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Noora, die Traumhüterin
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eBook317 Seiten3 Stunden

Noora, die Traumhüterin

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Über dieses E-Book

Phillip Amsel hat sein Lebensglück in Australien gefunden. Doch auch ohne seine geliebte Arbeit an seinem Australien-Bildband, den er mit seiner Tochter Rose fertiggestellt hat, wird ihm sein Alltag nicht langweilig.
Als sein alter Freund Jaba, der Heiler der Alwarras, bei Phillip Amsel auftaucht, um ihm mitzuteilen, dass Wirrpanda, der Traumhüter, seine Enkelin Noora als seine Nachfolgerin auserwählt hat, bleibt für alle Beteiligten unklar, ob sie jemals wieder nach Sydney zurückkehren wird.
Neben der großen Verantwortung als neue Traumhüterin der Alwarras vertieft sich Noora zugleich in die Suche nach ihrer jahrelang verschwundenen Mutter Yai Yai, bei der ihr Phillip Amsel, Rose und die Alwarras zur Seite stehen.
Herausgeber: Hans-Jürgen Sträter, Adlerstein Verlag
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum2. März 2022
ISBN9783755732532
Noora, die Traumhüterin

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    Buchvorschau

    Noora, die Traumhüterin - Rudi-Philipp Opper

    Foto: Martina Opper-Pino

    Rudi-Philipp Opper, Jahrgang 1950, geboren in Trebur/Hessen. Studium der Fotografik, Illustration und Malerei. Nach zahlreichen Reisen rund um den Globus und längeren Aufenthalten in Australien hat der Autor seine Eindrücke in nachfolgenden Büchern niedergeschrieben.

    Gesichter Australiens

    Süd-Afrika – Das Regenbogenvolk

    Der Traum der roten Buschmänner

    Columbus und die Sklaverei

    Soo, ein Mädchen aus Korea

    Feenjas Zauberkiste

    Der kleine Luftgeiger

    Der Wanderer zwischen den Welten

    Danksagung

    In den vergangenen zwei Jahren habe ich die Kraft gespürt, eine lange Geschichte zu erzählen, die mit diesen Zeilen nun ein Ende findet.

    Um die einzelnen Lebensabschnitte besser zu ordnen, musste ich diese über drei Bücher verteilen. So entstand nach und nach eine umfassende Australien-Trilogie, die 1971 beginnt und 2021 endet. Wer die einzelnen Bände bis zum Ende liest, kann verstehen, warum ich sie aufschreiben musste, obwohl ich dadurch sehr persönliche Abschnitte meines Lebens preisgab.

    Natürlich gelingt so eine umfassende Arbeit nur, wenn man dabei eine ausreichende Unterstützung aus seinem Umfeld erfährt. Dafür bin ich ganz besonders meiner Frau Martina dankbar, die mir, wann immer es ging, den Rücken von allen möglichen Alltäglichkeiten freihielt.

    Wie in den beiden vorhergehenden Bänden möchte ich meinem Verleger und guten Freund Hans-Jürgen Sträter danken, dessen Unterstützung mir in der langen Zeit unserer Zusammenarbeit eine große Hilfe war.

    Es gibt bei vielen Dingen, die wir tun, immer Menschen, die es noch besser können. So ging es mir mit meinen Illustrationen, die ich nach meiner Zeit des Schreibens für dieses Buch anfertigte. Um sie brillant abzubilden, bedarf es eines Spezialisten, den ich ohne Zweifel in Boris de Wolf gefunden habe und dem hiermit mein ganz besonderer Dank gilt.

    Zu guter Letzt ein großes Dankeschön an meine Lektorin Franziska Bredehorn – mittlerweile weiß ich, dass ich ihr meine Arbeit uneingeschränkt anvertrauen kann. Nur durch ihr gewissenhaftes Schaffen hatten die Fehlerteufel keine Chance und die Sprache bekam an so einigen Stellen einen besseren Klang.

    Zu diesem Buch

    Die australischen Ureinwohner leben schätzungsweise seit mehr als 50 000 Jahren auf dem fünften Kontinent. Im Englischen wurden sie zunächst als Aborigines bezeichnet. Dies leitet sich vom Lateinischen ab origine ab und bedeutet so viel wie von Beginn an. Diese Bezeichnung wird jedoch als problematisch angesehen, da sie vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte Australiens entstanden ist; sie wurde in der Vergangenheit im Kontext rassistisch motivierter Ausgrenzung gebraucht und bezieht die Heterogenität der aus verschiedenen Regionen stammenden Ureinwohner nicht mit ein. Der Abwertung wurde entgegengetreten, indem sich die Ureinwohner Australiens entsprechend ihres Lebensraumes gemäß ihrer eigenen Sprache Namen gaben: im Norden Yolngu, im Osten Murri, im Südosten Koori, im Süden Nanga, im Südwesten Nyungar und im Westen Wonghi. Daneben gibt es jedoch auch Stimmen, die eine allgemeine alternative Bezeichnung, wie etwa Aboriginal people oder Indigenous people, fordern sowie Stimmen, die eine neue Identifikation mit dem Begriff Aborigine anstreben – unter der Voraussetzung einer positiven Bewertung und eines respektvollen Umgangs.

    Die negative Besetzung des Begriffs hat im englischsprachen Raum zu einer Diskussion geführt, die aktuell noch keinen Konsens hervorgebracht hat. So intensiv die Auseinandersetzung mit der begrifflichen Fassung dort ausfällt, so wenig wird sie im deutschsprachigen Raum fortgeführt und resultiert in dem Problem, dass im deutschen Sprachgebrauch keine Alternativen zur Bezeichnung derjenigen bestehen, die sich selbst als Ureinwohner beziehungsweise Nachkommen von Ureinwohnern Australiens verstehen. Daher wird im Folgenden die aktuell im deutschsprachigen Raum korrekte Bezeichnung der Aboriginal people verwendet.

    Jeder Roman ist ein Werk der Fantasie. Dies gilt auch für diese Geschichte. Alle Personen sind frei erfunden. Eine Übereinstimmung mit Lebenden oder Toten ist nicht beabsichtigt.

    Der Autor wurde inspiriert vom Australien der Jahre 1971-1973 und 1980/81. An manchen Stellen wurde jedoch das Erscheinungsbild realer Schauplätze, die Zeitrechnung oder andere Umstände an die erzählerischen Abläufe angepasst.

    Für alle meine Freunde in Australien

    Kapitelübersicht

    Phillip Amsel erinnert sich

    Jaba bringt schlechte Nachrichten

    Wirrpanda liegt im Sterben

    Rose trifft sich mit Paul McRyn

    Rose hebt ab

    Up up in the Sky

    Die erste Etappe

    Noora muss zurück

    Noora spricht zu ihren Leuten

    Die letzte Flugstrecke

    Rose sucht nach Paul

    Die Flying Doktor Station

    Rose erwacht an einem Murinji

    Athan findet Roses Spur

    Rose wird gefunden

    Aufbruchstimmung

    Noora steht vor großen Herausforderungen

    Ninguru

    Die Hexe Arula

    Ningurus Fluch

    Rose ist auf dem Weg zu Noora

    Arulas wahre Geschichte

    Paul wird gerettet

    Noora muss mit Myunda reden

    Wiedersehen mit Rose

    Der Ältestenrat

    Ninguru muss ins Hospital

    Phillip Amsels Traum

    Zusammentreffen mit Kimberley

    Auf der Suche nach Yai Yai

    Gaanee findet ein Vermögen

    Noora braucht Cha Tjas Hilfe

    Phillip Amsel vertraut auf Jaba

    Gaanee

    Yai Yai bleibt verschwunden

    Rose sorgt sich um Noora

    Nooras Erwachen

    Phillip Amsel spielt den harmlosen Touristen

    Noora tanzt in Gaanees Haus

    Treffen mit den Baroula-Brüdern

    Noora übernachtet in der WG

    Zurück zu Boy Georg

    Noora und Gaanee sind Seelenverwandte

    Noora kommt zurück

    Jabas Plan

    In Cats Villa

    Phillip Amsel trifft auf Yai Yai

    Yai Yai steht vor der Tür

    Der Spuk ist vorbei

    Ich bin ganz bestimmt da

    Nachwort

    Phillip Amsel erinnert sich

    Phillip Amsel hatte nach dem frühen Aufstehen an diesem Tag alle vier Fenster seiner Atelierwohnung in der Cambell Parade in Nord Bondi weit geöffnet, um die herrlich kühle Meeresbrise des Pazifischen Ozeans zu sich hereinzulassen und sie tief einzuatmen. Er liebte die würzige, leicht nach Salz, Fisch und Seetang riechende Luft. Seit er hier lebte, wusste er, dass er das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, das ihm dieser Geruch vermittelte, nie mehr in seinem Leben missen möchte.

    Als er 1971 zum ersten Mal als Migrant zusammen mit seinem Freund Chick und vielen weiteren deutschen Auswanderern auf dem Sydney Airport gelandet war, hatte er sich in den ersten Tagen auf dem fünften Kontinent tatsächlich wie in einer anderen Welt gefühlt. Damals war ihr dringendster Wunsch gewesen, das Einwandererlager in Redfern mit seinen Stacheldrahtzäunen und den hässlichen Baracken auf dem schnellsten Wege zu verlassen und am besten gleich am Bondi Beach, dem schönsten Strand der Stadt, zu wohnen.

    Einige Wochen später ging ihr Wunsch in Erfüllung. Sie hatten eine WG gegründet und ohne groß über die Kosten nachzudenken in der Francis Street Nr. 11 ein Haus gemietet.

    Später hatte es Phillip Amsel allerdings immer öfter aus der Gemeinschaft hinausgedrängt, um den anderen Mitbewohnern für ein paar Stunden aus dem Weg zu gehen und um mit sich und seinen Gedanken allein zu sein. Für ihn war das enge Zusammenleben mit der Clique etwas völlig Neues gewesen.

    Damals, in den frühen Abendstunden, wenn die schlimmste Tageshitze vorbei war, war er gerne mit seiner Honda-Crossmaschine hinüber auf die andere Seite der breiten Landzunge von Nord Bondi in Richtung Sydney Harbour gefahren. Seine Ausflüge hatten ihn am Ende immer wieder an den traumhaften Wohngebieten von Watson, Rose und Elisabeth Bay vorbeigeführt, bis hinaus zu dem kleinen Jachthafen von Point Piper mit seinem berühmten Jachtclub. Alles war hier „very english und „very stylish.

    Der junge Phillip Amsel hatte es geliebt, sich auf den warmen Holzplanken des schmalen Bootstegs auszustrecken und seine Füße über dem ruhigen, silbrig glitzernden Gewässer der Hafeneinfahrt baumeln zu lassen. Von hier aus konnte er die grünweißen Fährschiffe, die unzähligen kleinen, kreuz und quer schippenden Segelbote und die riesigen Ozeandampfer beobachten, die wie auf einer überdimensionalen Filmleinwand an ihm vorbeizogen. In solch einem Moment der Ruhe hatte er gerne sein abgenutztes, schäbiges Maiskolbenpfeifchen aus der Hosentasche genommen, um den Pfeifenkopf mit schwarzem Tabak zu stopfen, paffend anzuzünden und mit geschlossenen Augen den herrlichen Geruch seiner Umgebung zu genießen und in sich aufzusaugen.

    Vermutlich war es diese einzigartige Mischung der verschiedensten Gerüche aus Teer, Fisch und Seetang, die ihn auch nach so vielen Jahrzehnten immer noch an dieser Stelle in der frühen Morgenstunde zum Träumen verführte und gleichzeitig in eine sehr sinnliche und nachdenkliche Stimmung versetzte.

    Als er, mit den Gedanken in der Vergangenheit vertieft, vor seinem offenen Atelierfenster stand und den Blick über die traumhaft schöne Bucht von Bondi Beach wandern ließ, erfasste ihn ein Gefühl der Wehmut, wie schnell die Zeit vergangen war und aus ihm einen alten Mann gemacht hatte. Immerhin waren seit seiner ersten Australien-Zeit mittlerweile schon über fünfzig Jahre vergangen, in denen eine Menge passiert war und er immerhin als Fotograf eine Vielzahl interessanter Länder und Menschen auf der Erde kennenlernen durfte.

    Bondi Beach

    Jaba bringt schlechte Nachrichten

    Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, ließ ihn der schrille Ton seiner Wohnungsklingel aufschrecken. In dieser allzu frühen Morgenstunde erwartete Phillip Amsel eigentlich noch keinen Besuch. Trotzdem eilte er neugierig zur Eingangstür, um durch den Spion zu spähen und nachzuschauen, wer ihn da so früh am Morgen besuchen wollte.

    Völlig überrascht stellte er fest, dass sein alter Freund Jaba vor der Tür stand. Jaba war der Heiler der Alwarras, einem der letzten Aboriginal-Stämme, die noch weit draußen, im roten Zentrum Australiens nach den alten Sitten und Gebräuchen ihrer Vorfahren lebten. Als Heiler gehörte er zusammen mit seinem Bruder Tschanka Baroula zu den Weisen der kleinen Sippe. Als Phillip Amsel das letzte Mal seine Freunde im Never Never besuchte, zählte die Gemeinschaft nur noch weniger als einhundert Personen.

    Jaba begrüßte ihn mit seinem Aboriginal-Namen Coloboo. Seit Phillip Amsel sich vor zwei Jahren, von einer schweren Krankheit geheilt, von den Alwarras verabschiedet hatte und hier in Nord Bondi sein neues Zuhause fand, war er nicht mehr so genannt worden. Doch trotz aller Wiedersehensfreude konnte er sich denken, dass sein alter Freund bestimmt nicht ohne Grund die fast 3.000 Kilometer gekommen war, nur um mit ihm zu frühstücken.

    Nachdem er Jaba hineingebeten hatte, drückte er diesem, noch bevor er etwas sagen konnte, voller Stolz sein Australien-Buch in die Hände, das erst vor wenigen Tagen mit dem Titel Die Menschen aus dem Never Never erschienen war. Er hatte fast fünfzig Jahre gebraucht, um all seine Fotografien und Texte, die er über Down Under gesammelt hatte, in einem Fotoband zu veröffentlichen. Für ihn selbst gab es keinen Zweifel, dass er es ohne die Mithilfe seiner Tochter Rose beileibe noch immer nicht geschafft hätte.

    Aus einem Impuls heraus schenkte er seinem Freund Jaba mit einer kleinen angedeuteten Verbeugung eines seiner wenigen Autorenexemplare, mit dem Hinweis, dass er ihm und den Alwarras ein sehr großes Kapitel gewidmet hätte. Phillip Amsel stand ohnehin schon seit Jahren bei Jaba hoch in der Schuld, da ihm dieser als Ngangkari, wie die Aboriginal people ihre Heiler nennen, mehr als einmal das Leben gerettet hatte. Vielleicht war dies genau der richtige Zeitpunkt, um sich im Nachhinein nochmals ein klein wenig zu revanchieren.

    Jaba schien über das unverhoffte Geschenk mehr als überrascht. Beim ersten schnellen Umblättern der einzelnen Seiten änderte sich sein Gesichtsausdruck merklich. Er schien gerührt darüber, dass sein Freund mit seinen Fotografien, Zeichnungen und Berichten ein sehr umfassendes Werk verwirklichen konnte, das auch sein Volk, die Alwarras, betraf. Phillip Amsel hatte es gemeinsam mit seiner Tochter Rose geschafft, das Neben- und das Gegeneinander der beiden ethnischen Gruppen schwarzer und weißer Menschen und das viel zu seltene Miteinander in seiner Dokumentation sehr eindringlich zum Ausdruck zu bringen.

    Als Jaba sich nach einer halben Ewigkeit des Studierens in Phillip Amsels bequemem Ledersessel zurücklehnte und dessen Lebenswerk behutsam zuklappte, konnte er in den Augen des Heilers eine sehr tiefe Zustimmung und sogar ein bisschen Stolz herauslesen.

    Um den Freund beim Lesen nicht zu stören, hatte er in der Zwischenzeit eine Kanne Earl Grey-Tee aufgesetzt und einige Scheiben Brot mit Butter und Käse für sie beide zubereitet, wie er es an jedem Morgen gerne frühstückte. Der Heiler hatte mit seinem unangekündigten Besuch für eine Überraschung gesorgt und nun freute sich der alte Mann auf ein gemeinsames Frühstück.

    Jaba sprach lange kein einziges Wort. Stattdessen schaute er nachdenklich aus dem großen Studiofenster der Atelierwohnung zum Strand hinüber, wo die Wellen wie schon seit Urzeiten ohne Unterlass krachend auf den nassen Sand zurollten. Langsam tummelten sich dort unten bereits die ersten Surfer, um noch schnell vor der Arbeit oder der Schule ein paar gute Wellen zu reiten.

    Als Jaba endlich zu kauen aufhörte und Phillip Amsel aus ruhigen Augen betrachtete, erkannte dieser plötzlich sehr viel Traurigkeit in dem Blick des alten Weggefährten. Um etwas Zeit zu gewinnen, wischte sich der Heiler mit einer Serviette umständlich über den Mund, bevor er zu reden begann.

    „Du hast dir sehr viel Mühe gemacht mit deinem Buch, Coloboo, und es ist ein wahrlich beachtliches Werk geworden. Doch wie viele Menschen müssten es lesen und begreifen, damit sich für uns Aboriginal people endlich etwas ändert auf diesem Kontinent?

    Du bist gewiss nicht der Erste und schon lange nicht der Einzige, der auf die Ungerechtigkeiten hinweist, die meinem Volk widerfahren sind und immer noch widerfahren. Doch die andere Seite, die weiße Mehrheit, sitzt an den längeren Hebeln, so ist es auf der ganzen Welt.

    Ich weiß, dass du Nelson Mandela, diese unglaubliche Lichtgestalt in Südafrika, sehr verehrst. In deinem Buch habe ich die Stelle gelesen, dass du glaubst, wenn wir Aboriginal people solch eine Persönlichkeit wie ihn hier in Australien hätten, könnte sich vieles für uns viel schneller ändern.

    Vielleicht hast du recht. Bis 1971 besaß mein Volk weder einen Pass noch irgendwelche Rechte. Ohne Pass bist du überall auf der Welt ein Niemand. Wenn du von der Bildfläche verschwindest, interessiert es keine Behörde und kein Gericht, im Gegenteil. Die, die uns nie einen Pass gaben, sahen auch nie einen Anlass, nach uns zu suchen. Wir waren vogelfrei. Man konnte uns früher einfach abknallen, erschlagen, in die Luft jagen, vergiften und sich noch viel schrecklichere Dinge ausdenken, um uns loszuwerden. Es ist ihnen aber nicht gelungen. Wir sind noch da.

    Leider haben viele von uns resigniert. Sie lungern Tag ein, Tag aus vor den Pubs und den Supermärkten in den Städten und kleinen Ortschaften herum, um ihr sinnloses Dasein im Alkohol und billigen Drogen zu ertränken. Sie haben jeglichen Halt verloren. Es sind Entwurzelte. Die Missionare, die sie uns aus schlechtem Gewissen schickten, haben in keinster Weise etwas bewirkt, im Gegenteil. Man hat, ohne darüber nachzudenken, mein Volk aus seiner 50.000-jährigen Mythologie herausgerissen.

    Unsere Mythologie ist, wie du weißt, unsere Religion. Sie beinhaltet unsere Songlines und feste Gesetze und Regeln, die unserem Leben einen Halt und einen Sinn geben. All dies ist mit diesem Land unumstößlich verwurzelt. Für die meisten von uns ist dies auch nicht durch euren Jeremias zu ersetzten, der seine Botschaft eines Tages nicht weiterverkünden durfte, weil man ihn barbarisch an ein Kreuz genagelt hatte. Nach ihm haben sich andere auf den Weg gemacht, in der ganzen Welt seine Worte zu verbreiten. Wie Johannes, Lukas, Markus oder Matthäus und viele mehr. Zu uns ins Outback, in das rote Herz Australiens, traute sich als Erster ein Landsmann von dir namens Carl Strehlow. Er war gekommen, um die Finke River Mission in Hermannsburg zu gründen und den Aboriginal poeple das Wort seines Herrn Jesu Christi zu verkünden. Meine Brüder und Schwestern gingen natürlich gerne zu den Predigern, denn es gab am Ende der Bibelstunde immer reichlich Gebäck und Limonade für alle."

    Wieder einmal war Phillip Amsel erstaunt darüber, wie sich Jaba für sein Volk ereifern konnte und mit allem, was er sagte, recht hatte. Deshalb musste er ihm auch in allen Belangen beipflichten und gleichzeitig versichern, dass er schon damals, als er 1971 zum ersten Mal in das rote Zentrum Australiens kam, eine bessere Zukunft für die Nachkommen der Ureinwohner gewünscht hätte, mit den gleichen Rechten und Pflichten, wie sie auch die weiße Bevölkerung auf dem fünften Kontinent für sich in Anspruch nimmt. Doch hier liegt nach so langer Zeit wohl noch immer der Hund begraben.

    „Ich befürchte, wir beiden alten Männer werden dies in unserem Leben nicht mehr erleben. Natürlich wird der oberflächliche Beobachter sagen, dass doch mittlerweile alles längst zum Besten geregelt ist, doch das was auf dem Papier steht und das was die Wirklichkeit uns zeigt, liegt noch immer meilenweit auseinander."

    Wie immer in dieser Jahreszeit versprach der neue Tag wunderschön zu werden. Im Atelier war einige Zeit vergangen, ohne dass die beiden Freunde etwas gesagt hatten. Sie standen stumm, wie zwei lebensgroße, aus Holz geschnitzte Skulpturen nebeneinander am Fenster und bewunderten das Strandleben draußen an der Beach, das sich mittlerweile eingefunden hatte. Aus den vereinzelten Surfern in der frühen Morgenstunde, als Jaba bei ihm vor der Tür stand, waren mittlerweile weit über einhundert oder mehr Strandbesucher geworden.

    Schließlich war es auch Jaba, der die Stille unterbrach und zugleich mit seinem ausgestreckten Zeigefinger nach unten auf die Leute deutete, so als hätte er jemanden auf den bunten Badetüchern erkannt.

    „Es sind mehr Leute dort unten, als es noch Alwarras in unserem Dorf gibt. Von den Jüngeren schleichen sich immer mehr heimlich davon, um in der Stadt ihr Glück zu suchen. In einigen Berichten, die Touristen in weggeworfenen Zeitungen aus Übersee zurückgelassen hatten, habe ich gelesen, dass in zahlreichen Ländern auf dem Globus sehr viele alte Menschen in so genannten Alten- und Pflegeheimen untergebracht werden.

    Wie du selbst weißt, leben bei meinem Volk alle Generationen in einer großen Gemeinschaft zusammen. Doch schon seit vielen Jahren bröckelt es auch in unserer kleinen Welt. Wir werden immer weniger. Das macht mir sehr große Sorgen und es ist auch der Grund, weshalb ich zu dir gekommen bin."

    Jetzt horchte Phillip Amsel auf. Er war gespannt, aus welchem Grund der Heiler den weiten Weg aus dem Never Never auf sich genommen hatte, um in aller Herrgottsfrühe vor seiner Tür zu stehen.

    Wirrpanda liegt im Sterben

    Es geht um unseren Vater Wirrpanda, der leider sehr altersschwach geworden ist und mich bat, seine Enkeltochter Noora vor seinem nahenden Tod nachhause zu holen, um sie noch einmal zu sehen."

    Das war für Phillip Amsel und seine ganze Familie keine gute Nachricht. Vor zwei Jahren hatte er den alten Traumhüter auf eine ganz spezielle Weise kennengelernt, als er mit seiner Tochter Rose in einem alten VW-Bus in den MacDonnell Ranges unterwegs war. Er hatte die alte Blechlaube durch einen Fahrfehler im butterweichen Wüstensand festgefahren. In dieser Einsamkeit, dem endlosen Nichts des Never Never, war ihnen Wirrpanda zum ersten Mal begegnet. Später baute Rose eine ganz besondere Beziehung zu dem alten Mann auf, da sie nicht nur von seiner Person fasziniert war, sondern auch von seinen fantastischen Geschichten, die er wie kein anderer zu erzählen verstand. Durch die Genehmigung des Ältestenrates der Alwarras konnten später sogar viele seiner mystischen Erzählungen in ihrem gemeinsamen Australienbuch, das Jaba noch immer in seinen Händen hielt, einen angemessenen Platz finden.

    Doch nun lag der Hüter der Traumpfade der kleinen indigenen Stammesgruppe im Sterben.

    Der Heiler hatte während der Gedankenflüge Phillip Amsels längst weitergeredet und davon berichtet, dass er glücklicherweise mit dem ehemaligen Flying Doktor Paul McRyn, den er aus Sydney ans Krankenbett Wirrpandas gerufen hatte, die Gelegenheit nutzen konnte, in seiner Cessna mit zurückzufliegen.

    Tatsächlich war der Doktor, der schon seit vielen Jahren in der Millionenstadt im Sydney Day Hospital in der Macquarie Street als Chefarzt arbeitete, auch nach seinem Dienstende in der Flying Doktor Station in Alice Springs für die Alwarras ein guter Freund geblieben. Jaba und er schätzten einander sehr. Das ging tatsächlich so weit, dass der Doc, wie er von allen nur genannt wurde, in sehr kritischen Krankheitsfällen auch weiterhin für seine Aboriginal people im roten Zentrum zur Stelle war.

    Für Noora war er so etwas wie ihr Patenonkel geworden, auch wenn sie und Rose jede finanzielle Zuwendung für ihre Ausbildung von ihm energisch ablehnten. Tatsächlich verdiente sich das junge Mädchen, seit sie in Sydney lebte, selbst ein beachtliches Taschengeld. In Zusammenarbeit mit dem bekannten Ballettmeister Charls-Jabiaba Tjalerina, den alle nur Cha Tja nannten, leitete sie schon seit zwei Jahren eine Modern Dance-Ballettgruppe, die speziell Elemente aus den alten, mystischen Corroboree-Tänzen der Aboriginal people in ihre Tänze einbaute. Nach ihrem Auftritt auf dem Ballettfestival mit den Tänzen zu den „Steinkindern und „Brolga, dem grauen Kranich war es für Noora nur noch steil bergauf gegangen. Durch die große Presse, die sie nach den beiden Ballettaufführungen erhielt, hatte die Intendantin des Sydney Opernhauses von ihrem Ballettmeister Cha Tja sogar eine Wiederholung für ein viel größeres Publikum eingefordert, mit noch schöneren Kostümen und einer aufwendigeren Bühnengestaltung auf der großen Bühne des Kleinen Hauses. Auch

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