinem Zeitpunkt unterlegen.
In der Schule hatte ich enge Freundinnen und ein gutes Verhältnis zu Jungen.
Ich war akzeptiert und ein bisschen wurde ich von manchen bewundert, weil ich als couragiert und mutig galt, was mir selbst nicht so recht bewusst war in diesem Alter.
Innerlich fühlte ich mich nicht so wie ich äußerlich wirkte.
Außerhalb der Schule verbrachte ich meine Freizeit in einer Clique, in der ich phasenweise das einzige Mädchen war und wenn nicht, wechselten die anderen Mädchen in der Form, dass sie Freundin eines Jungen aus der Clique waren oder nicht, dann verschwanden sie wieder, während ich einen festen Platz in der Gruppe hatte, weil ich lange Jahre mit einem der Gruppenmitglieder befreundet war.
Ich war gerne mit Jungen unterwegs, war für alle Aktionen zu haben und benahm mich so, dass die Jungen zwischen Bewunderung und Sympathie schwankten. Einige fanden mich wohl auch recht attraktiv, aber ich war kein Mäuschen, das sich kuschelte oder ein Mädchen mit hilfesuchendem Augenaufschlag. Heute würde vielleicht der Ausdruck passen, ich war tough.
Mein Studienfach, Veterinärmedizin, entsprach eher männlichen Ambitionen, obwohl schon zu Beginn der 70er Jahre viele Studentinnen die Fakultät mit Engagement und Erfolg besuchten. Meine Motivation zu diesem Studium war falsch interpretierte Tierliebe, sie reichte für drei Semester bis ich zur Pädagogischen Hochschule wechselte und Grundschullehrerin wurde. Nun war ich im ‚typisch’ weiblichen Studienfach angekommen. Gründe für den Wechsel lagen allerdings nicht im weiblichen Betreuungs- und Versorgungsinstinkt, sondern waren ganz pragmatischer und finanzieller Natur: ich wählte den einfachsten und schnellsten Weg, Geld zu verdienen. Dass ich damit gleichzeitig einen interessanten, herausfordernden und mich sehr zufrieden stellenden Beruf ergriffen hatte, stellte ich für mich erst Jahre später fest.
Wir lebten ein bisschen im life-style der 68-er Generation in einer Kleinstadt im ländlichen Raum, unternahmen Motorradtouren, ich als Sozia (später machte ich meinen Motorradführerschein), zelteten an Wochenenden an ruhigen Seen, später reiste ich mit meinem damaligen Partner im uralten ausgebauten Hanomag-Bus bis Asien, eine abenteuerliche Zeit, in der es gefahrvolle, ungewöhnliche Situationen zu bewältigen gab, in denen Ängstlichkeit fehl am Platze und eine robuste körperliche Konstitution gefordert war. Wir wechselten uns mit Auto fahren ab und ich steuerte den Bus durch indische Basare und an Wasserbüffeln, Rikschafahrern, Fußgängern und Kühen und Hühnern vorbei.
Wir erlebten eine Reise, die Männern wie Frauen gleichermaßen viel abverlangte.
Ich hatte mich vom Mädchen zur Frau entwickelt und genoss ich es, als Mädchen von Jungen akzeptiert und bewundert zu werden, so genoss ich als junge Frau ebenso die Anerkennung von Männern. Ich fühlte mich als Frau beachtet und geachtet und fühlte